Vom Spielball zur Spielerin - Irmtraud Gallhofer - E-Book

Vom Spielball zur Spielerin E-Book

Irmtraud Gallhofer

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Beschreibung

Wie alle hochgeborenen Frauen ihrer Zeit ist Margarete von Österreich bestimmt, Kaiser Maximilian I., ihrem Vater, als Pfand für Bündnisse zu dienen. Doch sie ist auch geboren an der Schwelle der Neuzeit, als die Ideen vom Wert des hiesigen Lebens und vom Ich zu greifen beginnen. Nachdem die hochgebildete junge Frau im inneren Zwiespalt Heiraten eingegangen ist, die ihr Unglück brachten, beginnt sie ihre untergeordnete Rolle anzuzweifeln. Angetrieben vom Willen, die Politik ihres schillernden Vaters mitzubestimmen, regiert sie die Niederlande, überspringt Misserfolge und Intrigen und stiftet in entscheidenden Momenten Frieden im Abendland.

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Für Willem

Auch danke ich Dr. Sabine Korsukéwitz für die wertvollen Anregungen im Verlauf des Schreibens.

Inhalt

Die Verstoßung der Königin

Geisel in Mélun

Heimkehr in die Niederlande

Spielball der Machtpolitik

Austausch der Bräute

Die Spanienreise

Flitterwochen

Fortuna dreht das Rad

Ein Unglück kommt selten allein

Neue Horizonte tun sich auf

Aufbruch ins Ungewisse

Unverhofftes Glück

Margot wirft ihre Netze aus

Erste Schritte in der politischen Arena

Ein verhängnisvolles Jahr

Glück – Unglück, stark aus eigener Kraft

An der Schaltstelle der Macht

Feuertaufe auf der internationalen Bühne

Im Netz der Intrigen

Abseits der politischen Arena

Der Kauf der Kaiserkrone

Karls Dank

Das Abendland steht in Flammen

Die Rettung des Abendlandes

Nachwort

Anhang

Personen

Zeittafel

1 Die Verstoßung der Königin

Ein Krachen, ein Klirren, Hufschlag und Männerstimmen rissen Margot und Aline aus dem Schlaf. Die Uhr auf dem Kaminsims zeigte im Licht der Kerzen die dritte Morgenstunde an. Hastig schlugen die beiden jungen Frauen die warmen Brokatdecken zurück und sprangen aus den Himmelbetten. Sie stürzten zum Fenster und rückten den schweren Samtvorhang zur Seite. Als Margot in den Hof spähte, verdoppelte sich ihr Herzschlag: Fackeln erleuchteten gespenstisch die Nacht. Amboises Innenhof wimmelte von Soldaten. Fuhrwerke rumpelten durch die Tore.

Angst stieg in ihr auf. Ihr Blick fiel auf die Schilder der Soldaten: Lilien auf einem blauen Hintergrund. Die Leibgarde ihres Gatten! Hatte Charles sie trotz seines Versprechens doch fallen gelassen? Zehn Jahre schon währte ihre Kinderehe und sie hatte sich allmählich an den missgestalteten Charles gewöhnt. Im nächsten Jahr sollte die Ehe vollzogen werden. Der Vorstoß ihres Vaters in die Bretagne und seine Verlobung mit deren Herzogin hatten aber alles infrage gestellt.

Wollte ihr Gatte sie bei Nacht und Nebel aus Amboise fortschaffen, um die Braut ihres Vaters zu ehelichen, sodass er sich die Bretagne unter den Nagel reißen konnte?

Ein kalter Schauder lief Margot den Rücken herunter. Sie fühlte sich, wie zu einem Nichts geschrumpft.

Da packte Aline sie am Arm und zog sie weg vom Fenster. »Wir müssen uns ankleiden!«, rief sie heiser vor Aufregung. »Charles’ Männer werden gleich hier sein und uns holen! Wir werden ihnen nicht die Genugtuung gönnen, uns im Hemd aus dem Schloss zu schleifen.«

Während Aline Margot mit zittrigen Händen das Mieder zuschnürte, polterten schwere Stiefel die Treppen hinauf.

Als Aline die Haube an Margots goldblondem Haar befestigte, flüsterte sie ihr noch zu: »Vergiss nicht, du bist noch immer Frankreichs Königin!«

»Euer Ehren«, hörten sie Madame de Segré im Vorraum rufen. »Lasst den Damen Zeit, sich zu bekleiden. Ich flehe Euch an, wahren Sie Anstand und Würde!«

Vergeblich.

Die schwere Eichentür wurde aufgerissen. Flankiert von vier grobschlächtigen Gardisten, baute sich der Chevalier de Vesc, Charles’ Lieblingskumpane und ehemaliger Stallknecht, vor Margot auf. Sein Haar war zerzaust, am Gürtel seines Wamses blitzte ein silberner Dolch.

Schweißgeruch und Schnapsatem erfüllten den Raum.

»Im Namen unseres Königs verhafte ich Euch, Margarete von Österreich! Wir werden Euch nach Mélun bringen und dort als Geisel verwahren, bis sich König Maximilian mit König Charles einigt.«

De Vescs rüpelhaftes Benehmen trieb Margot das Blut in die Wangen, doch sie kämpfte ihren Zorn nieder. Sie richtete sich kerzengerade auf und streckte ihm hoheitsvoll die Hand entgegen. »Lasst die Order sehen!«

Ärgerlich warf er den Kopf zurück, kramte aber dann in seinem Wams und händigte ihr ein zerknittertes Papier mit königlichem Siegel aus. Mit gespielter Ruhe entfaltete Margot das Schreiben. Die Buchstaben tanzten ihr vor den Augen. Sie bezwang sich und las den Text. De Vesc führte tatsächlich Charles’ Befehl aus.

Aber Margot wollte nicht aufgeben. Da gab es ja noch Anne, ihre Schwägerin.

»Könnte ich kurz Madame de Beaujeu sprechen?«, wandte sie sich mit einem gewinnenden Lächeln an den Chevalier.

Speicheltropfen flogen aus de Vescs Mund, als er trunken vor Macht loslegte: »Die kann Euch nicht mehr helfen. Begreift Ihr denn nicht, dass es aus ist mit der Weiberwirtschaft in Frankreich! … Endlich hat der König das Sagen. Er ist der Gängelei seiner Schwester überdrüssig. Auch sie sollten wir festnehmen, hätte sie sich nicht gestern aus den Staub gemacht.«

Anne hatte sie also fallen gelassen, um sich selbst zu retten. Margot fühlte, als wäre sie über den Rand eines Abgrunds getreten. Nur jetzt nicht weinen, Haltung bewahren!

