Weihnachten in den Highlands - Jara Thomas - kostenlos E-Book

Weihnachten in den Highlands E-Book

Jara Thomas

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Beschreibung

Maggie ist unterwegs zu ihrem Freund Michael und dessen Eltern, die auf der Isle of Skye leben. Sie vermutet, dass Michael sich dort, zu Weihnachten, mit ihr verloben will! Aber, dass die Wettervorhersage "Highlands - Weihnachten im Schnee" stimmt - damit kann doch nun wirklich niemand rechnen! So ist sie glücklich, nach einer Autopanne von einer netten jungen Frau bis zum nächsten Dorf mitgenommen zu werden. Allerdings setzt diese Maggie vor einem B&B ab, das keines ist und der Besitzer des Hauses ist auch äußerst ungehalten über den ungebetenen Gast. Jedoch Libby, seine Border-Collie-Hündin ist sich als Hüte- und Familienhund ihrer Rolle allerdings sehr wohl bewusst und schließt Maggie vom ersten Augenblick an in ihr Hundeherz... Wenn das Unterbewusstsein die Kontrolle über das Bewusstsein übernimmt und Verstorbene das Schicksal der Lebenden lenken ... Eine kleine Liebesgeschichte mit einem Hauch von Mystik.

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Seitenzahl: 142

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Vorab:

Mit diesem Kurzroman betrete ich neues Terrain.

So habe ich zum ersten Mal in der ersten Person und gleichzeitig im Präsens geschrieben. Außerdem habe ich versucht durch unterschiedliche Schrift(-arten) die unterschiedlichen Sichtweisen meiner Protagonisten deutlich zu machen. Ich möchte nämlich wissen, ob auf allen E-Readern klar zu erkennen ist, wann die Geschichte aus Maggies Sicht geschrieben wurde und wann auch David mit seinen Gefühlen und Ängsten „zu Wort“ kommt – ohne, dass ich vor den Absatz schreibe: „Maggie:“ oder eben „David:“

Bitte helft mir, indem ihr mir eine Rückmeldung per Mail unter [email protected] gebt, wenn auf Eurem Reader nicht deutlich sichtbar wird (also durch Schrift und/oder Fettdruck deutlich), wann das wechselt.

Dafür schon mal einen ganz herzlichen Dank und ansonsten bin ich auf euer Urteil zur Geschichte gespannt – wie immer.

Von verschlossenen Türen und verschlossenen Typen

„Oh nein, nicht schoooon wieder!“

Der tiefe Seufzer kommt von Herzen. Ich streiche mir ein paar blonde Ponyfransen aus der Stirn und lasse den Wagen ausrollen, bis er in einer Ausweichbucht stehen bleibt. „Passing Place“ steht auf einem kleinen rautenförmigen Schild. Eigentlich sind die kleinen Ausbuchtungen dafür gedacht, auf den schmalen Straßen der Highlands den Gegenverkehr passieren zu lassen. Doch jetzt blockiere ich eine davon.

Seit etwas mehr als fünfzig Meilen gibt mein Mini in unterschiedlich großen Abständen merkwürdige Geräusche von sich. Aber nun ist der Motor nach einem erbärmlichen Husten ächzend komplett verstummt.

Das Problem – außer einem nichtfunktionstüchtigen Auto – ist: Ich muss unbedingt heute bis Portree auf Skye kommen. Dort wartet nämlich Michael auf mich.

Michael … Ich hatte den attraktiven schüchternen Juristen vor ungefähr zwei Jahren in London kennengelernt. Er war häufiger in der Buchhandlung aufgetaucht, in der ich arbeite, um seine Fachbücher zu bestellen. Irgendwann war mir aufgefallen, dass er gelegentlich zu uns kam, darauf bestand, dass ich ihn beriet, aber nichts kaufte.

Schließlich, nach fast einem Jahr, hatte er sich ein Herz gefasst und mich zum Essen eingeladen. Dabei hatte er nicht vergessen, mir anzubieten, ihn Mike zu nennen – wenn ich wollte. Nicht lange danach gingen alle davon aus, wir beiden seien ein Paar.

