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Wenige Gegenden Deutschlands vereinigen so verschiedenartige landschaftliche Reize wie Schwaben; weniger Länder reizende Bilder schmückt Sage und Geschichte mit einem so rührenden Abendrot ferner Erinnerungen. Aus diesem Reichtum schildert Schwab seine Erlebnisse, die er während vier Reisen aufzeichnet.
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Seitenzahl: 400
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Wanderungen durch Schwaben
Gustav Schwab
Inhalt:
Gustav Schwab – Biografie und Bibliografie
Wanderungen durch Schwaben
Vorwort
Erste Reise - Das Neckartal von Cannstatt bis Heidelberg
Cannstatt mit dem Rosenstein und Stuttgart
Marbach
Kloster Maulbronn
Heilbronn mit Götzens Turm
Weinsberg und die Weibertreu
Wimpfen am Berg und im Tal
Gundelsheim, Horneck und Guttenberg
Das Schwalbennest bei Neckarsteinach
Heidelberg
Zweite Reise - Die Alb und Mittelschwaben
Das Schlößchen Bronnen im Donautale
Blaubeuren
Hohenstaufen und Rechberg
Der Reißenstein bei Reidlingen
Urach
Schlößchen Lichtenstein
Die Nebelhöhle
Burg Hohenzollern
Haigerloch
Tübingen
Eßlingen
Dritte Reise - Der Schwarzwald
Kloster Hirsau
Der Wasserfall bei Triberg
Die Hölle
Freiburg im Breisgau
Badenweiler
Forbach im Murgtal
Das alte Schloß Baden
Vierte Reise - Der Bodensee und der Hegau
Lindau mit dem Obersee und Gebirge
Der Untersee mit Konstanz
Hohentwiel und der hegau
Wanderungen durch Schwaben, G. Schwab
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849635961
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Dichter, geb. 19. Juni 1792 in Stuttgart, gest. daselbst 4. Nov. 1850, studierte 1809–14 in Tübingen Philosophie und Theologie und war von Jugend auf mit Uhland, seinem dichterischen Vorbilde, befreundet; auch mit Varnhagen und besonders mit Kerner trat er in Verbindung und gab mit ihnen den »Deutschen Dichterwald« (1813) heraus. Im Frühjahr 1815 machte S. eine Reise nach Berlin, wo er mit Fouqué, Franz Horn, Chamisso u. a. Beziehungen anknüpfte. 1817 wurde er Professor am Obergymnasium in Stuttgart; im Herbst 1837 nahm er die ländliche Pfarrei in Gomaringen an, 1841 wurde er zum ersten Prediger an der St. Leonhardskirche in Stuttgart, 1845 zum Oberstudienrat und Oberkonsistorialrat ernannt. S. gilt als Dichter neben Uhland und Kerner für den Hauptvertreter der sogen. schwäbischen Schule. Er hat sich in der Romanze und im kleinern Lebensbild ausgezeichnet, während seine eigentliche Lyrik eine reflektierende und rhetorische Ader hat, so daß ihm nur in einzelnen Fällen ein sangbares Lied (z. B. »Bemooster Bursche zieh' ich aus«) gelingt. Seine Griechenlieder aus früherer Zeit, die Polenlieder aus seinen mittlern Jahren und die allgemeinern Zeitgedichte aus seinem spätern Leben erwiesen seine Teilnahme an den freiheitlichen Bestrebungen der Zeit. Als Redakteur des poetischen Teiles des »Morgenblattes« (1827–37) und des »Deutschen Musenalmanachs« (1833–38) erwarb er sich viele Verdienste um jüngere Dichter und führte manchen (Chamisso, Freiligrath) zuerst ein, der in der Folge berühmt wurde. Seine »Gedichte«, zuerst Stuttgart 1828–1829, in 2 Bänden vereinigt, ließ er später als »Neue Auswahl« (das. 1838, 4. Aufl. 1851) mit einigen Weglassungen wieder erscheinen (neue Ausg. von Klee, Gütersl. 1882). Unter seinen übrigen Schriften sind zu erwähnen: »Die Schwäbische Alb« (Stuttg. 1823; 2. Aufl., mit Zusätzen von Paulus, das. 1878); »Der Bodensee, ein Handbuch für Reisende und Freunde der Natur, Geschichte und Poesie« (das. 1827, 2. Aufl. 1839); »Wanderungen durch Schwaben« (Leipz. 1837 bis 1838, 4. Aufl. 1880); »Die Schweiz in ihren Ritterburgen und Bergschlössern« (Bern 1839, mit Hottinger) und »Schillers Leben« (Stuttg. 1840, 3. Ausg. 1859), dem sich gleichsam als Beigabe die Schrift »Der Kultus des Genius« (Hamb. 1840, mit Ullmann) anschließt, worin größtenteils interessante theologisch-philosophische Zeitfragen behandelt werden. Treffliche Sammelwerke sind seine »Deutschen Volksbücher« (15. Aufl. von Klee, Gütersl. 1894), die Mustersammlungen: »Fünf Bücher deutscher Lieder und Gedichte von Haller bis auf die neueste Zeit« (Leipz. 1835; 5. Aufl., hrsg. von Bernays, 1871) und »Die deutsche Prosa von Mosheim bis auf unsre Tage« (Stuttg. 1843, 2 Bde.; 2. Aufl. von Klüpfel, 1860, 3 Bde.), endlich der »Wegweiser durch die Literatur der Deutschen« (Leipz. 1846; 4. Aufl., von Klüpfel gänzlich umgearbeitet, 1870, mit 3 Nachträgen) und »Die schönsten Sagen des klassischen Altertums« (Stuttgart 1838–40, 3 Tle.; 24. Aufl. von Klee, Gütersl. 1894). Neben diesen eignen Erzeugnissen ging auch die Herausgabe und Übersetzung mancher fremden her, als: »Erlesene Gedichte von Paul Fleming, mit Flemings Leben« (Stuttg. 1820); »Der Froschmäusler, von Georg Rollenhagen« (übersetzt ins Neudeutsche, Tübing. 1819); »Lamartines auserlesene Gedichte« (metrisch übersetzt, Stuttg. 1826); Barthélemys und Mérys »Napoleon in Ägypten« (übersetzt, das. 1829). Auch gab S. mit Tafel und Osiander das Sammelwerk »Übersetzungen griechischer und römischer Prosaiker und Dichter« (Stuttg. 1827 ff.), ferner W. Hauffs »Sämtliche Schriften« (das. 1830) und W. Müllers »Vermischte Schriften« (Leipz. 1830) heraus. Eine Auswahl seiner kleinern prosaischen Schriften besorgte Klüpfel (Freiburg 1882). Vgl. Klüpfel, Gustav S., sein Leben und Wirken (Leipz. 1858; eine kürzere Darstellung, Stuttg. 1884), und die von Schwabs Sohn Christoph Theodor S. herausgegebene Biographie »Gustav Schwabs Leben« (Freiburg 1883). Letzterer, geb. 2. Okt. 1821 in Stuttgart, seit 1852 Professor am Katharinenstift daselbst, gest. 17. Okt. 1883, schrieb außerdem die Monographie »Arkadien, seine Natur, seine Geschichte etc.« (Stuttg. 1852) und gab Hölderlins »Sämtliche Werke« (das. 1846, 2 Bde.) heraus.
