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Frühling in Paris - das Leben könnte so schön sein ... wäre da nicht Trishas Chefin, eine exzentrische Tyrannin, die ihr das Leben zur Hölle macht. Als Trisha während der Fashion Week in ernsthafte Schwierigkeiten gerät, kann ihr nur einer beistehen: Philippe Gaspard. Sofort bringt der charmante Franzose ihr Herz zum Rasen. Doch immer, wenn sie sich näherkommen, zieht er sich zurück und gibt ihr neue Rätsel auf. Philippe wollte sich nie wieder verlieben. Das ändert sich, als Trisha in sein Leben stolpert, denn Gefühle lassen sich nun mal nichts vorschreiben. Sein Herz scheint bereit, sich wieder für die Liebe zu öffnen. Er lässt sich auf Trisha ein, aber schon bald stehen die beiden vor einer neuen Herausforderung, die alles zerstören könnte.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Prolog
1. Philippe
2. Trisha
3. Philippe
4. Trisha
5. Trisha
6. Trisha
7. Trisha
8. Philippe
9. Trisha
10. Philippe
11. Trisha
12. Philippe
13. Trisha
14. Philippe
15. Trisha
16. Trisha
17. Philippe
18. Philippe
19. Trisha
20. Trisha
21. Trisha
22. Trisha
23. Trisha
24. Trisha
25. Philippe
26. Philippe
27. Philippe
28. Trisha
29. Philippe
30. Trisha
31. Philippe
Epilog
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Lektorat: Dorothea Kenneweg
Korrektorat: Dr. Andreas Fischer
Covergestaltung unter Verwendung von Shutterstuck Lizenzen
Copyright © Karin Lindberg 2019
Karin Baldvinsson
Am Petersberg 6a
21407 Deutsch Evern
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Erstellt mit Vellum
Trisha
Es könnte schlimmer sein. Ja, wirklich. Im Grunde alles nur eine Frage der Perspektive. Wenn es zum Beispiel regnen würde, wäre ich richtig geliefert. Zum Glück ist es ein milder Morgen in Paris, die Straßen erwachen allmählich zum Leben. Lieferwagen sind unterwegs, Fußgänger eilen zur Arbeit, ein paar Vespas rattern an mir vorbei. Eine Kehrmaschine dröhnt am Ende einer Seitenstraße. Einige Cafés haben bereits geöffnet, in denen die Pariser ihren Espresso trinken, manche knabbern dazu an einem Croissant. Es ist so anders hier als in meinem derzeitigen Wohnort London. Die Franzosen wissen, wie man das Leben genießt, denen geht der ach so angesagte Lifestyle mit veganer Ernährung und glutenfreien Produkten am Allerwertesten vorbei.
Wie ich sie darum beneide. Jemand sollte mal meiner Chefin klarmachen, dass man so deutlich entspannter lebt. Ihr ist nicht mal das Frühstück in einem der exklusivsten Fünf-Sterne-Schuppen der Stadt gut genug, weil sie eventuell keine Mandelmilch am Buffet haben. Aber was rege ich mich auf, es ist doch alles wie immer. Fast. Denn neben ihren ausgefallenen Wünschen habe ich noch die Last der Show auf der Fashion Week auf meinen schmalen Schultern zu tragen. Wenn was schiefgeht, werde ich einen Kopf kürzer gemacht, danach noch die Aftershow-Party, bei der ich die Verantwortung dafür trage, dass alles reibungslos abläuft. Statt mich voll und ganz auf diese Aufgaben konzentrieren zu können, bin ich jetzt unterwegs, um ihr einen zuckerfreien Eiskaffee mit Sojamilch und ein Sandwich – glutenfrei, das versteht sich von selbst – mit veganem Belag zu besorgen. Das Ganze im Bleistiftrock, Seidenblüschen und auf zehn Zentimetern High Heels. In fünfzehn Minuten haben wir ein wichtiges Meeting und die Unterlagen dazu liegen noch in meinem Zimmer. Das werde ich nie schaffen.
Rhona Mulligan interessiert es leider nicht die Bohne, ob ich die Kapazitäten für ihre Sonderaufträge habe. Wenn ich meinen Job nicht erledige – und dazu gehören auch Dinge, die nach meinem Studium am Central Saint Martins College eigentlich unter meiner Würde sein sollten –, feuert sie mich. Eiskalt und im hohen Bogen. Sie schätzt mich in etwa so sehr wie einen Pickel am Kinn. Mein Problem: Ich brauche diesen Job, denn sie ist die Beste in der Branche. Ihr Design ist einzigartig und weltberühmt, sie ist eine Koryphäe, und ich habe bereits viel von ihr gelernt. Die Arbeit bei ihr wird für mich das Sprungbrett zu meiner eigenen Karriere als Designerin sein, nur deswegen tue ich mir das seit drei Jahren an. Der Gedanke, dass ich diesen Job verdammt noch mal brauche, lässt meine Absätze schneller über die Gehsteigplatten klackern.
