Wenn die Wellen leuchten - Patricia Koelle - E-Book
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Wenn die Wellen leuchten E-Book

Patricia Koelle

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Beschreibung

Der Beginn der großen Nordsee-Trilogie von Spiegel-Bestseller-Autorin Patricia Koelle! Die Insel im Herzen Rhea lebt auf der Nordseeinsel Amrum. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Nicht einmal ihre Mutter kennt seinen Namen. Rhea ist ein Kind der Insel und kann sich nicht vorstellen, woanders zu leben. Doch da taucht ein geheimnisvoller Brief ihres Vaters auf, darin eine Beschreibung, woran man seine große Liebe erkennen kann. Rhea macht sich auf in die Ferne, um ihren Vater zu suchen – und ihre große Liebe. Aber schon bald sehnt sie sich nach dem Geruch von Tang, Salz und Leben in der lichterfüllten Weite des Watts zurück. Wird sie dennoch etwas über ihre Herkunft erfahren? Und ihre Liebe finden? »Fesselnd, zärtlich und voller Atmosphäre.« FÜR SIE zu »Das Meer in deinem Namen«

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Seitenzahl: 564

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Patricia Koelle

Wenn die Wellen leuchten

Roman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Rhea lebt auf der Nordseeinsel Amrum. Sie sorgt auf besondere Weise für die Unterhaltung der Feriengäste, denn sie betreibt eine Minigolfanlage, die Geschichten erzählt. Jede Bahn ist eine Szene aus dem Leben der Insel und ihrer Gäste.

Ihren Vater hat Rhea nie kennengelernt. Dafür wurde sie von ihren Mitschülern gehänselt und zur Außenseiterin erklärt. Auch heute noch ist ihr größter Wunsch, herauszufinden, wer ihr Vater ist. Niemand außer ihrer Mutter hat ihn je gesehen, und nicht einmal diese kennt seinen wirklichen Namen.

Als Rhea achtzehn wird, zeigt ihr die Mutter einen Brief, den er hinterlassen hat. Ein Satz darin geht Rhea nicht aus dem Sinn. In diesem beschreibt ihr Vater, wie man seine große Liebe erkennen kann. Rhea macht sich in die Ferne auf, ihren Vater mit Hilfe dieses Satzes zu suchen – und um ihre große Liebe zu finden. Doch schon bald sehnt sie sich nach dem Geruch von Tang, Salz und Leben in der lichterfüllten Weite des Watts zurück. Wird sie dennoch etwas über ihren Vater erfahren? Und stimmt es, was er über die große Liebe gesagt hat?

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Patricia Koelle ist eine Berliner Autorin mit Leidenschaft fürs Meer – und fürs Schreiben, in dem sie ihr immerwährendes Staunen über das Leben, die Menschen und unseren sagenhaften, unwahrscheinlichen Planeten zum Ausdruck bringt. Bei FISCHER Taschenbuch erschienen ist die Ostsee-Trilogie mit den Bänden ›Das Meer in deinem Namen‹, ›Das Licht in deiner Stimme‹ und ›Der Horizont in deinen Augen‹, außerdem der alleinstehende Roman ›Die eine, große Geschichte‹. ›Wenn die Wellen leuchten‹, ›Wo die Dünen schimmern‹ und ›Was die Gezeiten flüstern‹ sind die drei Bände ihrer Nordsee-Trilogie, die auf Amrum spielt. ›Ein Engel vor dem Fenster‹ ist eine Sammlung von Wintergeschichten, ›Der Himmel zu unseren Füßen‹ ein Weihnachtsroman.

