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Die junge Lisa und die junggebliebene Maria entscheiden, spontan zusammen eine Kreuzfahrt zu machen. Die zwei befreundeten Kolleginnen streben gemeinsam an alle Sorgen, die ihnen Kummer bereiten, an Land zurückzulassen. Entspannung haben sie auf hoher See erwartet, stattdessen werden ihre Nerven immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Auf diesem Schiff spielen sich seltsame Dinge ab. Noch dazu treibt ein mysteriöser Pater sein Unwesen mit der Suche nach einem der drei heiligen Steine, der angeblich verschwunden ist. Der Prophezeiung nach droht großes Unheil für die ganze Menschheit, sollten die heiligen Steine bis zum Ultimatum nicht wieder zusammengefügt worden sein. Maria macht auch auf eine seltsame Weise Bekanntschaft mit einem, zwar interessanten, aber auch geheimnisvollen Franzosen. Wird es ihm etwa gelingen, sie von ihrem Wahn nach ihrem Mister Secret zu heilen? Lisa liebäugelt fleißig mit dem Schiffsarzt. Wird er sich als die Liebe ihres Lebens herausstellen? Boo? In Teils freier Anlehnung an tatsächliche Ereignisse und Personen verbindet der Roman Geschichten und emotionale Konflikte zu einem spannenden Abenteuerstoff und romantischen Liebesgeschichten, in dem die Liebe keine Generationsfrage darstellt, sondern uns die Sicherheit gibt, dass niemand gegen Amors Pfeil immun ist.
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Seitenzahl: 407
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Ich widme dieses Buch all denjenigen,
die an die Macht der Liebe glauben
und
an alle Lebenskämpfer, die die Hoffnung nie aufgeben,
wenn sie ihren Blick auf die Sterne richten.
Prolog
Introduktion
Abfahrt mit Behinderung
Der erste Abend an Bord
Die Gravitationskraft auf See
20 rote Rosen
Der Liftingwunsch
Vergessen und verloren
Freitag, der 13te
Das Geheimnis des Paters
Der Hustenanfall
Die großzügigen Iren
Die unerwartete Identität
Notwehr
Der Kuss der Leben rettet
Das Loslassen
Ein starkes Team
Die Flucht
Elfi und Kobi
Ausflug mit Jean-Luc
Die Brosche
Robin,
amore di zia!
Der magische Moment
Der Abschied
Der Anruf
Wie die Sterne es diktiert haben
Epilog
Danksagungen
Lieber Leserinnen und Leser,
mit diesem Roman erfülle ich mir heute einen Traum von gestern.
Seit Jahrzehnten keimt in mir der Wunsch, ein Buch zu schreiben. Getraut habe ich mich nie, bis ich den richtigen Impuls bekommen habe.
Mit 11 Jahren bin ich als Gastarbeiterkind nach Deutschland gekommen. In ein Land, in dem für mich eine fremde und schwierige Sprache gesprochen wurde. Voller Motivation und mit viel Fleiß habe ich Deutsch gelernt, doch eine Sprache beherrscht man nie ganz korrekt. Ich merke noch heute, dass mir einfach die deutsche Grundschule fehlt.
Als ich meinem Sohn eröffnete, dass ich einen Roman schreiben wolle, fragte er <<schreibst du es auf ritisch?>>, weil ich zu gerne Sätze verdrehe und meine Grammatik gewiss auch nicht einwandfrei ist. Ich gebe den Dingen auch andere Namen, zum Beispiel verwende ich als Gewürz Marihuana statt Majoran. Ich sprach eine Lehrerin meines Sohnes mit Frau Heilige Gans an, statt mit ihrem richtigen Namen, Frau Heilenhans. Zudem wurde aus einem Herrn Kaiser, ein Herr König und zu einer Frau Stahl sagte ich Frau Blech. Das aussprechen des „H“ war nicht gerade meine Stärke. So übten meine Kolleginnen fleißig mit mir, als ich mal beim gemeinsamen Frühstück mit Butterbrezel und weich gekochtem Ei mich beschwerte <<das Hei ist art>>.
Ich bestellte beim Bäcker einen „Teigzupf“, die Verkäuferin schaute mich so an, als ob sie kein Deutsch verstehen würde. Ja, die arme, woher sollte sie wissen, dass ich eigentlich einen Hefezopf wollte.
Nachdem ich von dem Brand in der Firma meines Bruders im Radio gehört habe, telefonierte ich mit meiner schwäbischen Schwägerin, um mich zu erkundigen, wie es meinem Bruder erginge und ich verstand <<sein Gesäß hat sich verbrannt.>> Woraufhin ich voller Mitleid, all unseren Verwandten und Freunden dies auch genauso mitteilte. Im Krankenhaus entpuppte sich unser Informationsaustausch aber als Missverständnis. Der Irrtum war schnell geklärt, es bestand lediglich eine Rauchvergiftung. Daraufhin fragte ich sie, warum sie mir sowas erzählt hatte. Sie verteidigte sich mit der Aussage, dass sie ganz eindeutig gesagt habe <<S` Gschäft hat gebrannt>>.
Manche meiner Handlungen sind auch typisch <<ritisch>>. Wie zum Beispiel das eine Mal, als ich meinen Sohn in einem Warenhaus zur Umkleide schickte. Er soll mit dem Anprobieren beginnen, während ich weitere Hosen zur Anprobe auswählte. Die Ankleidekabinen waren mit einer Gardine versehen, die bis an die Waden des Kunden reichte. Mit einigen ausgewählten Hosen zum Anprobieren, stand ich nun vor dieser Unzahl gleichartiger Kabinen. Ich erkannte die Socken meines Sohnes und dachte, mir einen Scherz erlauben zu können. So schlich ich mich vor die besagte Kabine und zerquetschte seinen schuhlosen Fuß kräftig mit meinem beschuhten Fuß. Erst rührte sich nichts, auch kein Schmerzensschrei. Dann zog sich die Gardine langsam etwas zur Seite, ich blickte auf ein ernstes Gesicht. Dieses schien wortlos Fragen zu wollen, was zum Teufel mich geritten hätte, ihn so anzugreifen. Ich blickte dieses Gesicht wie hypnotisiert an, als ich erkannte, dass dies nicht mein Sohn war. Ich brabbelte verlegen, so etwas wie eine Entschuldigung, vor mich hin. Während ich mich zum Weggehen umdrehte, hörte ich ihn noch sagen <<schon gut, das kann in den besten Familien vorkommen!>>
Das alles ist eben ritisch, abgeleitet von meinem zweiten Vornamen Rita, und diese Liste wäre noch lang. Dennoch habe ich absichtlich auf einen fachlichen Lektor verzichtet. Allerdings hatte ich viele Helfer, die ihre Zeit für mich geopfert haben. Diese haben Korrekturen durchgeführt, ohne dabei mein authentisches ICH, allzu sehr zu verändern. Ohne all die Hilfen hätte ich meinen Traum nie realisieren können. Es ist immer wieder faszinierend festzustellen, wie die Gemeinsamkeit uns stark macht.
Lisa, meine Freundin und Reisebegleiterin, hat die größte Arbeit auf sich genommen, unentgeltlich wohlgemerkt. Mühevoll, aber mit Hingabe und Begeisterung, hat sie als erste Korrektorin meine Sätze in die „deutsche Sprache“ übersetzt. Wir haben viel Zeit miteinander bei der Korrektur verbracht. Wort für Wort hat sie alles gelesen und bei unverständlichen Sätzen hat sie mich gefragt, was ich damit meinte, um sie sogleich in verständliche Sätze umzuwandeln. Sie gab mir außerdem wertvolle Tipps und Anregungen, hat dabei aber meiner Fantasie, immer freie Laufbahn gelassen. Trotz der vielen Arbeit, hatten wir einen enormen Spaß miteinander. Sie war diejenige, die mich immer wieder ermuntert hat, weiterzumachen. <<Schreiben, schreiben, schreiben. Weiter so>> hat sie mir immer wieder gesagt. Das gab mir Mut und den nötigen Anstoß, immer weiter zu schreiben, nie damit aufzuhören. Ich werde die gemeinsame Zeit mit ihr sehr vermissen, oder ich werde anfangen ein zweites Buch zu schreiben und sie bitten, mir dabei weiterhin zu helfen, wer weiß!