Endlich … Ich habe einen Laden gefunden, der möglicherweise meinem Leiden ein Ende bereiten könnte. Die Schlange ist lang, die Leute stehen sogar bis auf den Gehweg hinaus. Ist klar, es ist Fashion Week, nicht nur meine Chefin ist exzentrisch und hat Sonderwünsche. Ich erkenne es an den vielen gestressten Gesichtern, den meisten geht es genauso wie mir. Mit einem Seufzen stelle ich mich in die Reihe der Wartenden und schicke ein Stoßgebet zum lieben Gott, dass ich es noch rechtzeitig zum Meeting schaffen werde. Es ist lächerlich, denke ich und schüttele kaum merklich den Kopf. Der da oben hat gewiss Wichtigeres zu tun, als sich um meine blöden Wünsche zu kümmern. Auf der Welt gibt es ernsthaftere Probleme als Kuhmilch oder Gluten. Das weiß meine Chefin nur leider nicht.
Zur Sicherheit habe ich schließlich drei Varianten genommen, die ich jetzt auf einem Papptablett vor mir herbalanciere. Bei Rhona weiß man nie, ob sie nicht plötzlich doch einen Cappuccino mit zuckerfreiem Vanille-Extrakt und Mandelmilch haben will. Ein Blick auf meine Armbanduhr genügt, um mein Herz stolpern zu lassen.
Zu spät. Ich bin viel zu spät. »Verdammt«, fluche ich unterdrückt und renne los. Meine Beine schmerzen, meine Fersen brennen höllisch – na toll, ich habe mir garantiert auf jeder Seite eine Blase gelaufen – und es ist noch nicht mal neun Uhr. Mein Tag entwickelt sich schon jetzt zu einem Alptraum. Mit der bevorstehenden Show und der dazugehörigen Party in einer der wichtigsten Wochen des Jahres werde ich auch noch den ganzen restlichen Tag auf den Beinen sein, in diesen mörderischen High Heels. Ich schwitze, spüre, wie sich zwischen meinen winzigen Brüsten ein kleines Rinnsal gebildet hat. Jetzt kann ich nur hoffen, dass mein Deo nicht auch noch versagt. Dunkle Flecken unter den Armen wären mein Todesstoß. Als ich um die nächste Ecke in die Rue Fresnel biege, sehe ich schon das imposante Hotelgebäude des Shangri-La mit Blick auf die Seine und den Eiffelturm. Schade, dass ich nichts davon genießen kann. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt länger als drei Stunden am Stück geschlafen habe. Gleichzeitig spüre ich, wie sich von meinem Nacken pochende Kopfschmerzen bis in meine Stirn ausbreiten. Nicht heute, bitte ich stumm und haste durch die Eingangstür. Meine Absätze hallen auf den weißen und schwarzen Fliesen in der weitläufigen Lobby. Es duftet nach frischen Blüten, und aus den Lautsprechern dringen »Die vier Jahreszeiten« von Vivaldi an mein Ohr.
Ich atme schwer und hoffe, dass ich bald nicht mehr schnaufe wie eine Dampflok, die Mitarbeiter an der Rezeption denken sonst noch, ich wäre eine Verrückte.
Ich muss noch schnell rauf in mein Zimmer und die Unterlagen holen, die ich dann zur Sitzung mit in Rhonas Suite nehmen werde. Es ist bereits Viertel nach neun, aber das ist nun nicht mehr zu ändern. Wenn meine Chefin mich köpfen wollte, würde sie immer einen Anlass finden. Ich stehe ganz unten in der Rangliste, also ist es egal, aus welchem Grund ich zu spät komme, ich kriege so oder so eins auf den Deckel. Okay, vielleicht nicht ganz unten, als persönlicher Assistentin habe ich eine Sonderstellung, irgendwie, aber keine, die mir das Recht gibt, Rhona und ihren Geschäftspartner warten zu lassen. Es ist absurd, denn sie ist ja verantwortlich für meine Misere, aber das darf ich ihr gegenüber niemals laut aussprechen. Sie ist natürlich unfehlbar … Allerdings kenne ich alle schmutzigen Details aus ihrem Leben, auch die, von denen ich lieber nichts wüsste. Man sollte meinen, das würde mir einen Platz an der Sonne bescheren. Das Gegenteil ist der Fall, jeder denkt irgendwie, dass ich ihn oder sie bei Rhona verpetzen könnte, also werde ich von allem ausgeschlossen. Wenn sie nach der Arbeit einen Drink nehmen, werde ich nicht gefragt. Mittagspause – ohne mich. Es ist nicht immer leicht, außer meinem finnischen Lieblingskollegen Samu habe ich nicht viele Freunde im Team. Um genau zu sein, gar keine. Aber das ist nicht wichtig, denn ich habe mein Ziel schon seit vielen Jahren klar vor Augen: Ich möchte eine ebenso herausragende Designerin werden wie sie, deshalb lerne ich ja auch von der Besten, sogar wenn das heißt, dass ich mich drangsalieren lasse. In meiner Freizeit muss ich mit Mode jedoch nicht auch noch was zu tun haben. Meine Londoner Freundinnen, Savie und Claire, haben damit zum Glück nichts zu schaffen. Wenn sie auch noch in diesem irren Zirkus mitmischen würden, hätten wir nie Zeit füreinander. Sie beschweren sich ohnehin schon ständig, dass ich zu wenig mit ihnen unternehme. Ich kann ihnen nicht widersprechen, aber neben all den Strapazen macht mir vieles an meiner Arbeit auch großen Spaß. Sonst hätte ich längst das Handtuch geworfen.