»Der König lässt Euch ausrichten, dass die Schuld an allem Euer Vater trägt. Hätte er nicht den verräterischen Plan mit der Bretagne ausgeheckt, wäret Ihr jetzt noch unsere Königin.« Er schnalzte verächtlich mit der Zunge und schrie: »Ab geht’s zur Kutsche!«

In aller Eile betrat Madame de Segré den Raum, bewaffnet mit zwei warmen Mänteln. Schweigend reichte sie den einen Aline und trat mit dem anderen auf Margot zu.

Der Zorn über das, was Charles ihr angetan hatte, gab Margot Kraft. Sie wandte sich ab von de Vesc, als sei er nur ein Bote. Mit einem Nicken bedeutete sie ihrer Gouvernante, näher zu treten. »Würdet Ihr mir die Schatulle, die auf der Truhe liegt, holen? Sie enthält ein Geschenk meines Vaters. Der Chevalier hat zwar kein Benehmen, aber er ist sicherlich kein Dieb.«

De Vescs Nasenflügel bebten vor Zorn.

Madame de Segré legte den hermelinverbrämten Mantel behutsam auf einen Stuhl, eilte zur Truhe und reichte Margot die Schatulle. Margot öffnete sie mit einer eleganten Bewegung und entnahm das Geschmeide. Sie ersuchte ihre Gouvernante, es ihr anzulegen. Ein goldenes Collier mit funkelnden Rubinen zierte ihren Hals. Dem Chevalier gingen die Augen über, als er die Juwelen sah, die ihm als Beute entgangen waren. »Abmarsch!«, schnaubte er wütend.

Die Sporen klirrten auf den Marmorfließen, als die Männer Margot und ihre Begleitung auf den Hof trieben. Eine Woge der Ohnmacht überrollte Margot. Würde ihr Vater sie retten? Zusammen mit ihren Damen kletterte sie in den Innenraum der Kutsche, die sich sogleich rumpelnd in Bewegung setzte. Sie rollten den steilen Schlossweg von Amboise hinab, hinaus in die eisige Winternacht.

***

Wie wuchtige Eiszapfen ragten Innsbrucks Wehrtürme in den nächtlichen Himmel auf. Schwere Schneeflocken fielen auf die Stadt nieder, überzogen die Dächer, Gassen und Stege und umhüllten die Plätze mit einer nasskalten Decke. Am Neuhof unter den Arkaden drehten Wachposten zähneklappernd ihre Runden. König Maximilian war nach seinem Sieg über die Ungarn geradewegs nach Innsbruck gereist, um sich von den Strapazen des Kriegs zu erholen. Ein Wachmann trat aus dem Laubengang und inspizierte die Fassade des vierstöckigen Palais. Zufrieden rieb er sich die Hände, als er den anderen zurief: »In den Erkern sind die Lichter aus. Die Kanzlei macht Feierabend. Ruft die innere Bewachung zur Ablöse. Auf geht’s in die warme Stube!«

Trotz der nächtlichen Ruhe im Palais konnte König Maximilian in seinem Gemach den Schlaf nicht finden. Er wälzte sich herum im Eichenbett, sodass die Bettpfosten ächzten. Seine Gedanken kreisten immer um dasselbe Ziel: die Vorherrschaft im Abendland. Die Ungarn hatte er besiegt und er konnte sich dem Westen zuwenden, der Bretagne und den burgundischen Ländern. Seine französischen Erzrivalen zwänge er nun endgültig in die Knie. Die Bretagne war ihm durch die Heirat mit der blutjungen Erbin zugefallen, genauso wie die Niederlande und Burgund nach dem Tod seiner geliebten Maria.

Was für Opfer brachte er doch, um seine Sendung zu vollziehen! Heiraten hatte er nicht mehr wollen. Schlafweiber halfen ihm über einsame Momente hinweg. Aber diese Bretonin war hartnäckig. Sein Eingreifen in der Bretagne gegen Frankreich sollte er durch eine Ehe mit ihr besiegeln. Nur auf diese Weise könne sie seines Schutzes sicher sein. Er dagegen beabsichtigte nur, die Franzosen in die Zange zu nehmen, die sich dieses Land aneignen wollten. Frankreich sollte nicht noch mächtiger werden!

Die Wut kroch in ihm hoch. Er ballte die Fäuste, als er an den Schandvertrag von Arras dachte. Über seinen Kopf hinweg hatten die niederländischen Stände in den Wirren nach dem Tod seiner Gattin einen Frieden mit Frankreich ausgehandelt. Nicht nur die burgundischen Länder hatten sie dem französischen König in den Rachen geworfen, sondern sie verschacherten auch seine dreijährige Tochter als Braut des verkrüppelten Dauphins.

Nun konnte er sich rächen! Mit der bretonischen Heirat wischte er den Franzosen eins aus. Wenn nur sein Gesandter von Polheim den Auftrag, die Ehe in Stellvertretung einzugehen, schnell erledigte! Maximilian gähnte laut. Seine Glieder schmerzten. Könnte ihm ein Schlaftrunk helfen? Er klingelte einem Diener und bat ihn darum.

Kurz danach reichte ihm der Mann einen Becher mit dem Getränk. Der Geruch von Kamille, Melisse vermischt mit Schnaps stieg Maximilian angenehm in die Nase. Er dankte dem Lakai mit einer Handbewegung und trank den Becher in ein paar Zügen aus. Wohlige Wärme durchströmte seinen Körper, als er sich entspannt im Bett ausstreckte. Der Schlaf übermannte ihn. Er träumte vom Papst in Rom, der ihm unter berauschenden Chorgesängen die Kaiserkrone aufs Haupt setzte.

Vom Fenster drang Tageslicht in das Schlafgemach, als ihn der Diener weckte. Maximilian gab sich einen Ruck, wandte sich aus den verschwitzten Laken und stand auf.

Bald danach begab er sich in das Audienzzimmer und ließ sich froh gelaunt in einem Lehnstuhl nieder. Das Feuer im Kamin knisterte und sorgte für wohltuende Wärme. Mit Genuss löffelte er die dampfende Suppe, die ihm ein Lakai reichte. Gleich käme sein Sekretär, um mit ihm die Tagesgeschäfte zu besprechen.

