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Jugendliche sind herausgefordert, sich eine eigene Meinung zu Lebens- und Glaubensthemen zu bilden und sich im Leben zu orientieren. Sie suchen nach Antworten auf existenzielle Fragen: Wer bin ich mit meinen Stärken und Schwächen? Wie gehe ich mit meiner Zeit um? Wie lebe ich Liebe und Beziehungen? Wie gelingt Gemeinschaft? Wie stelle ich mir meine Zukunft vor? Was ist der Sinn des Lebens? Warum wohin? stellt Methoden vor, um mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und ihre Auseinandersetzung mit diesen Fragen zu begleiten. Theologische, pädagogische und psychologische Hinweise unterstützen die Vorbereitung. Für die praktische Umsetzung sind zu jedem Thema 6 bis 8 Methoden ausgearbeitet. Diese können für ein Wochenende kombiniert oder in Gruppenstunden einzeln eingesetzt werden. Ein Buch für alle, die methodische Zugänge für die Suche nach Antworten auf die entscheidenden Fragen des Lebens suchen. Es ist aus der Arbeit mit Jugendlichen im Rahmen der "Tage der Orientierung" der Schülerinnen- und Schülerarbeit im Ev. Jugendwerk in Württemberg entstanden.
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Seitenzahl: 310
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Annette Haußmann, Dorin Dömland (Hg.)
Mit Jugendlichen auf Sinnsuche gehen – 6 Lebensthemen methodisch ausgearbeitet
buch+musik
In unseren Veröffentlichungen bemühen wir uns, die Inhalte so zu formulieren, dass sie Frauen und Männern gerecht werden, dass sich beide Geschlechter angesprochen fühlen, wo beide gemeint sind, oder dass ein Geschlecht spezifisch genannt wird. Nicht immer gelingt dies auf eine Weise, dass der Text gut lesbar und leicht verständlich bleibt. In diesen Fällen geben wir der Lesbarkeit und Verständlichkeit des Textes den Vorrang. Dies ist ausdrücklich keine Benachteiligung von Frauen oder Männern.
Die Herstellung dieser Arbeitshilfe wurde gefördert aus Mitteln des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS).
Impressum
© 1. Auflage 2017
buch+musik ejw-service gmbh, Stuttgart
All rights reserved.
buch+musik ejw-service gmbh, Stuttgart
www.ejw-buch.de
ISBN Buch 978-3-86687-189-2
ISBN E-Book 978-3-86687-190-8
Don Bosco Medien GmbH, München
www.donbosco-medien.de
ISBN Buch 978-3-7698-2334-9
Lektorat: Federwerke, Birgit Götz, Marburg
Umschlaggestaltung: buch+musik – Heidi Frank, Stuttgart
Satz Downloads: buch+musik – Daniel Buess, Stuttgart
Bildrechte Umschlag und Innenseiten: determined, Fotolia
Bildrechte Fotos Deckblätter: Annette Haußmann, München
Bildrechte Autorenfotos: privat
Warum wohin? Eine Einladung
Downloads zum Buch
1. Wer bin ich?
Der Weg ins Thema
1.1 Eigenschaftenspiel
1.2 Persönlichkeitsfragebogen
1.3 Lebens-Lauf
1.4 Solospaziergang
1.5 Wer zieht an mir?
1.6 Rollenwechsel
1.7 Post für mich!
2. Meine Zeit
Der Weg ins Thema
2.1 Stress-Spiele
2.2 Traum-Zeit – Alltags-Zeit
2.3 Stress-Barometer
2.4 Mausefallen-Parcours
2.5 Stress-Info-Straße
2.6 Zeit im Glas
2.7 Workshop Zeitmanagement
2.8 Ressourcen-Karussell
3. Liebe und Beziehungen
Der Weg ins Thema
3.1 Wann ist’s Liebe?
3.2 Typisch!
3.3 Briefträger
3.4 Beziehungs-Kompass
3.5 Schreib mal ganz ehrlich
3.6 Entscheide dich!
3.7 Liebesleben
3.8 Beziehungsdrama
4. Leben in Gemeinschaft
Der Weg ins Thema
4.1 Konfliktpositionen
4.2 Hausbau der Kulturen
4.3 Menschenschach
4.4 Die Skugianer
4.5 Interkulturelles Mau-Mau
4.6 Dilemma live
4.7 Konflikte bewältigen
5. Meine Zukunft
Der Weg ins Thema
5.1 Sinnbildbox
5.2 Talkshow Lebensmotto
5.3 Zukunftstheater
5.4 Forever 27
5.5 Weg der Entscheidung
5.6 Was wäre wenn?
5.7 Klassentreffen
5.8 Lebens-Masterplan
6. Der Sinn des Lebens
Der Weg ins Thema
6.1 Laufend Denkanstöße
6.2 Tierphilosophie: Ein Waldmärchen
6.3 Planetenreise
6.4 Wertewanderung
6.5 25 Gründe
6.6 Werbekampagne XXL
6.7 Der rote Faden
Anhang
Die Herausgeberinnen
Die Autorinnen und Autoren
„Warum wohin?“ – Aber woher kommt eigentlich die Idee zu diesem Buch? Das vorliegende Buch ist aus der Arbeit mit Jugendlichen im Rahmen der „Tage der Orientierung“ der Schülerinnen- und Schülerarbeit im Evangelischen Jugendwerk in Württemberg entstanden.1 Bei den „Tagen der Orientierung“ verbringen wir mit Jugendlichen drei Tage in einem Kloster oder an einem anderen besonderen Tagungsort, um nach den großen Themen des Lebens zu fragen:
•Wer bin ich mit meinen Stärken und Schwächen?
•Wie gehe ich mit meiner Zeit um?
•Wie lebe ich Liebe und Beziehungen?
•Wie gelingt Gemeinschaft?
•Wo will ich hin in meinem Leben?
•Was ist der Sinn des Lebens?
Diese Tagungen werden meist von jungen Studierenden gestaltet und geleitet, die aus der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit kommen und viel Erfahrung in der Leitung von Jugendgruppen mitbringen. Im Miteinander von Jugendlichen und jungen Studierenden, die sich unter existenziellen Fragestellungen für eine begrenzte Zeit begegnen, besteht das Erfolgsrezept dieser Tagungen.