Wenige Gegenden Deutschlands vereinigen so verschiedenartige landschaftliche Reize wie Schwaben; weniger Länder reizende Bilder schmückt Sage und Geschichte mit einem so rührenden Abendrote ferner Erinnerungen. Bei diesem Reichtum an beiderlei Schmucke sieht sich Künstler und Verfasser des Textes in gleiche Verlegenheit gesetzt. Welche Auswahl soll jener treffen, auf dreißig Bilder beschränkt, wo das Zehnfache nicht hinreichen würde, alle romantischen und malerischen Schönheiten des Landes dem Freunde der Natur vorzuführen? In welche Verbindung soll dieser dreißig Punkte bringen, die, einer vom andern oft durch viele Meilen getrennt, jeder isoliert aufgefaßt sind und auch so dargestellt werden müssen? Die Aufgabe war unleugbar hier viel schwieriger als in mancher andern Sektion dieses Werkes, wo entweder nur Oasen einer pittoresken Natur, auch mythisch und geschichtlich leicht zu erschöpfen, in übrigens gleichgültigerem und weder für Crayon noch für Feder verführerischem Lande sich darboten oder der einfache Lauf eines Flusses ohne Sprünge und Winkelzüge von einer reizenden Landschaft zur andern zwanglos hinleitete. Inzwischen haben wir es versucht, in dieses bunte Gemisch von Einzelheiten doch eine gewisse Einheit zu bringen. Das weitläufige Land ist von uns planmäßig durchwandert worden, und dadurch ist es nicht nur dem Zeichner gelungen, in vier größeren Reisekomplexen Verwandtes zusammenzustellen, sondern auch die Beschreibung konnte bei jeder der vier Wanderungen den Faden der örtlichen und geschichtlichen Schilderungen, nur selten abbrechend, von Gegend zu Gegend fortführen und das, was die bildliche Darstellung beiseite lassen mußte, durch das Wort flüchtig andeuten. Dabei war freilich das Land anders aufzufassen und die Beschreibung in andrer Ordnung vorzunehmen, als es der Topograph getan haben würde. Dieser hätte etwa mit dem höchsten Teile des Landes begonnen und wäre von jenem zu den niedrigern Gebirgen, Hügeln und Ebenen hinabgestiegen; er hätte den Hauptfluß des Landes von seiner Quelle bis zum Ausflusse ununterbrochen verfolgt und, wo es irgend möglich gewesen wäre, eine Totalübersicht, ein Rundgemälde des Landes geliefert. Wer aber den Beschauer vom Kleineren zum Größeren, vom Lieblichen zum Erhabenen, von der bescheidenen Landschaft zur romantischen Naturszene führen möchte, muß einen andren Weg einschlagen und kann seine Bilderreihe nicht einer wissenschaftlichen Ordnung unterwerfen.
Den Kern Schwabens bildet eine teils von Hügelmassen besetzte, teils wellenförmig erhabene Landschaft, welche im Westen und im Südosten von höheren Stufen wie von Rändern eingefaßt ist. Die westlichste dieser Stufen, welche landeinwärts allmählig, einem glatten Dache gleich, gegen die Ebene sich herabsenkt, ist der Schwarzwald; die südöstliche, welche plötzlich und steil, wie ein jähes Dach, gegen dieselbe abfällt, ist die Alb. Zwischen beiden, dem Schwarzwald und der Alb, welche im Südwesten bis auf eine Meile einander nahe kommen und nur noch durch die Breite des oberen Neckartales voneinander getrennt sind, dann aber schnell voneinander sich abwenden, erweitert sich die Landschaft immer mehr gegen Nordosten bis zur Jagst und hinaus bis zum Mainstrom. Der Schwarzwald selbst bildet mit seinem badischen Teile, nebst einem schmalen Streife flachen Landes, die westliche Gränze Schwabens; die Alb durchzieht das Königreich Württemberg von Südwest nach Nordost in die Quere. Jenseits derselben im Süden breitet sich eine zweite große Landschaft aus, welche zwar niedriger liegt als die Alb, aber höher als die erste, nördliche Ebene. Es ist dies Oberschwabens Hochebene, welche von der Donau bis zum Bodensee an der südlichen Gränze Schwabens sich erstreckt.
Auf dem hier geschilderten Die Schilderung, für Schwaben angepaßt, ist der soeben (1836) bei Metzler in Stuttgart erschienenen gründlichen »Geographischen Beschreibung von Württemberg, von Ludwig Völter« entnommen, einem Buch, das jedem zu empfehlen ist, der einen lebendigen Überblick über einen großen Teil von Schwaben gewinnen will. Schauplatze der Natur drängt sich das Malerische und Romantische, sofern es Auszeichnung verdient, so ziemlich im Neckartal, der Alb, dem Schwarzwald und den Ufern des Bodensees zusammen. Damit glauben wir die Einteilung unsrer Sektion in vier Reisen oder vier Hauptabschnitte des nachbenannten Inhaltes hinlänglich gerechtfertigt. Der erste Abschnitt umfaßt die Reise durch das Neckartal von Cannstatt bis Heidelberg, denn da die Pfalz keine eigne Sektion hat, so meinten wir hier nicht streng bei der Gränze Schwabens stehen bleiben zu müssen. Sieben der schmucksten und niedlichsten Landschaftsbilder sind hier – eine kleine Auswahl aus viel Sehenswertem – herausgehoben worden, und haben wir Bedacht darauf genommen, daß des Betrachtenswürdigen wie des durch Vergangenheit oder Gegenwart Ausgezeichneten möglichst vieles in einem Blatte sich vereinige. So erscheint Cannstatt, das Landhaus Rosenstein und die Residenzstadt Stuttgart zusammen auf einem und demselben Bilde; die nächste Darstellung ist Schillers Haus auf dem Marktplatze zu Marbach gewidmet; dann folgen Kloster Maulbronn, die alte Reichsstadt Heilbronn mit dem Turme, wohin Sage und Poesie das Gefängnis Götzens von Berlichingen verlegt, Weinsberg mit der Weibertreue, Wimpfen am Berg und im Tale, diese vier auf je einem Bilde; die schönen und ereignisreichen Burgen Horneck und Guttenberg füllen nebst Gundelsheim ein einziges Blatt; von den vier Burgen Neckarsteinachs stellt sich die älteste und groteskeste, das Schwalbennest, vereinzelt dar; den ganzen Zug der Neckarbilder beschließt das köstliche Heidelberg, an welchem Kunstdarstellung und Schilderung durchs Wort oft versucht worden ist und nie sich erschöpft hat. Weiteres von dem Hügel- und Ebenlande Schwabens mitzuteilen erlaubt teils der Raum, teils die Bestimmung unseres Werkes nicht.
Daher führt sofort die zweite Reise im nächsten Abschnitt unsrer Sektion in eine andre Region unsres Schwabenlandes, in die Täler und Berge der Schwäbischen Alb, wo eine größere Natur sich vor unsrem Auge auftut. Der Durchwanderer unsres Bilderwerkes wird von uns zuerst an den südöstlichen Abfall dieses Jurakalkgebirgs, ins Donautal, geführt, und der Repräsentant jener malerischen Felsgegenden ist hier das Schlößchen Bronnen. An vielem Schönen und Großartigen ungerne vorbeigehend, verweilen wir erst wieder in einem Talabschnitte dieser Albseite beim romantischen Ursprunge der Blau und dem vielseitig merkwürdigen Städtchen Blaubeuren. Die Hochebene der Alb überspringt ein Werk, das dem malerischen und romantischen Schwaben gewidmet ist, wie billig; es eilt der Ausbeute zu, welche die nordwestliche Abdachung des Gebirges verspricht, mit ihren mannigfaltigen und großartigen Tälern, in welchen Obstwälder im Schoße von Buchenhainen und Felsengründen, von Burgen und Schlössern überragt, von versteckten Grotten umlagert, die Erinnerungen einer üppigen Natur ins rauhe Gebirg hinübertragen, dessen Hochflächen an die Steppen und das Klima des Nordens erinnern, während volkreiche und blühende Städtchen an der Traufe des Gebirges die Pforten jener romantischen und doch so gesegneten Täler bewachen. Aus dem Überflusse von Großem, Schönem und Seltenem aller Art heben wir hier auf sechs Blättern Rechberg und Hohenstaufen (in einem Bilde), Hohenurach, die Burgtrümmer des Reißensteins, das Schlößchen Lichtenstein, das Innre der Nebelhöhle und die Burg Hohenzollern heraus. Dann entfernt sich unser Weg einige Stunden von der Alb, um die ganz einzige Lage des Städtchens Haigerloch zu betrachten und die hervorragendsten Städte des mittlern Neckargebietes, Tübingen und Eßlingen, die, jede in eigentümlich reizender Lage, des Merkwürdigen so vieles bieten, für Darstellung und Schilderung nachzuholen. Somit umfaßt dieser zweite Abschnitt eilf Bilder, wovon acht der Schwäbischen Alb und drei dem Mittellande zwischen Alb und Schwarzwald angehören.
