Wenn der Traum das Leben küsst - Alexandra Leo - E-Book

Wenn der Traum das Leben küsst E-Book

Alexandra Leo

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Beschreibung

Das Leben ist schön! Von einfach war nie die Rede. Francescas unglückliche Ehe lastet schwer auf ihr. Von ihrem Mann Markus hat sie sich längst entliebt, nur der Mut, ihm das zu gestehen, der fehlt ihr. Und als ob der Zwiespalt in ihrem Herzen nicht schon groß genug ist, lernt sie auch noch den geheimnisvollen Mike kennen, der ihren Puls zum Rasen bringt. Als ihr Ehemann von seiner Vergangenheit eingeholt wird, ist für Fran die Zeit gekommen, ihren Weg zu gehen. Doch der gleicht erst mal einem Irrgarten. Eine Geschichte über die Suche nach dem eigenen Glück und dass es sich immer lohnt, dafür zu kämpfen.

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Wenn der Traum das Leben küsst

Über die AutorinTitelseiteWidmungProlog1 Das kann unmöglich mein Leben sein2 Frühlingsgefühle3 Schreiben oder nicht?4 Seelenverwandt?5 Herzklopfen6 Standpauke7 Sommerferien8 Streit9 Telefon10 Wiedersehen11 Midlife-Crisis?12 Geburtstagsparty13 Kuss14 Hört auf!15 Weißt du, was ich sehr mag?16 Besuch bei Mike17 Mut18 Atme19 Fragen über Fragen20 Berlin21 Reden ist Silber, Schweigen keine Option22 Back Home23 Wir müssen reden24 Joker25 Geständnis26 Trost27 Albtraum28 Flashback?29 Mikes Vergangenheit30 Erna31 Aussprache32 Lauras Geburtstag33 Ernas Geheimnis34 Ungebetener Besuch35 Brief36 Wut37 Wink des Schicksals?38 Erzähl es mir39 Abstand40 FriedhofEpilogDas letzte Kapitel, das gar keines istEine kleine Bitte zum SchlussTriggerwarnungImpressum

Über die Autorin

Alexandra Leo wurde 1977 als Kind eines Italieners und einer Österreicherin in der Schweiz geboren. Schon als Kind besaß sie eine blühende Fantasie, wusste nur leider nie, was sie damit anfangen sollte, bis sie 2018 ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte. Seither kann sie nicht mehr aufhören, die Geschichten in ihrem Kopf zu Papier zu bringen. Das reale Leben schenkt ihr die nötige Inspiration und so schafft es Alexandra mit ihrer fröhlichen Art selbst einem Drama etwas Humor einzuhauchen. WENN DER TRAUM DAS LEBEN KÜSST ist ihr Debütroman und viele Bücher werden folgen, denn nebst ihrem Alltag als arbeitende Mutter-Hausfrau braucht sie das Schreiben so dringend wie die Luft zum Atmen.

Liebe Leserin, Lieber Leser

Das Buch / die Geschichte enthält verstörende Szenen. Am Ende des Buches befindet sich eine Triggerwarnung dazu. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an die Autorin.

E-Mail: [email protected]

Alexandra LeoWenn der Traum das Leben küsst Liebesdrama

Widmung

Für meine beiden Kinder, meine Goldschätze.

Ihr werdet euren Weg finden.

Für meine besten Freundinnen.

Und für alle Frauen dieser Welt.

Lasst euch nie unterkriegen.

Seid frech, wild und wunderbar.

(Astrid Lindgren)

Prolog

Mike, 26. Februar

Ein Schluchzen drang aus seiner Kehle. Er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der Schmerz ihn in die Tiefe zog. Dieses Gefühl der Ohnmacht ließ er nicht oft zu, doch an diesem Tag fehlte ihm die Kraft, dagegen anzukämpfen. Es fühlte sich an, als hätte ihm ein Dämon einen Strick um den Hals gelegt und wäre jeden Moment dazu bereit, kräftig daran zu ziehen.

Seine Stirn gegen die kalte Scheibe des Panoramafensters gedrückt, beobachtete er die drei Kinder, die auf dem Spielplatz ausgelassen Fangen spielten. Nur ihr fröhliches Lachen und ein leises Grummeln, das hin und wieder aus dem bedeckten Himmel zu hören war, durchbrachen die ansonsten gespenstische Stille, die die Wohnsiedlung umgab.

Mike blickte hinauf, beobachtete die unzähligen Wolken, die der Wind vor sich hertrieb wie Hütehunde ihre Schafherde. Den Wetterprognosen zufolge waren nur einige harmlose Regenschauer zu erwarten. In Mikes Herz sah es ganz anders aus. Dort wütete ein Sturm, und das mit einer Heftigkeit, wie er es schon lange nicht mehr erlebt hatte.

Als er an seine eigenen Kinder dachte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, doch dann riss ihn der Schmerz endgültig in das dunkle Loch. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr, seine Knie gaben nach und er sank langsam zu Boden. Sein Brustkorb zuckte, doch kein Laut drang über seine Lippen. Den Rücken an die Fensterscheibe gelehnt, beobachtete er die Tränen, die auf seine Hose tropften.

Die Zeit heilt alle Wunden– wie oft hatte er diesen Satz schon gehört? Doch er wusste es besser. Die Zeit heilte einen Scheiß. Damit zu leben, das hatte er inzwischen gelernt. Der Schmerz wurde deswegen nicht weniger.

Das Klingeln seines Handys ließ ihn zusammenzucken. Er hielt sich die Ohren zu, bis es verstummte.

Bei jedem Zusammenbruch fühlte es sich an, als wäre er in einem tiefen Abflussschacht gefangen. Ohne Treppe. Ohne Leiter. Er musste sich aus eigener Kraft die rutschige Wand hinaufkämpfen, bis er das Licht erreichte, das ihn verdrängen ließ, was ihn vor so vielen Jahren in dieses Loch gestoßen hatte.

Mike erschrak nicht mehr, als sein Handy nun piepste, er konnte sich bereits denken, wer ihn suchte. Er fischte sein Telefon vom großen Esstisch, der direkt neben dem Fenster stand, und sah, dass es tatsächlich seine Schwester war, die bereits mehrmals versucht hatte, ihn zu erreichen. Und nun war die vierte Nachricht eingegangen. Bestimmt wusste sie, dass er ihren Anruf nicht hatte entgegennehmen können. Damit sie sich keine Sorgen machte, schickte er ihr ein einziges Wort, das jedoch alles ausdrückte, was sie wissen musste.

Später.

Ein erhobener Daumen und ein Smiley mit dem Herz-Kuss kamen zurück. Mehr brauchte es nicht.

Bald würde es wieder vorbei sein. 

1 Das kann unmöglich mein Leben sein

Fran, 18. April

»Natürlich ist jetzt im Frühling die beste Zeit, um Samen zu streuen. Das weiß doch jedes Kind«, rief Markus trotzig.

Fran sah ihrem Mann zu, wie er in den Holzschuppen stürmte, der auf einer Seite des Gartens stand. Es polterte, als würde die ganze Hütte auseinanderfallen. Wenige Augenblicke später kam er mit einem riesigen Sack unter dem Arm wieder zum Vorschein. Wie Speedy Gonzales düste er an ihr vorbei und riss sie fast zu Boden.

Dann mach doch, dachte Fran genervt und ging quer über die Terrasse auf die Fenstertür zu, die in ihr Arbeitszimmer führte. Seufzend setzte sie sich auf ihren Bürostuhl und blickte zu Markus. »Das weiß doch jedes Kind, blablabla«, äffte sie ihn nach. »Sogar unser Sohn weiß, dass es klüger wäre, Rasenkörner im Herbst zu streuen und nicht Mitte April. Besserwisser«, fauchte Fran aufgebracht.

Das hatte Dave sehr ausführlich von seinem Großvater erklärt bekommen und auch sie selbst hatte sich als Kind mehr als einmal anhören müssen, dass sich der Spätherbst für die Aussaat besser eignete.

Fran schmunzelte. Sie hatte es geliebt, samstags mit ihrem Vater in seinem Kleingarten die Pflanzen und das Gemüsebeet in Schuss zu halten.

Auch jetzt liebte sie die Arbeit im eigenen Garten, war diese doch ein Ausgleich zum stressigen Alltag. Nur Markus wollte nicht begreifen, dass der Boden noch nicht richtig aufgetaut und die Luft viel zu kalt war. Zudem war für die nächsten Tage nur Regen angesagt, wohingegen ein frisch gesäter Boden vor allem Sonne brauchte.

Frans Blick glitt zum Bildschirm ihres Computers und ihre Gedanken an die Tomatenstauden, den Kopfsalat und die Möhren lösten sich in Luft auf.

Als sie auf die Notizen vor sich schaute, entfuhr ihr ein leises Stöhnen. Im Moment funktionierte einfach nichts so, wie sie es gern gehabt hätte.

Seufzend klappte sie ihr Notizheft zu und warf es in den Ablagekorb zu ihrer Rechten. Während ihre Lider sich schlossen, lehnte sie ihren Kopf gegen die Rückenlehne ihres Bürostuhls und starrte an die Decke.