Viele Mitarbeitende haben in den vergangenen Jahren vorhandene Methoden zu den großen Lebensfragen weiterentwickelt, an die Bedürfnisse von Jugendlichen angepasst und neue Methoden konzipiert. Auf zahlreichen Tagungen haben wir die Neuentwicklungen erprobt, weiter verbessert und neu bearbeitet. Das vorliegende Buch ist daher ein großes Gemeinschaftswerk der Mitarbeitenden bei den „Tagen der Orientierung“. Es war für uns als Herausgeberinnen beglückend zu sehen, dass es unter der engagierten Mitarbeit von so vielen in erstaunlich kurzer Zeit entstehen konnte. Nicht jede Methode ist ganz neu. Wie in der Jugendarbeit üblich, haben wir an manchen Stellen auch bestehende Ideen aufgegriffen und angepasst – soweit es uns bewusst war, haben wir entsprechende Quellenangaben in den Texten benannt. Wir möchten uns bei allen Mitarbeitenden, die eine Methode beschrieben oder eine Kapiteleinleitung beigesteuert haben, herzlich bedanken. Wichtig ist uns zu betonen, dass die vorliegenden Bausteine nicht allein von den Autorinnen und Autoren, sondern auch von vielen anderen mit- und weiterentwickelt wurden. Unser Dank gilt deshalb allen weiteren Mitarbeitenden, die Ideen und Anregungen in unsere Arbeit eingebracht haben. Zum Kerngeschäft gehört ständige Selbstkritik, indem wir mit denen reden, an die sich unsere Arbeit richtet: Ohne das Feedback der Jugendlichen zu unseren Methoden und dem Gesamtkonzept könnten wir heute diese Ideen nicht weitergeben.
Mit diesem Buch wollen wir unsere Methoden vielen zugänglich machen, die mit Jugendlichen an ähnlichen Themen arbeiten: Mitarbeitende in der Jugend- und Schülerarbeit, Lehrerinnen und Lehrer, Pfarrerinnen und Pfarrer, Jugendreferentinnen und Jugendreferenten, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, Ehrenamtliche in der Offenen Jugendarbeit und viele andere. Es ist gedacht für alle, die ein Interesse an alternativen Zugängen zur Arbeit an Sinnfragen mit Jugendlichen haben, die neue Konzepte ausprobieren wollen oder thematische und inhaltliche Anregungen für ihre eigene Arbeit mit Jugendlichen suchen.
Der flexible Charakter des Buches ermöglicht es, einzelne Methoden zu übernehmen und auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen, aber auch Gesamtkonzepte zu einem Thema in die eigene Arbeit zu übertragen. Wir wünschen uns, dass unsere Arbeit auf diesem Weg in vielen verschiedenen Bereichen fruchtbar wird. Wir möchten dazu ermutigen, die großen Fragen des Lebens zusammen mit Jugendlichen zu stellen. Es lohnt sich, sich mit Jugendlichen auf den Weg zu machen!
Annette Haußmann und Dorin DömlandMünchen und Stuttgart im Februar 2017
1Weitere Informationen: www.schuelerarbeit.de/tdo (Linkzugriff im März 2017).
„Puh! Geschafft!“ Erschöpft und leicht übernächtigt, aber glücklich sinkt das Mitarbeitendenteam in die Autositze. Die Tagung ist vorbei. Vor einer Stunde haben wir die Jugendlichen am Bus verabschiedet. Jetzt geht es für alle nach Hause. Was ist bei den Jugendlichen, aber auch bei den Mitarbeitenden von unseren großen Themen der letzten Tage hängen geblieben? „Warum wohin?“, so könnte man unsere Tagungsarbeit betiteln. Auf den „Tagen der Orientierung“ des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg begleiten wir Jugendliche dabei, die großen Fragen des Lebens zu stellen.
Die Frage nach dem Warum beinhaltet dabei die Frage nach dem, was bisher war. Mit den Jugendlichen halten wir inne im Alltag und schauen zurück: Was brachte das Leben bisher, woher komme ich, wie gehe ich mit meinen Wurzeln und meiner Herkunft um, was gibt mir Halt, welche Werte sind mir wichtig? Dabei wollen wir Begründungen finden für die Richtung, in die das Leben gehen soll. Wir weichen der Vergangenheit auch dann nicht aus, wenn sie Schmerzliches mit sich bringt, die Warum-Frage im Blick auf eigene Lebenserfahrungen also manches Mal dringlicher gestellt wird. Ausgehend von der Frage nach dem, was war, fragen wir nach dem Gewinn für das Morgen. Wohin soll es weitergehen, was plane ich für die Zukunft, was ist mir wichtig im Leben, was ist der Sinn des Lebens?
Zwischen den beiden Frageworten „Warum wohin?“ öffnet sich der weite Bereich, in dem wir mit den Jugendlichen gemeinsam existenzielle Fragen stellen und nach Antworten suchen. Im produktiven und kreativen Spannungsfeld zwischen beiden Fragewörtern steht unsere Arbeit.
Jugendliche entwickeln ihre Identität. Der Entwicklungspsychologe Erik Erikson hat für das Jugendalter die Identitätsfindung als zentrale Aufgabe beschrieben, die grundlegend für weitere Schritte im Leben ist.2 Deshalb wird dem Thema „Wer bin ich“ in unserem Buch ein größerer Abschnitt mit theoretischer Einordnung gewidmet. Neben dem Finden einer eigenen Identität wurden verschiedene Aufgaben der Entwicklung formuliert, darunter die Gestaltung von Beziehungen und Freundschaften, die Auseinandersetzung mit der eigenen sozialen Rolle, Geschlechterrollen und der eigenen Sexualität, Unabhängigkeit von Eltern und das Ausbilden einer eigenen Meinung sowie berufliche Orientierung und die Entwicklung einer Zukunftsperspektive. Diese Entwicklungsaufgaben sind nicht nur von außen vorgegeben, sondern werden von Jugendlichen selbst aktiv und zielgerichtet verfolgt und gestaltet.3 All diese Themen haben gemeinsam, dass sie existenzielle und zentrale Fragen des Jugendalters formulieren, denen wir uns in diesem Buch widmen.