Der Granitwall des Schwarzwalds trägt, was Ausdehnung, Höhe und Gebirgsart betrifft, einen mächtigeren Charakter als die Mauer der Schwäbischen Alb; der Gang von dieser zu jenem, der im dritten Abschnitte auf der dritten Reise von uns in malerischer und romantischer Hinsicht durchforscht wurde, bildet somit in derselben Beziehung auch einen Fortschritt vom Niedrigern zum Höheren. Seine erhabeneren Schönheiten sind indessen nur im westlichen Abfalle dieses Gebirges gegen das Rheintal und teilweise auf der nördlichen Seite desselben zu suchen. Aus den bescheideneren Reizen der Täler, die der südöstlichen Abdachung näher liegen, haben wir das uralte Kloster Hirsau mit seinem stillen Tannengrunde zur Darstellung gewählt, dann nach Südosten gewendet den Triberger Wasserfall, die Felsenschlünde des Höllentals, Freiburg an der heiter-ernsten Ausmündung des Gebirges mit seinem erhabenen Münster und endlich den Römersitz Badenweiler aufgesucht, in dessen waldigen Grund schon die üppigste Kultur des Rheintales eingedrungen ist. Zwei Siebenmeilenschritte führen uns von da ins Murgtal, aus dessen Herrlichkeiten das stille Forbach und die ehrwürdige Ruine Baden ausgelesen worden. Sieben Bilder sind so dem Schwarzwalde gewidmet.
Die drei stolzesten Darstellungen liefert der letzte Abschnitt und die vierte Reise, die den Freund der schwäbischen Natur an den Bodensee und vor die Stirne der Schweizeralpen führt. Lindaus Inselstadt mit einer herrlichen Ansicht des Obersees und einer weiten Rundsicht über die Hochgebirge ist das erste Bild in diesem Kleeblatte; das zweite zeigt den Untersee mit Konstanz, von dem Napoleonidenschlosse des Arenenberges aus gezeichnet. Im dritten Bilde des vierten Abschnittes, dem dreißigsten und letzten unsrer Sektion, trennt sich der Beschauer mit der porphyrnen Felsenfeste Hohentwiels und einer ganzen Gruppe verschwisterter Berge des Hegaus oder Höhgäus vom Schwabenlande.
Cannstatt mit dem Rosenstein und Stuttgart – Marbach mit Schillers Hause – Kloster Maulbronn – Heilbronn mit Götzens Turm – Weinsberg und die Weibertreue – Wimpfen am Berg und im Tal – Horneck, Gundelsheim und Guttenberg – Das Schwalbennest bei Neckarsteinach – Heidelberg
Unsre Galerie malerischer Gegenden aus Schwaben eröffnet sich mit einem Tale, über welches eine südlichere Natur das Füllhorn ihres Segens ausgegossen zu haben scheint. Schon der alte Hübner in seinem jetzt hundertjährigen Zeitungslexikon sagt: »Cannstatt ist nach Stuttgart und Tübingen eine der feinesten Städte im Württembergischen.« Er konnte mit diesem rühmlichen Prädikate keineswegs unmittelbar das Städtchen Cannstatt selbst bezeichnen wollen, denn dieses ist ein unansehnliches, in seinem Innern nichts weniger als »feines« Landstädtchen, von dessen Einrichtung zu Hübners und zu unsrer Zeit galt und gilt, was schon zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts Martin Crusius in seiner Chronik vorgemerkt hat: »Die Häuser von Cannstatt sind nicht zur Pracht, sondern zum Gebrauch gebaut.« Jenes Lob kann also nur der Umgegend gelten, und diese verdient es auch in vollem Maße. Der Teil des Neckartals, in dessen Schoße Cannstatt liegt, gehört nicht zu den großartigeren, wohl aber zu den freundlichsten und fruchtbarsten von ganz Schwaben. Das üppigste Rebenlaub kleidet seine sonnigen Hügel, deren Höhen und tiefere Taleinschnitte wuchernde Obstgärten oder vielmehr Obstwälder bedecken und ausfüllen; breite Weidenpflanzungen auf frischen grünen Wiesen ziehen sich zu beiden Seiten der Flußufer hin und machen, in der Nähe zahlreicher und lachender Ortschaften, Gärten und Äckern, wohl auch Weinpflanzungen Platz; einzeln auf Hügeln stehende Kirchen, zu welchen nur die letzten Häuser der Dörfer sich emporziehen, erinnern, mitten im protestantischen Lande, an die alte katholische Zeit, aus der wohl auch einmal die einsame Kapelle eines verschwundenen Dorfes übrig geblieben ist; einige Dörfer sind, wie die Städte Italiens, ganz auf Hügeln gelagert; die neueste Zeit hat diesem lachenden Gemälde Landhäuser, Tempel, Badehallen und Pavillons hinzugefügt, und das unscheinbare Cannstatt selbst verschwindet unter einer Umkleidung von schmucken Vorwerken, Gasthöfen, Badehäusern, Fabriken und vor einer gewerbreichen, an Bauten von Jahr zu Jahr wachsenden Vorstadt jenseits des Neckars, die binnen Jahresfrist mit der Stadt selbst durch die massivste und schönste Steinbrücke des Landes verbunden sein wird.
Vom Standpunkt unsres Bildes aus, dem die ferne Hauptstadt im Hintergrunde nicht fehlen durfte, ließ sich nur ein Segment dieses herrlichen Tales darstellen, aber der Künstler hat so viel Schönes, als nur möglich war und die strenge Wahrheit in den Örtlichkeiten vertrug, auf seinem engen Raume zu vereinigen gewußt. Verfolgen wir die Schlangenlinie des Neckars, die sich ganz in den Vorgrund, dem auf dem linken Ufer gelegenen, im Bilde nicht mehr sichtbaren Dorfe Münster zuzieht, aufwärts, so zeigt sich, den ganzen Mittelgrund einnehmend, Cannstatt mit seiner Kirche und deren Turm, einem Werke des berühmten Baumeisters Schickhardt; dann die Neckarbrücke, die Vorstadt; links vom Beschauer der »Sulzerrain«; so heißt der Hügel, hinter welchem die Sulz, d. h. die wichtigste Heilquelle der berühmten Cannstatter Bäder, mit ihren neuen Bauten und Anlagen, sich verbirgt. Hinter den ersten Vorhäusern der Stadt erscheint auf einem Hügel das kleine Dorf Berg mit seiner niedlich gelegenen Kirche, ganz links in der Ferne, zwischen gabelförmigen Hügelvorsprüngen, das Dorf Gablenberg, auch hügelan steigend. Rechts von unserm Auge sieht hinter der Vorstadt noch im Tale selbst das königliche Haus Bellevue hervor, und auf dem jetzt in Rasen und Rosen gekleideten Hügel, der einst der Kahlenstein hieß, ist das herrliche Landhaus »Auf dem Rosenstein« gelagert. Weiter rechts steht ein den Anlagen dieses Schlosses zugehöriger Pavillon. Im Hintergrunde schmiegt sich die erste Haupt- und Residenzstadt Württembergs, Stuttgart, durch die schönsten Anlagen mit Cannstatt verbunden, ganz in den Boden des Kessels, welchen links der Eßlinger und der Bopserberg, rechts der Hasenberg, dessen Fortsetzung zum königlichen Lustschlosse Solitude führt, im hintersten Grunde endlich die hier abfallende Hochebene der »Filder« bildet.
Vergleicht man die in so vielen Beziehungen ungemein günstige Lage Cannstatts mit der eingepreßten Stellung, wie sie Stuttgart in einer zwar höchst fruchtbaren, aber wasserarmen Gegend zwischen lauter Hügeln und Bergen einnimmt, so müßte man es unbegreiflich finden, warum die Herren von Württemberg nicht lieber das benachbarte Cannstatt zu ihrer Residenz gewählt haben, wenn man nicht wüßte, daß die Gründung von Residenzen selten auf freier und bewußter Wahl ruhe, sondern dieselben gewöhnlich mit Land und Staat erst allmählig entstehen und gewissermaßen da sind, ehe man sich dessen versieht. Inzwischen machte noch im Jahre 1682 ein Herr Ganniare de St. Paul dem Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg und seinem geheimen Rate in einer eigenen Druckschrift den Vorschlag, zum Besten des Landes Cannstatt zur Haupt- und Residenzstadt zu machen, weil sich dort alles vereinige, was zu einer blühenden Hauptstadt gehöre.
