Wenn der Tod dich überrascht - Carmen Yvonne Kobsch - E-Book

Wenn der Tod dich überrascht E-Book

Carmen Yvonne Kobsch

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Beschreibung

In der für mich persönlich glücklichsten Lebensphase starb völlig unerwartet mein Vater - leider außerdem zu einem Zeitpunkt, an dem ich mich sehr von meinen Eltern distanziert hatte und wir große Meinungsverschiedenheiten hatten. Plötzlich hatte ich mit Trauer, Schuld und einem schlechten Gewissen zu kämpfen. Der plötzliche Verlust meines Vaters war für mich eine Riesenherausforderung, zugleich aber eine große Erfahrung. Ich weiß, wie schwierig der Umgang mit dem Tod ist, welche tiefen Abgründe sich damit auftun. Das Buch zu schreiben, war für mich ein intimer Raum, mich diesem Ereignis zu stellen. Der Tod ist ein unsichtbarer Begleiter. Der Tod wird totgeschwiegen.

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Inhalt

Log Line

Alles auf Anfang

Dem Tod ins Auge blicken

Schmerzen, tiefe, fast unerträgliche Schmerzen

Die Tage danach

Schlechtes Gewissen

Dankbar fürs Leben

Bist du das, Dad?

Thema Trauer

Schuld! Ein großes Wort!

Ein ganzes Jahr

Inspiration

Ein guter Schluss ziert alles

Log Line

In der für mich persönlich glücklichsten Lebensphase starb völlig unerwartet mein Vater – leider außerdem zu einem Zeitpunkt, an dem ich mich sehr von meinen Eltern distanziert hatte und wir große Meinungsverschiedenheiten hatten. Plötzlich hatte ich mit Trauer, Schuld und einem schlechten Gewissen zu kämpfen.

1. Alles auf Anfang

Es ist Sonntag, der 23.08.2015, 10:35 Uhr. Ich stehe leise auf, Christian schläft noch. Wir waren gestern auf einer Hochzeit und sind erst heute Morgen ins Bett gekommen. Ich werde ihn um 12:00 Uhr wecken.

Es ist ein wunderschöner sonniger Tag. Ich gehe ins Arbeitszimmer, um die Fenster zu öffnen. Mein Handy lege ich – völlig sicher – auf der Ablage ab. Als ich das erste Fenster öffnen will, höre ich einen Knall. Erschrocken überlege ich, was das war. Dann fällt mein Blick auf den Boden und ich fahre zusammen: Mein geliebtes iPhone liegt dort. Es ist total kaputt. Auf dem Display sind viele schwarz-graue Balken zu sehen und oben rechts ist kein Glas mehr, ich kann ins Innere des Handys schauen. Oje, denke ich, musste das jetzt sein? Am nächsten Tag soll Lea, meine Nichte, zu uns kommen. Ich schreibe meiner Schwester mit dem Handy meines Mannes eine Nachricht, dass mein Handy kaputt sei und falls etwas Wichtiges wäre, ich nur über das Handy meines Mannes erreichbar bin.

Okay, das wäre erledigt. Nun noch Christian erklären, dass er mein Smartphone doch nicht bekommen kann. Im Januar wären unsere Verträge ausgelaufen und ich hätte das neue iPhone genommen und Christian hätte meines bekommen. Nun jedenfalls nicht mehr. Ich beschließe, das iPhone trotzdem noch überprüfen zu lassen.

Christian ist enttäuscht, als er von meinem Missgeschick erfährt. Er hatte sich so auf das Handy gefreut, optisch gefällt ihm das iPhone 5S am besten.

Es ist, wie gesagt, ein wunderschöner Tag und wir gehen ins Schwimmbad und genießen entspannt den letzten Tag der Woche. Es ist sehr heiß und es sind Hitzegewitter angekündigt. Wir vertreiben uns die Zeit mit Mau-Mau-Spielen und Sonnen und genießen einfach das Nichtstun. Am Abend essen wir in unserem Lieblingsrestaurant im Glottertal. Es schmeckt dort einfach immer perfekt und der Service ist außerordentlich freundlich und zuvorkommend.

