Weltgeschichte(n) - Die letzte Pharaonin: Kleopatra - Dominic Sandbrook - E-Book

Weltgeschichte(n) - Die letzte Pharaonin: Kleopatra E-Book

Dominic Sandbrook

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Beschreibung

Weltgeschichte hautnah: Die sagenumwobene ägyptische Herrscherin Kleopatra

Im antiken Reich der Pyramiden, Tempel und Pharaonen ist die junge Kleopatra für Großes bestimmt: Mit nur 18 Jahren wird sie zur Herrscherin Ägyptens. Ihr ganzes Leben lang kämpft sie um Ruhm und Macht und zieht die Männer in ihren Bann. An der Seite der Römer Julius Cäsar und Marcus Antonius gelingt es der gebildeten und faszinierenden Kleopatra, Ägypten mächtig und unabhängig zu halten. Doch als sich das Römische Reich schließlich gegen Kleopatra und Antonius wendet, ist ihr Schicksal besiegelt: Kleopatra, die letzte Pharaonin, geht in den Tod, und Ägypten wird Teil des Römischen Imperiums. Der Mythos von Kleopatra hingegen bleibt unsterblich ...

Historiker Dominic Sandbrook katapultiert die Leserinnen und Leser mitten hinein in die historischen Ereignisse, Schauplätze und Einzelschicksale. Das Ergebnis: Geschichtswissen in einer fundierten, mitreißenden und dramatischen Erzählung für Leserinnen und Leser ab 10 Jahren.

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Seitenzahl: 344

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Dominic Sandbrook

Aus dem Englischen

von Knut Krüger

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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© für die deutschsprachige Ausgabe 2023

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Text © 2022, Dominic Sandbrook

Die englische Originalausgabe erschien 2022

unter dem Titel »Adventures in Time: Cleopatra, Queen of the Nile«

bei Particular Books, einem Imprint von Penguin Press, London

Übersetzung: Knut Krüger

Lektorat: Roman Stadler

Umschlaggestaltung und -illustration: Nele Schütz Design/Sonja Gebhardt

CK • Herstellung: AJ ET

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-29473-1V001

www.cbj-verlag.de

Für Iseult

INHALT

Prolog: Ein Treffen bei Mondschein

TEIL 1

BLUTSBANDE

1Das Mädchen am Grabmal

2Die Götter von Memphis

3Die Söhne des Wolfes

4Die Feuer von Ägypten

5Die Herrin beider Länder

TEIL 2

ALLE WEGE FÜHREN NACH ROM

6Blut im Sand

7Verrat um Mitternacht

8In der Falle

9Das Gesicht der Isis

10Die Iden des März

TEIL 3

NERVENKRIEG

11Vergeltung bei Philippi

12Die Göttin der Liebe

13Ein Würfelspiel

14Ein Sturm braut sich zusammen

TEIL 4

SCHACHMATT

15Der Vorabend der Zerstörung

16Actium

17Letztes Gefecht in Alexandria

18Die Schlange

Epilog: Das Leben nach dem Tod

Nachwort

PROLOG

Ein Treffen bei Mondschein

Es war Nacht in Alexandria. Die Dunkelheit hatte sich über die größte Stadt der Erde gebreitet wie ein unheilvolles schwarzes Tuch.

Soldaten patrouillierten, die Speere fest in den Händen, die Palastmauern entlang. Es war der Spätsommer des Jahres 48 v. Chr., und Alexandria glich einem Pulverfass, das jederzeit explodieren konnte.

Fiel jemandem das ramponierte kleine Fischerboot auf, das soeben die äußere Hafenmauer umrundet hatte und jetzt auf einen etwas abgelegenen Holzsteg zuhielt?

Der Mann am Ruder vermied es, dem Feuer des großen Leuchtturms zu nahe zu kommen, dann legte er an. Mit geschickten Handgriffen vertäute er sein Boot, bevor er mit einem unhandlichen Bündel über der Schulter die Leiter hinaufkletterte.

War es ein Sack? Ein Teppich? Im Dunkeln war das nicht zu entscheiden. Den Wachtposten schien er nur ein gewöhnlicher Fischer zu sein, der nach einem langen Tag auf See spätabends zurückgekehrt war.

Lautlos wie ein Schatten bewegte sich der Mann die Kaimauer entlang, dann überquerte er das Hafengelände, ehe er sich nach Süden wandte und durch das große Tor in der Palastmauer im Garten des Palasts verschwand.

Dort setzte er im Schutz der Palmen seinen Weg fort. Eine Katze huschte über den Weg, ihre Augen funkelten im Dunkeln. Im Unterholz plapperte ein Affe vor sich hin.

Kein Wachtposten hielt ihn auf. Niemand fragte, was er hier zu suchen habe.

Dann überquerte er – das große Bündel über seiner Schulter fest in den Händen – einen weiten Innenhof, das leise Platsch-Platsch-Platsch seiner Füße auf dem Mosaikboden schien ungehört zu verhallen. Ein weiterer Garten, ein weiterer Hof – dann blieb er vor einer prächtigen Villa stehen.

Kurz war er im Mondlicht besser zu erkennen – er schien jemandem etwas zuzuraunen. Doch es war niemand zu sehen.

Er gab sich einen Ruck, eilte die Stufen hinauf, stieß die Flügeltüren auf – und war verschwunden.

Im Inneren des Gebäudes saß, bei flackerndem Kerzenlicht in Gedanken versunken, ein großer, hagerer Mann mit lichtem Haar und harten, kantigen Gesichtszügen. In fast jedem Winkel der mediterranen Welt kannte und fürchtete man seinen Namen.

Julias Cäsar war vor wenigen Tagen mit einer kleinen Kompanie des römischen Heeres in Ägypten gelandet. Doch er war noch gar nicht richtig von Bord gewesen, da hatte bereits alles schiefzugehen begonnen, was schiefgehen konnte.

Cäsars Soldaten kontrollierten zwar den Palast, doch letztlich waren sie eingekreist. Für die Einheimischen waren die Römer Eindringlinge – und die Spannungen wuchsen von Tag zu Tag. Und jetzt, da er im schummrigen Licht so vor sich hin starrte, fühlte er etwas in seinem Nacken.

Angst.

Plötzlich nahm er eine Bewegung wahr. Er blickte auf – und sah zu seinem Erstaunen einen Fremden in der Tür stehen, der ein Bündel über der Schulter trug.

Der Mann aus dem Boot sagte kein Wort. Als Cäsar aufsprang, kniete der Fremde bereits. Mit sanften, fast liebevollen Bewegungen breitete er das Bündel auf dem Boden aus und trat zurück.

Dem römischen Feldherrn fiel die Kinnlade herunter.