Er musste eingenickt sein, denn eine Hand rüttelte ihn am Arm. Als er aufschaute, war es nicht der Sekretär, sondern sein Freund und Gesandter Wolfgang von Polheim. Die Vorahnung von etwas Unangenehmen beschlich ihn, da von Polheim in Reisekleidung mit von Lehm beschmutzten Stiefeln vor ihm stand.

Er bedeutete seinem Freund mit einer Handbewegung, im gegenüberliegenden Stuhl Platz zu nehmen. »Also, was ist geschehen, heraus mit der Sprache und keine Schönfärbereien!«

»Du hast es noch nicht erfahren?«, seufzte von Polheim und senkte den Blick. Dann straffte er sich und begann mit dem Bericht. »Während du deinem Vater in den Erblanden zu Hilfe geeilt bist, sind die Franzosen in der Bretagne einmarschiert. Plündernd und brandschatzend sind sie durchs Land gezogen und haben Rennes belagert. Unsere Mannschaften hätten die Stadt nicht verteidigen können. Da lud König Charles deine Gattin zu einem geheimen Gespräch ein. Am nächsten Morgen weckten uns die Festglocken. Die Verlobung von Anne de Bretagne mit Charles de Valois ist vollendete Tatsache, mein Freund! Wir Österreicher haben in Windeseile den Hof verlassen.«

Maximilian sprang aus dem Lehnstuhl auf. Er rannte ziellos im Raum umher. Seine Augen funkelten unter den buschigen Augenbrauen, als seine geballte Faust auf der marmornen Tischplatte landete. »Eine solche Schande ist noch keinem römischen König widerfahren! Was haben sie mit meiner Margot gemacht?«

»Den Berichten zufolge hat Charles sie in der Festung von Mélun eingeschlossen, nachdem der Bischof von Rennes ihre Ehe für nichtig erklärt hat. Charles wird um jedes einzelne Land ihrer Mitgift feilschen wollen und behält sie deswegen als Geisel.«

Maximilian umklammerte mit beiden Händen den Rand der Tischplatte. Sein kräftiges Kinn schob sich noch ein Stück weiter nach vorn. »So, schachern will der Valois mit mir? Wen denkt er, dass er vor sich hat, einen venezianischen Krämer? … Zweifach hat er mich hintergangen. Das muss mit Blut abgewaschen werden! Am liebsten forderte ich ihn vor aller Welt zum Zweikampf heraus! Aber ein Krüppel ist kein angemessener Gegner.«

Von Polheim stand auf, ging auf Maximilian zu und legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Lass Flugschriften im Reich verbreiten und prangere darin die Übeltaten des Franzosen an. Brautraub, Verstoßung und Diebstahl gelten noch immer als schwerwiegende Verbrechen.«

»Du meinst, dass man mir helfen wird, Truppen aufzustellen?«

»Zweifellos, denn du kämpfst für eine rechtmäßige Sache. Nur musst du dich gedulden!«

Maximilians Züge erhellten sich. Er bedachte von Polheim mit einem dankbaren Blick. »Zwar juckt es mich, die Franzosen sofort aus Burgund herauszuprügeln und Margot zu befreien, aber mit meinen Tirolern «.ihnen nicht gewachsen.«

»Unterhandle mit den Reichsfürsten! Nur gegen klingende Münzen riskieren Landsknechte ihr Leben. Deine Tochter ist in Frankreich aufgewachsen. Man wird ihr kaum etwas zuleide tun. Die Burgunder leben seit Jahren unter französischem Joch. Sie können noch etwas ausharren, bis wir sie befreien.«

Maximilian nickte. »Dein Plan gefällt mir! Nach der Schneeschmelze ziehen wir ins Reich und dann geht es nach Burgund mit einem bis an die Zähne bewaffneten Heer!«

2 Geisel in Mélun

Träge dämmerte der Morgen herauf. Margot blickte aus dem Fenster ihres Turmgemachs. Unter ihr wälzten sich die Fluten der Seine. Sie gähnte und schloss den samtenen Morgenumhang enger um ihre Taille. Womit würde sie die Leere des heutigen Tages füllen? Seit einigen Wochen lebte sie schon auf dieser Burg, umgeben von wuchtigen Ringmauern und Wehrtürmen, mitten in einer Insel. Nur einen Steinwurf entfernt lag die Stadt Mélun, die sie nicht betreten durfte. Eine gewaltige Brücke mit sechs Pfeilern trennte ihren Kerker vom emsigen Treiben der Menschen dort drüben.

Margot lenkte ihren Blick zur Brücke. Der Nebel verschluckte die Pfeiler auf der gegenüberliegenden Seite. Sie hörte nur die harten Schritte der Wachposten aufs Pflaster schlagen. Was für ein irrwitziger Aufwand für eine einzige Gefangene!

Ihre Gedanken wanderten zurück zu jener Nacht, in der man sie aus Amboise verschleppt hatte. Wie zerbrechlich war das Leben! Ein Federstrich genügte, um alles zu verlieren: ihr Ansehen, ihr Zuhause und ihre Zuversicht. In den letzten Wochen hatte sie sich nichtig gefühlt. Am liebsten wäre sie als Wolke am Himmel entschwunden. Hätten sich Aline und Madame de Segré nicht um sie gekümmert, während sie tagelang ihren Tränen freien Lauf ließ, wäre sie in ihrer Verzweiflung vom Fenster in den Abgrund gesprungen.

Margot schauderte. Sich das Leben zu nehmen ist eine schwere Sünde! Gottlob wusste es niemand! Nicht einmal Aline hatte es erahnt, obwohl sie meistens alles von ihren Augen ablas. Margot strich sich fahrig über die Stirn.

Ein Pochen an der Tür ließ sie in die Gegenwart zurückkehren. Sogleich betrat Aline in Begleitung einiger Zofen die Kammer. Geräuschvoll stellten drei Mägde eine Staffelei und ein Tischchen mit allerlei Farbtiegeln und Pinseln darauf inmitten des Raums ab. Mit einem Knicks überreichte eine vierte Zofe Margot eine Laute. Ihre Augen begannen zu leuchten.

