Weil ein Aufschrei nicht reicht - Anne Wizorek - E-Book

Weil ein Aufschrei nicht reicht E-Book

Anne Wizorek

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Beschreibung

***Feminismus? Fuck yeah!*** Moderne Geschlechterbilder statt Schubladendenken Anne Wizorek löste mit ihrem Twitter-Hashtag einen riesigen Sturm im Netz aus. Tausende Frauen nutzen #aufschrei als Ventil, um ihren Erfahrungen mit dem alltäglichen Sexismus Luft zu machen. Der Erfolg der Aktion macht deutlich: Von Geschlechtergerechtigkeit sind wir noch weit entfernt, sexuelle Belästigung und Diskriminierung bleiben ein brennendes Problem. Erfrischend unakademisch zeigt Anne Wizorek, warum unsere Gesellschaft dringend eine neue feministische Agenda braucht. Sehr persönlich beschreibt sie ihren Weg zur Aktivistin und ermutigt dazu, selbst aktiv zu werden – im Großen wie im Kleinen.

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Anne Wizorek

Weil ein #aufschrei nicht reicht

Für einen Feminismus von heute

FISCHER E-Books

Inhalt

Einleitung:Feminismus? Fuck, yeah! – Ein Bekenntnis

Ich gebe zu: Es fällt mir nicht so leicht, für bedrucktes Papier zu schreiben. Dort, wo ich mich normalerweise tummele, kann ich beim Schreiben nämlich Links einbauen und die Leser_innen[1] direkt zur nächsten Informationsquelle schicken. Ich kann Videos einbetten oder animierte GIFs, und ich kann meine Worte durch weitere Anmerkungen und Kommentare nachträglich erläutern.

Kurzum: Ich liebe das Internet und dessen Möglichkeiten! Ich habe es wachsen sehen (und tue dies noch) und erlebt, wie immer mehr und andere Möglichkeiten hinzukamen. Und schließlich habe ich nicht zuletzt durchs Internet gelernt, dass das, wofür ich stehe, feministisch ist – kein großes »ABER«, sondern nur ein »Fuck yeah!«

Doch auch wenn mich fehlende Videos, Links und GIFs (insbesondere die GIFs!) etwas wuselig machen, fiel die Entscheidung für ein Buch nicht so schwer. Sie folgte all den Gesprächen, die ich nach Diskussionsrunden, Interviews und dergleichen rund um die Twitter-Aktion #aufschrei immer wieder hatte und in denen mich Leute fragten: Um welche Themen geht es heutzutage, und wo fange ich überhaupt an, wenn ich mich für Feminismus interessiere?

Da war dann stets der Wunsch da, einfach ein Buch hinter dem Rücken hervorzuzaubern und zu sagen: »Genau hier!«

Natürlich ist dies mein ganz eigener und aktueller Blick, und viele Themen können nicht immer in der Ausführlichkeit besprochen werden, die ihnen gebührt, aber dieses Buch soll als Einstieg dienen in eine Welt, die ich durch Surfen und Klicks für mich entdeckte. Die wunderbare Welt des Feminismus.

Dass ich mit meinen Wünschen einfach das ausdrücke, wofür Feminismus steht, fand ich nicht durch ein Studium heraus, sondern über Blogs wie Feministing.com oder amerikanische Aktivistinnen wie Jaclyn Friedman und Jessica Valenti. Dank ihnen entdeckte ich meine Leidenschaft für das Thema Geschlechtergerechtigkeit.

Für mich ist feministisches Engagement daher bereits aus eigener Erfahrung nicht zwingend mit der Kenntnis sämtlicher Theoriewerke verbunden. In diesem Buch möchte ich deshalb einen persönlichen Einblick liefern, was Feminismus heute bedeutet, warum wir ihn dringend brauchen und wie vielfältig die Möglichkeiten zur Veränderung sind – für jede_n von uns.

Außerdem möchte ich zeigen, dass die Frage »Wo anfangen?« manchmal weniger wichtig ist als das Anfangen selbst. In diesem Sinne: Fangen wir doch an!

Teil IDon’t call it a comeback! Eine feministische Agenda für jetzt

1:»Wir sind doch schon am Ziel« und andere Irrtümer – Kleiner Rundgang im Reich der Mythen und Missverständnisse

Wir sind doch schon am Ziel …

Lasst mich gucken:

 

Frauen dürfen wählen gehen? Check!

Sie dürfen studieren? Check!

Sie können ihr eigenes Geld verdienen? Check!

Frauen können das politisch mächtigste Amt erreichen und Bundeskanzlerin werden? Check!

 

Na, da haben wir ja viel geschafft! Coole Sache. Können wir also die Ärmel wieder runterkrempeln, und dieses Buch ist jetzt vorbei. Danke fürs Lesen …

 

Moooment! Wir haben zwar viel erreicht, wenn es um die Gleichstellung der Geschlechter geht: Aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Gesetzlich mag zwar schon größtenteils verankert sein, wo wir hinkommen müssen, doch die Realität sieht bislang noch anders aus. Die vorherrschenden Vorstellungen davon, wie Männer und Frauen zu sein haben, sind immer noch sehr stark: Geschlechterstereotype bestimmen unseren Alltag.

Dazu gehört, dass Frauen sich angeblich besser um den Haushalt und die Kinder kümmern können. Sie passen schließlich eh viel besser in soziale Berufe. Frauen haben schön zu sein und verwenden zu viel Zeit auf ihr Äußeres. Sie weinen eher, zicken schnell rum und kaufen wahnsinnig gerne Schuhe. Frauen reden mehr und viel zu viel, dabei sind sie von Natur aus zurückhaltender und wollen von Männern erobert werden.

Männer sind stark, weinen deshalb auch nicht oder höchstens mal, wenn ihr Lieblingsfußballverein gewinnt und ihr Erstgeborenes auf die Welt kommt. Sie interessieren sich für Autos, setzen sich durch, haben ständig Lust auf Sex, aber eigentlich keinen Bock auf feste Bindungen. Sie haben Mathe besser drauf und sind auch begabter für technische Berufe. Männer gehen nicht zu Ärzt_innen, sondern beißen die Zähne zusammen. Sie lieben es zu schweigen und erklären gleichzeitig gerne die Welt.

Frauen leben auf der Venus und scheitern die ganze Zeit am Einparken ihrer Autos, während alle Männer auf dem Mars ewig herumfahren, weil sie sich nicht trauen, nach dem Weg zu fragen. Oder so.

Aber warum ist das jetzt ein Problem?

Weil Mädchen und Frauen Angst haben müssen, als »schwierig« zu gelten, wenn sie einfach nur ihre Meinung sagen. Weil die sexuelle Selbstbestimmung für Frauen immer noch bei der Pille aufhört und Verhütung weiterhin Frauensache ist, während sie in vielen anderen Punkten nicht alleine über ihren Körper entscheiden dürfen. Und Frauen ohne Kinderwunsch sind ja eh irgendwie komisch – die haben angeblich »nur noch nicht den Richtigen« gefunden.

