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Keine andere Liebesgeschichte hat das Publikum auf der ganzen Welt so mitgerissen wie diese große Saga um die verwöhnte Scarlett O'Hara und ihren zynischen Verehrer Rhett Butler.Mit einzigartiger Intensität zeichnet Margaret Mitchell nach, wie eine große Liebe zerbricht und lässt gleichzeitig eine längst vergangene Epoche lebendig werden. Die Südstaatlerin Scarlett O'Hara ist jung und vom Leben verwöhnt. Als Tochter eines Plantagenbesitzers lebt sie im Luxus auf dem Familiengut Tara, und es mangelt ihr nicht an Verehrern. Doch der Ausbruch des Bürgerkriegs verändert mit einem Schlag alles. Plötzlich muss Scarlett mit aller Kraft um die Erhaltung ihres Familienbesitzes kämpfen. Ein Mann taucht immer wieder in ihrem Leben auf und steht ihr in den Wirren der Nachkriegszeit bei: der skrupellose Kriegsgewinnler Rhett Butler. Zwischen ihm und Scarlett entwickelt sich eine große Liebe, doch beide sind auch viel zu stolz und eigensinnig, um diese Liebe zu leben... Margaret Mitchells Klassiker wurde sofort nach Erscheinen im Jahre 1936 zum Bestseller und hat seitdem Millionen Leser auf der ganzen Welt begeistert. Die legendäre Verfilmung drei Jahre später machte Vivien Leigh als Scarlett und Clark Gable als Rhett zum berühmtesten Liebespaar der Filmgeschichte.
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Das Buch
Erzählt wird die Geschichte der Südstaatlerin Scarlett O’Hara, Tochter eines Plantagenbesitzers, die während des Amerikanischen Bürgerkrieges (1861–65) und in den Wirren der Nachkriegszeit mit aller Kraft um die Erhaltung ihres Familienbesitzes kämpft. Zwischen ihr und dem skrupellosen Rhett Butler, der im Krieg reich wird, entwickelt sich eine große Liebe, die jedoch keine Erfüllung finden kann. Diese abenteuerlich-romantische Liebesgeschichte zur Zeit der Sezession wurde zum Klassiker unter den amerikanischen Bestsellern. Bereits im ersten Halbjahr nach ihrem Erscheinen im Jahre 1936 verkauften sich 500000 Exemplare. Drei Jahre darauf folgte die berühmte Verfilmung des Romans mit Vivien Leigh und Clark Gable.
Die Autorin
Margaret Mitchell wurde am 8. November 1900 in Atlanta, Georgia, geboren. Sie stammt aus einer alten Südstaatenfamilie. Zunächst arbeitete sie als Journalistin, bis sie nach einem Autounfall das Haus hüten mußte. In dieser Zeit begann sie, ihren einzigen Roman zu schreiben, an dem sie zehn Jahre lang arbeitete. 1937 erhielt sie den Pulitzer-Preis. 1949 wurde sie von einem Taxi überfahren und starb kurz darauf an den Folgen.
Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras,
er blühet wie eine Blume auf dem Felde;
wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da,
und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.
Psalm 103
Scarlett O’Hara war nicht eigentlich schön zu nennen. Wenn aber Männer in ihren Bann gerieten, wie jetzt die Zwillinge Tarleton, so wurden sie dessen meist nicht gewahr. Allzu unvermittelt zeichneten sich in ihrem Gesicht die zarten Züge ihrer Mutter, einer Aristokratin aus französischem Geblüt, neben den derben Linien ihres urwüchsigen irischen Vaters ab. Dieses Antlitz mit dem spitzen Kinn und den starken Kiefern machte stutzen. Zwischen den strahlenförmigen, schwarzen Wimpern prangte ein Paar blaßgrüner Augen ohne eine Spur von Braun. Die äußeren Winkel zogen sich ein klein wenig in die Höhe, und auch die dichten, schwarzen Brauen darüber verliefen in einer scharf nach oben gezogenen, schrägen Linie von jener magnolienweißen Haut, die in den Südstaaten so geschätzt und von den Frauen Georgias mit Häubchen, Schleiern und Handschuhen ängstlich vor der sengenden Sonne geschützt wird.
Reizend war der Anblick dieses Mädchens, wie es an einem sonnigen Aprilnachmittage des Jahres 1861 auf Tara, der Plantage ihres Vaters, mit Stuart und Brent Tarleton im kühlen Schatten der weiten, offenen Veranda vor der Eingangstür des Hauses saß. Ihr neues Kleid aus grün geblümtem Musselin paßte genau zu den niedrigen grünen Maroquinschuhen, die ihr Vater ihr kürzlich aus Atlanta mitgebracht hatte. Zwölf Meter dieses duftigen Gewebes umbauschten mit der Krinoline ihre Hüften, so daß die ganze Schlankheit ihrer Taille, die in der Provinz ihresgleichen suchte, zur Geltung kam. Das knapp sitzende Mieder umschloß eine für Scarletts sechzehnjährige Jugend wohlgerundete Brust. Aber was halfen die Fülle des Kleides, das glatt zurückgestrichene Haar, der sauber im Netz festgehaltene Knoten, die Ruhe, mit der die kleinen weißen Hände im Schoß gefaltet lagen! Hinter so viel Sittsamkeit verbarg sich nur mühsam ihre wahre, unbändige Natur. In den grünen Augen blitzte und trotzte es und hungerte nach Leben, sowenig der mit Bedacht gehütete, sanfte Gesichtsausdruck und die ehrbare Haltung es auch zugeben wollten. Das Benehmen war ihr von ihrer Mutter in milden Ermahnungen, von ihrer Amme in weit strengerer Zucht beigebracht worden. Die Augen aber waren ihr eigen. Zu ihrer Rechten und Linken lagen lässig in ihre Sessel zurückgelehnt die beiden Tarletons. Durch die hohen Gläser voll Pfefferminz-Whisky blinzelten sie in die Sonne, lachten und schwatzten vergnügt und hatten die langen, vom Reiten gestählten, bis ans Knie gestiefelten Beine bequem übereinandergeschlagen. Beide waren sie neunzehn Jahre alt und über sechseinhalb Fuß hoch, hatten lange Knochen und feste Muskeln, sonnverbrannte Gesichter, kastanienrotes Haar und lustige, herrische Augen; beide steckten in den gleichen blauen Jacken und senffarbenen Reithosen und glichen einander wie eine Baumwollkapsel der anderen.
Draußen sandte die späte Nachmittagssonne schräge Strahlen auf den Parkrasen vor dem Haus und übergoß die Ligustersträucher mit prangendem Licht, ein undurchdringliches, weißes Blütenmeer vor dem saftigen Grün. Die Pferde der Zwillinge, große Tiere und ebenso rot wie das Haar ihrer Herren, waren in der Einfahrt angebunden. Zwischen ihren Beinen balgte sich eine Meute nervöser, magerer Jagdhunde, die Stuart und Brent auf Schritt und Tritt begleiteten. Etwas abseits, wie es sich für einen Aristokraten gehört, lag ein schwarzgesprenkelter Dalmatiner, die Schnauze auf den Pfoten, und wartete geduldig darauf, daß die jungen Herren zum Abendbrot nach Hause ritten.
Zwischen Hunden, Pferden und Zwillingen bestand eine tiefere Verwandtschaft, als sie aus beständigem Zusammensein hervorgehen kann. Alle miteinander waren es gesunde, temperamentvolle Tiere von geschmeidiger Anmut und unbeschwert von Gedanken, die Burschen ebenso reizbar wie die Pferde, die sie ritten, feurig und gefährlich und dabei fügsam, sobald jemand mit ihnen umzugehen verstand.