Dennoch werden Sie mir sicherlich verzeihen, wenn sie in der Rechtschreibung oder Grammatik Fehler entdecken werden. Es ist auch ausdrücklich mein Wunsch, das wörtliche Redezeichen <<andersrum>> zu benutzen. Aus meiner Sicht, runden sie so jede wörtliche Rede liebevoller ab. Ich möchte Sie auch vorab auf einen immer wiederkehrenden Ausdruck aufmerksam machen <<BOO>>. Dieses BOO in der italienischen Umgangssprache bedeutet soviel wie <<ich weiß es nicht>> oder <<keine Ahnung was das soll.>>
Ich bin mir auch sicher, dass meine Leser spüren werden, mit welcher Hingabe ich meinen Roman geschrieben habe. Ich bin der Überzeugung, dass nicht die Perfektion eine Sache wertvoll macht, vielmehr ist es die Botschaft die darin enthalten ist, die sie liebenswert macht. Wie etwa ein Kind, das einem sein gekritzeltes Blattpapier schenkt. Es ist kein wertvolles teures Gemälde, aber die liebenswerteste Botschaft an Liebe.
Mit meinem Buch wünsche ich mir, all meinen Leserinnen und Lesern übermitteln zu können, wie schön das Leben sein kann, wenn man ALLES mit LIEBE macht.
Die Macht der Liebe ist überall und für jeden einsetzbar.
Die Ideen für meinen Roman habe ich aus wahren Begebenheiten geschöpft und mit viel Fantasie in diese Geschichte verwandelt.
Jetzt los an Bord, ich möchte sie gerne mit auf meine wunderbare Reise nehmen.
Mit Liebe
Maria-Rita Angelucci
Er wurde von 2 muskulösen und finster dreinschauenden Typen begleitet. Es ging an der Schweizer Garde vorbei. Über die heilige Treppe steigend führte man ihn in diesen geräumigen, finsteren und nur von Kerzenlicht erhellten Raum. Einer dieser Typen berührte ihn an der Schulter und schob ihn über die Türschwelle.
Ein bettlägeriger alter Mann lud ihn mit einer schwachen Handgeste ein, näher zu kommen. Seine Stimme ertönte zittrig und kaum noch hörbar.
Der Pater verspürte die durchdringenden Blicke der versteinert wirkenden betenden Figuren, die sich um das Krankenbett versammelt hatten. Einer der Betenden schob einen Stuhl neben die Bettkante, ganz dicht neben den Kopf des Greises, der auf weichen Kissen gebettet dalag. Mit einem kaum sichtbaren Nicken gab er ihm zu verstehen, dass er dort Platz nehmen sollte. Dann begannen die betenden Figuren, wie Ameisen der Reihe nach, den Raum zu verlassen.
Obwohl der Raum viel Platz bot, lag etwas Erdrückendes in ihm. Er nahm auf dem glanzvoll gepolsterten Stuhl aus edlem Holz Platz und bemerkte erst jetzt, wie seine vom Regen durchnässte Kutte auf der Haut klebte. In der Stille des Raumes klang ihm noch der Sturm in den Ohren nach.
<<Du bist dir bewusst über die Wichtigkeit deiner Mission?>> Plötzlich erklang die Stimme des Kranken kraftvoll und streng.
<<Du weißt, was von dem Gelingen abhängt? Du bist der Auserwählte, um die Menschheit zu retten. Du wirst niemals Dank dafür erhalten. Denn kein Gedanke eines Menschen ist in der Lage, auch nur zu erahnen, was uns bevorsteht. Nur die engsten Vertrauten unseres Ordens kennen die Wahrheit – und jene, die unrechterweise danach streben. Je weniger Informationen in Umlauf kommen, desto geringer ist die Gefahr, dass sie in falsche Hände geraten. Du musst die heiligen Steine um jeden Preis wieder zusammenfügen, so schnell es geht. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr.>>
Er suchte ungeschickt und hilflos nach den Händen des Paters. Der Pater ergriff seine dünne Hand und bemerkte, wie kraftlos der Händedruck des alten kranken Mannes auf dem Bett mittlerweile geworden war.
<<Gib Acht auf dich. Schon zu viele mussten deshalb sterben.>>
<<Ja, Vater. Das werde ich tun, aber lasst sie aus dem Spiel.>>
<<Gut, mein Sohn,>> waren seine abschließenden Worte. Dann machte er seinen letzten Atemzug.
Als Pater Laurentius beim Gebet zufällig seinen Blick hoch auf das Portrait eines grimmig dreinschauenden Mannes über dem Bett richtete, bemerkte er im Kerzenschein, eine flüchtige Bewegung, in den Augen des Gemäldes. Sie hatten sich bewegt aber jetzt starrten ihm nur noch leere Augenhöhlen entgegen. Schnell ließ er die warme, aber leblose Hand des Vaters fallen. Er rannte aus dem Zimmer in den dunklen Gang. Rechts hörte er Schritte hallen. Trotz seines schnellen Ganges konnte er die Gestalt unmöglich einholen. In den endlos langen Gängen des Labyrinths verschwamm ihr Echo zu einer Vielzahl von Schritten. Er sah noch eine kurze Bewegung im Augenwinkel. Vor der nächsten Kurve sah er den Schatten im flatternden Gewand. Danach war er verschwunden. Der Hall der Schritte mit ihm.
So, geschafft. Wir waren auf dem Riesendampfer Prima Donna am Einchecken. Das Schiff mit internationaler Besatzung gehörte einer alten italienischen Reederei. Lisa ging vor mir durch die Passkontrolle und strahlte dabei über das ganze Gesicht. Uns konnte nichts und niemand mehr aufhalten, geschweige denn umstimmen.
Obwohl, um ehrlich zu sein, gab es schon etwas, das mich – ohne groß zu überlegen – sofort hätte umstimmen können. Auf der einen Seite freute ich mich wahnsinnig auf die Reise. Auf dem Schiff würde bestimmt alles gelassen vonstattengehen. Und zur Abwechslung würden wir ein paar sehenswerte Städte besuchen. Sightseeing. Auf der anderen Seite würde ich bestimmt zu viel Zeit zum Nachdenken haben.
Für einen Augenblick, aber wirklich nur für einen einzigen ganz kurzen Augenblick, dachte ich, wenn jetzt mein Mister Secret, meine heimliche Liebe da draußen vor dem Schiffseingang stehen und laut nach meinem Namen rufen würde, würde ich geradewegs zu ihm rennen wie ein Magnet, der seinen anderen Pol sucht oder besser gesagt, gerade gefunden hat. Lisa würde somit wieder einmal im Stich gelassen werden. Und zwar von mir höchstpersönlich.
Ich weiß nicht sicher, ob sie dafür Verständnis hätte oder eben doch ziemlich sauer auf mich wäre. Aber dieser mögliche Grund für eine Absage in letzter Minute waren nur Früchte meiner berauschenden Fantasie, die in eben diesem Moment kurzzeitig aus unserer Stratosphäre ausbrach. Es bestand also keinerlei Gefahr für Lisa, wiedermal alleine reisen zu müssen.
Also nichts wie rein in diesen Koloss, dessen wohlklingender Name so viel wie „Erste Dame“ bedeutet.
Lisa lernte ich bei der Arbeit kennen. Etwas unbeholfen und schüchtern erschien sie mir im ersten Moment, als sie als Aushilfskraft bei uns anfing. Mein stark ausgeprägter Mutterinstinkt ließ also nicht lange auf sich warten und veranlasste mich dazu, sie jederzeit behüten und schützen zu wollen. So haben wir uns gegenseitig ins Herz geschlossen.