Im Schein der Kerzen begann sich das Bündel vor seinen Augen zu öffnen, und aus dem Stoff schälte sich, wie Phönix aus der Asche, einejunge Frau.

Auf ihrer Stirn funkelte ein Stern – ein königliches Diadem, gehalten von einem schneeweißen Band. Und als sie sich anmutig erhob, umspielte ein vielsagendes Lächeln ihre Lippen.

In den langen Jahren seines abenteuerlichen Lebens hatte Julius Cäsar schon vieles gesehen. Das hier jedoch war neu.

Die Frau lächelte. »Seid gegrüßt, Feldherr«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Ich bin Kleopatra.«

Inzwischen sind mehr als zweitausend Jahre vergangen, seit sich Kleopatra dem Teppich entwand, um Julius Cäsar zu begrüßen. Doch es bleibt einer der fesselndsten Augenblicke der Weltgeschichte.

Auf der einen Seite der kampferprobteste Heeresführer der römischen Welt, ein Mann von unbeugsamem Willen, der ganze Königreiche in die Knie gezwungen hatte.

Auf der anderen Seite eine zierliche junge Frau von nur einundzwanzig Jahren: Kleopatra VII., die Herrin von Ober- und Unterägypten, die letzte Pharaonin, die »Vaterliebende«, wie sie sich auch nannte. Eine Frau von außerordentlicher Klugheit und großem Charme, deren Name noch heute gleichbedeutend ist mit Glanz, Schönheit, Mut und Ehrgeiz.

Und obwohl Kleopatra in einer Welt lebte, die mit unserer scheinbar nichts zu tun hat, berührt uns das beispiellose Drama ihres Lebens noch immer – und inspirierte vor Jahrhunderten Shakespeare und heute die Macher von Videospielen.

Im Jahr 69 v. Chr. in Alexandria geboren – der Hauptstadt Ägyptens, einer Metropole des Vergnügens und der Philosophie, deren Straßen mit Wein und Blut getränkt waren –, war sie die letzte Königin einer schillernden Dynastie.

Sie entstammte einer Familie makedonischer Abenteurer, die mit Alexander dem Großen nach Ägypten gekommen waren. Sie sprachen Griechisch und pflegten griechische Bräuche, und in ihren Marmortempeln beteten sie zu den Göttern des Olymp – Zeus und Hera, Apollon und Athene.

Doch auf den staubigen Feldern und in den schlammigen Dörfern entlang des Nils folgten die Bauern ihren eigenen, uralten Traditionen. Sie verehrten die Götter Ägyptens – Isis und Osiris, Horus und Set –, wie es ihre Vorfahren seit Jahrhunderten getan hatten.

Es war eine magische, rätselhafte Welt, eine Welt orientalischer Gerüche und Gewürze. Und es war eine Welt, die es bald nicht mehr geben würde.

Als die kleine Kleopatra laufen lernte, waren die Mysterien Ägyptens und die Ruhmestaten Griechenlands bereits dabei, in Vergessenheit zu geraten. Auf der anderen Seite des Meeres erhob sich eine neue Weltmacht: die erbarmungslose Kriegsmaschinerie der Römischen Republik.

Kleopatras Schicksal war von Anfang an untrennbar mit dem Vormarsch Roms verknüpft. Sie wurde zur Pharaonin, als sie noch fast ein Kind war, und kämpfte wie eine Löwin, um ihr Heimatland zu verteidigen. Doch während alldem kamen die Wölfe unerbittlich näher.

Unter ihnen befanden sich einige der draufgängerischsten Kämpfer und listigsten Verschwörer der Geschichte. Pompeius der Große, Julius Cäsar, Marcus Antonius, Octavian … Ihre Namen hallen immer noch nach und sind zu Symbolen für die Gier und das Machtstreben der neuen römischen Weltordnung geworden.

Doch der Name Kleopatra – Königin und Göttin vom Nil, deren Traum von einem Imperium fast Wirklichkeit geworden wäre, aber auch Frau aus Fleisch und Blut, Tochter, Schwester, Mutter – überstrahlt sie alle.

Aber wir wollen der Geschichte nicht vorgreifen. Lassen wir Cäsar und Kleopatra in den Palastgärten des Spätsommers 48 v. Chr. nun allein und kehren wir zu den Abenteuern ihrer Kindheit zurück – in eine von Angst und Hass heimgesuchte Stadt.

Und beginnen wir mit einer Szene, in der allen, die sich schon einmal mit Kleopatras Geschichte beschäftigt haben, einiges bekannt vorkommen dürfte. Ein Mädchen, ein Grabmal und eine Schlange …

TEIL EINS – BLUTSBANDE

1

Das Mädchen am Grabmal

Hier, im Dunkeln, ruhte die Schlange – zusammengerollt an einem ihrer Lieblingsplätze auf dem steinernen Fußboden. Nur wenige Schritte entfernt schlief der Gott unter einer Platte aus durchscheinendem Alabaster.

Der Schlange waren Götter und Helden gleichgültig. Sie interessierte sich nur für das Sonnenlicht, das manchmal durch die Ritzen in den Wänden drang, und für die Mäuse und Eidechsen, die über den Boden der Grabkammer huschten.

Nichts anderes zählte. Der Aufstieg und Niedergang von Imperien, das blutige Geschick von Königen und Feldherrn, die ehrgeizigen Ziele von Königinnen und Prinzessinnen – das alles bedeutete der Schlange nichts.

Doch jetzt schreckte sie plötzlich auf. Etwas stimmte nicht. Eine kaum wahrnehmbare Bewegung. Schritte.

Eine Fackel flammte auf und in der Tür zeichneten sich die Umrisse einer Gestalt ab.

Es war ein Mädchen, klein und zierlich, in einer Leinentunika und Ledersandalen. Für einen Moment verharrte sie unsicher in der Türöffnung. Sie starrte die Schlange an und die Schlange starrte zurück.

Dann bewegte sich das Mädchen flink und entschlossen. Sie sprang so schnell an der Schlange vorbei, dass diese nicht einmal dazu kam, ihren Kopf zu heben und ihre Zähne zu zeigen. Schon war das Mädchen wieder verschwunden.

Im nächsten Moment stand das Mädchen vor dem steinernen Grab. Sie leuchtete mit der Fackel über die Alabasterplatte und betrachtete ehrfürchtig die schemenhafte Gestalt darunter.

Der Name des Mädchens war Kleopatra – in ihrem eigenen Alphabet: Kλεοπάτρα. Seit Generationen bekamen Mädchen in ihrer Familie diesen Namen. Er bedeutete »Ruhm ihres Vaters«.

Kleopatra war fast elf Jahre alt und ziemlich klein für ihr Alter. Der Schein der Fackel fiel jetzt auf ihre hohe Stirn, ihr entschlossenes Kinn, ihre bronzefarbene Haut und ihr aufgewecktes, intelligentes Gesicht.

