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Die Detlefsen-Gesellschaft legt zum 18. Mal ihre „Vorträge“ dem geneigten Leser vor. Unserem Ziel, die Erforschung der Geschichte unserer engen und weiteren Region zu fördern und die Forschungsergebnisse einem interessierten Publikum vorzustellen, kommen wir auch mit der vorliegenden Publikation wieder einen Schritt näher. In diesem Band finden Sie Beiträge zu den folgenden Themen: H.-Peter Widderich: "Der Tiermaler August Schenck (1821–1900) – Ein Glückstädter in Frankreich – Hommage á Geerd Spanjer (1905–1992)" Ingo Lafrentz: "Von Ivenfleth nach Itzehoe – die Geschichte des Klosters Itzehoe" Hauke Petersen: "Die Glückstädter Fortuna als Spiegel politischer Strömungen in Schleswig-Holstein vom November 1863 bis zum August 1866" Reimer Möller: "Die Polizeiverwaltung der Stadt Glückstadt in der NS-Zeit" Elke Witt: "Dörfliche Schulchroniken – Spiegel der Zeitgeschichte (1933–1945)"
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Seitenzahl: 199
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Vorwort
H.-Peter Widderich
Der Tiermaler August Schenck (1821–1900) – Ein Glückstädter in Frankreich – Hommage á Geerd Spanjer (1905–1992)
Ingo Lafrentz
Von Ivenfleth nach Itzehoe – die Geschichte des Klosters Itzehoe
Hauke Petersen
Die Glückstädter Fortuna als Spiegel politischer Strömungen in Schleswig-Holstein vom November 1863 bis zum August 1866
Reimer Möller
Die Polizeiverwaltung der Stadt Glückstadt in der NS-Zeit
Elke Witt
Dörfliche Schulchroniken — Spiegel der Zeitgeschichte (1933–1945)
Nachruf
Liebe Freundinnen und Freunde der Detlefsen-Gesellschaft, die Detlefsen-Gesellschaft Glückstadt legt zum 18. Mal ihre „Vorträge“ dem geneigten Leser vor. Unserem Ziel, die Erforschung der Geschichte unserer engen und weiteren Region zu fördern und die Forschungsergebnisse einem interessierten Publikum vorzustellen, kommen wir auch mit der vorliegenden Publikation wieder einen Schritt näher.
2017 wird ein besonderes Jahr für die Stadt Glückstadt. 400 Jahre wird die von König Christian IV. gegründete Stadt alt. Die Detlefsen-Gesellschaft wird sich mit einer Festschrift, Vorträgen und Führungen an diesem besonderen Jubiläum beteiligen. Weitere Projekte sind, wie auf der Mitgliederversammlung besprochen, in Planung (Neue Reihe über bauhistorische Forschungen im Kreis Steinburg und Quellen zur Geschichte der Elbmarschen).
Seit 1921 besteht die Gesellschaft und hat in dieser Zeit etwa 600 Vorträge gehalten und an vielen Publikationen zur Regionalgeschichte mitgearbeitet. Es waren Mitglieder der Detlefsen-Gesellschaft, die am Heimatbuch für den Kreis Steinburg 1923 mitwirkten und die die Publikation in drei Bänden „Glückstadt im Wandel der Zeiten“ maßgeblich voranbrachten. Auch die meisten Beiträge zur Glückstädter Geschichte wurden von Mitgliedern unserer kleinen Gesellschaft erbracht. Dies soll und wird so bleiben. Aber der Versuch, die Resultate der Forschung bleibend zu machen, muss scheitern, wenn das Projekt nur durch die Mitglieder finanziert werden soll. Wir brauchen auch eine Reihe von Förderern, die ebenso wie wir der Meinung sind, dass Regionalgeschichte, die Geschichte unserer Heimat, zur Schaffung einer regionalen Identität beiträgt.
Unsere „Vorträge“ richten sich zwar nicht an ein Massenpublikum, aber sie bewahren wie ein wachsender Schatz viele Erkenntnisse für uns und die kommenden Generationen. Das ist uns und unseren Förderern wichtig. Unsere Gesellschaft will weiter daran arbeiten, die Geschichte der Stadt Glückstadt und ihrer Umlandgemeinden, aber auch der holsteinischen Elbmarschen insgesamt verständlich zu machen und darzustellen. Dazu braucht sie Mitglieder und Freunde. An beiden mangelt es zum Glück nicht, doch könnten wir von beiden mehr gebrauchen.