Sie hatte eine Blockade und zwar eine gewaltige. Das war ihr bei ihren Liebesromanen noch nie passiert. Für Krimis eignete sie sich so was von überhaupt nicht, wie sie sich gestern zum ersten Mal hatte eingestehen müssen.

Ihre Stirn kräuselte sich spürbar, was sie immer tat, wenn sie angestrengt nachdachte.Es wäre wirklich klüger, wieder einen Liebesroman zu schreiben.

Als sie zu Markus blickte, musste sie laut lachen. Wie ein aufgescheuchtes Huhn rannte er herum, um die beiden Spatzen zu verjagen, die gerade das frisch gestreute Saatgut aufpickten.

»Fran!«

Da sich ihre Laune ohnehin im Keller befand, ließ sein schroffer Tonfall ihren Puls rekordverdächtig in die Höhe schießen. Widerwillig stand sie auf, trat ans Fenster und blaffte zurück: »Was?«

»Statt den Bildschirm anzustarren, könntest du mir helfen. Ständig bist du mit deinem dämlichen Buch beschäftigt. Alles muss ich allein erledigen.«

»Sagtest du geradealles?« Sie schnaubte verärgert. »Und mein Buch ist nicht dämlich, ich habe lediglich eine Blockade.«

Markus stellte den Sack so heftig auf den Boden, dass haufenweise Samen herausfielen.

»Blockade hin oder her. Deine beiden Buchveröffentlichungen haben uns nicht zu Millionären gemacht. Warum suchst du dir nicht endlich einen richtigen Job in einem Büro?«

In ihrem Bauch brodelte es, als hätte sie einen Vulkan verschluckt. Kein Wort kam über ihre Lippen, als sie zuerst ganz langsam die Schiebetür und danach den Lamellenvorhang zuzog. Wie in Trance ging sie zurück zum Schreibtisch, ließ sich in ihren Bürostuhl fallen und starrte ins Leere.

Das kann unmöglich mein Leben sein.

Zwanzig Minuten später saß Fran auf einem Stuhl in Maggies Garten. Am Telefon hatte sie ihr nicht erzählen wollen, warum sie das dringende Bedürfnis hatte, ihre eigenen vier Wände zu verlassen, doch nun war der richtige Augenblick gekommen, ihrem Ärger Luft zu machen.

»Was hat der Herr Gemahl dieses Mal angestellt?«, wollte ihre beste Freundin auch sogleich wissen.

»Erstens findet er mein Buch dämlich, zweitens helfe ich ihm nicht bei der Hausarbeit und er mussallesallein machen, und drittes ist er der Meinung, dass ich mir einen richtigen Job in einem Büro suchen sollte.«

»Sehr charmant.«

»Total. Solche Nettigkeiten werfen wir uns schon seit Monaten an den Kopf. Das Zusammenleben ist wie im Paradies. Dem Paradies der verkackten Ehen.«

Maggie lachte laut auf. Dann hob sie beschwichtigend die Hände in die Luft. »Tut mir leid. Es klang so witzig. Ich nehme nicht an, dass ihr noch mal darüber gesprochen habt, bevor du hergekommen bist?«

»Nein. Eine Entschuldigung kann ich ohnehin nicht von ihm erwarten. Es ist ja immer alles meine Schuld. Was soll ich machen, Maggie? Ich hab für diesen Mist bald keine Kraft mehr.«

»Ach Fran. Das haben wir doch schon so oft besprochen. Du kennst meine Meinung.«

»Das kann ich den Kindern nicht antun.«

»Kinder haben sensible Fühler. Glaubst du wirklich, dass sie noch nicht bemerkt haben, dass ihr euch ständig streitet? Du liebst Markus schon lange nicht mehr. Gesteh dir das doch endlich ein.«

»Und woher soll ich das Geld nehmen, um die Rechnungen zu bezahlen?«

»Du verdienst dein eigenes Geld, auch wenn das im Moment nicht viel ist, und von Markus würdest du Unterhalt bekommen. Ihr müsstet sicher nicht unter der Brücke schlafen.« Maggie streichelte ihr über die Hand. »Fran. Wo ist deine Stärke geblieben? Früher konnte dich nichts erschüttern. Mit dem Kopf durch die Wand war deine Devise. Ich vermisse die Fran von damals.«

»Ich auch. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr.« Fran kniff ihre Lippen zusammen, um die aufkommenden Tränen hinunterzuschlucken. »Leider hat sie die Flucht ergriffen, als Dave zur Welt kam und Markus mir deutlich zu verstehen gab, dass er noch nicht bereit war, Vater zu werden«, fuhr Fran mit leiser Stimme fort. »Seither behandelt er mich, als wäre ich seine Putzfrau, nicht seine Ehefrau. Und soll ich dir noch etwas sagen? Ich glaube, er betrügt mich.«

»Ach herrje. Wie kommst du denn auf so eine Vermutung?«

»Wir haben seit bald einem Jahr keinen Sex mehr. Ich bin diesbezüglich völlig blockiert. Ich ertrage es nicht, wenn er mich anfasst. Früher wollte er ja auch ständig Sex, aber seit Monaten hat er sich mir nicht mehr genähert. Das bringt mich zu der Vermutung, dass er eine andere haben könnte.«

»Vielleicht legt er selbst Hand an?«

»Kann sein, aber in meiner Fantasie sehe ich ihn bei der Arbeit auf seinem Bürostuhl sitzen, während eine junge aufstrebende Architektin ihm einen bläst.«

»Igitt, Fran. Das Bild werde ich nie wieder los. Herzlichen Dank.«

»Sorry, meine Liebe. Du kennst meine Fantasie. Die geht manchmal mit mir durch.«

»Ständig wäre treffender.«

»Da hast du recht. Mein Datenkarussell steht nie still. Aber jetzt wieder ernsthaft. Ich hätte damals wirklich auf mein Bauchgefühl hören sollen.«

»Alles im Leben hat einen Sinn«, tröstete Maggie sie. »Aber nun stehst du an einer Kreuzung und musst dich entscheiden, welchen Weg du zukünftig gehen möchtest. Der, auf dem du dich jetzt befindest, tut deinem Herzen nicht gut. Es wird sich nie etwas ändern, wenn du die Zügel nicht wieder selbst in die Hand nimmst. Du hast nur ein Leben. Das soll doch so schön wie möglich sein. Oder etwa nicht?«

»Natürlich, aber mit einer Trennung ändert sich nicht nur mein Leben. Ich habe Angst, Maggie. Markus ist kein supercooler Dad, der viel mit seinen Kindern unternimmt, aber sie lieben ihn trotz allem sehr.«

Maggie trank einen Schluck von dem inzwischen kalten Kaffee. »Es würde eine schwierige Zeit auf euch zukommen, das ist logisch, aber völlig normal. Du müsstest das nicht allein durchstehen, Fran. Ich bin immer für dich da. Das weißt du.«

Fran lächelte und streckte Maggie beide Hände entgegen, die ihre Freundin sofort ergriff und fest drückte. »Danke, Maggie. Das bedeutet mir wirklich viel. Hab dich lieb.«

»Ich dich auch.«

Lächelnd stand Maggie auf und schnappte sich die beiden Tassen. »Ich mach uns noch mal Kaffee.«

Fran nickte und blickte zu den Kindern und Stefan, die weiter hinten im Garten miteinander spielten. Ihr Datenapparat ließ derweil das eben geführte Gespräch Revue passieren. Natürlich wusste sie, dass es nur eine vernünftige Lösung für ihr Problem gab, aber diesen Weg war ihr Verstand nicht bereit zu gehen und hatte dementsprechend mit ihren Füßen einen Pakt geschlossen. Sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte, das Ergebnis war immer dasselbe: Hätte sie vor zwölf Jahren auf ihr Herz gehört, wäre sie eine alleinerziehende Mutter geworden. Nun war sie eine gefrustete Mama und Ehefrau, die sich nach Liebe und einem glücklichen Leben sehnte.

2 Frühlingsgefühle

Fran, 27. Mai

Mit einem Kaffeebecher in jeder Hand trat Fran durch die automatische Schiebetür des Restaurants, das zum Fun-Park gehörte. Dieser war rappelvoll, was an einem sonnigen, schulfreien Mittwochnachmittag nicht weiter verwunderlich war.

Fran beeilte sich, da die Wärme des Kaffees langsam ihre Finger aufheizte. Sie schmunzelte, als sie an der Wiese vorbeilief, auf der ihr Sohn Davide, der neuerdings nur noch Dave genannt werden wollte, mit seinem besten Freund Roman und einem ihr fremden Jungen Fußball spielte.

»Mama! Schau!«

Sie tat, wie ihr geheißen, und beobachtete Dave, wie er geschickt mit dem Ball auf sie zudribbelte.

»Super«, rief sie und winkte ihm mit dem Kaffeebecher zu.

»Mike! Fang«, brüllte ihr Sohn.

Wer auch immer dieser Mike sein mochte, er sollte den Ball lieber schnell fangen, denn der schoss direkt auf sie zu. Warum sich ihre Füße keinen Millimeter vom Fleck bewegten, konnte sie sich selbst nicht erklären.

