Was tief im Wald geschah - Ein Schweden-Krimi - Aino Trosell - E-Book

Was tief im Wald geschah - Ein Schweden-Krimi E-Book

Aino Trosell

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Beschreibung

Ein spannender Krimi für alle Schwedenfans!Nordschweden im September: Bei einem Schulausflug wird ein 15-jähriger Junge durch einen Schuss aus einem Jagdgewehr getötet. War es ein tragischer Unfall oder ein heimtückischer Mord? Die Jagdsaison ist noch nicht eröffnet, abgefeuerte Schüsse sind daher eher eine Seltenheit. Siv Dahlin, die in der Nähe war, als der Schuss fiel, kann den Anblick des toten Jugendlichen nicht vergessen. Etwas macht sie misstrauisch, und sie beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Doch ihre Nachforschungen bringen Ergebnisse zu Tage, die sie in das unmittelbare Visier des Gegners leitet... "Aino Trosell gehört ganz klar zur schwedischen Krimi-Elite" - Svenska Dagbladet"Dieser Krimi ist einmalig. Die Heldin: eine Frau mittleren Alters, von Beruf Altenpflegerin und begeistert von Tanzmusik. Hier treffen keine Superfrauen auf Serienkiller, es gibt keine Stereotypen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut." - Örnsköldsviks Allehanda-

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Aino Trosell

Was tief im Wald geschah - Ein Schweden-Krimi

Aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek

Saga

Was tief im Wald geschah - Ein Schweden-Krimi ÜbersetztGisela Kosubek OriginalTvångströjanCopyright © 2004, 2019 Aino Trosell und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726344196

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

I

was hast du an jenem morgen gedacht? Geht man an dem Tag, an dem man beschlossen hat, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, wie immer seinen Angelegenheiten nach?

Hast du sogar in Ruhe gefrühstückt?

Du hättest alles abblasen können. Hättest dir sagen können, dass die Idee genauso krank war, wie sie nun einmal war, und das Leben hätte weitergehen können – zur Not ohne dich. Ohne deinen Schlag in die Menge hinein, ohne dein Entsetzen, deinen Tod, deine verbissene Destruktivität. Ohne dich hätte der Morgen nicht diesen düsteren Nachklang gehabt.

Der Septembermorgen war sonnig und klar, der Himmel weit und die Luft ein wenig kühl, als sie vor der Zentralschule in den Bus stiegen, um an diesem einzigen Wandertag vor dem Winter ins Gebirge zu fahren.

Nur zwei Lehrer begleiteten sie, der Rest hatte Studientag zum Thema neue Benotung, bereits zum x-ten Mal – Experten müssen auch leben. Stattdessen waren ein paar Angehörige dabei, das hatte die Schule zur Bedingung gemacht. Eine Mutter hatte sich die Stunden von ihrem Job im Arbeitsamt frei genommen, sie redete sich ein, sie sei überarbeitet und brauche eine Pause. Das Arbeitsamt war einer der größten Arbeitgeber am Ort und die Schufterei dort wahrhaftig vergleichbar mit jeder echten Knochenmühle. Das sagte zumindest diese Mutter.

Der Vater eines anderen Kindes hingegen war arbeitslos, weshalb ihm nicht sofort eine gute Ausrede einfiel, als der Elternvertreter überraschend anrief und fragte, ob er mitfahren könne. Jetzt, als er hier im Bus saß, war er froh, keine Wahl gehabt zu haben, denn was hätte er an diesem strahlenden Herbsttag wohl sonst getan – vermutlich wie gewöhnlich vor dem Computer gehockt und zu viel gegessen.

Die Tante eines Schülers ließ ihre Damenmodeboutique bis sechzehn Uhr zu, es kamen ja doch nur wenige Kunden, und sie hatte das Gefühl, ihrem Neffen würde ihre Anwesenheit guttun, auch wenn der Junge selbst das Gegenteil behauptete. Vielleicht wurde er ja gemobbt, sie wusste es nicht genau. Seine Mutter konnte man vergessen und der Junge konnte einem leidtun, fand diese Tante und fühlte sich ein bisschen anarchistisch – an einem normalen Werktag den Laden zu schließen, da würden die Leute reden. Aber an jenem Tag, wenn sie die Konsequenzen der düsteren Botschaft ihrer Jahresbilanz zog, da würden sie wirklich was kriegen, worauf sie sich stürzen konnten. Falls diese Tante auch noch andere Gründe hatte, mit in die Berge zu fahren, schwieg sie sich darüber aus, und das sogar sich selbst gegenüber.

Die meisten anderen hatten keine Wahl, sondern nahmen gezwungenermaßen und pflichtgemäß teil. Ist man fünfzehn Jahre alt, sind die Gefühle gewaltig, während alles andere Handlungsspielraum und Blickfeld nur begrenzt, sodass man ständig um sich schlagen muss, den Fleck frei schlagen muss, auf dem man sich gerade befindet. Und man ist allein. Trotz der Kumpel, der Kumpel auf Leben und Tod, für die man alles tun würde und die auch alles erfahren, fast alles . . .

Es hatte massiven Widerstand gegeben, Scheiße, schon wieder Wandertag, verdammt überflüssig und total sinnlos und öde, aber jetzt sitzen sie hier, und der Bus lässt Alcatraz hinter sich, und überall sieht man nur fröhliche junge Gesichter, nicht mal vor Müdigkeit hängt jemand schlapp herum, obwohl es erst halb neun Uhr morgens ist. Nein, einfach nur Lebensfreude, Lebenslust, Blicke und Lachen wie elektrische Schläge heizen die Stimmung, die schon gut ist, immer mehr auf.

Plötzlich Freiheit, aromatische klare Luft, die Fahrt geht das Tal hinauf nach Norden, das Wasser im Västerdalälven leuchtet blau, der Himmel in hellerem Blau, und die Natur trägt ein elegantes rostgelbbraunes Gewand, immer noch mit einem leichten Anflug von Grün. Die roten Höfe mit ihren großen Wirtschaftsgebäuden, die Geschichte des Gehöfts erkennbar an einem mausgrauen kleinen Wohnhaus, das zwar hatte stehen bleiben dürfen, aber ersetzt worden war durch ein größeres winterfestes Haus mit Balkon und einem Obergeschoss, das noch später hinzugefügt worden war.

Der weiße Finger der Kirche von Lima zeigt direkt hinauf ins Licht, und nach Süden liegen die Gräber vor dem letzten großen Gericht in der Sonne. Der Verkehr ist minimal, der Bus saust an den Dörfern vorbei – Skålmo, Husom und Berga –, der jeweilige Dorfkern am Ende einer Abzweigung. Auf jedem einzelnen Hof sind Veranda oder Vortreppe verglast und abgedichtet worden – höchst adäquate Baumaßnahmen, denn Winterkälte und Mückenhölle folgen dicht aufeinander, ganz zu schweigen von den Kriebelmücken.

Der ältere Sportlehrer Linjo Sven löst den Blick von der schönen Tallandschaft, schließlich ist er im Dienst, und da bemüht er sich nun ein gemeinsames Lied anzustimmen, in seiner Jugend haben sie stets gesungen, aber da verläuft wirklich die Grenze – nur Stöhnen und Augenverdrehen, der ist schon immer so ein Idiot gewesen. Nett allerdings. Ja, nett, aber wahnsinnig beknackt, und was krächzt er da jetzt? Hier sind junge frische Kräfte? Was ist denn das für ein alter Rockabillyquatsch? Hab nie davon gehört, geschweige je gesungen. Wenn wir einfach die Klappe halten, wird er schon wieder aufhören. Aber nichts da. Dafür kommt Axel Svensson, der jüngere Sportlehrer, Linjo Sven zu Hilfe und legt los mit »Offenes Land« – erzählt mir nicht, dass ihr dieses Lied nicht kennt. Also Axel – »nahe am Meer« – wo’s hier doch bloß Wald gibt, meine Oma hat das Meer überhaupt noch nie gesehen, nur im Fernsehen. Können wir das nicht lassen, oder dreht mal Mix Megapol im Radio ordentlich auf, dann singen wir mit, Ehrenwort.

Worauf sie zischend Büchsen öffnen, Energiedrinks und Cola, dazu gibt’s kalte Würstchen, auch kalte Pizza und natürlich Süßes, dieser ewige Hunger. Axel Svensson wendet den Blick ab, schaut weg, weit weg, jetzt riecht es im ganzen Bus nach Pizza.

Einsame Höfe, völlig intakt verlassen, so wie sie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts aussahen, man hat einfach alles stehen lassen und ein Stück weiter weg was Neues gebaut, der Vorrat an Holz war schließlich groß, und noch immer kann man darauf verzichten, an die Geschäftsleute im Gebirge zu verhökern, der Grundstückspreis kann eigentlich nur raufgehen. Diese verlassenen Höfe verkünden still, hier gibt’s keine Eile, was gewesen ist, ist gewesen, und nichts weiß man schließlich über das, was kommen wird, am besten man wartet ab, und zwar in aller Ruhe.

Aber, was weiß man schon. Es hat schließlich gebrannt. Hat oft gebrannt, allerdings dort, wo Leute wohnten und lebten, nie auf einem verlassenen Hof, nur immer bei den neuen Häusern. Sie sind wie eine offene Wunde, diese viel zu häufigen Brände, der Bus kriecht jetzt vorbei an der leeren Luft, dort, wo früher der Berghof stand, gibt es nichts mehr. Die Brände von Lima haben etwas Gespenstisches, doch in dem fröhlichen Chaos des Busses sorgt die leere Luft, da, wo das Feuer wütete, nur für zusätzliche Spannung. Die Stimmung steigt nach dem Versuch der Lehrer mit dem gemeinsamen Singen wieder an – Himmel, wie alt sind die Typen eigentlich, sollten sie nicht bald in Rente gehen?