Beim angeregten Austausch von Klatsch und Tratsch während unserer gemeinsamen Arbeitszeit eröffnete sie mir schließlich, dass sie noch so vieles von der Welt sehen wolle. Zwar könne man sich bei einer gemeinsamen Reise die anfallenden Kosten teilen und sich über die vielen tollen Eindrücke austauschen, jedoch sei sie schon des Öfteren im letzten Moment von ihrer Reisebegleitung im Stich gelassen worden. So sei sie nun eben gezwungen, von nun an allein die Welt zu erkunden.
Auf meine spontane Idee, zusammen auf Reisen zu gehen, folgte das noch spontanere <<Ja!!!>> von Lisa. Gesagt, getan!
Nur kurze Zeit später fanden wir uns kreuzfahrtbuchend auf einem Online-Reiseportal wieder. Klick, gekauft! Und das Ganze zu einem wirklich lächerlichen Preis.
Wir hatten uns vorgenommen unsere Reisekosten so niedrig wie möglich zu halten, ohne jedoch auf Spaß verzichten zu müssen. So kam uns der Vorschlag von Louis, einem Freund von Lisa, gerade Recht. Er wolle kommendes Wochenende sowieso nach Hamburg zurückfahren und hätte noch zwei Plätze frei. Eins, zwei … perfekt!
Mit diesem Wahnsinnsangebot kämen wir schonmal super günstig von Böblingen nach Hamburg. Mit dazu gäbe es eine gratis Übernachtung in seiner waschechten Studentenbude. Das konnten wir keinesfalls ausschlagen.
Die beiden wollten mich am Samstag des besagten Wochenendes um 9 Uhr an meiner Wohnung aufsammeln, doch so wie ich Lisa kannte und die Studenten einschätzte, musste man immer mit einer deutlichen Verspätung rechnen. Ich nahm die vereinbarte Zeit also nicht wirklich ernst und begab mich kurz nach 8:30 Uhr gerade mal aus meinen Federn. Eine Minute nach 9 klingelte es an der Tür. Wer da sei, fragte ich noch ziemlich schläfrig.
<<Waaas?>>, hörte ich Lisas entsetzte Stimme. <<Oh Santo cielo! Ihr seid schon da? Seit wann denn diese Pünktlichkeit? Kommt hoch auf einen Espresso>>.
Während Louis parkte, kam Lisa hoch und noch an der Türschwelle ironisierte sie, <<Na Omi, noch nicht fit?>>. <<Na warte! Die Omi holt gleich den Kochlöffel! Was fällt euch ein, pünktlich zu kommen? Auf euch Studenten ist einfach kein Verlass mehr!>>, versuchte ich zu kontern. Am Küchentisch trank ich mittlerweile schon meinen vierten Espresso, während Lisa und Louis noch an ihren ersten nippten. Anschließend warteten sie geduldig, bis ich mich fertig gerichtet hatte.
Louis, ein Gentleman mit dunkelblonden Rasta-Locken und einer zierlichen Figur, trug meinen sagenhaft schweren Koffer, Lisa mein Handgepäck. Ich trug, wie eine echte Lady, meine nahezu gewichtslose Handtasche.
Schwer beeindruckt war ich von dem scheinbar unendlichen Fassungsvermögen des 17 Jahre alten VW Golfs, der noch dazu ganz dezent in einem grellen Orange umlackiert war. Unsere Reise konnte nun nach dem Verstauen der Koffer endlich beginnen!
Ich nahm hinten Platz, sodass sich die „Omi“ im Notfall hinlegen konnte. Kurz nach Leonberg, nach etwa 30 Minuten Fahrt, fuhr Louis an eine Tankstelle. Bis dahin war es noch keine Sekunde still im Auto gewesen, denn Lisa und Louis hatten sich sehr viel zu erzählen. Nachdem der Tank wieder voll war, fuhr er ein paar Meter weiter auf einen Parkplatz, auf dem wir anschließend gemütlich eine Zigarette rauchten.
Da sich langsam die vier Espressos meldeten und Freiheit forderten, machte ich mich auf dem Weg zu den Rastplatz-Toiletten. Das war wieder einmal der Beweis: meine antike Blase konnte einfach nichts mehr halten.
Als ich spürbar erleichtert zum Parkplatz zurückkehrte, war von der orangenen Kutsche weit und breit nichts mehr zu sehen.
Es soll jetzt einer meckern über die moderne Telekommunikation, ich jedenfalls war gottfroh, ein Smartphone zu besitzen. Noch bevor Lisa auch nur ein einziges Wort sagen konnte, schrie ich in meinen Apparat, <<Wo zum Teufel seid ihr?>>
<<Upps, du bist gar nicht hinten?>>, fragte sie mich eingeschüchtert. <<Nee, stellt dir vor, ich habe entschieden, meinen Urlaub an dieser Tankstelle zu verbringen!>>, die Ironie dabei war nicht zu überhören. <<Scheiße!>>, fluchte Lisa. <<Ja! Richtige Dünnscheiße!>>, ergänzte ich. Noch im selben Moment konnte ich beobachten, wie sich plötzlich ein Polizeiwagen dem Parkplatz näherte. Das erschien mir wie ein Zeichen des Schicksals, denn meine Schwiegertochter fährt in diesem Revier Streife.
<<Lisa bleib dran, ich habe eine Idea>>, bat ich sie und begann mit beiden Armen wildfuchtelnd auf mich aufmerksam zu machen.
Die Polizistin, die aus dem Wagen stieg, erkannte mich sofort und rief, <<Hey Monschti, was machst du denn hier so seelenallein? Meinst du etwa, das Schiff macht einen Umweg und holt dich hier ab?
>>Ihr Sarkasmus hat mir gerade noch gefehlt. Denken alle, ich sei dement, oder was? So alt war ich nun auch wieder nicht, verflixt noch mal!
Nachdem ich ihr schnell erklärte, was geschehen war, schnipste sie mit ihren Fingern. Die beiden sollten an der nächsten Tankstelle halten und uns dann Bescheid geben. Das taten sie auch kurz darauf und so wurde ich in Begleitung einer Polizeieskorte zum nächsten Rastplatz gebracht. Wie aufregend, das passiert auch nicht jedem.
Ja, meine Schwiegertochter brachte mal wieder alles in Ordnung. Seit wir gemeinsam den Film ‚Schwiegermonster‘ gesehen hatten, war sie mein ‚Monschterle‘ und ich ihr ‚Monschti‘.
Die Weiterfahrt gen Norden verlief ohne Zwischenfälle, ja, sogar richtig lustig wurde es. Wir konnten über das Geschehene ausgelassen lachen. Von Müdigkeit war dabei keine Spur, im Gegenteil. Die Abenteuerlust war uns dreien förmlich ins Gesicht geschrieben.
Bei unseren weiteren Pausen ermahnte ich die beiden jedoch vorsichtshalber regelmäßig, sich ja zu vergewissern, ob ich auch anwesend war, bevor sie beschlossen weiterzufahren. Offenbar hatte diese Maßnahme Früchte getragen, denn wir erreichten Hamburg, kaum zu glauben, abends mit kompletter Besatzung.
Die Hansestadt ist einer der schönsten Städte, die ich je gesehen habe. Voller Leben– vor allem nachts! Eigentlich war ich ziemlich erschöpft. Dennoch ließ ich mir die Gelegenheit nicht nehmen, der Jugend zu zeigen, dass auch ich immer noch jung genug bin, um die durchgefeierten Nächte glamourös zu überstehen. Sollten sie noch einmal wagen, Omi zu mir zu sagen!
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste ist, dass wir die Nacht tatsächlich durchmachten, bis wir uns dann am darauffolgenden Morgen auf dem Fischmarkt wiederfanden. Der ursprüngliche Name trifft übrigens nicht mehr auf seine aktuelle Bestimmung zu. Entlang des Elbufers kann man heutzutage alles Erdenkliche erwerben und er findet nur noch sonntags statt.