»Achtung«, hörte sie eine Stimme neben sich rufen, doch sie hatte nicht einmal Zeit, den Kopf zu drehen, da krachte auch schon ein Ellenbogen gegen ihre Stirn. Durch den Schlag taumelte sie einige Schritte rückwärts und ließ zu allem Übel auch noch die Becher fallen. Eine Hand umklammerte ihren Unterarm und hinderte sie daran zu stürzen.

»Tut mir schrecklich leid, aber sonst hätte dich der Ball erwischt. Alles in Ordnung?«

Sie blickte zu der Stimme auf. Und sah nur noch blau. Noch nie zuvor hatte sie in so leuchtend hellblaue Augen geblickt wie die beiden Exemplare, die sie besorgt anlächelten.

»Sorry, Mama. Das wollte ich nicht. Hab den Ball verzogen.«

»Kann man so sagen. Der Ball war echt ungezogen. Aber ich hatte ja einen Retter.« Sie beäugte den Mann, der sie noch immer sorgenvoll anblickte. »Meine Stirn tut weh, aber ansonsten ist alles gut.«

Er hielt ihr seine Hand vor die Nase. »Wie viele Finger siehst du?«

»Fünf«, meinte sie und lachte.

»Oje. Dann müssen wir sofort zur Erste-Hilfe-Station.«

»Weshalb? Es sind doch fünf. Die zwei, die nach oben zeigen, und die restlichen drei sehe ich auch.«

Sein linker Mundwinkel zog sich nach oben. Er hatte ein verdammt charmantes Lächeln.

»Sehr schlagfertig. Deinem Kopf scheint es doch nicht so schlecht zu gehen, wie er aussieht.«

Erschrocken griff sie sich an die Stirn und zuckte dann mit einem Zischen vor ihrer eigenen Hand zurück. »Wie sieht er denn aus?«

»Rot.«

»So fühlt er sich auch an. Du hast einen echt harten Ellenbogen.«

Das brachte ihn zum Lachen.

»Der Rest ist ganz weich. Ich schwöre es.«

Sie räusperte sich, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihr Blick an seinem Körper hinunterglitt.

O mein Gott.

Ihr gefiel, was sie sah. Bis ihr Blick an seinem Hosenbein und ihrer beider Schuhe haften blieb.

»Deine Hose ist voller Kaffee und unsere Schuhe auch. Das tut mir leid.«

Nun glitt auch sein Blick zu den Flecken.

»Nicht so schlimm. Kann man waschen. Für deinen Kopf sollten wir jedoch etwas Kaltes besorgen. Wäre zu schade, wenn die hübsche Stirn eine hässliche Beule bekommen würde. Ich heiße übrigens Mike. Eigentlich Michele. Und du?«

»Fran«, stammelte sie. »Francesca.«

Hatte sie eben richtig gehört? Ihr Atem setzte kurz aus und sie spürte, wie ihr die Hitze in den Kopf stieg.Sag etwas, befahl sie sich. Es wollte ihr nur absolut nichts einfallen. Erleichtert nahm Frans Lunge die Arbeit wieder auf, als sie Maggie auf sich zukommen sah.

»Alles in Ordnung, Fran?« Maggie blickte zu dem Mann. »Hallo.«

»Hallo.« Er hielt Maggie die Hand hin. »Mike.«

»Freut mich. Ich bin Maggie.«

Als ihre Freundin seine Hand ergriff, zog sich eigenartigerweise Frans Magen zusammen. Was sollte denn das?

»Fran? Ist wirklich alles in Ordnung? Mike hat erzählt, ihr wärt zusammengestoßen.«

Hatte er das erwähnt? Wieso hatte sie das nicht mitbekommen?

»Mir ist etwas schwindelig und mein Kopf tut weh, aber sonst geht es.«

»Du solltest dich hinsetzen und ich besorge dir etwas Eis«, meinte Mike.

Wie selbstverständlich legte er den Arm um ihre Taille und führte sie zu der Holzbank, auf der sie zuvor mit Maggie gesessen hatte. Als er sie losließ, machte sich ein Gefühl der Enttäuschung in ihr breit. Noch während sie Platz nahm, blickte sie zu ihm auf. Mit besorgter Miene nahm er ihre Hand in seine, was sie kaum merklich zusammenzucken ließ, als hätte er sie elektrisiert.

»Wirklich alles in Ordnung? Du siehst etwas durch den Wind aus.«

Dass das nicht an ihrer schmerzenden Stirn lag, konnte sie ihm schlecht anvertrauen. »Geht schon, danke. Das Eis wird sicher helfen.«

»Das Eis. Genau. Das werde ich jetzt besorgen.« Zu ihrem Unmut ließ er ihre Hand los. »Und Kaffee. Zweimal Cappuccino?«

»Ja, gerne«, hörte sie Maggie sagen, die sich inzwischen neben sie gesetzt hatte.

Sie selbst brachte nur ein Nicken zustande, was ihrem Kopf zwar nicht besonders gefiel, sie sich aber nicht anmerken ließ.

»O mein Gott, Fran. Ich glaube, du bekommst das Dauergrinsen nicht mehr aus dem Gesicht«, meinte Maggie kichernd, als Mike außer Hörweite war.

»Was redest du da? Stimmt doch gar nicht.«

»Ach, komm schon. Du himmelst ihn an, als wäre er ein griechischer Gott.«

Fran seufzte. »Er ist echt nett. Und hat wahnsinnig schöne Augen. Der Kontrast zu seinen schwarzen Haaren ist faszinierend.«

»Er hat nicht nur schöne Augen, Fran. Ich kenne deinen Männergeschmack. Du sabberst fast.«

»Sicher nicht«, rief Fran übertrieben empört. »Er macht einfach einen sehr sympathischen Eindruck.«

»Das tut er in der Tat«, meinte Maggie nickend.

Fran griff sich an die Stirn. »Hab ich eine Beule? Es tut echt weh.«

»Nur eine kleine«, meinte Maggie mit einem Blick auf Frans Stirn. »Die Stelle ist immer noch rot.«

Das Zusammentreffen mit Mike hätte sanfter ablaufen können, das musste Fran zugeben, aber sie war ihm keinesfalls böse. Vielleicht wären sie sich sonst gar nicht über den Weg gelaufen und das wäre echt schade gewesen. Irgendetwas an ihm faszinierte sie und es waren nicht nur seine schönen Augen.

»Hast du Kopfschmerzen?«, unterbrach Maggie ihren Gedankengang.

»Nur leichte.«

»Ich hätte Tabletten dabei, falls es schlimmer werden sollte.«

Fran wollte eben etwas erwidern, als Maggie ihr mit einem Kopfnicken andeutete, dass Mike zurückkam.

Er stellte sowohl ihr als auch Maggie einen Becher vor die Nase, reichte ihr das Eis in einem Beutel und nahm gegenüber Platz.

Die Kälte tat ihrem Schädel gut.

Maggie und Mike fingen an, etwas Small Talk zu betreiben, und so stellte sich schnell heraus, dass der Junge, der mit Maggies Sohn Roman und Dave auf der Wiese Fußball spielte, Mikes Sohn Fabio war. Wie der Zufall es wollte, war das Mädchen mit den nachtschwarzen Haaren, das mit Laura und Sarah spielte, seine Tochter Sofia.

Sein Spruch drängte sich in ihr Gedächtnis:Der Rest ist ganz weich. Ich schwöre es.

O ja.Seine Lippen sahen tatsächlich sehr weich aus.

»Fran?«

Eilig löste sie ihren Blick von seinem Mund, schaute ihm in die Augen und fühlte sich mehr als ertappt. Fragend sah er sie an. Seine Mundwinkel zuckten leicht.Mist!Ganz offensichtlich wartete er auf eine Antwort, aber sie hatte keine Ahnung, wie die Frage lautete.

Sie zog beide Augenbrauen hoch. »Hm?«, murmelte sie.

»Wie geht es deinem Kopf?«, wollte Mike wissen.

Sie lächelte ihn an und nahm den Eisbeutel von der Stirn. »Geht schon besser, danke.«

»Das freut mich.«

Sein Lächeln stellte irgendetwas Komisches mit ihrem Herzen an.

»Wie alt sind eigentlich eure Kinder?«, wollte Mike wissen und blickte abwechselnd Maggie und Fran an.

»Sarah hatte im März Geburtstag und ist jetzt zehn und Roman wird im September zwölf. Und deine?«, fragte Maggie neugierig.

»Das ist ja ein Zufall. Sofia wurde auch im März zehn. Fabio wird im August zwölf.«

»Noch ein Zufall«, rief Fran. »Dave hat ebenfalls im August Geburtstag und wird auch zwölf und Laura wird im Oktober zehn.«

»Das ist ja witzig.« Mike strahlte über das ganze Gesicht.

Fran tat es ihm gleich, während sie sich fragte, ob da wirklich nur der Zufall seine Hand im Spiel hatte, oder ob es nicht doch eher Schicksal war. Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Mikes Wissensdurst war noch nicht gestillt.

»Kommt ihr öfters hierher?«

»Ja.« Maggie nickte.