»Und hier sind Bücher!«, strahlte Aline, während sie sie auf dem Tisch stapelte. »Was sagst du dazu?«

»Hm, jetzt können wir uns die Zeit sinnvoll vertreiben! Über die Laute freue ich mich ganz besonders! Wenn ich darauf spiele, ist mir, als schwebe ich in eine andere Welt.«

»Ja, das sollst du auch! Und wir werden wieder gemeinsam lesen!« Aline wies auf das erste Buch auf dem Stapel am Tisch. »Boëthius’ Trost der Philosophie, erinnerst du dich noch?«

»Oh du lieber Gott!« Margot verzog ihr Gesicht. »Mein Versuch, mich mit Charles einmal anspruchsvoller zu unterhalten!«

Alines Augen glitzerten amüsiert. »Ich sehe ihn noch vor mir, wie er erschrocken nach Luft geschnappt und dann die Augen himmelwärts verdreht hat, bis ihm ein Geistesblitz gekommen ist.« Sie äffte Charles’ Gesichtsausdruck nach. »Tja Margot, die Philosophie, würde ich sagen, ist Frauenzeug. Ich tröste mich lieber mit Bacchus. Er spült mir im Nu alle Sorgen weg!«

Margot kicherte.

»Jetzt hast du endlich wieder gelacht!«, rief Aline erleichtert aus. »Sei froh, dass du diesen Hohlkopf los bist!«

Während Aline sie begann anzukleiden, bemerkte Margot wehmütig: »Und doch habe ich mich am Hof in Amboise wohlgefühlt! Anne hat mich immer respektvoll behandelt. Für sie war ich die zukünftige Königin. Und die Gelehrten und Künstler, die uns unterrichtet haben, möchte ich nicht missen!«

»Ja, die Bildung, die wir in Amboise erworben haben, ist wohl das Einzige, das Charles uns nicht rauben kann!«, stichelte Aline, während sie Margot das Mieder zuschnürte. Danach öffnete sie eine Phiole. Lilienduft umhüllte Margot und lebhafte Erinnerungen brachen über sie herein.

»Erinnerst du dich noch an unseren letzten Einzug in Paris? Die Liliengirlanden mit diesem betörenden Aroma untermalt von den feierlichen Klängen der Trompeten! Und dann die fröhlichen Gesichter der Leute, die sich um meine Sänfte gedrängt und lauthals gerufen haben: »Nöel! Vive la reine!« Margot strahlte.

»Und Charles’ finstere Miene, da der Jubel nur dir gegolten hat, ist dir zum Glück entgangen.«

Um Margots Augen zuckte es kurz. Ihr Lächeln verschwand. »Aline, ich wollte doch nur die Aufgabe einer Königin erfüllen! Anne war immer mein Vorbild. Und doch hat sie mich fallen lassen.«

»Margot, Anne hat ein doppeltes Spiel mit dir getrieben! Vergiss sie!« Sie reichte Margot die Laute. »Wie wäre es mit einer heiteren Melodie?«

Mehr als ein Jahr war verstrichen. Margot hatte nichts von ihrem Vater vernommen. Ihre Laune schwankte an diesem trüben Morgen zwischen Zorn und Verzweiflung. Sie kauerte sich auf das Bett und vergrub den Kopf in den Händen. Das Vibrieren von Schritten auf dem Holzboden im Flur ließ sie aufhorchen. Ein kurzes Pochen an der Tür. Madame de Segré betrat die Kammer. Margot richtete sich auf und sah sie misslaunig an.

Die Gouvernante setzte sich auf den Rand von Margots Bett und warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. »Margot, ich wünschte, ich könnte dir berichten, dass dein Vater in Burgund gesiegt hat! Aber leider wirst du dich noch eine Weile gedulden müssen. Aber der Kommandant unserer Leibwache – du weißt ja, er stammt aus der Freigrafschaft Burgund – hat mir gestern zugeflüstert, dass ein Entsatzheer aus dem Reich bei deinem Vater im Feldlager eingetroffen ist.«

Margot machte ein langes Gesicht und dann platzte es aus ihr heraus: »Wer weiß, hat mich mein Vater ohnehin schon fallen gelassen!«

Madame de Segré fasste sie an der Hand. »Was redest du da für dummes Zeug!« Sie schüttelte den Kopf. »Du bist sehr wichtig für ihn! Er hat nur eine einzige Tochter, mit deren Hilfe er ein Bündnis schmieden kann. Er wird dich niemals im Stich lassen, geschweige denn vergessen!«

»Oh ja! Einzig und allein als Unterpfand für Allianzen diene ich und soll jährlich mit einem Kind niederkommen, wie ein Zuchttier!«

»Margot, wer hat dir denn das ins Ohr geblasen! Doch nicht Aline?«

Margot senkte den Kopf.

»Merke dir, jede Frau muss sich dem Wunsch ihres Vaters fügen, erst recht eine Prinzessin. Die Natur hat dich aber mit einem wachen Verstand und einem anziehenden Wesen bedacht. Ein Zuchttier – nein! Ich bin mir sicher, dass du zu Größerem ausersehen bist! Nun aber gib deinem Vater vor allem Zeit!«

Madame de Segré erhob sich, nickte ihr aufmunternd zu und verließ die Kammer.

Zeit? Hatte sie sich nicht schon mehr als ein Jahr geduldet, wie lange brauchte ihr Vater noch, um seine Länder zurückzuerobern? Und wenn er im Krieg sterben sollte wie ihr burgundischer Großvater, was geschah dann mit ihr? Margot ballte die Fäuste. Oh, diese Hilflosigkeit!

Unwillkürlich schaute sie auf zum Himmel. Er war wie verwandelt. Rosafarbene Wolkenstreifen zogen über das Firmament und dazwischen glänzte es glasblau. Zum ersten Mal in diesem Jahr lag ein Hauch von Frühling in der Luft. Oh Gottesmutter, lass Madame de Segrés Voraussage eintreten!

Sie nahm einen tiefen Atemzug, stand auf und eilte zu ihrem Toilettentisch. Sie sei eine anziehende junge Dame, hatte ihre Gouvernante gesagt. Wegen ihrer starken Backenknochen und der zu vollen Unterlippe zweifelte sie aber daran. Sie musterte ihr Gesicht. Ihr Teint war makellos. Um das goldblonde, volle Haar hatte man sie schon immer beneidet. Sie lachte etwas verlegen ihrem Spiegelbild zu und auf einmal begriff sie, was Madame de Segré gemeint haben könnte. Ihr Lächeln kaschierte die Backenknochen und die starke Unterlippe. Mit einem heiteren Blick könnte sie tatsächlich Menschen für sich einnehmen.

Nach einigen Wochen begann sich der Frühling einzurichten. Untermalt vom Geschnatter der Enten im Burggraben schlenderte Aline über den gepflasterten Innenhof. Sie traute ihren Augen nicht, als sie die Soldaten beim Würfelspiel sah.

