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Michael Stahl ist ein Kind der siebziger Jahre. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen und mit einem gewalttätigen, alkoholkranken Vater auf. Dadurch geriet er schon früh ins Abseits der Welt. Das Kicken mit seinen Freunden, ob auf der Straße oder im Verein, und das Anschauen von Fußballspielen im Fernsehen oder im Stadion waren für ihn stets eine willkommene Pause von seiner Scham und dem Schmerz seines Lebens. Beim Fußball und auch beim Kampfsport fand er ein wenig Anerkennung und Ablenkung, jedoch nie den Frieden und die Liebe, wonach sich sein Herz in Wahrheit sehnte. Durch den Glauben an Jesus Christus schloss er Frieden mit Gott, seinem Leben und mit seinem Vater. Michael durfte erleben, wie Jesus selbst für ihn zum größten Glück wurde – zum „Golden Goal“ seines Herzens. In diesem Buch kommen die beiden Dinge zusammen, die in Michaels Lebensgeschichte viel Zeit und Raum eingenommen haben: Er verbindet Jesus, die Nummer eins in seinem Leben, mit der „schönsten Nebensache der Welt“, dem Fußball. Begleite Michael auf seiner Zeitreise, während er mitten aus seinem Herzen über Tore, Titel und Tiefpunkte berichtet, und erlebe mit, wie Jesus Christus ihn vom Abseits ins wahre Leben führte.
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Seitenzahl: 236
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Michael Stahl
Vom Abseits ins Leben
Eine Zeitreise mit Toren, Titeln, Tiefpunkten & wahrem Glück
GloryWorld-Medien
1. Auflage 2023
© 2023 Michael Stahl
© 2023 GloryWorld-Medien, Xanten, Germany, www.gloryworld.de
Alle Rechte vorbehalten
Bibelzitate sind, falls nicht anders gekennzeichnet, der Übersetzung „Neues Leben. Die Bibelübersetzung“, Holzgerlingen, 2002, entnommen. Weitere Bibelübersetzungen:
ELB: Elberfelder Bibel, Revidierte Fassung von 2006HFA: Hoffnung für alle, Basel und Gießen, 1983LUT: Lutherbibel, Revidierte Fassung von 2017
Lektorat: Klaudia WagnerSatz: Manfred MayerUmschlaggestaltung: Rainer Zilly, www.kreativ-agentur-zilly.deFotonachweis: Dmytro Aksonov/iStock.com / pixabay.com
ISBN (epub): 978-3-95578-727-1
ISBN (Druck): 978-3-95578-627-4
„Vorberichterstattung“
Vorwort von David Kadel
1 Der Bomber der Nation
2 Spielbericht
3 Der Pokal
4 Der Mann mit der Fahne
5 Schöne Erlebnisse
6 Sturm-Duos
7 Tiefpunkte & Höhepunkte
8 Neuanfänge
9 Einwürfe
10 Einzelkämpfer
11 Eigentore
12 Manndeckung
13 Tunnelblick
14 Trainerwechsel
15 Nachspielzeit
16 Offener Schlagabtausch
17 Doppelpass
18 Weltklasse
19 Der Fußballgott
20 You‘ll never walk alone
21 Die 43. Spielminute
22 Straßenfußballer
23 Fußball-ABC
24 Das himmlische Team
25 Zeitreise im Schnelldurchlauf
26 Glücksbringer
27 Golden Goal
„Schlussoffensive“
Zum Autor
Gewidmet einem wunderbaren,wertvollen und geliebten Menschen:
DIR
„Fußball ist unser Leben, denn König Fußball regiert die Welt“, so heißt es in einem alten Lied. Für viele mag Fußball tatsächlich ihr Leben sein und vielleicht sogar ihr König, der ihre kleine Welt regiert. Aber was ist, wenn unser persönlicher Schlusspfiff ertönt? Was bleibt von all den Siegen und Niederlagen?
In diesem Buch geht es um das wahre Leben, das wahre Glück, den König der Könige und natürlich auch um Fußball. Doch selbst, wenn du dich persönlich nicht für Fußball interessierst, wirst du mit Sicherheit beim Lesen viel Gutes gewinnen können. Ich schreibe mit einfachen Worten und flanke sie aus meinem Herzen hoffentlich direkt in das deine.1
Ja, ich bekenne es von vorneweg: Ich habe Jesus sehr lieb. Er ist für mich die Liebe in Person. Er nahm mich aus dem Abseits und wurde zu meinem persönlichen „Golden Goal“.