Inhalt

Widmung

Prolog

Im Wattenmeer 1748

Rhea

1 Von namenlosen Wassermännern

Rhea

2 Besuch aus einem Tagtraum

3 Neugier

Rhea

4 Inselkind

Rhea

5 Fragen

Filine

6 Ein alter Zauber

7 Entdeckung

Rhea

8 Am Ende des Sommers

Filines Krabbenbrote

Filine

9 Nathan

Filine

10 Freundschaft und Suche

11 Wache im Watt

Lentjes Spezialkakao für alle Fälle

Rhea

12 Über dem Tal

Rhea

13 Das Geschenk

Rhea

14 Herrn Tilmans Ort

Helenes Striezel mit Orangenmarmelade

Rhea

15 Lentjes Geheimnis

16 Ein Geschenk

Rhea

17 Abenteuersommer

Kärntner Kasnudeln

Filine

18 Rückkehr

Filine

19 Unvorhergesehenes

Hillas Friesentorte

20 Umbruch

Rhea

21 Severins Bäume und ihre Folgen

Filine

22 Fest mit Havarie

23 Ein Wunsch im Wind

Rhea

24 Alriks Kwaas

Lentjes Knerken

Rhea

25 Die Künstlerin

Filine

26 Angst und Wahrheit

Rhea

27 Die Falle der Zeit

Valentins Blinis aus der »Miesmuschel«

Rhea

28 Schwarz auf weiß

29 Seezeichen

30 Auf der Suche

Valentins feurige Soljanka

31 Winterwunder

Filine

32 Mit der Kraft der Sonne

Hillas berühmtes Deichlamm

Rhea

33 Der Schalttag

Epilog

Danksagung

Leseprobe aus ›Wo die Dünen schimmern‹

1 Solange du was bewegst

Für alle, die sich vom Alltag

nicht die Zeit nehmen lassen,

die verborgenen Schätze in ihrem

Leben aufzuspüren.

 

Und für alle, die lange nicht mehr

daran gedacht haben, danach zu suchen.

Prolog

Die Sage vom Töveree Fisk

Im Wattenmeer 1748

Der Novemberorkan fegte über die Inseln, riss Reet von den Dächern und jagte die Büschel in den Himmel wie geisterhafte Vögel. Die Böen ließen Wände erzittern und pfiffen durch die Fenster, hinter denen sich Menschen duckten und einander Geschichten gegen die Angst erzählten. Das aufgepeitschte Meer nagte an den Stränden, bis die Sturmflut ganze Stücke verschlang.

Draußen auf See klammerte sich der Steuermann an das Ruder und versuchte, durch die Tropfen zu blinzeln, die ihm wie Nadeln ins Gesicht fuhren. War es der Wolkenbruch oder Seewasser? Er versuchte mit aller Kraft, nicht den Halt zu verlieren, und dachte an seine Katharina und den kleinen Emil zu Hause in Hamburg. Bis heute hatte er stets Glück gehabt, aber diesmal zweifelte er, ob er sie wiedersehen würde.

Der Kapitän in seiner Kajüte fuhr ratlos mit dem Finger über die Seekarte und starrte finster auf den Kompass, der sich benahm wie der Koch, wenn er wieder mal heimlich zu viel Rum getrunken hatte. Der Himmel, wusste er, würde heute keine Sterne anbieten, an denen er sich orientieren konnte. Er kannte die Route genau und hatte einen scharfen Instinkt, doch diese Gewässer waren tückisch und änderten ihr Gesicht schneller, als Seekarten gezeichnet werden konnten. Sein rechtes Schulterblatt schmerzte. Das war ein untrügliches Zeichen für Gefahr.

Von unten drang dumpfes Poltern herauf. Der Kapitän runzelte die Stirn. Wenn die Ladung der Thalea verrutschte, konnten sie innerhalb von Augenblicken verloren sein. Die wertvollen Kupferstäbe aus dem Harz, die für Brügge bestimmt waren, wogen schwer und trugen die Schuld an dem gefährlichen Tiefgang des alten Frachtseglers. Er hätte diesen Auftrag nicht annehmen sollen. Aber er benötigte den Verdienst dringend, und auf dem Rückweg würde die Thalea das berühmte flandrische Tuch in den Heimathafen bringen, und auch das versprach lohnenden Gewinn.

Doch nun konnte ihnen nur noch ein Wunder helfen, diese Nacht zu überstehen. Der Kapitän wusste, dass sie vom Kurs abgekommen waren. Er spürte, dass der Meeresgrund viel zu nahe unter dem Rumpf lag.

Um wenigstens dem Steuermann Gesellschaft zu leisten, hangelte er sich an Deck. Dort war es so finster, dass er von seinem alten Freund kaum den Umriss erahnen konnte. Er versuchte, ein Gespräch anzufangen, doch der Sturm heulte und pfiff in der Takelage, und die Wellen klatschten so laut gegen den Rumpf, dass eine menschliche Stimme hier ein Nichts war gegen die Gewalten.