Was uns an Cannstatt nicht weniger anzieht als die Reize seiner Umgebung, sind seine geschichtlichen und naturhistorischen Merkwürdigkeiten. Wir beginnen mit den letzteren, die gleichsam die antediluvianische Geschichte des Cannstatter Bodens ausmachen. Schon im Jahre 1700 wurden nämlich in Gegenwart des württembergischen Leibarztes D. Salomon Reisel auf einem Hügel, tausend Schritte von der Stadt gegen Morgen gelegen, an der jetzigen Waiblinger Straße, unter den Überresten uralter Mauern mehr als sechzig Stoßzähne (Hörner heißt er sie) und unzählige Knochenreste »bissiger und etwan auch unbekannter Thiere« gefunden, wie der ehrliche Mann in seinem ausführlichen Berichte sagt, den er »gelehrten und naturverständigen Männern zu ihrem hochvernünftigen Gutachten« und absonderlich zur Erörterung übergibt, »ob diese Hörner und Beine nur ein Spiel und Werk der Natur, in der Erde gewachsen, oder von lebendigen Thieren, in Mutterleib geboren, seyen; nicht weniger, wie sie dahin möchten gekommen seyn«.
Auf diesen Bericht hin schrieb D. Schleiß einen »Oedipus Osteolithologicus«, in welchem er die Cannstatter Fossilien für Überbleibsel römischer Hekatomben erklärte, dagegen D. Bayer, ein Altdorfer Professor der Theologie, sie in einer Dissertation des Jahres 1712 zu Angedenken der Sündflut machte. Seitdem sich ähnliche Funde bei den benachbarten Dörfern, zu Cannstatt selbst im Jahre 1816 Durch den jetzigen Oberfinanzrat von Memminger, dessen Werke mit Sattlers »Historischer Beschreibung Württembergs« dem Verf. die meisten Beiträge zu gegenwärtigem Aufsatze und reichliche zu manchem folgenden geliefert haben. und bei Abgrabung des Kahlensteins im Jahre 1823 wiederholten und die Naturforscher, Kielmeyer und Cuvier an der Spitze, das Gefundene ins gehörige Licht stellten, waltet kein Zweifel mehr ob, daß diese merkwürdigen Reste, deren Lagerstätten in der Regel aus aufgeschwemmtem Leimen, auch Süßwasserkalk und Sand bestehen, Zähne und Knochen von solchen Tieren sind, welche zum Teil aus der Reihe der jetzigen Schöpfung ganz verschwunden sind und einer dunkeln Vorzeit angehört zu haben scheinen, und daß die hauptsächlichsten von dem Mammut, jenem Riesentiere der Urschöpfung, stammen, andre dem Nashorn, einer Hyänenart, einer ungewöhnlichen Hirschart, endlich auch andern Tieren der jetzigen Schöpfung angehören. Sehr wahrscheinlich sind diese Tiere durch irgendeine gewaltige Veränderung auf unsrem Planeten zugrunde gegangen und durch eine zweite Umwälzung so zusammengeschwemmt worden, wie man sie jetzt findet. Die Ungebildetern unsrer Vorfahren dachten bei ihnen an Riesengebeine, und manche unsrer Leser werden hier zum erstenmal erfahren, daß schon das klassische Altertum dergleichen kannte. Kaiser Augustus schmückte, nach seinem Biographen, Sueton, »Octav.« 72. sein Landhaus zu Caprea mit jenen riesigen Gliedern ungeheurer Tiere, welche man »Gigantengebeine und Heroenwaffen nennt«.
Wir lassen die Kalkfelshöhlen und Pflanzenversteinerungen, durch welche die Gegend Cannstatts sich noch weiter auszeichnet, beiseite und gehen von der Naturgeschichte des Ortes zu seiner eigentlichen Geschichte über, die nicht weniger merkwürdig ist. An derselben Stelle, wo jetzt Cannstatt gebaut ist, befand sich nämlich eine bedeutende Niederlassung der Römer. Wie noch jetzt diese Stadt der Mittelpunkt aller Hauptstraßen des Landes ist, so weisen auch in größerer und kleinerer Entfernung von derselben die dem Antiquar wohlbekannten Namen »Steinstraße«, »Steinerner Weg«, »Römerstraße«, »Kaiserstraße« und ein zu Cannstatt selbst gefundener, »den Straßengöttern« geweihter Altar auf einen ganzen Komplex römischer Straßen, und es lassen sich nicht weniger als sieben Straßenzüge dieser Art erkennen. Auch findet man in der Nähe dieser Straßen in und um Cannstatt seit Anfang des vorigen Jahrhunderts, wo mit den Tierknochen der Urwelt auch die Menschenwerke früher Zeiten zutage kamen, fast täglich mehr oder weniger bedeutende Baureste römischer Abkunft. So wurden im Jahre 1700 über den zuerst ausgegrabenen Fossilien bei der »Uffkirche«, dem letzten Überbleibsel eines verschwundenen Dorfes, auf einem Hügel achtzig Schuh lange und acht Schuh dicke Mauern entdeckt, welche die Gelehrten für die Grundmauern bald eines Tempels, bald eines Kastells, bald eines Amphitheaters halten wollten. In einem der öffentlichen Badegärten Cannstatts fand man im Jahre 1818 römisches Badegeschirr, Münzen, Spuren von Wärmeboden, in Stadt und Vorstadt schon früher römische tönerne Wasserleitungsröhren und noch vor wenigen Jahren ein Basrelief in Werkstein, die Minerva und den Merkur mit dem Beudel vorstellend. Ganz neuerdings, beim Fundamentieren des Ortpfeilers der neuen Neckarbrücke stieß man auf dem rechten Ufer auf eine sehr merkwürdige Alluvialbildung, die ein durch eisenschüssigen Kalksinter, wie sich derselbe aus verschiedenen Mineralquellen bildet, zusammengekittetes Konglomerat von Natur- und Kunstprodukten ist; die letztern schienen Gerätschaften zerstörter Wohnungen des Mittelalters und späterer Zeiten anzugehören. Das Gestein wurde weggesprengt, und unter ihm kam eine römische Wasserleitung zum Vorschein. Auf dem Kahlenstein, bei Mühlhausen und bei Zazenhausen wurden am erstern Orte Grundmauern und Estrich eines Gebäudes, am zweiten Spuren zweier römischen Wachttürme, am dritten im Jahre 1701 Grundstöcke ausgedehnter Bäder, im Jahre 1816 an einer andern Stelle eilf Gemächer mit Gipsanwurf, Hypokauste, Kanäle, endlich im Jahre 1835 in der Gegend des erstentdeckten Bades abermals Einrichtungen derselben Art entdeckt oder wieder aufgedeckt, dazu allenthalben in der Umgegend Geschirre und Münzen, die letztern hauptsächlich aus dem zweiten und dritten Jahrhunderte, gefunden. Die alten Grabstätten, welche Herr v. Memminger auf dem Altenburgerfelde bei Cannstatt im Jahre 1817 entdeckt hat, wiesen sich durch ihre Grablampen aus Ton und Glas, Aschenkrüge, Salbengefäße, Münzen u. a. durchweg als römisch aus. Vier zu verschiednen Zeiten gefundene Altäre sind, der erste von Emeritius Sextus, einem Krieger der zweiundzwanzigsten Legion, der zweite von P. Sedulius Julianus, aus der achten Legion, der dritte von Sattonius Juvenilis, der vierte von Gerionius (?) Severus, aus der zweiundzwanzigsten Legion, verschiedenen Göttern geweiht und stammen wohl alle aus dem dritten Jahrhundert, der erste gewiß aus dem Jahre 223 nach Christus. Nach der Vertreibung der Römer ließen sich auf ihren Trümmern Alemannen und Sueven nieder, deren älteste Spur ebenfalls in teils früher, teils in neuester Zeit aufgefundenen Grabstätten zu suchen sein dürfte, deren riesige Gebeine in ganz schmuckloser Bestattung jedenfalls römischem Ursprung widersprechen. Auf dem Boden und über den Grundmauern der Römerkastelle aber erhuben sich allmählig die Burgen der freien Deutschen.