Unser Dank gilt den ehrenamtlichen Referenten und den Förderern der Detlefsen-Gesellschaft.
Borsfleth im Juli 2016
Christian Boldt M.A.
‚Jeder Besucher des Glückstädter Rathauses wird sich über das dort befindliche große und schöne Ölbild des aus Glückstadt stammenden Tiermalers August Schenck freuen, das uns nicht nur in seinem Motiv ‚Schafe im Schneesturm‘ und seiner Ausführung menschlich anzurühren vermag, sondern auch Zeugnis ablegt für das überdurchschnittliche Können dieses Malers [...]‘1 So leitete Geerd Spanjer einen 1965 erschienen Artikel ein.
Das Gemälde ‚Schafe im Schneesturm‘ kam 1907 als Geschenk in Schencks Heimatstadt. Damals berichtete Dr. A. H. [das ist Dr. Adolph Halling] in der ‚Glückstädter Fortuna‘: ‚Durch die großherzige Freigebigkeit und das pietätvolle Empfinden einer Dame ist unserem Glückstadt in diesen Tagen ein Geschenk geworden, welches die Stadt zur Besitzerin eines Kunstwerkes ersten Ranges macht. Es handelt sich um ein Gemälde von der Hand des verstorbenen Malers A. Schenck, welches die Witwe, Frau Louise Schenck in Ecouen, der Geburtsstadt des Verewigten zugewendet hat, zur Erinnerung an ihren Gemahl, der als einer der bedeutendsten Tiermaler bekannt ist. […] möge sein Andenken in Glückstadt in Ehren bleiben, welches ihn zu den besten seiner Söhne zählt.‘2 Witwe Schenck bot Glückstadt damals zwei Gemälde zur Auswahl an, die Wahl fiel auf ‚Schafe im Schneesturm‘. Das zweite Bild erhielt die Kieler Kunsthalle.
Schafe im Schneesturm, Glückstadt Rathaus (Foto: Delf Gravert).
August Schenck,(Foto: Archiv Widderich).
Trifft Spanjers Vermutung, dass jeder Besucher des Rathauses sich über das Kunstwerk ersten Ranges freut noch zu? Wie ist es heute um Dr. Hallings Hoffnung bestellt Schencks Andenken möge in Glückstadt in Ehren gehalten werden? Das Gemälde ‚Schafe im Schneesturm‘ hängt nach wie vor in der oberen Rathausdiele. Nach 1945, soweit ich es übersehe, gab es hier folgende Veröffentlichungen: 1967 hielt Spanjer vor der Detlefsen-Gesellschaft den Vortrag ‚August Schenck und sein Sippenkreis‘. 1990 habe ich den Mitgliedern und Freunden des Detlefsen-Museums kurze Hinweise auf August Schenck gegeben und 1991 über ein neues Schenck-Bild für das Detlefsen-Museum im Steinburger Jahrbuch 1991 berichtet. 2002 stellten Druckmedien das zweite Schenck-Bild für das Detlefsen-Museum vor. In der ‚Norddeutschen Rundschau‘ veröffentlichte Tania Schlie 2012 ‚Eine Herde, zwei Künstler‘. Das ist in fast 70 Jahren nicht viel! Einige überörtliche Veröffentlichungen liegen von Geerd Spanjer und Lilli Martius vor. Was gibt es noch? Diese Frage trieb mich an. Vom Rathaus-Bild ausgehend wollte ich möglichst viel über den Maler aus Glückstadt herausbekommen. Einiges war mir bekannt, aber es müsste weiteres hinzukommen, vor allem Bildbeispiele. Dafür ist ein kleines Netzwerk von Vorteil. Unser Vorsitzender, Christian Boldt, stellte mir Bildbeispiele aus dem Internet zur Verfügung. Junge Leute können so etwas. Aber das war für mich Motivation selbst auf die Suche nach Abbildungen und Hinweisen zu gehen, z.B. über die kleine französische Stadt Ecouen, dem Wohnort Schencks. Das Internet deutete Interessantes an, das allerdings Kontakt erforderte. Aber Deutsch sei in Frankreich nicht besonders beliebt, sagt man und Plattdeutsch können die Franzosen auch nicht. Es halfen Heinke und Norbert Meinert. Sie übersetzten vom Deutschen ins Französische und umgekehrt. Und Ecouen entpuppte sich als Schatzgrube. Dann erinnerte ich mich an Spanjers Vortrag von 1967, an den Inhalt leider nicht. Es wäre deshalb gut hätte ich Spanjers Vortrags-Manuskript zur Hand. Wie schon oft konnten Ruth und Hans-Reimer Möller ein Fenster öffnen. Sie gaben mir eine alte, Gott sei Dank noch gültige Adresse von Spanjers Tochter. Auf meine Anfrage erhielt ich postwendend Nachricht. Die führte nach Kiel zur ‚Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek‘. Dort fand ich im Spanjer-Nachlaß tatsächlich ein Schenck-Konvolut. Der Vortrag war dabei! Für Schencks Familiengeschichte, aber nicht nur dafür, war mir glücklicherweise die Spanjer-Quelle sehr hilfreich. Deshalb widme ich Geerd Spanjer, dem eifrigen Schenck-Forscher diesen Vortrag.
