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Das spannende Finale der Waidling-Serie! Als der Prinz von Gallren entführt wird, muss Rowan eine wichtige Rolle bei seiner Rettung spielen – doch die Zeit läuft ab. Kann sie den Prinzen retten, den zerbrechlichen Frieden bewahren und ein weiteres magisches Tier in Not retten? Perfekt für Mädchen und Jungen, die Abenteuer und Drachen lieben! Kurze Kapitel und eine spannende Geschichte fesseln auch Lesemuffel Themen wie Freundschaft, bedrohte Tiere, Umweltschutz und vertriebene Familien
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Seitenzahl: 102
Veröffentlichungsjahr: 2024
Liz Flanagan
Die Rettung vom magischen Berg
Aus dem Englischen von Bettina Münch
Deutsche Erstausgabe
© der deutschsprachigen Ausgabe: von Hacht Verlag GmbH, Hamburg 2024
Alle Rechte vorbehalten
Text Copyright © Liz Flanagan 2024
Cover und Illustrationen im Innenteil © Angelo Rinaldi 2024
Verlegerin: Rebecca Weitendorf von Hacht
Aus dem Englischen von Bettina Münch
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
ISBN978-3-96826-710-4
www.w1-vonhacht.de
www.instagram.com/vonhacht_verlag
Rowan träumte: Sie hatte sich in einem Schneesturm verirrt, war verängstigt und allein. Ein riesiges Pferd kam rasend schnell und furchterregend durch die Bäume auf sie zugedonnert. Das Gesicht des Reiters konnte sie nicht erkennen, aber sie hörte, was er sagte: »Der Prinz ist entführt worden. Es waren die Estrier! Du hast dich in ihnen getäuscht. Du hast dich in allem getäuscht!«
Keuchend und mit klopfendem Herzen erwachte sie in aller Frühe. Sie lief die Treppe hinunter, um einen Schluck Wasser zu trinken, und stellte sich ans Küchenfenster. Das Haus ihres Urgroßvaters, den alle nur Großvater nannten, lag am Rand des Dunkelwalds. Es hatte aufgehört zu schneien, und die Welt draußen war blendend weiß: der Himmel, die Bäume, die Stalldächer. Sie hätte es selbst mit geschlossenen Augen gewusst. Alles hörte sich anders an. Die Geräusche waren leiser, weicher, gedämpfter. Aber Rowan fühlte sich auch anders: traurig und besorgt, als läge alles Gute unter der Schneedecke begraben.
Etwas Warmes, Pelziges schmiegte sich an ihre Hand und leckte sie dann.
»Danke, Arto«, sagte sie, als sie den Kopf des weißen Wolfes streichelte. Sein warmer, an sie gelehnter Körper tröstete sie. »Du hast recht«, flüsterte sie dann. »Ich will auch nicht weg. Ich bin doch gerade erst nach Hause gekommen.«
Sie war am Abend zuvor nach einer langen, gefährlichen Reise wieder in Gallren angekommen. Für eine Weile war an diesem Abend alles perfekt gewesen: das Wiedersehen und das Mittwinterfest mit ihren Eltern und dem Großvater. Aber dann war der Bote von Königin Silvana mit einer schrecklichen Nachricht eingetroffen. Ihr Sohn, Prinz David, war entführt worden, und jetzt wurde Rowans Vater in der Hauptstadt Holderby gebraucht.
»Guten Morgen, Liebes.« Rowans Mutter kam gähnend in die Küche, legte den Arm um sie und blickte in den winterlichen Wald hinaus. »Willst du deinen Vater wirklich begleiten?«, fragte sie sanft.
»Ich muss es tun«, sagte Rowan. »Es geht nicht darum, was ich tun will, sondern darum, was ich tun muss.«
»Dann gehen wir alle«, sagte ihre Mutter.
»Wirklich?« Rowan fuhr herum. Die Aussicht, sich noch einmal von ihrer Mutter und ihrem Großvater verabschieden zu müssen, war schrecklich gewesen. Aber im nächsten Moment wurde ihre Erleichterung von neuen Sorgen verdrängt: War das nicht gefährlich? Was, wenn jemand verletzt wurde?