Zwei wahrhaft passionierte und nette Lehrer setzen sich wieder auf ihre Plätze, um den Naturkräften im Bus ihren Lauf zu lassen, und schon bald nehmen Stimmengewirr, Lachen und Scherzen wieder zu, ebenso wie kleine Flirts und Kontaktaufnahmen, bei denen die Beteiligten selbst nicht immer ganz sicher sind, ob sie tatsächlich stattfinden oder nur ein Ergebnis ihres Wunschdenkens sind, freie Fantasien, ausgelöst von heftigen Hormonattacken, und immer besteht die Gefahr, sich zu verraten, sich zu demütigen. Sie trauen sich auch nicht, es klar zu zeigen oder auszusprechen, obwohl Kicki oder Stefan oder Andreas oder Pilla wirklich zurücklinsen, ja, fast die ganze Zeit. Doch was weiß man schon. Blamieren tut man sich ohnehin, aber deshalb muss man das Schicksal ja nicht noch weiter herausfordern und zugeben, wie es tief drinnen bei einem tatsächlich aussieht, wo alles gärt und drängt und spannt, Gefühle das alles, nur leidlich gezügelt.

Die große Sägewerksanlage von Fiskarheden sendet ihren frischen Duft direkt hinein in den Bus, und die nette Tante bekommt einen Blick vom Neffen Sammy, der Austausch erfolgt blitzschnell, doch sie schafft es, ihn anzulächeln und freut sich, dass er sich irgendwie freut, weil sie mitgefahren ist, und dass er es nicht lästig findet. Fiskarheden macht sie ebenfalls froh, weil es mit dem Betrieb so gut läuft, bei anderen hier geht es geradewegs den Bach hinunter, Konkurse gab es mehr als Neugründungen, falls da überhaupt welche waren. Sie weiß, wovon sie spricht, hat selbst so einiges erlebt.

Verglichen mit dem grazilen Finger von Limas Kirche ist der Kirchturm von Transtrand nur ein stummer Daumen, die Bergrücken darüber umhüllt eine Wolke, die wie eine Mütze festsitzt, ein zotteliger Fellschlapphut zum Schutz der Glatze.

Kleine solitäre Inseln mitten im Treiben, ohne Kontakt zu den Mitschülern, doch nicht wirklich gemobbt. Mats zum Beispiel, dessen persönliche Betreuerin ihm genau erklärt, was passieren wird, wenn sie dort ankommen. Sie hofft insgeheim, dass alles auch tatsächlich so abläuft, denn sonst gibt es Probleme, Zoff und viele komplizierte Fragen für den in Bezug auf sein Innenleben Behinderten, der die Dinge ganz wörtlich nimmt.

Noch immer, obwohl es bereits Herbst ist, hat man Mats eine Betreuerin zugestanden, ein gesetzlich verbrieftes Recht, gewährt von dem vorausschauenden Bevormundungsstaat. Darüber denkt die Betreuerin nach. Und obwohl sie so jung ist, stellt sie dort auf dem weichen Bussitz ihre eigenen Überlegungen an. Und kommt zu dem Schluss, dass man vielleicht doch nicht alles nur mit Geld messen kann. Dass es auch andere Maßstäbe gibt, vielleicht zum Teil von der alten Staatsmacht angelegt. Die alte Staatsmacht, die bestimmt auch gewusst hat, dass es billiger wäre, ihn in irgendeinem Heim unterzubringen, zusammengepfercht mit ebenso Behinderten, dann hätte man gespart. Alle hätten damit Geld gespart. Doch mal abgesehen davon, wie der Junge sich dabei gefühlt hätte, wie hätte sich wohl seine Mutter gefühlt, ja, und all die anderen, die Bescheid wussten? Unter der alten Staatsmacht war man imstande zu erkennen, dass es möglicherweise andere Werte gibt als jene, die sich in Kronen und Euro messen lassen. Man konnte diese Erkenntnis auch in Taten umsetzen, und deshalb ist sie, die Betreuerin, noch immer hier, obwohl der Sitz angefangen hat zu wackeln. Er ist weich, wackelt aber, bestimmt hat sich eine Schraube gelöst und ist in all dem Müll dort auf dem Fußboden gelandet.

Auch Sammy ist so ein Einzelgänger, allerdings ohne Behinderung, nicht innerlich noch äußerlich, es hat sich einfach so ergeben. Er wird nicht wirklich gemobbt, ist nur einsam, ungeheuer einsam. Er ist ruhig und still und versucht sich nicht aufzuspielen wie die anderen Burschen, und keiner weiß, was dieser Junge denkt, doch was schlimmer ist: Es interessiert auch keinen. Doch seine Tante sitzt da ein paar Reihen hinter ihm, und sie freut sich über seine neue Jacke, die sie dank ihrer tüchtigen Großhändler billig und in bester Qualität erstehen konnte. Er hat sie an diesem Morgen bekommen und sofort angezogen, und es scheint ihm auch nichts auszumachen, dass sie genau so eine Jacke trägt. Das Problem ist nur, dass die Mode noch nicht bis hierher vorgedrungen ist. In Stockholm wäre diese Jacke an einem Tag wie diesem Spitze gewesen und hätte gewiss viele beifällige und bewundernde Kommentare ausgelöst. Doch seine Mitschüler haben geschwiegen, sie haben nichts bemerkt, eine rote Jacke, die sie nie zuvor gesehen haben, na und? Ein halbes oder ein Jahr später wird diese Jacke auch hier in der hintersten Provinz der letzte Schrei sein, doch da ist Sammy schon lange tot und die blutige Jacke, aufgeschnitten von den Sanitätern, ist inspiziert, weggeworfen und verbrannt worden, und keinerlei Maßnahmen der Welt können Sammy wieder lebendig machen.

Als die Steigung zur Hälfte überwunden war, brach plötzlich Nebel über sie herein, der Bus fuhr direkt in die Wolke, die das gesamte Bergmassiv umhüllte. Es war, als hätte jemand tausend Feuer angezündet und dann mit feuchtem Moormoos nachgelegt, sodass völlig grauer, beinahe undurchdringlicher Rauch aufstieg. Der Busfahrer konnte jedoch die weißen Linien auf der neu angelegten breiten Bergstraße noch erkennen und lenkte das Fahrzeug sicher zuerst an der Sälenstugan, dann am Lindvallen und dem Högfjällhotel, am Ende schließlich an Tandådalen und am Hundfjället vorbei. Irgendwo dort bog er nach rechts ab, und das letzte Stück war die Straße zwar asphaltiert, jedoch schmal und kurvenreich, und diverse Wegweiser zeigten in alle Richtungen zu den merkwürdigsten Orten – Ferienhaussiedlungen, von denen Sälen-Bewohner des alten Schlages bestimmt noch nie gehört hatten.

Bei der Ferienhausanlage von Myrflodammen hielt der Bus endlich an, und die Schüler sprangen alle gleichzeitig, wie durch eine gemeinsame Feder bewegt, auf, eine Kakophonie von Stimmen erklang, aber Linjo Sven ließ seinen Bass ertönen: Alle setzen sich! Setzt euch! Erst muss ich noch ein paar Worte sagen, solange ihr zwischen diesen vier Wänden versammelt seid. Hört jetzt zu! Lasst euch nicht einfallen, abhandenzukommen oder euch zu verlaufen, hört ihr, was ich sage? Hat jeder Karte und Kompass dabei? Hoch damit!

Ein Wald von Karten und Kompassen wuchs in Sekundenschnelle in die Höhe, wankte und schwankte in wilden, warmen Brisen, zeigte, hier gab es junge frische Kräfte, niemand würde abhandenkommen. Aber weg, das wollten sie so schnell wie möglich, richtig weit weg von der Welt der Erwachsenen, weg von diesen scharfen Augen und großen Ohren, weg wollten sie, in kleinen Gruppen. Lediglich die Einzelgänger und vielleicht ein paar andere – brave Mädchen – sahen irgendeinen Sinn darin, sich an die Erzieher zu halten, an die Erwachsenen, Eltern beiderlei Geschlechts oder an die Tante: Tschüss, wir hauen jetzt ab – lass mich durch – pass auf – ich war vor dir – aua, hör auf zu kneifen – das war der da – wer hat das gemacht – schon wieder der – komm jetzt, Linda –, komm jetzt, Jonas – ha, ich bin zuerst da – loslassen, sag ich, hör auf zu rempeln – ha, du bist Letzter.

Linjo Sven und sein Kollege Axel schwammen sozusagen an den Wänden entlang, als sich die Flut der zukünftigen Generation durch die Türen ergoss. Die Blicke, die sich die beiden zuwarfen, zeigten lediglich Verwunderung und die übliche Resignation: Ja, was soll man machen. Aber sie sind so süß.

Der jüngere Sportlehrer legte dann einen Schritt zu, eilte an dem Schwarm lärmender, gerade erst konfirmierter Kinder vorbei, behielt sich einfach das Recht vor, die Führung zu übernehmen und an der Spitze zu gehen.

