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Das Werk Zuzanna Ginczankas zeichnet sich durch sprachliche Erhabenheit, choreographische Meisterschaft sowie große poetische Suggestionskraft von zeitloser Schönheit, Frische und Sinnlichkeit aus. Ihr 1936 in Warschau erschienener Gedichtband "Von Zentauren" machte die damals Neunzehnjährige zu einem viel bewunderten Star der polnischen Literatur. Mit seinem Reichtum an Bildwelten und Traumbildern spricht Ginczankas Werk in großer Direktheit und Eindringlichkeit auch zum Leser des 21. Jahrhunderts. Der vorliegende Band enthält sämtliche Gedichte aus "Von Zentauren" sowie weitere ausgewählte Werke.
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Seitenzahl: 51
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ZUZANNA GINCZANKA
VON ZENTAUREN
und weitere ausgewählte Gedichte
aus dem Polnischen übersetzt
von Bernhard Hofstötter und Hanna Kubiak
mit einem Nachwort
von Bernhard Hofstötter
© 2021 Bernhard Hofstötter und Hanna Kubiak
Umschlag und Satz: Bernhard Hofstötter
Umschlagbild: Axel Hofe, unter Zugrundelegung einer Miniatur aus dem
Rutland Psalter, ca. 1260, British Library, London (Add MS 62925, f.58v)
Abbildungen: Bernhard Hofstötter
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-23232-7
Hardcover:
978-3-347-23233-4
e-Book:
978-3-347-23234-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhalt
VON ZENTAUREN
VON ZENTAUREN
PROZESS
HOCHMUT
CANTICUM CANTICORUM
INHALT
VERUNTREUUNG
SCHIFFFAHRT
FELL
GRAMMATIK
JUNGFRÄULICHKEIT
DAS EINE
VERRAT
KLARSTELLUNG AM RANDE
FREMDHEIT
MANIFEST
ANSTELLE EINES ROSAROTEN BRIEFES
DER FANG
WEITERE AUSGEWÄHLTE GEDICHTE
WEGE
AUGUSTFRUCHTBARKEIT
AGONIE
PHYSIOLOGIE
DER TAG
KONJUGATION
FRÖHLICHE MYTHOLOGIE
NATURE MORTE: DIE TOMATE
PANTHEISTISCH
HOCHMUT
STERNE
ÜBERLEGUNGEN
PRESSE
WORTE IM WIND
KLARSTELLUNG
FEUERVOGEL
JAGDEN
RÜCKKEHR
EPITAPHIUM
MAI 1939
IM KAMPF UM GUTE ERNTE
***
NACHWORT
VON ZENTAUREN
{1936}
VON ZENTAUREN
Reim um Reim reiben sich geschliffene Verse rasselnd ab
— vertraue nicht präzisen Erwägungen, damit nichts von dir
Besitz ergreife,
— vertraue nicht wie Blinde den Fingern,
und auch nicht den Augen wie handlose Eulen —
hier verkünde ich Leidenschaft und Weisheit
eng an der Taille verwachsen
wie ein Zentaur. —
Ich bekenne die erhabene Harmonie des männlichen
Torsos und Hauptes
mit dem ausgewachsenen Körper des Hengstes und der
schlanken Fessel —
— zu kühlen Frauenwangen
und Knäueln rundlicher Stuten hin
galoppieren prächtige Zentauren
im Geläut der Hufeisen aus den Wiesen der
Mythologie.
Ihre Leidenschaft, geballt und weise,
und ihre Weisheit, glühend wie die Wonne,
fand ich in erhabener Harmonie wieder
und verschmolz sie in der Taille und im Herzen.
Sieh her:
Ein Gedanke
von antikem Antlitz
vertraute erhitzten Pferden seine Göttlichkeit an,
wie gefesselte Rösser über den Hahnenfuß
treiben zitternde Sinne zum Juni hin.
PROZESS
1.
Im Anfang waren Himmel und Erde:
Schwarzes Fett und kornblumenblauer Sauerstoff –
und Hirschkälber
bei geschmeidigen Hirschen
mit Gott, weich und weiß wie Leinen.
2.
Kreide,
Jura,
Trias,
der Erdboden verteilt sich in Schichten auf Glas –
das Miozän stürmt mit einem Panzer in die majestäti-
sche Eroberung ein.
Und eine Scheide verläuft zwischen dem Wasser
und dem Erdboden der Farne und Birken
– und Gott sah, dass es gut ist, wenn die Schöpfung in
einer Röte sich erhebt.
Stickstoff verbrennt sich in der Lava,
die Lava erkaltet zu Siegellack,
Berg
klettert
auf Berg
rittlings mit kosmischem Getöse,
Karbon sättigt die Erde mit Steinkohlebrei —
— und er sah, dass es gut ist für feuchte Strände und
Sterne.