»Beeil dich«, sagte die Mutter. »Es gibt viel zu tun, wenn wir heute noch ankommen wollen.«
Für Sorgen blieb keine Zeit. Sie eilten von hier nach da, nahmen ein schnelles Frühstück ein und zogen ihre wärmsten Sachen an: mehrere Lagen Wolle übereinander, dicke Socken und Stiefel. Schließlich suchten alle nach ihrem Wintermantel oder -umhang, nach Mützen und Handschuhen.
»Wenigstens hast du es mit deinem dicken Fell schön warm«, sagte Rowan schnaufend zu Arto, weil ihre Sachen für das Haus viel zu warm waren. »Aber wie soll ich dich im Schnee eigentlich erkennen? Bleib immer dicht bei mir, ja?«
Arto bellte und leckte ihr über die Wange.
Als Erstes begaben sie sich zur Farm ihrer Nachbarn, auf der Rowans Freunde Cam und Will lebten. Will öffnete die Tür, den Schwanz seiner großen, gefleckten Katze Zobel um sein Knie geschlungen.
Auch er sah müde aus, und Rowan fragte sich, ob er die ganze Nacht aufgeblieben war, um seiner Familie von ihren Abenteuern in Estrien zu erzählen. Sie hoffte, dass er ihnen erzählt hatte, wie mutig er gewesen war. Ja, Will hatte sie vor einiger Zeit verraten, aber er hatte sie auch gerettet. Sie betrachtete ihn jetzt als einen wahren Freund.
Cam schob ihren Bruder beiseite und umarmte Rowan. Ihr langes, dunkles Haar floss ihr über den Rücken. »Guten Morgen!«, sagte sie. »Ihr seid früh dran. Wir wollten euch eigentlich nach dem Frühstück abholen und Leo den Wald zeigen.«
Rowan sah die aufgestapelten Brötchen auf dem Tisch und einen Teller mit Eiern. Wills und Cams Eltern tranken Kaffee und winkten ihnen zu.
»Danach können wir nach Appeldorn gehen«, fuhr Cam fort, »und dort gewürzten Apfelsaft trinken, Kekse essen und …«
»Nein, warte, Cam.« Rowan hasste es, schlechte Nachrichten zu überbringen, die ihr Lächeln von einem Moment auf den anderen auslöschen würden. Ihr Blick wanderte an Cam vorbei zu Leo, ihrem estrischen Freund.
Mit seinen bernsteinfarbenen Augen und den lockigen braunen Haaren sah Leo genauso aus wie seine Mutter, Elena Ravenwood, die neue Herrscherin von Estrien. Elena hatte mit Hilfe von Leo, Will, Rowan und den magischen Tieren endlich die Führung ihres Landes übernommen.
»Was ist los?«, fragte Leo nun.
Rowan holt tief Luft. Sie konnte ihm die Neuigkeiten nicht ersparen. Was sie ihm gleich sagen würde, könnte ihrer aller Leben für immer verändern.
Rowan sah ihrem estrischen Freund tief in die Augen. »Gestern Abend ist ein Bote gekommen«, begann sie. Eigentlich hatte sie Leo gleich informieren wollen, aber ihre Eltern hatten sie überredet, bis zum Morgen zu warten, damit der Bote ihnen erst die ganze Geschichte erzählen konnte.
»David, der Prinz von Gallren, ist entführt worden. Die Königin glaubt, dass die estrische Führung dafür verantwortlich ist.«
»Aber nicht meine Mutter. Sie würde so etwas nie tun!.« Leo klang erschrocken und gekränkt.
»Das weiß ich«, sagte Rowan schnell. »Deshalb gehe ich mit meiner Familie nach Holderby, um der Königin die Wahrheit zu erzählen. Ich kenne deine Mutter. Ich weiß, dass Elena es nicht getan haben kann.«
»Ich komme mit euch!«, platzte Leo heraus.
