Vom Kopf aufs Blatt - Niklas Gentner - E-Book

Vom Kopf aufs Blatt E-Book

Niklas Gentner

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Beschreibung

'Die Gedanken sind frei', heißt es in einem bekannten Lied. Wir können uns im Kopf vorstellen, was wir wollen. Wir können Schafe fliegen lassen oder den Mount Everest mit Pizzas bedecken. Oder wir überlegen uns, warum die Welt ist, wie sie ist und was wir vielleicht gerne anders hätten. In "Vom Kopf aufs Blatt" lässt der Autor teilhaben an seiner Gedankenwelt. Er schreibt von Zugfahrten, Liebe und Weisheit. Thematisch lassen sich die einzelnen Texte schwer zusammenfassen. Einige geben ein Gefühl von Leichtigkeit, andere handeln von traurigen oder schrecklichen Ereignissen. Habe Mut und nimm Einblick in die Denkprozesse eines jungen Mannes.

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In Gedanken entstehen Welten. Wir können sie erkunden – entdecken, was sie zu bieten haben. In ihnen zeichnen wir Sehnsüchte & Herausforderungen, stellen uns unseren eigenen Meinungen & Problemen. Im Kopf gehören sie alleine uns. Die Fantasie ist endlos und gleichzeitig beschränkt, denn es gibt immer etwas, das wir uns nicht vorstellen können oder wollen. Das ist gut so. Es sind verborgene Welten.

Von meinen Welten möchte ich Euch einen Teil zeigen. Ich habe sie in Worte gefasst, geschmiedet auf dem Blatt und für Euch zusammengestellt. Zu jedem Text möchte ich kurz erklären, wie oder warum ich ihn aus meinem Kopf genommen und auf Papier gebannt habe.

Mögen Euch die Worte unterhalten, nachdenklich machen, inspirieren.

Für meine Eltern, die mich seit meinem ersten Atemzug unterstützen

Inhalt

Spazierganggeflüster

1. Klasse Blues

Flammendes Käthchen

Physik des Lebens

Eine Rose in Dachau

Von grünem Geäst zu grauen Wegen

Die Letzte

Rascheln, Wind und Cha-Cha-Cha

Im Wein liegt Weisheit

Wenn's dunkel wird

Danke, das war's

SPAZIERGANGGEFLÜSTER

Im ersten Semester meiner Hochschulzeit bin ich Teil einer Schreibgruppe geworden. SchreibGut lautet ihr Name. Von Treibgut abgeleitet.

Das sind für mich Gedanken. Sie treiben umher in den Weiten unseres Kopfes. Wir können sie abschöpfen und aus ihnen Texte bauen. Wie der folgende. Er entstand während eines SchreibGut-Treffens. Wir überlegten uns fünf Wörter und gaben uns zwanzig Minuten, um mit ihnen Texte zu schreiben.

Die Wörter waren: Popcorn, Wurzelstock, Lesezeichen, Seepferdchen, Morgenröte.

Nach einer langen Nacht ist Jannick auf der Heimfahrt, in einem Zug der Eisenbahngesellschaft. Der Platz, auf dem er sitzt, ist mit rot-weißem Stoff überzogen. Von vielen Jahren Sonnenlicht ausgebleicht.

Er war bei einem Freund, hatte dort bis fünf Uhr morgens an einem XXL-Holzschlitten gebaut. Nun döst er vor sich hin.

Die Lok schiebt sich durch die Nacht.

Eine Ansage ertönt: „Nächste Station, Wielmannsweiler.“

Jannick zuckt zusammen. Er muss raus und hastet zum Eingang. Auf der Treppe liegt ein zerknülltes Lesezeichen und ein wenig Popcorn. Eines der weißen Körnchen bleibt an seiner Schuhsohle haften.

Doch der Zug rollt noch. Er holt Luft und wartet vor der Tür. Dann geht ein Ruck durch die Maschine. Er fängt sich ab, die Tür öffnet sich. Draußen ist es kalt.

-

Jannick wohnt etwas außerhalb der Stadt, auf einem Berg. Während des Heimwegs brausen vereinzelt Autos an ihm vorbei. Fußgänger, in dicke Jacken eingehüllt, passieren seinen Weg. Im Park findet er Überraschendes heraus: Sein Lieblingsbaum wurde gefällt. Es war nur noch der Wurzelstock zu sehen.

Nach einer Weile erreicht er den Anstieg zu seinem Haus. Er hätte sich gerne vor ihm gedrückt.

„Na dann. Auf geht's“, sagt er und läuft weiter. Er trottet den Berg hinauf, hinein in die langsam erstrahlende Morgenröte.

Zwanzig Minuten später hat er es geschafft. Sein Elternhaus taucht hinter der Kuppe auf. Er geht durch das kleine Tor, vorbei an ihrem Garten. Auf den Pflanzen glänzt Tau.