So wahnsinnig toll dieser Fischmarkt auch war, ich war absolut nicht mehr in der Lage, auch nur ein Minimum meiner Umwelt wahrzunehmen. Stattdessen sehnte ich mich bei jedem Schritt nach einem Schlafplatz. War es vielleicht doch ein Trugschluss von mir, mit der Jugend mithalten zu wollen?
Noch aber musste ich meine Zähne zusammenbeißen und tapfer bleiben. Bloß nicht schwächeln. Ich wollte auf gar keinen Fall vor dieser Jugend kapitulieren. Der Höhepunkt dieses Marktes war, in eine riesige Halle einzukehren, in der schon in den frühesten Morgenstunden fröhlich gegrillt und gesoffen wurde. Die Band spielte wie verrückt in einer Lautstärke, mit der man hätte Tote auferwecken können. Das alles gibt es bei uns nur einmal im Jahr auf dem Cannstatter Wasen. Naja, andere Bundesländer, andere Sitten!
Am Bett angekommen, gab ich der Schwerkraft nach und ließ mich einfach fallen. Die Jugend war bemüht, es mir so gemütlich und angenehm wie möglich zu machen. Wo sie geschlafen haben, habe ich nicht mehr mitgekriegt. Viele Gelegenheiten gab es in dem kleinen Zimmer allerdings nicht, weshalb ich nicht den kleinsten Gedanken darüber verschwendete – ich hatte ja ein Bett.
Nach nur wenigen Stunden Schlaf versuchte Lisa, mich verzweifelt und mit aller Kraft zu wecken. Leider bekam sie mich ums Verrecken nicht wach, weshalb die beiden kurzerhand beschlossen, mich ins Auto zu tragen. Noch bevor sie zum Hub ansetzen konnten, riss ich erschrocken meine Augen auf
<<Hey ihr Küken, seid ihr verrückt! Mama-Henne kann noch auf eigenen Beinen laufen>>, wiederfuhr es mir noch halbverschlafen mit rauer Stimme, <<Außerdem, ohne Kaffee mache ich keinen einzigen Schritt>>. Während sie genervt die Augen verdrehte, erklärte sie mir, dass ich mir diesen Gedanken direkt ausschlagen könne, denn in einer Studentenbude wie dieser hier, finde man keinen Komfort. Also gut. Trotzig stand ich auf, wohlwissend, dass ich meinen Kaffee dann eben als Kaffee-to-go im Kiosk in der untersten Etage bekomme. Der Boden unter mir erschien mir wie Wackelpudding. Alles wackelte, auch meine Beine. Ich gab mich gelassen und stolzierte erhobenen Hauptes an den zweien vorbei. Dabei fühlte ich mich wie eine 100-Jährige. Bloß nichts anmerken lassen.
Das Bild, das sich uns am Hafen bot, war gigantisch. Wir standen da, vor einem riesigen Hochhaus, das zwischen anderen kleinen Schiffen im Wasser trieb. Unzählige Menschen irrten wie Ameisen hin und her, und ich, die kleine Italienerin, mitten drin.
Knutschend fiel ich Louis zur Verabschiedung in die Arme und bedankte mich ganz herzlich für die aufregenden letzten 24 Stunden, die selbst mich wieder in meine Jugend zurückversetzt hatten. Anschließend nahmen Lisa und ich unsere Koffer und begaben uns zur Passkontrolle.
Vor Vorfreude platzend streckte ich dem Beamten meinen Pass zu. Seine Stirn war schlagartig mit Falten überdeckt, der Blick ernst und durchdringend wie Röntgenstrahlen <<Ihr Pass ist seit 3 Monaten abgelaufen>>, stellte er prüfend fest, <<folgen sie bitte meinen Kollegen ins Dienstzimmer>>. Im selben Moment spürte ich wie ein kalter Schauer meinen Rücken runterlief. Fassungslos fragte ich mich, ob über Lisas Reisen vielleicht doch ein böser Spuk herrschte und sie für alle Zeit verdammt ist, alleine die Welt zu erkunden. <<Ich komme auch mit>>, zischte Lisa von der Seite. Der Beamte hob seine Hand, <<Es tut mir leid. Sie dürfen nicht mit>>. <<Und ob ich das darf>>, fauchte Lisa zurück.
Lisa ist ein liebevolles Mädchen, aber wenn sie sich ärgerte, wurde sie rot vor Wut. Mir kam es manchmal so vor, als ob auch ihre Haare sich rot verfärbten, weshalb ich sie in genau solchen Situationen gerne Pumuckl nannte. <<Hey, Pumuckl, es liegt bestimmt ein Irrtum vor!>>, versuchte ich sie zu besänftigen. <<Du hast noch Mut zu sprechen?>>, sie fing an laut zu werden, <<Sag mir, dass das nicht wahr ist, Maria!>>. Mit einer Stimme wie ein Eunuch sagte ich was sie hören wollte, <<Es ist nicht wahr>>!
<<Waaas?>> Verwirrt unterbrach sie ihr Geschrei. <<Ich weiß nicht, was nicht wahr sein soll, aber du hast mir doch wortwörtlich gesagt: „Sag mir, dass das nicht wahr ist, Maria!“>> .Genau das war der Moment, indem sie mich noch grimmiger anschaute, als sie es ohnehin schon tat. <<Und warum müssen wir dann ins Dienstzimmer gehen, während alle anderen problemlos einchecken können?>>, beschwerte sich Lisa entsetzt. <<Nochmal zum Mitschreiben: DU wolltest doch diese Wörter hören. Und ICH bin dieser Forderung nachgekommen. Außerdem solltest du dir mal überlegen …>>, <<Mmmmh>>, unterbrach sie mich mit ihrem unüberhörbaren wutentbrannten Grummeln. Ich wollte ihr eigentlich noch raten, zum Schamanen zu gehen, damit sie ihren Spuk, alleine reisen zu müssen, ein für alle Mal losbekäme, aber ihr durchdringender Blick und das Grummeln ließen mich sofort verstummen.
Der Beamte auf der Wache musste ungefähr in meinem Alter gewesen sein. Gar nicht mal so übel! Ich hatte schon immer eine Schwäche für uniformierte Männer. Aus meinen Erinnerungen heraus, dachte ich an die Carabinieri, die Gendarmerie Italiens. Sie haben meiner Meinung, nach die schönsten Uniformen, die es überhaupt gibt.
Ich war schon oft in Rom bei Militärparaden oder auf dem Quirinale, einem der sieben Hügel Roms. Da ist der Dienstsitz des Präsidenten der Italienischen Republik. Jeden Sonntag um 16 Uhr kann man dort den Wachwechsel beobachten. Heute noch bekomme Gänsehaut, wenn die Musikkappelle dell’Arma musicale dei Carabinieri die italienische Hymne ertönen lässt, während die Leibgarde des italienischen Präsidenten, die Corazzieri, in ihren festlichen Uniformen auf ihren Pferden stolzieren. Die charakteristischen Helme schmücken dabei ihre Häupter und ihre Säbel sind auf Hochglanz poliert.
Bei besonderen Anlässen ist auch das Hündchen Mascotte dabei und kann dabei bewundert werden, wie es bei seinem Hürdenlauf zwischen den vielen Pferdebeinen, wie ein Wunder, immer wieder heil auftaucht. Aber, zurück zur Wache.
Der uniformierte Mensch schaut sich genaustens meinen Pass an und mustert mich von oben bis unten. <<Nicht schlecht für mein Alter, gell?>> Dachte ich grinsend. Nach seiner strengen Musterung schaute er mir direkt in meine Augen. Na hoppla, jetzt flirtet er auch noch mit mir! Da hat er wohl meine Schwäche durchschaut! Wie aufregend! Doch seine zwar sanfte, aber sehr autoritär klingende Stimme brachte mich schnell wieder in die Realität zurück. <<Frau Angelucci. Sie sollten einen Pass haben, der noch mindestens 3 Monate gültig und nicht schon vor 3 Monaten abgelaufen ist>>, das kleine bisschen Mitleid in seiner Stimme konnte ich gerade noch so vernehmen, <<So können wir Sie nicht mitnehmen. Wir werden bald das deutsche Territorium verlassen und bei den folgenden Passkontrollen verstehen die Brüder keinen Spaß mehr. Tut mir leid>>
Ich glaube, wenn jetzt eine Feder auf den Boden gefallen wäre, hätte sich das wie ein Kanonenschuss angehört, solch eine Stille herrschte in den darauffolgenden Sekunden. Während ich kurz darauf wie wildgeworden meine Handtasche durchwühlte, konnte ich im Augenwinkel erkennen, wie Lisas Augen Feuer sprühten.