Spanjer war von 1942 bis gegen Kriegsende Hüter des Glückstädter Stadtarchivs, das sich damals im Ratssaal befand. Dort stand auch Schencks Schafsbild. ‚Vor diesem Bild stand ich damals jeden Morgen erst einige Minuten und hielt stille Zwiegespräche. […] die Fragen und Probleme die damals auftauchten, haben mich nicht mehr losgelassen. […]‘3 Was er erforschte präsentierte er u.a. 1967 in Glückstadt.
Mit diesem Rüstzeug, es kamen noch viele weitere Informationen hinzu, entwickelte ich ein, gewiss hier und da unvollständiges, aber, wie ich finde, überaus buntfarbiges, aus vielen Mosaiksteinen zusammengesetztes Schenck-Bild. Zu Ehren August Schencks breite ich dieses Mosaik jetzt aus.
Spanjer begann seinen Vortrag mit Johann Jochim Schenck, dem Vater des Malers, der als 29-jähriger Schiffszimmergesell aus Altona nach Glückstadt kam und 1795 das Bürgerrecht erhielt. Er war zunächst Kleiderseller, Kleiderhändler, dann Schankwirt und Kaufmann und wohnte bei der Witwe Riefenstahl in der Gr. Deichstraße. Später kaufte er das Haus. (Anmerkung: In der Volkszählung 1803 ist Johann Jochim Schenck, als Hausvater, der mit neuen Kleidungsstücken handelt, mit einem Sohn, einer Tochter und [Dienst-] Mädchen Christine Gransau zu finden. Die Adresse war: Am Hafen 13. Damals hieß die Straße ‚Am Deich‘.)
Vater Schenck war in erster Ehe mit Dorothea Hüll oder Hüllen verheiratet. Aus dieser Ehe stammten 5 Kinder. In zweiter Ehe heiratete er Christina oder Stina Gransau aus Horst (auch Gransow oder Granso), die 1803 als Mädchen genannt wurde. Dazu bemerkte Spanjer: ‚Diese zweite Frau wird dann die Mutter des Malers. Und diese zweite Eheschließung war sicher eine ausgesprochene Liebesheirat, denn große materielle Glücksgüter konnte er nicht von ihr erwarten. […] Voreilige Schlüsse auf eine eventuelle Mussheirat brauchen nicht gezogen zu werden.‘ (Spanjer 1967)
Aus dieser zweiten Ehe gingen 4 Söhne hervor. Johann Jacob wurde Kaufmann in Nottingham, England. Julius Sigismund blieb als Kaufmann und Senator in Glückstadt. ‚[Er] muss als Stadtverordneter und Senator einen recht großen Einfluss in Glückstadt ausgeübt haben. Ob er charakterlich zu den erfreulichsten Erscheinungen gehört hat, steht auf einem anderen Blatt. Eine kleine Episode aus seinem Leben mag das beleuchten [...] Julius Sigismund Schenck wohnte in Glückstadt in jener kleinen Seitenstraße des Jungfernstieges, die damals den nicht gerade erfreulichen Namen ‚Ehebrechergang‘ trug, ob nach irgendwelchen fragwürdigen Damen oder als Verstümmelung aus ‚Ebräergang‘ lasse ich dahingestellt. [...] Genug, dem Herrn Senator behagte jene ominöse Anschrift verständlicherweise nicht, und er beantragte in der Sitzung der städtischen Kollegien vom 20.4.1871, die Straße umzubenennen. […] Aber nun kommt der Pferdefuß, und, ‚nur die Lumpen sind bescheiden‘, dachte wohl Senator Schenck. Er beantragte nämlich nicht nur die Umbenennung an sich, sondern ersuchte von sich aus, die Straße künftig ‚Schenckplatz‘ zu nennen, angemerkt ‚Schenckplatz‘, nicht ‚August-Schenck-Platz‘ nach seinem großen Bruder!‘ (Spanjer 1967) Später wurde der Schenckplatz zur Schenckstraße, die heute im Zusammenhang mit August Schenck genannt wird.