Wer IHN hat, der hat einen Ort, an dem er alle Niederlagen, alles Versagen, jede Demütigung ablegen kann. Er ist der Coach deines Lebens, der dich motivieren möchte, bei dem du auftanken kannst, ja, er selbst ist die Siegestrophäe.
Wer IHN hat, hat das Leben – hat bereits schon jetzt den Sieg inmitten des Durcheinanders in der Welt.
Also lasst uns unsere Abwehr zusammenhalten und gemeinsam nach vorne stürmen. ALLE für den einen, der Alles für uns alle aus Liebe gegeben hat.
Raus aus dem Abseits, mitten hinein in das wahre Leben. Die Ärmel hochgekrempelt, die Schuhe fest geschnürt, um mit fokussiertem und entschlossenem Blick nach vorne zu spielen, bereit für das alles entscheidende Spiel um dein Herz.
Für wen schlägt dein Herz? Für irgendein Bundesligateam? Für ein internationales Team? Für Menschen oder für den, der sein Herz an dich und mich verschenkte?
So lasst uns nun laufen, uns gegenseitig die Pässe zuspielen und motivieren; egal wie die Umstände sind, aus allem das Beste machen; unser Bestes geben in der gewissen Hoffnung, dass Jesus den Rest macht.
Wenn unser persönlicher Schlusspfiff ertönt und wir das Spielfeld verlassen, dann wissen wir, es geht nach Hause. Aber noch spielen wir und wollen mit unserem Spiel und unserer Leidenschaft viele begeistern, damit immer mehr gemeinsam mit uns voller Freude vom Abseits ins Leben rennen.
Herzlichst
Michael
1 Wer schon etwas von mir gelesen hat, der weiß, dass ich beim Schreiben gerne das vertraute Du oder Ihr nehme. Seit 1993 arbeite ich als Lehrer für Selbstbehauptung und als Motivationstrainer in vielen Einrichtungen. Ich war in unzähligen Schulen, Gefängnissen, Heimen sowie manches Mal auch am Bett von Sterbenden, und wir waren stets per Du miteinander.
Es gibt zwei Dinge, für die man mich nachts um drei wecken kann, und ich wäre sofort dabei: Eine coole Pokerrunde und einen deftigen Kick bei Flutlicht auf dem heiligen Rasen: An drei Mann vorbei dribbeln, Doppelpass mit Michael Stahl, Ball mit der Brust stoppen und Seitfallzieher voll in den Winkel. Da vergisst man jeden Schlafmangel sofort!
Meine große Liebe, den Fußball, habe ich als Sechsjähriger entdeckt, als ich mit staunenden Kinderaugen die WM 1974 in der „Glotze“ verfolgte und mich in dieses unglaublich magische Spiel verliebte. Damals waren Grabowski und Hölzenbein von der Eintracht meine ersten Fußballhelden, die ich anhimmelte. Und wer hätte gedacht, dass ich zwanzig Jahre später selbst beginnen sollte, als Mentaltrainer mit Fußballprofis zu arbeiten.
Wenn man dann tagtäglich mit vermeintlichen „Fußballstars“ zu tun hat, verliert man recht schnell die Scheu, weil man merkt, dass sie ganz normale Menschen sind, mit Ängsten und Sehnsüchten und Hausstauballergie 😉.
Und doch gibt es einige Spieler und Trainer, die mich im Laufe der Jahre tatsächlich inspiriert haben. Jedoch nicht wegen ihrer schönen Tore oder Titel, sondern aufgrund ihrer faszinierenden Persönlichkeiten. Spieler wie David Alaba, Zé Roberto, Davie Selke, Breel Embolo. Trainer wie Jürgen Klopp, Marco Rose, Heiko Herrlich und Sandro Schwarz. Eins haben sie alle gemeinsam: Sie erzählen – in aller Öffentlichkeit – von einem sehr intimen Thema, das in den letzten Jahrzehnten in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung verloren hat: das Christsein.
Alaba, Rose & Co. verraten in manchen Interviews, dass sie mit dem tiefen Glauben an Gott etwas in ihrem Leben gefunden haben, das ihnen (in diesem oft gnadenlosen Fußballgeschäft) Kraft gibt und sie gleichzeitig erdet. Als ich Jürgen Klopp in Liverpool besuchte (für die Dreharbeiten zu meinem Film „Und vorne hilft der liebe Gott“) verriet er mir, dass Jesus für ihn die wichtigste Person der Weltgeschichte sei, und erklärte den Tod Jesu und den Grund, warum er als Christ Ostern feiert, auf solch berührende Weise, dass das ganze Kamerateam beim Zuhören eine Gänsehaut hatte!