Obwohl sie in der Sorglosigkeit des Plantagenlebens geboren und seit frühester Kindheit nie ohne Begleitung gewesen waren, hatten die drei auf der Veranda weder schlaffe noch weiche Gesichter. Es lag etwas von der Kraft und Wachheit der Landleute darin, die ihr ganzes Leben im Freien zubringen und sich den Kopf wenig mit dem Gewicht der Bücher beschweren. In der Provinz Clayton, im nördlichen Georgia, waren die Lebensformen nach Maßstäben von Augusta, Savannah und Charleston etwas rauh, und gesetztere ältere Kreise des Südens blickten sehr von oben herab auf die Leute von Ober-Georgia; aber hier im Norden des Staates waren Mängel in den Feinheiten klassischer Erziehung keine Schande, wenn man nur schneidig in dem war, worauf es ankam: eine tadellose Baumwolle züchten, gut reiten, sicher schießen, gewandt tanzen, den Damen elegant den Hof machen und wie ein Gentleman seinen Schnaps vertragen.
In allen diesen Künsten waren die Zwillinge ebenso Meister wie in der schon berüchtigten Findigkeit, mit der sie allem, was zwischen Buchdeckeln beschlossen ist, aus dem Wege zu gehen wußten. Ihre Familie hatte mehr Geld, mehr Pferde und Sklaven als alle anderen in der Provinz, aber sie, die Söhne, wußten von der Grammatik weniger als die mittellosen weißen Kleinfarmer und Trapper aus der Nachbarschaft.
Und gerade darum stahlen Stuart und Brent an jenem Aprilnachmittag zu Tara ihrem Herrgott die Zeit. Sie waren soeben von der Staatsuniversität Georgias ausgewiesen worden, der vierten Universität, die sie im Laufe zweier Jahre hinausgeworfen hatte, und ihre beiden älteren Brüder Tom und Boyd waren mit ihnen heimgekommen, weil sie in einer Anstalt, wo die Zwillinge nicht gern gesehen wurden, nicht bleiben wollten. Stuart und Brent betrachteten ihre letzte Relegation als einen Hauptspaß, und Scarlett, die freiwillig kein Buch geöffnet, seitdem sie im Jahre vorher die Töchterschule in Fayetteville verlassen hatte, fand es geradeso lustig wie sie.
»Euch beiden macht es doch nichts aus, daß ihr hinausgeworfen seid, und Tom auch nicht«, sagte sie, »aber wie steht es mit Boyd? Er ist doch wohl auf Bildung versessen, und ihr beide habt ihn nun von den vier Universitäten der Staaten Virginia, Alabama, Süd-Carolina und Georgia vertrieben. In diesem Tempo wird er niemals fertig.«
»Oh, er kann ja drüben in Fayetteville in Richter Parmalees Büro weiterstudieren«, antwortete Brent obenhin. »Übrigens, was liegt daran, wir hätten ohnehin vor Semesterschluß nach Hause gemußt.«
»Warum denn?«
»Wegen des Krieges, Gänschen! Er kann jeden Tag losgehen, und glaube doch nicht, daß irgend jemand von uns weiterstudiert, wenn es Krieg gibt.«
»Du weißt ganz genau, daß es keinen Krieg gibt!« Scarlett langweilte sich. »Das ist doch alles nur Gerede. Ashley Wilkes und sein Vater haben Pa doch gerade vorige Woche erzählt, daß unsere Unterhändler in Washington wegen der Konföderierten Staaten mit Mr. Lincoln zu einem … einem Freundschaftsvergleich kommen würden, und überhaupt haben die Yankees viel zu große Angst, mit uns zu kämpfen. Es gibt keinen Krieg, und ich habe es satt, davon zu hören.«
»Keinen Krieg?« Die Zwillinge waren entrüstet, als sollte ihnen etwas, was ihnen zustand, unterschlagen werden.
»Aber Kind, natürlich gibt es Krieg«, sagte Stuart, »die Yankees mögen noch so bange vor uns sein, aber nachdem General Beauregard sie vorgestern aus Fort Sumter hinausgetrommelt hat, müssen sie einfach kämpfen, wenn sie nicht vor aller Welt als Feiglinge dastehen wollen. Siehst du, die Konföderierten Staaten …«
Scarlett langweilte sich sehr und verzog vor Ungeduld den Mund.
»Wenn ihr noch einmal ›Krieg‹ sagt, gehe ich ins Haus und mache die Tür zu. Nie im Leben habe ich ein Wort so satt gehabt. Pa redet morgens, mittags und abends davon, und alle Herren, die ihn besuchen, schwatzen von Fort Sumter und dem Recht der Staaten und Abe Lincoln, daß es zum Auswachsen ist, und auch die Jungens reden nur davon und von ihrer dummen Truppe. Ich habe mich auf keiner Gesellschaft mehr amüsiert, weil die Jungens von nichts anderem mehr reden können. Ich bin nur froh, daß Georgia mit seiner Lostrennung bis nach Weihnachten gewartet hat, sonst wäre mir die Weihnachtsgesellschaft auch noch verleidet worden. Wenn ihr wieder ›Krieg‹ sagt, gehe ich hinein.«
Es war ihr voller Ernst. Sie konnte keine Unterhaltung lange ertragen, in der sie nicht der Hauptgegenstand war. Aber doch lächelte sie zu ihren Worten und wußte es dabei wohl einzurichten, daß ihre Grübchen noch tiefer wurden und ihre schwarzen Strahlenwimpern flink wie Schmetterlingsflügel auf und nieder klappten. Die Jungens waren entzückt und baten eilends um Entschuldigung, daß sie sie gelangweilt hatten. Angesichts solcher Teilnahmslosigkeit schätzten sie Scarlett keineswegs geringer, sondern eher noch höher. Der Krieg war Sache des Mannes, nicht der Frau, und Scarletts Verhalten war ihnen ein Beweis für ihre weibliche Natur.
So hatte sie sie glücklich von dem langweiligen Thema wegmanövriert und kam nun voller Eifer auf die unmittelbare Gegenwart zurück: »Was hat eure Mutter dazu gesagt, daß ihr wieder geflogen seid?« Den beiden war diese Frage sichtlich unbehaglich. Ihnen fiel wieder ein, wie ihre Mutter sich vor einem Vierteljahr verhalten hatte, als sie von der Universität Virginia weggemußt hatten.
»Nun«, sagte Stuart, »sie hatte noch gar keine Gelegenheit, etwas zu sagen. Tom ist heute morgen ganz früh, ehe sie aufstand, mit uns weggegangen und sitzt nun bei Fontaines herum, während wir hier sind.«
»Hat sie nichts gesagt, als ihr gestern nach Hause kamt?«
»Gestern abend hatten wir Glück. Gerade ehe wir einliefen, war der neue Hengst angekommen, den Ma vor vier Wochen in Kentucky gekauft hatte, und zu Hause stand alles auf dem Kopf. Das Riesenvieh – ein fabelhaftes Pferd, Scarlett, dein Vater muß herüberkommen und es sich ansehen – hatte auf dem Weg hierher schon dem Stallknecht ein großes Stück Fleisch weggebissen, und zwei von den Schwarzen, die es in Jonesboro von der Bahn holten, hatte es geschlagen. Und gerade ehe wir ankamen hatte der Hengst so ungefähr seine ganze Box zerkeilt und dann noch Strawberry, Mas alten Hengst, schwer verletzt. Als wir kamen, war Ma mit einer Tüte voll Zucker draußen im Stall, um ihn zu beruhigen, und das versteht sie, kann ich dir sagen. Die Schwarzen baumelten von den Dachsparren herunter, und die Augen quollen ihnen vor lauter Angst aus dem Kopf, aber Ma redete dem Pferd zu, als wäre es ein Mensch, und es fraß ihr aus der Hand. Niemand wird mit Pferden fertig wie Ma. Als sie uns sah, sagte sie: ›Um Himmels willen, was macht ihr vier denn wieder zu Hause, ihr seid ja ärger als die zehn Plagen Ägyptens!‹ Und dann fing das Pferd wieder an zu schnauben und zu steigen, und sie sagte: ›Raus hier, seht ihr denn nicht, wie nervös er ist? Um euch kümmere ich mich morgen früh!‹ Wir gingen also zu Bett, und heute morgen waren wir schon weg, ehe sie uns erwischen konnte, und ließen Boyd zurück, um mit ihr fertig zu werden.«
»Meinst du, sie schlägt Boyd?« Scarlett konnte sich, wie die ganze übrige Nachbarschaft, nie an die Art gewöhnen, wie die kleine Mrs. Tarleton mit ihren großen Jungens umsprang und ihnen sogar eins mit der Reitpeitsche überzog, wenn es ihr angebracht erschien.