Ein dritter Bruder des Malers, Joachim Christian, ließ sich als Advocat in Elmshorn, und zeitweise in Kiel nieder. Er war mit Luise Vollert verheiratet, deren Bruder war der Großvater des berühmten Bildhauers und Schriftstellers Ernst Barlach. Ehepaar Schenck in Elmshorn hatte 7 Kinder, darunter Luise, die sich als Schriftstellerin einen Namen machte. Auf Ernst Barlach und Luise Schenck komme ich noch zurück.
Last but not least zum Jüngsten aus der schenckschen Kinderschar: August Friedrich Albrecht, unseren Maler. Er wurde am 23. April 1821 in Glückstadt geboren und am 26. April 1821 getauft. Vater Schenck war inzwischen ein ehrbarer Kaufmann und hatte honorige Paten gewählt: Herr Apotheker Johann August Karl Strube, Herr Senator Johann Nicolaus Friedrich Herfurth und Herr Rektor Jacob Philipp Albrecht Jungclaussen.4 Spanjer bemerkt: ‚wobei die Beifügung des Wörtchens ‚Herr‘ im Taufregister schon ohnehin andeutet, dass es sich um ‚Standespersonen‘ handelt. (Spanjer 1967) Zunächst besuchte August die Glückstädter Bürgerschule, kam dann in das Bockendahlsche Institut in Flottbek und wurde mit 15 zu seinem Bruder nach Nottingham in England geschickt, um Kaufmann zu lernen und seine Erziehung zu vollenden. (Halling)
Danach zog August Schenck, einer aus Glückstadt, in die Welt hinaus. Er tourte als ‚Weinreisender‘ durch Deutschland, durch Russland und landete in Portugal auf einem offenbar einträglichen Pfad. Soweit, so gut! Aber nach 5 Jahren verließ er Portugal und reiste, er war inzwischen um die Dreißig, nach Paris. Das war nicht nur ein Wechsel von Portugal nach Frankreich, sondern auch vom Wein zu Pinsel und Palette. In Paris ließ er sich nämlich überraschenderweise zum Maler ausbilden. Dieser Wechsel fiel allerdings nicht ganz plötzlich vom Himmel, denn schon als Kind hatte er ‚sehr geschickt gezeichnet und skizziert, zur Belustigung seiner Genossen, zur Freude seiner selbst.‘ (Halling) In Paris, das Beste ist gerade gut genug, wählte er für die Ausbildung eine Maler-Koryphäe. Er wurde Schüler von Leon Cogniet (1794–1880), der damals ein bedeutender Historien- und Porträtmaler des Neoklassizismus und der Romantik sowie Professor an der École des Beaux Arts war. Dass Schenck von Cogniet als Schüler akzeptiert wurde, lässt auf besonderes Können schließen. Der Metier-Wechsel und die Wahl des Lehrers zahlten sich aus. Schenck, ein Glückspilz mit Fingerspitzengefühl, wurde ein Star unter den Tiermalern seiner Zeit. Es ging zwar rasch bergauf, aber hier und dort lag auch ein Stolperstein im Weg. ‚Allein dem Künstler sollten Sorgen nicht erspart bleiben und gerade in dieser Zeit seiner Entwicklung traf ihn ein schwerer Schlag, der geeignet war, seine ganze Zukunft in Frage zu stellen: er ging eines Abends als wohlhabender Mann zu Bette und stand als ruinierter wieder auf; ein ungetreuer Geschäftsfreund, dem er nicht unerhebliche Summen anvertraut hatte, war mit dem Gelde davon gegangen. Damals hat Schenck Stunden der Ungewissheit, vielleicht der Verzweiflung durchgemacht; seine Ausbildung war noch nicht vollendet und er musste sich fragen, ob er zur Weinhandlung zurückkehren, oder seine Kunst Brot verdienen lassen solle, die ihm bis dahin nur Freude gemacht hatte. Allein Schenck ließ sich nicht entmutigen.‘ (Halling)