Bei den Aufzügen angekommen, lässt der Page seinen Blick kurz an mir auf- und abwandern. Ich lächele gequält, ja, ich kann mir vorstellen, was für ein bejammernswertes Bild ich abgebe. Er fragt sich wohl, ob ich hier wirklich hingehöre, oder eher in die Gosse.
Für Erklärungen habe ich momentan aber überhaupt keine Zeit. Ich wedele ungeduldig mit meiner Zimmerkarte, und er fängt endlich an, seinen Job zu tun, und drückt den Knopf.
»Merci«, sage ich, als die Türen mit einem leisen Zischen aufgleiten, und haste hinein. Die Sieben drücke ich gleich zehnmal hintereinander. »Mist«, schimpfe ich, als ich bemerke, dass ein Nagel abgebrochen und der rote Lack an zwei anderen gesplittert ist. Als ob ich das jetzt noch brauchen würde! Ich werfe einen Blick in den Spiegel, der macht mir auch nicht gerade Mut. Meine Wangen sind gerötet, die Augenringe trotz haufenweise Concealer immer noch zu sehen, meine schulterlangen, braunen Haare hängen mir strähnig vom Kopf. Dabei habe ich mir heute Morgen sogar die Mühe gemacht, sie mit einem Lockeneisen zu bearbeiten. Tja, das war offensichtlich für die Katz.
Ich eile in mein Zimmer, klemme mir die Unterlagen unter den Arm und sprinte mit der Lieferung für Rhona wieder zum Aufzug. Zu meiner großen Überraschung treffe ich Audrey, meine »Lieblingskollegin«, auf dem Weg zur größten Suite des Hotels im achten Stock. Zweihundertzwanzig Quadratmeter und eine riesige Dachterrasse: Es kostet ein Vermögen – das Rhona momentan eigentlich nicht übrig hat. Woher ich das weiß? Weil ich auch das Buchen der Zimmer übernehmen muss. Weil ich ihre persönlichen Dinge erledige, inklusive der privaten Post, Rechnungen, die ich an die Buchhaltung weitergebe, Finanzabschlüsse, die Rhona unterzeichnen muss, ich bin Mädchen und Fußabtreter in allen Bereichen ihres Lebens.
Audrey lächelt mich zuckersüß an. Ihre Miene ist so unecht wie ihre langen, tiefschwarzen Wimpern. »Na, verschlafen?«, sagt sie mit diesem fiesen Unterton. Sie hasst mich.
Es beruht auf Gegenseitigkeit. Zwei Jahre lang habe ich alles versucht, um mit ihr auszukommen. Ich weiß nicht, weshalb sie mich von der ersten Stunde an nicht leiden konnte. Irgendwann habe ich es schließlich aufgegeben, mit ihr klarkommen zu wollen, wir koexistieren. Das war’s.
Sie hat einen Schlüssel zur Suite, öffnet die Tür und lässt mir den Vortritt. »Geh ruhig zuerst«, sagt sie zu mir. Das hätte mich stutzig machen sollen, aber in meiner Eile bin ich einfach froh, denke, dass sie womöglich Mitleid mit mir hat – zum ersten Mal –, weil sie sieht, wie sehr ich mich für Rhona Mulligan abrackere. Ich setze ein Lächeln auf, niemand soll merken, wie gestresst ich wirklich bin. Zu spät merke ich, dass der Boden nicht eben ist. Das ist seltsam und im gleichen Moment spüre ich, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Mein Lächeln friert zur Grimasse und ich stolpere buchstäblich in die Suite, bekomme gerade noch mit, dass in der Mitte des Zimmers Rhona mit ihrem Geschäftspartner auf dem Sofa sitzt. Auf meinen Lippen steht das »Guten Morgen«. Das ist der Moment, in dem mir das Tablett im hohen Bogen aus meinen Händen fliegt. Es ist einer dieser Augenblicke, in denen alles wie in Zeitlupe abläuft. Noch während der Kaffee, der Eiskaffee und das Sandwich durch die Luft segeln, sich zu allem Übel auch die Deckel lösen und sich heiße und kalte Flüssigkeit, Eiswürfel und glutenfreie Brotscheiben überall verteilen, wird mir klar, dass Audrey, die miese Schlampe, mir ein Bein gestellt hat.
Es ist zu spät. Ich bin geliefert und blamiere mich vor meiner Chefin und ihrem Geschäftspartner bis auf die Knochen. Es ist nicht mehr aufzuhalten, ich donnere auf den Boden. Der flauschige Teppich dämpft meinen Sturz zum Glück ein wenig. Dabei sind Schmerzen gerade mein kleinstes Problem. Was viel mehr wehtut, ist, dass Audrey so hinterhältig ist und mich absichtlich zu Fall gebracht hat. Das hätte ich selbst ihr nicht zugetraut.
Rhona stößt ein empörtes »Trisha« aus.
Nein, ich habe mich nicht verletzt, denke ich verärgert. Ich rappele mich auf, bin innerhalb weniger Sekunden wieder auf den Beinen, richte meinen Rock, streiche mir die Haare aus dem verschwitzten Gesicht.