In diesen Momenten – wenn die Fußballer so offenherzig von ihrer Freude an Gott erzählen – wird Fußball für mich tatsächlich zur „schönsten NEBENSACHE der Welt“! Da, wo der Fußball längst zum kalten Milliardengeschäft geworden ist und die Bundesliga oft als menschenverachtendes Haifischbecken bezeichnet wird, sind es diese wenigen „echten Typen“, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist im Leben. „Aber was genau wäre das denn?“, habe ich „Kloppo“ einmal gefragt. Seine Antwort: „Die ‚4D‘ in meinem Leben inspirieren mich total: DEMUT – DANKBARKEIT – DIENEN – DURCHHALTEVERMÖGEN!“
Ich bin gespannt, von welchen ewig geltenden Werten das Fußball-Buch von Michael Stahl handelt und freue mich schon auf unseren gemeinsamen Kick nachts um drei! Ich werde Kloppo mal fragen, ob er uns dabei coacht, damit die Bälle nicht wieder alle auf den Dächern landen. Du weißt schon lieber Michael: Oberkörper nach vorne gebeugt beim Schuss – genau wie beim Beten 😉.
Dein David Kadel
www.fussball-gott.com
Ich wurde am 6. September 1970 in Bopfingen in Baden-Württemberg geboren, nur wenige Kilometer von der Bayrischen Grenze entfernt, von wo er kam: der „Bomber der Nation“, wie sie ihn alle nannten – Gerd Müller. Er stammte aus Nördlingen. Einer aus unserer Region hatte es geschafft und kam zu Weltruhm. Der „Bomber der Nation“ spielte beim FC Bayern München. Viele sprachen von ihm. Dadurch wurde ich wohl schon in frühester Kindheit geprägt und wurde – jetzt müsst ihr stark sein 😉 – ein FC Bayern-Sympathisant.
Ich kann mich noch an einige Szenen meiner Kindheit erinnern, z. B. samstagabends, da wurde Sportschau geguckt. Allerdings konnte ich die beiden Münchner Vereine, den FC Bayern und 1860 München, anfangs nicht auseinanderhalten, denn München war für mich München. Ich verstand nicht, dass es zwei davon gab und genaugenommen ja noch viel mehr. So jubelte ich für beide Teams, daran hat sich bis heute nichts geändert.
Mein Papa hat mein Leben sehr geprägt, und wie immer, wenn ich von ihm erzähle, ist es mir wichtig zu erwähnen, dass er mir, vier Wochen bevor sein persönlicher Schlusspfiff ertönte und er das Spielfeld des Lebens verließ, die Erlaubnis erteilte, dass ich unsere gemeinsame Geschichte erzählen darf.
Papa war ein sehr verletzter Mensch, der auch andere wiederum verletzte. Er ging Zeit meines Lebens nie zur Arbeit und betäubte sich mit Alkohol. Jeden Tag verbrachte er in der Kneipe, oder wie man bei uns sagt: in der Wirtschaft. Deshalb antwortete ich früher auf die Frage, was mein Vater denn arbeite, oft: „Mein Vater ist Wirtschaftsprüfer.“
Wenn ich heute über ihn berichte, dann mit einem absolut versöhnten Herzen und mit voller Dankbarkeit. Unsere Geschichte war stets öffentlich. Wir wohnten in einer abbruchreifen Baracke direkt an der Hauptstraße, für niemanden zu übersehen. Der Putz fiel von der Wand, die Dachplatten brachen ein. Schon durch Papas Lebensstil und die Art und Weise, wie wir wohnten, befand ich mich von klein auf im Abseits.
Mein Vater trank öffentlich. Und außerdem war er der Linienrichter unseres kleinen Dorfvereins. Er war zwar bekannt wie ein bunter Hund, aber wie es in seinem Herzen aussah, das wusste wahrscheinlich niemand. Warum er sich in den Alkohol flüchtete und warum er sich betäubte, ich glaube, das wusste keiner außer Jesus, denn nur er sieht bis auf den Grund unseres Herzens.
Papa lernte Jesus vor seinem Tod noch kennen und lieben. „Erzähl ihnen die Wahrheit mein Junge“, war seine Bitte. Er musste viele Fouls in seinem Leben einstecken und hat aus diesen Erniedrigungen heraus viele andere um sich herum gefoult.