Ihre großen Augen mit den schweren Lidern waren tief und dunkel. Ihr dichtes, schwarzes Haar trug sie geflochten und zurückgebunden. Ein paar Locken fielen ihr auf die Stirn, wie sie es bei den modebewussten Damen am Hof ihres Vaters gesehen hatte.

Wenn sie sich in ihrem bronzenen Spiegel betrachtete, musste sie sich eingestehen, dass sie keine besondere Schönheit war. Manchmal wünschte sie sich, die Götter hätten sie mit einem etwas weniger auffälligen Kinn bedacht, und ihre ältere Schwester zog sie ständig wegen ihrer Nase auf.

Doch das machte ihr nichts aus. Kleopatra wusste, dass es auf andere Dinge ankam.

Sie war ein Mädchen, das auffiel. An das man sich erinnerte. Sie wusste, wie man andere Menschen bezauberte, wie man sie zum Lachen brachte und sie für sich gewann.

Sie war in den frühen Monaten des Jahres 69 v. Chr. zur Welt gekommen, in der Stadt Alexandria im Königreich Ägypten. Sie war eine Prinzessin aus dem Geschlecht der Ptolemäer, der reichsten und berühmtesten Familie der Welt.

Ihr Vater war der zwölfte Ptolemäer, der als Pharao – oder König – über Ägypten herrschte. Sie kannte all seine Titel und Beinamen auswendig: Ptolemaios XII., der neue Dionysos, König beider Länder, der jugendliche Horus, geliebt von Ptah und Isis, auserwählt von der Sonne, Erbe des Erlösers, das Entzücken im Herzen Amuns …

Für die meisten Einwohner Alexandrias war er aber einfach »Auletes« – der Flötenspieler – wegen seiner Begeisterung für musikalische Wettbewerbe und Feste an seinem Hof. Wenn man direkt mit ihm sprach, benutzte man diesen Namen aber besser nicht.

Kleopatra war das zweite von fünf Kindern, und manche sagten, sie sei ihm von allen die Liebste. Zweifellos fühlte sie sich ihrem Vater näher als ihrer Mutter, einer schüchternen und nervösen Frau, die nur selten die königlichen Gemächer verließ.1

Beim Gedanken an ihre Mutter, die gerade im Palast schlief, konnte sich Kleopatra ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Mutter hätte so etwas nie gewagt!

Kleopatra hatte ihr mitternächtliches Abenteuer bis ins letzte Detail geplant. Sie war schon öfter in der Grabkammer gewesen, aber immer nur zusammen mit ihren Eltern, ihren Schwestern und einer ganzen Armee königlicher Leibwächter.

Seit sie ein kleines Mädchen war, hatte sie davon geträumt, dem Gott ganz allein einen Besuch abzustatten, um ihn in Ruhe betrachten zu können – ohne die Horde von Dienern und Wachen. Nur sie beide: der größte Held, der je gelebt hatte, und das Mädchen, das sein Andenken ehrte.

Sich aus dem Palast zu schleichen, war der einfachste Teil gewesen. Sie hatte bis Mitternacht gewartet, um sicherzugehen, dass ihre Schwestern tief und fest schliefen, war aus dem Fenster geklettert und hatte sich im Schatten der Palastmauern an den Wachen vorbeigeschlichen.

Die Königsgräber befanden sich in unmittelbarer Nähe des Palastes. Es hatte sie also nicht viel Zeit gekostet, dorthin zu gelangen. Doch Alexandria bei Nacht war nicht gerade der geeignete Ort für ein kleines Mädchen, vor allem wenn gerade ein religiöses Fest im Gange war und die Stadt voll ausgelassen Feiernder.

Sich an den Wächtern der Grabanlagen vorbeizustehlen, war die größte Herausforderung gewesen. Eine Ewigkeit hatte sie im Dunkeln ausgeharrt.

Dann hatte das Schicksal ihr zugelächelt. Etwas weiter weg torkelten ein paar Mädchen mit einer Flasche Wein die Straße hinunter und prusteten vor Lachen. Sie riefen den Wachen zu, ob sie nicht auf einen Schluck herüberkommen wollten, worauf sich diese nicht lange bitten ließen – und Kleopatra nutzte ihre Chance.

Jetzt, im Schein der Fackel, glühte ihr Gesicht vor Aufregung. Sie wusste, dass ihr wahrscheinlich nicht viel Zeit blieb, und ihr Herz pochte heftig.

Sie hielt die Fackel näher und legte ihre Hand auf das steinerne Grab. Dann flüsterte sie – fast unhörbar – seinen Namen.

Alexander.

Alexander starrte sie durch den milchigen Alabaster mit kalten, leeren Augen an.

Für Kleopatra war er mehr als nur ein großer Pharao. Er war ein Krieger, ein Held, König der Könige und Sohn des Zeus. Es war Alexander, der ihre Vorfahren nach Ägypten gebracht hatte; Alexander, der diese Stadt gegründet hatte. Alles, was sie besaßen, verdankten sie ihm.

Kleopatra hatte die Geschichte schon tausendmal gehört. Vor dreihundert Jahren war Alexander in Makedonien – einem wilden, zerklüfteten Land voller Wälder und Berge – auf die Welt gekommen. Nachdem er im Alter von zwanzig Jahren König geworden war, hatte er seine Männer über das Meer geführt, um Krieg gegen den großen König von Persien zu führen, und eine Schlacht nach der anderen gewonnen.

Nach seiner Ankunft in Ägypten war er zum Herrn über beide Länder2 gekrönt worden, Erbe des Horus, geliebt von Amun. Er hatte die Wüste durchquert, um das geheimnisvolle Orakel von Siwa zu befragen. Es hatte ihm offenbart, dass er der Sohn des Gottes Zeus-Amun war.

Danach hatte er seine Reise fortgesetzt, war auf die sagenumwobenen Amazonen gestoßen, hatte die wunderschöne Roxana geheiratet und seine Männer in das afghanische Gebirge und bis zu den Flüssen Indiens geführt.

Nachdem Alexander gestorben war, vom Schicksal niedergestreckt mit gerade mal zweiunddreißig Jahren, fielen seine Freunde übereinander her. Sein Traum eines weltumspannenden Imperiums schien mit Alexander gestorben, als seine Gefährten noch um die Beute stritten.

Doch einer der makedonischen Anführer dachte schneller als seine Rivalen: Alexanders Kindheitsfreund Ptolemaios, Kleopatras Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßvater.

Ptolemaios war Alexander während all ihrer Abenteuer nie von der Seite gewichen. Scharfsinnig und klug wie er war, kehrte er nach dem Tod seines Freundes auf schnellstem Weg nach Ägypten zurück.