»O Gott«, krächze ich. »Es, ich, es … tut mir leid.« Der Kaffee versickert im cremefarbenen Teppich, Rhonas Hund Shushu kläfft und springt wild durchs Zimmer, aber das ist jetzt auch schon egal. Ich bin nur froh, dass ich nur den Fußboden besudelt habe. Wenn ich ihren Kunden mit Kaffee überschüttet hätte, könnte ich mich direkt aus dem achten Stock stürzen. Daher kann ich vielleicht sogar noch dankbar sein. Mit fahrigen Bewegungen sammele ich die Papiere zusammen, um den Kaffeefleck werde ich mich später kümmern. Audrey tänzelt ins Badezimmer und holt Handtücher, das Aas tut doch tatsächlich so, als ob sie helfen wollte, das Malheur zu beseitigen. Blöde Kuh!
Meine Chefin schließt für eine Sekunde die Lider, seufzt leise und legt sich dann eine Hand an die gebotoxte Stirn. »Ich muss mich doch sehr entschuldigen«, wendet sie sich wieder ihrem Gesprächspartner zu. Ich mache den Fehler und sehe ihn direkt an.
Große blaue Augen sind auf mich gerichtet, es ist der durchdringendste Blick, den ich je auf mir gespürt habe. Mein ohnehin schon rasender Herzschlag donnert immer schneller. Mir wird ganz flau im Magen, ich kann mich nicht rühren, bin zur Salzsäure erstarrt. Der dunkelhaarige Franzose betrachtet mich weiter ungeniert. Um seine sinnlichen Lippen liegt ein aufreizender, fast arrogant wirkender Zug. Seine Mundwinkel heben sich einige Millimeter, und er macht mir damit überdeutlich klar, dass er mich zwar ein bisschen bemitleidet, meinen Auftritt aber gleichzeitig irgendwie lustig findet. Dann, ganz plötzlich, räuspert er sich, neigt den Kopf und wendet sich wieder meiner Chefin zu, als wäre ich gar nicht da.
Ich erröte bis unter die Haarwurzeln, möchte auf der Stelle tot umfallen und erwache endlich aus meiner Schockstarre.
»Bitte«, stammele ich. »Hier sind die Unterlagen.« Mit weichen Knien und zitternden Fingern reiche ich Rhona die zerknitterten Papiere. Es ist ein Bild des Grauens.
Sie presst ihre Lippen zusammen und reißt sie mir aus der Hand. »Kaffee kann ich mir jetzt wohl auch abschminken«, gibt sie anstatt eines »Danke« von sich.
In diesem Augenblick möchte ich ihr die Zettel wegnehmen und sie damit ins eingefrorene Gesicht schlagen. Stattdessen atme ich tief durch und straffe meine Schultern. »Ich werde sofort beim Room Service neuen bestellen. Eventuell haben sie hier im Hotel ja doch Mandelmilch …«
Rhona bringt mich mit einer zackigen Handbewegung zum Schweigen. »Vielleicht bekommst du das ja wenigstens hin. Möchten Sie auch einen Kaffee, Philippe?« Sie lächelt ihn an. »Na los«, scheucht sie mich in derselben Sekunde fort.
Ich nicke, spüre wieder den intensiven Blick aus den blauen Augen ihres Gesprächspartners auf mir ruhen. »Danke. Ich nehme einen Espresso, wenn es keine Umstände macht«, sagt er betont gelassen.
Seine Stimme ist dunkel und ein bisschen rau. Er hat offenbar versucht seine braunen Locken mit Gel zu bändigen, aber wie es aussieht, ist sein Haar genauso störrisch wie meins. Es ist einen Tick zu lang, was ihn lässig und verwegen wirken lässt. Seine breiten Schultern stecken in einem hellblauen Cashmerepullover mit V-Ausschnitt, der sich wie eine zweite Haut an seinen Oberkörper schmiegt. Sofort wünsche ich mir, ich könnte dieser Pulli sein.
Mist. Woher kam dieser Gedanke auf einmal? Ich muss verrückt geworden sein. Komplett.
»Trisha?«, höre ich Rhonas genervte Stimme und reiße mich von seinem Anblick los.
Ich schüttele kaum merklich meinen Kopf, haste zum Telefon und drücke die Null für den Zimmerservice.
Ich bin geliefert. Aber so was von. Und ich habe keine Ahnung, wie ich den restlichen Tag überstehen soll. Das Dröhnen in meinem Kopf wird immer schlimmer, und ich habe weder Schmerztabletten dabei, noch Zeit, zu einer Apotheke zu hasten, denn eigentlich werde ich schon bei der Vorbereitung zur Show erwartet. Ich kann nur noch eins tun – auf ein Wunder hoffen.
Gelangweilt sehe ich mich im Saal um und nehme mir ein Glas Champagner von einem der Tabletts, die einem ständig von einer der Servicekräfte vor die Nase gehalten werden. Ich habe für diese Art von Veranstaltungen wenig übrig, aber ich habe ein Ziel, nur deswegen bin ich hier. Hunderte von Menschen tummeln sich auf dem Parkett, und doch ist man irgendwie allein. Mir ist es ganz recht, ich habe keine Lust auf Smalltalk.