Bereits 1855, er war 34, debütierte er als Maler auf der allgemeinen Ausstellung in Paris mit dem Gemälde ‚Die Fruchtwiederverkäufer‘. (Halling)5 Bereits 1857 beteiligte er sich an der schleswig-holsteinischen Jubiläumsausstellung.6 Fortan nahm er in Paris an Ausstellungen mit Genrebildern teil, Bilder die Szenen aus dem Volksleben darstellen, beispielsweise mit ‚les Moissonneurs de Portugal‘ (Die portugiesischen Schnitter) und ‚sous les Pommiers‘ (Unter den Apfelbäumen) (Halling) Ein Tier tauchte in dem 1861 ausgestellten Gemälde auf: ‚Polnische Bauern von Wölfen angegriffen‘ (Halling) 1863 wurden die Gemälde ‚le pont vert‘ (Die grüne Brücke) und ‚Die Dorfstraße‘ vom Staat angekauft. Für das Bild ‚Die Raufe‘ von 1863 erhielt er eine Medaille. (Halling) Eine Raufe ist ein Gestell für Stroh, Heu oder Gras das für Tiere bereitgehalten wird. Der berühmte Schriftsteller Emile Zola stellte 1866 überrascht fest, wie sehr die Modelle den auf der Leinwand dargestellten Tieren ähneln. Er schrieb: ‚Schencks Rehe sind gut gezeichnet, sie bilden eine sehr hübsche Gruppe in einem genialen Werk. Ich frage mich nur, ob ihre Körper sich nicht kräftiger vom Schneehintergrund abheben müssen.‘7 Man ahnt trotzdem, Schenck ist auf dem Weg nach oben.
Begonnen hatte er mit Historienmalerei, quasi im Fahrwasser seines Lehrers. Er griff auch Themen der Antike auf. Das Stadtarchiv Glückstadt bewahrt eine Notiz die auf folgendes Bild hinweist: ‚Aus der damaligen Zeit [Gemeint ist die Zeit des Studiums] stammt ein Bild, das er seinem Bruder, dem Senator Schenck widmete. Es stellt Galathea, die Göttin des Meeres dar wie sie auf ihrem von Seepferden gezogenen, von Tritonen und Nymphen begleiteten Muschelwagen über den stillen Spiegel des Ozeans dahinfährt.‘8 Zu dieser Motivgruppe behört auch: ‚Das Urteil des Paris‘. Schenck nahm hier ein altes Thema auf und gab ihm ein zeitgenössisches Gewand: Drei hübsche portugiesische Bauernmädchen im wogenden Kornfeld vor dunkeläugigen Burschen, informiert uns Dr. Halling. Schon bald erweiterte er sein Repertoire um Darstellungen, die, wie erwähnt, der Genremalerei nahekommen, wie z.B. das letztgenannte Gemälde. Dieser Phase ist wohl auch das Gemälde zuzuordnen, das im Schnee tobende Kinder zeigt. Schon früh spezialisierte sich Schenck aber vorwiegend auf Tiermalerei. 1869 stellte er z.B. ‚tetes de chevau de course‘ (Köpfe der Rennpferde) aus.
Er bevorzugte aber Schafe, auf die er durch Aufenthalte in der Auvergne inspiriert worden war. Mit Schafbildern wurde er berühmt! Das ‚Tierstück‘ war in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ein gefragtes, d.h. gut verkäufliches Sujet. Die französische Malerin Rosa Bonheur (1822–1899), sie lebte zur gleichen Zeit wie Schenck, war damals unter den Tiermalern der Star. Aber August Schenck stand ihr nur wenig nach. ‚[…] die englischen Blätter verfolgten seine Ausstellungsobjekte mit besonderem Interesse, die Milliardäre Amerikas wurden seine Abnehmer.‘ (Halling)
Das Tierstück war besonders im 19. Jahrhundert, und teilweise bis in unsere Zeit populär, nicht nur in Frankreich. In Deutschland kannte man Franz Krüger (1797–1857) als Pferdekrüger, der Entenmaler war Alexander Koester (1864–1932), Franz Marc (1880–1916) malte den ‚Turm der blauen Pferde‘, ‚Die gelbe Kuh‘ und andere Tierstücke. Beliebt waren und sind auch Tierplastiken, z.B. von August Gaul (1869–1921) oder Renée Sintenis (1888–1965), von der vor allem Kleinplastiken begehrt sind.