Bevor er hineingeht, setzt er sich auf die alte Holzbank vor der Wand. In der Wiese sieht er etwas liegen. Das Kuscheltier seiner Schwester: ein Seepferdchen mit blauen Augen.

Sein Blick wandert nach unten. Vor seinen Füßen liegt das Popcorn aus dem Zug. Er schmunzelt, schnappt es sich und läuft in die Wiese. Dort bückt er sich und platziert das luftig aufgepoppte Korn am Mund des Kuscheltiers. „Hier, dass du mir nicht verhungerst.“

1. KLASSE BLUES

Zur Hochschule nach Weingarten bin ich meist mit dem Zug gefahren. Zu unterschiedlichen Zeiten, denn meine Vorlesungen begannen manchmal morgens um acht, manchmal gegen Mittag oder später. Einmal, früh um sieben, bekam ich auf der Fahrt die Inspiration zu dieser Geschichte.

Ich schrieb sie und im Nachgang fand ich im Internet einen Schreibwettbewerb zum Thema „Verlorene Worte“.

‚Genial‘, dachte ich und passte den Text ein wenig an.

Ich schickte ihn ab, gewonnen hat er nicht. Für mich selbst aber war es ein Gewinn. Das ist jeder Text, den ich schreibe.

Egal, was später daraus wird.

Der Zug gleitet dahin. An Feldern und Wiesen vorbei Richtung Süden. Die Sonne über dem Horizont, weit drüben im Osten. Ich stehe im Eingangsbereich. Die Augen müde, der Kopf nimmt langsam Fahrt auf. Wie der Zug es getan hat.

‚Na gut‘, denke ich, ‚mit Süden würden viele etwas anderes verbinden. Strand, Meer, Sonnenbrand.‘

Bei mir gehts nur zwanzig Kilometer weit. Auf zur Hochschule, auf in die Wissbegierigkeit.

Sonnenbrand kann es aber auch da geben. So ists nicht.

-

Ich drehe meinen Kopf, schaue durchs Fenster. Hin und wieder ziehen Bäume vorbei, im Verbund oder Einzeln am Wegesrand.

Mir fällt ein Reim ein: Sie stehen da, schon ewig lang. Ganz im Gegensatz zu meinem Nebenmann.

Der Nebenmann kam gerade hinzu, bei der letzten Station.

Seine Füße hat er auf dem gräulichen Plastikboden geparkt, sein Gesicht direkt vor einer Glastür. Auf der ist eine große Eins zu sehen.

Er klopfte dagegen, nachdem er eingestiegen ist.

Warum?

Weil sich auf den acht Plätzen der Extraklasse bereits genauso viele Hintern niedergelassen hatten. Darunter drei junge Leute, unter achtzehn auf jeden Fall.

Der Mann schaut genervt. Er denkt sich wohl, denke ich: ‚Die haben sicher kein Ticket. Das können die sich gar nicht leisten.‘

Die Jugendlichen lachen innerlich, vermute ich.

Die nächsten Minuten steht er so da. Starrt unablässig in den Bereich hinter der Glastür. Er versteht bestimmt die Welt nicht mehr.

Mein Kopf rattert. Das ist zurzeit wahrscheinlich nicht nur bei ihm so.

Ich überlege, was er vorhat. ‚Will er sie mit seiner Willenskraft fortzaubern?‘

Diese Kraft wünschen sich manche auf der Welt sicher auch – nur nicht auf diese Kids bezogen. Sondern auf Leute in höheren Positionen, die nicht nur Schülerinnen und Schülern diktieren wollen, was sie zu tun haben.

-

Meine Gedanken kreisen um den beachtlichen Bauchumfang des Mannes: ‚Steht hier und will unbedingt einen Platz für sein teuer erkauftes Ticket.‘

Wegen eines Papiers, das die scheinbar unerschütterliche Erlaubnis bringt, einen ganz gewissen Platz einnehmen zu dürfen.

Ich überlege. Vor achtzig Jahren, da gab es Sterne. Auch aus Papier. Die Menschen, die ihn trugen, wurden irgendwann in Züge gezwungen. Denn in die wollte niemand hinein …

-

Die fixierte Körperhaltung des Mannes bringt mein inneres Gleichgewicht ins Schwanken.

Er schaut mich nicht an, redet nicht mit mir und macht auch keine Geräusche. Trotzdem: Seine bloße, leicht ungeduldige Anwesenheit verrückt mein Geistesgefüge.

‚Erstaunlich!‘

-

Der Mann harrt immer noch auf der gleichen Stelle aus und blickt hinter das Glas der spaltenden Tür. Die Jugendlichen schmunzeln in sich hinein.