Da war er doch! Gott sei Dank! Ich bin schon öfter mal ein Genie! Manchmal frage ich mich, ob ich bei meiner Genialität nicht doch ein Nachfahre von Leonardo da Vinci bin. Sowohl der Beamte als auch Lisa schauten mich irritiert an, als ich heftig gestikulierend auf das zeigte, was ich gerade herausgekramt hatte, <<Ich besitze die doppelte Staatsangehörigkeit. Hier, bitteschön, mein deutscher Pass! Wo war noch gleich unsere Suite?>>
Lisa hielt die Luft an und musterte aufmerksam den Beamten, der mit demselben durchdringenden Blick nun meinen deutschen Pass kontrollierte. Unterdessen stand ich voller Stolz dem Beamten gegenüber und wartete siegessicher auf seine Reaktion.
Als dieser uns gutmütig zunickte, bekam Lisa langsam ihren natürlichen Teint zurück und ihre Haare wurden wieder blond. Erleichtert umarmte sie mich – dabei muss sie sich immer ein wenig bücken– und gab mir sogar ein Versöhnungsküsschen. Na also! Sie ist doch nicht verhext!
Nun ist doch noch alles gut gegangen. Wir waren endlich in unserer Kabine. Jetzt lagen zwei ruhige Wochen vor uns. Eine Rundfahrt von Hamburg nach England, über Irland und Wales, auf dem Rückweg ein kurzer Stopp in Frankreich, danach zurück nach Hamburg. Nur wir, der Himmel und das Meer. Keine Termine. Naja, ein paar Alibi-Landausflüge noch, klar. Wieder daheim hat man wenigstens was Interessantes zu erzählen und nicht nur die Beschreibung vom Schiff oder <<ja, war alles schön, gut organisiert, das Essen üppig und endlich mal sind wir dazu gekommen, zig Bücher zu lesen.>>.
Die Kabine war geräumig und so ausgestattet, dass man dachte, man befinde sich zwischen Himmel und Ozean. Die Wände waren hellblau gestrichen, da und dort ein Hauch von weiß, so als wollten niedliche Wolken uns Gesellschaft leisten. Der Boden war mit einem türkisfarbenen Teppich ausgelegt, der mich an die Farbe des Meeres der Isla Margarita in Venezuela erinnerte. Der weiße Schreibtisch stand rechts vom Eingang, davor ein weißer Stuhl und gegenüber befand sich ein Doppelbett. Es war von einer filigran gehäkelten weißen Bettdecke umhüllt, auf dem sich die Engelsfiguren nur so tummelten. Ich hatte das Gefühl, als ob sie im Orbit schwebten und uns als Schutzengel dienen sollten. Ich hörte schon den himmlischen Chor aus einem meiner liebsten Songs singen: Midnight Lady, love takes time…
Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich geglaubt, dass diese Decke meine Mutter gehäkelt hatte. Meine mamma hat früher viel Handarbeit gemacht, darunter viele gehäkelte Tagesdecken. Ich selbst bin im Besitz von so vielen, dass mein Leben nicht ausreichen wird, sie abzunutzen. Daher werden sie irgendwann einmal als Erbe weitergegeben. Dunkelblauer Stoff diente als Unterdecke, so dass das Blau sanft durch die Löcher der Tagesdecke schimmerte, was die astralische Ausstrahlung noch verstärkte. Unter dem Fenster befanden sich ein türkisfarbener Sessel und ein weißer Beistelltisch mit einem Willkommensgetränk und zwei Sektgläsern.
Wir füllten unsere Gläser und gingen auf den Balkon. Für uns beide war klar gewesen, dass nur eine Kabine mit Balkon in Frage kam. Sicher auch wegen des Rauchens. Man musste nicht durch das Schiffs-Labyrinth laufen, bis man eine Raucherecke fand. Nein, es war vielmehr das Gefühl von Freiheit. Jederzeit raus gehen zu können, um die Seele baumeln zu lassen, während der Blick über das weite Meer schweift, der Fahrtwind einem durch die Haare weht und versucht, etwas ins Ohr zu flüstern, während man hoffungsvoll hinhorcht, ob der Wind eine geliebte Stimme bringt.
Inzwischen war es schon 18 Uhr. Das Schiff legte gerade ab und wir wollten auf gar keinen Fall den Zeitpunkt verpassen, an dem es sich langsam vom Festland entfernte. Dort wollten wir all unsere Sorgen, Hoffnungen und Tränen zurücklassen. Wir hatten beschlossen, ab diesem Augenblick keinen einzigen Gedanken mehr an das zu verschwenden, was auf dem Festland zurückgeblieben ist. Ich konnte doppelt so viel wie Lisa zurücklassen, aber bin ja auch doppelt so alt.
Das Leben hatte mich auf eine harte Probe gestellt, als ich plötzlich Witwe wurde. Ich musste auf einmal für andere und für mich selbst alleine Entscheidungen treffen, in der bangen Hoffnung, auch die richtigen getroffen zu haben. All die Schwierigkeiten, die das Leben mit sich bringt, musste ich alleine meistern. Mit einer unglaublichen inneren Kraft bin ich bis dato durch das Leben gegangen. Jetzt hatte ich Hoffnung auf eine neue Liebe und eine neue Zweisamkeit, die aber auf die Offenbarung warten ließ.
Wir beide wollten diese Reise unbeschwert, ja, fast ohne Vergangenheit antreten. Dennoch hoffte ich insgeheim auf eine bestimmte Zukunft.
Beide hatten wir einen knurrenden Magen, so, jetzt husch husch umziehen und ins Restaurant gehen. Danach würden wir auf die bevorstehende ruhige Zeit nochmal richtig ausgiebig anstoßen.
Gedankenverloren schaltete ich mein Mobiltelefon an, legte es auf den Beistelltisch und beobachtete es in einem sicheren Abstand. <<Maria, was hast du? Oh Gott, ist dir schlecht?>>, sorgte sich Lisa. <<Nein! Wie kommst du darauf?>>. <<Na, du ziehst Grimassen und blinzelst ganz hitzig mit den Augen, so als hättest du gerade eine ganze Zitrone verschlungen>>, dann fiel ihr Blick auf mein Handy. Voller Mitleid umarmte sie mich, <<Oh Süße, du wirst wohl nie die Hoffnung verlieren, dass er sich noch bei dir meldet?>>
<<Ja. Nein. Ich wollte es sehen, oder besser gesagt nicht sehen, ob mein Mister Secret an mich gedacht hat>>, vertraute ich ihr mit feuchten Augen an. <<Du schaffst es nicht, alles an Land zu lassen, gell? Du musst ihn wirklich sehr lieben>>, stellte Lisa fest und versuchte mich zu trösten, <<Warte ab, Liebes, manchmal geht die Liebe mysteriöse Wege. Und nun ziehen wir uns um, ich habe einen Bärenhunger!>>
Zur Feier des Tages wählte Lisa einen langen weißen Rock mit einem Schlitz bis zum Oberschenkel, dazu ein schwarzes Shirt mit weißen Punkten. Sie ist groß und ihre Silhouette glich dem eines Models. Schön sah sie aus mit ihrem langen blonden glatten Haaren, braunen Augen und da und dort kamen Sommersprossen zum Vorschein. Der dunkelrote Lippenstift brachte ihre geschwungenen Lippen vollends zur Geltung.