1850 heiratete Schenck die gebürtige Warschauerin Ludowika Stapaczinska. Um 1862 (Ecole Ecouen) ließ er sich in Ecouen nieder, einem kleinen Ort, etwa 20 km nördlich von Paris, an der Straße von Paris nach Calais. Warum Ecouen? Zum einen hatten Mitte des 19. Jahrhunderts viele bildende Künstler den Drang: Hinaus in die Natur. Zum anderen war Ecouen damals ein kleiner Ort mit etwa 1.000 Einwohnern, lag in einer Waldgegend und hatte ein Schloss (heute Nationalmuseum der Renaissance). Ecouen war prädestiniert Künstlerwünsche zu erfüllen. Mehrere Maler ließen sich dort nieder. Es entstand eine Künstlerkolonie. Außerdem wurde eine Malschule, die ‚Schule von Ecouen‘, gegründet, die Künstler anzog. Zwischen 1850 und 1900 sollen es mehr als 100 gewesen sein. U.a. hielten sich die auch heute noch bekannten Maler Charles Francois Daubigny (1817–1878), Camille Corot (1796–1875) und Mary Cassatt (1844–1926) in Ecouen auf. Der englische Schriftsteller, Maler, Kunstkritiker und Aufspürer von Talenten, John Ruskin (1814–1902), machte auf manchen Maler durch seine kritischen Artikel aufmerksam. ‚Für einige von ihnen kommt es in England und Amerika zum Durchbruch. [… ] Sie verdanken ihr internationales Ansehen der begeisterten Unterstützung John Ruskins.‘ (Ecole Ecouen)
Heute pflegt Ecouen das Andenken an die Maler der Künstlerkolonie zum einen durch Straßennamen. 1906 wurde aus der Rue de la Beauvette, in der sich Schencks Anwesen befand, die Rue Auguste Schenck. Zum anderen ehrt die Gemeinde ihre Maler mit einer Bildergalerie im Rathaussaal. An der repräsentativen Stirnseite des Saales hängt das Schenck-Bild ‚l‘Echir‘, dieser Titel ist ein Begriff aus dem Provencalischen und bedeutet kalter Nordostwind der die Berge der Auvergne mit Schnee bedeckt.
Mit diesem Gemälde hat sich Schencks Witwe bei der Gemeinde für die Straßenumbenennung bedankt. In der Kirche zu Ecouen hängt Schencks Gemälde ‚Lamm Gottes – Agnus die‘. 2012 gab das Eouener Touristenamt das Buch ‚Die Schule von Ecouen, eine Malerkolonie des 19. Jahrhunderts‘ heraus. Darin werden über 40 Maler mit Werkabbildungen vorgestellt, darunter August Schenck mit 7 Abbildungen. Von Félix Justin Gardon wird u.a. das stimmungsvolle Gemälde ‚Le jardin de Madame Schenck‘ präsentiert.