»Nein, Leo. Das wäre für jeden Estrier gefährlich, aber für dich ganz besonders. Verstehst du denn nicht?«, sagte Rowan eindringlich. »Wenn du jetzt sofort nach Hause zurückkehrst, kannst du dich noch in Sicherheit bringen.«
Die Kinder waren auf ihrer Rückreise von einem Mann namens Johannes begleitet worden. Leos Mutter hatte ihnen gesagt, dass er sonst in den Ställen arbeite. Aber Rowan hatte seine versteckten Waffen gesehen und war sich sicher, dass Johannes in Wirklichkeit ein Soldat war. Jetzt meldete der Mann sich zu Wort.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren, Leo. Ich muss dich zu deiner Mutter zurückbringen und ihr berichten, was passiert ist.« Johannes stand auf und ging zur Tür.
»Nein.« Leo schob eigensinnig die Unterlippe vor. In seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Angst und Entschlossenheit. »Erzähle du es ihr. Ich gehe mit Rowan. Verstehst du denn nicht?«, wiederholte er Rowans Worte. Er sprach eindringlich und mit lebhaften Gesten: »Wenn ich mitgehe, um mit ihrer Königin zu sprechen, beweist das, dass meine Mutter nicht dafür verantwortlich ist. Wenn wir Feinde wären, würde es überhaupt keinen Sinn ergeben, dass ich ihre Hauptstadt betrete. Und gerade deshalb werde ich es tun. Um zu beweisen, dass wir Freunde sind. Mutter würde wollen, dass ich das Richtige tue.« Er zögerte einen Moment. »Ich kenne sie besser als du!«
Es wurde still in der überfüllten Küche.
»Der Junge hat nicht ganz unrecht«, sagte Großvater schließlich. Er war ein groß gewachsener Mann mit dichtem weißem Haar, einem schneeweißen Bart und funkelnden braunen Augen. Wenn er etwas sagte, hörten die Leute auf ihn. »Leo hat wirklich Mut. Aber es wird Mühe kosten, beide Seiten zum Zuhören zu bewegen. Wir wollen nicht, dass der Krieg wiederauflebt. Wenn Leo mit uns kommen will, werden wir auf ihn aufpassen. Das verspreche ich«, sagte er zu Johannes. »Würden Sie Elena im Gegenzug bitten, geduldig zu sein und auf weitere Nachrichten von uns zu warten?«
»Bist du dir sicher, Leo?«, fragte Johannes.
»Ganz sicher.« Leo hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte entschlossener denn je.
Der Estrier stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte: »Also schön, Leo, wenn du darauf bestehst. Aber setz dich hin und schreibe für mich eine Nachricht an deine Mutter, damit sie weiß, dass es deine eigene Entscheidung war. Nicht meine. Und auch nicht die der anderen.«
Wenig später ritt er mit Leos Nachricht davon.
Nach weiteren hektischen Beratungen war es beschlossen: Rowan und Leo würden auf den Pferden reiten, mit denen sie aus Estrien gekommen waren. Ihre Eltern liehen sich welche von Wills und Cams Eltern. Und Großvater ritt auf seinem schwarzen Pferd Stern.
Kurz darauf waren alle Pferde gesattelt und bereit und warteten unruhig auf dem Hof der Farm.
»Viel Glück!« Cam umarmte Rowan.
»Ich wünschte, ich könnte auch mitkommen«, sagte Will leise, »aber ich war so lange fort …« Sein Blick glitt zu seiner Familie hinüber.
Rowan sah die Blicke seiner Eltern. Sie hatten Will gerade erst zurückbekommen. »Nein, Will. Dein Platz ist hier«, sagte Rowan.
Dann ritten die fünf Reisenden in den kühlen grauen Morgen: Rowan, ihre Eltern, ihr Großvater und Leo.
Es wurde ein langer Tag in bitterer Kälte, obwohl der Schnee allmählich in Matsch und Wasser überging, je näher sie Holderby kamen.
Rowan fiel auf, dass Leo im Laufe der Zeit immer stiller wurde. Sie und ihre Mutter stellten ihm abwechselnd Fragen über Estrien, bis ihnen die Ideen ausgingen und sie schließlich schweigend weiterritten.