Ptolemaios hatte als einziger von Alexanders Heerführern begriffen, dass Ägypten die wertvollste Trophäe von allen war. Und – nicht minder wichtig – Ägypten war am leichtesten zu verteidigen, weil seine riesigen Wüsten einen natürlichen Schutz gegen einfallende Armeen boten.

So hatte sich Ptolemaios in der alten ägyptischen Hauptstadt Memphis selbst zum König und Pharao gekrönt. Er hatte sich zum Erben Alexanders erklärt und die Leute glaubten ihm. Kleopatra wusste, dass ihr Urahn als Zeichen für die Gunst Alexanders das Kostbarste mitgebracht hatte, das man sich nur vorstellen konnte – den Leichnam seines alten Freundes.

Nach Alexanders Tod war dessen Leichnam einbalsamiert worden, damit er, in eine Mumie verwandelt, seine Heimreise antreten konnte. Ptolemaios hatte den Leichenzug zurück nach Makedonien jedoch von seinen Männern abfangen lassen und den Leichnam kurzerhand nach Ägypten mitgenommen.

Hier hatte Alexander seine letzte Ruhe gefunden, in der Stadt, die seinen Namen trug, in einer nach Weihrauch duftenden Kammer im Herzen der königlichen Grabanlagen – kein gewöhnlicher Mann mehr, sondern einer der Unsterblichen. Jahr für Jahr kamen Tausende von Pilgern, um ihm ihren Respekt zu bekunden. Kleopatras Vater war der Zeremonienmeister bei den Ritualen zu Ehren des großen Gottkönigs.

Und jetzt, in der Stille der Nacht, hatte ihn Kleopatra ganz für sich allein.

Sie wusste nicht, wie lange sie schon hier gestanden hatte, eine Hand am steinernen Sarkophag, den Blick auf die mumifizierte Gestalt unter der dünnen Alabasterplatte fixiert.

Vor ihrem inneren Auge sah sie einen Jungen mit zerzausten Haaren, der auf dem Rücken eines prächtigen schwarzen Hengstes saß. Sie sah eine riesige Flotte, die sich auf glitzernden Wellen bis zum Horizont erstreckte; einen Krieger, der seinen schimmernden Speer schleuderte; Männer, die durch den Wüstensand taumelten.

Die Fackel flackerte. Das Licht tanzte auf dem Stein, und für einen Moment bildete sich Kleopatra ein, Alexander hätte sich bewegt.

Sie spürte das Blut in ihrem Kopf pochen.

Wenn er sie jetzt sehen könnte, was würde er dann über sie denken? Und was würde er von dem Königreich halten, über das ihre Familie herrschte?

Als Nachfahren von Ptolemaios regierte ihre Familie seit drei Jahrhunderten die beiden Länder, Unter- und Oberägypten. Andere Imperien waren aufgestiegen und gefallen, doch ihres hatte überdauert, das reichste Land der Erde.

Als Pharao hatte Ptolemaios Ägypten dann zu einer gefürchteten Macht gemacht. Er hatte eine Flotte bauen lassen und die Insel Zypern erobert. Er hatte die Grenzen des Reichs nach Norden bis zur syrischen Küste ausgedehnt, nach Westen bis in die Wüstengebiete Lybiens und nach Süden bis nach Nubien, das so reich an Gold und Elefanten war.

Als Ptolemaios dann mit weit über achtzig friedlich in seinem Bett starb, ging die Krone auf seinen Sohn über. Dieser Ptolemaios baute auf den Fundamenten seines Vaters auf und verwandelte Alexandria in die größte Stadt der Welt, berühmt für ihren geschäftigen Hafen, ihr Museum, ihre riesige Bibliothek und ihren gigantischen Leuchtturm.

Auf ihn folgte wieder ein Ptolemaios, dann noch einer – und so weiter bis zu Kleopatras Vater, dem zwölften in dieser Linie. Niemand fand es seltsam, dass sie alle Ptolemaios hießen. Es ging darum, die Menschen nicht vergessen zu lassen, dass die ägyptischen Herrscher aus dem Geschlecht der Ptolemäer alle von dem berühmten makedonischen Feldherrn abstammten, der mit seinem Freund Alexander die ganze Welt erobert hatte.

Doch die Ptolemäer hatten eine merkwürdige Angewohnheit: Sie heirateten nie außerhalb ihrer Familie, sondern stets ihre Schwestern. Ptolemaios II. hatte damit begonnen, indem er seine ältere Schwester Arsinoë zur Frau nahm.

Die Leute waren darüber entsetzt, weil dies in ihren Augen gegen alle Gesetze der Natur verstieß. Andere hielten dagegen, Ptolemaios sei schließlich ein Gott wie Alexander und könne tun und lassen, was ihm gefalle. Hatte Zeus, der Göttervater, nicht seine Schwester Hera geheiratet? Warum sollte also nicht auch Ptolemaios II., König von Ägypten, seine Schwester heiraten?

In mancherlei Hinsicht brachten die Geschwisterehen auch Vorteile mit sich. Die Ptolemäer waren Makedonier, die ein fremdes Land regierten, dessen Sprache sie nicht beherrschten. Indem sie untereinander heirateten, blieben sie ihrer Abstammungslinie treu. Das stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl der Makedonier und verhinderte, dass jemand, der nicht zu ihrer Familie gehörte, jemals den Thron besteigen könnte.

Natürlich führten diese Geschwisterehen zu einem unglaublich verwirrenden Stammbaum – und zu brennender Eifersucht und erbitterter Rivalität. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Ptolemäer berüchtigt für ihre grausamen Familienfehden. Söhne wandten sich gegen ihre Mütter, Schwestern gegen ihre Brüder. Es war ein endloser Kreislauf aus Verschwörungen und Verrat.

Das krasseste Beispiel ist Ptolemaios VIII., der von seinen Untertanen den Spitznamen »Physkon« (Fettsack) erhielt. Während seiner blutrünstigen Herrschaft nahm er seine Schwester zur Frau, die zuvor mit einem anderen Bruder verheiratet gewesen war. Danach heiratete er auch seine Tochter, die nun zugleich seine Nichte, seine Schwiegertochter und seine Frau war.

Konnte das gut gehen? Nein. Als seine Frau sich bei ihm beschwerte, bestrafte er sie, indem er ihren vierzehnjährigen Sohn in Stücke hacken und ihr diese als Geburtstagsgeschenk schicken ließ. Sie rächte sich an ihm, indem sie die blutigen Überreste ihres Sohnes öffentlich zur Schau stellte. Die Einwohner Alexandrias liefen vor Wut Amok.

Ptolemaios VIII. und seine Frauen waren natürlich längst tot, doch Kleopatra betrachtete sein Leben als eine Warnung.