Neben dem ausgedehnten Besitz in der Rue de la Beauvette unterhielt Schenck ein Atelier am anderen Ende des Ortes. ‚Ein riesiger Raum, wunderbar erhellt, inmitten der Felder‘, schrieb Jules Bastien-Lepage (1848–1887). (Ecole Ecouen) Auch Emile Zola hat Schenck besucht. ‚Vor uns wurde die Tür eines Stalles aufgestoßen, in dem Schenck einige seiner Modelle aufzog. Eine derartige Annäherung an das Werk des Malers war eine harte Prüfung: Es war ihm prächtig gelungen. Der Anblick des Stalles war das Gegenbild des Gemäldes.‘ (Ecole Ecouen) Die Zeitung ‚Die Presse‘ schrieb: ‚… mit zitterndem und abstehendem Schaffell, sehr bewegend, sehr ergreifend und sehr lebensecht.‘ (Ecole Ecouen) Und ‚Le Petit Journal‘ geht am 7.6.1875 in einer Lobrede noch darüber hinaus: ‚Der Künstler begnügt sich nicht nur mit der Darstellung des Schaffells, er ist auf der Suche nach dem Quäntchen Seele, die bei diesen bescheidenen Dienern des Menschen anzutreffen ist. Er versteht es ausgezeichnet, die Vertrautheit zu zeigen, die sich zwischen Tier […] und Mensch einstellt; ebenso auch die Tragödie wiederzugeben, die die Laune der Natur, die das Tier in seiner einfachen Lebensstruktur nicht begreift, hervorruft.‘ (Ecole Ecouen) ‚Le Paris‘ schreibt: ‚Ein ausgezeichneter Arbeiter und sicherlich der größte Schafmaler unserer Zeit.‘ (Ecole Ecouen)
Maler Schenck etablierte sich schnell, aber so begeistert wie die amerikanischen Milliardäre waren die Ausstellungsjuroren nicht immer. ‚Seine Gedanken über manche Kritiker hat er übrigens in humoristischer Weise auf die Leinewand gebracht: ‚les curieuses‘ (Die Neugierigen – Gänse vor einer Staffelei), nennt er ein [...]Bild, welches mit 20.000 Frcs. angesetzt war. [...]1869 malte er ‚autour de l‘auge‘ (Um den Trog)9, ein Bild, welches ohne Zutun des Künstlers eine politische Berühmheit erlangt hat. Kenner behaupteten nämlich, dass die Eselsköpfe menschliche Züge hätten und Phantasten erkannten sogar eine Porträtähnlichkeit. Zuerst wollte die Prinzessin Mathilde [das war eine Verwandte Napoleon III.] das schöne Bild kaufen, stand aber davon ab, weil man ihr sagte, die Köpfe sollten die Ratgeber des Kaisers Napoleon darstellen. Dann interessierte sich die Kaiserin von Oesterreich [also Sissi] dafür, doch auch sie verzichtete aus dem selben Grunde auf den Ankauf, um der gesuchten politischen Freundschaft keinen Grund zu Missverständnissen zu geben.‘ (Halling)
L‘Echir (Kalter Nordostwind der die Berge der Auvergne mit Schnee bedeckt) – Ecouen, Rathaushalle. Foto: Archiv Widderich/Internet.
Mein Schirm – (Foto: Archiv Widderich/Internet).
Schencks Tierdarstellungen lassen einen tierliebenden Menschen vermuten. Glücklicherweise gibt es dafür Hinweise von Zeitzeugen, die den Menschen August Schenck ins Blickfeld rücken. Zunächst eine Anekdote: Seine Brüder Christian, Advokat aus Elmshorn, und Julius, Kaufmann und Senator aus Glückstadt besuchten ihn. Gemeinsam wollten sie eine internationale Ausstellung in Paris besuchen. ‚[Schenck] auch in seiner äußeren Erscheinung, von mehr als gewöhnlicher Körpergröße […], der Advocat und der Kaufmann, beide mehr als breit, über welche, wenn sie zusammen eine Droschke bestiegen, die Kutscher wehklagten: Oh, mon pauvre cheval! Oh, mein armes Pferd.‘ (Halling)
Die Schriftstellerin Luise Schenck (1839–1918) aus Elmshorn, Nichte und Patenkind des Malers, hatte zu ihren Onkel einen guten Draht. Sie hat ihn besucht und war seine Reisebegleiterin. Mit einem Widmungsgedicht vermittelt sie Hinweise auf den ‚privaten‘, jungen August Schenck.
Les Curieuses / Die Neugierigen / Die Kritiker, Stich nach Gemälde (Foto: Archiv Widderich/Internet).
Autour de l‘auge / Um den Trog, Stich nach Gemälde (Foto: Archiv Widderich/Internet).
Du brachtest einst in unsre Kinderwelt
Mein Pate, aus der weiten Welt uns Kunde
Dein Stift ergänzte flott, was du erzählt,
Wir hingen atemlos an deinem Munde
Dann reimt Luise was der Onkel mitbrachte: Rauchwerk, also Pelzwerk, bunt bestickte Schuhe aus Russland, Früchte in goldnen Schachteln aus Portugal. Ein Puppenhaus brachte der Weihnachtsmann-Onkel. Außerdem erinnerte sie sich, dass er zur Mandola ein Liedchen sang. Das Gedicht geht so weiter:
Schon brach das Leben uns manch stolze Kraft,
Schon nahm der Tod so manche unserer Lieben.
