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Berlin, 1999. Wütend und zärtlich, poetisch-melancholisch und dabei hoch unterhaltsam erzählt »Vinyl« die Geschichte eines Musikers, den das Schicksal in jungen Jahren einer Hand beraubt. Den Frust über sein verpfuschtes Leben, seinen Job als Manager einer drittklassigen Schallplattenfirma mit Alkohol und schnellen Drogen bekämpfend, streift er nachts durch die sich verändernde Stadt, erinnert sich an seine große Liebe, die auf alle Konventionen pfeifende, ihn über seine Grenzen hinaus fordernde Nadja, und an seine frühere Band, die "Sonntagsmörder", an Höhen und Tiefen, die Fallen und süßen Verlockungen des Pop-Geschäfts. An Punk und New Wave, Aufruhr und Widerstand, das Westberliner Inselleben, an Mauerfall und Einheitsbrei und den schlimmen Kater danach. Ein Buch wie ein heftiger Rocksong.
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Seitenzahl: 365
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Wir alle bleiben Kinder, nur die Attitüden,die Spiele und Träume werden alt.Denis Johnson
Berlin, 1999. Ein ehemaliger Musiker verdient seine Brötchen im verhassten Job als Manager einer Schallplattenfirma, Frust und Einsamkeit bekämpft er mit Alkohol und Drogen. Während seiner nächtlichen Streifzüge durch die Stadt erinnert er sich an seine frühere Band, die »Sonntagsmörder«, und seine große Liebe Nadja, die er nach einem Auftritt kennengelernt hat.
Nadja pfeift auf Konventionen, und es ist Liebe auf den ersten Blick. Er tingelt mit der Band durch die Lande, die Band hat Erfolg, wird immer bekannter. Nadja versucht sich in verschiedenen Jobs, eckt mit ihrer kompromisslosen Moral überall an und überfordert dabei sowohl ihre Umgebung als auch ihren Geliebten. Er ist hin- und hergerissen zwischen der Band, dem Basteln an der eigenen Karriere und der schwierigen Liebesbeziehung zu der stets Rückgrat einfordernden Nadja. Als sich der Erfolg der Band einstellt, wird die Liebe knallhart auf die Probe gestellt.
Paul Lukas, geboren 1956, war bis 1995 Mitglied der Band Element of Crime, veröffentlichte anschließend ein Solo-Album (»The Fear of a Singer«) und einen ersten Roman mit dem Titel »IHN«. Er ist Vater zweier Töchter und lebt heute als Musiker, freier Autor und Übersetzer in Berlin.
Das Buch
Der Autor
Vinyl
Ohne Nadja wüsste ich wohl nicht viel von Liebe, hätte wie die meisten von uns eine eher blasse Ahnung vom zwanghaften Sinn für Gerechtigkeit, von zermürbendem Selbsthass und der Flucht in den Irrsinn, hätte ich nicht diese Träume.
Ohne Nadja wäre ich heute noch Musiker von Beruf und nicht der versoffene A&R-Manager einer drittklassigen Schallplattenfirma. Einundvierzig Jahre alt. Ausgebrannt. Komplett im Eimer.
Als Erstes hatte ich mich in ihren unglaublich direkten Blick verliebt, dachte damals, trunken vor Stolz in Erwartung eines ziemlich großen Gigs, er gelte mir, war von ihrer rosaroten Haarpracht beeindruckt, von herrlichen Brüsten in ultrakurzem Kleidchen, den die Beine verlängernden kniehohen Stiefeln. Zwei schüchterne Wochen später, sie mochte meine Stimme am Telefon, fand ich an ihrem Bett kauernd heraus, dass sie Kontaktlinsen trug und über einen erstaunlichen Vorrat an Perücken verfügte. Als ich überraschend vor ihrer Wohnungstür auftauchte, hatte sie hysterisch nach einer imaginären Haushälterin gerufen und sich das nächstbeste Haarkleid übergeworfen.
Später standen wir auf ihrem Balkon, betrachteten die Sterne, genossen den städtischen Duft des Sommers, von Kastanien, Döner Kebab und Katalysator-Versagen, und ich erzählte ihr stolz, ich hätte ein Kind gezeugt (das zweite verschwieg ich ihr vorsichtshalber), einen Baum gepflanzt (während der wenigen Wochen, die ich Jahre zuvor als Gärtnergehilfe durchgehalten hatte) und ein Haus gebaut (ich hatte in einem Abrissunternehmen gejobbt und schwarz ein paar Mauern wieder hochgezogen). Dies schien ihr mächtig zu imponieren, sie legte ihr von grünen Locken umrahmtes Köpfchen gegen meine Schulter und summte irgendwas in der Art von »As time goes by«.
Trotzdem hatte ich mich kurz darauf verabschiedet, und es sollte noch einmal volle zehn Tage dauern, bis wir uns in einer Kneipe in der Nähe meiner Kreuzberger Wohnung verabredeten, bei einer Palette Mut machender Flaschenbiere fröhlich ins Plaudern kamen und schließlich bei mir zu Hause und dann auch sofort in meinem frischbezogenen Bett landeten, wo ich den großartigsten Sex meines Lebens erlebte. Ein Traum wurde wahr, eine kaum noch für möglich gehaltene gleichzeitig körperliche wie geistige Vereinigung, wie mir schien, und als wir uns erschöpft eine Zigarette teilten, trieb es mir, noch unter ihr und in ihr, Tränen des Glücks in die Augen.
Später in dieser Nacht, das Gesicht nur noch schwach vom Mondlicht beleuchtet, erzählte mir Nadja mit leiser Stimme, dass sie seit drei Jahren auf den Strich ging. »Aber mach dir jetzt bloß keine Sorgen, ich hab’s kein einziges Mal ohne Gummi gemacht.«
Sie sprach von der einzigartigen Freundschaft, die sie mit ihren Kolleginnen verbinde, von einer nirgendwo sonst gefundenen Solidarität, der geteilten Verachtung der Männer, die sie in diesem Job ausleben könne, aber ich hatte doch gar nicht nach Gründen gefragt.
Zwei Tage später stand sie wieder vor meiner Tür. Kurz geschorenes dunkelblondes Haar, ungeschminkt, im Parka, in Jeans und billigen Turnschuhen. Klein und schutzlos und so gar nicht mehr die selbstbewusst kokette Lady, als die sie mir bei unseren ersten Begegnungen erschienen war. Diesmal verbrachten wir eine ganze Woche im Bett, hoben wieder und wieder in ungeahnte Höhen ab, liebten uns und redeten, alberten in herrlicher Vertrautheit, standen nur auf, um aufs Klo oder zum Kühlschrank zu gehen, aßen kaum und tranken wenig, bis ich schließlich trotz allem den Wunsch verspürte, mal wieder alleine zu sein, zu arbeiten, meinen Kram zu sortieren, zu mir zurückzufinden, ganz einfach mal wieder ich selber zu sein.
Aber Nadja verstand nicht. Sah zutiefst verletzt aus, fühlte sich zurückgewiesen und weggeschickt. Ich blieb stur, drückte sie an mich, wischte ihr zärtlich zwei Tränen von der Wange, drehte sie um, dann also bis morgen, und schob sie zur Tür hinaus.
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