»Wohnt ihr in der Nähe?« Nun sah er Fran in die Augen, also nannte sie ihm den Ort und wollte auch von ihm wissen, wo er und seine Kinder zu Hause waren. Als er ihr zwei verschiedene Orte nannte, sah sie ihn stirnrunzelnd an.

»Ich bin geschieden, die Kinder wohnen bei meiner Ex-Frau, sind aber regelmäßig bei mir.«

Am liebsten wäre Fran vor Freude an die Decke gesprungen, doch die Natur hatte keine, also ließ sie es bleiben, blinzelte ihn an und versuchte verzweifelt, sich ein Grinsen zu verkneifen. Als sich auch noch Maggies Fingernägel in ihren Oberschenkel bohrten, hätte sie beinahe laut aufgeschrien. Möglichst unauffällig schob sie Maggies Hand von ihrem Bein, neigte den Kopf etwas zur Seite und räusperte sich.

»Das war bestimmt schwierig für die Kinder?«

»War es. Eine Scheidung ist kein Zuckerschlecken, aber die beiden haben sich inzwischen daran gewöhnt.« Er machte eine kurze Pause. »Für mich und Kim war es eigentlich nicht so schlimm. Es war uns beiden bewusst, dass eine Trennung unausweichlich war, nur haben wir sie lange hinausgezögert. Kims Betrug brachte das Fass dann zum Überlaufen.«

Fran brauchte ein paar Sekunden, bis die Information in ihrem Hirn ankam. Maggie war schneller.

»Oho. Jetzt wird es spannend.«

»Sie hat dich … betrogen?«, stotterte Fran, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

»So ist es. Wir sind nun seit fast einem Jahr geschieden«, klärte Mike sie sichtlich amüsiert auf.

»Interessant«, hörte sie Maggie sagen.

Sie selbst brachte lediglich ein »Aha« zustande, auf die Schnelle war ihr nichts Besseres eingefallen. Doch ihr Hirn rotierte wie verrückt und zauberte die nächste Frage hervor. »Hat sie einen anderen Mann?« Eigentlich interessierte sie das gar nicht. Viel lieber wollte sie wissen, obereine Freundin hatte.

»Zurzeit nicht.«

»Und du?«, fragte Fran wie aus der Pistole geschossen.

»Ob ich einen anderen Mann habe?«

Maggie prustete los, woraufhin auch Mike und sie selbst in das Gelächter miteinstimmten. Fran wäre es allerdings lieber gewesen, hätte sie sich auf der Stelle in Luft auflösen können.

»Deine Frage war nicht fertig formuliert«, kicherte Maggie. Fran hielt lieber den Mund und grinste.

»Ich habe keine Freundin, falls du das fragen wolltest«, meinte er lächelnd, zwinkerte ihr zu und Frans Herz übte sich im Seilspringen.

Als Maggie aufstand, blickte Fran sie überrascht an.

»Ich muss dringend mal aufs Klo«, bekam Fran als Erklärung und blickte ihr lange hinterher.

Sie zuckte leicht zusammen, als sie das Gesicht Mike zuwandte.Schon wieder dieser intensive Blick.

»Erzähl mir ein bisschen von dir, Fran. Was sind deine Hobbys?«

»Ja, also … Immer freitags gehe ich mit Maggie zum Zumba. Eine weitere Leidenschaft ist das Schreiben.«

»Das klingt spannend. Was schreibst du?«

»Liebesromane«, meinte Fran und strahlte.

»Nicht meine Richtung, aber du schreibst bestimmt sehr gut. So, wie ich dich einschätze, würde ich mal behaupten, dass deine Geschichten ein Happy End haben, oder?«

»Genau. Etwas, das es im richtigen Leben oft nicht gibt, und deshalb muss ich wenigstens in meinen Romanen eines haben.« Zu ihrem eigenen Erstaunen hielt sie dem Blickkontakt stand.

»Auch in der Realität kann es ein glückliches Ende geben, wenn es die große Liebe ist«, sagte Mike fast etwas zu leise. Das kleine Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte, reichte, um in Frans Bauch ein Kribbeln der Stärke eines Hurrikans auszulösen.

Wie in Zeitlupe zog sie ihre Hände vom Tisch und schob sie zwischen ihre Knie. Er sollte nicht merken, dass sie zitterte. »Es ist aber schwierig, die große Liebe zu finden.«

Sein Blick bohrte sich immer tiefer in ihren und Fran musste aufpassen, dass sie im Blau seiner Augen nicht ertrank.

»Da stimme ich dir zu. Das Leben ist oft nicht einfach.«

»Leider nicht«, murmelte Fran.

»Mama, kann Fabio mal zu uns zum Spielen kommen?«

Fran fuhr erschrocken zusammen und sah dann zu ihrem Sohn auf. Sie hatte die Buben gar nicht kommen sehen. »Äh, ich denke schon.«

»Dann musst du sofort Frans Nummer notieren«, befahl nun Fabio seinem Vater.

»Yes, Sir«, sagte Mike mit einem Zwinkern, und als er auch noch salutierte, hatte er Fran damit vollends zum Lachen gebracht. Als die drei Buben grinsend davontrotteten, kramten Mike und Fran ihre Handys hervor. Wenn sie die Anspannung so schnell loswerden würde, wie sie die Nummer eingespeichert hatte, wäre das eine Erleichterung gewesen, nur wollte die keinen Millimeter von ihr weichen.

»Wie kommt es eigentlich, dass du an einem Wochentag Zeit für die Kinder hast?«, wollte sie wissen, während sie ihr Telefon zurück in den Rucksack legte.

»Die Kinder sind jeden zweiten Mittwochnachmittag bei mir. Die Woche darauf habe ich sie dann von Freitag- bis Sonntagabend.«

»Das ist schön.«

In den folgenden Minuten unterhielten sie sich über die Vorlieben der Kinder und entdecken dabei einige Gemeinsamkeiten. Und auch Mikes Interessen konnten sich sehen lassen.

»Seit wann machst du diesen Kampfsport? Wie hieß das noch mal?«

»Jiu-Jitsu. Das ist eine Kampfkunst der waffenlosen Selbstverteidigung. Es ist ein toller Sport und ich mache ihn schon zwanzig Jahre.«

»So lange schon? Toll. Und seit wann spielst du Gitarre?«

»Seit meiner Jugend. Fabio hat auch vor zwei Jahren angefangen.«

»Entschuldigt. Hat etwas länger gedauert«, hörte Fran Maggies Stimme neben sich und blickte auf. »Ich habe noch eine Bekannte getroffen. Fran? Wir sollten langsam nach Hause fahren, das Abendessen kocht sich leider nicht von allein.«

Fran blickte auf ihre Armbanduhr.Mist.»Äh, ja. Dann müssen wir wohl. Es hat mich sehr gefreut, dich, also euch, kennenzulernen.« Das beklemmende Gefühl in ihrem Herzen versuchte sie zu ignorieren, schließlich war es vor wenigen Sekunden noch überhaupt nicht spürbar gewesen.

»Wir sehen uns sicher bald wieder. Und tut mir ehrlich leid, dass ich dich fast umgeworfen habe. Hast du noch Kopfschmerzen?« In seinem Blick lag so viel Besorgnis und Wärme, dass ihre Knie schon wieder ganz weich wurden.

»Nur leichte. War ja nicht deine Schuld. Du hast mich vor dem Ball gerettet. Es war vermutlich nicht geplant, dass dein Ellenbogen dabei auf meiner Stirn landet.«

Er nickte betreten und lächelte schon wieder dieses Wahnsinns-Lächeln, das ihr Herz hüpfen ließ.

Maggie riss sie aus ihrem Traumland, als sie nahe ihrem Ohr nach den Kindern schrie.

Die protestierten auch sogleich.Ich will auch nicht nach Hause, dachte Fran und wünschte sich, Maggie hätte noch viel länger mit ihrer Bekannten geplaudert. Doch Widerstand war zwecklos und so machten sich nicht nur die Kinder mit hängenden Schultern auf den Weg zum Parkplatz. Immerhin bewegte sich Fran deutlich schneller vorwärts als die Kinder, denn die beäugten da einen Marienkäfer, dort eine Blume, und wieder ein paar Schritte weiter mussten sie einem altersschwachen Wurm über die Straße helfen.

Vor ihrem weißenVolvo XC90blieb Fran stehen. »Das ist unser Wagen. Müsst ihr noch weit bis zu eurem gehen?«

»O ja, müssen wir.« Er deutete auf den anthrazitfarbenenMercedes GLSneben ihrem Auto und schmunzelte. »Das sind mindestens drei Schritte.«

Fran lachte und während sie ihren Rucksack in den Kofferraum warf, fielen sich die drei Mädchen kichernd in die Arme und die Jungs verabschiedeten sich verbal voneinander, wie sich das für coole Halbwüchsige gehörte.

Als Fran den Deckel schloss, war Maggie eben dabei, Mike die Hand zu schütteln, danach setzte sie sich in den Wagen.