»Edle Dame, wozu die Eile? Setzt Euch doch ein wenig zu uns und genießt das Leben!«

»Hat Euch der Frühling so verwirrt, dass Ihr Eure Pflichten vergesst?«

»Nein, nicht der Frühling, aber König Maximilian!«

Der Soldat stand auf, schob den Helm zurecht und trat dicht an sie heran. »Mit Verlaub, Madame de Valois, wir stammen aus der Freigrafschaft und die gehört seit einigen Tagen wieder dem römischen König! … Wir wollen zurück in unsere Heimat, am liebsten gleich … zusammen mit Euch und der Erzherzogin!« Er grinste breit.

»Seit einem Monat gehen schon derlei Gerüchte wie ein Lauffeuer durchs Land. Was macht Euch so sicher, dass es diesmal stimmt?« Aline sah ihn stirnrunzelnd an.

»Madame, diesmal ist es so wahr, wie ich hier stehe!«

Er nahm eine stramme Haltung an. »Vorgestern gegen Mitternacht ist ein Bote König Charles’ bei unserem Befehlshaber eingetroffen. Ich war dabei und kann bezeugen, wie wütend der Mann war über den Ausgang des Krieges! Er hat übrigens die Order gebracht, einen Gesandten König Maximilians bei der Erzherzogin vorzulassen.«

Das war noch nicht geschehen, schoss es Aline durch den Kopf. Eine letzte Schäbigkeit, um Margot die Nachricht vorzuenthalten! Nur Schurken haben bei Charles das Sagen!

Mit einem kurzen Lächeln dankte sie dem Mann für die Neuigkeit und hastete in die Burg.

Während sie mit gerafften Röcken die Treppe hochging, bestürmten sie widerstreitende Gefühle. Nie hatte sie den Gedanken zugelassen, sich jemals von Margot trennen zu müssen. Für sie war Margot wie eine Schwester, an deren Seite sie einen Platz hatte.

Wie verloren die dreijährige Margot in ihren ersten Tagen in Amboise gewesen war! Sie hatte das Kleinkind spontan bei der Hand genommen, ihr die Tränen abgewischt und sie zum Lachen gebracht. Als ihre Halbschwester Anne sie danach zur ersten Hofdame ernannte, endete ihr Schattendasein. Sie hatte ein Amt und jemanden, für den es sich zu leben lohnte. Nähme Margot sie mit in die Niederlande? Sollte sie sie darum bitten? Charles ließe sie zweifellos hinter französischen Klostermauern verschwinden.

Madame de Segrés Stimme riss Aline aus ihren Gedanken. Margots Gouvernante stand oben an der Treppe. Sie erteilte den Mägden Anweisungen: »Schrubbt tüchtig den Boden in der Halle, vergesst nicht, die Teppiche und Wandbehänge auszuklopfen! Das Tafelsilber muss blitzblank sein! An die Arbeit! Beeilt Euch!«

»Aline, du kommst wie gerufen!«, sagte sie in angespanntem Ton. »Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht! Ein Gesandter des römischen Königs hat sich angekündigt. Er kann jederzeit eintreffen. Ich schäme mich so für unsere Behausung!«

Aline begutachtete die Halle. »Ein Diner bei Kerzenschein wäre ein würdiger Ausklang, meint Ihr nicht? Die Kapelle aus der Freigrafschaft könnte uns aufspielen.«

»Das ist eine gute Idee! Eine musikalische Begleitung verleiht einen höfischen Anstrich, aber ohne die lärmenden Pauken!«

»Habt Ihr Margot darüber unterrichtet?«

»Nein. Ich wollte dich ersuchen, es ihr mitzuteilen.«

»Das tue ich gerne. Endlich erhält sie eine erfreuliche Nachricht!«

Aline betrat Margots Kammer. Sie sah sich um und entdeckte ihre Freundin beim Toilettentisch. Margot tupfte sich einige Tropfen aus einer Phiole auf die Schläfen. Der Duft von Veilchen stieg Aline in die Nase. Auf ihrem Weg zum Schrank hielt sie hinter Margot inne und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. »Ich bin froh, dass du wieder lächelst, das steht dir gut! Alle sind heute in Aufbruchstimmung außer mir!«

»Fühlst du dich unpässlich?«

»Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen. Lass dich ankleiden!«

Als Margot das rote Samtkleid mit der Goldbordüre sah, protestierte sie: »Dieses Kleid ist doch viel zu festlich für unseren bescheidenen Haushalt!«

»Eine Überraschung, Margot! Noch heute wird ein Gesandter deines Vaters dir seine Aufwartung machen. Du wirst ihn doch würdig empfangen wollen!«

Margots Augen hefteten sich auf Alines Gesicht. »Aline, heraus mit der Sprache, was ist geschehen?«

Aline verzog ihre Lippen zu einem Lächeln. »Dein Vater hat die Freigrafschaft Burgund zurückerobert und es scheint, dass der Gesandte dich besucht, auf dem Weg zu Friedensbesprechungen.«

»Es ist also wirklich wahr? Die Freigrafschaft ist wieder in Vaters Besitz? Oh Aline, endlich, endlich!« Margot umarmte ihre Freundin und gab ihr einen herzhaften Kuss auf die Wange. Mit einer Drehung fast wie im Tanz warf sie den Morgenrock ab. Ein Kribbeln durchströmte sie. »Ich kann es kaum erwarten, dass mein Vater jemanden schickt. Was er mir wohl mitteilen wird? Wie schön wäre es, wenn er mich gleich mitnähme! Aber so verlaufen die Dinge meistens nicht.«

Während ihre Freundin ihr schweigend in die Robe half, bemerkte Margot deren bekümmerten Blick. Ist es etwa meine nahende Heimkehr, die sie quält, ging es ihr durch den Kopf. Sie musste endlich mit ihr darüber sprechen. »Aline, spüren wir nicht beide, dass wir zusammengehören? Wird es nicht Zeit nachzudenken, wie wir beieinanderbleiben können. Gefiele es dir, mit in die Niederlande zu ziehen?«

Ein Leuchten ging über Alines Gesicht. »Ja, Margot, oh ja, wie gerne will ich bei dir bleiben!« Sie verstummte und ihre Augen schimmerten feucht.