Sie war in unvergleichlichem Reichtum aufgewachsen, in einer Welt aus Marmor und Mosaiken, Perlen und Smaragden, Gold und Elfenbein. Doch Kleopatra wusste, dass der Hof der Ptolemäer ein gefährlicher Ort war und ein einziger Fehler ein furchtbares Ende bedeuten konnte.

Manchmal hörte sie Stimmen, die sich in versteckten Winkeln des Palastes etwas zuraunten. Sie hatte Männer seltsame Blicke tauschen gesehen, wenn ihr Vater gerade woanders hinsah. Und erst kürzlich hatte sie etwas bemerkt, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken gejagt hatte.

Ihre ältere Schwester Berenike war achtzehn Jahre alt und eine stolze junge Frau. Berenike hatte daraus, dass sie von ihrem Vater genervt war, nie einen Hehl gemacht, hatte hinter seinem Rücken oft gestöhnt und die Augen verdreht.

Vor ein paar Tagen hatte Kleopatra während eines festlichen Abendessens im großen Marmorsaal beobachtet, wie Berenike ihren Vater angestarrt hatte. Aber nicht so, wie genervte Jugendliche ihre Eltern eben manchmal anstarren. In ihrem Blick hatte Hass gelegen – Hass, so kalt wie der Tod.

Die Fackel loderte auf, flackerte und erlosch.

Kleopatra erstarrte. Sie war allein im Dunkeln – mit der Schlange.

Im nächsten Moment hörte sie ein Geräusch. Das Knirschen von Stiefeln auf sandigem Boden, und die Schritte kamen immer näher …

Sie reagierte schnell. Mit der Anmut einer Gazelle huschte sie an der Schlange vorbei und drückte sich gegen die Wand.

Zwei Wachen marschierten zur Tür herein. Sie hoben ihre Fackeln. Die Griffe ihrer Schwerter schimmerten im Halbdunkel. Sie hatten nur Augen für Alexander.

Kleopatra hielt die Luft an und rührte sich nicht. Die Männer traten näher an das Grab heran. Fast beiläufig zog einer von ihnen sein Schwert und schob die Schlange zur Seite.

In diesem Moment, mit der Wucht einer Explosion, setzte sich Kleopatra in Bewegung. Sie stieß sich von der Wand ab, stürzte durch die offene Tür und raste den steinernen Korridor hinunter, den Blick nur nach vorne gerichtet.

Gerade als sie sich fragte, ob dieser Korridor denn nie aufhörte, war sie in der äußeren Kammer – und schon wieder an einer Kompanie Wachen vorbei. Sie stolperte durch den Eingang, hastete die Treppe hinunter, dann linksrum die Straße entlang. Noch eine Ecke, noch eine Straße, und um diese Ecke da vorne noch …

Und … durchatmen.

Kleopatra sank auf dem Pflaster zusammen und lachte erleichtert auf. Jetzt würden die Wachen sie bestimmt nicht mehr erwischen! Sie musste jetzt nur noch zurück in den Palast, dann war sie in Sicherheit.

Für einen Moment lehnte sie ihren Rücken gegen den Sockel einer Statue. Sie sog die Luft tief in ihre Lungen, bis sie ihre Kräfte zurückkehren fühlte. Dann rappelte sie sich auf und ließ ihren Blick schweifen, um sich zu orientieren.

Der Morgen dämmerte bereits. Weit im Osten, über dem drückend heißen Nildelta, sickerte das Rosa und Gelb des Morgens in die samtige Schwärze der Nacht.

In dieser frühen Stunde erwachte Alexandria bereits zum Leben. Kleopatras Lehrer hatten ihr erzählt, dass die Stadt niemals schliefe, und als sie sich nun umsah, wurde ihr klar, was sie damit meinten.

Die ersten Karren rumpelten die Straße hinunter. Eine Gruppe von Seeleuten schwankte betrunken um die Ecke, wahrscheinlich auf dem Weg zurück zum Hafen. Ihnen folgte eine Kolonne von Söldnern, ihre Gesichter von roten Narben übersät, zweifellos Männer ihres Vaters.

Auf der anderen Seite der großen Kanopischen Straße waren die Kichererbsenverkäufer gerade dabei, ihre Stände aufzubauen. Ein paar Schritte entfernt pickten schwarz-weiße Ibisse3 nach Krümeln.

Im morgendlichen Zwielicht nahm Kleopatra bereits die allgegenwärtige Hitze der Stadt war – und ihre Gerüche. Die salzige Brise des Meeres, die Gewürze des Marktes, der Schweiß einer halben Million Männer, Frauen und Kinder aus allen Teilen der bekannten Welt.

Kleopatras Lehrer wurden nie müde zu betonen, dass Alexandria die Stadt Alexanders sei. Er hatte diesen Ort an der Mittelmeerküste selbst ausgewählt, mit dem Mareotis-See im Süden und einem Arm des Nils ein paar Kilometer Richtung Osten.

Der Legende zufolge hatte der Gottkönig selbst die ersten Pläne für die Stadt in den Sand gezeichnet. Und in den Jahren, die folgten, hatten die Ptolemäer ein Vermögen ausgegeben, um diese Pläne Wirklichkeit werden zu lassen.

Aus ganz Griechenland waren Architekten und Seeleute, Kaufmänner und Erfinder geholt worden. Hirten aus dem ägyptischen Buschland waren in die Stadt geströmt, in der Hoffnung, dort Arbeit als Träger oder Hafenarbeiter zu finden. Derweil stampften die Bautrupps ein rechtwinkliges Netz aus Straßen und Säulengängen aus dem Boden, ein weiß schimmerndes antikes Manhattan aus Kalkstein – mit Badehäusern, Theatern, Tempeln und Geschäften.

Den meisten Menschen erschien Alexandria wie ein Wunder. »Viele sahen in ihr die erste Stadt der zivilisierten Welt«, schrieb ein griechischer Besucher. »Allen anderen weit voraus an Eleganz, Größe, Reichtum und Luxus.«

Doch war Alexandria nicht nur eine Stadt der Schönheit und des Wissens, der Politik und des Vergnügens. Es war auch eine Stadt voller Gewalt und Zauberei, in der es Giftmischern, Wahrsagern, hartgesottenen Dieben und Auftragsmördern niemals langweilig wurde.

Die Leute kamen nach Alexandria, um die Welt zu sehen und ihr Glück zu machen. Der eine verließ die Stadt mit Gold genug fürs ganze Leben – der andere auf einem Karren mit einem Messer zwischen den Rippen.

Eine Zeit lang saß Kleopatra dort einfach so da, unbemerkt inmitten des geschäftigen Treibens und gebannt vom Schauspiel der erwachenden Stadt.