Na ja, eigentlich sind wir ja auch ein Paar. Obwohl … auf der anderen Seite … Ich seufze auf. Doch diesmal hat das nichts mit meinem treulosen Mini zu tun. Michael ist der Grund. Er ist wirklich unglaublich attraktiv, außerdem höflich und zuvorkommend. Sehr gut erzogen. Er kommt aus gutem Haus …

Und doch fehlt da etwas. Ich vermisse bei ihm die Nähe und Wärme, die ich zwischen meinen Eltern gespürt habe. Diese Herzlichkeit habe ich mir immer für meine eigene Beziehung gewünscht. Michael ist jedoch offensichtlich nicht in der Lage, diese Wärme zu geben und diese Nähe zuzulassen. Er scheint es selber aber auch nicht zu vermissen. Vorsichtige Hinweise meinerseits lösten bei ihm in der Vergangenheit Irritation und Abwehr aus.

Habe ich zu hohe Ansprüche?

Nun bin ich über Weihnachten zu seinen Eltern eingeladen. Dabei geht es allerdings nicht nur um das Weihnachtsfest – ich befürchte nämlich, er will mich überrumpeln und in Gegenwart seiner Eltern um meine Hand anhalten. Er machte bereits vor einigen Tagen so eine Andeutung, dass er mich überraschen wolle. Zu allem Überfluss hatte meine Freundin Anne ihn bei Highsmith & Towers, einem renommierten Londoner Schmuckgeschäft, herauskommen sehen. „Und dabei hättest du sein verzücktes Lächeln sehen sollen“, hatte sie mir vertraulich zugeflüstert und die Augenbrauen bedeutungsvoll hochgezogen. Denn – Anne weiß um meine Bedenken.

Nun ja, im Moment sieht es nicht so aus, als käme ich heute noch auf die Isle of Skye. Vermutlich würde ich nicht einmal bis zum nächsten Ort kommen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es gleich vier Uhr ist. Es dämmert bereits und es wird sehr bald dunkel sein.

Zu allem Überfluss regnet es seit einer guten Stunde. Eigentlich nichts Besonderes in den schottischen Highlands. Doch für mich wird es dadurch nur noch unangenehmer. Ein fieser, kalter Schneeregen.

Ohne besonders große Hoffnung drehe ich den Schlüssel herum und beschwöre meinen geliebten Mini inständig, wieder anzuspringen. Doch die kläglichen Geräusche, die mir fast schon körperlich wehtun, geben wenig Berechtigung darauf zu hoffen, dass mein kleines Auto sich auch nur noch einen Meter ohne fremde Hilfe bewegen wird.

Ich atme tief durch. Dann schnappe ich mir entschlossen meinen Rucksack vom Beifahrersitz, in den ich am frühen Morgen in aller Eile meine Wäsche gestopft habe. Mein Blick fällt auf das schicke teure Kleid, das auf dem Rücksitz liegt, damit es nicht kraus wird. Michael hatte mehrfach angedeutet, dass seine Eltern besonders an wichtigen Feiertagen sehr viel Wert auf Äußerlichkeiten legen. Da wollte ich ihn nicht blamieren. Auch wenn mir ein Hosenanzug lieber gewesen wäre als das Kleid, das ich extra für diesen Anlass gekauft hatte – und vermutlich nie wieder anziehen würde.

Außerdem liegen dort hinten noch die Geschenke für Mike und seine Eltern. Na ja, wer sollte die schon stehlen? Und wenn doch … Egal! Wichtiger ist es jetzt, jemanden zu finden, der mir mit dem Auto hilft oder mich irgendwie nach Portree bringt.

Ich war noch nie in Schottland, kenne mich in der Gegend überhaupt nicht aus und hoffe nur, in dieser einsamen Wildnis irgendwann auf eine menschliche Seele zu treffen. Der Weg durch die Highlands hatte mich über gewundene Single-Track-Roads geführt – über Straßen, die so schmal sind, dass sich in unregelmäßigen Abständen Ausweichbuchten befinden.

Entschlossen öffne ich die Autotür. Der Nieselregen durchdringt meine Kleidung sogleich und ich greife hastig nach meiner Wachsjacke. Schnell schlüpfe ich hinein und ziehe mir die Kapuze über den Kopf. Viel zu lange kämpfe ich ungeduldig mit dem Reißverschluss. So schön es auch ist, den Reißverschluss wahlweise von oben oder unten öffnen zu können – das Schließen ist jedes Mal ein Kampf. Endlich ist aber auch das geschafft.

Ich schwinge mir den Rucksack auf den Rücken, denke im letzten Augenblick daran, meine Taschenlampe aus der Seitenablage zu nehmen und werfe die Tür zu. Nach einem schicksalsergebenen Blick zum Himmel entschließe ich mich, in die Richtung zu marschieren, in die ich auch gefahren bin.