Es lag sehr nahe, bei den vielen Spuren einer so ansehnlichen Niederlassung, vielleicht der römischen Hauptstadt des mittleren Neckars, auch nach ihrem Namen zu forschen und, da diesen keine Inschrift und keine Münze nannte, ihn in dem Namen der nachmaligen Stadt Cannstatt selbst aufbewahrt zu glauben. Ein sehr unorganischer Gelehrtenwitz des sechzehnten Jahrhunderts hat in den Buchstaben C. ANT. STAT. die Stativa (das Standlager) eines Cajus Antonius oder Antoninus suchen wollen; ein Altertumskundiger unserer Zeit, der verstorbene Leichtlin, gibt der altrömischen Kolonie ohne weiteres den Namen Cana, weil auf einer zu Ötlingen an der Kels gefundenen Inschrift ein gewisser Oceaneolus, Bürger von Cana, erscheint. Allein die Heimat dieses Kriegers dürfte eher die Stadt Cana an der nördlichen Küste Kleinasiens oder eines der beiden Cana in Galiläa als die Stadt Cannstatt in Schwaben gewesen sein. Die Hoffnung, den Namen Cannstatts zu einem römischen zu stempeln, ist so ziemlich aufgegeben, und wenn das römische Clarenna oder aber Grinarione hier gesucht wird, so hat dies mit dem Namen Cannstatt nichts zu schaffen. Was soll aber das Wort, wenn es germanischen Ursprungs ist, bedeuten? An den mythischen Schwabenkönig Canut, der es im J. 392 gebaut und nach sich benannt haben soll, glaubt kein Mensch mehr. Man könnte, wenn der Name nicht zu allgemein wäre, mit Memminger bei Cannstatt an Schiffsanlände (Kahngestade) oder an Kantenstadt (Gränzstätte) denken. In dieser Ungewißheit sei auch uns eine neue Vermutung erlaubt. Der Name Cannstatt tritt (ganz so geschrieben) zuerst in einer Urkunde des Herzogs Gottfried von Alemannien im J. 708 hervor; nicht lange nachher hält Karl Martells Sohn Karlmann hier zu Cannstatt (»Condistat«) blutiges Gericht über alemannische Große. Von nun an erscheint der Ort in den spätem Jahrhunderten häufig, als Canstatt, Kannistat, Cannistat, Chanestatt, Chanelstatt; in der Nähe kommt ein Berg Canbach vor, und unter den Adelsgeschlechtern der Stadt ein Canli oder Chenlin. Nun sind die altdeutschen Stammsilben Can, Kan, Chan, Chane, Cond nichts anders als ebenso viel Variationen des bekannten Wortes Kunne, was Familie, Sippschaft bedeutet.Frisch, »Lexic«, sub voce kunne. Kunne, genus, familia, sexus, uxor et maritus, conjux.Chane, Kane, genus. Chanschafft, conjugium. Chanchi (im sal. Gesetz), cognati. Kungen, Kunden, idem. Könne, genimen. Chone, Konmann, maritus. Conleut, conjuges. Alles mit Belegen.Nach dieser Ableitung hieße Cannstatt nichts anderes als Stätte der Gesippten, gemeinschaftliche Burg von Verwandten, von Mitgliedern eines und desselben Geschlechts gegründet, und der Name der Edlen Canli oder Chenlin von Cannstatt wäre, in Neudeutsch übersetzt, nichts andres als »Vetterlein von Vetternstadt«. Eine geschichtliche Parallele soll uns zu Hülfe kommen. In einer Urkundensammlung der unterösterreichischen Stadt Zwetal Frisch, a.a.O. aus dem »Diplomatorium Zwettalense«. wird erzählt: Die Nachkommen eines gewissen Azo, die allerlei Namen führten, wollten, als Vettern, doch auch einen gemeinschaftlichen Sitz und Namen haben. Sie bauten daher eine Burg. Als nun das Fundament fertig war und alle Sippen im Kreise herum standen, rief einer der Angesehensten aus ihnen: »Hie habent die Chuen dieses Landes an einem Ring«, das heißt: »Hier halten sich die Kunnen, die Vettern des Landes, Hand in Hand im Kreise.« Davon hieß die Burg Chuenring (Kunnring, Vetternring). Sollte Cannstatt in Schwaben und Cunstadt in Mähren nicht dasselbe bezeichnen? Ein ganz ähnlicher Sinn möchte dann auch den schwäbischen Orts- und Geschlechtsnamen Magenhaus, Magenheim, Magstadt zugrunde liegen, denn das altdeutsche Wort Magen trifft mit Kunnen in der Bedeutung Verwandte zusammen.
Ob nun, wie die Herren von Cannstatt und die Canli, so auch die Schilling von Cannstatt, die Stein zu Cannstatt, die Herren der Burgen Uffkirchen auf dem rechten, Brie und Altenburg auf dem linken Neckarufer zu dieser Sippschaft der Cannstatter Vettern gehörten, lassen wir dahingestellt. Von Uffkirchen oder Uffkirch ist nur noch Kirche und Kirchhof übrig, das Dorf war im sechzehnten Jahrhundert bis auf wenige Häuser verschwunden; wir hätten es zur Linken von unsrem Bilde zu suchen; Altenburg lag zur Rechten auf der Höhe, dem Namen nach zu urteilen, auf römischen Grundmauern; Brie, Brige, Brey war eine Burg, um die sich die Vorstadt sammelte, die auch diesen Namen führte, der noch in der Benennung der Anhöhe Brag fortdauert; die Burg selbst wurde von Kaiser Rudolf im Jahre 1287 zerstört.
Inzwischen verschwand der alte Sinn des Namens Cannstatt frühzeitig, und die Herren von Cannstatt tragen schon im dreizehnten Jahrhunderte, wie später die Stadt, eine Kanne im Wappen. Der Ort stand nach den Römerzeiten ohne Zweifel unter den Herzogen Alemanniens und scheint nach deren Unterdrückung aus der Asche der Zerstörung auferstanden und Eigentum der fränkischen Krone geworden zu sein. Karl der Große verweilte zu Cannstatt. Später ist es durch die Grafen von Calw wenigstens teilweise in welfischen Besitz gekommen. Zur Stadt geworden, kam es mit der Gaugrafschaft und dem Landgerichte, dessen Sitz Cannstatt war, an Württemberg, dessen Grafen übrigens, noch als Graf Eberhard im Jahre 1320 die Residenz von seinem Stammschlosse nach Stuttgart verlegte, wenig mehr von Cannstatt besaßen, außer dem Landgericht und den alten Grafenrechten. Schon daraus erhellt, daß von einer Wahl zwischen Cannstatt und Stuttgart, die Residenz betreffend, eigentlich gar keine Rede sein konnte. Cannstatt hatte frühzeitig Stadtgerechtigkeit und allerlei Freiheiten erlangt. Die Eroberung der Stadt durch Kaiser Rudolf (1287) scheint sie wenig beeinträchtigt zu haben. Der Zusammenfluß von Straßen schuf in der Vorstadt an der Brücke frühzeitig ein gutes Wirtshaus, dessen Reisende der alten Zeit als einer besondern Merkwürdigkeit gedenken. »Cannstatt«, sagt vor ungefähr viertehalbhundert Jahren Ladislaus Suntheim, »ein stat am Neckar, da ist gut Zehrung, da ist ein Wirtzhaus, das hat ein prun in der Stuben hinterm Ofen, darin allerley Fisch.« Daß Petrarch dasselbe sage, scheint auf einem Irrtum zu beruhen. Noch ist das Wirtshaus zum Ochsen, an der alten Stelle neu erbaut, eine Zierde der Vorstadt, und die Fische kommen noch immer aus dem neugefaßten Brunnen der Wirtsstube auf die Tafel der Gäste.