Mike kam zu ihr und sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Er ergriff sie so ehrfurchtsvoll, als wäre sie der kostbarste Schatz der Welt. Als er Fran zu sich heranzog, hielt sie den Atem an, und während ihr Herz für einen Moment aufhörte zu schlagen, hauchte er ihr einen Kuss auf die Wange.

»Gute Besserung, Fran. Tut mir ehrlich leid«, meinte er zerknirscht.

Sein fürsorglicher Blick ließ sie aufseufzen. »Danke, Mike. Mach dir keine Gedanken. Alles gut.« Sie lächelte ihn an. »Wie geht es eigentlich deinem Ellenbogen?«

»Dem geht es sehr gut. Er bedankt sich sogar bei deiner Stirn.« In seinen Augen lauerte ein verschmitztes Lächeln.

Irritiert blinzelte sie ihn an. »Wie meinst du das?«

»Nun ja. Wenn du mir nicht die Stirn geboten hättest, hätten wir uns nicht kennengelernt.«

»Stimmt«, stammelte sie. »Auf Wiedersehen. Bis bald.« Sie löste sich von seinen Augen und blickte schnell zu Boden, als würde sie etwas suchen. Zum Beispiel ein Loch, in dem sie verschwinden könnte, aber der Asphalt wollte nicht mitspielen.

»Tschüss, Fran. Bis bald. Pass auf dich auf und fahrt vorsichtig.«

Überglücklich über seinen letzten Satz, lächelte Fran ihn an, ging zur Fahrerseite und stieg ein. Sie fuhr rückwärts aus dem Parkplatz heraus und als sie davonfuhren, winkte sie Mike zu, während eine wohlige Wärme ihren Körper durchströmte und ihre Gedanken sich auf einer Achterbahn vergnügten.

3 Schreiben oder nicht?

Mike, 3. Juni

Mike legte sein Handy zurück auf den Schreibtisch und war froh, dass er ein Einzelbüro hatte, denn sein Stöhnen hätten seine Mitarbeiter auch falsch interpretieren können.

Warum hatte er nicht sofort einen neuen Termin mit Fran vereinbart, als sie sich vor einer Woche im Fun-Park voneinander verabschiedet hatten?

Ihrem Kopf ging es erfreulicherweise wieder besser. Das hatte sie ihm am Sonntagabend geschrieben. Warum hatte er da schon gezögert, sie einfach zu fragen, ob sie sich in einer Woche treffen könnten?

Mike kratzte sich am Kinn und schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte er auch gehofft, dass sie sich melden würde. Bestimmt wusste sie, dass er sich nächsten Mittwoch wieder mit ihr treffen wollte. Der Gedanke brachte ihn zum Lachen. »Ja, genau. Sie kann ja hellsehen. Schwachkopf.«

Er musste ihr schreiben. Wenn er noch länger wartete, wäre sie am Ende anderweitig verplant, und das wäre gar nicht gut. Überhaupt nicht. Am liebsten würde er sich sofort mit ihr treffen. Ohne Kinder.

Sein Herz klopfte schon wieder wie verrückt. Noch nie war er einer Frau begegnet, die ihn von der ersten Sekunde an so fasziniert hatte wie Fran. Fühlte sie dasselbe wie er oder bildete er sich das nur ein? Wahrscheinlich war sie nur höflich und neugierig gewesen. Oder drehten die Schmetterlinge in ihrem Bauch auch total durch, genau wie seine?

Hör auf zu spinnen, befahl er sich.

Er wusste nicht einmal, ob sie verheiratet war. Soweit er sich erinnern konnte, hatte sie keinen Ring getragen, aber das hieß nicht automatisch, dass sie geschieden war.

Verheiratet.Das Wort spukte schon wieder in seinem Kopf herum. Er würde auf jeden Fall noch herausfinden, ob es einen Ehemann gab.

Gerade als er sich erneut sein Smartphone schnappte, öffnete sich die Tür zu seinem Büro ein Stück, und Ruth, seine Sekretärin, streckte den Kopf herein.

»Mike? Die anderen warten auf dich. Hast du vergessen, dass ihr zum Lunch wolltet?«

Irritiert blickte er auf die Uhr. »So spät schon? Ich hab die Zeit völlig vergessen. Ich muss noch was Wichtiges klären. Sag bitte den anderen, sie sollen schon mal ins Restaurant vorgehen. Ich komme in fünf Minuten.«

»Mache ich.«

»Danke«, murmelte er und als sie die Tür zugezogen hatte, tippte er eilig eine Nachricht.

Hallo, Fran. Wie geht es euch? Hättet ihr nächsten Mittwoch Zeit? Wieder im Fun-Park? 14:00 Uhr? Würden uns freuen. Liebe Grüße, Mike, Fabio und Sofia

Nachdem er die Message dreimal durchgelesen hatte, drückte er auf den Senden-Knopf und atmete erleichtert auf. Geschafft.

Er stand auf, steckte das Telefon in die Hosentasche und hastete zur Tür. Als er den Türgriff bereits in der Hand hielt, ließ er ihn schnaubend wieder los, ging zurück, nahm seine Geldbörse vom Schreibtisch und ließ sie in der Gesäßtasche verschwinden.

Mit dem stillen Gebet, dass Fran hoffentlich bald zurückschreiben möge, verließ er sein Büro.

Fran, zur selben Zeit

Als Fran mittags in der Küche stand und die Nudeln in den Topf mit dem kochenden Wasser warf, drifteten ihre Gedanken schon wieder ab. Immer in dieselbe Richtung. Das hatten sie schon den ganzen Vormittag getan. Und gestern. Und vorgestern. Ach, zum Kuckuck!

Eine Woche war vergangen. Eine verdammt lange. Im Normalzustand rasten die Wochen nur so dahin, wobei ihre seit Monaten eher chaotisch waren. Doch die vergangenen sieben Tage hatten sich dahingezogen wie Kaugummi. Fran hasste das klebrige Zeug.

Sollte sie ihm einfach schreiben, dass sie sich den Mittwoch in einer Woche für ihn freigehalten hatte?

Fran schnappte sich ihr Smartphone vom Esstisch und tigerte im Wohnzimmer auf und ab.

Ein zischendes Geräusch ließ sie wie der Blitz in die Küche rennen. Sie hatte bei ihrem Herumgetigere tatsächlich vergessen, die Kochplatte herunterzudrehen. Während sie sie notdürftig reinigte, wanderten ihre Gedanken schon wieder zu Mike.

»Hör endlich auf, an ihn zu denken«, befahl sie sich. Nur wollte ihr das nicht gelingen. »Okay. Wenn du ihn schon nicht aus dem Kopf kriegst, dann analysiere es gefälligst.«

Da war also ein Mann. Ein ausgesprochen interessantes Exemplar. Sehr sympathisch, hübsch anzusehen, wahnsinnig nett und zuvorkommend, mit spannenden Hobbys, einem tollen Job und bestimmt noch viel mehr.Fran schüttelte den Kopf, warf den Lappen ins Spülbecken und stellte den Topf wieder auf das Kochfeld.

Der Wunsch, noch weitere Informationen über ihn in Erfahrung zu bringen, war definitiv vorhanden. Besser wäre es allerdings, wenn sie sich von ihm fernhalten würde, denn er könnte auch ein Serienmörder sein.

»Hör auf zu spinnen«, tadelte sie sich.

Das wäre doch der ideale Stoff für einen Krimi, dachte sie. Wenn er allerdings doch niemand war, der sie in seinen Träumen abschlachtete, dann wäre es eher der Plot für einen Liebesroman.

Sie warf die Arme in die Luft und fuhr sich durchs Haar. Jetzt musste sie wirklich aufhören mit diesem Unsinn.

Markus schlich sich in ihre Gedanken. Auch vor ihm hatte sie ihre innere Unruhe kaum verbergen können. Als sie letzten Donnerstagmorgen zusammen mit ihm im Badezimmer gestanden hatte, was normalerweise nicht vorkam, hatte er ihr mehr als einen schiefen Blick zugeworfen und sie gefragt, ob alles in Ordnung sei. Auch das kam üblicherweise nicht vor.

Wieder ärgerte sie sich über sich selbst. Es war ihr anfangs nicht bewusst gewesen, dass er misstrauisch werden könnte, wenn sie auf einmal bester Laune wäre. In den vergangenen Monaten war ihre Gemütslage alles andere als gut gewesen.

Erneut schnappte sie sich ihr Handy, um mit ihm wieder hin- und herzulaufen. Als das Telefon plötzlich piepte und surrte, hätte sie es beinahe fallen lassen. Sie blickte auf das Display und ihr Grinsen wurde mit jedem zu schnellen Herzschlag breiter.

Hallo, Fran. Wie geht es euch? Hättet ihr nächsten Mittwoch Zeit? Wieder im Fun-Park? 14:00 Uhr? Würden uns freuen. Liebe Grüße, Mike, Fabio und Sofia

»Ja, ja, ja«, rief Fran laut und hüpfte von einem Bein auf das andere.

Hallo, Mike. Uns geht es gut. Euch auch? Ja, wir haben Zeit. Fun-Park klingt super, 14:00 Uhr auch. Freuen uns ebenfalls. Schöne Woche. Bis bald. Liebe Grüße, Fran, Dave und Laura

Sie strahlte die Nudeln im Kochtopf an, erhielt aber nur ein Blubbern als Antwort.