Weil weder in Nachrichtenredaktionen oder Vorstandssitzungen die Vielfalt (Diversity) herrscht, die unsere gesamte Gesellschaft repräsentiert.

Weil Diversity für viele Bereiche immer noch bedeutet, dass sie am Ende als nette Kleinigkeit oben auf den Kuchen gestreuselt wird, obwohl sie von Anfang an ins Rezept einbezogen werden müsste.

Weil Attraktivität als wichtigste Aufgabe einer Frau gilt, und danach kommt das Mutterwerden. Weil es überhaupt immer nur um Hetero-Sex geht. Weil lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, intersexuelle und queere Menschen immer noch um grundlegende Rechte und gegen unfassbare Vorurteile kämpfen, während viele der Meinung sind, dass jetzt aber »auch mal gut« ist mit der Akzeptanz-Nummer und Toleranz schon das höchste der Gefühle ist. Weil Familien schon längst nicht mehr nur aus dem Modell »Mann heiratet Frau« bestehen und das trotzdem immer noch der Maßstab ist, der an alle Menschen angelegt wird.

Weil so viele Frauen sich Essen »verkneifen« oder als »kleine Sünde« gönnen, während Männer Grillfleisch in Massen verdrücken sollen. Weil Frauen durch ständige Hinweise auf die vermeintlichen Fehler ihrer Körper förmlich verschwinden sollen. Weil so viele dadurch ihr Leben lang erst gar keine Liebe für ihren Körper empfinden können. Weil »Du siehst so gut aus, hast du abgenommen?« immer noch als Riesenkompliment gilt. Es ist perfide, uns einerseits zuzurufen: »Sei, wie du bist!«, und andererseits vorzuschreiben »Aber bitte nur auf diese Weise!« Weil bereits Mädchen lernen, dass sich ihr Wert darin bemisst, wie hübsch sie aussehen und wie sexy sie auf andere wirken. Trotzdem gehört ihnen ihre Sexualität nicht selbst, sondern wird stigmatisiert, sobald sie diese ausleben möchten.

Weil so viele Männer sexuelle Belästigung immer noch als missverstandene Komplimente verkaufen wollen: Klar, weil Sprüche wie »Geile Titten!« und »Willste ficken?« natürlich immer direkt zu Heirat-Haus-Kind führen … Weil ein »Ich hab ’nen Freund« oft wirksamer ist als ein »Nein«. Und dieser andere Mann – selbst wenn er nicht mal anwesend ist oder existiert – mehr respektiert wird als der Wille einer Frau. Weil so vielen Betroffenen einfach nicht geglaubt wird und sie sich statt Hilfe nur Sprüche wie »Hab’ dich doch nicht so!«, »Findest du das nicht übertrieben?« und »War doch nur ’n Witz!« abholen können. Weil dieser Alltagssexismus auch noch dazu führt, dass Betroffene diese Aussagen sogar glauben.

Weil nicht Frauen das Problem sind, sondern wie unsere Gesellschaft mit Weiblichkeit umgeht und dabei die Geschlechter gegeneinander ausspielt.

Wenn all das also immer noch als normal und in Ordnung gilt, dann ist das nichts, was mit einem Achselzucken und »Ist halt so« hingenommen werden kann. Erst recht ist es aber nichts, was sich mit einem »Wir haben doch schon alles erreicht!« abhaken ließe.

Diskussionen zum Thema Sexismus sind jedenfalls ein bisschen wie der Murmeltiertag: Feminist_innen wachen darin auf, um jedes Mal aufs Neue feststellen zu müssen, dass sich das Allgemeinwissen rund um Sexismus und dessen Konsequenzen nicht wirklich verändert hat.

In der vorherrschenden Debatte geht es trotzdem weniger darum, was sich gesellschaftlich verändern muss, sondern vielmehr, was der Feminismus™ angeblich verbockt hat, und nur deswegen scheitern die Änderungsbemühungen – als ob alles, was Feminist_innen schon so lange kritisieren, bisher nahtlos umgesetzt wurde, haha!

Ferner geht es viel zu sehr um oberflächliche Mainstream-Themen wie Make-up und High Heels, Körperbehaarung oder den BWL-Feminismus à la Sheryl Sandberg. Und dann natürlich immer wieder die Diskussion, ob Feminismus nicht ein neues »Branding« braucht, damit mehr Leute darauf abfahren. Der Punkt ist: Macht abzugeben und gerecht zu verteilen, sich von Vorurteilen zu verabschieden, die natürlich bequem sind, um Ungerechtigkeiten als notwendig zu verteidigen, wird denjenigen, die die meiste Macht haben, auch nicht leichter von der Hand gehen, wenn Feminismus einen vermeintlich attraktiveren Namen hat. Wir wollen radikalen Wandel, das muss Leute anpissen.

 

Bevor es richtig losgeht, will ich kurz einige Dinge erklären, die eine zentrale Bedeutung einnehmen, wenn wir über Feminismus sprechen. Ach ja,

Was ist denn Feminismus eigentlich?

Die amerikanische Autorin und Aktivistin bell hooks definiert Feminismus als eine Bewegung, die Sexismus, sexistische Ausbeutung und Unterdrückung beenden möchte. Sexismus ist also das anzugehende gesellschaftliche Kernproblem, wobei es keine Rolle spielt, ob sexistisches Denken und Handeln von Männern oder Frauen ausgeht.[1] Allgemein geht es um die politische, ökonomische und soziale Gleichheit der Geschlechter.

Ja, aber wir sind doch schon viel weiter, oder nicht?

Ja und nein. Es gibt noch eindeutig Luft nach oben, was die Gleichberechtigung angeht und die bisherigen Errungenschaften auf diesem Gebiet sind uns dabei nicht mal sicher. Frauen haben jahrhundertelang ihre Rechte erstritten, und wir sind da auch schon viel weiter gekommen – das passierte aber eben auch nur, weil sich diese Frauen da dermaßen reingeschmissen haben.

Wenn (medial) immer wieder der Eindruck erweckt wird, dass wir doch »schon viel weiter« sind – postgender, das »Ende der Männer« und wasweißichnichtalles – dann sind viele Menschen natürlich irritiert, wenn plötzlich die Rede von Sexismus ist und sogar Maßnahmen dagegen gefordert werden. Diese empfinden sie dann als übertrieben und verweisen darauf, dass wir doch aufhören sollen, auf Geschlecht, Hautfarbe und dergleichen zu schauen, und uns lieber auf die Leistungen der einzelnen Menschen konzentrieren sollten. »Das mag ja früher ein Problem gewesen sein, aber heute doch nicht mehr …« So kommt es schnell zu einer »Jetzt ist aber auch mal gut!«-Haltung.

Ich kann’s ja verstehen: Es ist halt schon ein doofes Gefühl, erkennen zu müssen, dass das Märchen von der Gleichberechtigung eben nur ein Märchen ist. Dass Menschen immer noch aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert werden, wegen ihrer sexuellen Orientierung, wegen ihrer Identität … Das frustet erst mal ungemein, und bei vielen stellt sich automatisch die »Aber ich mach doch solche Sachen gar nicht!«-Haltung ein, und sie haken die Sache für sich ab.