Ihre jetzige Gestalt verdankt die Stadt dem Herzog Ulrich von Württemberg, der nach der Rückkehr aus seiner Verbannung sie neuerdings befestigen ließ. Als im Schmalkaldischen Kriege der Herzog von Alba zu Cannstatt einrückte, war Ulrich ärgerlich auf seinen Sohn Christoph: »Hätte man die Spanier aufgehalten, sie würden über die Mauren von Canstatt nit geritten seyn.« Unbeschreiblich groß war das Elend, das Stadt und Bezirk im Dreißigjährigen Kriege und durch die verheerenden Einfälle der Franzosen zwischen 1688 und 1707 betraf. Im Revolutionskriege wurde Cannstatt mit der Umgegend der Kriegsschauplatz selbst. Als Moreau über den Rhein gegangen war und das österreichische Heer zurückgedrängt hatte, suchten beide Teile Cannstatt zu gewinnen. Die Sachsen hatten den Kahlenstein, die Franzosen fechtend Stuttgart besetzt. Der Erzherzog Carl schlug sein Hauptquartier in einem Dorfe jenseit Cannstatts, in Fellbach, mit achtzigtausend Mann auf. Am 20sten kam Moreau nach Stuttgart, und nun erfolgte der allgemeine Angriff vom Neckardorfe Mühlhausen bis Eßlingen und die »Filder« hinauf. Der Erzherzog durcheilt die Stadt mit seinen Adjutanten, und die Brücke wird abgebrochen. Nun rücken die Franzosen vom Dorfe Berg und dem eingenommenen Kahlenstein her, und eine fürchterliche Kanonade von beiden Seiten nimmt die Stadt in die Mitte. Bis zum Abend rollt der Donner und fliegen die Kugeln pfeifend über sie hin. Mitten im Feuer plündern die Franzosen die Vorstadt. Im Gasthofe zum Ochsen werfen ihrer zwei den Wirt zu Boden, um ihn zur Entdeckung seiner Habseligkeiten zu zwingen, als eine Kanonenkugel durch die Wand geflogen kommt und beide Feinde zerschmettert. Eine bange Stille folgt auf diesen Tag. Endlich in der Nacht vom 23sten auf den 24sten Juli treten der Erzherzog und die Östreicher den begonnenen Rückzug wieder an, und die Behörden übergeben die Stadt den Franzosen.
Seitdem hat sie den Kaiser Napoleon zweimal (1805 und 1809) und, nach der Katastrophe von Moskau und Leipzig, am 17ten Dezember 1813 den russischen General Barclay de Tolly mit neunzehn Generalen, zweiundsiebzig Obersten und Stabsoffizieren und einen ganzen Troß von Offizieren, dann, nach Napoleons Rückkehr von Elba, zwei Erzherzoge von Österreich in ihren Mauern gesehen. Die Stadt hat mehrere angesehene und berühmte Männer hervorgebracht, darunter zwei von europäischen Namen: Georg Bernhard Bilfinger und Christian Friedrich Schnurrer.
In den letzten zwanzig Friedensjahren hat Cannstatt, im Innern ziemlich unverändert, viel von seiner äußern Gestalt verloren und ist eines Teils seiner Ringmauern und seiner altertümlichen Türme beraubt worden. Wer den alten Neckartorturm abbrechen sah, der so lange Stadt und Ufer einen Halt fürs Auge gab, dem kommt wohl das rührend wahre Lied des Dichters in den Sinn, so oft er die verwandelte Stadt mit der einst durch ihre Altertümlichkeit verschönerten Gegend überschaut:
Ihr Türme habt, ihr ernsten Mauern Jahrhunderte den Fluß erblickt, Ich seh' mit schmerzlichem Bedauern, Zu welchem Werke man sich schickt.
Zerstörung droht: Es wird entrissen Sein Herzensbild dem hellen Fluß; Ihr sollt, entformte Steine, missen Hinfort den schönen Wellenkuß.
Ehrwürd'ge Laute, schweigt, ihr Glocken, Verhalle, Ruf der grauen Stadt! Sie schlägt ihr alt Gepräg' in Brocken, Macht sich zum Flecken, eitel, platt! Karl Mayers »Gedichte«.
Indessen – das unpoetische und industrielle Jahrhundert nicht allein, auch die Sorge für die Gesundheit forderte dieses und ähnliche Opfer, und zum eitlen Flecken ist darum Cannstatt doch nicht geworden. Wer über der Stelle seiner alten Wälle die Stadt umwandelt, begegnet manchem nicht nur schönen, sondern ehrenwerten städtischen Gebäude, blühenden Fabrikhäusern, mit stattlichen Gasthöfen, umbauten Badequellen und Gärten an beiden Enden der Stadt, geräumigen Schulhäusern und einem trefflichen orthopädischen Institut, dem sein rühmlichst bekannter Gründer Dr. Heine ein entsprechendes, freundliches Haus gebaut und es aufs zweckmäßigste eingerichtet hat.
Cannstatts Heilquellen, nicht weniger als zehn an der Zahl, die teils in der Stadt, teils vor ihren Toren sprudeln und zu den salinisch kohlensauren Eisenwassern gehören, haben aus dieser Stadt einen berühmten, aus allen Gegenden Deutschlands, aus der Schweiz, aus Frankreich und selbst aus entfernteren Ländern zahlreich besuchten Badeort gemacht. Die neuere Hauptquelle am »Sulzerrain« kam erst im vorigen Jahrhundert zum Vorschein, wurde anfangs von privilegierten Privaten, dann seit 1772 vom Staat ausgebeutet, lange aber nur zum Betrieb einer Ölmühle benutzt. Erst gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts ward für einige Bequemlichkeit der Gäste gesorgt und im Jahr 1812 die Einrichtung erweitert. Endlich bildete sich der Brunnenverein, und König Wilhelm unterstützte die Anstalt mit hoher Freigebigkeit. Die Quelle wurde 1819 und 1820 mit vieler Schwierigkeit durch Oberst von Duttenhofer neu gefaßt, 1824 das schöne Füllhaus erbaut, und seit kurzem schmückt den Quell die von Thouret gebaute, ebenso solide als geschmackvolle, säulenreiche Brunnenhalle mit zwei geräumigen Galerien zu beiden Seiten. An die hier strömenden Brunnen schließen sich angenehme Spaziergänge und Anlagen mit den reizendsten Aussichten aufs Neckartal. Der schönste Punkt ist bei einer auf dem obersten Raine auf gemauerten römischen Säule, zu der sich die verschiedenen Schlangenwege an der steilen Bergwand emporwinden. Eine dreifache Allee verbindet diese Anlagen mit der Stadt. Die übrigen Quellen werden von Privaten zu Bad- und Brunnenanstalten benutzt, darunter ist das Frösnersche Bad das älteste. Diese Anstalt Frösners kann ihr Datum als Bad- und Schwitzstube bis zum Jahre 1538 zurückführen; das Badehaus ist indessen jetzt abgebrochen; aber der Frösnersche »Badegarten« datiert seinen Brunnenadel von den Römern her; dieser Teil der Anstalt wurde durch die Eßlinger 1449 und abermals im Dreißigjährigen Kriege zerstört, daher auch mit der andern Badestube vereinigt. In solcher Vereinigung blüht jetzt das Bad, und ein palastartiger Gasthof füllt sich alle Jahre mit zahlreichen Brunnen- und Badegästen, die sich der vorzüglich bequemen Einrichtung erfreuen. Auch die übrigen Brunnenanstalten, das Wilhelmsbad, das Bad zum Ochsen und andere, sind gleich empfehlenswert, und in dem sogenannten »Sulzbad« hat Dr. Heine im Jahre 1831 eine Anstalt zum kalten Mineralbade gegründet. Die andern Bäder Schwabens haben den Charakter waldiger oder doch ländlicher Abgeschiedenheit. Offene Natur und Nähe der Residenz geben Cannstatt als Badeort eine andere Physiognomie; auch wird dieses Bad neben denjenigen, welche es wegen seiner spezifischen Heilkräfte benutzen, besonders gerne von Gästen aus solchen Gegenden aufgesucht, welche, wie die Schweiz, keine Residenzstädte haben oder doch eines größern, geselligen Lebens entbehren. Das Badeleben ist hier sehr angenehm und unterhaltend, und von Lustpartien gewährt die Gegend eine seltene Auswahl. Der schöne Tempel, welcher die irdischen Reste der verewigten Königin Katharina umschließt und in der Fortsetzung unsres Bildes linker Hand sichtbar werden müßte, die Katharinenlinde in derselben Richtung mit einer herrlichen Albaussicht, sämtliche Dörfer des obern Neckartales bis Eßlingen mit den lieblichsten Standpunkten, die Neckarfahrten nach Münster und Mühlhausen, das königliche Schlößchen Weil mit der reizendsten Einrichtung und herrlichen Marställen, der Rosenstein und Stuttgart – das alles reicht für eine volle Kurzeit zu täglicher Abwechslung der mannigfaltigsten Genüsse hin.