Jugendliche brauchen Räume für existenzielle Fragen. Doch diese Räume sind im oft durchstrukturierten Alltag zwischen Schule, Sport, Nachhilfeunterricht, Jugendgruppen und anderen Freizeitaktivitäten selten gegeben. Aktuelle Beobachtungen aus der Entwicklungspsychologie zeigen, dass die Jugendphase immer früher beginnt und sich weiter in den Bereich der Adoleszenz hinein ausdehnt.4 Dieses Phänomen ist sowohl gesellschaftlich als auch kulturell begründet, da sich die Ausbildung verlängert und Lebensereignisse wie Heirat und Familiengründung weiter in das Erwachsenenalter hinein verlagert haben und sich eigene Autonomie und Unabhängigkeit von den Eltern später realisiert. Auf der anderen Seite verkürzt sich die Zeit, in der Jugendliche unbeschwert eigene Fragen klären können und sich als Jugendliche fühlen und verhalten dürfen. Dabei unterscheiden sich die Voraussetzungen abhängig vom Bildungsniveau und vom sozioökonomischen Status stark. Zum Teil werden Jugendliche früh mit der Instabilität von Beziehungen und Trennungen in der Familie konfrontiert und müssen sich auch im schulischen Bereich durch Leistungsbereitschaft, Ehrgeiz und Motivation auszeichnen. Auch der Bereich der Freizeit bleibt davon nicht ausgespart. Die Jugendzeit bringt neben der Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Veränderungen deshalb auch die Notwendigkeit mit, früh im eigenen sozialen Umfeld Verantwortung zu übernehmen und Kompetenzen des Erwachsenseins auszubilden. Beide Prozesse, die Verlängerung der Jugendzeit und die Vorverlagerung des Erwachsenwerdens schaffen eine Spannung zwischen Selbstständigkeit und Abhängigkeit, Freiheit und Anpassung.5 Auch unsere immer komplexer werdende soziale und gesellschaftliche Lebenswelt mit ihrer Vielfalt an Meinungen erfordert eine individuelle Orientierung. Umso wichtiger werden in dieser Situation Freiräume für die Auseinandersetzung mit Lebensfragen.6
Jugendliche sind kreativ. Sie experimentieren mit verschiedenen Vorstellungen vom Leben, erkunden ihre soziale Umwelt und probieren die Übernahme von Verhaltensweisen und Rollen aus. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass neben einer suchenden, pragmatischen Einstellung auch Idealismus und Gestaltungswillen zunehmen. Jugendliche wollen sich einbringen und die Gesellschaft mitgestalten.7 Wir versuchen, diese Freude am Erleben, Gestalten und Experimentieren in erlebnispädagogischen und spielerischen Elementen aufzunehmen und ihnen bewusst Raum zu geben.
Jugendliche sind verschieden. Trotz aller Stereotype zu Jugendkultur, Erlebnisgesellschaft und Freude an Action werden wir auf unseren Tagungen immer wieder daran erinnert, dass wir es mit ganz unterschiedlichen Typen zu tun haben.8 Vom schüchternen Denker bis zur lauten Extrovertierten sind alle Facetten der Persönlichkeit vertreten und fordern uns heraus, die Individualität der Jugendlichen ernst zu nehmen. Das bedeutet: Nicht jede Methode, jeder Baustein, jedes Thema muss genau den Geschmack der Jugendlichen treffen. Deshalb macht es am Ende die Mischung aus.
Wir bedenken dabei bei unserer Arbeit, dass nicht alle Jugendlichen gute Startvoraussetzungen ins Leben haben: Die Schere zwischen den Bildungsbedingungen geht immer weiter auseinander und gerade Jugendliche mit niedrigem Bildungsstand und geringem sozioökonomischem Status haben es schwer, ihren Platz im Leben zu finden. Wenn wir unsere Tagungen mit solchen Jugendlichen durchführen, stellen wir fest, wie sehr gerade sie von solchen Angeboten profitieren, Mut bekommen, ihre Träume zu beschreiben und Wege der Realisierung zu finden.
Jugendliche haben und suchen Orientierung. Häufig wird angenommen, dass Jugendliche generell unter einem Orientierungsverlust leiden und deshalb auf Antworten zu Lebensfragen angewiesen sind. Meist verbindet sich diese Annahme mit einem Lamento über die pluralen Möglichkeiten unserer Zeit und Abbrüche von Traditionen. Dass solche Prozesse aber auch Freiheit und emanzipatorisches Potenzial mit sich bringen, zeigt nicht zuletzt auf religiöser Ebene die Wiederentdeckung der Spiritualität. Jugendliche selbst bringen Orientierungen und Einstellungen zum Leben sowie religiöse Vorstellungen bereits mit, die sie sich aus ihren Erfahrungen konstruiert haben. Auf diese gehen wir ein und machen sie zum Thema. So schaffen wir Gelegenheiten, Fragen zum Leben zu stellen, die eigene Überzeugung mit anderen Meinungen in Kontakt zu bringen und so für deren Weiterentwicklung neue Impulse zu geben. Als Anknüpfungspunkte dienen Elemente aus der Lebenswelt der Jugendlichen wie Musik, Mediennutzung und Freizeitaktivitäten, die wir in einzelnen Methoden aufgegriffen haben, die aber aufgrund ihrer Aktualität der stetigen Anpassung bedürfen. Am wichtigsten sind persönliche Begegnungen mit authentischen Menschen – und das wird in der Jugendarbeit erlebbar.
Wir haben Zeit. Im besten Fall wollen wir Jugendlichen ein Innehalten im Alltag, eine Besinnung auf das Wesentliche in ihrem Leben und einen Beginn oder die Fortführung ihres eigenen Prozesses der Sinnorientierung ermöglichen. Dafür schaffen wir Zeit, Raum und die Möglichkeit, sich in der Gemeinschaft offen, aber geschützt über die eigenen Standpunkte auszutauschen. Die eigene Sinnorientierung entsteht am besten in der Auseinandersetzung innerhalb einer Gemeinschaft. Die eigenen Positionen können gefunden werden, indem man anderen Überzeugungen begegnet, sie für sich als wahr erkennt und im Gegenüber zu anderen Positionen zu verteidigen oder zu überprüfen lernt. Ebenso kann man im gegenseitigen Austausch sehen und wahrnehmen, was andere beschäftigt, sich selbst infrage stellen lassen und von Andersdenkenden Impulse für eigenes Denken und Handeln mitnehmen. Auf diese Weise wollen wir Mut machen zur Sinnsuche im Leben.
Wir reden über unseren Glauben. In der Nachfolge Jesu möchten wir mit Jugendlichen über ihre Fragen ins Gespräch kommen. Dabei sind wir bereit, eigene Antworten zu geben und diese zur Diskussion zu stellen. Wir möchten unseren eigenen Glauben mit allen Fragen und Zweifeln ins Gespräch bringen. Wichtig ist uns, andere Lebens- und Glaubensüberzeugungen zu respektieren und ernst zu nehmen. Wir wollen mit den Jugendlichen gemeinsam daran arbeiten, in Glaubens- und Lebensfragen gesprächsfähig und gleichzeitig pluralitätsfähig zu werden.