Linjo Sven ließ sich nach hinten zurückfallen, um die Langsamen, die Faulen und jene aufzufangen, die ihre Karte nicht lesen konnten, trotz des ganzen Eintrichterns im Klassenzimmer und auch in den Wäldern nahe der Schule, manche wollten es einfach nicht kapieren, da war es das Beste, wenn er als Letzter ging. Ziemlich weit hinten befanden sich auch die Arbeitsamtmutter, die Modeboutiquetante und der arbeitslose Vater, denn es war weiß Gott schwer, bei dem Tempo der jungen Leute mitzuhalten. Woher das wohl kam – all diese Eile, der Antrieb, der Wunsch, sich Hals über Kopf in die graue Suppe zu stürzen, um sich mit Hilfe von Karte und Kompass Punkt für Punkt vorwärtszuarbeiten, weshalb diese plötzliche Hast, die die meisten fast rennen ließ? Die Antwort war einfach, begann mit einem großen E und hieß Erlebnisbad. Der Besuch desselben in Tandådalen war das Finale und die Belohnung für diese Bergwanderung. Je schneller sie die Aufgabe lösten, desto mehr Zeit würden sie dort verbringen – im Strömungskanal und den wohligen Whirlpools und dem Becken, dessen einer Teil im Freien lag, sodass das Wasser in der kalten Luft dampfte. Dann brauchte man nur zu tauchen, und schwuppdiwupp befand man sich wieder drinnen und ließ sich erneut vom Strom mitreißen, spielte, man würde ertrinken und werde von der Flut weggetragen, ja, das waren die Stunden, auf die man sich freute, doch erst galt es, hier auf der Hochebene den Myrflodammen im halben Galopp zu umrunden.

Nichts war zu sehen, nur der direkt vor ihnen liegende Pfad, der Nebel hüllte alles andere ein, ließ es unwirklich erscheinen, als befände man sich auf dem Mars oder im Kongo, das war spannend und angenehm schaurig, man war ja mit so vielen anderen hier, nichts Gefährliches konnte passieren, dennoch gab es Platz zum Träumen und für starke Gefühle. Noch immer unablässiges Lachen, Scherzen und Flirten, zum Spaß die Dame seines Herzens angerempelt, sodass sie hinfiel und er also gezwungen war, ihr aus dem Moorloch aufzuhelfen, aber ach, wie schwierig das doch war, er musste selbst in die Knie gehen, sie einfangen, hochziehen, sie um die Schultern fassen, dann um die Taille, und sie lachte die ganze Zeit. Er begriff. Wurde rot und blass, wusste nicht mehr, was er tun sollte, er wollte sie umarmen, aber bekam Angst und ließ los. Ihr Lachen verschwand mit den Worten: Bist du völlig . . ., und dann war das Märchen für diesmal zu Ende. Mit fünfzehn ist man gefangen, Gnade gibt es nie, man fällt und tut sich ständig weh, aber gerade an diesem Tag sollte das Leben sie allesamt lehren, was wirkliches Fallen ist, und bevor die Dunkelheit über sie hereinbrach, würden sie alle im freien Fall in die neue furchtbare Erkenntnis stürzen, dass die Lebensflamme brennt, dass sie brennt, doch wenn sie gelöscht ist, dann ist sie es für immer. Dann kann keine Macht der Welt sie wieder entflammen. So lebendig wie Sammy gewesen war, so schrecklich würden die Phantomschmerzen werden, die er hinterließ, denn hinterher verstand wirklich jeder, dass auch er genau wie sie alle gewesen war. Weshalb war er dann eigentlich immer allein gewesen? Wenn sie es ungeschehen machen könnten, würden sie ihn in ihren Kreis aufnehmen, mit ihm zusammen sein, ihm Wärme, Kameradschaft, ja Zärtlichkeit erweisen, alles wäre möglich.

Bis plötzlich einfach nichts mehr möglich war.

Mit lauter, militärischer Stimme befahl Axel Svensson am Abfluss des Myrflodammen Halt zu machen. Weitere kurze Instruktionen: Es nütze nichts zu hetzen, falls man sich vom Erlebnisbad verlocken ließe. Nein, jene, die zuerst wieder zur Rasthütte dort hinten zurückkehrten, sollten hineingehen und Feuer machen, damit die später Ankommenden sich zum Aufwärmen ans offene Feuer setzen und ihren Kakao trinken könnten.

»Kakao« – der Lehrer konnte überhaupt nicht verstehen, warum alle plötzlich oben im Nebel Gott zu erblicken meinten. Dann eben heiße Schokolade, verdeutlichte er und erhielt ein Grinsen zur Antwort, alle hatten Dosen mit Energiedrinks oder Wasser dabei, keiner eine Thermosflasche, das war out, aber davon hatte Axel keine Ahnung. Das wird fett gemütlich, dort hinterher am Feuer zu sitzen, erwiderte einer gedankenverloren, und Axel stolperte wie üblich über dieses Modewort, das jetzt auch die Sprache der heimischen Jugend mehr und mehr verpestete. Jetzt dürft ihr Fetten euch mal ein bisschen bewegen, sagte er in einem dummen Versuch zu scherzen, doch kein Grinsen war die Reaktion, nur böse Blicke, immer traf er daneben. Folgt dem Pfad, rief er, ihr könnt euch nicht verlaufen, wenn ihr dem Pfad und den roten Markierungen folgt, oben auf dem Kungsleden richtet ihr euch nach den gelben, bleibt zusammen, das geht schon klar.

Die Ehrgeizigen studierten die Karte und dann den Nebel um sich herum. Links, nach Norden, müssten Lägerdalsfjället und Syndalskläppen liegen, Flatfjället im Süden und direkt vor ihnen im Osten das jetzt unsichtbare Öjskogsfjället. In der Ferne erklang rhythmisches Hundegebell.

Draußen auf dem Moor war ein Schild im Nebel auszumachen: Achtung dünnes Eis! Sie lachten. Und kapierten, dass dies für die Schneeskooter im Winter galt. Ganz in der Nähe entdeckten sie einen Pfahl mit Wegweisern in Blau, der Text darauf in Weiß, die in alle Richtungen zeigten: Kläppenskjulet 2,5, Syndalen 3,5, Tandådalen 4. Sie gingen ein Stück, um kurz einen Blick in die Rasthütte zu werfen, sie sollten zwar weiter, aber das hier war auch cool. Da drinnen war es kalt, kälter als draußen, und auf einem Bord fand einer der Jungen irisches Lammfrikassé in einer Folienverpackung. Das würden sie vielleicht kochen können, wenn sie zurückkamen, sollten vielleicht die Mädchen zum Essen einladen. Mit Red Bull dazu. Das Gästebuch war nur ein einfacher Ringhefter, es fing an der erst kurz zurückliegenden Jahrhundertwende an, sie lasen laut daraus vor und machten ihre Späße, hört euch das an, erster Oktober Zweitausend: »Es war wie immer schön hier. Wir sprangen von Grasbüschel zu Grasbüschel. Um nicht nass zu werden und Schnupfen zu kriegen. Ich hatte die neugekaufte blaue Familienmütze auf, und unsere zweistündige Tour um den Myrflodammen war herrlich und erfrischend. Gruß Cecilia, Felicia und Nora aus Dänemark.« Oder das hier vom Januar: »Danke für die gemütliche Hütte, wo man seinen mitgebrachten Proviant verspeisen konnte. Bosse ist heiß, und mir geht es großartig.«

Was? Hier? Mitten im Winter?

Sie erstickten fast vor Lachen.

Brennholz und Späne zum Anzünden lagen bereit. Sie wussten, dass sie für neues Holz würden sorgen müssen, wenn sie Feuer machten, Axel würde nicht eher Ruhe geben. Es gab einen Topf und einen Kaffeekessel, der Topf war für das irische Lammfrikassé. An der Wand lasen sie den Hinweis, die Hütte so zu verlassen, wie sie sie selber vorzufinden wünschten. Na, jedenfalls nicht so. Sondern bullig warm, den Tisch gedeckt mit Pizza und Cola und in dem nicht vorhandenen Recorder ein fettes Video. Yes, warum nicht, schließlich gibt’s ja Autobatterien, man könnte irgendwen bitten und dann hier übernachten, sich ’nen fett gemütlichen Abend machen. In ihren Köpfen malten sie sich aus mit wem.

Draußen war es mächtig hell, wenn man aus dem Dunkel der Hütte kam. Sie sehnten sich danach, hierher zurückzukehren und sich ans Feuer zu setzen. Blieben am Myrflodammen stehen und blickten auf das Gewässer. Man konnte nicht sehr weit sehen, das Ganze wirkte eher wie ein großer Sumpf, aber vermutlich gab es dort draußen offenes Wasser ebenso wie hier dicht am Damm, wo das Wasser tief war, sehr tief, wie tief? Der Wasserfall war imposant. Unter ihnen, wo der Fluss über die Steine hüpfte, flog irgendein Vogel hin und her, ab und zu saß er mitten im Strom, dann wieder drehte er eine rasche Runde, blitzschnell und kraftvoll. Ständig nasse Füße, bemerkte einer lakonisch. Und, wie’s aussieht, ganz freiwillig. Sie fanden den Vogel schön, aber natürlich sagte das keiner.