Oft gingen wir mit der ganzen Familie spazieren, mit dabei auch meine Tante Elfriede und Onkel Heinz; und gar manches Mal liefen wir durch Nördlingen und am Elternhaus von Gerd Müller vorbei. Einige Male schaute seine Mama zum Fenster heraus. Irgendwie war das stets etwas Besonderes. Papa flüsterte dann: „Da, schau! Da ist die Mutter von Gerd Müller.“
Gerd Müller hatte es geschafft. Ich dagegen hatte von klein auf diese fürchterlichen drei Sätze gehört:
„Du bist nichts!“ – „Du kannst nichts!“ – „Aus dir wird nichts!“
Selbst heute, mit 53 Jahren, spüre ich, dass diese Worte mir immer noch etwas zusetzen. Es wird weniger, aber sie haben noch nicht alle Kraft verloren. Ja, Worte haben Macht. Sogar Worte, die wir nie zu hören bekommen, haben gewaltige Auswirkungen. Wie kostbar sind die Worte:
„Ich liebe dich!“ – „Ich bin stolz auf dich!“ – Oder einfach: „Das hast du gut gemacht!“
Kostbar für jeden Menschen, egal wie alt er ist!
An den Sterbebetten wird um diese Liebe gerungen; da wird bereut, was man Falsches gesagt hat und was vielleicht nie getan oder gesagt wurde.
Ich musste bereits als kleiner Knirps eine Menge Verachtung einstecken. Und auch meine liebe Mama hatte kein einfaches Leben. Aber nun leben wir seit vielen Jahren gemeinsam in einem kleinen Häuschen in völliger Harmonie. Sie ist eine leidenschaftliche Köchin. Gerade, während ich dieses Kapitel eintippe, zaubert sie ein leckeres Essen für uns. Sie investierte so viel Liebe, schier übermenschliche Kraft, um die Familie zusammenzuhalten; dafür bin ich ihr sehr, sehr dankbar – und Gott, dass er mir die beste Mama der Welt geschenkt hat.
Doch ich komme vom Thema ab; zurück also zu Gerd Müller. Er wurde Welt- und Europameister und errang noch so viele andere Titel, und dann kam der große Moment, in dem ich ihn zum ersten Mal persönlich sah. Ein Möbelhaus in Nördlingen bot eine Autogrammstunde mit ihm an. Da stand er nun vor mir: „Kleines dickes Müller“, wie er auch liebevoll genannt wurde. Viele Jahre später sollten sich unsere Wege noch einmal kreuzen, ich werde euch darüber berichten.
Was wurde aus dem Ausnahme-Kicker? Auch er fing eines Tages an zu trinken. Auch er flüchtete sich in den Alkohol und betäubte sich. Was blieb von all den Erfolgen, TV-Auftritten und Ehrungen? Am 15. August 2021 ertönte der Schlusspfiff seines Lebens, und ich hoffe so sehr, dass er den größten Triumph mitten im Herzen trug: Jesus selbst. Wenn alle gegangen sind, die Fangesänge verstummt, die Pokale verstaubt oder gar entsorgt, dann wünsche ich uns allen, den im Herzen zu tragen, der unaufhörlich unseren Namen ruft und sich danach sehnt, dass seine unendliche Liebe zu uns erwidert wird. Dieser Erfolg bleibt bis in alle Ewigkeit, denn wer den Ewigen in seinem Herzen trägt, der lebt ewig – mit ihm, in ihm, bei ihm und durch ihn.
Verträumt sitze ich am Schreibtisch in meinem Büro, welches wir zu Hause haben. Noch vor wenigen Augenblicken betrachtete ich meine Beine. Wir haben gerade Ende August 2023; es ist sehr heiß draußen und ich trage eine kurze Hose. Tausende Male traten diese Beine gegen irgendeinen Ball. Unendlich viele Kilometer jagten sie dem einen oder anderen Ball hinterher. Unzählige Geschichten dribbeln mir durch den Kopf.
Von einigen werde ich euch berichten. Es war so viel Trauriges dabei, aber auch einiges zum Lachen. Kommt, folgt mir ein bisschen in die 70iger.
Wir hatten keine Handys; Spielekonsolen gab es auch nicht. Unsere „Playstation“ war unsere örtliche Burgruine, wo wir Cowboy und Indianer spielten (so nannten wir das damals, als es den Ausdruck „political correctness“1 noch nicht gab). Wir tobten auf den Straßen herum und waren oft bis zum Sonnenuntergang auf unserem Sportplatz. Wir lernten mit Siegen und Niederlagen umzugehen. Bei Streitigkeiten untereinander mischten sich unsere Eltern fast nie ein. Wir klärten das mehr oder weniger untereinander. Wenn es im Sommer oft wochenlang heiß war, so war dies für uns normal, und weder Gluthitze, noch Regen oder Schnee konnten uns aufhalten, unserer Sehnsucht nachzujagen. Wenn wir durstig waren, tranken wir aus den Bächen.