Wir geben Impulse mit. In unserer Arbeit geben wir den Jugendlichen Impulse und Anregungen zur eigenen Beschäftigung mit den großen Fragen des Lebens. Wir wollen sie ermuntern, sich innerlich auf den Weg zu machen, an existenziellen Fragen zu arbeiten. Die gemeinsame Sinnsuche erleben wir als einen kreativen, unabgeschlossenen Prozess, der nach unserer Begegnung auf einer Tagung weitergehen wird. Wir möchten den Jugendlichen unsere Überzeugung mitgeben: Fragen lohnt sich!
Wir sind Seelsorgerinnen und Seelsorger. Wenn die großen Fragen des Lebens gestellt werden, können Wunden und Verletzungen der Vergangenheit leicht aufbrechen. Oder den Jugendlichen werden aktuelle Schwierigkeiten und Probleme ihres Alltags bewusster, die sie aufwühlen können. Alle Mitarbeitenden, die mit Jugendlichen an solchen Fragen arbeiten, sollten sich dessen bewusst sein und verantwortlich mit diesen möglicherweise schwierigen Situationen umgehen. Der geschützte Bereich einer Tagung erlaubt es, seelsorgerliche Einzelgespräche mit Jugendlichen zu führen. Dazu machen wir auf unseren Tagungen immer zu Beginn und auch an geeigneten Stellen im Programm das Angebot, uns mit seelsorgerlichen Anliegen anzusprechen. Gute Gelegenheiten dafür sind die Freiräume im Programm. Unserer Erfahrung nach entstehen oft aus „Tür- und Angel-Gesprächen“ kleine seelsorgerliche Begleitungen, die für Jugendliche sehr wertvoll werden können.
Wir begleiten Jugendliche in Sinnfragen. In der Arbeit mit den Jugendlichen wollen wir keine fertigen Antworten auf die großen Lebensfragen präsentieren, sondern Jugendliche bei ihrer eigenen Suche nach Antworten begleiten. Ein Leitbild dafür ist für uns die Art und Weise, in der Jesus Menschen ins Gespräch über Lebensfragen gezogen hat (vgl. Joh 3, Joh 4, Lk 10,25 ff. u. v. m.). Jesus nahm die Fragen der Menschen ernst und wich dem Gespräch nicht aus. Er gab eine eigene Antwort, bezog die Fragenden aber in die weitere Behandlung des Themas mit ein. Ihm war es wichtig, dass die Fragenden selbst zu einer Erkenntnis über das genannte Thema kommen. Als Mitarbeitende sehen wir uns als Menschen, die den Jugendlichen Vorbilder werden können, aber auch Schwächen und Fehler haben. Wir sind bereit, uns den Jugendlichen gegenüber ein Stück weit zu öffnen und von unserem eigenen Leben mit seinen Fragen und Zweifeln und dem eigenen Umgang mit Fehlern und Schwächen zu erzählen.9 Wir verstehen uns als Menschen, die bei der Suche eines Sinns unterstützen, herausfordern und Wege finden helfen: „Sinnhelfer helfen bei Lebensdeutung und Sinnsuche. Sie machen nicht den Sinn und die Deutung, sie helfen nur beim Finden.“10 Gleichzeitig aber sind Jugendliche auch uns eine Hilfe bei dieser Sinnsuche, und wie wir so geben auch sie uns Mitarbeitenden Anregungen für die eigene Deutung des Lebens.
Wir sind nah dran. Unsere Mitarbeitenden sind meist noch im Studium, haben also jene Entwicklungen der Jugendzeit erst kürzlich selbst erlebt. So gelingt Verständnis und ein offenes Gespräch mit Jugendlichen auch über schwierige Themen. Aber auch bei älteren Mitarbeitenden hilft das Bewusstsein, wie einschneidend frühe Beziehungsverluste, Liebeskummer oder Zukunftssorgen sind und wie intensiv erstmalige Erlebnisse aller Art wahrgenommen werden.
Wir arbeiten im Team und kennen wichtige Anlaufstellen. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht für alle Schwierigkeiten, die uns in der Arbeit mit Jugendlichen begegnen können, die richtigen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sind. Wir können aber viele Probleme der Jugendlichen wahr- und ernst nehmen. Daher ist es wichtig, die entsprechenden Anlaufstellen zu kennen, die man Jugendlichen in besonderen Situationen empfehlen bzw. an die man sich selbst wenden kann (z. B. psychologische oder kirchliche Beratungsstellen, Schulseelsorge oder Telefonseelsorge). Wie bei allen seelsorgerlichen Aufgaben gilt dem achtsamen Umgang mit sich selbst ein besonderes Augenmerk in der Begleitung der Mitarbeitenden. Seelsorgerliche Begegnungen mit Jugendlichen können belastend sein und auch eigene Lebensfragen und -sorgen ins Schwingen bringen. Gemeinsame Fortbildungs- und Reflexionstreffen bieten einen geschützten Rahmen, um sich über Erfahrungen bei den „Tagen der Orientierung“ sowie die eigenen Grenzen auszutauschen und damit in guter Weise umzugehen.
Wir alle suchen nach Sinn. Die Frage nach dem Sinn des Lebens und den großen Lebensthemen betrifft alle Menschen, egal welchen kulturellen oder religiösen Hintergrund sie haben. Wir bringen unsere christlich geprägte Position offen und gesprächsbereit in die Begegnung mit anderen Positionen ein. Kennzeichen der Lebenswelt von Jugendlichen ist heute die Pluralität verschiedener Weltanschauungen und religiöser Orientierungen. Darin wird das gemeinsame Gespräch über solche Orientierungen immer wichtiger. Gesellschaftstragende Werte werden nur in der gemeinschaftlichen Aushandlung dessen, was wichtig ist, gewonnen. Pluralitätsfähigkeit ist angesichts dieser Vielfalt ein festgehaltenes Bildungsziel, eine Kompetenz, die es zu fördern gilt.11
Wir begleiten religiöse Entwicklung. Für die religiöse Entwicklung von Jugendlichen wurden verschiedene Stufenmodelle vorgeschlagen, die mit zunehmendem Alter eine reflektierte Religiosität zum Entwicklungsziel machen.12 Jüngst wurden solche Modelle aber aufgrund ihrer unzureichenden Erklärungskraft und ihrer fehlenden Übereinstimmung mit empirischen Daten kritisiert. Heute geht man deshalb eher davon aus, dass gelebte Religion verschiedenen Stilen und Überzeugungen folgt oder sich aus dem Umgang mit Lebensproblemen solche Verschiedenheiten erklären lassen. Auch die emotionalen und unbewussten Anteile der religiösen Entwicklung haben jüngst mehr Aufmerksamkeit erfahren und legen nahe, Religion nicht nur auf ihren kognitiven Aspekt zu reduzieren.13 Die Religiosität Jugendlicher ist also genauso individuell wie die Jugendlichen selbst und gehört zu ihrer Identität, Prägung und Persönlichkeit. Sie entwickelt sich dennoch nicht im luftleeren Raum. Mit anderen im Gespräch erweitert sich der Horizont, neue Sichtweisen werden gesucht. Viele Jugendliche bringen von zu Hause keine festen religiösen Traditionen und Überzeugungen mit. Sie machen sich ihre eigenen Gedanken zu existenziellen Fragen und finden dafür in ihrem eigenen Umfeld oft wenig kompetente Ansprechpartnerinnen und -partner. Sie beschäftigen sich mit Fragen der Gerechtigkeit von Gott und Mensch, der Wahrheit der Religionen, Vorstellungen von Tod und Leben.14 Antworten auf solche Fragen werden nicht mehr allein in religiösen Institutionen wie der Kirche gesucht, sondern werden individuell aus verschiedenen Sinnangeboten zusammengestellt. Diese Individualisierung wirkt sich auch auf die zunehmende Pluralität religiöser Einstellungen aus.15 Gemeinsam ist aber allen, dass religiöse und spirituelle Bedürfnisse vorhanden sind und ernst genommen werden sollten.