Ich habe alles, was ich mir je gewünscht habe. Ein ausgefülltes glückliches Leben. Ich bin im Reinen mit mir und meinem Leben. Nach vielen Jahren Kampf und einer langen Reise bin ich nun bei mir angekommen. Ich habe mich selbst gefunden und weiß endlich, wer und was ich bin. Ich hatte viele Hochs und Tiefs in meinem Leben. Es waren ein paar sehr tiefe Tiefs darunter, doch auch die habe ich überstanden. All das hat mich zu der gemacht, die ich heute bin. Ich habe verstanden, dass ich sein kann, wer ich will. Dass ich ein Recht darauf habe, mein Leben zu leben, wie ich es möchte. Ich darf selbst entscheiden, was gut für mich ist. Durch meinen Mann habe ich gelernt, das Leben zu leben. Zu arbeiten, um leben zu können, anstatt zu leben, um zu arbeiten. Ich habe mich viele Jahre nur über meinen Job definiert und nur dafür gelebt, doch wirklich glücklich war ich nie. Mein Mann hat mich inspiriert und das Beste in mir geweckt, nämlich mich selbst. Er ist der erste Mensch, der mich so nimmt, wie ich bin, der mich nicht erziehen will. Dafür bin ich sehr glücklich und dankbar. Ich habe noch nie einen Menschen so sehr geliebt wie ihn. Und andersherum ist es genauso. Es war bei uns Liebe auf den ersten Blick. Wir wussten beide sofort, dass wir Partner fürs Leben sind.

Ja, es war eine lange, steinige Reise bis heute. Beruflich habe ich meine Erfüllung noch nicht gefunden. Ich bin noch auf der Suche nach meinem Herzensjob. Doch privat bin ich im absoluten Glück angekommen.

Nach diesem glücklichen und ausgeglichenen Sonntag kann die neue Woche kommen.

Es ist Montagmorgen, der 24.08.2015. Wenn ich gewusst hätte, was heute auf mich zukommt, wäre ich bestimmt nicht aufgestanden. Aber ich weiß es nicht. Und ich stehe wie immer mit meinem Mann auf, richte seine Vesperbrote und verabschiede ihn. Anschließend gehe ich ins Bad und richte mich – Lea kommt gleich. Mein Schwager klingelt, ich bin leicht aufgeregt. Wir sind erst vor einer Woche aus dem gemeinsamen Urlaub zurückgekehrt und die letzten zwei Tage des Urlaubes waren nicht so schön. Es gab Meinungsverschiedenheiten, die Verabschiedung war nicht so erfreulich und harmonisch. Nun bin ich gespannt, was passiert. Ich öffne ihm die Tür. Wir begrüßen uns und wechseln noch ein paar Worte, wir sagen beide nichts zu den Spannungen und schon ist er wieder weg.

Ich freue mich sehr, Lea zu sehen, ich drücke und küsse sie zur Begrüßung. Ich mache Müsli und Tee für mich und heiße Schokolade für Lea. Wir setzen uns an den Esstisch und frühstücken. Lea hat schon zu Hause gegessen, doch sie isst auch etwas von meinem Müsli. Es ist nicht nur gesund, sondern auch lecker. Wir malen und genießen gemeinsam die Zeit.

Es ist 8:30 Uhr, als die Wohnungstür aufgeht und mein Mann heimkommt. Ich stehe auf und laufe ihm entgegen. Lea bleibt sitzen und ruft: »Hallo, Chrissy!« Ich bin verwundert und verstehe nicht, warum er jetzt nach Hause kommt. Kurz mache ich mir Sorgen, ob er sich verletzt hat, doch ich erkenne nichts. Erleichtert sehe ich ihn an – doch sein Blick verrät, dass etwas Schlimmes passiert ist. Ich kann es förmlich spüren. Ich weiß, dass ich gleich etwas Furchtbares hören werde, aber ich hätte nie im Leben an das gedacht, was nun auf mich einschlägt.

Christian nimmt meine Hand, führt mich ins Schlafzimmer und legt mich aufs Bett. Er legt sich sanft zu mir, streichelt mein Gesicht und schaut mich mit viel Liebe und Mitgefühl an. Der Blick in seinen Augen macht mir Angst. Dann sagt mein Mann vorsichtig: »Es tut mir so leid, aber ich muss dir sagen, dass dein Vater heute Morgen verstorben ist.«