Beatrice Tarleton war eine vielbeschäftigte Frau. Sie hatte nicht nur eine der größten Baumwollplantagen, hundert Neger und acht Kinder auf dem Hals, sondern obendrein die größte Gestütfarm des Staates. Sie war von heftiger Gemütsart und geriet leicht in Zorn, wenn ihre Söhne etwas ausfraßen, und während niemand ein Pferd oder einen Sklaven schlagen durfte, war sie der Überzeugung, den Jungens könnten ein paar Hiebe dann und wann nichts schaden.
»Auf keinen Fall schlägt sie Boyd, den hat sie nie viel geschlagen, weil er der Älteste ist und außerdem der Kleinste aus dem Wurf.« Stuart war sehr stolz auf seine sechseinhalb Fuß. »Darum haben wir ihn ja gerade zu Hause gelassen, damit er ihr die Sache erklärt. Zum Teufel, Ma sollte uns nicht mehr verhauen, wir sind neunzehn und Tom einundzwanzig, und sie geht mit uns um, als wären wir sechsjährige Kinder.«
»Reitet eure Mutter morgen den neuen Hengst zum Gartenfest bei Wilkes?«
»Sie möchte schon, aber Pa findet es zu gefährlich. Außerdem erlauben es ihr die Mädchen nicht, sie meinen, sie sollte wenigstens einmal auf eine Gesellschaft im Wagen fahren wie eine Dame.«
»Hoffentlich regnet es morgen nicht«, sagte Scarlett, »eine Woche lang hat es nun fast täglich geregnet. Es gibt nichts Schlimmeres als ein Gartenfest, aus dem ein Picknick im Hause wird.«
»Oh, morgen ist es klar und heiß wie im Juni«, sagte Stuart. »Sieh dir doch den Sonnenuntergang an, so rot habe ich noch keinen gesehen. Nach dem Sonnenuntergang läßt sich immer das Wetter voraussagen.«
Sie blickten hinaus auf die endlosen Morgen frisch gepflügter Baumwollfelder vor dem roten Horizont – Gerald O’Haras Eigentum. Als die Sonne blutigrot hinter den Bergen jenseits des Flintflusses langsam niedersank, verebbte der warme Apriltag in einem schwachen, fast wohltuenden Frösteln.
Der Frühling war früh gekommen dieses Jahr, mit warmen, belebenden Regengüssen, unter denen die Pfirsichbäume zu lauter rosa Blüten aufgeschäumt waren und die Ligusterbüsche die dunklen Flußufer und die fernen Hügel mit weißen Sternen übersprühten. Das Land war fast fertig gepflügt, und die blutrote Pracht des Sonnenuntergangs färbte die frischen Furchen in der roten Erde Georgias immer noch röter. Der feuchte, aufgewühlte Boden hungerte nach Baumwollsamen, der sandige Grat der Furchen leuchtete rosig, an der beschatteten Seite glühte es Scharlach- und kastanienfarbig. Das weiß verputzte Backsteinhaus lag wie eine Insel in dem wilden, roten Meer, zwischen züngelnden, schwellenden, sich bäumenden Wogen, die in dem Augenblick, da ihr rosa gesprenkelter Kamm in Gischt aufbranden wollte, versteint waren. Hier gab es nicht die langen, geraden Furchen wie in den gelben Lehmfeldern des flachen Mittel-Georgia oder in der lockeren Erde der Küstenplantagen. Das wellige Land in den Vorbergen Nord-Georgias wurde in Millionen Kurven gepflügt, damit der schwere Boden nicht in die Sümpfe am Fluß geschwemmt werde. Das Land war von beängstigender Röte: nach Regenfällen rot wie Blut, in der Dürre verwandelt in ziegelfarbenen Staub – der beste Baumwollboden der Welt. Es war ein liebliches Gelände mit weißen Häusern, friedlich gepflügten Feldern und trägen, gelben Flüssen, doch ein Land voller Gegensätze, von blendendstem Licht und tiefstem Schatten. Die Rodungen für die Plantage, die meilenweiten Baumwollfelder lächelten gelassen zur heißen Sonne empor. Am Rande ragten die Urwälder, dunkel und kühl selbst am heißesten Mittag, geheimnisvoll, unheimlich fast. Die säuselnden Pechkiefern warteten in zeitloser Geduld und drohten wie mit leisen Seufzern: Habt acht! Habt acht! Einst wart ihr unser, wir können euch wieder holen!
Den drei jungen Leuten vor der Haustür schlug Hufgetrappel, das Klirren von Geschirrketten und schrilles Kinderlachen von Negerstimmen ans Ohr, als die Knechte mit den Maultieren vom Felde kamen. Aus dem Hause schwoll die sanfte Stimme von Scarletts Mutter Ellen O’Hara heraus, wie sie nach dem kleinen schwarzen Mädchen rief, das ihren Schlüsselkorb trug. Die hohe Kinderstimme antwortete: »Jawohl, Missis!«, und sie hörten Schritte von der Hintertüre nach dem Räucherhause gehen, wo Ellen um diese Zeit den heimkommenden Knechten das Abendbrot zuteilte. Porzellan klirrte, Bestecke klapperten – Pork, der Diener auf Tara, deckte den Tisch zum Abendessen.
Die Zwillinge merkten, daß es an der Zeit war, nach Hause zu gehen; aber sie hatten durchaus kein Verlangen danach, ihrer Mutter unter die Augen zu treten, und konnten sich von der Hoffnung, Scarlett werde sie zum Abendessen einladen, noch immer nicht trennen.
»Hör mal, Scarlett«, sagte Brent, »daß wir weg waren und von dem Gartenessen und dem Ball nichts wußten, ist noch lange kein Grund, daß du für morgen abend nicht einen Haufen Tänze für uns freihältst. Du hast doch nicht etwa alle vergeben?«
»Doch, das habe ich! Wie sollte ich wissen, daß ihr alle zu Hause sein würdet? Sollte ich es euretwegen darauf ankommen lassen, Mauerblümchen zu spielen?«
»Du – ein Mauerblümchen!« Die Burschen lachten schallend. »Paß auf, Goldkind, mir mußt du den ersten Walzer geben und Stu den letzten, und dann mußt du mit uns zu Tisch gehen, wir setzen uns auf den Treppenabsatz wie auf dem letzten Ball, und Mammy Jincy muß wieder kommen und uns wahrsagen.«
»Mammy Jincys Wahrsagungen mag ich aber nicht, sie prophezeite mir einen Mann mit kohlschwarzem Haar und langem, schwarzem Schnurrbart, und ich mag keine schwarzen Männer.«
»Aber rothaarige, was?« grinste Brent. »Komm, versprich uns sämtliche Walzer und das große Abendessen.«
»Wenn du sie uns versprichst, sagen wir dir ein Geheimnis«, sagte Stuart.
»Was?« Scarlett horchte auf wie ein kleines Kind.