In den Straßen meines kleinen Dorfes war Leben pur. Hier wurde gekickt, dort wurde Federball gespielt und manche jagten einfach durchs Dorf; dort war auch ich der Gejagte.
Als ich in die Schule kam, hatte ich von Anfang an ein paar Jungs gegen mich, die mir all das erzählten, was ich eh schon wusste. Sie traten fast täglich in die Wunden meines kleinen Herzens:
„Dein Vater ist ein Trinker.“ – „Dein Vater ist faul.“ – „Du wohnst in einer Höhle.“ – „Du hast hässliche Klamotten.“ – „Du hast kein Fahrrad.“ – „Du hast kein eigenes Zimmer.“ Und so weiter …
Mein kleines Herz drohte schon früh zu zerbrechen. Gott ließ all das zu. Es steht mir nicht zu, Gott anzuklagen, etwa gemäß der oft gehörten Frage: „Warum lässt Gott das Leid zu?“ Darin steckt eine Anklage gegen den Allmächtigen. Ich für mich persönlich habe lernen dürfen, dass genau diese Wunden heute meine Stärken sind und die Eintrittskarte für manches tiefe, persönliche Gespräch.
Meine geliebte Oma Elisabetha hatte Jesus auf wunderbare Art und Weise lieb. Ich besuchte sie fast jeden Tag. Es verging kaum ein Besuch ohne gemeinsames Gebet. Durch sie erfuhr ich, dass Gott denen nahe ist, die zerbrochenen Herzens sind. Sie erklärte mir vieles aus der Bibel und erzählte mir aus ihrem Leben. Sie hatte zwei Weltkriege überlebt, den Tod eines Kindes verkraften müssen und vieles Traurige mehr. Als ich 14 Jahre alt war, ging sie für immer nach Hause. Im Sterbeprozess sah sie Jesus. Ihr Gesicht strahlte dabei. Die auf Gott schauen, werden leuchten wie die Sonne. Durch meine wunderbare Oma lernte ich Jesus kennen und lieben und hatte eine Hoffnung, die nicht von dieser Welt war.
Hier nun ein paar Episoden aus meinem Leben, wie versprochen:
Es war an einem Sonntagnachmittag. Meine Eltern beschlossen, eine kleine Wanderung zu unternehmen. Ein paar Meter unterhalb unserer „Villa Kunterbunt“ war ein kleiner Bauernhof. Unterhalb des Hofes lag ein herrenloser Ball. Den schnappte ich mir, ohne zu hinterfragen, wem er wohl gehörte. Fröhlich kickte ich die Kugel vor mir her. Endlich hatte ich einen eigenen Ball. Der sechsjährige „Miggi“ – so nannte man mich in glücklichen Zeiten – hatte nun tatsächlich einen eigenen Ball. Es war ein sehr seltsamer Ball, irgendwie aus Gummi und hart. Egal, jetzt war es meiner.
Auf unserer Route kamen wir an einem kleinen Sportplatz vorbei, und gleich probierten wir den seltsamen Ball aus. Ich ging ins Tor. Mama legte sich den Ball zurecht und nahm Anlauf. Gleich würde ich testen können, wie gut sich der Ball fangen ließ. Drei, vier Schritte Anlauf, und dann trat Mama mit der „Picke“ – bei uns auch als „Bauernspitze“ bekannt – gegen den Ball.
Mama schoss so stark, dass ich meine Hände nicht schnell genug hochbekam und sie mich mitten ins Gesicht traf. Meine Brille, ein fünf Mark teures AOK-Kassengestell, flog zuerst; dann fiel ich wie vom Blitz getroffen zu Boden. Und das Kuriose dabei: Der Ball trudelte ins Tor.
Dies war mein erstes negatives Erlebnis beim Fußball, mit der Erkenntnis, was für einen harten Schuss meine Mama hatte. Noch heute, fast 50 Jahre später, kicken wir ab und zu gemeinsam in unserem Garten. Allerdings ist Mama dann im Tor.