Als sie zur Hauptstadt kamen, ragten die grauen Mauern hoch und bedrohlich vor ihnen auf. Holderby war Rowans Heimat, jene Stadt, die sie das ganze letzte Jahr über so verzweifelt vermisst hatte. Aber wenn sie sie jetzt betrachtete, erschien ihr die Stadt unwirtlich und fremd. Ein Ort voller Gefahren und Risiken.
Rowan hatte das Gefühl, in einem bösen Traum gefangen zu sein. Sie näherte sich ihrer Heimatstadt, aber nichts fühlte sich richtig an. Da sie wusste, dass Leo alles zum ersten Mal sah, schaute auch sie sich mit anderen Augen um. Holderby wirkte kalt, grau und schmutzig. Der Schneematsch war keine Hilfe, die schmutzigen Schneehaufen an den Stadttoren auch nicht.
Vor einem davon wurden sie von vier Wachen aufgehalten.
»Ausländer haben keinen Zutritt«, raunzte einer der Männer und starrte Leo und Rowan an, die beide auf bunt bestickten estrischen Ledersätteln ritten. Außerdem trug Rowan immer noch den wallenden grünen Samtumhang, den Leos Mutter ihr zum Abschied geschenkt hatte.
Reichte das wirklich, um jemandem den Zutritt zur Stadt zu verweigern? Rowan starrte die Männer schockiert und verwirrt an. »Seit wann?«
»Ich komme auf Befehl von Königin Silvana«, fuhr ihr Vater die Stadtwachen an. »Ich arbeite in ihren Ställen. Wenn sie erfährt, dass ihr uns abgewiesen habt, wird sie vor Wut toben. Wollt ihr wirklich einen schlechten Tag für sie noch schlimmer machen?«
Die Wachen murmelten miteinander, als Rowans Vater seinen Namen nannte, und schließlich traten die Männer beiseite und ließen sie das Tor passieren.
»Freundlicher Ort, deine Heimatstadt«, flüsterte Leo Rowan zu, während sie ihre Pferde weitertrieben.
»Das war sie früher wirklich!«, wehrte Rowan fauchend ab. Die Straßen waren ruhiger als sonst, und sie spürten die Blicke der Leute in ihrem Rücken.
Rowan war erleichtert, als sie die Stallungen erreichten, den Arbeitsplatz ihres Vaters. Sie sah zu ihrer Wohnung über den Ställen auf, deren Fenster jetzt dunkel und verrammelt waren. Rowan empfand ein solches Durcheinander von Gefühlen, dass sie nicht wusste, wo ihr der Kopf stand.
Sie war froh, sich auf Beere, ihre ruhige braune Stute, konzentrieren zu können. Sie ließ sich Zeit, um den Erwachsenen nicht zuhören zu müssen, die in leisem, besorgtem Ton miteinander redeten. Sobald sie Beere gestriegelt und gefüttert hatte, würde sie sich dem Grund ihres Besuchs stellen müssen.
»Rowan? Leo? Lassen wir Ihre Majestät nicht länger warten«, rief der Vater schließlich. Er führte sie über den gepflasterten Stallhof und in den Palast.
In der einsetzenden Dunkelheit warf Rowan einen kurzen Blick in die Gärten. Sie sah die schneebedeckten Apfelbäume, die hohen Mauern und die eleganten Rasenflächen, die jetzt mit Eis, Schneematsch und schlammigen Fußspuren bedeckt waren, als wäre jeder Zentimeter wieder und wieder abgesucht worden. Wer hatte den Prinzen entführt und warum?, fragte sie sich im Stillen zum hundertsten Mal.
Sie betraten einen prächtigen Raum, der sich dank eines großen Kaminfeuers, vieler Kerzen und der Anwesenheit einer dicht gedrängten Menschenmenge endlich richtig warm anfühlte. Ein großes, von karmesinroten Samtvorhängen umrahmtes Fenster blickte auf die Gärten hinaus.