Der Kapitän fuhr mit der Hand unter sein Ölzeug und sein durchnässtes Leinenhemd. Seine Faust schloss sich um das Amulett, das er trug, seit er zum ersten Mal zur See gefahren war. Es war ein Familienerbstück. Auch wenn er an das dazugehörige sagenhafte Seemannsgarn nicht glaubte, schaden würde es gewiss nicht.

 

Da! Er hatte die Gefahr gespürt. Für einen Moment blitzte hinter der unerbittlichen Wand aus Regen und Schaumkronen steuerbords viel zu nahe ein Licht auf, ehe es wieder vom Wasser verschluckt wurde. In diesem kurzen, grellen Augenblick sah er die Panik im Gesicht des Steuermannes. Er sah auch den Matrosen, der sich längst vom Ausguck im Mastkorb heruntergerettet hatte und nun am Bug die Reling umklammerte. Selbst wenn er rechtzeitig ein Hindernis erblickt hätte, niemand hätte seine Warnung hören können.

Da! Noch ein Licht. Diesmal vor ihnen. Leuchtfeuer! Was der Kapitän befürchtet hatte, war eingetreten. Das Unwetter hatte sie zwischen die Inseln getrieben, wo sie jederzeit auf eine Sandbank laufen konnten.

Die nasse, spannungsgeladene Luft roch nach Schlick und Schwefel. Er spürte, wie die Kanten des Amuletts scharf in seine geschwollenen Finger drückten. Das Schiff neigte sich gefährlich. Die Ladung! Wenn die Gurte nicht hielten… …

»Jetzt bräuchten wir das Wunder«, murmelte er. »Jetzt!«

 

Der Steuermann sah es zuerst, packte den Kapitän am Arm und deutete aufgeregt nach Backbord. Ein bläulicher Schimmer stieg aus der Tiefe herauf. Der Kapitän hangelte sich auf die Seite und spähte vorsichtig hinunter, hoffend, dass die nächste Welle seine klammen Fäuste nicht von der Reling reißen würden.

Und dann sah er es.

Der Fisch schwamm an der Seite der Thalea. Er war riesig, vielleicht vier Meter lang. In der Form ähnelte er einem Rochen, mit zwei wie Flügel ausgebreiteten Flossen, die sich gemächlich auf und ab bewegten. Anders als ein Rochen besaß er jedoch zusätzlich eine geschwungene Rückenflosse, die in knochigen Strahlen auslief, und einen spitzen, verlängerten Oberkiefer, beinahe wie ein Schwertfisch. Das blaue Leuchten ging von seiner Haut aus, die dunkel war, auf der jedoch eine Anzahl ringförmiger, blausilbern schimmernder Schuppen saß. Das Leuchten wurde stärker, erhellte nicht mehr nur die aufgewühlte Meeresoberfläche und die Seitenwand des Schiffes, sondern nun auch den Meeresgrund.

Der Kapitän sah die Felsen, die Sandbank dahinter, erfasste blitzschnell die Lage. Er wandte sich um und schrie wild gestikulierend: »Steuerbord! Hart Steuerbord!«, und der Steuermann hörte es, denn auf einmal herrschte Stille.

Die Stille schien sich mit dem Licht auszubreiten. Der Sturm hielt die Luft an, der Wind schwieg, und die Wellen beruhigten sich, als hätte ihnen der sanfte, gewaltige Flügelschlag in der Tiefe eine Weisung gegeben. Selbst das Stöhnen der Planken und das Knarren in der Takelage verstummten.

Auch die Mannschaft hielt den Atem an. Die Thalea fuhr dicht an den scharfkantigen Steinen vorbei, die nicht enden wollten, und glitt endlich in offenes Wasser. Der Weg war nun frei, alle an Bord sahen die sicheren Tiefen in dem rätselhaften Licht vor sich liegen. Ein Blick aus einem großen, dunkelblauen Auge traf den des Kapitäns, dann tauchte der Fisch ab, das Leuchten erlosch allmählich, hing noch einen Moment in der Zeit wie der letzte Ton eines Liedes, der nicht verklingen will.