Dieser Ball von damals war irgendwie etwas ganz Besonderes für mich. Auch wenn er nicht rechtmäßig von mir erworben wurde, bedeutete dieser seltsame Gummiball mir unbeschreiblich viel. Gäbe es ihn heute noch, hätte er mehr Wert für mich, als der Spielball des Endspiels von 1954. „Mein“ Ball erinnert mich an einen besonderen Nachmittag meiner Kindheit, unbezahlbar, ein Stück Unbeschwertheit, auch wenn mich an diesem Tage der Ball und die Schwerkraft zu Boden rissen; aber eben deshalb unvergesslich und wertvoll, weil Mama und ich heute noch darüber lachen.
Miteinander zu lachen ist ein Stück vom Himmel!
Als Papa und ich uns Ende 2007 versöhnten und Jesus uns noch fast drei gemeinsame wunderbare Jahre schenkte, da begannen meine Wunden Stück für Stück zu heilen (in diesem Heilungsprozess bin ich noch immer). Ich fing an, mich auch mehr und mehr an die schönen Dinge meiner Kindheit zu erinnern. Wo zuvor der Schmerz und die Dunkelheit mein Leben bestimmt hatten, kam nun immer mehr Licht ins Dunkle. Selbst wenn heute noch schlimme Kindheitserinnerungen meinen Kopf beschäftigen, macht sich aber keine Anklage und keine Wut mehr in mir breit. Ich bin und bleibe versöhnt.
Als nun langsam auch die positiven Seiten meiner Kindheit wieder auftauchten, erinnerte ich mich zum Beispiel daran, wie ich mit Papa die Kämpfe von Muhammad Ali bewunderte, oder wie ich auf Papas Bauch liegen durfte. Wenn er betrunken aus der Kneipe kam und gut drauf war, dann hielt er manchmal ein Geldstück in seiner Hand. Er schloss die Faust und versprach mir: „Wenn du die Faust aufbekommst, dann gehört das Geld dir.“ Die Faust blieb für mich immer verschlossen. Er war zu stark für mich. Minutenlang kämpfte ich mit meinen kleinen Händen, um mir das Preisgeld zu holen, vergeblich.
Irgendwie kämpften wir in den ersten 37 Jahren meines Lebens stets miteinander. Wenn wir gemeinsam ein Spiel der Bayern anschauten, war er immer für die Mannschaft, die gegen meinen Lieblingsverein spielte. Spielte Bayern gegen Stuttgart, outete er sich als Stuttgart-Fan, ging es am nächsten Samstag gegen Hamburg, war er an diesem Tag Fan des Hamburger SV und betonte, dass er schon immer HSV-Fan gewesen sei. Und so ging es Samstag für Samstag. Papa hatte 17 Lieblingsvereine, nur die Bayern nicht. Manchmal dachte ich mir, dass es ihm einfach nur darum ging, gegen mich zu sein. So zofften wir uns, seit ich denken kann, um irgendetwas, waren nie einer Meinung, nur stets gegeneinander.
Irgendwann hatte ich einen kleinen Plastik- oder Gummiball zu Hause (nicht der, mit dem Mama mich zu Boden gestreckt hatte). Es war kaum Luft in ihm, aber irgendwie ergab es sich, dass Papa und ich im Flur Fußball spielten. Vielleicht habt ihr bemerkt, dass ich gelegentlich zwischen den Bezeichnungen Papa und Vater wechsle. Rückblickend war er manchmal ein verspielter Papa und manchmal ein strenger Vater, aber sehr oft sah ich weder das eine noch das andere in ihm; da war er lediglich ein Erzeuger für mich. Das ging so, bis ich 37 Jahr alt war. Wie dankbar bin ich, dass Gott mein versteinertes Herz auswechselte und ein weiches einwechselte, um in der Fußballsprache zu bleiben.
Manchmal, wenn Mama nicht zu Hause war, wurde also der Flur zu unserem Spielfeld. Die Haustür war das eine Tor und der Zugang zu einem weiteren Flur das andere. Es war weniger ein Spiel als vielmehr ein Zweikampf zwischen uns. Ich muss so sieben Jahre gewesen sein. Es blieb nicht nur bei den Toren, nein, wir schossen zugleich die Tapeten von den Wänden. Damals wurden meistens mehrere Tapetenschichten übereinander tapeziert. Da flogen die Fetzen. Das machte Spaß. Mama war das nicht so recht, und Papa und ich versuchten den Schlamassel stets irgendwie zu vertuschen, was uns selten – oder nie – gelang.
Einmal eskalierte unser Spiel. Wir bekamen Streit, einen von der heftigeren Sorte, und mein Vater trat immer und immer wieder auf mich ein, auch noch, als ich schon am Boden lag. Ich fühlte mich wertloser als der kleine luftarme Ball, nach dem wir so oft getreten hatten.