Ihre scharfen dunklen Augen nahmen alles in sich auf. Sie sah jüdische Kaufleute, die aus den Vororten im Osten in die Stadt strömten und angeregt in ihrer Muttersprache miteinander plauderten. Sie sah ägyptische Bauarbeiter, die aus der entgegengesetzten Richtung kamen, harte, wettergegerbte Männer, die herzhaft über ihre derben Witze lachten.

Sie sah Katzen, die über die Dächer der Säulengänge spazierten, und Affen, die schnatternd um ihr Futter kämpften. Sie sah mächtige, rosa schimmernde Sphinx-Statuen, hoch aufragende, von Falken und Habichten gekrönte Marmorsäulen, die riesigen Krokodil-Götter und kalt und ernst dreinblickende Pharaonen.

Sie sah die Gelehrten auf dem Weg in die Bibliothek, die Botschafter, die Neuigkeiten austauschten, die gerade übers Meer hereingekommen waren, die Träger, die sich unter ihrer Last zusammenkrümmten, die Sklavinnen, die zu den Märkten der Stadt eilten …

Und während sie dort saß, ihr Gesicht in der Sonne, fielen Kleopatra allmählich die Augen zu. Nach ihrem mitternächtlichen Abenteuer überfiel sie nun eine bleierne Müdigkeit.

Doch plötzlich schreckte sie auf. Was um alles in der Welt dachte sie sich nur dabei? Die Sonne ging bereits auf, auch der Palast erwachte zum Leben, und sie musste zurück sein, bevor irgendjemand ihre Abwesenheit bemerkte. Wenn ihr Vater herausbekam, dass sie sich ohne Leibwächter davongeschlichen hatte, würde er fuchsteufelswild werden.

Während sie mühsam auf die Beine kam, fiel ihr Blick auf einen Mann auf der anderen Straßenseite, der sie anstarrte, als würde er sie kennen. Erschrocken rannte sie los. Nun drehten sich auch andere Leute zu ihr um, verwundert darüber, so ein junges Mädchen in aller Frühe durch die Straßen hasten zu sehen.

Kleopatra jagte mit wild pochendem Herzen dem Palast entgegen und hoffte inständig, dass sie noch früh genug dran sein würde. Doch als sie um die letzte Ecke spurtete, sah sie sofort, dass ihre Hoffnung sich nicht erfüllen würde.

Direkt vor ihr, auf den Stufen des Palastes, wartete bereits ein kleines Grüppchen. Das erste Gesicht, das sie erkannte, war das von Berenike – ihr schönstes selbstzufriedenes Lächeln auf den Lippen.

Neben ihr die vierjährige Arsinoë, die sich an die Hand ihrer Mutter klammerte. Dann die zwei kleinen Jungs – der zweijährige Ptolemaios senior, dicklich und selbstgefällig, und der winzige Ptolemaios junior, der sich in die Arme seiner Amme schmiegte und schon zu weinen begann.

Und über allen thronte ihr Vater, flankiert von seinen Wachen, das funkelnde königliche Diadem auf der Stirn.

Kleopatra warf ihm einen flehentlichen Blick zu, doch das Gesicht des Pharaos war wie versteinert und er schüttelte nur langsam den Kopf.

Kleopatra hatten den Tag unter strengstem Hausarrest verbracht. Jetzt, am Abend, stand sie gedankenverloren an ihrem Fenster und sah hinaus.

Ihr Blick wanderte über die Skyline – von der großen Bibliothek, wo die Gelehrten bei Kerzenlicht sicher immer noch arbeiteten, zum Hippodrom, in dem ihr Vater zur Unterhaltung der Massen Wagenrennen veranstaltete. Sie blickte zu den Docks und Lagerhäusern hinüber, wo immer noch Schiffe entladen wurden. Dahinter lag die Insel Pharos, die mit dem Festland durch einen langen Damm verbunden war.

Darüber, strahlend wie die Sonne, sah sie die Fackel des weißen Leuchtturms, die von einer Zeus-Statue gehalten wurde.4 Weit draußen auf dem Meer, so sagten ihre Lehrer, würden die Seeleute bereits nach dem Leuchtfeuer Ausschau halten und zu den Göttern beten, sie sicher nach Hause zu bringen.

Kleopatra sah all diese Dinge, doch mit ihren Gedanken war sie ganz woanders: bei Alexander, mit dem sie Seite an Seite in die Schlacht ritt; Berge bestieg und Wüsten durchquerte; ihre Truppen nach vorne trieb und ein Weltreich schuf, das tausend Jahre überdauerte.

Die Sonne, die sich blutrot vom Himmel abhob, neigte sich dem Horizont entgegen. Das Zwitschern der Vögel verklang ebenso wie der Lärm der Straßen. Schatten krochen über das Wasser des Hafenbeckens.

Als die Stadt schon lange schlief, stand Kleopatra immer noch am Fenster, allein im Dunkeln, versunken in ihre Träume von Ruhm und Ehre.

1Aufgrund der spärlichen Zeugnisse weiß die Geschichtswissenschaft fast nichts über Kleopatras Mutter. Manche gehen davon aus, dass sie gebürtige Ägypterin war, was ich aber für unwahrscheinlich halte. Sie entstammte mit ziemlicher Gewissheit derselben makedonischen Dynastie.

2Ober- und Unterägypten

3Ein Ibis ähnelt einem Storch und hat enorm lange Beine. Der griechische Geschichtsschreiber Strabo berichtet, dass Alexandria stets voll von Ibissen gewesen sei, die nach Essensresten suchten.

4Der Leuchtturm von Alexandria gilt als eines der sieben Weltwunder der Antike. Er wurde während der Regentschaft von Ptolemaios II. erbaut und hatte über tausend Jahre Bestand, bis er schließlich einem Erdbeben zum Opfer fiel.

2

Die Götter von Memphis

Wenige Wochen nach Kleopatras mitternächtlichem Abenteuer rief sie ihr Vater in seine Privatgemächer.

Es war früh am Morgen und Kleopatra hatte noch nicht gefrühstückt. Sie stand dort eine gefühlte Ewigkeit, starrte auf das Teppichmuster und wurde immer hungriger.

Ihr Vater stand zusammen mit einem dicht gedrängten Pulk Berater über einen Tisch voller Schriftrollen gebeugt und murmelte irgendetwas von einer Insel irgendwo, die irgendwann mal ihren Vorfahren gehört hatte. Schließlich wurde es Kleopatra zu langweilig, fortwährend auf ihre Füße zu starren, und sie begann, sich mit kaum verborgener Neugier in dem Raum umzusehen.

Im Arbeitszimmer ihres Vaters gab es so einiges zu sehen: Die Decke war mit Edelsteinen verziert, sein Schreibtisch bestand aus kostbarem Zedernholz, und die Wandmosaike hatten wertvolle Gold- und Glaseinlagen. Selbst die Blumen dufteten betörender als alle, die sie kannte.