»Philippe?«, höre ich eine dunkle Stimme neben mir, die ich leider sehr gut kenne. Eine Hand legt sich auf meine Schulter. »Guten Abend, mein Freund«, schmeichelt Luc Reno. Er ist mein verhasstester Dauerkonkurrent. Wir sind in etwa im gleichen Alter, damit hat es sich dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Im Gegensatz zu unserem Konzern »Jolie«, wo wir Wert auf Nachhaltigkeit und Ethik legen, lässt er alle Textilien in Bangladesch, Indien oder China produzieren. Oft genug steht sein Unternehmen mit negativen Schlagzeilen in der Öffentlichkeit, was ihn nicht davon abhält, genau so weiterzumachen. Der Preis seiner Klamotten ist dafür unschlagbar billig. Mit Mode hat das, was er verkauft, leider nichts zu tun. Dass viele Kinder ihre Kindheit dafür opfern müssen, oder schlimmer, ihr Leben verlieren, interessiert ihn nicht. In meinen Augen ist dieser Mann nichts als Abschaum, der sein Vermögen durch moderne Sklaverei stetig vergrößert.
»Guten Abend, Luc«, gebe ich ruhig zurück und nicke knapp.
»Du hier? Was treibt dich nach Paris?« Er hebt spöttisch eine Augenbraue. Mir ist klar, dass er überrascht ist, mir auf der Fashion Week zu begegnen, aber das Gleiche könnte ich ihn fragen, was ich nicht tue.
»Es ist Fashion Week.« Natürlich ist das keine Antwort auf seine Frage, aber es geht ihn nichts an, dass ich mit Rhona Mulligan über einen exklusiven Kontrakt verhandele. Dass wir ihr eine eigene Designlinie bei uns anbieten, die ihre Mode für Normalsterbliche zugänglich und erschwinglich macht. Mir ist bewusst, dass sie nie darauf eingehen würde, wenn sie nicht ihre ganz persönlichen Gründe hätte, die Aktion erforderten. Man munkelt hinter vorgehaltener Hand, dass sie ein paar falsche Investments getätigt hat, die letzte Scheidung teuer war und ihr Lebensstil zu exklusiv sei. Offiziell gibt es dazu natürlich keine Statements oder Informationen.
»Haha.« Luc lässt seinen Blick über die Gäste schweifen. »Bist du alleine hier?«
»Ist man unter so vielen Menschen jemals alleine?«
Mit Genugtuung stelle ich fest, dass eine kleine Ader an seiner Stirn pocht.
»Immer noch der alte Zyniker«, stellt er mit hochgezogener Augenbraue fest. Er greift sich ein Glas Champagner und nimmt einen Schluck.
»Und, was treibt dich auf diese Party?«, ringe ich mich zu einer Höflichkeitsfrage durch, obwohl mir nichts lieber wäre, als ihn einfach stehen zu lassen und zu verschwinden.
Sein Grinsen wird breiter. »Ach, du weißt schon. Geschäfte. Man sucht ja immer nach Inspirationen.«
Ich verkneife mir ein humorloses Lachen. Seine Billigklamotten sind in etwa so stilvoll wie Rinderfilet mit Ketchup. »Tatsächlich?«, ist das Einzige, was ich hervorbringe, ohne ihm gleich eine Beleidigung entgegenzuschleudern.
»In der Tat. Rhona ist eine gute Freundin ...« Er sieht mich herausfordernd an.
Da ist doch was im Busch.
In meinem Magen bildet sich ein Knoten. Das darf doch wohl nicht wahr sein, ist es möglich, dass die Schlange ein doppeltes Spiel treibt? Hält sie mich an der einen Hand und ausgerechnet ihn an der anderen? Zuzutrauen wäre es ihr. Die Frau ist leider so unmöglich wie genial. Das ist das Problem, ihr Design ist grandios, mein Bruder liebt ihre Kreationen, und der ist nun mal der Chef in Sachen Mode und Stil in unserer Firma. Ich kümmere mich nur um die Finanzen und darum, dass die Produktion reibungslos läuft.
»Schön, ich wusste gar nicht, dass ihr befreundet seid.« Dann muss Rhona das Wasser wirklich bis zum Hals stehen. Ich bin mir sicher, vor ein paar Jahren hätte sie Luc und mir nicht mal eine Eintrittskarte zu ihrer Show zukommen lassen. Verdammt. Wenn das Arschloch erfährt, dass ich einen Kontrakt mit ihr schließen will, wird er mich mühelos überbieten. Unsere Geschäfte laufen zwar gut, aber die Finanzkraft von Luc Reno hat »Jolie« bei Weitem nicht.
Lucs Augen funkeln triumphierend. Das sagt mir alles, was ich wissen muss. Ich trinke von meinem Champagner, er schmeckt schal und abgestanden. Ich muss hier raus.
»Ah, ich habe gerade jemanden gesehen, dem ich unbedingt Hallo sagen muss. Du entschuldigst mich bitte. Viel Spaß noch, Luc«, lüge ich und dann bahne ich mir meinem Weg durch die Reihen, ohne auf eine Antwort von ihm zu warten. Ich könnte kotzen.
»Kanapee?«, werde ich mehrmals von Servicekräften angesprochen.
Ich bin so sauer, dass ich den Impuls, das Tablett im hohen Bogen wegzufegen, unterdrücken muss. Ich schüttelte den Kopf, meine Kiefer mahlen. Mit langen Schritten flüchte ich mich in die Toilette im Untergeschoss des Hotels. Hierher verirrt sich hoffentlich niemand, ich brauche eine Minute für mich. Ich muss mich kurz sammeln, stoße die Tür auf und stelle mich vor ein Waschbecken mit goldenen Armaturen. Viel zu üppig und übertrieben für meinen Geschmack, aber so ist das nun mal in diesen Luxus-Schuppen. Meine Finger umklammern das Porzellan so fest, dass meine Knöchel weiß hervortreten. Ich würde das Ding am liebsten rausreißen und gegen die Wand feuern. Natürlich tue ich nichts dergleichen, sondern versuche meine Wut einzudämmen.