Nun, das würden Feminist_innen auch gerne tun.

Der Glaube an Gleichberechtigung ist heutzutage weiter verbreitet, aber das ist eben mit der tatsächlichen Umsetzung noch nicht gleichzusetzen. Gesetzlich ist sie in vielen Teilen schon da, aber in den Köpfen bei weitem nicht angekommen. Insofern ist eine weibliche Bundeskanzlerin dann zwar eine Errungenschaft, aber auch ein Problem, weil die noch bestehenden Probleme dahinter verschwinden (oder versteckt werden). Dabei sind ja auch eine Angela Merkel oder eine Ursula von der Leyen nicht vor Sexismus geschützt, wenn sie als »Mutti« oder »Truppenursel« bezeichnet werden. War Gerhard Schröder etwa unser »Papi«? Oder wurde Thomas de Maizière selbstverständlich »Kasernen-Thommy« genannt?

Sexismus, das sind nicht einfach nur ein paar alte Herren mit ihren Witzen am Stammtisch, die sich »danebenbenehmen«. Sexismus ist etwas, das sich durch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, Arbeitsumfelder etc. zieht – eben ein strukturelles Problem.

Das gibt es noch? Sexismus?

Sexismus ist die Bewertung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts sowie die Erwartungshaltung an andere Menschen, dass sie Geschlechternormen verkörpern. Dabei geht es immer darum, den ungleichen gesellschaftlichen Status zwischen Männern und Frauen aufrechtzuerhalten. Sexismus kann die Meinung oder Verhaltensweise von Einzelpersonen beschreiben, aber auch für eine Kultur oder Institution stehen, die davon strukturell durchdrungen ist.

Die Professorin für Sozialpsychologie Julia Becker forscht schon länger zu Sexismus und hat auch im Rahmen der #aufschrei-Debatte neue Erkenntnisse gewinnen können. Im Interview mit »ZEIT Online« weist sie auf die Unterscheidung zwischen feindlichem und wohlwollendem Sexismus hin, die von den Wissenschaftler_innen Peter Glick und Susan Fiske entwickelt wurde:

Feindlicher Sexismus ist eine klar negative Sicht auf Frauen. Er begründet sich in der Überzeugung, dass Männer einen höheren Status verdient haben. Die feindlichen Sexisten gehen davon aus, dass Frauen das Ziel haben, Macht und Kontrolle über Männer zu erlangen. Deshalb richtet sich feindlicher Sexismus oft an spezifische Personengruppen: Karrierefrauen oder Feministinnen.

[…]

Der [wohlwollende Sexismus] erscheint eher im Gewand der Ritterlichkeit oder des Kavaliertums. Wohlwollende Sexisten sind der Überzeugung, dass Männer Frauen beschützen und versorgen sollten. Frauen sind ihrer Meinung nach das sanftere Geschlecht, warmherziger, fürsorglicher in der Kindererziehung und sie haben einen feineren Sinn für Kunst und Kultur. […][2]

Sexualisierte Übergriffe von Männern sind wiederum ein Symptom von Sexismus. Sie sind in der Regel Machtdemonstrationen und außerdem strukturell in der Gesellschaft verankert: Anders als bei Männern, die auch Beleidigungen und Übergriffe erleben können, hat Sexismus gegenüber Frauen System. Das Problem ist jedenfalls nicht, dass Feminist_innen überall Sexismus sehen, sondern dass so viele Menschen ihn eben bisher gar nicht erst erkennen.

Was habt ihr denn gegen Männer?!

Nichts, aber wir haben was gegen das Patriarchat. Es ist eine Gesellschaftsform, in der Männer eine bevorzugte Stellung innerhalb des Staates und der Familie haben. Unsere Gesellschaft ist trotz so einiger erzielter Errungenschaften nach wie vor männlich dominiert, was von Feminist_innen kritisiert wird, da so keine gerechte Gesellschaft aussehen kann.

Wenn Frauen auch heutzutage noch als Minderheit mit »Spezialinteressen und -gedönsproblemen« gelten, obwohl sie die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, dann ist das überhaupt nur möglich, weil Männer eben den gesellschaftlichen Laden immer noch in der Hand haben. Wenn außerdem Probleme (wie z.B. Sexismus) als »Frauenprobleme« dargestellt werden, wird die Verantwortung zur Veränderung den Betroffenen zugeschoben – als ob die nicht schon genug Stress an der Backe hätten! Dazu kommt, dass Männer das Gefühl bekommen, dass es sie nichts angeht und sie deswegen einfach wieder zur eigenen Tagesordnung übergehen können.

Wenn ich in den nachfolgenden Kapiteln von Strukturen spreche, sind also genau diese gesellschaftlichen Gegebenheiten gemeint.

Was wollt ihr mit diesem Genderkram?

Da es im Deutschen nur das Wort »Geschlecht« gibt, werden im feministischen Diskurs die englischen Begriffe »gender« und »sex« verwendet, um zu verdeutlichen, was Geschlechterrollen bewirken und wie sie funktionieren. Sex bezeichnet das biologische Geschlecht und wird damit an anatomischen Merkmalen festgemacht. Gender, das soziale Geschlecht, beschreibt die Geschlechtsidentität und die mit Geschlecht verbundenen Rollenerwartungen. Beides ist durch die Gesellschaft geprägt und somit »gemacht«. Neben dem biologischen und dem sozialen Geschlecht umfasst die sexuelle Identität eines Menschen auch dessen sexuelle Orientierung.

Die Autorin Janet Mock bringt den Zusammenhang der Begriffe rund um Gender in ihrer Autobiographie »Redefining Realness« wunderbar auf den Punkt:

Soziales Geschlecht und Geschlechtsidentität, biologisches Geschlecht und Sexualität sind allesamt Bereiche der Selbstfindung, die sich jeweils überschneiden und zueinander in Beziehung stehen, aber sie sind nicht ein und dasselbe. Jede_r von uns hat eine sexuelle Orientierung und eine Geschlechtsidentität. Einfach ausgedrückt: Unsere sexuelle Orientierung hängt damit zusammen, mit wem wir ins Bett gehen, während unsere Geschlechtsidentität bestimmt, als welche Person wir mit dem_derjenigen ins Bett steigen. Ein Trans*Mensch kann hetero sein, schwul, bisexuell etc.; ein schwuler Cis-Mann, eine Lesbe oder eine heterosexuelle Person kann sich entsprechend den traditionellen Geschlechterrollen verhalten oder nicht; und eine Frau kann einen Penis haben und ein Mann eine Vagina. Es gibt kein Strickmuster, wenn es um Gender und Sexualität geht.[3]

Wenn das jetzt trotzdem immer noch etwas verwirrend klingt, nehmt erst mal die ganz kurze Fassung: In Bezug auf Geschlechter gibt es einfach mehr als Mann, Frau und traditionell weibliche oder männliche Verhaltensweisen. Gender ist ein Spektrum, keine Schublade.