Wir gehen offen ins Gespräch. Insbesondere im Bereich religiöser Einstellungen erleben wir, dass Jugendliche ihre eigenen Ideen, Erfahrungen und Überzeugungen haben und mitbringen.16 Gerade in der Adoleszenz stellen Jugendliche ihr Verhältnis zu in der Erziehung mitgegebenen Werten, Einstellungen und Überzeugungen auf den Prüfstand. Religion ist mit ihren existenziellen Fragestellungen ein besonderes Feld, mit dem sie sich oft intensiv beschäftigen.17 Für konventionelle und traditionelle Ausdrucksformen finden sie neue, kreative Sprache und fordern damit auch unsere eingeübten religiösen Denkmuster heraus.18 Wie interessant wird es für alle Beteiligten, wenn wir darüber ins Gespräch kommen! Zugespitzt: Es geht uns darum, „Jugendliche als diejenigen Theologen wahrzunehmen und anzuerkennen, die sie tatsächlich schon lange sind – in ihrem Nachdenken über religiöse Vorstellungen sowie in der darauf bezogenen Kommunikation.“19 Wenn Jugendliche gute Erfahrungen mit Religion und Glauben und denen, die mit ihnen darüber sprechen, machen können, nehmen sie einen Schatz fürs Leben mit.20 Das bedeutet für uns, die wir mit ihnen unterwegs sind, dass wir uns nicht als die religiösen Experten wahrnehmen, die Antworten anzubieten haben, sondern dass wir auch bereit sein müssen, unsere Überzeugungen bewusst aufs Spiel zu setzen, hinterfragen zu lassen, uns kritischen Anfragen stellen. Und im besten Fall werden wir wieder daran erinnert, dass Glaube und Leben bunt und auch wir selbst auf der Suche sind.
Glaube steht mitten im Leben. Wir sind überzeugt, dass der Glaube in der Arbeit an den großen Lebensthemen besonders dann zur Geltung kommt, wenn er an verschiedenen Stellen eingebracht wird. Deshalb ist das Thema „Glaube“ nicht in einer bestimmten Methode zu finden, sondern in unserer Gesamteinstellung den Jugendlichen gegenüber, aber auch in Impulsen, die sich mit den Methoden und den verschiedenen Themen verbinden. Jedes Kapitel reflektiert darum am Anfang, in welcher Weise der Glaube eine Rolle spielt.
Für die Gestaltung eines Themas können sowohl mehrere Tage als auch nur ein Tag eingeplant werden. Wir sind mit Jugendlichen in der Regel drei Tage unterwegs und haben den Aufbau entsprechend beschrieben. Bei einer Kürzung können die einführenden und zusammenfassenden Methoden beibehalten und nur der Mittelteil gekürzt werden. Möchte man eine mehrtägige Freizeit damit gestalten, sind längere freie Zeiten zwischen den Programmblöcken und eine Kombination aus Methoden verschiedener Themen möglich. Besonders gut passen die Methoden des Kapitels „Wer bin ich?“ zu anderen Themen als Einleitung oder Vertiefung. Gut passen auch die Themen „Zukunft“ und „Sinn des Lebens“ zusammen. Zudem lassen sich viele Methoden an mehrere Themen anpassen. Hinweise dazu werden in den Varianten und Kapiteleinleitungen gegeben. Weitere hilfreiche Ideen zur Planung geben die folgenden Punkte:
•Voraussetzungen: Die Methoden enthalten Hinweise, wie sie auf Bedürfnisse, z. B. Alter, Bildung, Geschlecht, entsprechend zugeschnitten werden können. Dafür ist es nützlich, diese Voraussetzungen im Vorfeld möglichst genau zu kennen.
•Gruppenphasen: Besonders zu beachten ist die Gruppendynamik, die sich in mehrere Phasen einteilen lässt und sich unterscheidet je nachdem, ob sich die Gruppe schon kennt oder nicht.21 In jeder Gruppe sind die Rollen in bestimmter Weise verteilt und Jugendarbeit ist eine Chance, sich neu kennenzulernen. Dazu ist es hilfreich, wenn die Gruppe in verschiedener Zusammensetzung immer wieder neu zusammenkommt. Kleingruppenphasen, Einzelarbeit und Großgruppe wechseln in den Methoden kontinuierlich ab.
•Freiraum: Für die Durchführung sollten genügend Zeit und Pausen eingeplant werden. Freiräume sind besonders bei emotional oder kognitiv intensiven Methoden für die Jugendlichen zur Entspannung und zum Austausch mit anderen wichtig. Entsprechende Hinweise finden sich bei den einzelnen Methoden.
•Abwechslung: Durch die Schule sind Jugendliche normalerweise gedankliches Arbeiten gewohnt. Wir wollen auf verschiedenen Ebenen Anregung geben und binden daher kreative, erlebnisbezogene, kognitive, emotionsbezogene Elemente ein und sorgen für Abwechslung.
•Flexibilität: Wir möchten die Themen für unterschiedliche Formate empfehlen: Freizeiten, Tagungen, Thementage, Konfirmandenarbeit/Firmunterricht, Jugendkreise können die Methoden nutzen. Auch eine Anpassung der einzelnen Bausteine in Dauer, Inhalt und Format kann gegebenenfalls im Verlauf des Programms nützlich sein.
•Feedback: Grundlegend in unserer Arbeit ist die Mitsprache der Jugendlichen. Nicht nur am Ende im Abschlussfeedback, auch währenddessen fragen wir Jugendliche deshalb nach ihrer Meinung. So kann man sicherer sein, dass die Themen und die Umsetzung auch ihren Bedürfnissen gerecht werden.