In einer Woche würde sie wieder in seine wunderschönen blauen Augen blicken können.Ach, Mann.Sieben Tage konnten verdammt lang sein, wenn man nicht mehr warten wollte. Die Woche würde sich bestimmt wieder wie Kaugummi ziehen, aber da es keinen Schnellvorlaufknopf gab, müsste sie sich in Geduld üben. Seufzend machte sie sich daran, die Sauce für die Nudeln vorzubereiten.

4 Seelenverwandt?

Fran, 10. Juni

»Ich habe nichts anzuziehen«, rief Fran dem übervollen Kleiderschrank zu, der natürlich genau jetzt nicht das gewünschte Kleidungsstück bereithielt. Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und wählte Maggies Nummer.

»Hallo, Süße. Wie geht’s?«, begrüßte die sie fröhlich.

»Furchtbar. Ich hab nichts anzuziehen.«

»Ach herrje. Ein echter Notfall. Aber Schätzchen ... Dein Schrank ist rappelvoll.«

»Das weiß ich. Aber es befindet sich überhaupt nichts Brauchbares darin.«

Wenige Minuten später stand auch Maggie vor dem offenen Kleiderschrank. »Wir sollten wieder einmal shoppen gehen. Alles total hässlich.«

»Lass die Scherze. Hilf mir lieber.«

»Na schön … Also. Die Sonne scheint, aber es ist trotzdem nicht zu warm.«

»Maggie. Ich brauche keinen Wetterbericht, ich brauche Klamotten.«

»Das weiß ich. Aber das Wetter hat durchaus einen Einfluss auf die Kleidung. Lass mich mal überlegen. Ja. Das könnte gehen.«

Fran sah ihrer Freundin dabei zu, wie sie eine Dreiviertelhose und dazu eine kurzärmlige, weiß geblümte Tunika aus dem Schrank nahm.

»O nein. Doch nicht diese Tunika. Die ist so tief ausgeschnitten. Da kann ich ihm ja gleich›Hey, Baby, willst du in meinen Ausschnitt hüpfen?‹zurufen.«

»Gute Idee«, meinte Maggie und kicherte.

Fran starrte sie fassungslos an. »Maggie, echt jetzt?«

»Probier’s an.«

»Na schön.« Fran zog ihre bequemen Sachen aus und schlüpfte in das Outfit. Vor dem Spiegel drehte sie sich hin und her und beäugte sich kritisch.

»Perfekt«, stellte Maggie sanft fest und lächelte Fran im Spiegel zu.

»Bist du sicher?«

»Absolut. So kannst du ihn dir schnappen.«

Frans bitterböser Blick ließ den Spiegel fast zersplittern. »Ich will ihn mir nicht schnappen.«

»Ach, komm schon, Fran. Er gefällt dir und du magst ihn. Ich würde sogar behaupten, dass du dich ein wenig verliebt hast.« Mit einem Seufzer ließ sich Maggie auf das Bett fallen.

»Hab ich nicht«, rief Fran aufgebracht und merkte selbst, dass es wenig überzeugend klang. »Ich gebe zu, dass er mir gefällt und dass ich ihn mag, aber da sind keine Schmetterlinge. Nicht einmal ein Falter«, log sie verdammt schlecht. »Mike ist ein sehr sympathischer Mann. Aber ich denke nicht, dass er ernsthaft an mir interessiert ist. Er will sicher nur ein wenig spielen, flirten, sich amüsieren.«

»Glaube ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil mir sein schmachtender Blick nicht entgangen ist. Zudem war er ehrlich interessiert an dir. Nicht an deinem Körper. An dir.«

»Ich glaube eher, dass du das falsch interpretierst, weil du unbedingt möchtest, dass es so ist. Du bist genauso hoffnungslos romantisch wie ich. Aber ich brauche keinen Ritter in glänzender Rüstung, der sich dann doch als ein in Alufolie eingewickelter Vollidiot entpuppt. Vor zwölf Jahren habe ich mich für die Ehe mit Markus entschieden und nur ich kann mich daraus befreien.«

»Und wieso tust du es nicht?«

Fran senkte den Blick und zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, murmelte sie.

»Es ist nicht deine Schuld, dass ihr euch auseinandergelebt habt. Markus war am Anfang eurer Beziehung ganz anders. Irgendwie hat er sich in den letzten Jahren sehr zum Negativen verändert.«

»Vielleicht war er auch schon von Anfang an so und ich hab es nicht bemerkt. Er ist wie ein Panzerschrank, den ich bis heute nicht knacken kann. Er redet so gut wie nie über seine Vergangenheit. Sie sei nicht erwähnenswert. Punkt, Ende, aus und Amen.«

»Du bist unglücklich, Fran. Wenn du bei Markus bleibst, gehst du kaputt. Tu dir das nicht länger an. Nicht wegen Mike, sondern deinetwegen.«

Fran hielt sich die Hände vor das Gesicht und schluckte hart. »So einfach ist das nicht. Wir haben Kinder«, erwiderte sie und ließ die Arme wieder sinken.

»Das Leben geht auch nach einer Scheidung weiter. Hast du doch von Mike gehört. Steck den Kopf nicht in den Sand.«

Fran sagte nichts und verließ stattdessen das Schlafzimmer.

Viel zu früh kamen Fran und ihre Kinder im Fun-Park an. Ihre Ungeduld hatte sie vorzeitig aus dem Haus gejagt. Sie setzte sich an denselben Tisch, an dem sie das letzte Mal mit Mike und Maggie gesessen hatte. Dave und Laura nahmen unterdessen die Hüpfburg in Beschlag.

Zwanzig Minuten später rannte Laura Sofia entgegen und die beiden Mädchen flogen sich förmlich in die Arme. Fran erhob sich von der Bank und kam gerade noch dazu, Fabio und Sofia die Hand zu schütteln, Dave und Laura winkten Mike zu und dann flitzten die beiden Mädchen zur Hüpfburg und die Jungs mit dem Ball zur Wiese.

»Hallo«, begrüßte sie Mike und hielt ihm die Hand hin, die er auch sogleich ergriff.

»Hi. Sofia und Fabio hatten es eilig und wollten, dass wir früher abfahren, aber wie ich sehe, ging es dir genauso«, begrüßte er sie fröhlich.

Das kurze Streifen seiner Lippen über ihre Wange fühlte sich viel zu gut an. So gut, dass ihre Haut an der Stelle, an der er sie berührt hatte, erfreut prickelte. Bevor sie sich wieder hinsetzte, sog sie seinen Duft tief in sich ein.

»Wir waren auch eine halbe Stunde zu früh hier, da die Kinder nicht mehr warten wollten«, schwindelte sie und hoffte, dass ihre Kinder ihm nicht brühwarm erzählen würden, dasssiediejenige war, die es eilig gehabt hatte, denn das wäre ihr schrecklich peinlich gewesen.

Sie führten etwas Small Talk, wobei Fran es vermied, ihm zu tief in die Augen zu blicken, denn sein dunkelblaues Hemd ließ diese noch mehr strahlen.

Nach einer halben Stunde stand er auf, was Fran ihn fragend anblicken ließ.

»Ich könnte einen Espresso gebrauchen«, bekam sie als Erklärung. »Möchtest du einen Cappuccino? Dann hole ich uns schnell was.«

»Sehr gerne. Danke«, meinte Fran und strahlte mit der Sonne um die Wette.

Sie blickte ihm nach, als er davonging. Die Bank unter ihrem Hintern fühlte sich wie eine rosarote Wolke an. Um sich abzulenken, konzentrierte sie sich auf einen Hund, der seinem Besitzer davonrannte. Doch auch das hielt ihr Hirn nicht davon ab, ständig an Mike zu denken.

Kurz darauf nahm er wieder ihr gegenüber Platz. Fran bedankte sich für den Kaffee, rührte im Pappbecher herum und suchte nach einem unverfänglichen Gesprächsthema. Mike schien bereits eines gefunden zu haben.

»Erzähl mir ein bisschen von dir, Fran. Wie bist du aufgewachsen – Eltern, Schule und so?«

Sein Interesse an ihrer Person ließ Fran schmunzeln. Als ihr Blick zu der Narbe auf ihrem Arm glitt, verschwand es wieder. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihren Arm zurückzog und unter den Tisch gleiten ließ.Die Macht der Gewohnheit, dachte sie. Auch nach all den Jahren fiel es ihr schwer, jemandem die Geschichte zu erzählen, wie sie zu der Narbe gekommen war. Ihr war bewusst, dass Mike sie bestimmt schon bemerkt hatte, dennoch war sie nicht bereit, sich ihm anzuvertrauen. Auch dass sie alles andere als glücklich mit Markus war, würde sie nicht zugeben wollen.