»Meinst du, was wir gestern in Atlanta gehört haben, Stu? Aber wir haben versprochen, es nicht zu erzählen.«
»Nun ja, aber Miß Pitty hat es uns doch auch gesagt.«
»Miß wer?«
»Ashley Wilkes’ Cousine, die in Atlanta lebt, Miß Pittypat Hamilton, Charles und Melanie Hamiltons Tante.«
»Ich weiß schon, die albernste alte Dame, die ich in meinem Leben gesehen habe.«
»Als wir gestern in Atlanta waren und auf den Zug warteten, fuhr sie am Bahnhof vorbei, ließ halten und sprach mit uns. Sie hat uns erzählt, daß morgen abend auf dem Ball bei Wilkes eine Verlobung verkündet werden soll.«
»Ach, das weiß ich längst«, sagte Scarlett enttäuscht. »Ihr langweiliger Neffe, dieser Charles Hamilton, und Honey Wilkes; seit Jahren weiß das jedermann, wenn er die Sache auch etwas lau betrieben hat.«
»Findest du ihn denn langweilig?« wollte Brent wissen. »Weihnachten hast du ihn reichlich um dich herumschwänzeln lassen.«
»Was soll ich machen, wenn er schwänzelt«, Scarlett zuckte gleichgültig die Achseln. »Ich finde, er ist ein richtiger Waschlappen.«
»Übrigens soll gar nicht seine Verlobung verkündet werden«, triumphierte Stuart, »sondern Ashleys mit Charlies Schwester, Miß Melanie!«
In Scarletts Gesicht veränderte sich nichts, nur ihre Lippen wurden weiß wie bei jemandem, der unvorbereitet einen betäubenden Schlag empfängt und im ersten Augenblick des Schreckens nicht faßt, was ihm geschieht. Sie sah Stuart so groß und still an, daß er sie einfach für überrascht und interessiert hielt und sich nichts dabei dachte. Ein Seelenkenner war er nie gewesen.
»Miß Pitty sagte, sie hätten gar nicht die Absicht gehabt, es dieses Jahr noch zu veröffentlichen, denn es sei Miß Melly nicht besonders gut gegangen. Aber bei all den Kriegsgerüchten seien beide Familien für baldige Heirat gewesen, darum soll es morgen abend verkündet werden. Also, nun haben wir dir das Geheimnis gesagt, und du mußt uns versprechen, mit uns zu Tisch zu gehen.«
»Natürlich«, antwortete Scarlett mechanisch.
»Und auch alle Walzer?«
»Alle.«
»Süß von dir! Paß auf, die anderen gehen in die Luft! Wetten?«
»Laß sie«, sagte Brent, »wir beide werden schon mit ihnen fertig. Hör mal, Scarlett, laß uns auch mittags beim Gartenessen zusammen sitzen.«
»Was meinst du?«
Stuart wiederholte seine Bitte.
»Natürlich.«
Die Zwillinge sahen einander selig, aber doch einigermaßen überrascht an. Obwohl sie sich als Scarletts begünstigte Verehrer betrachteten, hatten sie doch noch nie zuvor ihre Auszeichnungen so mühelos gewonnen. Gewöhnlich ließ sie sie betteln und flehen, hielt sie hin, sagte weder ja noch nein, lachte, wenn sie grollten, und wurde kühl, wenn sie sich erhitzten. Und nun hatte sie ihnen so gut wie den ganzen morgigen Tag versprochen. Den Platz an ihrer Seite beim Essen, jeden Walzer – und sie wollten schon dafür sorgen, daß jeder Tanz ein Walzer wurde. Das wog schon ihre Entfernung von der Universität auf.
Der Erfolg gab ihnen neuen Mut, sie blieben immer noch ein Weilchen, sprachen von dem Gartenfest und dem Ball, von Ashley Wilkes und Melanie Hamilton, fielen einander ins Wort, rissen Witze und lachten darüber und machten immer neue Anspielungen auf eine Einladung zum Abendessen. So verging die Zeit, und erst allmählich fiel Scarletts Schweigsamkeit ihnen auf. Die Stimmung hatte sich geändert; wie das gekommen war, wußten die Zwillinge nicht, aber der feine Glanz dieses Nachmittags war dahin. Scarlett achtete nicht auf das, was sie sagten, wenn sie auch richtige Antworten gab. Etwas war da, das sie nicht begriffen. Das war ihnen unbehaglich, sie schleppten die Unterhaltung noch eine Weile fort, dann standen sie auf und sahen nach der Uhr.
Die Sonne stand niedrig über den frisch gepflügten Feldern, jenseits des Flusses verdämmerten die schwarzen Umrisse des hohen Waldes. Mauerschwalben flitzten über den Hof, Küken, Enten und Truthühner kamen einzeln und zuhauf vom Feld stolziert und gewatschelt.
»Jeems!« klang Stuarts Ruf. Nach einer Pause kam ein langer schwarzer Junge etwa ihres Alters atemlos ums Haus herumgelaufen und rannte weiter zu den angebundenen Pferden. Jeems war ihr Leibsklave und wie die Hunde auf Schritt und Tritt in ihrer Nähe. Als Kind hatte er mit ihnen gespielt, und zu ihrem zehnten Geburtstag bekamen sie ihn als Eigentum geschenkt. Die Hunde der Tarletons sprangen aus dem roten Staub auf und warteten ungeduldig auf ihre Herren. Die Zwillinge verbeugten sich, gaben Scarlett die Hand und versprachen, morgen rechtzeitig drüben bei Wilkes auf sie zu warten. Dann stiegen sie auf die Pferde und galoppierten die Zedernallee hinunter. Sie winkten mit den Hüten und grüßten rufend zurück. Jeems folgte ihnen.
Als sie auf der staubigen Straße um die Ecke waren, wo man sie von Tara aus nicht mehr sehen konnte, hielt Brent sein Pferd an. Auch Stuart brachte seines zum Stehen, und der Negerjunge hielt ein paar Schritte hinter ihnen. Sobald die Zügel sich lockerten, senkten die Pferde die Hälse, um im zarten Frühlingskraut zu grasen. Die geduldigen Hunde legten sich wieder in den weichen Staub und blickten verlangend nach den Schwalben, die durch die sinkende Dämmerung strichen. Brents breites, offenes Gesicht war verwirrt und gelinde entrüstet.
»Du«, sagte er, »kam es dir nicht auch so vor, als hätte sie uns zum Abendessen einladen wollen?«
»Mir schien, sie hatte es vor«, antwortete Stuart. »Ich habe immer darauf gewartet, aber sie tat es nicht. Verstehst du das?«
»Nein, und ich meine, sie hätte es ruhig tun sollen. Schließlich ist es unser erster Tag, und sie hat uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Wir haben ihr doch noch so viel zu erzählen.«
»Mir schien, sie freute sich mächtig, als wir kamen.«
»Mir auch.«
»Und dann wurde sie plötzlich still, als ob sie Kopfweh hätte!«
»Ich habe es auch gemerkt, aber nicht weiter darauf geachtet. Was mag ihr gefehlt haben?«
»Ob wir etwas gesagt haben, was sie geärgert hat?«
Beide dachten scharf nach.
»Mir fällt nichts ein. Wenn Scarlett wütend ist, merkt man es immer sofort. Sie hält nicht an sich wie andere Mädchen.«
»Stimmt, das mag ich gern an ihr. Sie geht nicht mit verbissenem Gesicht umher, wenn sie wütend ist, sondern sagt, was los ist; aber irgend etwas müssen wir gesagt oder getan haben, was ihr in die Quere kam. Ich könnte schwören, daß sie eigentlich vorhatte, uns zum Abendessen dazubehalten.«
»Es kann doch wohl nicht deswegen sein, weil wir rausgeworfen worden sind?«
»Zum Teufel, sei nicht so dumm, sie hat sich doch ausgeschüttet vor Lachen, als wir davon erzählten, und außerdem gibt sie auf Bücher und Lernen nicht mehr als wir.«
Brent wandte sich im Sattel um und rief den Negerjungen: »Jeems!«
»Master?«
»Hast du gehört, was wir mit Miß Scarlett sprachen?«
»Nein, nicht, Master Brent! Wie ich dazu kommen, bei Herrschaften spionieren!«
»Mein Gott, spionieren! Ihr Schwarzen wißt doch über alles Bescheid, was vorgeht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, du Schuft, wie du dich um die Ecke geschlängelt und an der Mauer im Jasmingebüsch gesessen hast. Nun also, hast du irgend etwas gehört, was Miß Scarlett hätte wütend machen können?«
Als Jeems sich überführt sah, leugnete er nicht mehr und runzelte seine schwarze Stirn.