Jetzt war Gekicher und Geschrei zu hören. Sie erstarrten kaum merklich, die Mädels kamen. Sie mussten den Unterstand am Syndalskläppen vor ihnen erreichen, um sich verstecken und ihnen einen Schreck einjagen zu können. Wie Schatten glitten sie über die Brücke, unter ihren Füßen brauste lärmend und mit gewaltigem Tempo der Anfang eines der Zuflüsse zum Großen Tandån. Einer setzte bei seinem Nachbarn zum Kopf-Hüftschwung an, aber nur zum Spaß, wäre ja ein Ding, wenn jemand hier ins Wasser klatschte.

Jetzt drängte sich Axel wieder an ihnen vorbei, um auf dem Pfad, der am Myrflodammen entlang nach Nordosten verlief, die Führung zu übernehmen. Sie stapften durch dichten, hohen Tannenwald, wo der Nebel sich irgendwie nicht durchsetzen konnte, aber sobald ein kleiner Keil des Moors überquert werden musste, war wieder alles weiß und obendrein morastig, doch waren Stege quer über die unzähligen kleinen Zuflüsse zum Myrflon gelegt, wie das Moor bestimmt hieß, bevor es den Damm gab.

Hinter ein paar Büschen versteckt lag alter angetauter Schnee, den ersten Schneefall hatte es bereits gegeben, und als sie auf die nächste sumpfige Lichtung im hohen Wald hinauskamen, spürten sie hin und wieder ein Knirschen unter den Füßen. In der Nacht hatte es sogar gefroren, der Winter lauerte zwischen den Bergen, und kleinere Tümpel waren noch immer von einer dünnen Eishaut bedeckt. Aber die Aufgabe war viel zu einfach, der Pfad ganz deutlich erkennbar, also setzten einige ihre Kopfhörer auf und warfen den CD-Player an, Axel wusste nicht, was er sagen sollte, war das nun erlaubt oder verboten, er wusste es wirklich nicht, zog es daher vor zu schweigen, zumal das junge Volk sich verstreut hatte und die eine Gruppe nicht wusste, was die andere tat.

Aber für die Sicherheit war absolut gesorgt. Da der Handyempfang nicht überall garantiert war, hatte jeder Lehrer ein Jagdfunkgerät, also ein Walkie-Talkie, ausgeliehen, sodass sie in Kontakt bleiben konnten zwischen den verschiedenen Gruppen des Rudels, das sich sofort aufgeteilt hatte, mit diesen ehrgeizigen Jungs an der Spitze, einem Trupp irgendwo in der Mitte und ganz hinten schließlich einer Schar von Nachzüglern, einschließlich der meisten Erwachsenen und natürlich Linjo Sven, der sich umsichtig eventueller wundgescheuerter Füße oder anderer Probleme annehmen würde.

Sven war wütend oder zumindest verärgert über den Nebel. Als er vor ein paar Tagen hier oben war, hatte die Sonne geschienen, und er hatte sich vorgestellt, was es für einen herrlichen Ausflugstag geben würde. Stattdessen sah man kaum die Hand vor Augen. Die Kinder schienen sich in diesem Lützennebel aber genauso wohl zu fühlen, vielleicht phantasierten sie sich irgendwelchen Blödsinn zusammen. Auf den Stegen war von dem übergeschwappten Wasser Eis zurückgeblieben, und es fehlte nur noch, dass sich einer die Knochen brach, aber im Rucksack hatte er alles, was man in dem Fall benötigte. Also konnten sie sich seinetwegen die Knochen brechen, sich verletzen und den Kopf einschlagen, er hatte das ganze Arsenal an notwendiger Sanitätsausrüstung dabei und obendrein noch den Kurs dazu absolviert, also konnten sich alle sicher fühlen, und das tat Linjo Sven selbst auch.

Das tat er. Wie naiv. Erst im Nachhinein begriff er, wie lächerlich das von ihm gewesen war.

Im Tross hatte man es jetzt aufgegeben, die anderen einzuholen, um mit ihnen Schritt zu halten. Man fühlte sich wohl, dort, wo man war, ein paar Jugendliche plapperten oder hörten den Erwachsenen zu, die von diesem und jenem und von Dingen redeten, die ihnen gerade einfielen. Ein Biberpaar hielt zurzeit die ganze Gemeinde und das Hauptdorf Grönland in Atem, es war vom Fluss hochgewandert und drohte nun den Bach aufzustauen und eine Überschwemmung hervorzurufen. Aber guter Rat war nicht teuer, keiner war sich zu fein, um mitzureden, selbst der Gemeindevorsitzende hatte der Presse ein Interview zu der Frage gegeben, wie man sich gegenüber unwillkommenen Bibern verhielt, seine Ratschläge waren handfest und beruhten auf solider Erfahrung. Ja, die große Sensation der Woche waren die Biber. Und das, obwohl Rosengrens die Produktion verlagert, die Gerberei Konkurs angemeldet und die Wohnungsbaugesellschaft von Malung mehrere Millionen Kronen an ausgebliebenen Mieten in den leerstehenden Mietshäusern eingebüßt hatte, die, wenn nichts geschah, bald abgerissen werden müssten.

Linjo Sven wird jetzt von Axel angefunkt, der ungefähr auf halbem Weg zum Unterstand am Syndalskläppen ist, bisher sei alles unter Kontrolle und weiter hinten sehe er die Meute, also den größeren Pulk Schüler, sie trabten vorwärts, alles im grünen Bereich, over, klick, und das Gerät zurückgesteckt in die Hülle.

Die Inhaberin der Modeboutique hat den Schritt beschleunigt, um zu ihrem Neffen aufzuschließen, aber der hat es bemerkt und noch einen Zahn zugelegt, um sich nicht total zu blamieren, und jetzt hat er Glück. Ein paar andere Jungs lassen ihn zwischen sich, und der Pfad ist schmal. Sie ziehen davon, und Marlene – so heißt die Tante – verliert jetzt den Kontakt zu ihm, doch ist sie nur froh, als sie sieht, dass die anderen ihn wie Kumpels zwischen sich nehmen, dann ist ihre Fürsorge ja nicht vonnöten, es steht anscheinend überhaupt nicht so schlimm um den Jungen, wie sie geglaubt hat.

Die Ersten haben jetzt den Unterstand erreicht. Ein Schild verkündet, dass sie sich in 710 Meter über dem Meeresspiegel befinden und dass die Landesregierung den Unterstand verwaltet. Er ist mit Bänken, Tischen und Brennholz ausgestattet, und die Besichtigung ist schnell erledigt, die Kohleinschriften sind frisch, kein bisschen einfallsreich, nein, nur Datum und Namen. Enttäuscht warten sie dort, während Axel umkehrt, um der Hauptgruppe entgegenzugehen. Aus Langeweile schlendern sie durch die Gegend. Finden auf der Nordseite im Frost Spuren von Schneehühnern und kommentieren die Ameisenhaufen, die spitz und überhaupt nicht so abgerundet sind wie zu Hause, vielleicht hat das Moorgebiet ja seinen Namen nach ihnen, verdammt, braucht der lange, wie lahm sind die denn. Hat er gesagt, wir sollen Feuer machen? Jetzt hören sie einen Hund ganz in der Nähe, anhaltendes Gebell, ein Drever oder Jämthund, erklärt einer, der sich auskennt, hoffentlich kommt der hierher.

Der große Pulk hat sich aufgelöst und zerstreut, und Axel wirft das Funkgerät an, um sich erneut bei Sven zu melden, will hören, wie es dort hinten steht. Doch noch bevor er eine Nachricht durchgeben kann, hört er in seinem Gerät deutlich jemanden sagen: Ich sehe ihn, jetzt läuft er, ich folge ihm, habe ihn im Visier. Vergiss es, antwortet ein anderer, und dann sind Lachsalven zu hören, klingen metallisch im Funkgerät, plötzlich ein Schuss, ein Zischen, ein Pfeifen, eine Kugel, zweifellos eine Kugel, die da dicht an Axel Svensson vorbeipfeift, durch die Äste kracht. Er wirft sich ins Moos, schreit direkt ins Gerät: Verdammt!, aber niemand scheint ihn zu hören, das Gespräch geht einfach weiter, er hat ihre Frequenz hereinbekommen, begreift er, aber er kann sie nicht erreichen. Jetzt läuft er gebückt umher und schreit: ALLE SOFORT ZURÜCK ZUM BUS! SOFORT! WIEDER ZURÜCK!

Mädchen und Jungen stehen ratlos da, in Lebensgefahr. Verdammt, gehorcht jetzt, zurück zum Bus! Wir sind in eine Elchjagd geraten. Obwohl es viel zu früh dafür ist. Rennt jetzt und sagt allen, wir gehen zurück! Verstanden?

Da kracht es wieder, von der anderen Seite des Moors, jetzt hören die am nächsten Stehenden eine Kugel dicht vorbeizischen, und alle fangen an zu schreien, rennen, dann der dritte Schuss, alle fliehen in wilder Panik. Auch Axel Svensson würde das am liebsten tun. Aber Verantwortung und Pflichtgefühl siegen, also flieht er in die andere Richtung, im Zickzack zwischen den Bäumen entlang, schreit, fühlt Blutgeschmack im Mund, rennt wie in Watte, stundenlang, so kommt es ihm vor, doch schon bald erreicht er den Unterstand, wo die Gruppe der mit offenem Mund dastehenden Jungen den Befehl erhält, wieder zurückzugehen. Nicht über Syndalens Sennhütten und den Kungsleden, wie gesagt worden war, sondern direkt zurück und im Schutz des Waldes. Sie seien in eine Elchjagd geraten, von der niemand wusste, zurück zum Bus!