„Warum wohin?“ Dieser Fragelogik folgt auch der Aufbau des Buches. Wir beginnen beim Ich mit der eigenen Prägung. Weil das Thema der Identität für Jugendliche so wichtig ist, haben wir das Kapitel „Wer bin ich?“ mit einer ausführlicheren Einleitung an den Beginn gesetzt. Weiter geht es hin zu den konkreten Lebensvollzügen in der Gestaltung der eigenen Zeit, in Beziehungen und in Gemeinschaft mit anderen. Es folgt der Weg ins Morgen, indem wir nach Zukunft fragen, und endet mit der wohl größten, alles umfassenden Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Methoden dieses Buches versuchen, in den Jugendlichen das Fragen nach den großen Lebensthemen zu wecken bzw. ihre Fragen aufzunehmen. Auf der Basis ihrer eigenen Fragestellungen wird gemeinsam nach tragfähigen Antworten gesucht. Lebensorientierung umfasst Denken, Fühlen und Handeln, die immer miteinander verbunden sind. Diesem grundsätzlichen psychologischen Prinzip sind wir gefolgt, indem wir innerhalb der Kapitel alle drei Dimensionen berücksichtigt haben. Wichtig ist uns, nicht nur Methoden mit kognitivem Schwerpunkt einzusetzen, sondern ganzheitliche Zugänge zu den Themen über die Erlebnis-, Gruppen- und Spielpädagogik sowie durch kreative Elemente zu schaffen. Dies erinnert daran, dass Orientierung ein freier, spielerischer, suchender Prozess ist, der sich immer wieder umgestalten lässt und letztlich unabgeschlossen bleibt.
Jedes Kapitel beginnt mit einer Einleitung, in der die Ausrichtung, in der wir das Thema behandeln, zum Ausdruck kommt und in der wir grundsätzliche Fragen zum jeweiligen Thema erörtern. Die Einleitung ist daher immer gleich aufgebaut und beinhaltet die folgenden Überschriften:
•Was Jugendliche mitbringen
•Was wir Jugendlichen mitgeben wollen
•Die Rolle der Mitarbeitenden
•Der Bezug zum Glauben
•Der rote Faden im Thema
Dadurch wollen wir den Leserinnen und Lesern eine feste Struktur bieten und einen Vorschlag machen, wie eine gesamte Tagung vorbereitet, gestaltet und sinnvoll aufgebaut werden kann. Mit dieser Kapiteleinleitung wollen wir deutlich machen, dass wir nicht nur einzelne Methoden aneinandergereiht aufführen, sondern dass jedes Thema einen Rahmen braucht, in dem es bearbeitet wird.
Alle sechs Themen und die darin enthaltenen Methoden möchten dazu einladen, kreativ mit ihnen umzugehen. Sie haben sich durch Erproben und Umgestalten stetig weiterentwickelt und tun dies auch weiterhin. Wir haben in unserer Arbeit erfahren, dass es sich lohnt, die Themen den Bedürfnissen und Interessen der Gruppe anzupassen. Das beginnt damit, dass die Jugendlichen ihr Thema selbst wählen und auch während der Arbeit am Thema vom Motto der Mitbestimmung Gebrauch machen dürfen. Die Methoden sind so konzipiert, dass sie leicht auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten oder direkt übernommen werden können. Der Rahmen einer mehrtägigen Freizeit oder Tagung bietet sich dafür genauso an wie die Adaption für einzelne Thementreffen im Jugendkreis oder in der Konfirmandenarbeit / dem Firmunterricht. Die Einleitungen in den einzelnen Kapiteln beschreiben jeweils einen „roten Faden“, anhand dessen einzelne Methoden sinnvoll aufeinander abgestimmt werden können. Zahlreiche Varianten ermöglichen bei den meisten Methoden auch individuelle Abwandlungen oder geben Hinweise zur Umgestaltung. Im Downloadbereich unter www.ejw-buch.de/shop/warum-wohin.html finden sich außerdem eine Menge Materialien, die die Durchführung der Methoden erleichtern bzw. ermöglichen.
Die in diesem Buch enthaltenen Vorlagen sowie zusätzliches Material können unter www.ejw-buch.de/shop/warum-wohin.html als digitale Daten heruntergeladen werden. Der Kauf des Buches berechtigt zum Downloaden, Ausdrucken, Kopieren und Verwenden dieser Daten, sofern sie zur Vorbereitung und Durchführung der Inhalte dieses Buches verwendet werden. Eine Vervielfältigung, Verwendung oder Weitergabe darüber hinaus ist ohne Erlaubnis ausdrücklich nicht gestattet.
Wir freuen uns über Rückmeldungen zu Erfahrungen bei der Umsetzung, Nutzung und Weiterentwicklung der Themen und Methoden.
Was bleibt hängen nach einer Tagung? Im Auto nach Hause sind die Mitarbeitenden gespannt darauf zu hören, was die Jugendlichen auf die Feedbackbögen geschrieben haben. Wie ist das Programm angekommen? Wir haben alles gegeben, aber was hätte man noch besser machen können? Eine oder einer muss fahren – klar. Aber die anderen haben die Hände frei und widmen sich gespannt den Feedbackblättern. „Okay, ich lese vor, gebt mir mal alle Bögen! – Das Wichtigste, was ich von den Tagen mitnehme:
Gründlich nachdenken. – Mal wirklich ernst und konzentriert über Liebe zu reden. – Die Werte, die ich für mein Leben wichtig finde. – Es gibt nicht den einen Sinn des Lebens, sondern viele verschiedene, die sich im Laufe des Lebens ändern können. – Gemeinschaft ist wichtig! – Der Glaube ist eine schöne Sache. – Sich immer mal wieder Zeit für sich zum Nachdenken nehmen, ohne Ablenkungen wie das Handy. – Den Sinn des Lebens habe ich zwar nicht gefunden, aber ich weiß jetzt, wo ich weitersuchen will.“22
Dorin Dömland und Annette Haußmann
2Vgl. Erikson, Erik: Identität und Lebenszyklus, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1966.
3In der neueren Theorie wird die aktive Rolle der Jugendlichen bei der Gestaltung von Entwicklungsaufgaben mehr betont als noch in früheren Ansätzen, vgl. Schneider, Wolfgang / Lindenberger, Ulman: Entwicklungspsychologie, Beltz, Weinheim 72012, 243-244.