Ein Geräusch lässt mich aufhorchen.
Noch einmal. Ein Stöhnen, gefolgt von einem trockenen Würgen.
Ich rolle mit den Augen und sehe auf meine Armbanduhr. Es ist gerade mal neun Uhr, und schon kotzt sich jemand die Seele aus dem Leib? So gut war der Champagner nun wirklich nicht. Erneutes Würgen, gepaart mit Husten und Schluchzen.
Moment mal?
Das klang nicht sehr maskulin. Mit männlichem Heulen kenne ich mich nämlich aus, mein Bruder Yves beherrscht es in Perfektion.
Leise gehe ich ein paar Schritte. Tatsächlich. Schwarze Heels mit roter Sohle lugen unter der nur angelehnten Tür hervor. Vorsichtig öffne ich sie, keine Ahnung wieso. Und dann reiße ich erschrocken die Augen auf, als ich erkenne, wer da kotzend vor der Schüssel hängt.
Ach herrje, es ist Rhonas Assistentin. Das arme Ding, sie braucht wahrscheinlich nicht mehr als drei Gläser, bis sie umkippt. An ihr ist ja nichts dran. Was wird sie wohl wiegen? Nicht viel, denn alles an ihr ist zierlich und zart. Was soll ich tun? Eine Hand stemme ich in meine Hüfte, mit der anderen fahre ich über mein Gesicht und wäge die Möglichkeiten ab. Sie ist nach dem letzten Würgen völlig weggetreten, hat mich noch nicht mal bemerkt. Ihr Kopf lehnt an der Kabinenwand.
Ich atme hörbar aus und gehe einen Schritt zurück. Die Tür schwingt geräuschlos zu, sodass ich nun auf die weiße Rückseite blicke. Verdammt, ich kann sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Irgendwie kann ich sogar verstehen, dass sie sich betrunken hat. Ihre Chefin ist eine Furie, ich habe Mitleid mit ihr, möchte sie beschützen.
Der letzte Gedanke ist so absurd, dass ich die Stirn runzele. In dieser Sekunde würgt sie wieder trocken und stöhnt gequält. Es geht ihr wirklich schlecht. Sie ist so hilflos, verdammt.
Lass sie und verschwinde, Philippe, versuche ich mir einzureden. Sie ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen.
Wie hieß sie noch mal?
Ach ja.
»Trisha«, sage ich leise und öffne die Tür erneut. Sie ist zu entkräftet, um ihren Kopf zu heben.
Ich schließe kurz die Lider. Meine Güte, diese Engländerinnen. Warum trinken sie so viel, wenn sie nichts vertragen!
Nein, ich bin nicht für sie verantwortlich. Gerade will ich mich umdrehen und gehen, als sie die Augen öffnet und zu mir aufschaut. Sie braucht mich. Etwas an der Art, wie sie mich ansieht, rührt an mein Herz. Meine Vorsätze, sie sich selbst zu überlassen, lösen sich in Rauch auf. Ein leiser Seufzer der Resignation schleicht sich über meine Lippen.
»Komm, ich helfe dir«, sage ich auf Englisch zu ihr und greife ihr unter die Arme. Ich bin irritiert, wie leicht sie tatsächlich ist.
»Nein«, protestiert sie schwach, kann sich aber kaum aufrecht halten.
Ich bin überrascht, dass sie nicht nach Alkohol riecht oder lallt.
Gemeinsam gehen wir zur Tür, sie ist wackelig auf den Beinen, aber mit meiner Stütze schafft sie es. Auf dem Weg zum Lift höre ich Stimmen, ich bleibe stehen.
»Merde«, fluche ich, als mir klar wird, dass das Papparazzi sind, die genau auf diese Art von Bildern mit mir als Hauptperson warten. Es wäre ein gefundenes Fressen für die französische Regenbogenpresse, wenn man mich mit einer beinahe bewusstlosen Frau im Arm knipsen würde.
»Hier können wir nicht lang«, murmele ich, hebe sie in meine Arme und gehe mit ihr zu Fuß nach oben. Das Treppenhaus ist leer, na ja, fast. Auf dem Treppenabsatz zum zweiten Stock kommen wir an einem Paar vorbei. Vor einem alten Sack in dunklem Anzug und weißen Hemd kniet ein dürres Mädchen und bläst ihm einen. Widerlich.
Er begegnet meinem Blick, und die ekelhafte Überlegenheit, die mir entgegen sprüht, lässt mich beinahe würgen. Ich hasse Menschen wie ihn, die Frauen benutzen, sich daran aufgeilen. Wahrscheinlich hat er ihr etwas versprochen, ein Möchte-Gern-Agent, der ihr einen Platz in seiner Agentur anbietet, wenn sie ihm einen bläst. Nachdem er gekommen ist, wird sich dieses Versprechen verflüchtigen wie der Samenstau in seinen Eiern. Ich wende meinen Blick ab, mir wird klar, dass das Bild, das ich mit der Kleinen in meinen Armen abgebe, vermutlich kein bisschen besser aussieht.