Alle begreifen, dass es ernst ist, und gehorchen umgehend. Die Schüsse hatte man gehört, aber gedacht, sie stammten von einer weiter entfernten Entenjagd, der Schall sei einfach zwischen den Bergen zurückgeworfen worden. Sie haben von der anderen Seite des Moores geschossen, keucht Axel Svensson, das hätte richtig schlimm ausgehen können. Direkt zum Bus jetzt und dann ins Bad!

. . . It’s a rich man’s game no matter what they call it . . . use your mind and they never give you credit . . . what a way to make a living . . . working nine to five . . . Wow – ein Seidendeckbett in Weiß fliegt zur Decke hoch wie ein Fallschirm, während Radio Dalarna Dolly Parton spielt und ich zwischen dem De Luxe-Bett und der ebensolchen wundervoll weißen Aussicht tanzend die Kissen schüttle. Was für ein Glück ich mit diesem Nebenjob habe, die Personalchefin des Hotels hatte kalte Füße, ein schlechtes Gewissen bekommen und mir Tipps gegeben, wo ich etwas dazuverdienen könnte, und sie hat auch gleich ein Wort für mich eingelegt.

Diese Sache ist perfekt, ein Wunschtraum, der sich erfüllt hat. An meinen freien Tagen kurve ich hier hoch und nehme mir ein Ferienhaus nach dem anderen vor, ohne dass mir jemand den Zeitpunkt diktiert. Hauptsache, ich bin fertig, wenn es schneesicher ist und die Vermietungen losgehen. Ansonsten kümmert sich keiner darum, wie ich diese Tipptopp-Grundreinigung, angefangen vom Abfluss bis zum Dach, zustande bringe, das jährliche herbstliche Großreinemachen, fünfzehn Häuser gehen auf mein Konto, das ergibt ein hübsches Sümmchen.

Good Golly Miss Molly – im Frühjahr werde ich die Schuppen streichen, die Traufbretter auswechseln und den Hof mit Schotter bestreuen, außerdem kommt Åsa zu Weihnachten mit ihrem Schatz zu mir nach Hause, ökonomisch ist die Lage hiermit gesichert, und auch, was die Seele angeht, trotz der gewesenen Schrecken. Aber ich bin ihnen entkommen, ich bin stärker als je zuvor, stark aus eigener Kraft, denn was dich nicht umbringt, macht dich stark, daran besteht kein Zweifel. Ich habe Feuerproben bestanden, allerdings nur im Verborgenen, nur ich allein weiß von den Siegen über mich selbst, von meiner Schwäche und meiner Angst. Von außen gesehen bin ich diese Putzfrau, die ein paar Mal zu oft in die Mangel geraten ist und damit bewiesen hat, dass man seine Nase nicht überall reinstecken soll. Doch die Hauptsache ist, dass ich mir selbst der teuer erkauften Erfahrungen bewusst bin, dass ich weiß, was sie nicht nur an Wissen, sondern auch an Erkenntnissen gebracht haben. Eines Tages trage ich wohl die Nase hoch, bin gelehrt wie eine Professorin, die Frage ist nur, wo diese Professur ihren Sitz haben soll, vielleicht in der Scheuerlappenfakultät?

Ich bin zufrieden mit dem Leben, mehr als zufrieden. Manchmal finde ich, man sollte denken: Ich bin glücklich, in diesem Moment bin ich glücklich. Kein Schmerz, keine Sorgen über das normale Maß hinaus und keine Schrecken, ich bin glücklich, bin gesund und stark, meine alte Karre steht da draußen, pfeift zwar aus dem letzten Loch, aber was soll’s, das wird sich schon regeln. Hat sich schließlich immer geregelt. Radio Dalarna erfreut sich noch immer an den sechziger Jahren: Don’t bring me down, yes, ich meine, no – hätte man doch einen tanzlustigen Kavalier hier zum Abhotten zwischen Großraumbesen und Staubsaugern: I’m telling you it’s gonna be the end don’t let me down. No, please, don’t let me down!

Als Erstes habe ich die Betten gemacht, so wie man es mir im Högfjällhotel beigebracht hat, denn dabei staubt es unglaublich. Ich habe gelüftet, das Bettzeug ausgeklopft, obwohl sie ja vielleicht nichts gegen Staub und Milben haben, diese reichen Typen, die eine Luxusvilla wie diese vermieteten, ich begreife nicht, dass so was ein Ferienhaus sein soll, es gleicht eher einem Palast. Aber auch Paläste müssen geputzt werden, Kamin, Grill, Tiefkühler, Kühlschrank, Sauna, Trockenraum, Whirlpool, Weinkeller, Waschküche, Ski- und Wachsraum, die Schlafzimmer, Duschen und die offene Fläche, auch Gemeinschaftsraum genannt, verbunden durch halbe Treppen. Diese Gemeinschaftsräume, die sich geschmackvoll über verschiedene Ebenen erstrecken, sind mit Fernseher, Videorecorder, DVD und anderer Technik ausgestattet, wahrhaftig auch mit ein paar Büchern, um die langen Abende totschlagen zu können, falls man die hier in den Bergen, in Dalarnas größter Vergnügungsmetropole, nicht in irgendeinem Restaurant verbringt. Neidisch bin ich nicht, nur verblüfft, wie viel Geld man haben kann. Diese Villa ist nur eine von vielen. Und den größten Teil des Jahres steht sie leer.

Zurzeit ist das ganze Gelände leer an Bewohnern, aber ein paar Handwerker arbeiten weiter oben am Flatfjällsvägen an einer großen Sennhütte, ich höre hin und wieder ihr Hämmern. Sie isolieren und verglasen die große Veranda mit ihrem Ausblick auf das Tal in Richtung Hundfjället und Tandådalen, und sie haben auf der druckimprägnierten Terrasse ein Außenbecken installiert. Die Gäste sollen bei Schnee und Kälte unterm Sternenhimmel im warmen Wasser sitzen, vielleicht mit einem Glas Glühwein am Beckenrand. Ein wenig Neid gestatte ich mir beim Gedanken an die warme Szene mitten im Winter. Doch dann komme ich wieder zu mir und sage mir, was es doch für Arbeit macht, all das zu reinigen, und dann das ganze Hin und Her mit dem Wasser in Leitungen, die möglicherweise einfrieren. Aber um solche Probleme kümmern sich bestimmt andere, nicht diese Typen, die nur herkommen, um Abwechslung zu haben und es sich gut ergehen zu lassen.

Ein Tausendkronenschein ist viel Geld, besonders wenn man ihn schwarz verdient. Meine stolzen Vorsätze, damals, als ich mit Jan verheiratet war, er ein engagierter Sozi, ja, die sind mir wohl irgendwie abhandengekommen und haben sich in alle Winde verflüchtigt. Ich sage nur Skandia, dann schweigt mein Gewissen, und man schämt sich, dass man so naiv gewesen ist und die da oben gemästet hat, die ja nur die Spitze des Eisbergs bildeten. Unsereiner arbeitet immerhin für sein Geld, jede einzelne Stunde bringt hundertfünfzig Kronen schwarz. Diese Typen haben überhaupt nicht gearbeitet, alles hat man ihnen einfach in den Rachen geworfen. Sie haben die Arbeit verweigert, haben sich geweigert, ihr Bestes zu tun, falls sie nicht einen Bonus in Millionenhöhe erhielten. Was sagt man dazu, ich kann nicht einmal daran denken, alle Illusionen sind verloren. Ich aber muss irgendwo ja doch bezahlen, bin überhaupt nicht so clever, wie ich meine. Denn Sozialabgaben gibt es für diesen Job nicht, und am Ende bin ich es nur selber, die die Rechnung zahlen muss. Wer arbeitet, muss immer die Rechnung zahlen. Wie die da oben zu ihren unglaublichen Positionen gekommen sind, ist mir schleierhaft. Vielleicht kennen sie irgendwen, oder sie haben geerbt oder jemanden geschmiert, keine Ahnung. Sie gehören einem anderen Universum an, über das ich nur äußerst wenig weiß, einer abgegrenzten Gruppe, die ihre eigenen Mitglieder schützt. Und wir anderen sind dumme Hühner, leicht zu rupfen, können eins nach dem anderen gepackt werden, seit Zusammenhalt und Solidarität aufgegeben und mit Totenkopfschildern versehen wurden.

Los jetzt, Radio Dalarna! Aber dort sind die neunziger Jahre ausgebrochen, es klingt, als rattere ein Steinbrecher, und ich schalte aus. Hole dann einen Fensterwischer mit extra langem Teleskopstiel, um beim Panoramafenster bis ganz nach oben zu kommen. Draußen liegt der Nebel etwas weniger dicht, und unten auf dem Wendeplatz des Centers steht ein Bus. Der Fahrer kommt aus dem Café, das ganzjährig geöffnet ist, und steckt sich eine Zigarette an. Begibt sich dann zum Bus, während aus der anderen Richtung, vom Wald her, ein paar Jugendliche angetrabt kommen. Sie schauen sich unentwegt um und schreien dem Fahrer etwas zu, der ruckartig stehen bleibt und die Arme hebt: Was?

Jetzt tauchen weitere junge Leute auf, anscheinend hatten sie Wandertag. Die meisten rennen geradezu, vielleicht haben sie gewettet, wer zuerst am Bus ist. Allerdings ist kein Lehrer zu sehen. Doch, jetzt kommen ein paar Erwachsene, sie reden die ganze Zeit miteinander und mit den Schülern. Sie wirken übereifrig. Und vielleicht etwas aufgeregt? Sind sie empört? Hat eins der Kinder heimlich geraucht, Abfall in die Natur geworfen oder einen andern boykottiert? Die Stimmung ist ganz eindeutig aufgeputscht.