Das letzte Dorf hatte ich schon vor längerer Zeit passiert. Deshalb hoffe ich inständig, dass das Nächste nicht so endlos entfernt liegt. Wieder ärgere ich mich, dass die Straßenkarte warm und trocken zuhause auf dem Wohnzimmertisch liegt. Nun bleibt mir nur, mich auf die Beschilderung zu verlassen.

Beim ersten Blick in die Karte vor einigen Wochen, hatte ich mich noch über das schlechte Kartenmaterial beklagt, vermutete ich doch, dass nur ein paar der größeren Straßen eingezeichnet wurden. Dafür musste ich mich von Michael mit seiner üblichen, leicht überheblichen Art, auslachen lassen – in diesen Augenblicken fühlte ich mich immer wie ein kleines Dummchen und ich hasste es. „Maggie-Darling, dort, wo keine Straßen zu sehen sind, da gibt es auch keine. Es sind nur wenige schmale Straßen in die Felsen gehauen worden, alles andere wäre viel zu mühselig gewesen und für die wenigen Dörfer in der kargen Gegend auch überflüssig. Für die Highlands ist das aber ganz typisch!“, sagte er nicht ohne eine Spur von Stolz. Ein Stolz, der sich mir auch nach längerem Überlegen noch immer nicht erschließt.

Soweit ich mich erinnere, liegen diese wenigen Dörfer außerdem ziemlich weit auseinander. Das lässt mich mutlos werden. Noch ein tiefer Seufzer, um mich zu motivieren. Die Alternative, im Auto sitzen zu bleiben, ist für mich nicht wirklich eine, und so mache ich mich auf den Weg.

Während ich mechanisch einen Fuß vor den anderen setze, lasse ich meine Gedanken schweifen:

Es ist der 21. Dezember und ich habe mir zwei Wochen Urlaub genommen. Ich will das Weihnachtsfest mit Michael und seinen Eltern verbringen – ebenso den Silvesterabend.

Das heißt, eigentlich will ich das gar nicht. Ich wollte es von Anfang an nicht so richtig. Wäre ich nämlich ehrlich, würde ich sagen, dass ich Weihnachten lieber mit Michael alleine in meiner Wohnung verbringen möchte. Denn das, was ich bislang von Mikes Eltern weiß, macht mich nicht unbedingt neugierig auf die alten Leute.

Michael ist ein Einzelkind, wie ich selber auch. Seine Eltern waren bei seiner Geburt schon über vierzig. Ich wusste, wie sehr er als Kind darunter gelitten hatte, dass sie so ängstlich und besorgt um ihn waren. Mit anderen Kindern durfte er oft nicht spielen, weil die Eltern befürchteten, ihm könne etwas zustoßen. Außerdem passten die Kinder der Schafbauern nach Ansicht seiner Eltern nicht zu ihm – Alternativen gab es aber nur wenige. Die Kinder der Fischer vielleicht?

Ganz schlimme Erinnerungen hatte er an Situationen, in denen er mitten im Spiel nach Hause befohlen wurde, weil seine Mutter der Meinung gewesen war, es sei für ihren Liebling zu kalt geworden. Dann habe er sich wärmer anziehen müssen und durfte dann erst weiterspielen. Meist sei er dann aber lieber zu Hause geblieben, um sich nicht dem Spott der anderen Kinder aussetzen zu müssen. Gelegentlich habe seine Mutter ihm sogar trockene Socken zum Fußballplatz gebracht, wenn es regnete – etwas, das in Schottland allerdings nicht allzuselten vorkam. Dann musste der kleine Michael unter dem Gejohle beider Mannschaften und unter dem strengen Blick der Mutter die Socken oder auch das T-Shirt wechseln.

Mike hatte nie gelernt, auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten. Seine Eltern wussten, was gut für ihn war und was er brauchte. Für ihn war es – abgesehen von den peinlichen Situationen – aber auch sehr bequem.

So hatte auch niemand damit gerechnet, dass er jemals seine Komfort-Zone verlassen und für das Studium bis nach London ziehen würde, statt in Schottland zu bleiben. Wenn ein Studium auf Skye auch nicht möglich war, dann aber doch wenigstens näher und zumindest in Schottland. Und nicht ausgerechnet London!

Michael wusste selbst nicht mehr, was der Auslöser für diesen rebellischen Entschluss gewesen war. Im Nachhinein schien er über seinen eigenen Mut manchmal schon fast selber erschrocken, und er hatte auch oft ein furchtbar schlechtes Gewissen, seine Eltern alleine gelassen zu haben. Dieses Gefühl wurde durch häufige und von der Mutter massiv eingeforderte Telefonate, entsprechendes Klagen und scheinbar zufällig dahingeworfene Bemerkungen auch immer wieder aufrechterhalten und verstärkt.