Dann erst kehrte der Sturm zurück, auch die Bewegung in den Wellen, doch nicht mehr mit der alten Wucht.

Der Matrose stolperte hastig über das Deck. »Herr Kapitän, Herr Kapitän, was war das nur für’n Töveree Fisk?«

»Töveree?«

»Der Junge spricht Plattdeutsch, Kapitän«, erklärte der Steuermann. »Töveree bedeutet Zauberei. Ja, was war das für ein Zauberfisch? Auch ich wüsste es gern. Das Tier hat uns vor den Felsen bewahrt. Das glaubt uns keiner, dass das kein Seemannsgarn ist! Nicht einmal meine Katharina.«

Der Kapitän zog das Amulett unter seinem Hemd hervor und betrachtete es gedankenverloren.

Ringförmig lag es in seiner Hand, schimmerte oben dunkler, unten heller, bläulich wie die Federn eines Eisvogels, wie der Himmel in einer klaren Winterdämmerung. Er wusste nicht, woraus es bestand, aber es war überraschend leicht, wog nicht mehr als die Schuppe eines Fisches.

Rhea

1965

Nordseeinsel Amrum

1Von namenlosen Wassermännern

»Da! Da ist es, das Kraabniinje! Es denkt, wir sehen es nicht, wenn es im Dreck hockt.«

»Es ist eben dumm, das Kraabniinje.«

»Dabei soll es schon acht Jahre sein. Acht Jahre und so dumm!«

»Das ist eben so, wenn man ’nen Wassermann zum Vater hat.«

Die johlende Kindermeute umringte das Mädchen, das im Sand hockte, dort, wo die Ebbe schwarzen Schlick in einer Pfütze hinterlassen hatte. Es hatte die Arme um die Knie geschlungen und balancierte geschickt auf seinen bloßen Zehen. Dadurch wirkte die kleine Gestalt seltsam leicht in ihrem Gleichgewicht zwischen Sand und Himmel. Ihre Haltung erinnerte tatsächlich an die Kaninchen, die in den Dünen zu Hause waren. Sogar ihre dunklen Locken, die nicht einen, sondern zwei Wirbel hatten, ließ der Wind wie Kaninchenohren hochstehen.

»Da hockt es und tut so unschuldig!« Ein Junge trat heftig mit dem Fuß in den Sand und ließ feuchte Brocken so hoch fliegen, dass sie das Mädchen am Rücken trafen. »Dabei ist der Kutter vom Henner Fredriksson nur wegen ihm gesunken! Wär es nicht hier, wär der Sturm nicht gekommen und der Otto hätte seinen Vater noch.«

»Was meinst du, Björn, wenn wir es in der nächsten Flut versenken, ob dann kein Sturm mehr kommt?«, fragte ein anderer.

Der Spitzname machte Rhea keine Angst. »Niinje« hatten Kinder die Kaninchen schon immer genannt. Auch ihre Mutter Filine nannte sie manchmal zärtlich so. »Keine Angst, mein Niinje!« Und auch das »Kraab«, das man nun davorgesetzt hatte, war für Rhea kein Schimpfwort. Die Strandkrabben waren ihre Freunde, vor allem die jungen, daumennagelgroßen, die sich in den Muschelhaufen im Watt versteckten und deren Existenz nur die wenigsten bemerkten. Für Rhea waren es ihre Spielkameraden, die Freunde, auf die sie sich immer verlassen konnte, und dort zu Hause, wo auch sie zu Hause war.

Jede der winzigen Krabben trug ein anderes Muster auf dem Panzer. Manche hatten die Farbe des Sandes, andere waren schwarz wie der Schlick. Am spannendsten war, dass auf jedem Panzer kleine dunkle Kreuze, winzige weiße Pfeile, Striche und Punkte zu sehen waren. Als trüge jedes der kleinen Wesen eine Botschaft.

Es schien, dass die kleinen Krabben Rheas Zuneigung erwiderten. Als Rhea sie das erste Mal in einem Miesmuschelhaufen entdeckt hatte, waren sie noch schüchtern gewesen und hatten das Weite gesucht oder sich tief in die Muscheln verkrochen. Von da an saß Rhea ganz still und beobachtete nur, bis die zarten Wesen Zutrauen fassten und sich so bewegten, als wäre sie gar nicht da.