»Nein, ich gewiß nichts gehört, was sie wütend machen. Mir kam vor, sie freute sich, Masters zu sehen, und hatte Sie vermißt und zwitscherte lustig wie ein Vögelchen immer und immer, bis wo Masters auf Mr. Ashley und Miß Melly Hamilton kamen und daß sie sich heiraten wollten. Da sein Miß Scarlett auf einmal still wie ein Vogel, wenn oben der Habicht fliegt.«
Die Zwillinge sahen einander an und nickten, begriffen aber nichts.
»Jeems hat recht, aber das verstehe ich nicht«, sagte Stuart. »Mein Gott, Ashley ist ihr doch nicht mehr als ein Freund, in ihn verliebt ist sie nicht. Verliebt ist sie in uns.«
Brent nickte eifrig zustimmend.
»Aber vielleicht«, sagte er, »hat Ashley ihr nichts davon erzählt, und nun ist sie wütend, weil sie es nicht eher erfahren sollte als die anderen Leute. Mädchen nehmen es immer krumm, wenn sie etwas nicht zuerst erfahren.«
»Mag sein, aber was ist denn dabei, es sollte doch eine Überraschung sein, und man hat doch wohl das Recht, seine eigene Verlobung geheimzuhalten.«
»Hätte Mellys Tante nicht geschwatzt, so wüßten wir auch nichts davon. Scarlett muß doch gewußt haben, daß er Miß Melly einmal heiraten will, das wissen wir ja seit Jahren. Wilkes und Hamiltons heiraten immer ihre eigenen Cousinen.«
»Ach was, ich gebe es auf, aber schade, daß sie uns nicht eingeladen hat. Ich sage dir, ich habe keine Lust, nach Hause zu gehen und Ma toben zu hören. Ja, wenn es die erste Ausweisung gewesen wäre!«
»Vielleicht hat Boyd sie inzwischen beruhigt. Du weißt, wie geschickt der Kleine reden kann. Er beschwichtigt sie jedesmal.«
»Kann sein, aber es braucht Zeit, er muß im großen Bogen drum herumreden, bis es bei Ma so durcheinandergeht, daß sie es aufgibt und ihm sagt, er solle seine Stimme für die Anwaltspraxis schonen. Ich wette, Ma ist noch so aufgeregt über den Hengst, daß sie noch nicht einmal gemerkt hat, daß wir wieder da sind, bis sie sich heute abend zu Tisch setzt und Boyd sieht. Dann legt sie sich ins Zeug und speit Feuer. Dann wird es zehn, bis Boyd Gelegenheit hat, zu sagen, es wäre für uns unehrenhaft gewesen, zu bleiben, nachdem der Rektor so mit uns geredet hat. Und dann wird es Mitternacht, bis er sie herumkriegt und sie so wütend über den Rektor wird, daß sie Boyd fragt, warum er ihn nicht niedergeschossen hat. Nein, vor Mitternacht können wir nicht nach Hause.«
Die Zwillinge sahen einander trübselig an. Sie hatten nicht die geringste Angst vor wilden Pferden, Schießereien und dem Zorn ihrer Nachbarn, aber sie hatten einen heillosen Respekt vor ihrer Mutter und der Reitpeitsche, die sie ihnen über die Hosen zu ziehen pflegte.
»Höre«, sagte Brent, »laß uns hinüber zu Wilkes, die freuen sich, wenn wir bei ihnen essen.«
Stuart war mit diesem Vorschlag nicht recht zufrieden. »Nein, lieber nicht, da steht schon alles auf dem Kopf wegen des Festes morgen, und außerdem …«
»Ach, das habe ich ganz vergessen. Nein, da gehen wir lieber nicht hin.«
Sie schnalzten ihren Pferden und ritten schweigend weiter. Stuarts gebräunte Wangen waren vor Verlegenheit rot geworden. Bis zum vorigen Sommer hatte er India Wilkes mit Billigung beider Familien und der ganzen Nachbarschaft den Hof gemacht. Vielleicht hatte man in der Provinz die Hoffnung, die kühle Art India Wilkes’ könnte einen beruhigenden Einfluß auf ihn haben. Stuart hätte die Verbindung wohl eingehen können, aber Brent war nicht einverstanden gewesen. Er mochte India wohl, aber er fand sie reizlos und konnte sich einfach nicht in sie verlieben, nur um Stuart Gesellschaft zu leisten. Die Wege der Zwillinge gingen da zum erstenmal auseinander, und Brent verübelte es seinem Bruder, daß er einem Mädchen den Hof machte, an dem er selbst nicht den geringsten Gefallen fand.
Dann hatten sie beide vorigen Sommer in Jonesboro bei einer Versammlung im Freien plötzlich Scarlett O’Hara gesehen. Sie kannten sie seit Jahren, und in ihrer Kinderzeit war sie ihre beste Spielgefährtin gewesen, denn sie konnte fast ebenso gut wie die beiden reiten und klettern. Nun war sie zu ihrer Verwunderung eine erwachsene junge Dame und obendrein die entzückendste auf der ganzen Welt geworden. Zum erstenmal wurden sie gewahr, wie es in ihren grünen Augen schillerte, wie tief ihre Grübchen waren, wenn sie lachte, was für zierliche Hände und Füße und was für eine schlanke Taille sie hatte. Bei den klugen Bemerkungen der Zwillinge lachte sie fröhlich auf, und beseelt von dem Gedanken, in Scarletts Augen ein ansehnliches Paar vorzustellen, übertrafen die beiden sich selbst. Es war ein denkwürdiger Tag im Leben der Zwillinge. Wenn sie sich später darüber unterhielten, so wunderten sie sich stets, daß ihnen Scarletts Zauber bis dahin entgangen war. Die richtige Antwort darauf fanden sie nie. Die hätte gelautet, daß Scarlett gerade an jenem Tag beschlossen hatte, die beiden auf sich aufmerksam zu machen. Ihrem Temperament war es unerträglich, irgendeinen Mann in irgendeine andere Frau als sich selbst verliebt zu sehen, und der Anblick von India Wilkes und Stuart bei der Versammlung war für ihren Raubtiersinn zuviel gewesen. An Stuart allein hatte sie nicht genug, sie hatte es zugleich auf Brent abgesehen, und zwar so gründlich, daß alle beide überwältigt wurden.
Nun waren sie beide in sie verliebt, und India Wilkes und Letty Munroe aus Lovejoy, der Brent halben Herzens den Hof gemacht hatte, waren bei ihnen gänzlich in den Hintergrund getreten. Was der tun sollte, der Scarlett einmal nicht bekam, falls sie einen von ihnen erhörte, danach fragten sie nicht weiter. Das Hindernis wurde genommen, wenn es soweit war. Für den Augenblick waren sie völlig zufrieden, wieder eines Sinnes über ein Mädchen zu sein; Eifersucht gab es zwischen ihnen nicht. Die Nachbarn hatten ihren Spaß daran, und die Mutter ärgerte sich, denn sie hatte nichts für Scarlett übrig.
»Wenn die schlaue kleine Person einen von euch nimmt, geschieht es euch ganz recht«, sagte sie. »Am Ende nimmt sie euch alle beide, und dann müßt ihr nach Utah ziehen, falls die Mormonen euch haben wollen – was ich mir nicht recht denken kann … Meine einzige Sorge ist, daß ihr euch beide nächstens einmal betrinkt und wegen dieses kleinen, doppelgesichtigen, grünäugigen Frauenzimmers eifersüchtig aufeinander werdet, und dann schießt ihr einander tot. Übrigens gar kein schlechter Gedanke.« Seit jener Versammlung hatte Stuart sich in Indias Gegenwart unbehaglich gefühlt. Nicht, daß India ihm Vorwürfe gemacht oder ihn auch nur durch eine Bewegung hätte fühlen lassen, daß sie sein jähes Abschwenken bemerkt hatte. Dazu war sie zu sehr Dame. Aber Stuart fühlte sich schuldig und befangen vor ihr. India liebte ihn, und das war seine Schuld. Sie liebte ihn immer noch. Er wußte es und hatte tief im Innern das Gefühl, sich nicht ganz als Gentleman benommen zu haben. Er mochte sie noch immer gern und hatte große Hochachtung vor ihrer kühlen Wohlerzogenheit, ihrer Liebe zu Büchern, ihrer Bildung und all den gediegenen Eigenschaften, die sie sonst noch besaß. Aber sie war nun einmal so verdammt farblos und uninteressant und ewig sich selbst gleich neben Scarletts glänzenden, stets wechselnden Reizen. Man wußte immer, wie man mit India daran war, und bei Scarlett hatte man nie die leiseste Ahnung davon. Das reichte wohl hin, einem den Kopf zu verdrehen.