Ich wählte eine schwarze, enganliegende Jeans, dazu eine Bluse mit bunten Blumen auf schwarzem Hintergrund. Mein Dekolleté war weit geschnitten, sodass man einiges von meiner von Natur gebräunten Haut sehen konnte.
Eigentlich bin ich schon gebräunt aus dem Mutterleib gekommen. Meine mamma hatte schon drei Geburten hinter sich und alle drei Geschwister waren Wonneproppen. Helle Haut, rosa Teint, Bäckchen zum Anbeißen und fünf Kilo schwer. In unserem kleinen Dorf in den Abruzzen hat man stolz allen Einwohnern die Neugeborenen gezeigt <<Schaut her, was für eine Pracht wir gezeugt haben!>>. Als ich auf die Welt kam, war der Stolz meiner Eltern rapide in den Keller gesunken. Meine mamma wollte mich niemandem zeigen, denn meine zwei Kilo Gewicht bestanden aus zusammengeschraubten Knochen und das bisschen Haut, das sie überzogen, war eben schon gebräunt.
Unter der Bluse zog ich, sozusagen als Mogelpackung, meinen schwarzen Body mit integriertem Push-up-BH an. Stöckelschuhe mussten auch sein, trotz Hallux valgus. Egal – im Notfall wird eine Schmerztablette eingenommen. Die Beine wirkten schlanker und länger mit Pumps. Ehrlich gesagt, mit Absätzen laufen wir Frauen viel eleganter als mit flachen Schuhen, weil wir uns auf das Laufen konzentrieren müssen. Jeder einzelne Schritt bedarf einer Überlegung.
Ich schminkte mich dezent mit dunkelgrünem Eyeliner, der meine grünen Augen etwas mehr zur Geltung brachte. Und jawohl, auch dunkelroten Lippenstift trug ich auf, obwohl mir meine Nachbarin zwischen Tür und Angel mal gesagt hat, dass es mir nicht stehen würde. Dumme Kuh, dachte ich mir. Ich mache ja wohl das, womit ich mich wohl fühle und woran ich glaube. Ich habe welliges, schulterlanges Haar, das silbrig meliert ist und im Sonnenstrahl golden schimmert.
Meine Tochter gab mir vor einigen Jahren mal den Rat, die Haare naturell zu tragen und nicht mehr zu färben. Bei ihr in der Klinik würden mehrere Psychologinnen mit natürlichem Look rumlaufen. Das habe einen gewissen Charme. Tatsächlich las ich kurze Zeit später in einer Zeitschrift, dass graue Haare etwas Rebellisches an sich haben und dass es ganz stark in Mode war. Sogar junge Menschen würden sich die Haare grau färben. „Rebellisch“! Dieses Wort gefiel mir. Eine Rebellin, das wollte ich sein!
Das Büfett präsentierte sich u-förmig in seiner ganzen Pracht. Es gab wirklich alles, auf das man hätte Appetit haben können, von Vorspeise bis Dessert. Und so kunstvoll geschmückt.
Akkurat auf den Büfetttischen verteilt, standen abwechselnd Bouquets mit wunderschönen Blumen und übergroße weiße Platten mit Tierfiguren, die aus den verschiedensten Früchten gezaubert worden waren. All das war eine Augenweide, nur schien es niemanden zu kümmern.
Bald bildeten sich um das Büfett herum lange Schlangen. Selbstverständlich hatten alle einen Mordshunger. Auch wir. Trotzdem sollte man sich ein bisschen Zeit nehmen, um das zu bewundern, was andere so kunstvoll und zeitaufwendig kreiert hatten.
Die Schönheit wirklich mal bewusst wahrnehmen. Aber so sind die Menschen heutzutage. Es wird ein Fließbandleben geführt. Eilig wird gegessen, eilig wird verdaut, eilig zum Orgasmus gekommen. Es ist ein Wettrennen, erst mit der Zeit und dann dagegen. Und wie so oft wird dabei das Wesentliche komplett übersehen.
Dieser breite Stöpsel von Mensch unmittelbar vor mir schien den größten Hunger von allen zu haben. Wie ein Fass ohne Boden nahm er all die Reste von den Platten und ließ diese auf seinen Teller wandern.
Ich verspürte große Lust, ihm mit meinem Mittelfinger auf seine Glatze zu klopfen. Jetzt wollte er auch noch meinen geliebten Mozzarella auf seinen Teller befördern. Nein, sein gieriges Wüten konnte ich nicht einfach tatenlos auf mir sitzen lassen.
Mit einem Satz sprang ich vor ihn und nahm ihm zähneknirschend die Gabel aus der Hand. Erst guckte er mich erschrocken an, dann lächelte er in einer Breite, die mich nur noch wütender werden ließ. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich den Grund für sein unverschämtes Lächeln. Ein Kellner kam gerade mit einer frisch gefüllten Platte auf uns zu, um für Nachschub zu sorgen.
Da kam mir die Postkarte in den Sinn, die ich einst meiner aufgelösten Tochter während ihrer Abi- Vorbereitung schenkte. Darauf befand sich auf einem fliegenden Teppich ein Yogi in Meditationshaltung. Statt der klassisch aneinander gelegten Daumen und Zeigefingern waren beide Mittelfinger genüsslich ausgestreckt. Darunter der Spruch „In der Ruhe liegt die Kraft“.
Und dennoch hätte ich am liebsten diesem breiten Zwerg ein Bein gestellt, als er mit seinem randvollen Teller wortlos weitermarschierte und sich an der nächsten Station einfach eine neue Gabel herauspickte.
Entgegen meiner Befürchtung bekamen wir glücklicherweise doch noch genug zu essen ab! Mittlerweile hatte sich die Schlange am Büfett aufgelöst und man hätte ungestört Unmengen an Nachschub holen können, wenn man bloß noch ein bisschen Platz im Magen gehabt hätte.
Am Ende waren wir so vollgefressen, dass wir unbedingt noch einen Digestiv benötigten. Averna eignete sich hierfür ganz hervorragend. Davon konnte man im Notfall nämlich auch zwei herunterbekommen! Wir beschlossen schließlich, an die Bar zu gehen, um uns mit einem Espresso und eben mit dem einen oder anderen Digestiv eine Verdauungsabhilfe zu verschaffen, bevor wir an Deck unter freiem Himmel den Beginn dieser wunderbaren und sorglosen Reise genießen wollten.
Lisa und ich hatten also beschlossen, ein ruhiges Plätzchen zu suchen, um die Nacht an Deck erleben zu können. So gingen wir, bewaffnet mit einer Flasche Rotwein, auf die Suche. Trotz der späten Stunde war es noch außerordentlich lebhaft an Deck. Alle schienen mit uns feiern zu wollen. Dennoch fanden wir ein schönes apartes Eckchen am Heck des Schiffes, in dem wir unsere Privatsphäre hatten und völlig ungestört unseren Wein austrinken und genießen konnten.
Der Seegang war unglaublich ruhig. Das Firmament erschien uns als dunkelblaue Decke aus Satin mit großen und kleinen funkelnden Diamanten geschmückt. Ganz spontan summte ich friedlich <<Hey, stella che fai?... – Hey, Stern was machst du?...>>, vor mich hin.
Schon als ich dieses Lied zum ersten Mal hörte, berührte es mich in einem ganz besonderen Maß. Vielleicht ist in dem Text ja etwas enthalten, das für mein Leben von Bedeutung sein könnte. Die Melodie der Musik umhüllte mich jedes Mal wie ein unsichtbares Tuch und lässt mich in meiner Fantasie in das Land der Träume reisen.
Ich begann es immer dann zu singen, wenn ich einen funkelnden Stern am Himmel sah. Später sang ich es auch am helllichten Tage oder in bewölkten Nächten. Um ganz ehrlich zu sein, irgendwann fing ich an es immer zu singen, selbst wenn ich gar keinen funkelnden Stern am Himmel entdecken konnte. <<…für einen Augenblick habe ich dich in Bewegung gesehen. Aber wenn du nicht herunterunterkommst, bringe ich meinen Gesang nicht zu Ende. Ich würde dich so gerne für einen Augenblick greifen wollen …>>, summte ich weiter und dachte an meinen Mr. Secret, der, genauso wie der Stern immer so ungreifbar für mich war.