Und tatsächlich, nach einiger Zeit gab es unter den Krabben einzelne, die sogar über ihren Fuß liefen oder eine Pause machten und Rhea nachdenklich mit ihren winzigen intelligenten Knopfaugen betrachteten. Rhea gewöhnte sich an, ihnen ihre Sorgen zu erzählen und ihre Freuden mit ihnen zu teilen.

 

Einmal sollten die Kinder in der Schule über etwas berichten, was sie interessant fanden. Rhea erzählte von ihren Freunden, den winzigen Krabben. Niemand verstand sie, selbst die Lehrerin lächelte spöttisch. Seitdem galt Rhea nicht nur ihrer Herkunft wegen als »anders«.

Es störte sie nicht weiter. Sie machte es wie ihre wahren Gefährten, die Krabben und die Muscheln, und zog sich in sich zurück, bis wieder Ruhe war. Zwar hatte Rhea keine Schale und keinen Panzer, aber sie entdeckte, dass man sich auch in der Stille verkriechen konnte. Ihr Schweigen verunsicherte die Angreifer oder langweilte sie, bis sie verschwanden. Die Stille schützte Rhea wie ein Krabbenpanzer, aber sie war nicht so eng. Innen war sie weit wie das Meer, und Rhea war frei darin, frei von allem, was bedrückte.

Doch noch nie hatte ihr jemand die Schuld an etwas so Großem wie einem Sturm und dem Tod eines Menschen gegeben. Rhea zog den Kopf ein und wusste nicht, ob die Stille tief genug war, um ihr auch diesmal helfen zu können.

»Eine gute Idee, Hans«, sagte Björn. »Wir werfen sie am besten bei Nacht in die See, damit sie nicht ein anderer Dummer wieder herauszieht. Oder gar ihre dreckigen Krabbenfreunde.« Er setzte einen großen, schweren Schuh auf eine Krabbe, die unvorsichtig genug gewesen war, sich nicht in den Muschelhaufen zurückzuziehen.

Rhea, die sich bisher nicht bewegt hatte, sprang blitzschnell auf und schleuderte eine scharfe Muschelschale mitten in Björns Gesicht. Verblüfft blickte der Junge in große graue Augen unter entschlossenen Brauen. In ihnen war ein Sturm unterwegs. Björn war größer und auch älter als Rhea, aber er sprang zurück und fasste sich an die Nase. Aus einem kleinen Schnitt tropfte Blut. »Da seht ihr, wie gefährlich die Wassermanngöre ist!«, jammerte er.

Hans packte Rhea und drehte ihr die Arme nach hinten. »Was soll ich mit ihr machen?« Er riss sie an den Haaren. »Haare abschneiden? Oder wollen wir sie gleich ertränken?«

Sie stand reglos und wehrte sich nicht. Aber sie sah, dass die kleine Krabbe sich wieder aus dem Sand gearbeitet und den sicheren Muschelhaufen erreicht hatte.

Björn hielt sich noch immer ein Taschentuch an die Nase. »Versenken wir sie jetzt. Je eher, desto besser! Mein Vater sagt auch, das Bastardgör taugt nichts, genau wie ihre Mutter.«

In diesem Augenblick fegte eine Bö vom Meer her über den Kniepsand, nahm dort über der sonnenwarmen flachen Weite Fahrt auf und begann, sich zu drehen. Sand wirbelte mannshoch auf und trieb direkt in Richtung der Kindergruppe.

»Au!« Die Jungen kniffen die Augen zu und rissen die Arme schützend hoch. Nadelstichscharf prasselte der Sand auf ihre Haut. Endlich wanderte der Wirbelwind weiter, entriss Björn das Taschentuch und trug es mit sich davon. Wie ein spöttisches Winken einer unsichtbaren Hand flatterte es Richtung Dünen.