Bis wir im fünften Stock sind, geht mein Puls schneller, obwohl ich gut in Form bin. Aber üblicherweise trage ich keine Frauen durch Hotels – um präzise zu sein, nie.
»Wo ist dein Zimmer?«, frage ich sie.
Sie hat nichts bei sich, haben wir ihre Tasche vergessen? Verflucht. Ich werde gleich noch einmal hinuntergehen, aber das Risiko, mit ihr zusammen irgendwo entdeckt zu werden, ist zu groß. Ich hadere drei Sekunden mit mir, bis ich die Kiefer aufeinanderpresse und sie in meine Suite bringe. Größer als ein normales Zimmer, aber keinen Extraschnickschnack wie mehrere Schlafzimmer – leider. Es gibt eine kleine Terrasse, von der aus man den hell erleuchteten Eiffelturm sehen kann. Auf der Seine, die das Shangri-La und das Pariser Wahrzeichen trennt, fahren Ausflugsschiffe. Ich nehme all das nur am Rande wahr.
»Musst du noch mal spucken?«, frage ich sie sanft. Sie hat ihren Kopf an meine Brust gebettet und die Lider geschlossen. Ihre zarte, helle Haut ist kalkweiß, unter den Augen liegen dunkle Schatten. Das Mädchen muss definitiv mehr essen, ich kann beinahe jede Rippe spüren. Hoffentlich ist sie nicht eins dieser bulimischen Dinger, die sich künstlich auf Size Zero herunterhungern.
»N-nein. Kaltes Tuch …«, murmelt sie mit geschlossenen Augen.
»Okay.« Ich lege sie auf meinem Bett ab, trete einen Schritt zurück und blicke auf sie nieder. Kopfschüttelnd sehe ich, wie zerbrechlich sie wirklich ist. Sie ist völlig erschöpft, entkräftet, ihre Atemzüge sind flach, immer wieder verzieht sie ihr Gesicht schmerzerfüllt und stöhnt leise.
Ich werde sie auf keinen Fall entkleiden, aber die Zehn-Zentimeter-Absätze braucht sie im Bett nicht.
»Ich ziehe dir nur die Schuhe aus, okay? Keine Angst, Trisha.«
Ich zögere eine Sekunde. Ihren Namen aus meinem Mund zu hören, ist seltsam. Sie nickt matt. Vorsichtig ergreife ich ihre Fessel und nehme die glänzenden Lackstilettos von ihren Füßen.
Ich schnappe nach Luft, als ich ihre blutigen Fersen sehe. Mein Gott! Ist sie wirklich den ganzen Tag damit herumgelaufen?
»Tuch«, murmelt sie und legt sich eine Hand an die Stirn.
Ach ja, das hatte ich schon wieder vergessen.
»Hast du Schmerzen?«, frage ich sie, weil es mir reichlich seltsam vorkommt, wie sie drauf ist. Alkohol ist jedenfalls nicht die Ursache für ihren Zustand.
Sie nickt. »Migräne«, krächzt sie. »Nicht sprechen.«
Mein Jackett werfe ich über einen Stuhl, gehe ins Bad und tränke ein weißes Frotteetuch mit kaltem Wasser, wringe es aus und bringe es ihr. »Achtung, es wird gleich nass«, warne ich sie, falte es und lege es ihr über die Augen.
»Ahhh«, macht sie. »Gut.«
»Ich lasse dich kurz alleine, okay?«
»Hm.«
Ich schnappe mir meine Zimmerkarte und gehe noch einmal in die Toilette im Untergeschoss. Nichts, dort liegt nichts. »Zut alors«, fluche ich und fahre mir durch die Haare. »Wo hat sie bloß ihre Sachen verloren?«
Gut, dann also Planänderung. Ich besorge ihr eine Schmerztablette – oder besser zwei –, wenn die wirken, kann sie mir sagen, welches Zimmer sie hat, und ich lasse ihr eine Ersatzkarte an der Rezeption ausstellen. Nachdenklich suche ich den Concierge auf.
Mein Kopf fühlt sich immer noch wie von einer dicken Watteschicht umgeben an. Zum Glück sind die schlimmsten Schmerzen überstanden; ein, zwei Tabletten, und ich kann heute wieder arbeiten. Vorsichtig blinzele ich, irgendwer hat die schweren Vorhänge in meinem Zimmer zugezogen. Licht scheint durch einen großen Spalt auf den beigen Teppich. Es ist bereits hell draußen, wie spät ist es? Wie bin ich überhaupt ins Bett gekommen? Meine Sachen habe ich noch an, nicht bequem, aber egal. Ich erinnere mich dunkel, dass mir jemand geholfen hat.
Blitzartig bin ich wach, reiße meine Augen auf. Moment mal, das ist nicht mein Zimmer.
O Gott, wo bin ich?
Ich sehe den Eiffelturm durch die Vorhänge, das Bett steht in Richtung zum Fenster. In meinem Zimmer sind die Stühle mit gelbem Stoff bezogen, hier sind sie mintgrün. Und einer davon ist besetzt.
»Ah, guten Morgen, ma chère«, sagt jemand mit dunklem Bariton.
Ma chère?
Ich setze mich langsam auf, weil ich weiß, dass mein Kopf noch keine schnellen Bewegungen verträgt. »Monsieur Gaspard«, murmele ich schockiert. Meine Stimme klingt wie ein Reibeisen.