Schließlich stand ihr Vater auf und trat ans Fenster, während seine Berater rasch die Papiere einsammelten und sich unter zahlreichen Verbeugungen und Ehrbezeugungen aus dem Zimmer zurückzogen.

Für einen Moment sprach ihr Vater kein Wort, sondern blickte schweigend auf die Stadt. Dann drehte er sich abrupt um.

Sie würden eine Reise antreten, sagte er knapp. Er habe bereits befohlen, ihre Sachen zu packen. Sie solle in einer Stunde bereit sein.

Kleopatra öffnete ihren Mund, um zu protestieren und zu fragen, was denn mit ihrem Frühstück sei.

Doch dann sah sie den Blick ihres Vaters und besann sich eines Besseren.

Eine Stunde später glitt die königliche Barke auf den Mareotis-See hinaus. Die Ruderer fielen in ihren Rhythmus und begannen mit heiseren Stimmen ein Lied zu singen. Es dauerte nicht lange und sie erreichten den Kanal, der sie dem Nil entgegenführte.

Obwohl sie ihrem Vater das ausgefallene Frühstück noch nicht ganz verziehen hatte, liebte Kleopatra die Reisen mit der königlichen Barke. Nichts auf der Welt kam ihnen gleich.

Sie war über neunzig Meter lang, bestand aus kunstvoll geschnitztem Holz, Bronze und Elfenbein und war mit großen vergoldeten Statuen von Göttern und Pharaonen verziert. Ihr Inneres barg neben fünf Speisezimmern mehrere Küchen, Schlafgemächer, eine Bibliothek, einen Raum zur Körperertüchtigung, einen kleinen Garten, ein Badezimmer, Ställe für die Pferde, den griechischen Göttern Dionysos und Aphrodite gewidmete Schreine und sogar ein Aquarium.

Jedes Detail, von den violetten Baldachinen bis zu den verzierten Decken, atmete Macht und Reichtum. Im Grunde war es weniger ein Boot als ein schwimmender Vergnügungspalast.

In seinem Kielwasser befand sich eine kleine Flotte von Versorgungsbooten, die Vorräte und Diener, Sekretäre und Leibwächter transportierten. Der Herr beider Länder überließ nichts dem Zufall.

Sie wandten sich gen Süden, dem großen Fluss entgegen. Die kühlen Säulengänge Alexandrias verschwanden im Dunst.

Die griechische Welt – die Welt der Wissenschaftler und Erfinder, der Theater und Bibliotheken – lag nun hinter ihnen. Als Kleopatra auf dem Deck ihren Blick schweifen ließ, funkelten ihre Augen vor Aufregung. Dies war Ägypten, das wahre Ägypten – alt und geheimnisvoll, voller Magie und Mysterien.

Die Hitze nahm zu. Staubschwaden hingen in der Luft und über dem Wasser des Deltas tummelten sich Tausende Fliegen.

Die Dattelpalmen, die den Fluss säumten, bogen sich unter ihrer Last goldener, reifer Früchte. Nackte Kinder mit brauner Haut liefen am linken Ufer entlang, jubelten und winkten.

Ein Fischer hob die Hand zum Gruß, ein Affe tollte im Schilf herum. Ein Krokodil ließ sich mit erwartungsvoll funkelnden Augen ins Wasser gleiten. Vom anderen Flussufer warf ein Nilpferd Kleopatra einen grimmigen Blick zu und gähnte dann herzhaft.

So weit das Auge blicken konnte, dehnte sich der Nil vor ihnen aus – bis ins Herz Afrikas.

Die Stunden vergingen. Schließlich verlangsamte sich der Rhythmus der Ruderer, die Sonne versank in den schlafenden Sümpfen, und die Nacht senkte sich über das Nildelta.

Zwei Tage lang setzten sie ihren Weg in Richtung Süden fort.

Nach und nach wich das Sumpfgebiet goldenen Maisfeldern und vereinzelten Gehöften aus Lehmziegeln.

Am dritten Tag ihrer Reise erblickte Kleopatra am westlichen Horizont große, goldene Dreiecke, die sich deutlich vor dem blauen Himmel abzeichneten. Ihr Gesicht leuchtete vor Freude.

»Die Gräber der alten Könige«, sagte ihr Vater leise.

Kleopatra wusste bereits alles über die Pyramiden. Sie war fasziniert von der ägyptischen Geschichte und hatte sogar eines ihrer Dienstmädchen gebeten, ihr Ägyptisch beizubringen – eine Sprache, die für ihre Kompliziertheit berüchtigt war und die keiner aus ihrer Familie je gelernt hatte.

Sie wusste, dass Ägypten ein altes Land war, das älteste der Welt. Fast dreitausend Jahre lang hatten die Pharaonen über die beiden Länder geherrscht. Sie verdankten alles dem Nil, der in weiter Ferne in Afrika entsprang, bevor er sich ins Nildelta auffächerte und ins Mittelmeer mündete.

Für die einfachen Ägypter war der Nil mehr als ein Fluss. Er war der Vater des Lebens und die Mutter aller Menschen. Er versorgte sie mit Lehm für ihre Ziegel und mit Wasser für ihr Getreide, mit Fischen für ihre Mahlzeiten und mit Schilf für ihr Papyrus, eine Art dickes Papier. Jedes Jahr im Spätsommer trat der Nil über seine Ufer und überflutete die Felder. Wenn er sich wieder zurückzog, ließ er die Erde feucht und dunkel zurück und ermöglichte es den ägyptischen Bauern, Gerste, Weizen und Gemüse anzubauen.

Die Segnungen des Nils hatten Ägypten reich gemacht. Seine ersten Könige hatten Dörfer und Städte gebaut, Flotten und Armeen aufgestellt und so eines der ersten Großreiche der Welt geschaffen. Die ersten Pharaonen verfügten über Unmengen von Handwerkern und Sklaven, die sie monumentale Grabstätten errichten ließen – als steinerne Zeugnisse ihres Reichtums und ihrer Macht. Darin ruhten sie dann bis in alle Ewigkeit, umgeben von einem glitzernden Haufen Schätze.

Doch diese Tage waren längst vorbei. Als Kleopatra jetzt, ihre Hand schützend über ihren Augen, die große Pyramide von Gizeh betrachtete, sah sie ein Bauwerk, das bereits über zweitausend Jahre alt war.5

Seitdem hatte sich vieles verändert. So waren zum Beispiel die Ptolemäer, als sie sich in Ägypten niederließen, von Tausenden griechischen Siedlern begleitet worden.

Die meisten Neuankömmlinge waren in Alexandria geblieben, wo sie ihre alten Bräuche pflegen und den Göttern des Olymps huldigen konnten. Einige griechische Soldaten hatten in Fayyum, einer großen, von Menschen geschaffenen und von Nil-Kanälen bewässerten Oase, eigene Höfe gebaut.