Deshalb stand auch unumstößlich fest, dass Weihnachten bei seinen Eltern stattfinden würde. Wollte ich also gemeinsam mit ihm Weihnachten feiern, kam ich nicht umhin nach Portree zu fahren.

Ich spielte in den vergangenen Wochen nicht nur einmal mit dem Gedanken, dann lieber alleine zu feiern – wie ich es tat, seitdem ich meine Eltern, beide innerhalb weniger Wochen, verloren hatte. Doch Michael hatte so lange auf mich eingeredet, bis ich schließlich nachgab, um ihn nicht zu verletzen.

Ungeduldig schiebe ich ein paar nasse Pony-Strähnen unter meine Kapuze, die mir in den Augen hängen. Ja, überhaupt mache ich viel, um Michael nicht zu verletzen, überlege ich jetzt.

Es ist anstrengend mit ihm. Jedes Mal wenn wir uns sehen, habe ich in den ersten zwanzig Minuten das Gefühl, mit einem Fremden zusammen zu sein. Michael ist anfangs furchtbar distanziert und ganz vorsichtig um ein neutrales Gespräch bemüht. Ich mag das nicht ansprechen – um ihn nicht zu verletzen. In diesen ersten zwanzig Minuten entsteht immer wieder ein fast schon peinliches Schweigen. Das ist auch in den zwei Jahren, die wir uns kennen, nicht besser geworden. Dann erst werden wir so langsam warm miteinander. Und dann ist es auch schön mit ihm. Er ist sehr gebildet, er hat Humor – auch wenn er überhaupt nicht über sich selbst lachen kann. Wir haben den gleichen Musikgeschmack …

Ja, ich mag Michael. Er ist sehr fürsorglich, höflich, attraktiv – obwohl er mit Letzterem überhaupt nicht umgehen kann. Er hat kaum Selbstbewusstsein, ist total unsicher und weckt eher bei mir einen Beschützerinstinkt, als dass er mir das Gefühl vermittelt, dass er der Mann ist, der mich beschützt. Zumal er mit seinen zweiunddreißig Jahren immerhin acht Jahre älter ist als ich.

Die Tropfen sprühen, als ich mit dem Kopf schüttle, um die Gedanken an Mike zu vertreiben. Plötzlich halte ich inne. In das gleichmäßige Rauschen des Regens hatte sich bislang nur das vereinzelte Blöken der Schafe gemischt, die hier in einer Anzahl herumlaufen, wie ich es noch nie in meinem Leben so geballt gesehen habe. Doch nun vernehmen meine Ohren noch ein anderes Geräusch, das automatisch in mir ein leises Gefühl der Erleichterung auslöst. Ich wende mich um und sehe in einiger Entfernung zwei Lichter aus einer Kurve heraus auf mich zukommen. Sofort bleibe ich stehen und krame hastig meine Taschenlampe aus der Jackentasche. Mittlerweile ist es fast dunkel.

Als das Auto so nah gekommen ist, dass ich vor der Wahl stehe entweder innerhalb der nächsten dreißig Sekunden überfahren oder übersehen zu werden, knipse ich die Lampe an und beginne, damit zu winken.

Wie ich gehofft habe, hält der alte rote Pick-up neben mir. Eine Frau, vielleicht ein paar Jahre älter als ich, kurbelt das Fenster herunter. „Ist das Ihr Auto da hinten?“, fragt sie in einem für mich kaum verständlichen Dialekt. Dabei weist sie mit dem Daumen in die Richtung, aus der ich gekommen bin.

Ich nicke und bemühe mich um ein vertrauenswürdiges Lächeln. „Es wäre furchtbar nett, wenn Sie mich bis in den nächsten Ort mitnehmen könnten. Dann kann ich vielleicht mit dem Bus weiterfahren und …“

Die Frau lacht und zeigt dabei lustige Grübchen. Sie streicht sich eine rote Locke aus dem Gesicht und weist zur Beifahrerseite. „Steigen Sie ein, ich nehme Sie mit. Das mit dem Bus wird heute wohl nichts mehr. Aber das dürfte auch nicht Ihr größtes Problem sein.“

Irritiert ziehe ich die Stirn kraus, doch nur zu gern nehme ich die Einladung an. Mit hochgezogenen Schultern laufe ich durch den dichten Regen um das Auto herum und schwinge mich auf den Beifahrersitz. Erleichtert schlage ich die Kapuze zurück und sehe meine Retterin im Licht der Innenraumbeleuchtung erstmals genauer an. Für einen kurzen Augenblick wirkt sie überrascht, dann lächelt sie wieder freundlich. „Was treibt Sie denn in diese einsame Gegend?“, erkundigt sie sich und fährt los, nachdem ich die Tür zugezogen habe.