Margot wandte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Du lieber Himmel! Hast du etwa gedacht … Ach, Aline, wir hätten schon früher darüber sprechen sollen! … Aber Charles muss seine Zustimmung erteilen. Lass uns einen Brief verfassen mit Argumenten, die ihn überzeugen!«

Aline wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ich möchte auch an Anne schreiben. Sonst könnte sie sich übergangen fühlen. Madame de Segré hat mir erzählt, dass sie sich mit Charles versöhnt hat und wieder am Hof verkehrt. Ihre Fürsprache könnte nicht schaden!«

»Ja, Annes Unterstützung könnte dir helfen! Mein Vater muss ebenfalls seine Erlaubnis geben. Aber das können wir mit seinem Gesandten besprechen.«

Wolfgang von Polheim ritt hoch aufgerichtet auf dem Rappen, den pelzgefütterten Umhang um seinen schlanken Körper gewickelt. Die Reise durch Frankreich hatte ihm wohlgetan nach all dem Kanonendonner, Geruch von Blut und Rauch. Der Krieg war ihm zuwider, schließlich war er Diplomat. Jetzt sollte sich alles ändern. Er würde rasch einen Frieden herbeiführen und die Erzherzogin in ihre Heimat bringen. Ob sie wohl so schön ist wie ihre Mutter?

Die Rüstungen seiner Begleiter klirrten, während die Hufe der Pferde auf der Burgbrücke aufschlugen. Die Festung, die sich vor ihnen erhob, war düster, kein Ort für eine Prinzessin. Als sie das Haupttor erreicht hatten, übergab von Polheim den Wachen König Charles’ Begleitbrief. Ein Blick auf das Siegel genügte, um das Fallgitter hochzuziehen.

Unterdessen warteten Margot und Aline im oberen Geschoss der Burg auf die Ankunft des Gesandten. Das safranfarbige Sonnenlicht brach sich in den Fenstern und der Eichenschrank warf seinen Schatten auf den Boden. Eine erwartungsvolle Stille erfüllte den Raum.

Endlich hörten sie Hufschlag auf der Brücke, dann den Lärm von Berittenen auf dem Hof. Eine Fanfare ertönte. Was für ein hoffnungsvoller Klang! Der Gesandte ihres Vaters war eingetroffen.

Madame de Segré wirbelte in die Kammer und forderte Margot auf, sich in die Halle zu begeben.

Die ehemals düstere Halle hatte sich in einen Empfangsraum verwandelt. Fackeln brannten in den Halterungen und Wandteppiche, die man eilends aus der Stadt hatte bringen lassen, bedeckten den grauen Steinboden. Margot blieb in der Mitte des Raumes stehen, dort wollte sie den Gesandten empfangen. Rechts von ihr harrte ein festlich gedeckter Tisch, während sich links um den Kamin gepolsterte Stühle reihten.

Die Türflügel schwangen auf, und ehe sie es sich versah, verneigte sich ein elegant gekleideter Herr mittleren Alters vor ihr. In seiner rechten Hand hielt er ein Barret, geschmückt mit einer Pfauenfeder.

»Herzlich willkommen, Exzellenz!«, sprach Margot und schenkte ihm ihr strahlendes Lächeln.

Während sich von Polheim aufrichtete, begutachtete er Margot. Vor ihm stand nicht das Abbild der Maria von Burgund, sondern eine weibliche Ausgabe seines Freundes Maximilian.

»Madame, es ist mir eine Freude, Euch mitzuteilen, dass Ihr in absehbarer Zeit heimkehren werdet! Noch heute reise ich nach Senlis, um die letzten Hindernisse für den Frieden aus dem Weg zu räumen.«

Eine Welle der Erleichterung durchströmte Margot.

»Wie viel Zeit werdet Ihr benötigen? Denkt Ihr an Wochen oder Monate? Ich möchte mich gerne darauf einstellen, da ich hier noch etwas zu erledigen habe.«

Von Polheim staunte, wie sachlich die Dreizehnjährige ihre Lage erkundete. »Sobald eine Einigung erzielt ist – ich denke an ein paar Tage – müssen die Könige ihr zustimmen. Das mag zwei Wochen dauern. Vielleicht muss ein Wortlaut noch verändert werden … das kostet wiederum zwei Wochen bis zur Unterzeichnung. Danach wird die Ratifizierung durch die Stände und das Parlament eingeleitet. Aber nach der Unterzeichnung ist Eure Haft aufgehoben!«

Von Polheim wiegte abwägend den Kopf. »Rechnet mit sechs Wochen!«

Margot strahlte. »Tausend Dank für diese Nachricht! Ihr werdet sicher müde und hungrig sein, Exzellenz! Ich habe ein bescheidenes Mahl vorbereiten lassen.« Mit einer einladenden Geste wies sie auf den festlich gedeckten Tisch. Was sie das gekostet hatte, sagte sie nicht. Wie hatte Madame de Segré doch den Befehlshaber der Festung anbetteln müssen für die paar Brocken. Erst als sie anführte, dass er sonst als Geizhals dastünde, hatte er sich bereitgefunden, der Lump!

Während Mägde auf poliertem Silber Gänse, Pasteten und Gemüse auftrugen, sprach von Polheim Madame de Segré und Aline namens Maximilian seinen Dank aus.

»Wie Ihr hört, ist König Maximilian gut informiert. Nur selten entgeht ihm ein Detail!«, sagte er augenzwinkernd.

»Dann möchte ich ihn damit überraschen, dass Madame de Valois mich in die Niederlande begleitet!«

Von Polheim stützte das Kinn in die Hand und überlegte. »Was Euren Vater betrifft … ich müsste natürlich noch seine Zustimmung einholen … sehe ich keine Bedenken. Die Erlaubnis König Charles’ ist jedoch unerlässlich.«

Aline war die Farbe aus dem Gesicht gewichen.