Ihr kümmert euch ja nur um dIe Frauenquote!

Sexismus kommt selten allein. Die Diskriminierung von Menschen beschränkt sich nicht nur auf einen Aspekt ihrer Person, und das macht ihre Erfahrungen insgesamt drastischer: Intersektionalität beschreibt die Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen, wie z.B. aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder sozialer Herkunft, und erkennt diese auch als eigenständige Diskriminierungserfahrungen an. Fakt ist: Unsere Gesellschaft ist leider nicht gerecht, und Diskriminierungsformen sind in ihr tief verwurzelt.

 

Ein weißer, heterosexueller Mann ohne Behinderung hat allerdings die besten Voraussetzungen, um diskriminierungsfrei durchs Leben zu gehen, da er aus Sicht des Patriarchats die menschliche Norm darstellt. Je mehr aber jemand von dieser Norm abweicht, desto schwieriger wird es für diese Person, durchs Leben zu navigieren. Dabei erlebt eine weiße Heterofrau wiederum weniger Diskriminierung als z.B. eine Frau, die homosexuell ist oder eine Muslima mit Kopftuch.

Dass bestimmte Menschengruppen aufgrund ihres Geschlechts, der Hautfarbe etc. von Diskriminierung automatisch eher verschont bleiben als andere Menschen, wird als Privileg bezeichnet. Die Schriftstellerin Michelle Haimoff fasst das Privilegienprinzip sehr treffend mit folgendem Zitat zusammen:

Für diejenigen, die Privilegien haben, sind diese nicht als solche erkennbar. Schwarze Frauen wachen morgens auf, gucken in den Spiegel und sehen schwarze Frauen. Weiße Frauen wachen morgens auf, blicken in den Spiegel und sehen Frauen. Weiße Männer wachen morgens auf, schauen in den Spiegel und sehen Menschen.[4]

Insofern ist es auch für feministische Diskussionen wichtig, keine allgemeingültige Schablone anzusetzen, die vielleicht Selbstbestimmung für weiße Frauen beinhaltet, aber dabei Frauen of Color vergisst oder sie sogar mit rassistischen Stereotypen ausgrenzt, wenn z.B. mal wieder kopftuchtragende muslimische Frauen angeblich von diesem Kleidungsstück befreit werden müssten, um wirklich selbstbestimmt leben zu können.

Hm, »Feminismus« … schliesst das nicht Männer aus?

Die kurze Antwort: Nö.

Die lange: Oft wird vorgeschlagen, Feminismus doch einfach Humanismus zu nennen, damit das Ganze nicht als »Kampf gegen Männer« missverstanden werde. Aber schließt der Begriff Feminismus Männer wirklich aus? Jein. Frauen sind nach wie vor gesellschaftlich benachteiligt, obwohl sie gut die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen. Sie sind öfter Opfer von Gewalt, verdienen weniger Geld, sind somit häufiger Altersarmut ausgesetzt, haben schlechtere Aufstiegschancen im Beruf, werden in ihrer sexuellen Selbstbestimmung eingeschränkt und und und …

Ich kann den so oft gebrachten Vorschlag, das Ganze schlicht Humanismus zu nennen, zwar verstehen – es werden ja auch humanistische Werte vertreten –, aber hier einen »Entweder-Oder«-Ansatz zu fahren ist schlicht Quatsch. Solange jedenfalls vor allem Frauen von Diskriminierungen betroffen sind, beziehe ich mich lieber auf den historisch gewachsenen Begriff und zolle damit nicht nur jenen Frauen Respekt und Anerkennung, die schon lange vor den heutigen Feminist_innen für Geschlechtergerechtigkeit kämpften, sondern mache damit auch genau dieses noch bestehende Machtgefälle sichtbar – was beim Humanismus eben nicht rüberkommt.

Fakt ist, dass feministische Ansichten auch heute noch nicht dem Mainstream entsprechen und daher unbequem bis radikal erscheinen, also starke Kritik auf sich ziehen. Ob sie jetzt als »Humanismus« bezeichnet würden oder als »Wir überbacken alles mit Käse«-Bewegung: Es geht nicht um Label, sondern um politische Inhalte. Inhalte, von denen eindeutig auch Männer profitieren. Sie müssen nur willens sein, sich damit auseinanderzusetzen – genauso wie alle anderen auch. Feminist_in zu sein hat mit Idealen und dem Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung zu tun, nicht mit dem Geschlecht. Durch Feminismus sollen schlicht alle Menschen so sein dürfen, wie sie wollen, unabhängig von stereotypen Erwartungen an ihr Geschlecht.

Deswegen anderer Name hin oder her: Es gibt nun mal keine »sexy Verkaufsstrategie« für Perspektiven, die unsere jetzige Gesellschaft grundlegend infrage stellen und am Status quo rütteln. Es gibt einfach nur eine Menge Aufklärungsarbeit.

Ein Beispiel: Wäre 1910 eine Straßenumfrage zum Thema Frauenwahlrecht durchgeführt worden, hätten sich sehr viele Menschen, ja, auch Frauen, dagegen ausgesprochen – weil diese Meinung dem Mainstream entsprach.

Doch stellt sich heute noch jemand gegen das Frauenwahlrecht? Eben! Was jetzt radikal erscheint, kann schon bald zur Normalität gehören.

Ist doch alles nicht mehr so wild heute!

Das Patriarchat umgibt uns förmlich wie die Matrix aus dem gleichnamigen Film. Mit Hilfe von Feminismus ist es uns jedoch möglich, die Frage des »Muss das eigentlich so sein?« zu stellen und zugleich die Ärmel hochzukrempeln, um den Status quo zu ändern.

Solange wir ein patriarchalisches Gesellschaftssystem haben, befinden wir uns in puncto Geschlechtergerechtigkeit aber meist zwischen Babyschritten vorwärts und Backlash, der uns wieder zurückschleudert. Der Backlash (zu deutsch etwa »Rückschlag«) ist sozusagen der Darth Vader zur feministischen Rebellion. Denn sobald sehr viele Menschen gesellschaftliche Fortschritte einfordern oder diese Veränderungen sogar durchgesetzt werden können, wird es immer auch viele Menschen geben, die an der Uhr drehen und diese auf »die guten alten Zeiten« mit konservativen Wertvorstellungen zurückstellen wollen. Wenn also das Gefühl aufkommt, dass wir in puncto Geschlechtergerechtigkeit eigentlich schon mal weiter waren, dann sind die »Früher war alles besser!«-Rufer_innen in ihren Bemühungen leider wieder erfolgreich gewesen.

Ihr wollt ja nur Spass verderben!

Wenn es nach den Stereotypen ginge, müssten Feminist_innen ständig mit Schaum vor dem Mund durch die Gegend laufen und, während ihnen die Achselhaare aus der Latzhose wuchern, alles anknurren, was auch nur ansatzweise nach Mann aussieht.