Oh mein Gott, da ist der Schlag, er trifft mich so hart, dass mir der Atem wegbleibt. Ich kann nicht denken, kann nichts steuern, alles passiert automatisch. Mir laufen die Tränen über das Gesicht und ich bekomme keine Luft, ich habe das Gefühl zu ersticken. Ich schiebe meinen Mann von mir fort, er will mich halten und beruhigen, doch im ersten Moment kann ich diese Nähe nicht zulassen. Ich will nichts fühlen, denn solange ich nichts fühle, bleibt der Verlust irreal. Ich öffne die Balkontür und gehe raus und schreie laut auf. Es ist mir egal, ob mich jemand hört oder sieht. Ich bin am Boden und versuche die Fassung zurückzubekommen. Der erste richtige Gedanke ist der an meine Mutter. Sie war mit meinem Vater in den Urlaub gefahren. Meine arme Mutter ist hunderte Kilometer entfernt im Urlaub und jetzt allein. Mein Vater ist tot. Wie in einer Endlosschleife wiederholen sich diese Gedanken in meinem Kopf: Mein Vater ist tot! Ich kann es kaum glauben. Und meine Mutter ist nun alleine in einem fremden Land. Musste sie den Tod meines Vaters mitansehen? Sie tut mir so furchtbar leid. Die nächsten Minuten erlebe ich wie in Trance. Okay, denken, streng dich an, was tun wir jetzt? Meine Mutter anrufen, genau das sollte ich jetzt tun.

Das erste Gespräch mit meiner Mutter, sie ist hilflos und überwältigt und so überfordert mit der Situation wie ich auch. Sie war ganz allein und konnte die erste Stunde nach seinem Tod niemand erreichen. Ich erzähle ihr, dass mein Handy kaputt sei und ich nicht ans Telefon gehen könne.

Nun heißt es für sie: stark sein, zusammenreißen und durch die Situation gehen. Es tut mir unendlich leid für sie, dass sie den Tod meines Vaters miterleben musste, so weit weg von allem Vertrauten, ganz alleine. Ich frage sie, wie es passiert ist. Ich will alles haargenau wissen. Warum starb er und vor allen Dingen wie. Mein Vater war seit eineinhalb Jahren an Prostatakrebs erkrankt, doch dachte von uns keiner im Entferntesten daran, dass er plötzlich sterben könnte. Meine Mutter wachte morgens auf, er bekam schwer Luft, sie reagierte sofort, rannte runter an den Empfang und holte Hilfe. Es war 6:00 Uhr morgens und der Chef reagierte sensationell, er und der Koch haben sofort den Notarzt angerufen und mit Reanimieren begonnen. Meine Mutter wusste gar nicht, wie die Nummer vom Notruf in Österreich ist. Doch sie konnten nichts mehr für ihn tun. Im Nachhinein wurde meiner Mutter erst bewusst, dass er das gar nicht wollte, reanimiert werden.

Ich kann es kaum glauben und verstehen erst recht nicht. Ich sage ihr, dass ich jetzt meine Schwester anrufe und mich dann wieder bei ihr melden würde.

Das Telefongespräch mit meiner Schwester – ich bin aufgeregt und nervös. Dann bin ich erleichtert, denn sie sagt ebenfalls nichts zu unseren Meinungsverschiedenheiten im Urlaub. Vielleicht ist es gerade auch unpassend, aber wir sind wie in einem Schockzustand und nicht ganz zurechnungsfähig. Wir reden über die Möglichkeiten, alles bestens und schnellstens zu erledigen. Nach Österreich fahren, Mama holen, Auto holen, Fahrrad holen …

Meine Schwester bittet mich, Lea nichts zu sagen, das möchten sie selber gerne machen. Es folgt der nächste Schock: Lea ist ja noch bei uns! Für einen kurzen Moment hatte ich das ganz vergessen. Jetzt heißt es: noch mehr zusammenreißen und sich nichts anmerken lassen. Meine Schwester und mein Schwager kommen erst um 14:00 Uhr. Meine Schwester und mein Schwager müssen im Geschäft noch alles regeln, bevor beide ihren Arbeitsplatz verlassen können. Wie überstehe ich die nächsten fünf Stunden, ohne meiner Trauer freien Lauf lassen zu dürfen? Natürlich verstehe ich, dass meine Schwester und ihr Mann es Lea selber sagen möchten, doch wer versetzt sich in meine Lage? Sie natürlich nicht. Mal wieder muss ich für meine Familie Dinge tun, die ich nicht tun will. Immer muss ich in solchen Situationen sein, in denen ich nicht ich selbst sein darf.