Doch deine Hand noch unbekümmert schafft,
Gott sei‘s gedankt, dein Aug‘ ist hell geblieben.
Luise Schenck war eine bemerkenswerte und reiselustige Frau. Sie besuchte ihren Bruder in Montevideo und war Sprachlehrerin in Brasilien. Das war wohlgemerkt im 19. Jahrhundert! Als Literatin machte sie sich in Deutschland einen Namen.10 Sie starb 1918 in Altona und wurde, wie ihre Schwester Bertha, auf dem Friedhof Diebsteich begraben. Ihr Verwandter, der große Bildhauer und Literat Ernst Barlach entwarf den Grabstein für die Schwestern. In der Literatur wird er so beschrieben: […] ein auf die Erde gebreitetes Lesepult mit giebelartigem Rücken, auf dem Pult weit aufgeschlagen ein steinernes Totenbuch.‘11 Das Grab ist längst aufgelassen, der Stein wird als Denkmal bewahrt.
Schenck begrüßte in Ecouen auch manchen Besucher aus seiner Heimat. Einige haben ihre Erlebnisse aufgeschrieben, wie der junge Ernst Barlach, der ja durch Schencks Schwägerin in Elmshorn, wenn auch entfernt, mit ihm verwandt war. Barlach schrieb: ‚Der Maler Schenck in Ecouen, wenn man so wollte, eine Art Onkel zu mir, ein Mann in guten Jahren, Besitzer eines geräumigen Weinkellers und in bequemen Umständen, hielt mich offenbar für einen rotznäsigen Anfänger und versorgte meine ‚Unbedarftheit‘, wie er als Holsteiner die gelegentliche Zutäppischkeit meines Wesens auslegte, bedürftig einer nur in Paris durchführbaren Dressur, indem er mich an seinen Freund Julien [sic] empfahl – kurz und gut, ich zeichnete einige Wochen oder gar Monate auf der Akademie Julien Akte, schlechte, langweilige Richtigkeiten, Zustände einer schlechten, langweiligen Kleiderlosigkeit bei männlichen und weiblichen Darbietern von so viel Mangel an Trost, dass ich nicht einsehen konnte, weshalb man sich eigentlich mühe – ich, dem beim Gang über die Straßen der Bleistift in der Hand vor Ungeduld zu tanzen begann.‘12 Dieser kurze literarische Hinweis beschreibt die Begegnung eines noch unbekannten Kunststudenten mit einem arrivierten Künstler. Weil Barlach aber ein prominenter Bildhauer und Literat wurde, sind wohl alle Facetten seines Lebens untersucht und publiziert worden. Auch seine Briefe. In einem schildert er ausführlich einen Besuch in Ecouen, der voller Überraschungen steckt. Am 21. September 1895 schrieb Barlach ausführlich an seinen Freund Friedrich Düsel: ‚[…] Denn wenn ich Dir […] allerlei berichten will, so muss ich August Schenck erwähnen, unserer Freundin Onkel [gemeint ist Luise Schenck]. Der hat nur seine Kindheit in Glückstadt in Holstein verlebt, und doch ist seine deutsche Art so unverfälscht, als sei er auch in Glückstadt groß geworden und finge nun an, auch in Gl.[ückstadt] abzusterben. Er wohnt in Ecouen bei P.[aris], eine halbe Stunde mit der Eisenbahn zu fahren. Als ich ihn zum ersten Male besuchte, wurde ich in eine große Scheune geführt, sein Atelier. Da malt er und wirtschaftet wie ein Uhu im hohlen Baum – ein großer, knorriger, steifbeiniger Mann. Zähnefletschend spricht er vom Lieblichen, und sein Humor, wenn er auch dämonische Sätze macht, ist so grotesk wie er selbst, steifbeinig und steifnackig. Er hat Erfolge gehabt, führt, obgleich nicht naturalisiert, das rote Bändchen [der Ehrenlegion] im Knopfloch, steht mit den augenblicklichen Autoritäten auf Du und Du und ist ein feuriger Patriot und ein gutes Luder; so gestaltet sich mein Verkehr mit ihm nett. Er