»Mein Leben ist bis jetzt nicht besonders spannend verlaufen«, eröffnete sie ihre Geschichte und räusperte sich. Sie starrte in den Becher, als wäre ihr ganzes Leben dort versteckt. »Tja … Wo soll ich anfangen?«

»Am Anfang.«

Sie blickte auf und musste lächeln, als er ihr zuzwinkerte. In Gedanken machte sie einen weiteren Strich auf ihrer Plus-Minus-Liste. Sein Humor bekam auf jeden Fall einen dicken Strich auf der Plus-Seite.

»Also … Mein Vater kommt ursprünglich aus Capri. Er war noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, als er in die Schweiz auswanderte. Nach verschiedenen Jobs landete er schließlich in einer Bäckerei, wo er meine Mutter kennenlernte. Zusammen haben sie dann eine Konditorei und Bäckerei eröffnet. Irgendwann erblickte ich das Licht der Welt. Zu Hause haben wir nur Deutsch gesprochen, daher kann ich fast kein Italienisch. Meine Kindheit war normal, nichts Besonderes. Ich war eine mittelmäßige Schülerin, die lange nicht wusste, was sie einmal werden wollte. Als ich klein war, wollte ich Prinzessin werden, weil mein Vater mich ständigprincipessanannte. Es war eine ziemliche Enttäuschung, als ich größer wurde und merkte, dass Prinzessin-Sein kein Beruf ist.«

Mike lachte. »Das glaube ich gern. Ich wollte Dinosaurier-Dompteur werden und war ebenfalls ziemlich gefrustet, als meine Mutter mir sagte, dass es keine Dinos mehr gibt.«

Nun war Fran diejenige, die herzhaft kichern musste. »Du Armer. Als Kind hat man eine blühende Fantasie. Ich liebe solche Ideen. Danke für den Tipp. Könnte ich für meinen Roman gebrauchen. Wenn ich darf?«

»Natürlich. Gerne«, erwiderte Mike und grinste.

Einige Sekunden lang blickten sie sich lächelnd in die Augen und Fran musste ihre Gedanken sortieren, damit sie den Faden ihrer Erzählung wieder aufnehmen konnte. »Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zur Fotografin absolviert. Ich habe jahrelang in einem kleinen Fachgeschäft gearbeitet und war dort hauptsächlich für Porträtfotos zuständig. Jetzt arbeite ich jeweils am Dienstag- und Donnerstagvormittag in der Bibliothek unserer Gemeinde. Ich liebe Bücher«, erklärte sie ihm und grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Ich konnte mein Hobby zur Arbeit machen. Das ist nicht jedem vergönnt. Als die Kinder klein waren, habe ich ihnen viel vorgelesen, ich selbst kam aber selten zum Lesen. Inzwischen hat sich das zum Glück geändert. Ich kann mir bewusst Auszeiten nehmen. Dafür bin ich wirklich dankbar.« Dass das Lesen und Schreiben für sie auch eine Flucht aus dem Alltag war, behielt sie für sich.

»Ich finde es toll, wenn man seine Zeit mit den Dingen verbringen kann, die man liebt. Als ich noch kinderlos war, habe ich auch ab und zu gelesen. Jetzt bleibt mir leider neben der Arbeit, den Kindern und meinen anderen Hobbys keine Zeit mehr dazu.«

»Wie oft gehst du zum Jiu-Jitsu-Training?«

»Einmal in der Woche. Ich wäre auch mal fast Trainer einer Kindergruppe geworden, doch leider fehlt mir dazu ebenso die Zeit.«

»Der Tag hat eindeutig zu wenig Stunden.«

Mike lachte leise. »So ist es. Wenn ich dann doch Zeit habe, gehe ich mit meinem besten Freund Paolo joggen oder mal zum Squashtraining oder Radfahren.«

»Joggen war ich früher auch sehr oft. Heute kann ich mich dazu nicht mehr aufraffen. Zusammen mit Maggies Familie unternehmen wir öfters Fahrradtouren. Ansonsten schreibe ich in jeder freien Minute.«

»Was sagt dein Mann zu deiner Leidenschaft?«

Fran wollte eben nach ihrem Kaffeebecher greifen, hielt nun aber in ihrer Bewegung inne und blickte stattdessen zu Mike. Seine Kiefermuskeln wirkten angespannt, als würde er sich auf die Zähne beißen.

»Markus interessiert sich nicht für Bücher«, ließ sie ihn wissen, konnte ihn aber nicht ansehen. »Schon gar nicht für Liebesromane, wie ich sie schreibe.«

Sie biss sich auf die Lippen. So direkt hatte sie gar nicht sein wollen, auch wenn es der Wahrheit entsprach. Fran hob rasch den Becher an ihre Lippen. Ihre Hand zitterte leicht. Das Thema Markus war ihr im höchsten Grade unangenehm.

»Das ist schade. Was fühlst du dabei?«

Etwas zu heftig stellte sie den Becher zurück auf den Tisch und starrte ihn wohl für einen Augenblick an. Hatte er sie das wirklich gefragt? Maggie war bis jetzt die Einzige, die sich für ihr Innenleben interessierte. Und nun fragte sie ein ihr fast fremder Mann danach.

»Er muss meine Leidenschaft nicht teilen. Das erwarte ich gar nicht. Aber wenn es um das Schreiben geht, wäre es schon schön, wenn der Partner gut fände, was man tut, und wenn er einem das ab und zu sagt.«

Markus jedoch verdrehte oft die Augen, wenn sie auf das Thema Bücher zu sprechen kam. Und das kränkte sie sehr.

»Das verstehe ich. In einer Beziehung muss man weder immer derselben Meinung sein noch dieselben Hobbys teilen. Aber man darf die Passion des Partners nicht schlechtmachen, sollte dennoch hinter ihm stehen und sich mit ihm freuen.«

Seine Aussage hatte ihr die Sprache verschlagen, also blickte sie ihn einfach nur stumm an und nickte.

»Kim hat eine Schwäche für Heilsteine. Sie hat unzählige davon. Ich selbst glaube nicht daran, dennoch habe ich sie für ihre Leidenschaft nie belächelt und ihr sogar welche geschenkt.«

»Glückliche Frau«, murmelte Fran, mehr zu sich selbst als zu Mike.

Er lachte leise. »Die Heilsteine konnten unsere Beziehung auch nicht retten. Wir haben einfach nicht zueinander gepasst.«

Seine Aussage entlockte ihr ein Seufzen. Dass Markus und sie ebenfalls nicht zueinander passten, war ihr schmerzlich bewusst.

»Wie hast du Markus kennengelernt?«, fragte Mike und wirkte dabei alles andere als entspannt.

»Auf der Geburtstagsparty einer Freundin. Nach zwei Dates wurden wir ein Paar. Nicht einmal zwei Jahre später wurde ich mit Dave schwanger und wir haben noch vor der Geburt geheiratet.«

Ein Blick konnte manchmal mehr als tausend Worte sagen, doch den, den Mike ihr zuwarf, konnte sie nirgends einordnen.

Während Fran noch in Mikes Gesicht nach einem Anhaltspunkt dafür forschte, was in ihm vorging, kamen die Kinder angerannt. Mike drückte Fabio einen Schein in die Hand, damit sie sich ein Eis kaufen konnten. Fran wollte protestieren, aber Mike hielt sich den Finger vor den Mund und grinste sie an.

»Erzähl mir von dir«, forderte sie ihn auf, als die Kinder im Restaurant verschwunden waren, und betrachtete dabei sein markantes Gesicht.

Er sah aus, als hätte sie ihm das Atmen verboten. Der Glanz war aus seinen Augen gewichen. Sie strahlten eine Traurigkeit aus, die sie erschaudern ließ. Da spürte Fran, dass auch er ihr nicht alle Details seines Lebens anvertrauen konnte.

»Meine Eltern waren ebenfalls sehr jung, als sie von Italien in die Schweiz ausgewandert sind. Mein Vater, Lorenzo, nahm diverse Aushilfsjobs im Service an, um sich und meine Mutter zu ernähren. Schließlich absolvierte er doch noch eine Ausbildung zum Koch und konnte bald darauf ein kleines, heruntergekommenes Restaurant in Zürich übernehmen. Das war allerdings nur zusammen mit einem guten Freund möglich, da er alleine nicht das Geld hatte, das Lokal zu kaufen. Das Restaurant wurde dann sehr schnell sehr bekannt und lief wirklich gut und das tut es auch heute noch. Mein Vater hat bald darauf ein zweites Restaurant gekauft. Meine Mutter, Rebecca, arbeitete viele Stunden im Restaurant mit. Zwei Jahre nach mir wurde meine Schwester Vittoria geboren, daraufhin blieb meine Mutter für uns Kinder zu Hause.«

Dass Mike sie nicht ansah und hart schluckte, entging ihr keinesfalls. Ihr Blick glitt ins Leere und sie hätte zu gern gewusst, was in seinem Kopf vorging.