Für mich ist die Situation kaum erträglich. Gott sei Dank ist mein Handy kaputtgegangen, sodass mich niemand erreichen konnte und mein Mann nach Hause kommen musste, um es mir zu sagen. Nun bin ich glücklich, dass mein Handy kaputtging, sonst hätte ich alleine, nur mit Lea im Haus, von dem Tod meines Vaters erfahren. Schon bei dem Gedanken daran wird mir schlecht. Ich bin so dankbar, dass mein Mann an meiner Seite ist und mich unterstützt und mich stärkt.

Natürlich habe ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle. Mir laufen die Tränen über die Wangen und Lea fragt mich, was mit mir los sei und warum ich so traurig wäre. Ich antworte nur, dass ich heute einen schlechten Tag habe und meine Gefühle Achterbahn fahren würden. Lea ist wirklich ein Traumkind, ich liebe sie über alles.

Den Schmerz und die Gefühle nicht leben zu dürfen, ist in diesem Moment die größte Strafe. Ein Weg, meinem Schmerz Luft zu machen, ist ein Post auf meinem Facebook-Account. Es hilft mir ein bisschen und ich kann etwas Druck ablassen. Wir spielen dann und versuchen die Zeit bis 14:00 Uhr zu überstehen. Es gelingt uns einigermaßen. Immer wieder telefoniere ich mit meiner Mutter, um ihr das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine ist. Auch mit meiner Schwester telefoniere ich immer wieder, um auf dem neuesten Stand zu sein. Alles ist klar. Meine Schwester und mein Schwager kommen zu uns. Lea sollte eigentlich drei Tage bei uns bleiben, doch aufgrund der neuen Situation sollte sie bei ihren Eltern sein. Mein Mann packt heimlich ihre Sachen zusammen und verstaut sie im Auto. Lea fällt auf, dass ihre Sachen weg sind und sie will wissen, warum. Mein Mann lenkt sie gekonnt ab, ohne sie anzuschwindeln. Ich bin ihm so dankbar, ohne ihn würde ich das nicht schaffen. Alles im Leben hat seinen Sinn – als mein Handy kaputtging, ahnte ich den Segen, der darin steckte, noch nicht. Dieses kleine Detail hätte die gesamte Situation für mich verändert. Ich mag gar nicht dran denken, was passiert wäre, wenn ich am Telefon von dem Tod meines Vaters erfahren hätte.

Endlich ist es 14:00 Uhr. Ich bin meganervös und sehr aufgewühlt. Meine Schwester und mein Schwager klingeln. Ich öffne die Tür und sie kommen hoch. Lea ist verwundert, die Stimmen ihrer Eltern zu hören. Sie läuft gleich zu meiner Schwester und fragt: »Wer ist gestorben?«

Wahnsinn, dieses Mädchen hat so ein Feingefühl. Ich bin fasziniert von ihrer Sensibilität und ihrer Klarheit. Als meine Schwester sagt, der Opa wäre gestorben, weint Lea los. Sie weint so sehr und jammert immer wieder: »Nein, nein, nicht der Opa.« Sie hatte ein gutes Verhältnis zu ihrem Opa und er hat Lea über alles auf der Welt geliebt. Es bricht mir das Herz, Lea so leiden zu sehen. Doch zum ersten Mal heute darf ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen. Auch mir laufen ungehemmt die Tränen über das Gesicht und ich kann mich kaum halten. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich meinen Dad nie wiedersehe. Meinen Mann die ganze Zeit an meiner Seite zu haben, ist unbegreiflich schön. Ich kann nicht annähernd in Worte fassen, wie sehr mir seine Anwesenheit hilft.

Okay, Gedanken sammeln auf dem Balkon, frische Luft hilft immer. Eine rauchen – seit Wochen hatte ich das Bedürfnis, eine Zigarette zu rauchen, doch bin ich diesem Wunsch nicht nachgekommen. Heute verspüre ich wieder so einen Drang. Doch wieder siegt der Verstand. Schließlich bin ich schon fünfeinhalb Jahre Nichtraucherin. Wir stehen also alle auf dem Balkon, reden, weinen und versuchen zu kapieren, was da passiert ist. Wir versuchen Lea zu beruhigen, was uns leider nicht gelingt. Sie weint laut und schluchzt. Es tut mir so leid, dass sie so früh mit dem Tod Erfahrung machen muss.