Die Bewohner der kleineren Dörfer dort verehrten den Flussgott Sobek, der den Kopf eines Krokodils hatte. In der wichtigsten Stadt am See der Oase (dem Moeris-See) hielten die Priester sogar ein heiliges Krokodil, das mit Juwelen geschmückt war und mit den feinsten Fleischstücken gefüttert wurde. Die griechischen Soldaten nannten diesen Ort Krokodilopolis – Krokodilstadt.

Wenn man von Krokodilopolis nach Süden ritt, hörte man tagelang kein einziges Wort Griechisch. Hier, weit weg von allen größeren Ortschaften oder Städten, führten die ägyptischen Bauern ein Leben, das sich seit dem Zeitalter der Pyramiden kaum geändert hatte.6

Kleopatra stand an der Reling der Barke und blickte hinaus in den Dunst – die antiken Grabmäler waren in der Ferne kaum noch auszumachen. Neugierig betrachtete sie jetzt die einfachen Häuser aus Lehmziegeln und die Kinder, die zwischen den Büschen herumtollten.

Wie sehr sich deren Leben doch von ihrem eigenen unterschied. Wie mochten sie ihre Tage verbringen? Was für Hoffnungen, Ängste, Träume und Albträume hatten sie?

Viele ägyptische Kinder erlebten nicht einmal ihr Teenageralter. Und etwa jedes dritte starb bereits vor seinem ersten Geburtstag an einer der Krankheiten, die am Ufer des Nils grassierten. Wer überlebte (viele schrieben das den magischen Amuletten zu, die man ständig trug), verbrachte einen Großteil seiner Zeit damit, den Eltern bei der Aussaat und Ernte zu helfen. Nur wenige lernten lesen und schreiben und noch wenigere träumten von einem Leben außerhalb ihres Dorfes.

Doch kannten auch sie ihre Vergnügungen. Ägyptische Kinder verbrachten viele Stunden draußen an der Sonne beim Um-die-Wette-Laufen, Schwimmen oder Herumbalgen. Sie kannten Murmeln, spielten Bockspringen oder alberten mit den Tieren der Familie herum; viele waren auch stolze Besitzer von Stoffpuppen oder kleinen Holztieren. Außerdem vertrieben sie sich ihre Zeit mit Brettspielen, von denen das bekannteste Senet hieß. Das Spielbrett mit dreißig Feldern sowie zwei Sätze mit Spielfiguren wurden in einem Kasten aufbewahrt.

Wenn sie das Jugendalter erreichten, lernten die Mädchen, zu kochen, zu putzen und den Haushalt zu führen. Die Jungen traten in die Fußstapfen ihrer Väter, wurden Hirten, Bauern, Fischer oder Bauarbeiter.

Doch ganz gleich, wohin ihre Wege sie führten: Nur wenige Ägypter hatten eine Vorstellung von den prächtigen Mosaiken und funkelnden Palästen, die für Kleopatra selbstverständlich waren. Sie kannten nichts als ihr Dorf und ihr Häuschen, mit seinen Lehmziegelwänden und seinem Fußboden aus festgetretener Erde, in dem sich ganze Familien einen einzigen Raum teilten.

Für Kleopatra und ihre Schwestern war hingegen nur das Beste gut genug: die weichsten Gewänder, die elegantesten Sandalen, die ausgefallensten Accessoires. Ihre ägyptischen Untertanen konnten sich nur die einfachsten Umhänge und Tuniken aus Leinen oder Baumwolle leisten. Und die allermeisten Frauen hätten von den Cremes und der Schminke, die Kleopatra jeden Tag benutzte, nicht einmal zu träumen gewagt. Stattdessen färbten sie ihre Haare mit Henna rot und schminkten sich um die Augen schwarz – mit einem Pulver, das Kohl (oder Kajal) hieß und aus einem dunklen Stein hergestellt wurde.

Und während Kleopatra den prachtvollsten Goldschmuck trug, den man sich für Geld kaufen konnte, trugen einfache Ägypterinnen schlichte Armreife und Ohrringe, die aus Perlen, Kupfer oder einer Art Keramik (von Archäologen »Ägyptische Fayence« genannt) bestand.

Auch das, was man jeden Tag aß oder trank, hätte unterschiedlicher nicht sein können. Im gesamten Mittelmeerraum staunten die Menschen über die Berichte von den üppigen Banketten der Ptolemäer, bei denen Unmengen Rindfleisch, Gans, Oktopus und Tintenfisch verzehrt und mit krügeweise gesüßtem Wein heruntergespült wurden.

Die meisten Ägypter mussten sich mit sehr viel einfacheren Mahlzeiten begnügen. Die Bauern aßen mit ihren Fingern und teilten sich Brot, Zwiebeln, Käse und Knoblauch aus einer gemeinsamen Schale, die in ihrer Mitte auf dem Boden stand.

Statt Wein tranken sie eine Art nicht besonders starkes Bier, das vom Aussehen her an einen Milkshake erinnerte. Es war erstaunlich gesund und tatsächlich deutlich gesünder als das Wasser des Nils, das so dreckig und mit Krankheitserregern verseucht war, dass man daran sterben konnte.

Ihren kargen Lebensumständen zum Trotz gab es auch bei den einfachen Ägyptern Zeit für Schönes und für ausgelassenes Zusammensein. Man ging gemeinsam jagen oder segeln oder traf sich zum Geschichtenerzählen, Tanzen oder Singen. Sie stellten eigene Musikinstrumente her – Flöten aus Schilf und einfache Lauten und Leiern aus Holz, die mit Saiten aus Tierdarm bespannt waren.

Die königliche Barke war immer noch nicht an ihrem Ziel. Es war nun spät am Nachmittag und die Sonne sank allmählich dem Horizont entgegen. Als sie durch den Dunst glitten, konnte Kleopatra von weit her über die Felder den schwermütigen Klang der Flöten hören: leise, sanft, fast traurig, als beklagten sie eine sterbende Welt.

Eine Stunde später erreichte die Barke Memphis.

Memphis war die älteste und heiligste der alten ägyptischen Hauptstädte. Der Legende zufolge war sie vom allerersten Pharao gegründet worden, der die beiden Länder vereinigte und dort, wo der Nil sich in viele kleine Arme auffächert, eine neue Stadt errichten ließ.

Über Jahrhunderte hinweg war Memphis für seine geschäftigen Märkte und mächtigen Tempel berühmt gewesen. Zu einer Zeit, als man woanders immer noch in der Erde herumwühlte, hatten die Pharaonen, umgeben von ihren Dienern und Priestern, in vergoldeter Pracht gelebt.