»Was meint Ihr, wenn wir König Charles mitteilen, dass seine Halbschwester auf jeglichen Unterhalt verzichtet und sich fern von Politik halten werde? Könnten diese Zugeständnisse eine Einwilligung begünstigen?«

Von Polheim schmunzelte. »Gewiss, Madame, Ihr scheint die Schwächen Eures ehemaligen Gatten zu kennen! Durch Madame Alines Abreise ersparte er sich den Brautschatz an ein Kloster.«

Dann wandte er sich an Aline und fügte scherzend hinzu: »Seid froh, Madame, dass Ihr kein Mann seid! Währet Ihr ein männlicher Bastard, hätte man Euch zwar schon in jungen Jahren einen Kardinalshut aufgesetzt … Aber es geht das Gerücht, dass Euer Halbbruder in Kürze zu einem Kreuzzug über die Alpen aufbrechen wird. Ihr müsstet ihm durch ganz Italien folgen und wer weiß, was Euer Los wäre!«

Drei Augenpaare sahen von Polheim verblüfft an. »Ein Kreuzzug?«

»Ja richtig, Charles hat sich schon immer in die Gunst des Papstes einschmeicheln wollen«, entschlüpfte es Margot. »Dafür braucht er also seine Söldner! Die Zeit ist somit reif für einen Frieden mit meinem Vater?«

»Ihr sagt es, Madame! Wir müssen die günstigen Umstände nützen.«

3 Heimkehr in die Niederlande

Dumpf fiel das Eichenportal ihres Kerkers hinter Margot ins Schloss, als sie zusammen mit Aline und ihrer Gouvernante den Burghof betrat. Sie hielt den Atem an. Im milden Licht des Junimorgens glänzten, so weit ihr Auge reichte, die bunten Wappen von Frankreichs Hochadel auf den Kutschen des Reisezugs. War diese hochmütige Schar etwa gekommen, um sich am Spiel des Abschieds zu vergnügen?

Laut hallten ihre Schritte auf dem Steinpflaster wider, aber noch lauter klopfte ihr Herz. Erhielte sie endlich Charles’ Zustimmung für Alines Abreise oder musste ihre Freundin eilends das Weite suchen, um ihrem Schicksal zu entgehen?

Ein älterer Mann, geputzt wie ein Pfau, strebte auf Margot zu. Sie kniff die Augen zusammen. Nicht doch – Louis von Orléans! Eine letzte Gemeinheit von Charles! Ausgerechnet der Drahtzieher ihrer Verstoßung sollte sie aus dem Kerker geleiten! Margot schluckte den bitteren Geschmack in ihrem Mund hinunter.

Orléans’ geübtes Lächeln erreichte seine Augen nicht, als er sich vor ihr verneigte. Mühsam beherrscht ließ Margot den Schwall höfischer Floskeln über sich ergehen, um ihn auf der Stelle wegen Aline anzusprechen: »Durchlaucht, habt Ihr mir nicht etwas mitzuteilen?«

Orléans griff sich an die Stirn und zog lässig aus seinem scharlachroten Wams ein Schriftstück hervor. »Eure strahlende Erscheinung, Madame, hat mich so gefangen genommen, dass ich Euer Personal vergessen habe.«

Er winkte Aline zu sich und warf ihr einen scharfen Blick zu, als er ihr den königlichen Brief aushändigte. Aline zitterte am ganzen Körper und wäre nicht imstande gewesen, das Siegel zu brechen, hätten Madame de Segrés hilfreiche Hände es nicht für sie erledigt. Nachdem sie den Brief hastig überflogen hatte, entspannten sich ihre Züge und sie nickte Margot erleichtert zu.

»Solltet Ihr eines Tages dieser Dame überdrüssig sein, schickt sie uns nur zurück, ein abgelegenes Kloster wird sie schon aufnehmen! Auf eine Ehe darf sie allerdings nicht hoffen.« Orléans lächelte boshaft.

»Nun geht Ihr zu weit! Ich verbitte mir, meine Gefährtin zu beleidigen!«

»Vergebt mir diesen Scherz, Madame!«

Margot hatte die Bestätigung in der Hand und sah keinen Grund mehr, dem verbohrten Intriganten um den Bart zu streichen. »Natürlich – von Euch ist nichts anderes zu erwarten!« Sie drehte sich auf dem Absatz um und bestieg die Kutsche.

Während Aline in der Kutsche die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken versuchte, schloss Madame de Segré sie in ihre Arme und wiegte sie sanft.

»Wollt Ihr mir nicht endlich sagen, was vor sich geht? Worauf spielt Ihr an?«, fragte Margot besorgt.

Aline löste sich aus Madame de Segrés Umarmung, wischte sich die Tränen ab und brachte mit rasselndem Atem hervor: »Als Kind hat mich ein Mann bei einer Jagd ins Gebüsch gezerrt und mir wehgetan … Es war Orléans. Gottlob ist er damals bald aus Amboise verschwunden … ich habe mich so geschämt, aber habe es dann tief in mir versteckt …«

»… Und jetzt, wo er dir so schamlos begegnet ist, bricht die alte Wunde wieder auf«, ergänzte Margot und strich ihr behutsam über den Kopf.

Als Margots Wangen sich rot vor Wut färbten, griff Madame de Segré ein. »Zermartere dir nicht den Kopf. Gegen Orléans können wir nichts unternehmen. Er ist und bleibt ein mächtiger Mann. Was er getan hat, gilt als Kavaliersdelikt! Nirgends würde man ihn zur Rechenschaft ziehen.«

»Und doch möchte ich ihm gerne zum Abschied etwas sagen, das ihm die Sprache verschlägt.«

»Lass es bitte sein! Er ist der Nächste in der Thronfolge, sollte Charles etwas zustoßen. Mit einer unbedachten Bemerkung könntest du deinem Haus nur schaden.«

»Wäre ich ein Mann, hätte er es nicht gewagt, so dreist aufzutreten!«

Nach fünf Reisetagen wurde die Landschaft zusehends trostloser und die Straßen übler. Der Wagen rüttelte, die Räder sprangen und polterten durch Rinnen und Schlaglöcher. Fassungslos blickten Margot und Aline auf verbrannte Wälder und zerstörte Häuser.

»Wir nähern uns der niederländischen Grenze!«, bemerkte die Gouvernante. »Charles hat das Land in Schutt und Asche legen lassen, damit den Truppen deines Vaters nicht eine gefüllte Kornkammer in die Hände fällt.«

»Was ist mit den Menschen geschehen, die hier gewohnt haben?«, fragte Margot.

»Die haben betteln gehen müssen und man sagt, dass viele an Hunger gestorben sind.«

Entlang brachliegender Felder blieb der Reisezug ruckartig stehen. Grobschlächtige, zerlumpte Kerle mit Spießen und Äxten strebten auf Margots Kutsche zu. Sogleich preschte eine französische Eskorte herbei und umringte den Wagen. Es hagelte Flüche.

»Keine Angst, meine Damen, es sind herumstreunende Söldner, die seit dem Friedensschluss auf Beutezug sind!«, rief der Kommandant in den Wagen.

»Wir werden ihnen schnell den Garaus …«

Eine Salve von Schüssen aus Hakenbüchsen schnitt ihm das Wort ab.