Soweit ich mich erinnern kann, spielten wir von diesem Tag an nie wieder im Flur. Zu schmerzhaft musste ich an das denken, was gewesen war.
Viele Jahre später massierte ich die Füße, die mich einst dort im Flur getreten hatten … – Vergebung, die vom Himmel kommt.
Oft war ich in unserer kleinen Kirche unten im Dorf. Hier fand ich ein Stück Frieden, den ich außerhalb der Kirche nicht erlebte. In diesem Gotteshaus stand – und steht heute noch – eine Holzfigur: der gegeißelte Jesus in Lebensgröße. Dort fasste ich als kleiner Bub seine Hand.
Ihm konnte ich alles sagen. Ich hatte das Gefühl, ja sogar die Gewissheit, dass keiner mich besser versteht als er. Jagten sie mich durchs Dorf, er wusste Bescheid, auch ihn hatten sie gejagt. Schlugen sie mich und traten nach mir, auch da kannte er sich aus. Und selbst als man mir ins Gesicht spuckte, konnte er mitfühlen, weil sie auch ihm ins Gesicht gespuckt hatten.
Einige meiner Mitchristen mögen der Ansicht sein, dass es theologisch falsch ist, mit der Figur „Händchen zu halten“. Ich kenne mich ehrlich gesagt mit Theologie kaum aus, ich habe nur Jesus lieb. Aus der fußballerischen Perspektive gesehen, stelle ich für mich fest, dass es eine Art Bundesliga-Christen gibt, die oberste Liga also; und dann gibt es die unterste Liga, bei uns ist dies die Kreisklasse B. Bezogen auf diese Klassifizierung bin ich ein Kreisliga-B-Christ. In der Kreisliga B kannst du jedes Spiel verlieren, aber du kannst nicht mehr absteigen. So sehe ich mich. Ich habe nicht viel aufzuweisen, kaum Tore, keine Titel, allerdings eine Menge Tiefpunkte. Aber weil ich Jesus sehr liebhabe, kann ich nicht mehr absteigen ☺ – selbst wenn es „theologisch falsch“ gewesen wäre, in meiner kindlichen Verzweiflung die Jesusfigur an der Hand zu fassen.
Nochmal kurz und knapp gesagt: Ich, Michael Stahl, bin ein Kreisliga-B-Christ und weiß mich geliebt, egal ob ich Tore, Titel oder eine Menge Tiefpunkte aufzuweisen habe.
Außerhalb meiner kleinen, geliebten Kirche gibt es einen großen Parkplatz. Hier spielten „die Großen“ mit einem echten Lederfußball. Staunend bewunderte ich sie, wie sie miteinander und gegeneinander spielten. Nur mitspielen durfte ich vorerst nicht.
Verträumt schaue ich gerade zum Fenster hinaus und bin so dankbar, dieses Buch schreiben und in Erinnerungen eintauchen zu dürfen. Ich sehe vor meinen inneren Augen die Leichtfüßigkeit von Thomas und Uli; auch Rudi, den knochenharten Typen, und all die anderen, wie sie über den Asphalt rennen: Holger, Christian, Joachim, Uwe, Alexander – und was war mit mir? Ich übte mich in Geduld. Manche Eltern würden heute ihren Kindern abraten zu warten, mich hat es geprägt.
Der ersehnte Tag kam, als ein Großer mich fragte: „Willst du mitspielen?“ Oh ja, ich wollte schon seit Monaten mitspielen! Meine Sehnsucht wurde gestillt, mein Warten belohnt. Ich bin so froh, dass ich nicht vorzeitig die Flucht ergriffen habe und eine wichtige Lektion lernen durfte, durch die ich in Geduld und Beharrlichkeit geschult wurde, was auch heute noch oft belohnt wird. Wenn ich heute an diesem Parkplatz bin, denke ich an die Zeit von damals, wie wir so lange kickten, bis wir in der Dämmerung nichts mehr sehen konnten.
Ach ja, und in die kleine, von mir geliebte Kirche, gehe ich sogar heute noch, um die Hand von Jesus zu berühren – ich kann nicht anders. Tränen füllen meine Augen beim Schreiben dieser Zeilen. Jesus kennt und versteht mich; er sieht bis auf den Grund meines Herzens und warum ich manches tue und manches nicht. Er sieht alles, auch die Liebe für ihn, die in dieser Geste liegt. Es ist vielleicht nicht viel, aber alles, was ich habe. Es ist die Liebe von „Miggi“ (so nannte mein Papa mich in Stunden der Harmonie), der weder besondere Tore erzielte noch Titel aufweisen kann, aber umso mehr Tiefpunkte, für die jedoch Jesus selbst einst bezahlt hat. Es ist die Liebe eines Kreisliga-B-Christen, der aber eine Weltklasse-Nachricht zu erzählen hat: Das Evangelium, welches von der Gnade und Liebe Gottes berichtet.