Wenn ich auf einen Stuhl steige, komme ich mit dem Fensterwischer bis ganz oben hin.

Im Unklaren zu sein ist immer das Schlimmste. Der Fahrer hatte noch den Geschmack des Kaffees im Mund, als die ersten Jugendlichen mit der verblüffenden Nachricht zurückkamen, dass in der Gegend eine Elchjagd stattfinde. Er vergaß das Rauchen, eine Elchjagd? Wie denn das? Wo denn? Hier und jetzt? Ja, man hatte Schüsse gehört und einen Hund, und jemand hatte ganz in der Nähe einen Elch durchs Gebüsch brechen sehen. Da fand eine Elchjagd statt, und alle waren zurückbeordert worden.

Linjo Sven und die anderen Erwachsenen, ausgenommen Axel Svensson, erschienen jetzt gemeinsam mit einem beträchtlichen Teil der Schüler. Viele lachten und pfiffen, als sie den Bus erblickten. Jetzt würden sie so viel früher ins Wasser des Erlebnisbades gleiten, sie fanden die besorgten Blicke der Erwachsenen geradezu abwegig.

Es knatterte im Empfänger, und Axel Svensson berichtete nun vom Südhang des Lägerdalsfjället. Soweit er beurteilen könne, seien jetzt alle Schüler vor ihm, hinter ihm sei keiner mehr, er sei der Letzte, also komme er jetzt zurück, over.

Ein Weilchen später meldete er sich erneut. Er hatte Kontakt zu ein paar von den Jägern bekommen. Sie wollten ihm zum Sammelplatz folgen. Sie waren total beunruhigt und wollten sich überzeugen, dass alles okay ist.

Linjo Sven war aufgebracht, und unter dem Zorn lauerte Angst. Er hatte schließlich die Route festgelegt. Erst vor ein paar Tagen war er hier oben gewesen, war die ganze Strecke abgelaufen, um sicherzugehen, dass sie nicht zu schwierig war, heutzutage ist das junge Volk ja so zartbesaitet, man muss die Kinder hätscheln und tätscheln, sie halten überhaupt nichts mehr aus und begreifen nicht, dass etwas real ist und nicht nur irgendein Videospiel mit brillanter Grafik.

Er hatte an alles gedacht. Glaubte er jedenfalls. Hätte er sich vielleicht auch nach so etwas erkundigen müssen? Wie hätte er das tun sollen? Wen hätte er fragen sollen, und wie hätte er überhaupt auf einen solchen Gedanken kommen sollen, es war doch jetzt erst Anfang September. Also – hatte er wirklich die Verantwortung dafür? Die Antwort lautete nein, er hatte keine Verantwortung dafür, konnte sie einfach nicht haben, das musste er aufs Bestimmteste erklären. Jetzt hatte keine Elchjagd stattzufinden, also weshalb hätte er überhaupt so denken sollen?

Was tat er hier eigentlich? Suchte er Auswege, um seine eigene Haut zu retten, obwohl ihm niemand Vorwürfe gemacht hatte? In dieser Sache hatte er sich nichts vorzuwerfen, basta, und er konnte froh sein, dass das Versehen rechtzeitig bemerkt worden war.

Alle waren jetzt versammelt, die Arbeitsamtmutter und der arbeitslose Vater standen vertrauensvoll vor ihm und erwarteten, dass Linjo Sven das Kommando übernahm. Die junge Betreuerin hatte ihre liebe Not mit Mats, der lauthals fragte und fragte und böse wurde: Du hast doch gesagt, wir wollen zu einer Hütte?! Sollen wir stattdessen mit dem Bus fahren? Ich will jetzt nicht baden, wir wollten doch zu einer Hütte und dann wollten wir doch in dieser Hütte Würstchen grillen!

Jetzt war er gezwungen, sich des Ganzen anzunehmen, damit ein bisschen Ordnung in das Chaos kam. Zunächst sollten alle gezählt werden. Er würde sie bitten, sich klassenweise aufzustellen und alle durchzuzählen.

Doch etwas störte.

Es war die Inhaberin der Modeboutique, diese Tante. Sie ging von einem zum anderen und erkundigte sich irgendwie. Und der Neffe Sammy war natürlich nirgendwo zu sehen! Wieder mal typisch. Linjo Sven wurde von Neuem wütend.

Er blickte den Weg hinunter. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet, die Bäume dort hinten standen wartend da, auch der Pfad wartete, und die Büsche und Wegmarkierungen.

Alles wartete, aber kein Sammy kam den Pfad hinunter als Letzter von allen, weil er pinkeln war oder herumgeschusselt hatte oder ihnen einfach einen Schrecken einjagen wollte.

Die nebelumhüllten Bäume am Weg hinten standen noch immer wartend stramm, die Äste zum Himmel gereckt, als wollten sie ihn bezwingen. Niemand erschien auf dem Pfad.

Alles wurde plötzlich still. Das Stimmengewirr erstarb, und jetzt trat sie zu ihm.

Ich dachte, sagte sie. Diese Jungen dort, er ging mit ihnen . . . Sie wies unschlüssig auf ein paar Schüler.

Die schüttelten heftig den Kopf und erklärten, sie wären nur ein Stückchen mit ihm gegangen, dann hätte er sie abgehängt. Oder wie es nun gewesen sei. Sie erinnerten sich nicht genau. Jedenfalls waren sie nicht mehr als vielleicht hundert Meter mit ihm zusammen. Oder zwei, zweihundert Meter. Wo er danach abgeblieben war, hatten sie keine Ahnung. Wahrscheinlich war er vor zur Spitze gegangen. Axel Svensson würde ihn bestimmt finden, sagen sie, die Stimmen eine Nuance zu hoch, nicht im Falsett, doch dünner als normal, gehetzt, sie wollen nicht bezichtigt werden, einen Kumpel links liegen gelassen zu haben, sie sind unschuldig.

Und Marlene, die Inhaberin der Modeboutique, schaut den Lehrer flehentlich an, als wollte sie ihn bitten, die Jungs zur Ordnung zu rufen. Sie zu ermahnen, etwas Druck auszuüben, damit sie aufhörten, solche Sperenzchen zu machen. Ihr Blick geht zwischen den Jungen und Linjo Sven hin und her, bitte bringen Sie die Kinder zum Reden, ich habe sie doch mit ihm gesehen. Linjo Sven wird plötzlich weiß im Gesicht, völlig blutleere Lippen.

Alles gerät ins Wanken. Zugleich ist ihm, als fahren ihm stechende Disteln das Rückgrat hinunter, und die ganze Welt ist in Bewegung, der Pfad, die Büsche und Bäume.

Dann knistert es im Funkgerät, es ist Axel.

Er hat den Jagdleiter getroffen, die ganze Jagdgruppe ist versammelt, wir stehen jetzt alle hier. Over.

»Und? Over.«

»Und . . . die Lage ist nicht gerade gut. Over.«

»Nicht? Over.«

»Ruf den Notdienst. Ich kann im Augenblick nicht mehr sagen, du hast ja wohl Leute um dich herum? Hier haben wir keinen Handyempfang, aber im Center gibt’s ja wohl Telefon oder im Bus. Over.«

»Verstanden. Wird erledigt. Over.«

Eine Zehntelsekunde alles weiß. Er begegnet dem Blick eines Schülers, der in der Nähe steht, vielleicht etwas gehört hat. Sofort schließt er die Augen, steckt dann das Funkgerät wieder zurück. Sagt, er müsse anrufen. Ihr wartet hier.

Dieser Schüler, der ihm direkt ins Herz gesehen hat, beginnt auf der Stelle mit einem Klassenkameraden zu reden, ganz aufgeregt, das hier kann sich seuchenartig fortsetzen. Er muss die Kontrolle zurückerhalten. Erhebt deshalb die Stimme und staunt selbst, dass sie so stark klingt, so klar, seine Stimme trägt. Er sagt, dass einer der Jäger sich offenbar verletzt habe, aber es sei nicht gefährlich. Er müsse telefonieren, und in der Zwischenzeit könnten sie die Klassen durchzählen und dann eine Kaffeepause einlegen, er sei bald zurück.

Ein Mädchen, nicht viel älter als seine Schüler, sitzt dort im Center und kümmert sich um die Administration wie auch um den Kaffeeausschank – Gäste gibt es nicht. Als er hereingestürmt kommt, fährt sie zusammen. Er stürzt zum Tresen, wirft sich darüber und den Hörer schon in der Hand bittet er, das Telefon benutzen zu dürfen, während er zugleich sein Funkgerät anstellt.

Simultan zwischen der Rettungsleitstelle, ihm selbst und den Männern weit draußen auf dem Moor wird die tatsächliche Lage festgestellt, und Krankenwagen, Notarzt und Polizei erhalten den Notruf höchstens eine halbe Minute später.