Ein gewisser Anteil meiner Tätigkeit als feministische Aktivistin geht jedenfalls auch dafür drauf, einfach nur klarzumachen: Nein, ich finde Männer super, nur das Patriarchat und dessen Auswirkungen scheiße. Nein, ich esse weder kleine Kinder noch Penisse (und bin überhaupt Vegetarierin). Ja, ich lache sehr gern und viel. Ja, ich trage Make-up und Nagellack und kann trotzdem Feministin sein – genauso wie jene, die das nicht tun. Sich an Äußerlichkeiten abzuarbeiten lenkt jedenfalls nur von den eigentlich wichtigen Themen ab.

Das Ärgerliche an antifeministischen Zerrbildern ist ja: Die Taktik funktioniert in der Regel gar nicht schlecht. Denn so haben Aktivist_innen eben auch damit zu tun, das falsche Bild von ihnen zu widerlegen, und somit weniger Zeit für ihre eigentliche Arbeit. Und außerdem hält es andere Menschen eher davon ab, sich mit feministischen Themen auseinanderzusetzen oder sich gar als Feminist_in zu identifizieren, geschweige denn zu engagieren.

Machen sich Feminist_innen nicht immer nur selbst zum Opfer?

Im Gegenteil: Wir halten der ungerechten Gesellschaft den Stinkefinger hin und sagen »Das hier? Haben wir keinen Bock drauf und nicht verdient! Hier sind unsere Ideen zur Verbesserung für alle.«

2:Ein Hack des Systems – Warum wir die Geschlechterquote brauchen

»Homosoziale Kooptation«,[5] dieser schicke Fachbegriff beschreibt die Neigung, dass in ein bereits bestehendes Netzwerk vor allem Mitglieder aufgenommen werden, die als »ähnlich« gelten. Das ist quasi wie früher im Sportunterricht: Das Kind, das sein eigenes Team wählen darf, wird erst mal die eigenen Freund_innen an Bord holen, egal, wie gut oder schlecht sie im Ballspielen eigentlich sind. Dann kommen die mittelcoolen Kids und zum Schluss die eh schon ausgegrenzten Kinder dran – weil sie halt noch übrig sind (und die Lehrerin sonst wieder böse guckt).

Wenn die Personalabteilung also vor allem aus weißen, mittelalten Männern besteht, werden diese beim nächsten Bewerbungsgespräch wen bevorzugen? Richtig! Wer ebenfalls weiß, mittelalt und männlich ist, hat in einem solchen Gespräch die besten Chancen und das ziemlich unabhängig von der Qualifikation. Gleich und Gleich gesellt sich eben gern. Bestens zu erkennen ist das z.B. auf dem tumblr-Blog 100 per cent men[6]: Dort werden Screenshots und Fotos von Vorständen, Diskussionsrunden, Veranstaltungsprogrammen etc. gesammelt, die es noch nicht mal geschafft haben, eine einzige Alibi-Frau unterzubringen, und eben zu 100 Prozent männlich sind. Und wie sieht das im Fall Deutschland aus? Nun, kein anderes Wirtschaftsland hat so wenige Frauen in Führungspositionen wie wir. Kein. Anderes. Land. Nur in jedem dritten Unternehmen sind Frauen im Vorstand, im Aufsichtsrat oder in der Geschäftsführung.[7]

In uns allen schlummern Vorurteile, und wenn es darum geht, jemanden in unser Team zu wählen, wählen diese Stereotypen eifrig mit. Deswegen entscheiden wir uns eher für eine Person, die uns ähnelt, da wir sie vermeintlich am besten einschätzen können. Da wir aber nicht einfach nur alle Leute aufteilen müssen, die sich bewerben (wie im Sportunterricht), nehmen wir ausschließlich die uns ähnlichen, und somit fallen eine ganze Reihe Menschen einfach durchs Raster, die durchaus besser qualifiziert sein könnten. Das ist ein bisschen so, als würde jemand beim Online-Dating ausschließlich auf zwei Aspekte achten: »Hey, du magst Pizza und im Bett rumgammeln? ICH AUCH! Lass uns den Rest unseres Lebens miteinander verbringen!«

Okay, das Beispiel hinkt ein bisschen, denn Pizza und im Bett rumgammeln sind natürlich immer eine gute Basis! Dann nehme ich vielleicht doch eher das Bild aus Jaclyn Friedmans Talk »The Woman Solution: Diversity As Your Secret Weapon«: Wer Vielfalt nicht ernst nimmt, puzzelt nur, obwohl er_sie schon längst mit Lego viel tollere Sachen bauen könnte.[8]

Unsere unbewussten Vorurteile und dadurch entstehende Ausgrenzungen sind jedenfalls wissenschaftlich erforscht und auch kein Geheimnis mehr.[9] Wir Menschen tragen sie alle in uns, und so bildet die Personalauswahl da nun mal keine Ausnahme. Wenn dann aber gemeinhin so getan wird, als wäre das kein Problem oder würde sich irgendwann von selbst erledigen, ist das mehr als naiv. Das ändert sich nicht von selbst – alle, die mal versucht haben, sich das Nägelkauen abzugewöhnen, wissen das. Unbewusste Verhaltensweisen müssen bewusst angegangen werden, um sie abzulegen. Wir müssen sie sozusagen »austricksen«. Menschen mit anderen Lebenshintergründen in Betracht zu ziehen heißt schließlich nicht, dass diese weniger kompetent sind, um den Job gut zu erledigen – auch wenn dies immer wieder unterstellt wird und als vermeintliches Gegenargument für eine Quote herhalten muss.

Der ständige Hinweis darauf, dass Vielfalt echt ’ne gute Idee ist, insbesondere an Orten, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden und unser gesamtgesellschaftliches Bild geprägt wird, hat ja mittlerweile schon was von Eltern, die ihren Kindern sagen, dass sie doch bitte ihren Spinat aufessen mögen. Ihr wisst doch, dass der gut für euch ist, warum sträubt ihr euch dann nur so dagegen?!? Unternehmen finden Diversity »ja schon wichtig und so« und trotzdem ist immer wieder die Rede davon, dass sie sich »aufraffen«, »durchringen« oder »in die Pflicht genommen werden« müssen, um diese Vielfalt herzustellen.

Nun, Gerechtigkeit zu schaffen heißt eben auch: Macht abgeben. Insofern verwundert es leider auch nicht, dass die Debatte um die Geschlechterquote so leidenschaftlich wie starrsinnig geführt wird. Immer wieder wird der Eindruck erweckt, dass Männer aufgrund der Quote um ihre rechtmäßigen Posten betrogen würden und Frauen lediglich da oben landen, weil ihre Hauptqualifikation das Frausein ist. Als ob Frauen durch die Quote in Berufszweige gebracht würden, von denen sie ohnehin keine Ahnung haben.