Wir lachten, weinten und tranken. Wir erzählten uns Geschichten aus unserem Leben und phantasierten über unsere Zukunft.
Der Beschluss, all den Ballast an Land zurückzulassen, war zwar schon längst gefasst, jedoch war er ummantelt von Wehmut, besonders wenn ich getrunken hatte. Dieses Mal war der Wein schuld daran. Auf dem Weinetikett stand nämlich kein Hinweis auf Nebenwirkungen, auch nicht sowas wie „überschreiten Sie nicht die empfohlene Dosis“.
Unsere Träume trugen wir fest in der Seele. Von dort aus mussten sie wie ein Stoßgebet in den Himmel befördert werden. Meine unbedingt.
Lisa hatte sich schmerzlich von ihrem langjährigen Freund getrennt. Trotz ihrer Trauer, die sie immer wieder überfiel, sah sie voller Mut und Optimismus der Zukunft entgegen.
Ich dagegen wollte Abstand gewinnen. Von dieser einen Liebe, die offensichtlich nicht so erwidert wurde, wie ich es mir wünschte. Wenn es unbedingt sein müsste, würde ich mich von meinem Mister Secret distanzieren, um akzeptieren zu können, dass er noch nicht bereit war, seine Liebe zu offenbaren, wenn es überhaupt etwas zu offenbaren gab.
Aber die Hoffnung, dass er mir eines Tages doch seine Liebe gestehen würde, wollte und konnte ich nicht ganz aufgeben. Wie sagt man so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt.
<<Weißt du Lisa, mein Mister Secret ist die Liebe meines Lebens. Plötzlich hat der Mann meiner Träume ein Gesicht. Einen Namen. Eine Stimme. Wir können stundenlang miteinander reden. Wir lachen auch viel miteinander und scherzen unbekümmert herum. Ich bin erstaunt darüber, welche unentdeckten Seiten er in mir weckt, erstaunt darüber, so frei mit einem Menschen reden zu können. Es gibt nichts, worüber wir nicht sprechen könnten. Bei ihm fühle ich mich, wie ich selbst. Als sei ich angekommen. Ich muss mich nicht verstellen>>, verträumt schaute ich den Sternen beim Funkeln zu.
<<Hast du ihm schon offenbart, wie sehr du ihn liebst?>>, fragte Lisa ebenfalls in den Himmel blickend. <<Oh no! Zwar sagen wir uns oft gegenseitig „ich habe dich lieb“, das ist jedoch unverbindlich. Das kann man jedem sagen. Den ersten Schritt würde ich niemals machen. Vor allem würde ich „ich liebe dich“ nie als Erste sagen.>>
<<Und warum nicht?>>, hakte Lisa nach, <<Lass mich eines verstehen: Du erwartest, dass er dir diese magischen drei Worte sagt, ohne dass zwischen euch jemals etwas lief? Nicht mal ein Kuss? Du bist doch eine moderne und emanzipierte Frau und …>> Ich unterbrach sie, <<Den wirklich entscheidenden Schritt möchte ich ihm überlassen>>, sagte ich selbstbewusst.
Doch dann wurde ich plötzlich leiser, <<Wenn er mir aber so was sagen würde wie „Du bist wie eine Schwester für mich“ oder „Wir können die besten Freunde sein“, dann wäre ich zutiefst gekränkt. Ganz abgesehen von der Scham, die ich dann empfinden würde>>, ich winkte ab und kam zu dem Entschluss, <<Manchmal ist es besser alles so zu lassen, wie es nun mal ist. Ich habe alles in meiner Macht stehende getan, um ihm zu verstehen zu geben, wie sehr ich ihn liebe und ich bin fast davon überzeugt, dass er für mich das Gleiche empfindet>>.
Ich nahm einen großen Schluck. Nach einem kurzen Moment der Stille sprach ich weiter, <<Die Betonung liegt aber eben auf fast ...>>, darauf folgte direkt wieder eine in Melancholie getränkte Pause. Dabei konnten wir die Wellen belauschen, die rhythmisch am Schiff zerbrachen.
<<Er spricht allerdings ständig von Freiheit. Möchte sich nicht binden. Er habe sein inneres Gleichgewicht, seine Mitte, gefunden. Er sagte mir, er liebe alle Menschen gleich>>, leicht schüttelte ich den Kopf und schloss meine Augen, <<Wie oft habe ich geglaubt, er werde mir an jenem Tage endlich seine Liebe gestehen>>, bedrückt schaute ich Lisa an, <<Mich endlich küssen. Ich spürte doch, dass da mehr ist als nur gute Freundschaft! Über die Unmenge Zahnpasta, die ich mit unnötigem Zähneputzen verschwendet habe, möchte ich erst gar nicht nachdenken.>> Lisa war mit ihrer vollen Aufmerksamkeit bei mir. <<Aber vielleicht bilde ich es mir auch nur ein. Mache mir was vor. Glaube an Dinge, die nicht möglich sein können. Das Bauchgefühl kann einen eben auch ab und an in die Irre führen>>.
<<Och, meine Liebe ...>>, versuchte Lisa mich zu trösten, <<Weißt du, vielleicht ist es einfach nur eine ganz spannende Serie mit vielen unerwarteten Wendungen! Das macht ja eine gute Serie aus!>>, Lisa verglich meine Story mit meinem Mister Secret gerne mit einer Soap. Die einzelnen Folgen hatte sie exklusiv live mitverfolgen dürfen.
Der Wein war inzwischen alle. Lisa holte eine zweite Flasche. Wir tranken und tratschten weiter. Irgendwann kicherten wir nur noch und redeten wirres Zeug. Niemand hätte uns mehr folgen können. Nicht mal wir selbst konnten uns noch folgen. Wie wir es geschafft hatten, aufzustehen, ist mir bis heute ein wahres Rätsel. Ich vermute, wir dürften eine ganze Stunde damit verbracht haben.
Mutterseelenallein wackelten wir in Richtung Tür. Es war ja auch schon früh am Morgen und höchste Zeit ins Bett zu gehen. Schließlich brauchten wir unseren Schönheitsschlaf.
Nur noch die paar Stufen, die würden wir auch noch schaffen.
Die verdammten Stöckelschuhe hatten absolut keinen Halt auf diesem Schiffsboden. Wo war nur diese Gravitationskraft der Erde, wenn man sie brauchte? Wenn es darum ging, unsere Brüste in Richtung Erdboden zu ziehen, war sie ja schließlich auch pausenlos ganz pflichtbewusst im Einsatz. Es lag sicher daran, dass sich auf See so einiges anders verhielt, versuchte ich mir die Physik zu erklären.
Unser sinnloses Gekicher hörte gar nicht auf und impulsgesteuert schrie ich <<ICH BRAUCHE EINEN MANN!>>
Eigentlich dachte ich an einen Physiker, der mich in der Materie aufklärte, doch ich glaube es wurde missverstanden, denn unvermittelt meldete sich sofort eine Stimme, <<UND ICH EINE FRAU!>>
Noch während die Stimme erklang, flog ich unbeholfen die Stufen hinunter und fand mich kniend mit dem Kopf zwischen den Beinen eines Mannes wieder, der in einem Liegestuhl saß. Ach, na sieh mal einer an! Hier unter dem Liegestuhl hat sich also diese verdammte Gravitationskraft versteckt.
<<Was erlauuubeen, strunz (strunz im Dialekt, stronzo auf Italienisch, ist ein Schimpfwort)>>, lallend motzte ich diesen Menschen mit dem besten deutsch an, das ich in diesem Moment noch herausbringen konnte.