Ein fünfzehnjähriger Junge ist am Wandertag versehentlich von einem Schuss getroffen worden und liegt noch immer nordöstlich vom Myrflodammen, zirka anderthalb Kilometer Luftlinie. Die Lage ist äußerst ernst, nach Ansicht der allerdings nicht Sachkundigen ist er tot, wurde in den Kopf getroffen. Es besteht die Möglichkeit, fast bis zu einer Rasthütte heranzufahren, doch nur mit Vierradantrieb. Danach zu Fuß oder auch mit Hubschrauber, doch herrscht zu viel Nebel, der Boden ist sumpfig, für Geländefahrzeuge vielleicht schwierig. Ein Schneeskooter wäre denkbar. Die Elchjagdgruppe und ein Lehrer sind da draußen noch an Ort und Stelle. Eine Gruppe Jugendlicher sowie ein paar Erwachsene sind bei Myrflodammens Ferienhauscenter versammelt. Nichts darf angefasst werden, erlaubt sind lediglich lebensrettende Maßnahmen. Verstanden. Der Rettungsdienst besitzt ein Geländefahrzeug, das sofort von der Gebirgsgarage abfährt, sie sind in ein paar Minuten da, Polizei und Krankenwagen können aber dauern.

Eine sachliche, staubtrockene und gefühllose, jedoch effektive Kommunikation mit jenen, deren Job es ist, Betrunkenen oder völlig Hysterischen alle notwendigen Angaben zu entlocken, um die erforderlichen Maßnahmen einleiten zu können, und alles geht gut, bis die Dame am anderen Ende noch einmal wissen will, wie es mit dem Patienten steht, wohl um die richtige Art Krankenwagen und vielleicht einen Arzt hinzubeordern. Doch da explodiert alles dort draußen, und in das Geknatter des Walkie-Talkies schreit jemand: Er ist tot!!! Ihr dort bei der 112, seid ihr taub geworden?! Er lebt nicht mehr, müssen wir euch das Austrittsloch beschreiben, die Kugel war doch für einen Vierhundert-Kilo-Elch bestimmt!

Damit, kann man meinen, war jegliche Kommunikation wohl zusammengebrochen. Die diensthabende Dame bei der Rettungsleitstelle in Falun sagt wie zum Trost, als das Ganze bereits schiefgegangen ist: Alle kommen.

Alle werden dort sein. Als sei es ein Promifest in den Bergen, das keiner verpassen will. Still legen Linjo Sven und Axel auf. Jetzt können sie nur warten.

Wenn jemand von dort draußen hier reinkommt, sagen Sie kein Wort von dem, was Sie gehört haben! Linjo Sven kann streng sein, und die Augen der jungen Empfangsdame glänzen feucht und drohen überzulaufen. Sie ist wie ein Spiegel. Er sieht sich selbst in ihrem Gesichtausdruck, er sieht, wie erschreckend er wirkt und was für eine entsetzliche Geschichte sie, ohne darum gebeten zu haben, durch ihn erfahren musste. Er sieht, wie ihre Hände zittern, aber er hat keine Zeit, irgendetwas zurechtzubiegen, sie muss jetzt allein mit der Situation fertig werden, muss jemanden anrufen.

Ohne ein weiteres Wort geht er nach draußen, und auf dem Weg mobilisiert er all seine Energie, um sein Gesicht wiederzufinden, die Maske aufzusetzen. Und sein einziger Gedanke ist, hoffentlich kommen die Profis schnell, aber bis dahin?

Die Erste, der er begegnet, ist natürlich Marlene. Die Speerspitze, abgefeuert von ihren Augen, trifft ihn in etwa fünfzig Meter Entfernung, er kann ihr nicht entkommen, obgleich er in der letzten Zehntelsekunde verzweifelt versucht hat, wie immer auszusehen. Sie steht dort wie eine Pestkranke, die anderen haben einander, haben sich in Grüppchen zusammengefunden, Marlene von der Modeboutique aber steht allein, wie mitten auf dem Markt, und obwohl sie allein ist, bildet sie gleichsam den Mittelpunkt, auch wenn keiner sie anschaut. Ausweichen ist unmöglich.

Er muss sich stellen. Jetzt gibt es kein Zurück.

Wenn es einen besonderen Ort in der Hölle gäbe, wo man die Opfer mit extra heißen Feuergabeln piesackt und peinigt, dann würde ich diese Architekten dort hinunterstoßen, die nie einen Gedanken daran verschwenden, dass man ein Haus auch sauber halten muss. Das Panoramafenster mit seiner Spitze ganz weit oben – wie hat der sich das vorgestellt?

Gerade als ich aufs Neue den Fensterwischer hebe, sehe ich zwischen den vom Gummi hinterlassenen Streifen, dass der Wendeplatz am Myrflodammmens Center nun voll von Jugendlichen ist. Und irgendetwas an ihren Bewegungen, eine Art Unruhe, irgendetwas an ihrer Körpersprache zieht meinen Blick an. Wechselnder Fokus, mal auf die Streifen an der Fensterscheibe, mal auf die Jugendlichen. Sodass die Schlieren meiner Fensterputzerei eine Art Rahmen um das Drama bilden, das ich nur erahne, doch dass etwas nicht stimmt, sehe ich jedenfalls. In den Reihen herrscht Unruhe, Angst und Aufregung, alle blicken zum Center hinüber, dessen Rückseite ebenso wie die Rückseite eines Müllcontainers und einer Reihe von Briefkästen in meine Richtung weisen.

Und dann entdecke ich sie, aber da weiß ich noch nicht, dass es Marlene ist, bei der ich mal einen BH gekauft habe, obwohl der wirklich teuer war. Ich sehe nur eine Frau in meinem Alter, die absolut still dasteht, während die anderen nervös im Abstand von zwei, drei Metern um sie herumwuseln. Sie steht reglos wie ein Holzpfahl und starrt unablässig zum Eingang des Centers.

Ein Mann kommt jetzt von dort, er schreitet gewissermaßen auf die Frau zu. Sie trägt etwas Modisches in Rot, gerade taillenlang, dazu eine schwarze Hose, und die Stiefel sind ebenfalls rot. Es ist geschmackvoll, manche Frauen sind einfach immer elegant, egal ob sie die Abwassergrube leeren oder auf dem Weg zu einem Ball sind, das hat mit ihrer Haltung zu tun und mit der Sorgfalt bei den Details. Die Gummistiefel – wer hätte an die gedacht?

Er fasst sie am Ellenbogen. Jetzt rührt sie sich zum ersten Mal, eine abwehrende Geste, sie hat nicht vor mitzugehen, ich sehe, dass ihr Mund sich bewegt.

Als ich das nächste Mal hinschaue, herrscht Chaos. Der Mann hat beide Arme um die Frau gelegt, die sich nicht länger wehrt, sondern gewissermaßen in seinen Armen ruht, das Gesicht an seiner Brust. Und um sie herum halten sich viele Mädchen umschlungen. Ich merke plötzlich voller Verwunderung, dass fast alle weinen. Einige Jungen weinen allein, drehen den anderen den Rücken, mir aber das Gesicht zu, ich kann ihre Verzweiflung erkennen. Ein paar Erwachsene versuchen zu trösten, doch sie sind nur so wenige. Die meisten Jugendlichen laufen planlos umher, manche Münder wirken wie schwarze Löcher, sie schreien. Der Mann, der diese Frau tröstet, macht eine Handbewegung, die Kinder sollen sich mäßigen oder beruhigen? Aber was ist der Grund?

Ganz offensichtlich ist etwas geschehen – irgendetwas, ein Unglück, oder sie haben etwas Trauriges erfahren. Sie tun mir leid, auch wenn ich nicht weiß, was los ist.

Aber das ist nicht meine Sache, wenn ich auch noch so reflexhaft reagiere. Mitleid kann ich ebenso gut den Hungernden der Welt zukommen lassen, ein paar Kronen auf einem Konto nützen wirklich mehr, als wenn ich mich jetzt in diese Sache einmische, mit der ich nicht das Geringste zu tun habe. Im Übrigen ist das Haus eigentlich ja leer, ich sollte schließlich gar nicht hier sein, das ganze Feriendorf ist doch zurzeit unbewohnt, ich bin nicht herbestellt und habe auch überhaupt keinen Grund, hier stehen zu bleiben und zu gucken.

Dennoch kann ich es nicht lassen, ich bin schließlich Siv. Meinen Wunderlappen auf den langen Stiel gezogen, reibe ich hektisch auf jedem Streifen, Flecken, Rand und allen getrockneten Tropfen herum. Die Scheibe wird so sauber, dass sie kaum noch zu sehen ist, und ich stehe mitten in der Luft, derselben Luft, die diese armen Kinder und ihre Erzieher jetzt schluchzend einatmen, was ist da nur Schreckliches passiert? Jetzt sehe ich ein Geländefahrzeug, wie lange steht das schon dort? Ist das eine Übung, vielleicht eine Landwehrübung?

Und da höre ich von fern ein Martinshorn. Aber das kann ja sonstwas sein.

Doch der Ton kommt immer näher, und die Bewegung in der Gruppe zeigt an, dass er genau hierher unterwegs ist. Aber warum?

Ich sehe keinen Verletzten oder Kranken, auch keinen Brand oder eine vergiftete Person, doch Schock und Weinen nehmen zu.

Ein Mädchen zieht sich allein hinter den Müllcontainer zurück. Ihr Gesicht hebt sich weiß von der grünen Farbe des Behälters ab. Sie lehnt sich mit dem Rücken dagegen, das Gesicht zum Himmel, schaut nach oben, vielleicht ruft sie Gott an. Und ich sehe, wie sich ihre Züge verzerren, sie weint so heftig, dass sie zittert, sie schnappt nach Luft, und das Weinen kommt in Kaskaden, ihr ganzer Körper ist in Bewegung, ein Zucken und Schlagen so erschreckend, als würde sie vergewaltigt.