4Die immer früher einsetzende Pubertät und Reifung Jugendlicher führt auch zu früheren körperlichen und psychischen Veränderungen. Vertiefende Hinweise zur psychologischen Entwicklung von Jugendlichen vgl. Schneider, Wolfgang /Lindenberger, Ulman: Entwicklungspsychologie, bes. Kap. 10 ‚ Beltz, Weinheim 72012.
5Vgl. Quenzel, Gudrun / Hurrelmann, Klaus / Albert, Mathias: Jugend 2015. Eine pragmatische Generation im Aufbruch, in: Shell Deutschland Holding (Hg.): Jugend 2015, Fischer, Frankfurt 2015, 375 – 388; 376.
6Vgl. dazu auch den neuesten Kinder- und Jugendbericht, der Jugendarbeit als „Ermöglichungsraum“ (480) beschreibt. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2017): 15. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin: BMFSFJ. Online zugänglich unter: https://www.bmfsfj.de/15-kjb (Linkzugriff im Februar 2017), bes. 461-487.
7Vgl. die Befunde zur aktuellen Shell-Jugendstudie : Quenzel, Gudrun / Hurrelmann, Klaus / Albert, Mathias: Jugend 2015. Eine pragmatische Generation im Aufbruch, in: Shell Deutschland Holding (Hg.): Jugend 2015, Fischer, Frankfurt 2015, bes. 375-388.
8Verschiedene empirische Studien zum Jugendalter zeigen genau solche individuellen Verschiedenheiten und erweitern ergänzend zur eigenen praktischen Tätigkeit die Wahrnehmung jugendlicher Vielfalt. Neben der bereits zitierten Shell-Jugendstudie 2015 lohnt sich ein Blick in die Sinus-Milieu-Studie (Calmbach, Marc / Borgstedt, Silke / Borchard, Inga / Thomas, Peter Martin / Flaig, Berthold Bodo: Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland, Springer, Heidelberg 2016) oder den DJI-Survey AID:A (Walper, Sabine / Bien, Walter / Rauschenbach, Thomas (Hg.): Aufwachsen in Deutschland heute, Deutsches Jugendinstitut, München 2015).
9Diese Erfahrung zu machen ist für junge Menschen nicht immer selbstverständlich, denn man kann feststellen: „Zudem wachsen junge Menschen heute in einer Situation auf, in der klar vorgegebene Normen und Werte, feste Zugehörigkeiten zu Milieus, kalkulierbare und klare Abfolgen von persönlichen Lebensschritten und eindeutige soziale Vorbilder weitgehend fehlen.“ Quenzel, Gudrun / Hurrelmann, Klaus / Albert, Mathias: Eine pragmatische Generation im Aufbruch, ‚ in: Shell Deutschland Holding (Hg.): Jugend 2015, Fischer, Frankfurt 2015, S. 376 (vgl. Anm. 5).
10Weiher, Erhard: Das Geheimnis des Lebens berühren – Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod. Eine Grammatik für Helfende, Kohlhammer, Stuttgart 42014, S. 96.
11Vgl. Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Religiöse Orientierung gewinnen. Der evangelische Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rats der EKD, Gütersloher Verlagshaus, Hannover 2014, S. 12.
12Zur religiösen Entwicklung vgl. im Überblick die Darstellung bei Schweitzer, Friedrich: Lebensgeschichte und Religion, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 72010, bes. S. 106–185.
13Vgl. Schweitzer, Friedrich: Gefühl in der Religion von Kindern und Jugendlichen. Perspektiven einer religionspädagogischen Modellbildung. In: Charbonnier, Lars / Mader, Matthias / Weyel, Birgit (Hg.): Religion und Gefühl. Praktisch-theologische Perspektiven einer Theorie der Emotionen, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, S. 419–432.
14Zur individuellen Sichtweise auf religiöse Fragen von Jugendlichen gibt es mittlerweile eine Vielzahl empirischer Studien. Zum Weiterlesen empfiehlt sich z. B. Streib, Heinz / Gennerich, Carsten: Jugend und Religion. Bestandsaufnahmen, Analysen und Fallstudien zur Religiosität Jugendlicher, Beltz Juventa, Weinheim/München 2011; Kürzinge, Kathrin S.: „Das Wissen bringt einem nichts, wenn man keine Werte hat“, Wertebildung und Werteentwicklung aus Sicht von Jugendlichen, V&R unipress, Osnabrück 2014; Schweitzer, Friedrich / Hardecker, Georg / Maaß, Christoph / Ilg, Wolfgang / Lißmann, Katja: Jugendliche nach der Konfirmation. Glaube, Kirche und eigenes Engagement – eine Längsschnittstudie, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2016.
15Manche Theorien unterscheiden verschiedene Typen von institutioneller Religiosität bis hin zur religionskritischen Spiritualität, z. B. Streib, Heinz / Gennerich, Carsten: Jugend und Religion. Bestandsaufnahmen, Analysen und Fallstudien zur Religiosität Jugendlicher, Beltz Juventa, Weinheim/München 2011. Die Grenzen sind jedoch fließend und situationsabhängig.
16So stellen auch Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer fest, „dass sehr viele Jugendliche eine Theologie längst haben, zumindest im Sinne einer impliziten und einer persönlichen Theologie.“ Schlag, Thomas / Schweitzer, Friedrich: Brauchen Jugendliche Theologie? Neukirchner Verlage, Neukirchen 2011, 181.
17Vgl. Feige, Andreas: Jugend und Religion. In: Krüger, Heinz-Hermann / Grunert, Cathleen (Hg.): Handbuch der Kindheits- und Jugendforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 917-931. Das Infrage-Stellen von Tradition und der kreative Umgang damit kennzeichnet das Jugendalter. Die religiösen Gewissheiten der Kindheit, Einstellungen der Eltern und Kirche werden hinterfragt, vgl. dazu die Ergebnisse der Konfirmanden-Studie, Schweitzer, Friedrich / Hardecker, Georg / Maaß, Christoph / Ilg, Wolfgang / Lißmann, Katja: Jugendliche nach der Konfirmation. Glaube, Kirche und eigenes Engagement – eine Längsschnittstudie, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2016, bes. 45-61.
18Vgl. Bußmann, Udo / Faix, Tobias / Gütlich, Silke (Hg.): Wenn Jugendliche über Glauben reden. Gemeinsame Erfahrungsräume gestalten. Neukirchner Verlage, Neukirchen-Vluyn 2013, bes. 27-43.
19Schlag, Thomas / Schweitzer, Friedrich: Brauchen Jugendliche Theologie? Neukirchner Verlage, Neukirchen 2011, 182.