Soviel zu: Wir haben kein Sexismus-Problem

Die derzeitige Penis… – Verzeihung! –, die derzeitige Männerquote zeigt dagegen natürlich eindeutig, dass sonst ausschließlich die qualifiziertesten Männer in hohen Positionen landen. Solch unfehlbare Helden wie z.B. Hartmut Mehdorn, Karl-Theodor zu Guttenberg, Wolfgang Schäuble …

Juliane Leopold fasst zu dieser Argumentation in ihrem kleinerdrei-Artikel »Wenn keiner was sieht, wird keiner böse – Warum die Quote kommen muss« sehr schön zusammen:

Nur, weil eine Frau aufgrund einer Quote befördert wird, bedeutet das nicht, dass sie nicht qualifiziert ist. Man kann es nicht oft genug sagen: Quote und Qualifikation schließen einander nicht aus. Etwas anderes ist wahr: Quote und Qualifikation ergänzen sich. Denn die Quote setzt erst nach der Qualifikation an. Kein Befürworter einer Frauenquote in Aufsichtsräten oder in Medienjobs will wahllos auf die Straße gehen, eine Frau auswählen und ihr einen Job geben, nur weil sie […] zufällig des Weges kommt.[10]

Frauen wird im selben Atemzug eingeredet, dass sie ja bloß nicht die »Quotilde« sein möchten, sondern es lieber »von ganz allein« schaffen sollten. Erst im Januar 2013 war sich der »Focus« nicht zu doof für eine komplette Titelstory zum Thema. »Wir wollen keine Frauenquote!« riefen da lauter prominente Frauen und brachten es zu echten Wortperlen:

»Eine Quote verletzt die Würde der Frau. Denn jede Frau in einer Leitungsposition würde zur Quotenfrau«, sagte Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. »Das ist ein Stigma, das sich durch hervorragende Leistungen nicht tilgen lässt.« Die CSU-Politikerin Dagmar Wöhrl bekräftigte: »Eine fähige Frau braucht die Quote wie ein Walfisch die Kapuze. […]« »Die Quote diskriminiert Männer und würde uns Frauen eher schaden als nutzen«, sagte Veronica Ferres. […] Und »Tatort«-Kommissarin Simone Thomalla sagte: »Die Quote beschneidet die Freiheit der Firmen, Mitarbeiter einzustellen, die kompetent sind.«[11]

Davon abgesehen, dass ich das Bild eines Wals im Kapuzenpulli eigentlich ganz cool finde, fehlt hier ja echt nur noch die mit wild fuchtelnden Armen vorgetragene Drohung: Uaaar, die Quote wird euch Pickel und Stinkefüße machen und euer Erstgeborenes verspeisen!

Nur zur Erinnerung: Die derzeitige Quotenforderung liegt bei 30 Prozent. Bleiben also noch beachtliche 70 Prozent der Posten für Männer übrig. Wir reden also noch nicht mal über eine Verteilung à la 50:50, was eigentlich gerecht wäre. Komischerweise wird das aber weder als unfair empfunden, noch tauchen Fragen auf, ob diese Männer überhaupt qualifiziert genug seien, solche Posten auszufüllen. Männer bekommen das Ansehen, qualifiziert zu sein, inklusive. Das gilt für unsere gesamte Gesellschaft und wird nicht hinterfragt. (So viel zur Diskriminierung, liebe Frau Ferres.) Hinzu kommt: Erst ab einem Anteil von 30 Prozent werden Frauen in männerdominierten Runden auch wirklich gehört, und es wird nicht mehr nur männliches Verhalten zugelassen – jede Quote unter 30 Prozent ist also eher als Feigenblatt zu verstehen und wird die Unternehmenskultur nicht verändern.[12]

Dass es für Frauen ein größeres Stigma sein soll, Quotenfrau zu sein, als es für uns alle in dieser Gesellschaft ist, wirtschaftliche und politische Teilhabe nicht gerecht zu verteilen, erschließt sich mir jedenfalls nicht. Aber hey! Lieber noch mal mit High Heels nach den Frauen treten, die sich den Kopf an der gläsernen Decke stoßen und im mittleren Management rumdümpeln, während ihren männlichen Kollegen bis in die oberste Führungsebene die Hand gereicht wird. Pffft, ist doch egal, dass die Qualifikationen dieser Frauen für etwas Höheres geeignet sind. Dann hätten sie das sogenannte gebärfähige Alter eben niemals erreichen dürfen.

»Selbst schuld!«, das ist der immer wiederkehrende Tenor. Fast wöchentlich erscheint irgendein ein Artikel (vorzugsweise in der »FAZ«), dessen Inhalt sich übersetzt ungefähr so anhört: »Orrr Ladys, jetzt habt euch mal nicht so und hört auf zu stressen! Wir haben schließlich ’ne Bundeskanzlerin, Frauen dürfen echt alles, und Mädchen sind in der Schule eh erfolgreicher als Jungs – und an der Uni erst! Aber ihr beschwert euch immer noch, dass ihr es nicht allein nach oben schafft?! Wenn ihr es bis jetzt nicht gepackt habt, dann seid ihr wohl leider wirklich zu doof. Schiebt also bitte nicht den Männern die Schuld in die Schuhe. Apropos Schuhe! Hier ist noch ein Bild von Frauenbeinen in hochhackigen Schuhen zwischen lauter Männern, habt ihr bestimmt noch nie gesehen.« Tja, es grenzt ja fast schon an ein Wunder, dass es überhaupt so viele Männer in gutbezahlte Jobs und in die Chefetagen schaffen, wenn doch Frauen schon seit dem Kindesalter die Übermacht haben.

Status quo-te

Immerhin: Nach jahrelangem Politik-Palaver, dass eine feste Quote einem Kapuzenwal, pardon: einer Niederlage gleichkäme – dass da gerade vorwiegend Männer rumsitzen, ist nämlich nicht als Armutszeugnis der Gleichberechtigung zu verstehen, sondern, hier dings, irgendwas anderes eben! Und nach dem Kuschelkurs à la Flexi-Quote wie zuletzt von Kristina Schröder vorgeschlagen (Unternehmen sollten sich selbst eine individuelle Frauenquote geben, diese veröffentlichen und dann von alleine einhalten *Daumendrück*), nach alldem steht im Koalitionsvertrag nun also tatsächlich drin, dass »zu Beginn der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages« eine Geschlechterquote kommen soll.[13] Also, ist doch alles schick, und ich kann dieses Kapitel hier eigentlich beenden?

Nun ja …

Frauenministerin Manuela Schwesig und Justizminister Heiko Maas haben im Sommer 2014 den Gesetzentwurf zur Geschlechterquote vorgelegt, der nun von der Bundesregierung beschlossen werden muss. Das Gesetzgebungsverfahren soll 2015 abgeschlossen sein, so dass die Quote 2016 in Kraft treten kann. Solange möchten die deutsche Wirtschaft und die Gewerkschaften auch noch ein Wörtchen mitreden, denn Quote finden die »überraschenderweise« eher doof.