Eisen pulsiert am allerblutigsten
Phosphor verfestigt sich im Schienbein — —
— doch er pfeift mit singendem Luftstrom auf den
Hirtenflöten der Krater.
3.
Im Anfang waren Himmel und Erde
und Hirschkälber
und Rehkitze.
Doch weiter änderte sich der Ablauf:
Hier ist
das Fleisch
Wort
geworden.
4.
Einst erbebte unter einem wohlriechenden Engel ein
prächtiger Rhododendron,
es knirschten und knackten Schachtelhalme so groß
und hoch wie ein New York.
In Konin, Brest und Równe
auf den Grünflächen
verblühen Gänseblümchen,
und Polizisten
in den Nächten
lieben angetraute
Ehefrauen.
HOCHMUT
Es treffen auf vierschrötige Burschen aufgeregte Weizenjung-
fern,
Engel mit frischem Atem zeigen Astralleiber.
Ich weiß:
Ich verwickelte mich in Gut und Böse
wie in hundertfache Dreiblättrigkeit von Klee –
es klingen Äpfel jeglicher Erkenntnis vermischt in Bastkör-
ben.
Ich soll also nach dem Weg fragen,
zu Dir,
verirrt auf Querwegen der Träume?
So viele Male schon verdunkelte der Tag mit
schwarzer Nacht die blauen Augen –
Achtzehn rostbraun gewordene Junis
werden,
schreiend,
die Frage nicht hören –
Achtzehn Winter werden weißhaarige Winter, taub-
stumm wie ein Stamm, nicht hören.
Weibliche warme Zungen zerreiben Blätter und streuen
Worte in den Wind –
eine fanatische Schlange aus Aluminium flicht Nester auf dem
Paradiesbaum.
Ich weiß nicht, Herr,
was gut,
was schlecht ist –
auf die achtzehn Jahre starrend –
streng und wachsam lauschend
immer hochmütiger,
immer weiser,
weiß ich es nicht.
CANTICUM CANTICORUM
Weinbeeren schäumen,
eine duftende Narde
durchströmt schwer die Gärten –
Ich hütete für meine Brüder die Herden
in sonnendurchfluteter Hitze –
deshalb bin ich dunkelhäutig;
Die marineblaue Nacht surrt.
Von gelben Sternen
äscherte sich der Himmel glutrot ein.
Die glühenden Augen verberge ich,
in den Wimpern ein Zypressenwald,
wie die Teiche zu Hesbon.
„O meine Geliebte, öffne –
ich habe den Garten umrundet –
ich habe eine lose Rose in den Locken –
Ruf mir deinen Mund in Erinnerung,
ich errate erneut,
ob du am Abend vom Apfel getrunken hast“ –
„Wie soll ich dir öffnen
die quietschende Tür –
Da ich meine Kleider schon abgelegt habe,
verfluchen mich die Mütter dreifach,
und die Herden von Ziegen
geben keine süße Milch.“
Die marineblaue Nacht surrt
und die wogenden Stämmchen der Weinberge
und Feigenblätter –
Und ich kann überhaupt nicht einschlafen.
Ich öffne die Holztore –
– doch der Geliebte war verschwunden.
Der Duft von Safran und Kassie.
Öl war ausgelaufen
und Myrrhe fließt an den Griffen des Türriegels aus.
Der Pfad verweht langsam
wie eine aufgetrennte Naht –
schwarzäugiges Dunkel hinter der Veranda.
Ich suchte ihn – ich fand ihn nicht.
Ich rief ihn
— doch er antwortete mir überhaupt nicht.
(Und er ist schön wie ein Stern
Wie der Himmelsgrund —
Jeder wird ihn daran erkennen).
Ich beschwöre euch Jungfrauen in Düften
bei dem Reh im Dickicht,
bei der wie im Anschwung drängenden Hirschkuh:
Sucht nicht beizeiten die Liebe
Weckt sie nicht,
solange sie nicht von selbst zu euch kommt.
INHALT
Der träge und schwere Pazifik braust unter einer glasigen
Oberfläche,
ein rosafleischiger Panther sprengt das Seidenfell –
ein biblisch-göttlicher Wal verspritzt glühenden Tran,
so wie ein göttlich-biblischer Erzengel mit Glanz auf die Ge-
stirne triefte.
Siehst du –
deshalb ist das so.
Schwarzerde sprengt den Bürgersteig.
Unter jeder schweigsamen Hülle witterst du das Feuer-
werk des Inhalts.
Der Himmel wird von Sternen ausbrennen
wie von verloschenen Fackeln –
eine Flut und Ebbe von Zügen werden eine heranbre-
chende Zeit verkünden.