»Gut, gehen wir also zu Cade Calvert zum Abendessen. Scarlett sagte, Cathleen sei aus Charleston zurück. Vielleicht wissen sie etwas Neues über Fort Sumter, was wir noch nicht gehört haben.«
»Cathleen? Nein. Ich wette zehn gegen eins, sie weiß nicht einmal, daß das Fort da draußen im Hafen liegt, und noch viel weniger, daß es voll von Yankees steckte, bis wir sie hinausgeschossen haben. Sie weiß nur von den Bällen, auf denen sie war, und von den Verehrern, die sie um sich versammelt hat, sonst nichts.«
»Es macht aber doch Spaß, sie reden zu hören, und es wäre doch ein Unterschlupf, bis Ma im Bett ist.«
»Teufel, ja! Ich mag Cathleen wohl leiden, sie ist zum Lachen, und ich höre gern etwas über Caro Rhett und die übrige Charlestoner Gesellschaft. Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich noch eine Mahlzeit mit ihrer Yankee-Stiefmutter überstehe.«
»Du mußt nicht ungerecht sein, Stuart, sie meint es gut.«
»Ich bin gar nicht ungerecht, sie tut mir leid, aber Leute, die mir leid tun, kann ich nicht leiden. Und sie macht immer soviel Umstände und sucht das Richtige zu finden, damit man sich gemütlich fühlt, und bringt es fertig, immer genau das Verkehrte zu sagen und zu tun. Sie macht mich verrückt. Und sie hält uns aus den Südstaaten für wilde Barbaren. Das hat sie sogar Ma gesagt, sie hat Angst vor uns. Jedesmal, wenn wir da sind, sieht sie aus, als habe sie eine Todesangst. Sie sitzt auf ihrem Stuhl wie eine gemauserte Henne und hat leere, bange Augen, als wollte sie, sobald nur jemand ihr nahe kommt, anfangen zu gackern und mit den Flügeln zu schlagen.«
»Eigentlich dürftest du nichts gegen sie sagen. Du hast Cade ins Bein geschossen.«
»Ich war betrunken, sonst hätte ich es nicht getan«, sagte Stuart, »und Cade hat es mir nicht nachgetragen, auch Cathleen, Raiford und Mr. Calvert nicht, nur diese Yankee-Stiefmutter zeterte, ich sei ein wilder Barbar, und anständige Leute seien in den Südstaaten ihres Lebens nicht sicher.«
»Trotzdem kannst du nichts gegen sie sagen, denn schließlich hast du Cade doch angeschossen, und er ist ihr Stiefsohn.«
»Deswegen braucht sie mich doch nicht gleich zu beleidigen. Du bist Mas Fleisch und Blut, aber hat sie etwa getobt, als Tony Fontaine dich ins Bein schoß? Nein, sie ließ einfach den alten Dr. Fontaine kommen, dich zu verbinden, und fragte ihn, seit wann denn Tony nicht mehr richtig zielen könne, der Schnaps werde ihm noch seine ganze Schützenkunst verderben. Weißt du noch, wie das Tony wild gemacht hat?«
Die beiden bogen sich vor Lachen.
»Ma ist ein ganzer Kerl«, sagte Brent anerkennend, »man kann immer darauf rechnen, daß sie das Richtige tut und einen nicht vor den Leuten blamiert.«
»Ja, aber es sähe ihr ähnlich, uns heute abend, wenn wir nach Hause kommen, vor Vater und den Mädchen gewaltig zu blamieren«, sagte Stuart düster. »Sieh mal, Brent, das wird wohl heißen, daß wir nicht nach Europa dürfen. Ma hat doch gesagt, wenn wir noch einmal hinausgeworfen werden, dürfen wir unsere große Reise nicht machen.«
»Zum Teufel, was liegt uns schon daran, was gibt es denn Großes in Europa zu sehen? Die dort können uns nichts zeigen, was wir nicht ebensogut in Georgia haben. Ich wette, ihre Pferde sind nicht so schnell und ihre Mädchen nicht so hübsch, und ich weiß genau, daß ihr Whisky bei weitem nicht an Vaters heranreicht.«
»Ashley Wilkes sagt, es gäbe da eine Menge Landschaft und Musik. Der hat Europa gern und spricht immerfort davon.«
»Nun, du weißt ja, wie die Familie ist, sie sind alle so sonderbar mit Musik und Büchern und Landschaften. Ma sagt, das kommt, weil ihr Großvater aus Virginia ist. In Virginia sollen die Leute viel auf so etwas geben.«
»Das schenke ich ihnen. Gib mir ein gutes Pferd zum Reiten, einen guten Schnaps zum Trinken, ein gutes Mädchen für die Liebe und ein böses fürs Vergnügen, dann können die da ihr ganzes Europa behalten … Und wenn wir nun jetzt in Europa wären und es gäbe Krieg, dann kämen wir nicht rechtzeitig nach Hause. Ich gehe tausendmal lieber in den Krieg als nach Europa!«
»Ich auch, lieber heute als morgen … Hör mal, ich weiß, wohin wir zum Abendessen gehen, wir reiten zu Able Wynder und melden uns fertig zum Exerzieren zurück.«
»Das ist ein guter Gedanke. Dort hören wir alles Neue von der Truppe und erfahren endlich, zu welcher Farbe sie sich für die Uniformen entschlossen haben.«
»Wenn es die Zuavenuniform ist, so hol mich der Teufel, wenn ich noch Lust dazu habe. Ich komme mir in den weiten roten Hosen wie ein Waschlappen vor. Die sehen ja aus wie die Flanellhosen bei den Weibern.«
»Wollen denn Masters beide zu Master Wynder?« ließ sich jetzt Jeems vernehmen. »Da gibt es nicht viel Abendbrot, Köchin ist tot und sie noch keine neue kaufen, und nun kochen eine Pflückerin, und die Schwarzen mir erzählen, das die schlechteste Köchin im ganzen Staat.«
»Du meine Güte, warum kaufen sie sich denn keine neue Köchin?«
»Wie sollen denn weißes Bettelpack sich Neger kaufen? Die nie mehr als höchstens vier Stück haben.«
In Jeems’ Stimme klang unverhohlene Verachtung. Seine eigene gesellschaftliche Stellung war gesichert, denn Tarletons besaßen hundert Neger, und wie alle Sklaven der großen Plantagenbesitzer sah er auf die kleinen Farmer herab, die nur wenige Sklaven hielten.