So sagt der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis: »Eine feste Quote ist immer dann problematisch, wenn der Frauenanteil in der jeweiligen Belegschaft deutlich niedriger ist.« Und der IG-Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel schiebt hinterher: »Der Anteil der Frauen an den Beschäftigten in unserer Industrie liegt bei 20 Prozent.«[14]

Plötzlich ist eine Quote also zu problematisch, weil es nicht genügend Interessierte und Nachwuchs gibt? Ja merken die bei solchen Aussagen eigentlich noch was? Ist solch eine Feststellung nicht erst recht ein Anlass, um sich endlich an die eigene Nase zu fassen und Förderprogramme, Kampagnen etc. in die Wege zu leiten? Insgesamt liefert eine Quote doch schließlich auch eine Handhabe, um die bereits vorhandenen Frauen zu fördern. Frauen, die wiederum als Vorbilder für den professionellen Nachwuchs fungieren. Stattdessen nur »Ham’wer nich’, wird schwierig« und Schulterzucken. Wirklich dufte Einstellung, meine Herren!

Eine unkomplizierte Umsetzung sieht jedenfalls anders aus. Was eben leider auch daran liegt, dass das Gesetz zur Geschlechterquote schon unter Dauerdruck steht, bevor überhaupt Eckpunkte entwickelt werden konnten. Dieser Druck kommt nicht nur aus der Wirtschaft, sondern auch aus der SPD-Spitze, die mit Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister eben wiederum der Wirtschaft sehr nahe steht (von der CDU/CSU erwarte ich ja eh schon nichts anderes mehr, deren Zähneknirschen beim Thema Geschlechterquote höre ich bis hier).

Aber was ist mit der Geschlechterquote eigentlich genau geplant? Nun, die Quote wird nicht für alle Unternehmensformen gleich ausfallen, sondern sich an deren Größe und Aufstellung orientieren. Ab dem 1. Januar 2016 soll die fixe Geschlechterquote von 30 Prozent für die Aufsichtsratsposten von Aktiengesellschaften mit mehr als 2000 Mitarbeiter_innen nach und nach umgesetzt werden.[15] Das allerdings auch nur für neu gewählte Gremien und nicht rückwirkend. Gewerkschaften müssen sich ebenso an die Quote halten: Im Aufsichtsrat gilt diese dann jeweils für die Vertreter_innen der Arbeitnehmer_innenseite sowie für die Anteilseigner_innen. In den großen Unternehmen gilt die Quote nur für den Aufsichtsrat, aber nicht für den Vorstand, obwohl der dortige Frauenanteil mit nur vier Prozent sogar noch niedriger liegt als in den Aufsichtsgremien, wo laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung 12,9 Prozent Frauen sitzen.[16] Ferner sollen die gesetzlichen Regelungen für die Gleichstellung in der Bundesverwaltung, in Bundesunternehmen und an Gerichten reformiert werden.

Kleinere Unternehmen (insgesamt ca. 3500 an der Zahl), die mitbestimmungspflichtig oder börsennotiert sind, sollen sich dagegen ab 2015 eigene Vorgaben setzen, um den Frauenanteil in Aufsichtsrat, Vorstand etc. zu erhöhen. Die Höhe der Quote dürfen die Unternehmen dabei selber festlegen.

Es ist kein Zufall, wenn man sich da an Kristina Schröders »Nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern mit Köpfchen durch die gläserne Decke[17]«-Flexi-Quote erinnert fühlt. Machte sich die SPD als Opposition noch lustig über die Idee,[18] greift sie diese jetzt kommentarlos auf und verwurstet sie selber. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich seeehr gespannt bin, wie erfolgreich diese Selbstverpflichtung ausfallen wird? (An dieser Stelle bitte einfach ein gähnendes Kätzchen-GIF vorstellen.)

Der Punkt ist: Ich bin im Grunde sehr froh, nun eine Manuela Schwesig auf dem Posten der Familienministerin zu wissen – das Aufatmen nach der Fehlbesetzung Kristina Schröder war auch bei mir sehr groß. Aber es schmerzt, zu sehen, wie Schwesigs engagierte Vorstöße allein aus den eigenen Reihen torpediert und schon jetzt wieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geschrumpft werden. Die derzeit angepeilte Quotenlösung ist jedenfalls noch nicht das Gelbe vom Ei. Sie kann höchstens ein Anfang vom Anfang sein.

Ein notwendiger Hack, aber kein Allheilmittel

Fakt ist: Niemand will die Quote. Auch Feminist_innen nicht. Wenn Feminist_innen sich für die Quote aussprechen, erkennen sie diese einfach als notwendiges Mittel zum Zweck an, weil sich eingefahrene diskriminierende Strukturen, die weiterhin von versteckten Vorurteilen getragen werden, eben nicht mit ganz viel Daumen drücken und guten Wünschen von alleine ändern. Fakt ist nämlich auch: Wenn es wirklich nur nach Qualifikation ginge, säßen schon längst nicht mehr so viele weiße Typen meist gleichen Alters in leitenden Positionen. Wir schrauben unsere Ansprüche mit der Quote nicht herunter, sondern wir werden ihnen gerecht(er). True story.

Die Quote ist ein temporärer Hack des Systems. Sie schafft Teilhabe, ist aber auch kein Allheilmittel, sondern quasi eine Adrenalinspritze, um etwas zu beschleunigen, das sich von selbst eben nur sehr langsam und meist auch gar nicht ändert.

Es darf jedoch bei der Quote nicht darum gehen, Frauen mal ein bisschen in den Männerclubs mitspielen zu lassen. Diese Clubs und die dazugehörigen Strukturen lösen sich nicht sofort auf, nur weil ein paar Frauen angeheuert werden. Solange sich die Arbeitswelt nicht insgesamt wandelt, wird auch der Effekt einer hart erkämpften Quotenregelung eher verpuffen. »Es gibt keine qualifizierten Frauen« ist eben auch ein Zeichen dafür, dass die bestehende Unternehmenskultur nicht ausreichend offen für sie ist und Frauen schlicht keinen Bock haben, sich in die bestehenden Vorgaben zu zwängen – oder wenn sie es tun, für als »männlich« wahrgenommene Eigenschaften abgestraft werden. Das ist eine Lose-lose-Situation. Natürlich gibt es auch immer mehr Männer, die das rituelle Alphatierchen-Getue verabscheuen und lieber Kernseife naschen würden, als im feinen Anzug Vorstands-Meetings abzuhalten. Trotzdem können sich Männer generell aus ihrer alltäglichen Realität heraus nach oben entwickeln. Frauen kriegen bei klemmender Karriere dagegen Kontrolle suggeriert, wo keine ist. Sie sollen sich, neben der ganzen Arbeit, die eh schon da ist, halt einfach noch mal richtig reinhängen und kaufen das ganze Self-help-Paket »Karriere« am besten gleich noch für nur 99,99 Euro dazu. Jüngstes Beispiel Sheryl Sandbergs Buch »Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg«.