Nach den zwei letzten der genannten Punkte, die auch auf unserm Stahlstiche sichtbar sind, werfen wir noch einen verweilenden Blick.
Für das Landhaus »Auf dem Rosenstein« hat S. M. der König Wilhelm die günstigste Stelle in der ganzen Umgegend gewählt, von der man eine entzückende Aussicht auf das Cannstatter und Eßlinger Tal und auf die Gebirgsmündung, deren fruchtbare Tiefe die Hauptstrecke ausfüllt, unter den schönsten Säulenhallen und aus den hohen Zimmern voll einfachen, doch gewählten Schmuckes genießen kann. Von diesem Standpunkt aus, sollte man meinen, hat der geniale Ritter Ulrich von Hutten die Umgegend angesehen, wenn er an einen Freund schreibend sich über Stuttgarts Lage in den Worten äußert: »Nicht leicht hat Deutschland eine schönere Gegend als diese, das fruchtbarste Gefilde, wunderbar gutes und gesundes Klima, Berge, Wiesen, Tal, Flüsse, Quellen, Wälder, alles aufs anmutigste; Früchte wie nirgends sonst, und ohne Mühe aufwachsend; Wein, wie man ihn in diesem Lande erwarten kann. Stuttgart selbst nennen die Schwaben das irdische Paradies; so lieblich ist es gelegen.«
Das Landhaus selbst bildet ein längliches Viereck, hat fünf Flügel, ist mit Ausnahme des mittlern Flügels einstockig und, außer den Zwischenwandungen und der Attique, durchaus von den feinkörnigsten Sandsteinquadern, deren reine und präzise Bearbeitung man bewundert, nach dem anspruchlos Schönes und Solides liebenden Geschmacke des Königs aufgeführt. Das Mittelgebäude bildet mit den verbundenen Flügeln die zwei Hauptfacaden gegen Stuttgart und Cannstatt, in deren Mitte jedesmal ein vorspringender Porticus mit einer Haupttreppe vor demselben und sechs Säulen jonischer Ordnung die Haupteingänge bilden. In den Giebelfeldern über den zwei Hauptportiken sind nach der Komposition eines Künstlers von anerkanntem Rufe, des jetzigen Professors Dietrich, von den jetzt verstorbenen Bildhauern Distelbart und Mack Reliefs mit Darstellungen aus der griechischen Mythe von Helios und Artemis-Selene ausgeführt; die kleinen Portiken zieren Medaillons mit kolossalen Büsten griechischer Gottheiten und chimärischen Tierfiguren zur Seite. Die Dächer sind mit Schiefer bedeckt; das Gebäude faßt eine Quadernterrasse ein. Der Entwurf des Ganzen gehört dem Hofbaumeister Salucci an. Die ersten Grabarbeiten wurden im Mai 1822 angefangen, im Spätjahr 1825 kam das Schloß unter Dach, und im Sommer 1829 stand es vollendet und wohnlich da. Die innere Einrichtung, welche Fremden und Einheimischen gegen eine Eintrittskarte mit freundlicher Bereitwilligkeit gezeigt wird, steht durchaus im Einklange mit dem Charakter der äußern Form; alles solid, einfach und schön, die Pracht eher versteckt als zur Schau getragen. Meubles, Vorhänge, Lustres, Tapeten aufs sinnigste gewählt. Im ganzen enthält das Gebäude vierzig Zimmer, eine große Galerie und einen Speisesaal, alles mit den schönsten Arbeiten namhafter Meister, Steinkopf, Schnitzer, Heideck, Adam, Hetsch, verziert; Dekorations- und Zimmermalereien von Gajani, Neher, Sauter. Unter den Sälen zeichnet sich ein Speisesaal mit vortrefflicher Freskomalerei, Dietrichs Komposition, aus der Dionysos-Mythe aus; die große Galerie, die ihr Licht durch zwölf Fenster, zwei Glastüren und eine Laterne über der Kuppel erhält und deren Fries sechzehn Säulen tragen, ist mit sehr schönen Freskomalereien von Gutekunst und in der Kuppel mit Götterszenen in Fresko, vortrefflicher Arbeit von Gegenbauer, vaterländischen Künstlern, geschmückt. Die Reliefs an dem Fries, die vier Jahreszeiten in ländlichen Beschäftigungen darstellend, deren Umrisse bei Cotta erschienen, sind das Werk des der Kunst zu frühe entrissenen Professors Conrad Weitbrecht und werden allgemein als eine der schönsten Zierden des reichausgestatteten Landhauses betrachtet.
Von Stuttgart, dessen Häusermasse, auf dem glücklich gewählten Standpunkt unsers Künstlers gesehen, die ganze Tiefe zwischen den Bergen im Hintergrunde des Bildes einnimmt, erwartet der Leser hier keine ausführliche Beschreibung. Für dieses Bedürfnis haben gelehrte und populäre Werke zur Genüge gesorgt; aus ihnen auch nur das Allerwesentlichste auf einige Seiten zusammendrängen zu wollen wäre ein vergebliches Unterfangen. Wir begnügen uns daher, nur dem Auge zum Wegweiser auf unserm Bilde zu dienen.
Das äußerste Gebäude zur linken Hand des Betrachters, halb vom Berge bedeckt, ist das königliche Residenzschloß, zur Unterscheidung das Neue genannt, von Herzog Karl im J. 1746 begonnen und, nachdem der rechte Flügel 1762 abgebrannt war, vom verewigten König Friedrich im Jahr 1806 vollständig ausgebaut. Es besteht in einem Hauptgebäude mit zwei Flügeln und ist streng symmetrisch geordnet. Nach dem anfänglichen Plane sollten an den Enden noch lange Galerien angebaut und dadurch ein großer, durch eine Grillage geschlossener Vorhof gebildet werden. Aber auch in seiner nicht ganz vollendeten Gestalt macht die Harmonie und der edle Geschmack, der in dem Ganzen herrscht, diesen Bau zu einem der schönsten Königshäuser, dessen Anblick, mehr als der eines andern deutschen Schlosses, an den Prachtpalast von Versailles erinnert. Zum Schmucke seines Innern, in welchem die trefflichsten inländischen Künstler sich ein bleibendes Andenken gestiftet haben, soll bald Neues hinzukommen. Auf Befehl des Königs hat der Historienmaler Gegenbauer vier Zimmer des Schlosses mit Gegenständen aus der württembergischen Geschichte, worunter namentlich Szenen aus Ludwig Uhlands »Eberhard der Rauschebart«, zu zieren.
Neben der Residenz erscheint das hochgetürmte »Alte Schloß«, dessen Schilderung mit allen seinen architektonischen Merkwürdigkeiten und Seltsamkeiten einem historischen Romane in Walter Scotts Manier Ehre machen würde. Es ist ein Werk des unsterblichen Herzogs Christoph, der es auf der Stelle des von ihm abgebrochenen hölzernen Schlosses, das aus der Grafenzeit stammte, im Jahre 1553 zu bauen anfing, aber, noch ehe der Bau fertig war (1558), starb. Erst sein Sohn Ludwig vollendete das Werk im J. 1570. Bald darauf drohte ihm wieder der Einsturz, und Ludwig führte an den am meisten beschädigten Ecken zwei Türme auf, wovon der eine seine Rundung Cannstatt zukehrt. Der dritte und schönste Turm gegen Südosten wurde erst im J. 1687 angebaut. Ein großer Teil des Schlosses steckt jetzt in der Erde verborgen, denn ursprünglich war es mit einem tiefen Graben umgeben, der von seinen Bewohnern der Hirschgraben hieß. Er ward erst in neuern Zeiten ausgefüllt und enthielt unter anderm auch eine unterirdische Mühle, die von demselben Wasser getrieben wurde, das die königlichen Anlagen bewässerte.