»Ich ziehe dir das Fell über die Ohren!« Stuart war wütend. »Daß du mir Able Wynder nicht ›weißes Pack‹ nennst! Gewiß ist er arm, aber durchaus kein Pack, und hol mich der Teufel, wenn ich erlaube, daß irgend jemand, weiß oder schwarz, wegwerfend von ihm spricht. Einen besseren Mann gibt es nicht in der Provinz. Warum hätte die Truppe ihn sonst zum Leutnant gewählt?«
»Das ich auch nie verstehen«, erwiderte Jeems, der sich durch den Anschnauzer seines Herrn nicht aus der Ruhe bringen ließ. »Ich immer denken, sie wählen alle Offiziere unter den reichen Masters und nicht aus dem Pack vom Unterland.«
»Ich sage dir, es ist kein Pack, willst du ihn etwa mit richtigem weißem Pack wie den Slatterys vergleichen? Able ist nun einmal nicht reich, aber wenn wir alle so viel von ihm halten, daß wir ihn zum Leutnant wählen, dann hat kein Schwarzer über ihn herzuziehen. Die Truppe weiß schon, was sie tut.«
Vor drei Monaten war die Kavallerietruppe aufgestellt worden, an demselben Tag, an dem sich Georgia von der Union lossagte, und von dem Augenblick an hatten die Rekruten nach Krieg geschrien. Einen Namen hatte das Kontingent noch nicht, obwohl an Vorschlägen kein Mangel war. Jeder hatte seine eigenen Gedanken und wollte sie durchaus nicht lassen, ebenso wie jeder bei Farbe und Schnitt der Uniform mitzureden haben wollte. »Die Wildkatzen von Clayton«, »Feuerfresser«, »Husaren von Nord-Georgia«, »Zuaven«, »Jäger aus dem Innern« (obwohl die Truppe mit Pistolen, Säbeln, Jagdmessern und nicht mit Flinten bewaffnet war), »Die Grauen von Clayton«, »Blut und Donner«, »Rauh und Rasch« – alles hatte seine Anhänger. Bis darüber Beschluß gefaßt war, hieß die Organisation überall »die Truppe«, und trotz des hochtönenden Namens, der schließlich angenommen wurde, war sie bis zum Ende ihres Dienstes einfach als »die Truppe« bekannt.
Die Offiziere wurden aus den Reihen der Truppe gewählt, denn niemand aus der Provinz verfügte über militärische Erfahrungen, außer ein paar Veteranen aus dem Mexikanischen Krieg und den Kämpfen gegen die Seminolenindianer, und überdies hätte die Truppe einen Veteranen als Führer verachtet, wenn sie nicht Zuneigung und Vertrauen zu ihm gehabt hätte. Jeder mochte die vier Tarletons und die drei Fontaines gern, konnte sie aber nicht wählen, weil die Tarletons zu rasch benebelt waren und dann gern Unsinn machten und weil die Fontaines so mörderisch unbesonnen von Temperament waren. So wurde Ashley Wilkes zum Hauptmann gewählt; denn er war der beste Reiter in der Provinz, und man rechnete darauf, daß er mit seinem kühlen Kopf wenigstens einen Schein von Ordnung zu halten imstande wäre. Raiford Calvert wurde zum Oberleutnant gemacht, weil er bei jedermann beliebt war, und Able Wynder, Sohn eines Trappers und selbst kleiner Farmer, wurde Unterleutnant.
Able war ein gescheiter, ernster Riese, ungebildet, gutherzig, aber älter als die anderen Burschen und in Gegenwart von Damen von reichlich so guten Manieren wie sie. Standesdünkel gab es kaum in der Truppe. Dafür waren zu viele ihrer Väter und Großväter aus der Klasse der kleinen Farmer zu Reichtum gekommen. Able war der beste Schütze der Truppe, ein richtiger Scharfschütze, der auf fünfundsiebzig Schritt einem Eichhörnchen das Auge ausschießen konnte, und obendrein wußte er über alles Bescheid, was zum Leben im Freien gehört, konnte im Regen ein Feuer anmachen, Wild aufspüren und Quellen finden. Die Truppe hatte Achtung vor echtem Wert, und weil man Able außerdem gern hatte, machte man ihn zum Offizier. Er trug die Auszeichnung mit Ernst, einfach als ob sie ihm zukomme, und bildete sich nichts darauf ein, aber die Damen und die Sklaven der Pflanzer konnten nicht wie ihre Männer und Herren über die Tatsache hinwegkommen, daß er nicht als Herr geboren war.
Im Anfang waren nur Pflanzersöhne in der Truppe angemustert worden. Es war ein Herrenkontingent. Jeder hatte für sein eigenes Pferd, für Waffen, Ausrüstung, Uniform und Burschen aufzukommen. Aber in der noch jungen Provinz Clayton gab es nicht viele reiche Pflanzer, und um die Truppe vollzählig zu machen, war es notwendig geworden, unter den Söhnen der kleinen Farmer, der Jäger im Urwald, der Trapper in den Prärien und in ganz wenigen Fällen sogar der weißen Proletarier, soweit sie über dem Durchschnitt dieser Schicht standen, Rekruten auszuheben.
Diese jungen Leute brannten ebenso ungeduldig wie ihre reicheren Nachbarn darauf, im Kriegsfall mit den Yankees zu kämpfen; aber da war die heikle Frage des Geldes. Nur wenige kleine Farmer hatten eigene Pferde. Sie taten die Feldarbeit mit Maultieren und hatten auch daran keinen Überfluß, selten mehr als vier. Die Maultiere waren unentbehrlich und konnten deshalb nicht zu Kriegszwecken benutzt werden, selbst wenn die Truppe bereit gewesen wäre, sich mit ihnen zu behelfen, wogegen sie sich aber energisch verwahrte. Die Proletarier hielten sich schon für wohlhabend, wenn sie ein einziges Maultier besaßen. Die Leute aus dem Urwald und von den Niederungen hatten weder Pferde noch Maultiere, sie lebten ausschließlich von den Erzeugnissen ihrer Ländereien und dem Wild aus den Steppen. Ihr Geschäft betrieben sie meist als Tauschhandel und bekamen höchstens einmal im Jahr fünf Dollar in bar zu sehen. Pferde und Uniformen waren für sie unerschwinglich. Aber sie waren ebenso unbändig stolz in ihrer Armut wie die Plantagenbesitzer in ihrem Reichtum und wollten nichts annehmen, was nach Wohltätigkeit ihrer reicheren Nachbarn aussah. Um also niemanden vor den Kopf zu stoßen und dennoch die Truppe auf Kriegsstärke zu bringen, hatten Scarletts Vater, John Wilkes, Buck Munroe, Jim Tarleton, Hugh Calvert, überhaupt jeder große Plantagenbesitzer aus der Provinz mit einziger Ausnahme von Angus MacIntosh Geld dazu beigesteuert, die Truppe mit Mann und Roß vollständig auszurüsten. Schließlich kam es darauf hinaus, daß jeder Plantagenbesitzer sich bereit erklärte, die Ausrüstung seiner eigenen Söhne und einer gewissen Anzahl anderer junger Leute zu bezahlen, und es wurde alles so eingerichtet, daß die weniger wohlhabenden Leute im Kontingent Pferde und Uniformen annehmen konnten, ohne daß ihre Ehre darunter litt.
Zweimal wöchentlich kam die Truppe in Jonesboro zusammen, um gedrillt zu werden und um zu beten, daß der Krieg beginnen möge. Noch waren die Verhandlungen über die Aufbringung der vollen Anzahl Pferde nicht abgeschlossen; wer aber ein Pferd hatte, führte, was er für kavelleristische Künste hielt, auf dem Felde hinter dem Gerichtsgebäude vor, wirbelte eine große Menge Staub auf, schrie sich heiser und schwang den Säbel der Revolution, den er in der väterlichen Halle von der Wand genommen hatte. Wer noch kein Pferd hatte, saß auf dem Kantstein vor Bullards Kaufhaus und sah den berittenen Kameraden zu, kaute Tabak und spann sein Garn. Oder man schoß um die Wette. Schießen brauchte niemand erst zu lernen. In den Südstaaten wird fast jeder mit dem Gewehr in der Hand geboren, bringt sein Leben auf der Jagd zu und wird von selbst zum Scharfschützen.
Bei jeder Musterung kamen die verschiedenartigsten Feuerwaffen aus den Pflanzerhäusern und Blockhütten zum Vorschein. Lange, altmodische Feuerrohre aus der Zeit, da die Alleghanies zuerst überschritten worden waren, alte Vorderlader, denen in Georgias Jugendzeiten mancher Indianer zum Opfer gefallen war, Sattelpistolen, die 1812 in den Seminolenkriegen und in Mexiko ihren Dienst getan hatten, silberbeschlagene Duellpistolen, Taschenderringers, doppelläufige Jagdflinten und elegante neue Gewehre, englisches Fabrikat, mit blanken Schäften aus Hartholz.