1 Politische Korrektheit.
Papa kam wieder einmal sehr spät aus der Kneipe. Oft war diese Heimkehr mit großem Chaos verbunden. Doch in dieser Nacht war alles anders: Er kam zwar betrunken, aber mit einer tollen Botschaft nach Hause. Im Vereinsheim war er mit dem neuen Trainer einer Jugendmannschaft unseres Dorfes ins Gespräch gekommen. Beide hatten vereinbart, dass ich am nächsten Training teilnehmen durfte.
Ich war überglücklich. Endlich durfte ich ganz offiziell Fußball spielen, nicht nur auf den Straßen oder auf irgendwelchen Plätzen, sondern in einem echten Fußballverein. Ein Traum ging in Erfüllung. Ich war hochmotiviert und mächtig aufgeregt. So begann 1979 meine „Fußballerkarriere“. Mein erstes Training fand in der kleinen Turnhalle unserer Grundschule statt. Unser Verein war noch nicht offiziell in einer Klasse gemeldet, es standen aber zumindest schonmal Freundschaftsspiele an.
Wann würde wohl mein erster Einsatz sein? Wer spielen durfte oder nicht, das entschied unser Trainer immer erst einen Tag vorher. Die Spielaufstellung gab er dann im örtlichen Vereinskasten bekannt, den wir liebevoll „Käschtle“ nannten. Wann würde wohl endlich mein Name im Käschtle stehen?
So oft wurde ich in meinem kleinen Leben beleidigt und beschämt. Ob mein Name auf der Mannschaftsaufstellung stand oder nicht, bestimmte die Laune meines Vaters für die nächsten Tage. Stand mein Name nicht drin, bestrafte er mich mit wüsten Beschimpfungen, weil ich aus seiner Sicht wieder nichts zustande gebracht hatte. Weil mein Training und mein Verhalten anscheinend wieder so mies gewesen waren, dass ich es dem Trainer nicht wert war, spielen zu dürfen, so glaubte mein Vater.
Ich musste etwa einen Kilometer bis zum Käschtle laufen. Diese Strecke verbrachte ich oft mit Bangen und Gebet. Noch wenige Meter bis zum Käschtle. Stand heute mein Name auf dem weißen Zettel? Jedes Mal diese bange Frage. Bei den ersten Spielen stand mein Name nie darauf. So war auch der Rückweg nach Hause mit Angst und Gebeten versehen. Oft wurde ich als Versager beschimpft, der zu nichts taugt, den niemand brauchen kann und den niemand haben will. Aber Jesus ging mit mir diesen Weg. Er nahm meine Angst auf sich und weinte wohl auch mit mir.
Dann kam er, der große Tag. Mein Name stand als Nummer 12 im Käschtle. Ich hatte es geschafft. Zunächst war ich zwar nur Auswechselspieler, aber das spielte jetzt erst mal keine große Rolle. Mein Name stand im Käschtle, und nur das zählte. Freudestrahlend rannte ich nach Hause. Papa freute sich mit mir. Jetzt hatte ich ein Stück Anerkennung von ihm gewonnen. Ein bisschen Frieden war mir sicher. – Nun muss ich spontan an die Sängerin Nicole denken, die mit ihrem Lied „Ein bisschen Frieden“ 1982 den Grand Prix gewonnen hat. Wie sehr sehnte ich mich nach ein bisschen Frieden …
Unsere ersten Spiele verloren wir oft zweistellig. Aber egal, wir gaben unser Bestes. Als Trainer für Selbstverteidigung erlebe ich heute immer öfter, dass Klein und Groß nur noch sehr schwer oder gar nicht mehr verlieren können. Vielleicht denken sie, dass es sie wertvoll macht, wenn sie gewinnen. Der Umkehrschluss wäre aber dann, dass sie bei jeder Niederlage an Wert verlieren. Egal, ob wir gewinnen oder verlieren, wir sind wertvoll. Du bist wertvoll!
Gib dein Bestes, mehr geht nicht. Du darfst verlieren, das ist völlig in Ordnung. Auch in der Schule oder am Arbeitsplatz, gib dein Bestes, mehr geht ja nicht.