Einige der zerlumpten Gestalten stürzten, die anderen rannten um ihr Leben. Madame de Segré schloss das Kutschenfenster und zog rasch die Gardinen vor.

»Vorwärts, marsch!« Der Kutscher ließ die Peitschen knallen und der Wagen holperte über den Weg.

Margot und Aline zitterten und blickten zu Madame de Segré.

»Der Kommandant hat rechtmäßig gehandelt! Dieses Lumpenpack! Nicht viel besser als gedungene Mörder!«

Nachdenklich lupfte Margot einen Zipfel des Vorhangs und spähte hinaus. Einige Söldner trugen blutige Verbände. »Nun, sie haben für ihren Herrscher gekämpft …«

»Ach wo! Ihr einziges Ziel ist es, am Leben zu bleiben und sich zu bereichern. Es geht ihnen nicht um die gerechte Sache!«, konterte Madame de Segré.

Schweigend setzten sie ihre Reise fort. Margot war eingedöst, als sie ihre Gouvernante kurz vor der niederländischen Grenze sanft weckte. »Margot, ich möchte von dir Abschied nehmen, bevor wir aussteigen.«

Die Kutsche war bereits zum Stillstand gekommen. Sie schlug die Arme um Margot und drückte sie an sich. »Ich bin so stolz darauf, dich großgezogen zu haben. Du bist zu einer eigenständigen, anziehenden Prinzessin herangereift.« Tränen stiegen ihr in die Augen. »Möge Gott dich weiterhin beschützen! Er hat gewiss Großes mit dir vor!«

Schon öffnete jemand geräuschvoll die Kutschentür. In aller Eile zog Margot eine Schatulle aus ihrem Seidenbeutel hervor. »Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll für Eure selbstlosen Dienste in all den Jahren.« Ihre Augen wurden feucht und sie drückte Madame de Segré ihr Abschiedsgeschenk in die Hände. »Diese Reliquie soll Euch beschützen!«

Sie stiegen aus und stellten sich vor der Kutsche auf. Während Louis von Orléans und seine Begleitung zum Abschied vor Margot defilierten, rückte die niederländische Eskorte heran. Etwa fünfzig berittene Bogenschützen postierten sich an beiden Seiten des Reisezugs.

Margot war jetzt hellwach. Seit zwei Jahren hatte sie sich immer wieder diesen Moment der Heimkehr in den leuchtendsten Farben ausgemalt. Nun war es so weit. Würde die Wirklichkeit ihren Erwartungen standhalten?

Vor ihr ließ sich ein junger Mann vom Pferd gleiten. Er hatte breite Backenknochen, eine starke Unterlippe und roch nach teurem Moschus. »Willkommen in den Niederlanden, Schwester!«, sagte er mit glänzenden Augen. Er nahm sie in die Arme und schien so überwältigt, dass er sie für einen Moment nur sprachlos anstarrte. »Niemand kann leugnen, dass wir Geschwister sind! Aber wie bezaubernd du bist!«

Margot schmiegte sich an ihn und genoss den Moment des Glücks. Sie war nicht mehr allein. Sie hatte eine Familie.

Als die ersten Fanfaren ertönten, lösten sich die Geschwister aus der Umarmung. Philipp hielt Margots Hand noch umklammert, während sich Männer in purpurnen Mänteln mit schweren Goldketten vor ihr verneigten. Das sind also die Vliesritter, die Elite der Niederlande, schoss es Margot durch den Kopf.

»Willst du in einer Sänfte in Valenciennes einziehen oder lieber mit mir reiten?«

»Philipp, das Reiten wird mir guttun und ganz besonders an deiner Seite!«

Sie sah sich um und winkte Aline herbei, die einige Schritte hinter ihr stand. »Darf ich dir Aline de Valois vorstellen, meine einzige Freundin, die meine Gefangenschaft mit mir geteilt und mein Elend erleichtert hat. Sie reist gerne in der Sänfte.«

»Es freut mich, Euch willkommen zu heißen in meinem Land, Madame de Valois!«

Galant half er ihr hoch aus dem Knicks und bedeutete einem Edelmann, sie zur Sänfte zu begleiten. »Später werden wir mehr Gelegenheit haben, einander kennenzulernen«, rief er ihr mit einem Lächeln zu.

Philipp reichte seiner Schwester die Hand und zusammen begaben sie sich zur Spitze des Zuges. Er half Margot auf den Sattel eines prächtig geschmückten Zelters. In gemächlichem Trab ritten sie, durch die von der abendlichen Sonne vergoldete Landschaft. Zu beiden Seiten erstreckten sich saftgrüne Wiesen, auf denen fette Kühe weideten. Es roch nach frischem Gras, vermischt mit Dung.

»Es ist herrlich, auf diese unversehrten Landschaften zu blicken! In Frankreich habe ich überwiegend vom Krieg verheerte Gebiete gesehen.«

»Liebe Schwester, auch bei uns ist ein Großteil des Landes zerstört. Ich habe aber für deine Heimkehr einen lieblichen Weg gewählt!«

»Haben die Franzosen das Land verwüstet?«

»Nur teilweise, Margot! Die meisten Zerstörungen hat unser Vater verursacht, weil man ihn nicht als rechtmäßigen Erben der Niederlande anerkannt hat. Er hat das Land zwar in die Knie gezwungen, aber den Handel lahmgelegt und ganze Landstriche der Hungersnot und den Seuchen preisgegeben.«

Sie zuckte zusammen. »Wie ist unser Vater als Mensch?«

»Margot, auch ich bin ihm niemals begegnet. Kriege zu führen und Länder zu erobern waren für ihn wichtiger als sein Sohn. Ja, manchmal habe ich ein ermahnendes Schreiben von ihm erhalten.«

Philipps Augen wirkten seltsam verschleiert. Er hatte sich wohl jahrelang nach seinem Vater gesehnt. Wie jeder Junge wäre er gern mit ihm auf die Jagd gegangen und hatte nach Anerkennung gefiebert. Auch sie hatte damals in Amboise in ihren Tagträumen manchmal Zwiegespräche mit Maximilian geführt und sich vorgestellt, dass er sie in die Arme nehmen und loben würde. Philipps Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

»Hierzulande will man den römischen König loswerden und mich als Herzog einsetzen. Er wird ja bald zu meinem Einhuldigungsfest eintreffen, dann werden wir ihn schon kennenlernen. Mach dich darauf gefasst, dass er für unser zukünftiges Leben bereits Pläne hat. Aber vorerst wollen wir noch unsere Freiheit genießen!«