»Philippe«, korrigiert er mich.
Philippe. Der Klang seines Namens hallt lange in mir nach. Auf meinem Körper breitet sich gleichermaßen eine Gänsehaut sowie blanke Panik aus.
»Was? Wie …?«, stottere ich.
Er hat die Beine überschlagen, trägt eine Chino und einen grauen Pullover. Verflucht lässig, trotzdem irgendwie schick. »Ich habe dich gestern in der Toilette gefunden, es ging dir ziemlich dreckig.«
Ich atme flach. Ja, ich erinnere mich. Seine Arme haben mir Sicherheit gegeben, ich fühlte mich geborgen und habe ihm instinktiv vertraut, obwohl ich ihn überhaupt nicht kenne. Jetzt schäme ich mich dafür. Was muss der Mann nur von mir denken?
»Es tut mir leid.« Ich spüre, dass mein Kreislauf die Aufregung noch nicht verkraftet. Außerdem ist es mir unsäglich peinlich, dass er mich so hilflos gesehen hat und sich um mich kümmern musste. Er musste nicht, hat es aber trotzdem getan. Wieso ist er so nett zu mir? Wir kennen uns überhaupt nicht. Wir haben Visitenkarten ausgetauscht nach dem Kaffeedesaster, aber nur, weil ich Rhonas Assistentin bin und man mich besser erreicht als sie.
»Schon gut«, gibt er sanft zurück und rührt sich nicht. Sein Ausdruck ist unergründlich. »Ich konnte keine Handtasche in der Toilette finden. Handy? Zimmerkarte?«
»Verdammt, wie spät ist es?«, rufe ich panisch und lasse seine Frage unbeantwortet.
Rhona wird mich köpfen. Keine Ahnung, was ich gestern noch verpasst habe. Ich kann nur hoffen, dass alles glattgegangen ist auf der Aftershow-Party.
»Gleich neun.«
»Neun?« Meine Stimme klingt schrill. O nein, bitte nicht. Bitte nicht.
»Was ist los?«
»Ich muss gehen …« Ich schwinge meine Beine aus dem Bett, sehe Sternchen, es dreht sich alles.
Er ist sofort bei mir. Ein Hauch seines würzigen Aftershaves steigt mir in die Nase. Er riecht gut. Viel zu gut.
»Nicht so hastig«, sagt er sanft, geht vor mir in die Hocke und hält mich an den Schultern fest. Die Wärme seiner Hände überträgt sich auf mich, mir wird heiß.
Die Besorgnis in seinem Blick verwirrt mich zusätzlich. »Warum haben Sie mir geholfen?«
»Du. Wir waren beim Du«, erinnert er mich freundlich.
»Warum? Wie … kann ich mich bedanken?« Seine Nähe löst ein Ziehen in meiner Magengegend aus, das ich unmöglich ignorieren kann. Es ist definitiv keine Übelkeit. Ich bin in Schwierigkeiten. Sehr großen Schwierigkeiten.
»Schon gut. Ich konnte dich einfach nicht so hilflos zurücklassen.«
»Ich … weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
Er neigt den Kopf ein wenig. Sein Blick ist irgendwie … traurig. »Hast du so was öfter?«
Hitze steigt mir bei der Erinnerung, welches Bild des Elends ich gestern abgegeben haben muss, in die Wangen. »Eigentlich … Ja, manchmal. Migräne. Gestern, die letzten Tage war einfach so viel los, der wenige Schlaf, der Stress, wenn ich meine Tabletten habe, kann ich meist was retten, aber ich hatte keine dabei und keine Zeit, zur Apotheke zu gehen.«
»Hey«, erwidert er sanft und lässt seinen Daumen an meinem Kinn entlanggleiten. »Es ist in Ordnung, wirklich.« Ein Schauer läuft über meinen Rücken.
Erst jetzt fällt mir auf, dass er selbst etwas mitgenommen aussieht. »Wo haben Sie, äh, du geschlafen?«
Er lächelt versonnen und zeigt mit dem Kopf auf den Stuhl. Ich atme scharf ein, er lässt seine Hand sinken und steht auf. »Nicht schlimm, wirklich.«
»Es ist mir so peinlich«, murmele ich, stehe auf und versuche meine Haare glattzustreichen. Meine Bluse ist zerknittert, es sind Flecken darauf, und mein Rock ist hochgerutscht. Ich weiß, dass ich ein Bild des Jammers abgebe, und rechne es ihm hoch an, dass er es mich nicht spüren lässt. Er ist so ein Gentleman. Wie kann ich das jemals wiedergutmachen? Ich glaube nicht, dass er Rhona etwas davon erzählt, selbst wenn. Schlimmer könnte es kaum noch werden …
»Das muss es nicht. Um ehrlich zu sein, ich wollte ohnehin nicht lange auf der Aftershow-Party bleiben«, fügt er ruhig hinzu.
Ich vertraue ihm. Nein, er wird nichts ausplaudern, da bin ich mir sicher.
»Okay«, sage ich nur, weil ich wirklich losmuss, und schnappe meine High Heels. Zu schnell, sofort dreht sich wieder alles um mich. Ich atme tief durch. »Ich muss leider gehen, Rhona wartet sicher schon, sie kann ja mitunter recht fordernd sein … Danke«, ergänze ich doch noch und schaue ihm in die Augen.