Plötzlich sackt sie in sich zusammen. Gleicht nur noch einem Kleiderbündel, die innere und äußere Bewegung hat aufgehört, kein Schütteln und keine Krämpfe mehr. Sie hat das Bewusstsein verloren.

Sie liegt einfach nur da. Keiner bemerkt sie, da hinter dem Container. Und sie rührt sich noch immer nicht, was kann passiert sein? Sie ist doch wohl nur bewusstlos? Oder leidet sie unter Epilepsie? Ist es ein Insulinschock? Keiner sieht sie!

Ich bin schon aus der Tür, wie kam ich in die Jacke? Die Luft ist sehr rau und voller Sirenengeheul. Blaulicht blitzt zwischen den Kiefern, als ich bei dem bewusstlosen Mädchen ankomme.

Sie wacht auf, als ich ihren Kopf anhebe, und beginnt sofort wieder zu weinen, schluchzt, wimmert und greift nach mir wie eine Ertrinkende.

Ich helfe ihr auf die Beine und kann sie dazu bringen, mit mir zu den anderen zu gehen. Eine Sirene verstummt abrupt. Es ist ein Rettungswagen, der langsam auf den Platz geschlichen kommt und hält, weitere Sirenen sind in der Ferne zu hören. Der Nebel hat sich wie in Schichten über das Bild gelegt, Schleier tanzen wie Elfen auf einem allzu spannungsvollen nationalromantischen Gemälde. Alles ist unwirklich. Und Bilder lügen oft. Geräusche auch. Doch es gibt Gerüche. Und Rotz vom Weinen des Mädchens an meinem Handgelenk, ein bisschen eklig, ich bin wach, das alles geschieht wirklich, und zwar hier und jetzt.

Bränd Sven Eriksson wurde am achtzehnten April neunzehnhundertfünfundvierzig in Mobyarna, in der Gemeinde Malung, Bezirk Kopparbergs Län geboren. Er war der Sohn des Sägewerksarbeiters Bränd Pär Larsson und dessen Gattin Josefina, geborene Jönsdotter, und das jüngste von sieben Geschwistern.

Trotz seiner einfachen Herkunft gelang es Sven, sowohl Realschulexamen als auch Abitur abzulegen. Von Anfang an engagierte er sich politisch und wurde bereits im Alter von zweiundzwanzig Jahren in den Gemeinderat von Malung gewählt. Zu jener Zeit arbeitete er als Kontrolleur und später als Einkäufer bei dem legendären Niss Oskar Jonsson, dem Gründer der Jofa-Werke. Das war eine Verbindung, aus der gegenseitiger Respekt erwuchs, obgleich die beiden in ihren Ansichten keineswegs immer übereinstimmten.

Neunzehnhundertsiebzig wurde Bränd Sven Abgeordneter im Landtag und zog nach Falun. Nach weiteren vier Jahren wurde er zum Präsidenten des Landtags gewählt. Sein Einfühlungsvermögen und seine Fähigkeit, Zusammenhänge zu begreifen und die richtigen Entscheidungen zu treffen, seien sie auch schwer, war allgemein bekannt, und als Vorgesetzter war er äußerst beliebt.

Neunzehnhundertzweiundneunzig wurde Bränd Sven zum Generaldirektor der Post- und Fernmeldedirektion in Stockholm ernannt, und diese Position hatte er bis zu seiner Pensionierung inne. Bei seiner Verabschiedung verlieh der damalige Wirtschaftsminister seiner Bewunderung für einen Mann Ausdruck, »der beseelt von dem Gedanken war, dass die öffentlichen Fragen immer auch die persönlichen und die persönlichen in gewissem Sinne auch immer die öffentlichen umfassen. Ein Mann, dessen Engagement und Rechtschaffenheit in seinem Bereich als vorbildlich galten. Er war eine Persönlichkeit des guten alten Schlages, und die Lücke, die er hinterlässt, wird sich nur schwerlich ausfüllen lassen.«

Bränd Sven Erikssons Interessen waren vielseitig. In erster Linie widmete er sich mit ganzer Seele seiner Arbeit, und er betonte immer wieder, dass die Arbeit auch sein wichtigstes Hobby sei, doch darüber hinaus ging er auch auf die Jagd und zum Angeln, und die jährliche Elchjagd versäumte er nur ungern. Da sein Vater aus Sälen stammte, gehörte Bränd Sven einer der hiesigen Jagdvereinigungen an, zu der auch seine wenigen, aber engen Freunde zählten.

Seine Heimat hat Bränd Sven nie vergessen. Ständig kehrte er in sein Elternhaus in Mobyarna zurück, und als sein Vater und seine Mutter gestorben waren, übernahm er den kleinen Hof, den er dann nach seiner Pensionierung bezog.

Bränd Sven verbrachte jeden Sommer auf der Sennhütte des Großvaters in den Bergen. Hier war er am liebsten, konnte nach eigenem Bekunden wirklich ausspannen und neue Energie tanken. Er trug auch aktiv zur Instandsetzung der Straße sowie zur Pflege der Einfriedung um die alten Sennhütten bei und war Ehrenmitglied des Sennhüttenvereins.

Bränd Sven Eriksson war nie verheiratet und hatte keine eigenen Kinder. Die Politik ist meine Familie, pflegte er zu sagen, und deshalb wird er von der Ortsgruppe und der gesamten Sozialdemokratie tief betrauert. Um Bränd Sven trauern ebenfalls ein älterer Bruder mit Familie, zahlreiche Cousins und Cousinen sowie deren Nachkommen. Für uns, die viele Jahre lang das Glück hatten, mit Bränd Sven Eriksson eng zusammenzuarbeiten, ist die Mitteilung von seinem Ableben ein Schock. Die Erinnerung an einen zielstrebigen und grundehrlichen Miterbauer des Volksheims wird bei uns jedoch immer lebendig bleiben.

Stockholm, den 29. Oktober 2006Bo Einar SkottgårdSvante Rydman

Die Rettungsmannschaft soll Polizei und Sanitäter direkt in das morastige, neblige Terrain hinausbringen. Das Gefährt vom Typ eines Amphibienfahrzeugs bietet fünfzehn Personen Platz, es ist mit einer Heizung ausgestattet, und nichts kann sein Vorankommen wirklich behindern, ausgenommen echte Panzersperren oder vielleicht heftig strömendes Wasser.

Bei den Autos sind lediglich ein paar Uniformierte zurückgeblieben. Sie halten die Stellung, sind in Bereitschaft, falls ein weiterer Notruf eintrifft. Ein Polizist in Zivil befragt ein paar Jugendliche, sie sprechen aufgeregt, der Polizist macht sich Notizen, ab und zu erhält er einen Funkspruch.

Schon gleich als ich mit dem schluchzenden Mädchen angekommen war, hatte ich mich vorgestellt, und Axel war äußerst dankbar gewesen für jeden weiteren Erwachsenen, der bei dieser Katastrophe helfen konnte. Er berichtete in kurzen Zügen von dem Unfall, dann musste er schnell zusammen mit den anderen in dem lärmenden Geländefahrzeug los, um ihnen den Weg zu zeigen. Außer mir blieben zwei, drei Erwachsene zurück, und dann all die Kinder, die verängstigten Jugendlichen, die Unterstützung brauchten.

Nora, das Mädchen, schämt sich, weil ich hinter dem Container die unzensierte Version von ihr gesehen habe. Linjo Sven war nichts von Diabetes oder einem anderen Leiden bei ihr bekannt. Sie steht wohl nur unter Schock wie die anderen, sagte er, ich war erleichtert mitten in all dem Unglück. Zwei Freundinnen halten sie jetzt im Arm, und sie tut, als gebe es mich nicht. Andere Kinder suchen jedoch in meiner Eigenschaft als Erwachsene instinktiv Kontakt zu mir. Ein paar Jungen und ein Mädchen stehen bei mir und erzählen, reden und reden, die Worte strömen ihnen nur so über die Lippen, und ich höre nickend zu, lasse hin und wieder ein tröstendes Wort fallen. Eigentlich völlig absurd. Bei Unglück und Zufall gibt es keinen Trost und keine Hilfe. Warum, warum – wie glühend heiße Kartoffeln fliegen diese Worte durch die Luft, finden keinen Platz zum Landen, sie beißen und brennen jedes Mal, wenn sie ausgesprochen werden. Einer von ihnen ist tot. Ganz unnötig. Völlig sinnlos. Das kann doch nicht wahr sein! So kann es im Leben doch nicht zugehen? Man stirbt doch nicht einfach so? Es muss doch einen Sinn und eine vernünftige Antwort dafür geben?

Aber ich habe keine Antwort. Dennoch murmle ich irgendwas Fürchterliches darüber, dass Lehren manchmal teuer bezahlt werden müssen. Ich bereue es sofort. Die Klischees kann ich mir für ein andermal aufsparen, doch die Jugendlichen hören zu, wollen noch mehr wissen. Was soll ich sagen? Ich kann die Sache doch nicht weiter herunterspielen, das wäre der reinste Hohn. Also frage ich sie nach der Schule und nach anderen Wandertagen, ein bisschen Geplauder, es geht nur schleppend. Ständig kommen sie auf den Tod zurück, diesen Tod, der sich so stark und lebendig mitten unter ihnen gezeigt, und der so leichtfertig und achtlos das Leben dieses Jungen ausgelöscht hat.

Hätte es nicht jeden von ihnen treffen können?