Lisa stand unterdessen fast unverändert, diesmal jedoch in tiefer Schockstarre, auf der obersten Stufe. Man konnte ihr sofort ansehen, dass sie momentan nicht in der Lage war, mir dabei zu helfen meine sieben Sachen, die munter aus meiner Tasche rausgeflogen waren, aufzusammeln. Dort die Taschentücher, da die Hautcreme und hier das … plötzlich wurde es dunkel. Die dunkelste aller Nächte.
Ich erblickte die offenstehende Balkontür, als ich vorsichtig eines meiner Augenlieder öffnete, während das andere Lid entspannt geschlossen blieb – eine Fähigkeit, die ich ganz hervorragend beherrsche. Zigarettenrauch durchdrang meine Nase. Lisa rauchte. Zwar hatte ich auch Lust auf eine Zigarette, allerdings war das Bedürfnis nach Schlaf um einiges größer, weshalb ich mich kurzerhand umdrehte und weiterschlief.
Als ich schließlich irgendwann später beide Augen aufmachte, hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Wie spät mochte es wohl gewesen sein? Ahnungslos ging ich auf den Balkon. Die Sonne stand am Zenit, von funkelnden Diamanten keine Spur mehr. Wie ich es mir zusammenreimte, müsste es Mittag gewesen sein.
Lisa war nicht da. Bestimmt wollte sie mich ausschlafen lassen und ist schon mal zum Frühstück oder Mittagessen gegangen. Jetzt aber schnell unter die Dusche, um die üblichen Morgenrituale zu zelebrieren. Bitterlich sehnte ich mich auch schon nach meinem doppelten Espresso.
Erstaunlicherweise hatte ich keinen Kater, obwohl ich üblicherweise keinen Alkohol vertrage. Meine Vermutung liegt ja darin, dass mir von Anfang an schon ein ganz wichtiges Enzym, das für den Alkoholabbau zuständig sein sollte, verwehrt geblieben ist. Mein Sohnemann würde sagen, es fehlt mir ein Ritym, abgeleitet von meinem Namen ‚Rita‘. Diejenigen, die mich gut kennen, halten deshalb bewusst den Alkohol ganz schön weit von mir entfernt. Aus ihren Augen kann ich den Satz von Roberto De Niros Film: Meine Braut, ihr Vater und Ich, I`m watching you‘ lesen.
Aber mal ehrlich, gestern war eine Ausnahme und ein super besonderer Tag, den ich niemals vergessen werde.
Gesegnet sei übrigens Sergius Orata. Nach dem antiken römischen Schriftsteller Plinius wird ihm die Erfindung der Dusche zugeschrieben. Es war Balsam für meine Seele! Abwechselnd ließ ich warmes und kaltes Wasser über mich fließen naja, das kalte nur über die Beine. Eine Hand gab mir das Handtuch durch die Spalte der Duschkabine. <<Danke, Lisa! Warst du schon essen? Geht es dir gut?>>
<<OHO!>>, hörte ich eine tiefe Männerstimme sagen. Dieses ‚OHO‘ klang genauso, wie das ‚OHO‘ beim Überreichen der Geschenke durch den Nikolaus. <<Ist das aber seeexy!>>, fuhr diese Stimme fort.
Langsam und mit Bedacht streckte ich vorsichtig meinen Kopf durch den Spalt der Duschkabine. Kaum war mein Kopf draußen, sah ich meinen neu gekauften schwarzen Body in der Hand dieses Mannsbildes schweben. Mein greller Schrei musste bis zum Motorraum zu hören gewesen sein, so laut war es. Warum eigentlich? Es war bloß ein Mann!
<<Raus hier, Sie unverschämter Kerl. Können Sie mir, verflixt nochmal, erklären, was Sie in meiner Kabine zu suchen haben?>>
<<Eine gute Frage>>, antwortete er mit einem erotischen Unterton, <<Vielleicht sagen Sie mir einfach, was Sie in meiner Kabine machen.>> Mein Blick wanderte entgeistert Richtung Spiegel, auf dessen Ablage ich am Vortrag meine Kosmetikartikeln und meine elektrische Zahnbürste abgelegt hatte. Stattdessen standen da ein elektrischer Rasierer und viele weitere Sachen, die mir nicht gehörten.
Oh Madonna Santa! Ich war doch nicht etwa in einer anderen Kabine? Wie konnte das denn passieren? Und wo überhaupt war Lisa?
Ich wickelte das Handtuch in Sekundenschnelle um meinen splitternackten Körper, um nur kurzdarauf schleunigst das Badezimmer unter dem amüsierten Blick des Mannes, barfuß und mit beschämter Kopfneigung nach unten, zu verlassen und Richtung Ausgang zu eilen. Halt! Meine Sachen, schoss es mir durch den Kopf. Abrupt blieb ich stehen, drehte mich entschlossen um und schob ihn mit einem Ruck zur Seite. Musste er denn auch mitten im Türrahmen stehen?
Was ich in diesen kurzen Sekunden berühren durfte, war nicht übel! Er hatte Oberarme aus Stahl. OOOH, Dio mio, ich bin doch nicht mehr ganz dicht! Ich wusste nicht mal was dieses Protzpaket mit mir angestellt hatte oder warum ich mich dort befand und mir fiel nichts Besseres ein, als ihn auch noch attraktiv zu finden?
Okay, nur meine Sachen einsammeln und dann nichts wie raus hier, und zwar schnell! Meine Hose und meine geblümte Bluse lagen ordentlich gefaltet auf dem Stuhl. Hektisch riss ich meine Sachen vom Schreibtisch. Dabei blieb der Henkel der Tasche an der Stuhllehne hängen. Mit einem Schwung fiel der Stuhl mit samt der Klamotten zu Boden. So schnell ich konnte, hob ich das Heruntergefallene wieder auf. Meine Tasche schien mal wieder nicht geschlossen gewesen zu sein, denn der ganze Inhalt fiel erneuet auf den Boden und verteilte sich in alle Himmelsrichtungen. Mein Gott, was sich alles in meiner Tasche befand! Nun ja, alles eben, was in einer Damenhandtasche nicht fehlen darf.
Mein Neffe Marco nennt meine Tasche nicht umsonst die „Zaubertasche“. Darin befinden sich einige undenkbare Sachen, die sich allerdings in manchen Situationen, als sehr hilfreich entpuppen.
Als ich meine Schwester einmal besuchte, fragte mich mein damals siebenjähriger Neffe tatsächlich, ob ich bitte neue Batterien aus meiner Zaubertasche herauszaubern könnte. Er glaubte wirklich, ich sei Mary Poppins. Ganz unrecht hatte er nicht, zufälligerweise hatte ich welche dabei.
Noch schnell die Stöckelschuhe anziehen und dann schnell die Flucht antreten! Dieser David von Michelangelo stand immer noch mit süffisanter Miene angelehnt am Türrahmen. Als ich mich mühsam an ihm vorbeischlängeln wollte, fischte er aus meinen Armen ein paar Hosen. <<Sie gestatten? Die hier werden Sie bestimmt nicht anziehen. Bei allem Respekt, aber meine Hosen würden Ihnen sicherlich nicht stehen.>> Ich huschte schnell an ihm vorbei. Er konnte es einfach nicht unterlassen, <<außerdem waren wir heute Nacht noch per du.>>
Zwar hatte er wunderschöne schwarze Augen, in diesem Augenblick jedoch hätte ich ihm welche in blau verpassen wollen. Dieser Adonis mit mittelorientalischem Geschmack! GESCHMACK? Ich war völlig durcheinander. Oh heiliger Tony! – So nannte ich den heiligen Antonius, wenn ich in Eile war. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich eher schämen oder lieber verärgert sein sollte.
Der Korridor mit unzähligen Abzweigungen erschien mir kilometerlang. In welche Richtung sollte ich überhaupt gehen? Völlig verloren stand ich da und wusste nicht mal in welcher Etage ich mich befand. Aus dem Nichts sprach eine höfliche Stimme zu mir, <<Kann ich Ihnen helfen, Madame