»Ich war ein guter Schüler«, sprach er da weiter. »Danach habe ich an der Uni studiert. Zuerst habe ich den Bachelor in Ingenieurwesen gemacht und danach noch ein Masterstudium in Elektrotechnik. Ich arbeite als Abteilungsleiter in einem Technologieunternehmen. Tja und meine Hobbys kennst du bereits.«

Als er wieder aufsah, schenkte Fran ihm sowohl ein bewunderndes Nicken als auch eine Frage. »Wie hast du deine Ex-Frau kennengelernt?«

»Durch gemeinsame Freunde. Das ist nun fast zwanzig Jahre her. Anfangs waren wir immer mal wieder getrennt. Es war sozusagen eine On-off-Beziehung. Als sie dann irgendwann schwanger wurde, haben wir geheiratet.«

Irritiert blinzelte Fran ihn an.

»Du hast eine Parallele bemerkt. Nicht wahr?«, fragte Mike, während er sie angrinste.

»Durchaus, ja.« Fran strich sich eine gelockte Haarsträhne hinters Ohr, die gerade ihre rebellischen fünf Minuten hatte, und stellte ihm schnell die nächste Frage, bevor er dazu noch etwas hätte sagen können. »Wie lange wart ihr verheiratet?«

»Zwölf Jahre. Die Trennung ist zwei Jahre her, seit letztem Jahr sind wir offiziell geschieden.«

Begleitet von einem Nicken hing Fran ihren Gedanken nach und blickte zum Tischtennistisch. Die Kinder saßen darauf und schleckten genüsslich ihr Eis.

Mike

Da er nicht Gedanken lesen konnte, beschränkte Mike sich darauf, ihr Gesicht zu betrachten, und prägte sich jeden Zentimeter ein. Ihre braunen Haare, etwas länger als schulterlang, umschmeichelten ihre weichen Gesichtszüge, und ihre vollen Lippen gefielen ihm ebenso gut wie ihre rehbraunen Augen. Weniger gut gefiel ihm die Tatsache, dass sie doch verheiratet war.

Genießerisch ließ er seinen Blick ihren Hals hinunterwandern und dankte ihr im Stillen dafür, dass sie sich für eine tiefausgeschnittene Tunika entschieden hatte. Sein Blick glitt wieder hoch und blieb erneut auf ihrem Gesicht haften. Darauf lag ein Zauber, der ihn fesselte, sein Herz höher schlagen und seine Knie weich werden ließ. Noch besser gefiel ihm der Blick in ihre Seele.

Er konnte es sich nicht erklären, aber er fühlte eine Vertrautheit, als würde er sie bereits sein ganzes Leben lang kennen. Als könnte er ihr direkt ins Herz blicken. Ein Herz, das im selben Rhythmus schlug wie sein eigenes.

»Wollen wir zum Streichelzoo gehen?« Mit dieser Frage riss er sie sichtlich aus ihren Gedanken.

Nun blickte sie ihn an. »Ja. Das ist eine gute Idee.«

Fran

Während die Kinderschar die Ziegen, Lamas und Hängebauchschweine streichelte, nutzte Fran die Zeit, um mit Mike weitere Geschichten aus ihrer beider Leben auszutauschen. Dass die Luft knisterte, ignorierte sie angestrengt, denn sie genoss es sehr, dass Mike jedes Detail aufsog, das sie ihm anvertraute.

Das Gefühl, das von Sekunde zu Sekunde deutlicher in ihr hochstieg, ließ sich nicht verjagen.Seelenverwandtschrie ihr Herz und sie brüllte innerlich zurück, es solle gefälligst still sein.

Sie schielte zu Mike, sah den Mann mit dem weichen Kern und wusste nur allzu deutlich, was an ihm sie dermaßen fesselte. Seine liebevolle Art umhüllt von seiner Männlichkeit brachte ihr Herz zum Rasen.

Markus schlich sich wieder in ihre Gedanken. Er gehörte definitiv nicht zu dieser Kategorie Mann, denn er hatte ihr Herz noch nie auf Hochtouren gebracht. Fran räusperte sich leise wegen ihrer negativen Gedanken und blickte schon wieder zu Mike.

Die beklemmende Stille zwischen ihnen, während sie den Kindern zu den Ponys folgten, machte sie fast wahnsinnig. Immer wieder trafen sich ihre Blicke und sie lächelten sich an, doch er blieb stumm, genau wie sie. Obwohl sie sämtliche Schubladen in ihrem Hirn aufriss, fand sie absolut nichts, das spannend genug war, um ihren Mund zu verlassen.

Nach etlichen Minuten, die ihr wie Stunden vorgekommen waren, brach Mike das Schweigen.

»Da fällt mir noch etwas Lustiges ein.« Als sie sich ihm zuwandte, trafen sich ihre Blicke. Er lächelte. Dann konzentrierten sie sich wieder auf den Weg. »Als ich mal mit den Kindern im Zoo war, gab es einen Vorfall mit einem Pfau. Wir sahen zu, wie er sein Rad machte. Auf einmal stürmte er auf uns zu. Die Kinder klammerten sich ängstlich an mich. Ich muss gestehen, wohl war mir in diesem Augenblick auch nicht. Als er immer näher kam, schob ich die Kinder aus dem Weg.« Mike streckte die Arme zur Seite aus und zeigte ihr die Bewegung. »Und dann sah ich den Grund, warum der Pfau es so eilig hatte.«

»Und?«, fragte Fran, als er nicht sofort weitersprach.

»Ein Weibchen hatte hinter uns gestanden.«

Die Geschichte brachte Fran zum Lachen. Ihre Verklemmtheit rutschte wieder etwas in den Hintergrund und so gelang es auch ihr plötzlich, in ihren Gedächtnis-Schubladen kleine Anekdoten zu finden, die das Schweigen zwischen ihnen unmöglich machten.

Als sie eine Stunde später beim Parkplatz standen, bauten sich die vier Halbwüchsigen vor ihnen auf und verschränkten die Arme vor der Brust.

»Wir möchten, dass ihr sofort einen neuen Termin vereinbart. Also heute in zwei Wochen. Dann möchten wir uns wieder treffen«, ließ Fabio sie wissen und stemmte die Hände in die Hüften.

Während die drei anderen zustimmend nickten, tauschten Fran und Mike amüsierte Blicke aus.

»Okay. Können wir machen«, meinte Mike. »Aber dann gehen wir in den Erholungs- und Freizeitpark mit dem Wasserbecken, der etwas außerhalb Zürichs liegt.« An Fran gewandt ergänzte er noch: »Kennst du den Verde-Park?«

»Ja. Den kenne ich.«

»Gut. Also dann. Kommt gut nach Hause. Bis bald …«, murmelte er ihr zu und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

Frans zentraler Antriebsmotor schlug immer noch heftig, als sie im Auto saß und davonfuhr. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf und zwang sich, sich auf die Straße zu konzentrieren. Dass sie sich körperlich zu Mike hingezogen fühlte, konnte sie nicht leugnen. Aber da war mehr. Viel mehr. Doch selbst wenn sie unglücklich war, eine Affäre war das Letzte, was sie gebrauchen konnte.

Zu gern hätte sie ihm in den Kopf blicken wollen. Was empfand er für sie? War er scharf auf ein Abenteuer? Oder waren seinerseits auch Gefühle im Spiel?

Blöde Gedanken. Fran erhöhte die Lautstärke des Autoradios. Damit die Fragen endlich aufhörten, sich im Kreis zu drehen, sang sie lauthals mit.

Nachdem Dave und Laura eine Runde gelacht hatten, schmetterten auch sieHighway to Hellvon AC/DC aus dem leicht geöffneten Fenster in das Land hinaus.

Was für ein überaus passender Song, dachte Fran und sang noch lauter als zuvor.

5 Herzklopfen

Fran, 24. Juni

»Könnt ihr bitte aufhören, die Schuhe als Bälle zu benutzen?«, rief Fran und fuchtelte mit den Armen herum.

Die vier Kinder hörten ihr gar nicht zu und spielten einfach weiter. Fran verstand durchaus, dass es ihnen Spaß machte. Warum sie zum Kicken nicht den mitgenommenen Ball benutzten, wollte ihr dennoch nicht einleuchten. Sie warf Mike einen amüsierten Blick zu, was er mit einem Grinsen quittierte.

»Wenn ihr endlich fertig seid, könnt ihr die Schuhe aber selbst einsammeln«, ließ er die Kinder wissen und stellte seine Sneakers neben die Badetasche.

Fran beobachtete ihn verstohlen, während sie die Kleider der Kinder auf die Tasche legte. Warum hatte er sich für ein ärmelloses Shirt und Shorts entscheiden müssen? Vermutlich aus demselben Grund, warum sie unter ihrem Kleid einen Bikini trug. Die Sonne meinte es an diesem Tag besonders gut mit ihnen.

In ihrem Bauch kribbelte es. Lag das an Mike? Vielleicht hatte sie auch einfach nur Hunger, denn sie hatte seit dem Morgen noch fast keinen Bissen hinunterbekommen.

Wahrscheinlicher war jedoch, dass es die Liebesschmetterlinge waren, die ihren Magen in Aufruhr brachten. Ihr Herz und ihr Verstand waren sich diesbezüglich nie einig, was das Zusammenleben mit ihr selbst alles andere als einfach machte.

Noch immer prickelten die Stellen an ihrer Wange und ihrem Arm, an denen Mike sie bei der Begrüßung kurz berührt hatte. Oder bildete sie sich das nur ein?