Unser sensibler Vermieter hat nichts Besseres zu tun, als von unten hochzuquäken. Er will wissen, wie der Urlaub war und wohin wir verreist waren. Sein typisches FBI-Frage-Antwort-Spiel, wie immer. Ich antworte darauf schon lange nicht mehr. Ich mag weder ihn noch seine Art. Und warum soll ich meine Energie an so jemanden verschwenden? Ich sehe das als unnötig an. Dieser Vermieter hat so viel Feingefühl, Respekt und Bewusstsein, wie Toastbrot keinen guten Nährwert hat! Ich wäre am liebsten bereits nach drei Monaten wieder ausgezogen, ich fühle mich ständig beobachtet in diesem Haus, doch mein Mann war dagegen. Seine Argumente waren plausibel: Wer weiß, was im nächsten Haus ist, vielleicht ein ebenso nerviger Mensch oder ein anderes Terrorkind.

Nachdem die ersten Tränen getrocknet sind und wir den ersten Schock überwunden haben, fahren wir zu meiner Schwester nach Hause. Sie und Lea bleiben dort und mein Schwager, mein Mann und ich fahren nach Österreich, um meine Mutter abzuholen. Die Autofahrt kommt mir vor wie meine ganz persönliche Folterfahrt, die nicht aufzuhören scheint. Ich bin immer noch in einer Schockstarre. Während der Autofahrt sage ich Dinge zu meinem Schwager, die ich besser nicht gesagt hätte. Hier möchte ich mich an dieser Stelle nochmals bei ihm entschuldigen. Es tut mir leid, ich war unter Schock. Es sprudelt einfach aus mir heraus, ich kann es selber nicht begreifen.

Endlich sind wir da, angekommen, nach einer langen Fahrt. Es ist schon sehr spät. Wir gehen zum Empfang und bei dem Gedanken, die Dame am Empfang anzusprechen, laufen schon wieder die Tränen. Immer wenn ich denke, jetzt sind alle Tränen geweint, geht es wieder los und die Tränen fließen ungehindert über mein Gesicht. Ich sage der Dame, dass wir zu meiner Mutter möchten. Sie spricht uns ihr Beileid aus, liebevoll und freundlich, gibt uns einen Zimmerschlüssel und erklärt uns dann den Weg zu Mamas Zimmer.

Wir schließen das Zimmer auf und meine Mutter bricht direkt zusammen. Als sie uns sieht, überrollen sie Trauer und Tränen. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass mein Vater wirklich tot ist und ich nicht mehr mit ihm reden kann. Ich wollte ihm noch so viel sagen und mich entschuldigen. Vor allem wollte ich ihm sagen, dass ich ihn doch so liebe.

Ich versuche meine Mutter zu trösten und sage ihr, wie leid mir das alles täte. Es ist kaum zu glauben, dass mein Vater an diesem frühen Morgen in diesem Bett starb! Es ist und bleibt einfach schrecklich.

Wir gehen ins Restaurant hinunter und bestellen uns etwas zu essen. Doch schon beim Gedanken daran, glaube ich keinen Bissen herunterzukriegen. Aber als das Essen dann kommt, geht es doch. Und um ehrlich zu sein, tut es sogar gut, etwas zu essen, habe ich doch seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Chef und Chefin des Hotels laden uns ein, ihre Gäste zu sein. Sie wollen auch, dass wir über Nacht bleiben und uns ausruhen, damit wir morgen ausgeruht losfahren und nicht jetzt, in die Nacht hinein.

Wir danken ihnen für das Angebot, aber möchten lieber gleich wieder aufbrechen. Wir wollen es hinter uns bringen. Nun erlassen sie uns alles! Was für liebevolle Menschen. Meine Mutter muss nichts bezahlen, weder für das Essen noch für die Übernachtungen. Nichts, einfach nichts muss sie bezahlen. Meine Eltern waren schon drei Nächte in diesem Hotel zu Gast und hatten gut getrunken und gegessen. Doch die Chefin sagt zu meiner Mutter, sie hätte schon genug Leid und solle deshalb nichts bezahlen. So liebevolle, rührende Gastronomen habe ich selten kennengelernt. Wir sind ja auch alle vom Fach, meine ganze Familie ist in der Gastronomie tätig. Und diese Gastleute hatten sich schon so liebevoll um meine Mutter gekümmert, als wir noch nicht da waren. An das Hotel Regina in Sölden: Vielen lieben Dank für alles, was Sie uns Gutes an diesem schrecklichen Tag getan haben. Tausend Dank! Ich bin noch immer überwältigt von so viel Herzlichkeit und Nächstenliebe.