20Vgl. die Ergebnisse aus der Konfirmanden-Studie, die im Längsschnitt zeigen konnte, dass Jugendliche mit positiven Erfahrungen aus der Konfizeit ihre religiösen Einstellungen bewahrten und eine hohe Bereitschaft zum eigenen Engagement im kirchlichen Bereich mitbringen. Schweitzer, Friedrich / Hardecker, Georg / Maaß, Christoph / Ilg, Wolfgang / Lißmann, Katja: Jugendliche nach der Konfirmation. Glaube, Kirche und eigenes Engagement – eine Längsschnittstudie, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2016.
21Vgl. z. B. die Gruppenphasen nach Bernstein & Lowy (Bernstein, Saul / Lowy, Louis: Untersuchungen zur sozialen Gruppenarbeit, Lambertus, Freiburg 1969), die in jedem guten Gruppenleiterbuch zu finden sind.
22Alle Statements stammen von den Feedbackbögen der Jugendlichen, die wir standardmäßig nach jeder Tagung ausfüllen lassen und die wir nutzen, um unsere Arbeit stetig zu verbessern.
von Benjamin Häfele
Wie bin ich geworden, wie ich bin? Wie kann ich mich selbst neu entdecken? Wie sehen mich andere? Wer bin ich in meinem Netz aus Beziehungen?
Das Fragen nach der und die Ausbildung der eigenen Identität ist zentral im Entwicklungsprozess von Jugendlichen und Jungen Erwachsenen. Entsprechend zentral ist auch die Aufgabe der Unterstützung und Förderung der Identitätsbildung in der Jugendarbeit. Die Beschäftigung mit diesem Thema soll Jugendlichen auf der Suche nach der eigenen Identität Räume eröffnen, sich mit identitätsbestimmenden Faktoren wie Beziehungen, Lebensgeschichten und -entwürfen, Charaktereigenschaften, Werten usw. und schließlich auch religiös-weltanschaulichen Überzeugungen auseinanderzusetzen. Warum ist gelingende Identitätsbildung heute besonders wichtig? Wie können Jugendliche bei der Suche nach Identität unterstützt werden? Wie lässt sich das methodisch gestalten?
Wer bin ich, wer sind wir heute? Eine Frage, die sich nicht nur Jugendliche, sondern Menschen jeden Lebensalters seit Tausenden von Jahren stellen. Verhältnismäßig neu ist jedoch in unserer Zeit die Betonung und zentrale Stellung des Ich in dieser Frage. Die Emanzipation des einzelnen Menschen aus Traditionszusammenhängen und gesellschaftlichen Normen wie etwa Geschlechterrollen, Berufs- und Gesellschaftsschichten und Religionszugehörigkeiten hat ihm ermöglicht, seinen ganz eigenen Weg zu gehen, sein Leben in einer multikulturellen und pluralen Welt mit unzähligen Möglichkeiten, Chancen und Angeboten selbst zu bestimmen und zu entfalten. Auch wenn viele der Angebote zur eigenen Lebensgestaltung im Gewand in Stein gemeißelter oder natürlicher Gesetzmäßigkeiten normativ, bisweilen auch autoritativ auftreten – etwa seitens der Eltern, Lehrer, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Freunde oder religiösen und anderen Gemeinschaften –, wird heute in unserer Gesellschaft jedem Menschen das Recht und die Freiheit zugesprochen und zugemutet, selbst zu wählen und zu entscheiden, wie er oder sie leben und wer er oder sie sein möchte. Wir können frei wählen und das ist gut so. Es ist uns überlassen selbst zu entscheiden, wo wir leben, welchen Beruf wir ergreifen, wen und ob überhaupt wir heiraten, womit wir unsere Freizeit verbringen, wofür wir uns einsetzen und engagieren möchten.
Die Kehrseite dieser Freiheit ist, dass auch die Verantwortung für das eigene Leben auf den Einzelnen und die Einzelne konzentriert ist. Freiheit geht Hand in Hand mit der Verantwortung und der Erwartung, selbst etwas aus seinem Leben zu machen. Nicht von ungefähr nehmen individuelle Leistung und Erfolg in allen Lebensbereichen, sei es in Beruf und Karriere, in der Familie oder in der Freizeit, einen zentralen Stellenwert in unserer Gesellschaft ein. Auch darüber, was wir tun, was wir aus uns machen wollen, dürfen wir nicht nur, sondern müssen wir selbst entscheiden, und das ohne einen festen Rahmen, der uns klare Wege bereits vorgibt, an die wir uns halten können. Auch wenn wir tun, was etwa unsere Eltern, Lehrerinnen und Lehrer oder Freunde und Freundinnen vorschlagen, weil sie es für erstrebenswert halten, bleibt es letztlich unsere eigene Entscheidung. Denn die Verantwortung dafür, was wir aus unserem Leben machen, können sie uns nicht abnehmen. Weil heute im Zeichen individueller Freiheit und Würde allgemein normative Autoritätsansprüche von Traditionen nicht mehr als verbindlich erachtet werden können, ist auch die Antwort auf die grundlegende Frage „Was ist ein gutes Leben, was ist eigentlich gut, was ist das Gute?“ ganz in individuelle „Ver-Antwortung“ gebracht. Antworten darauf gibt es so viele, wie es Menschen gibt. Dies beschreibt die plurale Grundsituation heute, die in ihrer Freiheit und Offenheit zugleich auch eine Überforderung individueller Freiheit und Verantwortung darstellt.
Diese Situation nehmen wir im Alltag glücklicherweise kaum oder nur selten wahr. Hier überwiegt meist eine positive Bewertung. Wir können heute freier über unser Leben bestimmen und sind dabei in ein Beziehungsnetz von Familie, Freunden, Kolleginnen und Kollegen, Mitschülerinnen und Mitschülern, Lehrerinnen und Lehrern usw. eingebunden, von denen einige direkte Rollenvorbilder sein können, das jedoch vor allem als Ganzes Halt und Orientierung im Leben geben kann. Ebenso gibt es nach wie vor auch Institutionen und Traditionen – nicht nur religiöse –, die uns leiten und Verlässlichkeit bieten. Jedoch bleibt, dass es im Zeitalter von Pluralität und Individualität wichtig ist, sich seiner selbst, seiner Identität, der eigenen Freiheit und Verantwortung zusammen mit deren Grenzen und Einschränkungen bewusst zu werden, um am Leben teilhaben und es aktiv und „gut“ gestalten zu können. Ebenso kann eine selbstbewusste Identität davor schützen, aus dem Bedürfnis nach Sicherheit und Orientierung auf fundamentalistische Parolen und Ideologien jedweder Art hereinzufallen. Die Suche nach Identität birgt also gleichzeitig Chancen wie Herausforderungen für den einzelnen Menschen.