Ehe wir die ersten Häuser des nächsten Dorfes sehen, kennt die nette Frau bereits meine halbe Lebensgeschichte.

Ich selbst weiß inzwischen, dass meine Retterin Andrea heißt, dass ihr Schwager am Ort eine Autowerkstatt besitzt und sie auch schon eine Idee hat, wo ich diese Nacht unterkommen kann. „Es ist ein alleinstehender Mann, der an Bed&Breakfast-Gäste vermietet“, verrät sie mir augenzwinkernd. „Ich kenne ihn sehr gut. Wir haben die Abmachung, dass ich ihm immer mal wieder Gäste vermittle und er dafür ab und zu meine Kinder hütet.“ Sie kichert. „Es kann sein, dass er gerade nicht da ist. Dann gebe ich Ihnen den Haustürschlüssel, damit Sie rein kommen.“

Überrascht sehe ich sie an. Schwelgte ich gerade noch in dem Glücksgefühl, nach der Autopanne ausgerechnet an Andrea geraten zu sein, verpufft das in diesem Augenblick. „Ich kann doch nicht einfach da in ein Haus gehen …“

„Das ist schon in Ordnung“, winkt Andrea ab. „David ist da nicht so. Er weiß, dass ich ihm nur vertrauenswürdige Leute schicke. Ich erkläre Ihnen, welches Zimmer Sie beziehen dürfen und heute Abend können Sie sich an seinem Kühlschrank bedienen. Vermutlich wird das gar nicht nötig sein und falls doch – spätestens Morgen früh ist er wieder da.“ Sie schaut mich forschend an. „Ich kann ihn auch noch anrufen, wenn Sie wollen“, setzt sie hinzu.

„Ähm, ja, das wäre schon sehr nett. Ich meine, er wird doch ziemlich überrascht sein, wenn er nachts nach Hause kommt und merkt, dass sich jemand bei ihm einquartiert hat, der dann auch noch am nächsten Morgen ein Frühstück haben will.“

Lachend schüttelt Andrea den Kopf, dass die roten Locken fliegen. „Nein, das kennt er“, behauptet sie und nimmt rasant die letzte Kurve, bevor der Ort in Sicht kommt.

Erleichtert atme ich beim Anblick der ersten Häuser auf. Da hätte ich aber verflixt lange laufen müssen.

In Gedanken noch bei der Übernachtungsmöglichkeit vergesse ich, auf das Ortseingangsschild zu achten. Und noch bevor ich Andrea nach dem Namen des kleinen Dorfes fragen kann, bremst sie auch schon vor einem Haus und springt aus dem Auto. „Ich hole nur eben den Schlüssel und versuche, David zu erreichen“, ruft sie, und ist auch schon verschwunden.

Nach nur wenigen Minuten, in denen ich ratlos und mit einem komischen Gefühl im Bauch warte, ist sie wieder da. „Wie schon vermutet“, grinst sie. „Dave ist gar nicht da. Hier, dies ist der Schlüssel. Ich bringe Sie eben hin.“ Schon startet sie den Motor und fährt mit mir bis ans andere Ende des Dorfes. Dann noch ein kleines Stückchen weiter und schließlich erreichen wir ein recht einsam gelegenes Haus. – Das komische Gefühl in meinem Bauch verstärkt sich.

Andrea hält vor einem weißen, kniehohen Zaun. Dahinter erkenne ich im Licht der Autoscheinwerfer einen ziemlich großen Vorgarten, durch den ein Weg zu einer seitlich vom Haus angebrachten Tür führt. Ich zögere und spiele nervös mit meiner Taschenlampe.

„Gehen Sie nur“, ermuntert Andrea mich und weist auf den Schlüssel in meiner Hand. „Wenn Sie im Haus die Treppe hoch gehen, ist es das erste Zimmer auf der rechten Seite.“

Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass es mittlerweile fünf Uhr ist. Draußen ist es stockdunkel. Mein Magen knurrt und nach der langen Autofahrt und dem Fußmarsch durch den Regen bin ich echt müde! Ich nicke, greife nach dem Rucksack und steige aus. „Vielen Dank“, sage ich, unsicher ob ich wirklich einfach in dieses verwaist wirkende Haus gehen soll.