Die Dauerpredigt lautet, Frauen sollen sich an das bestehende Umfeld anpassen (übersetzt: Sie sollen sich verstellen), um in Führungspositionen zu gelangen und diese auszufüllen. Dort hilft allerdings auch nicht der Tipp, sich eine dicke Haut zuzulegen: Wenn du die einzige Frau im Team und auf männliche Förderung angewiesen bist, ist es schwer bis unmöglich, sich mit einer »Augen zu und durch«-Einstellung zu arrangieren. Nicht mal zwingend aus dem Grund, dass alle Frauen das Bedürfnis verinnerlicht haben, unbedingt von allen gemocht werden zu müssen. Aber wenn bei der nächsten Personalentscheidung das Bauchgefühl deines Vorgesetzten den Ausschlag gibt und er dich als zu »aggressiv« empfindet, weil du in den letzten Meetings um wichtige Entscheidungen gekämpft hast, dann nützt dir ein dickes Fell eben auch nichts.

Ein gutes Beispiel für dieses Problem ist Jill Abramson, die erste Frau auf dem Posten der Chefredaktion der New York Times, die im Mai 2014 überraschend gefeuert wurde. Sie brachte die NYT wieder auf die Beine, setzte wichtige Veränderungen durch und erreichte z.B., dass ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis unter den Spitzen-Redakteur_innen herrschte. Trotzdem wurde ihr ein Makel nachgesagt, der bei Männern vermutlich unter einem Führungsstil mit fester Hand verbucht würde: Sie sei »zickig«, »schroff« und »nicht zugänglich«.[19] Dafür verdiente sie zeitweise weniger als Männer auf vergleichbaren Posten[20] und wurde am Ende schließlich ohne Vorwarnung aus dem Job gekantet – »es gab keinen einzigen Grund«[21] für ihren Rausschmiss.

Die Journalistin Ann Friedman fasste an Abramsons Beispiel zusammen, dass Sexismus im System eigentlich immer wieder zu einer Frage zurückführt: Habe ich gerade solche Probleme, weil ich nicht gut genug mitspiele oder weil das gesamte Spiel ohnehin zu meinen Ungunsten manipuliert ist?[22]

Es reicht daher nicht aus, eine Quote zu etablieren und den professionellen Nachwuchs von morgen aufzubauen, wenn das eigentliche Arbeitsumfeld am Ende dasselbe bleibt und der Nachwuchs immer wieder an denselben Strukturen scheitert. Gerade jungen Frauen werden häufig weniger Führungsaufgaben zugetraut, selbst wenn sie schon länger im Unternehmen sind. Sie erhalten damit seltener Gelegenheit, die notwendigen Meilensteine zu setzen, die es für eine Beförderung braucht.[23] Und solange Frauen als wirtschaftliches Risiko gesehen werden, weil sie aufgrund einer (oder oh, bewahre! sogar mehrerer) möglichen Schwangerschaft ausfallen könnten, sollten deutsche Unternehmen sowieso erst mal ihr Menschenbild geraderücken, bevor sie überhaupt jemanden einstellen. Wer die Gebärfähigkeit von Frauen als Argument gegen ihre Einstellung und Beförderung verwendet, handelt darüber hinaus nicht nur unmoralisch, sondern ist auch wirtschaftlich gesehen ein Trottel. Die Investition Tausender Euro, Jahrgangsbeste und hochqualifizierte Arbeitskräfte werden sehenden Auges in den Wind geschrieben oder auf Nimmerwiedersehen-Teilzeitkarrierebahnen geschoben.

Es geht schließlich um einen Kulturwandel auf ganzer Ebene, und die Quote ist ein erster Schritt in diese Richtung. Ohne eine Umstrukturierung der Arbeitswelt wird eine Quote aber nur solchen Frauen nutzen, die sich den Umständen des Arbeitsmarkts anpassen wollen bzw. es können.

Wenn wir z.B. Mädchen und Frauen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in die Quotendiskussion holen – was bisher auf politischer Ebene überhaupt nicht geschieht –, wird erst recht klar, dass kein »Lean in« – oder Selbstbewusstseins-Coaching hilft, wo in erster Linie diskriminierende Strukturen wirken. Denn was ist mit Frauen, die mehrfach diskriminiert werden und es aufgrund dessen gar nicht erst auf die erste Karrierestufe schaffen, geschweige denn in einen Vorstand?

Forschungsergebnisse im Auftrag des Aktionstages »Girls’ Day« bestätigen:

»Junge Frauen mit Migrationshintergrund interessieren sich für viele verschiedene Berufe und wollen Karriere machen«, erklärt Wenka Wentzel vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit in Bielefeld. »Wenn sie dann tatsächlich aus der Schule in die Arbeitswelt wechseln, landen sie in nur wenigen, den immer gleichen Berufsgruppen. Die Hälfte der jungen Frauen ohne deutsche Staatsangehörigkeit macht Ausbildungen in nur fünf Berufen wie Arzt- bzw. Zahnarzthelferin und Friseurin. Bei Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit sind dies nur 30 Prozent.«[24]

Einfacher wird es übrigens auch dann nicht, wenn die Mädchen den gesellschaftlichen Botschaften trotzen und nach der Schule eine akademische Laufbahn einschlagen. So ergab z.B. eine jüngere Studie, dass Frauen im Jura-Examen schlechter abschneiden, trotz gleicher Leistungen. Ein Ergebnis, das für Studierende mit ausländischem Namen ebenso zutraf, im Fall von entsprechenden Frauen also auf doppelte Diskriminierung schließen lässt.[25] Zu Teilen vermutet die Studie die Ursache für die Diskriminierungen aber im sogenannten Stereotype Threat.[26] Diese »Bedrohung durch Stereotype« beschreibt die Angst von Mitgliedern einer bestimmten sozialen Gruppe, dass sie selbst ein negatives Stereotyp bestätigen könnten, das gegenüber dieser Gruppe besteht. Das gilt z.B., wenn Frauen vermuten, sie könnten schlecht in Mathe sein, einfach nur weil das gängige Vorurteil das so vorsieht. Die Kenntnis des Vorurteils kann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden, so dass diese Angst das eigene Verhalten dermaßen beeinflusst, dass es dem negativen Stereotyp tatsächlich entspricht. So fand der Sozialpsychologe Claude Steele heraus, dass Frauen in Mathetests sehr viel schlechter abschneiden, wenn sie vorher mit der Behauptung konfrontiert wurden, dass es in diesen Tests üblicherweise große Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmer_innen gäbe.[27] Wurde das nicht erwähnt, gab es auch keine großen Unterschiede in den Testresultaten. Gerade in Prüfungssituationen kann der Stereotype Threat also besonders hart zuschlagen. Im angesprochenen Jura-Fall (ich gebe sofort fünf Euro in die Wortspielkasse!) kann dies z.B. auch passieren, indem Teilnehmerinnen durch entsprechende Klausurtexte stereotyp auf ihr Geschlecht aufmerksam gemacht werden. Die Juristin Daniela Schweigler, wissenschaftliche Referentin am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, schrieb zu diesem Thema sogar einen ganzen Aufsatz für die »Deutsche Richterzeitung« und bescheinigte der Justizausbildung in Bayern ein Sexismusproblem. In den dortigen Übungsfällen kamen Frauen ausschließlich als Mutter, Ehefrau oder Hausfrau vor. Wenn sie doch mal als Täterinnen auftauchten, klauten sie z.B. Parfüm.[28]