Der Drill endete immer in den Kneipen von Jonesboro, und wenn die Nacht einbrach, waren so viele Raufereien im Gange, daß die Offiziere es schwer hatten, Verluste zu verhindern, noch ehe die Yankees sie ihnen beibrachten. In einer dieser Schlägereien hatte Stuart Tarleton Cade Calvert angeschossen und Tony Fontaine Brent. Als die Truppe auf gestellt wurde, waren die Zwillinge gerade von der Universität Virginias nach Hause geschickt worden und ließen sich voller Begeisterung anmustern. Aber nach dieser Schießerei vor zwei Monaten hatte ihre Mutter sie wieder auf die Universität ihres eigenen Staates geschickt, mit gemessenem Befehl, dort zu bleiben. Die aufregenden Abwechslungen des Drills hatten sie in jener Zeit schmerzlich vermißt. Was war ihnen Wissen und Bildung, wenn sie nur reiten und schreien und schießen konnten!
»Laß uns doch querfeldein über O’Haras und Fontaines Weiden reiten«, schlug Brent vor. »Dann sind wir im Nu da.«
»Wir da kriegen nur Opossum und Grünkram zu essen«, wendete Jeems ein.
»Du kriegst überhaupt nichts«, grinste Stuart, »denn du reitest nach Hause und sagst Ma, daß wir nicht zum Abendessen kommen.«
»Nein, das ich nicht tun«, schrie Jeems voller Angst. »Das ich nicht tun! Ich auch nicht Spaß haben, von Misses Beatrice verprügelt werden. Zuerst sie mich fragen, wie ich es fertigbringen, daß Masters wieder rausgeschmissen, und dann, warum ich Masters heute abend nicht mitbringen, damit sie uns alle prügeln kann. Und dann sagen, ich bin an allem schuld. Und wenn Masters mich nicht mit zu Master Wynder nehmen, ich die ganze Nacht draußen im Wald liegenbleiben. Besser mich Landjäger beim Kragen nehmen als Misses Beatrice!«
Verblüfft und ärgerlich sahen die Zwillinge den entschlossenen Negerjungen an.
»Er wäre gerade dumm genug, sich vom Landjäger fassen zu lassen, und dann hätte Ma wochenlang etwas Neues zu reden. Du kannst mir glauben, mit den Schwarzen hat sie es noch schwerer als mit uns; manchmal denke ich, daß die ganz recht haben, die den Sklavenhandel abschaffen wollen.«
»Nun, es wäre unrecht, Jeems dem auszusetzen, wovor wir Angst haben. Wir müssen ihn schon mitnehmen. Aber paß auf, du unverschämter schwarzer Schafskopf, wenn du dich vor den Schwarzen bei Wynder damit dicke tust, daß wir jeden Tag Brathuhn und Schinken essen und sie nur Kaninchen und Opossum, dann sage ich es Ma, und du darfst nicht mit uns in den Krieg.«
»Dick tun? Ich mich nicht vor billigen Negern dick tun! Ich bessere Manieren, haben mir Misses Beatrice ebenso gute beigebracht wie Masters.«
»Das ist ihr bei uns allen dreien nicht besonders gut gelungen«, sagte Stuart. Er riß seinen Fuchs herum, gab ihm die Sporen und schwang sich leicht über den Lattenzaun auf den weichen Acker von Gerald O’Haras Plantage. Brents Pferd setzte hinterher, und ihm nach Jeems, der sich am Sattelknopf festklammerte. Jeems setzte nicht gern über Zäune, aber er hatte schon höhere als diese nehmen müssen, um mit seinen Herren Schritt zu halten.
Als sie im immer tieferen Dunkel durch die roten Furchen den Hügel hinab bis zur Fluß weide ihren Weg verfolgten, rief Brent mit lauter Stimme seinem Bruder zu: »Stu! Kommt es dir nicht auch so vor, als ob Scarlett uns eigentlich zum Abendessen einladen wollte?«
»Das ist mir die ganze Zeit so vorgekommen«, schrie Stuart zurück.
»Warum, meinst du, hat sie …«
Als die Zwillinge Scarlett in Tara an den zur Veranda führenden Stufen verlassen hatten und ihr Hufschlag verhallt war, kehrte sie wie schlafwandelnd zu ihrem Stuhl zurück. Ihr Gesicht war wie vor Schmerz erstarrt, der Mund tat ihr weh, so hatte sie ihn wider Willen zum Lächeln gezwungen, um ihr Geheimnis nicht preiszugeben. Müde setzte sie sich, zog einen Fuß unter sich, und das Herz schwoll ihr vor Weh, bis es sie fast für ihre Brust zu groß dünkte. Es schlug mit wunderlichen kleinen Anläufen; ihre Hände waren kalt, ein Gefühl schweren Unglücks drückte sie nieder. Aus ihren Zügen sprachen Schmerz und Verwirrung, die Verwunderung eines verzogenen Kindes, das auf jede Bitte seinen Willen bekommt und nun zum erstenmal auf die unerbittliche Härte des Lebens stößt.
Ashley heiratet Melanie Hamilton.
Aber das konnte ja nicht sein! Die Zwillinge irrten sich, oder sie trieben wieder einmal Spaß mit ihr. Ashley konnte nicht in das Mädchen verliebt sein. Niemand konnte sich in ein so kleines Mausgeschöpf wie Melanie verlieben. Voller Verachtung sah Scarlett die magere, kindliche Gestalt und das ernsthafte, herzförmige Gesichtchen vor sich, unansehnlich und hausbacken. Ashley konnte sie übrigens seit Monaten nicht gesehen haben; seit der Gesellschaft, die er voriges Jahr in Twelve Oaks gegeben hatte, war er höchstens zweimal in Atlanta gewesen. Nein, Ashley konnte Melanie nicht lieben, weil… ach, es konnte doch kein Irrtum sein, weil sie selbst, Scarlett, es war, die er liebte! Das wußte sie!
Sie spürte den Fußboden der Halle unter Mammys schwerfälligen Schritten erbeben. Hastig zog sie den Fuß wieder hervor und suchte ihrem Gesicht einen ruhigeren Ausdruck zu geben. Auf keinen Fall durfte Mammy den Verdacht schöpfen, daß etwas nicht in Ordnung sei. Mammy lebte in dem Gefühl, alle O’Haras gehörten ihr zu eigen mit Leib und Seele und sämtlichen Geheimnissen. Nur die Andeutung eines Geheimnisses genügte, sie erbarmungslos wie einen Spürhund auf die Fährte zu setzen. Wenn Mammys Neugier nicht sofort befriedigt wurde, so brachte sie bei Ellen die Rede darauf, und dann mußte Scarlett ihrer Mutter alles anvertrauen oder sich eine glaubwürdige Lüge ausdenken, das wußte sie aus Erfahrung. Nun erschien Mammy an der Tür der Halle, ein riesenhaftes, altes Weib mit kleinen, klugen Elefantenaugen. Sie war eine Negerin reinsten Wassers, glänzend schwarz und den O’Haras bis zum letzten Blutstropfen ergeben, Stab und Stütze für Ellen, die Verzweiflung ihrer drei Töchter, der Schrecken der anderen Dienstboten. Mammy war eine Schwarze, aber ihr Sittenkodex und ihr Stolz standen ebenso hoch, ja höher als der ihrer Eigentümer. Auf gewachsen war sie im Schlafgemach Solange Robillards, der Mutter Ellen O’Haras, einer unnahbar kühlen, vornehmen Französin, die Kindern und Dienstboten keine Strafe für einen Verstoß gegen die Schicklichkeit erließ. Mammy war Ellens Amme gewesen und, als Ellen heiratete, mit ihr aus Savannah nach dem Norden gekommen. Wen Mammy liebhatte, den züchtigte sie, und da ihre Liebe zu Scarlett und ihr Stolz auf sie keine Grenzen kannte, so wurde Scarlett eigentlich ohne Unterbrechung gezüchtigt.
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