Das nächste auf unserm Bild hervorragende Gebäude ist die Stiftskirche. Sie hieß ursprünglich die Kollegiatkirche zum heiligen Kreuz und war von Holz. Wann und von wem sie zuerst erbaut worden, ist unbekannt. Der Chor der Kirche rührte ursprünglich vom Jahr 1289 her und hat den Grafen Ulrich, denselben, der das erste Schloß in Stuttgart baute, zum Urheber. Im Jahr 1321 baute Eberhard der Erlauchte weiter. Nachdem der Chor 1419 zusammengestürzt, wurde im vollen Laufe eines Jahrhunderts (1432–1531) das jetzige steinerne Gebäude mit dem großen Turme aufgeführt. Den letztern höher zu bauen hinderte die Stiftsherren das Reformationswerk; denn schon im Jahr 1532 wurde die erste evangelische Predigt in der Stiftskirche gehalten, und der berühmte Reformator Johannes Brenz liegt, als evangelischer Probst, in ihren Hallen begraben. Zwischen dem Chor und Schiffe steht ein kleiner, wahrscheinlich älterer Turm, und im Chore sind die steinernen Bildnisse von eilf Grafen von Württemberg in Lebensgröße an den Wänden aufgestellt, wahre Prachtbilder, die, obgleich erst aus dem siebzehnten Jahrhunderte herrührend, nach dem Urteile kompetenter Richter von nicht geringem Kunstwerte sind. Sie werden dem Künstler Gegenbauer zu Modellen dienen und durch seinen Pinsel in den Sälen des Residenzschlosses Farbe und Leben erhalten. Unter der Kirche ist die fürstliche Gruft befindlich; in der Kirche hallt die berühmte Zwiefalterorgel, der hoffentlich bald ein angemessenerer Platz angewiesen wird; vom Turm schallt die große Glocke, Osanna von ihrem Gießer getauft, mit sonorem Klange seit Jahrhunderten das Tal hinab.
Zur Rechten der Stiftskirche erhebt sich herwärts auf unserm Bilde noch das Giebeldach eines ansehnlichen Gebäudes. Dies ist seit langer Zeit das einzige Theater Stuttgarts, aber auch eines der ältesten in Deutschland. In den Jahren 1580–1593 von Herzog Ludwig erbaut, bestand es anfangs aus zwei Sälen, wovon der eine zu ebener Erde, mit künstlichen Wasserwerken versehen und mit römischen Altertümern ausgeschmückt, der andere aber als ein eigentlicher Lustsaal eingerichtet und zweihundertundein Fuß Länge, einundsiebzig Breite, einundfünfzig Fuß Höhe hatte. Es hieß das Lusthaus und diente, während Theaterversuche bald auf dem Markte, bald in einem andern Gebäude des fürstlichen Lustgartens angestellt wurden, lange nur ballettähnlichen Lustbarkeiten. Ein prachtvolles Fest in dieser Art, dessen ausführliche Beschreibung mit vielen Kupfern vor unsern Augen liegt, wurde im März 1616 und wieder im Juli 1617 bei der Vermählung Herzogs Johann Friedrich hier gefeiert. Götteraufzüge, allegorische Darstellungen, Masken aus aller Welt gingen da wochenlang über diese Bühne, viele Fürsten und Fürstinnen und unzählige Edle und Edelfrauen des In- und Auslandes nahmen tätigen Anteil an der Aufführung, und der Vater aller schwäbischen Dichter der neuern Zeit, Georg Rudolf Weckherlin, hatte den Text der Sprüche und Gesänge gedichtet und ohne Zweifel auch an der Erfindung der verschiedenen Aufzüge und Tänze den Hauptanteil.
Das Lusthaus, später das Opernhaus genannt, vom Herzog Karl hierzu eingerichtet und dadurch in einen Mantel moderner Nebengebäude gehüllt, war einst der Ruhm unserer Stadt und ist noch jetzt sowohl in Rücksicht seiner kühnen Konstruktionen als seiner meisterhaften Ausführung und unverwüstlichen Festigkeit ein Gegenstand der Bewunderung aller Kunstverständigen.
Seitdem im Jahre 1802 das kleinere Theater abgebrannt und sein späteres Surrogat in den Redoutensaal verwandelt worden, ist das Opernhaus von Thouret um 1812, im Innern würdig erneuert, der Schauplatz der rühmlichsten dramatischen und musikalischen Leistungen. Esslair hat die beste Zeit seines Kunstlebens dieser Bühne gewidmet, und seit acht Jahren ist Seidelmann ihre erste Zierde.
Was sonst noch auf unserm Bilde von Stuttgart erblickt wird, ist ein Agglomerat von Häusern der sogenannten »reichen Vorstadt«, welche, im sechzehnten Jahrhundert entstanden, jetzt die schönere Hälfte der Stadt bildet, aber wenig Merkwürdiges enthält. Sie ist allein von der Hospitalkirche mit ihrem noch nicht hundertjährigen Turme überragt. Sie war ursprünglich eine Kapelle, die im freien Felde stand. Graf Ulrich vergrößerte sie (1471) und überließ ihre Vollendung den daneben angesiedelten Dominikanermönchen. Der Kreuzgang dieses Klosters enthält unter andern Merkwürdigkeiten Reuchlins Grabstein, und im Chor der Kirche hat Dannecker an der Stelle, wo er vor fünfundsechzig Jahren als Konfirmand eingesegnet worden ist, das Gipsmodell seiner berühmten Christusstatue als Stiftung aufgestellt.
Wir kehren von unserm kurzen Augenausfluge auf den Rosenstein und nach Stuttgart zu Cannstatt zurück, um uns von dieser Stadt zu verabschieden und unsere weite Reisefahrt durchs Neckartal anzutreten. Was den Neckarfluß betrifft, so beginnt seine Schiffbarkeit bei dieser Stadt, und er ist ohne Zweifel schon zur Zeit der Römer zu diesem Ende benutzt worden. In der neuern Zeit wurde jedoch erst unter Herzog Eberhard Ludwig ernstlich an die Neckarschiffahrt gedacht und dieselbe im Jahr 1713 »mit vielen Solennitäten auf- und eingerichtet«. Allein auch so stand ihrem Aufblühen noch gar vieles entgegen, und erst die Erbauung des schönen Neckarkanals bei Heilbronn, die Einrichtung neuer Schleusen aufwärts, die Beseitigung hinderlicher Mühlwerke verspricht derselben höhern Aufschwung, zu welchem Zwecke Cannstatt auch im Jahre 1831 durch königliche Entschließung zum Freihafen erklärt worden ist. Inzwischen hindert uns nichts, dem nächsten Ziele unserer pittoresken Reise, der Geburtsstadt Schillers, Marbach, mit fröhlichen Badegästen auf bekränzten Nachen zu Wasser uns zu nahen.
Seht ihr, wie freundlich sich die Stadt Im Neckarfluß beschauet? Da unsere Absicht war, den Freunden unsers Werkes Schillers Geburtshaus zu zeigen, so konnte auf unserm Bilde nur das Innere der Stadt dargestellt werden. Wie sie sich ihre Berge hat Mit Reben wohl bebauet? Dort, wie die alte Chronik spricht, Hat vor viel Jahren dumpf und dicht Ein Tannenwald gegrauet.
Gelegen hat ein Riese drin. Ein furchtbar alter Heide, Er bracht' in seinem wilden Sinn Das Schwert nicht in die Scheide. Er zog auf Mord und Raub hinaus Und baute hier ein finstres Haus, Dem ganzen Gau zum Leide.
Die Steine zu dem Riesenhaus, Ganz schwarz und unbehauen! Grub er sich mit den Händen aus, Fing eilig an zu bauen, Er warf sie auf die Erde nur, Daß einer auf den andern fuhr, Bis fertig stand das Grauen.
Es sei der Riese, sagt das Buch, Aus Asia gekommen, Ein Heidengötz, ein alter Fluch, Zum Schrecken aller Frommen: Mars oder Bacchus sei das Wort, Davon Marbach, der Schreckensort, Den Namen angenommen.
Die Steine längst verschwunden sind, Der Wald ist ausgereutet,Ein Märchen ward's für Kindeskind, Das wenig mehr bedeutet; Doch horchet wohl auf meinen Sang, Der nicht umsonst mit seinem Klang Es jetzt zurück euch läutet.
Denn ob des Schlosses Felsengrund Versunken ist in Schweigen, Wird man doch drauf zu dieser Stund Euch noch ein Hüttlein zeigen, Und keine sechzig Jahr' es sind, Daß drin geboren ward ein Kind, Dem Wundergaben eigen.
Von gutem Vater war's ein Kind, Von einem guten Weibe, Auf wuchs es und gedieh geschwind,