»Lass sie los, Hans!«, sagte Sonja, eines der größeren Mädchen. »Wenn sie wirklich die Tochter eines Wassermanns ist, wird er zornig sein und erst recht einen Sturm schicken. Aber ich denke, sie ist einfach nur ein Waschlappen und nicht ganz richtig im Kopf. Lass sie los, wir haben Wichtigeres zu tun.«

Hans, dem der plötzliche Wirbelwind nicht geheuer schien, ließ sich das nicht zweimal sagen. Er stieß Rhea von sich, so dass sie mit den Knien in den Schlick stürzte. Johlend rannte die Meute davon.

Rhea blieb sitzen. Der weiche Schlick an ihren Knien war angenehm. Die kleine Krabbe wagte sich wieder hervor und brachte zwei Geschwister mit. Wie um Rhea zu trösten, veranstalteten sie ein Tauziehen um ein kleines grünes Stück Blasentang.

Eine Bewegung ließ Rhea aufblicken. War einer der Jungen zurückgekommen?

Nein, es war Lilani, die vor ihr stand und sie anlächelte. Lilani kniete sich ebenfalls hin und zeichnete mit dem Finger ein Wort in den Sand, den die Ebbe an dieser Stelle so glatt wie eine Tafel zurückgelassen hatte.

Idioten!

Rhea lächelte zurück. Lilanis Gegenwart tat ihr gut. Lilani war ein Wesen, das in Rheas Welt ebenso gut passte wie die Krabben.

Lilani sprach nie, deswegen schrieb sie in den Sand. Auch sie kannte die Kraft der Stille. Der Arzt sagte, sie könnte sprechen, wenn sie wollte, doch da wären Geheimnisse in ihrer Vergangenheit, die niemand kannte, und Lilani leide wohl an einer Angst, die sie stumm machte. Rhea glaubte nicht, dass Lilani Angst vor etwas hatte. Sie wirkte so sicher, als könnte nichts ihr etwas anhaben. Bestimmt, weil auch sie in der Stille wohnte, noch viel mehr als Rhea, die sich nur manchmal dort hineinflüchtete.

Lilani, das Nachtkind. Man nannte sie so, weil sie so dunkel war – ihre Haut, ihre Haare, ihre Augen. Nicht nur das, sie liebte es auch, nachts umherzustreifen. Man hatte sie schon für einen Klabautermann oder den Geist des berüchtigten Hark Olufs gehalten, des legendären Amrumer Seefahrers, der angeblich ein Wiedergänger war. Es war kein Wunder, dass der eine oder andere erschrak, wenn er im Mondlicht nur ihr weißes Nachthemd und ihre blitzenden Zähne in der Dunkelheit gewahrte.

Bei Tag sah man in ihren ruhigen Augen nur sich selbst. Sie waren zu dunkel, als dass man einen Ausdruck darin hätte lesen können. Wie ein Spiegel waren sie, wie ein tiefer See, wie der Nachthimmel. Manchen war das unheimlich, andere zog es an. Diese Menschen störte es nicht, dass Lilani nicht sprach. Denn wenn man in ihre Augen sah, fing man an zu denken, Dinge, die einem sonst nie in den Kopf gekommen wären, und hatte genug damit zu tun.

Kapitän Reuwers und seine Frau hatten das Kind vor einigen Jahren in einem fernen Ozean auf einer Insel gefunden, nur mit einer Schwimmweste bekleidet und mutterseelenallein. Am Arm trug sie eine Binde, auf die jemand ihren Vornamen gekritzelt hatte. Von woher sie stammte, ließ sich nicht feststellen. Lena Reuwers konnte sich nicht mehr von dem kleinen Mädchen trennen, und so brachten sie es auf nicht ganz legalem Wege mit nach Hause. Abgesehen davon, dass sie nicht sprach, fügte Lilani sich gut ein. Am liebsten aber blieb sie für sich. Nur an Rheas Gesellschaft schien ihr etwas zu liegen.

Jetzt fügte sie zu dem Wort, das sie in den Sand geschrieben hatte, noch eines hinzu.

Egal!

»Du hast recht.« Rhea nickte ihr zu und schob den Gedanken an die wütenden Jungen beiseite. Mit der harten Schale einer Islandmuschel begann sie, einen geschwungenen Graben auszuheben. Sie beobachtete, wie das Wasser hineinlief und dem von ihr vorgegebenen Weg folgte. Schon immer fand sie es faszinierend, wie sich die Dinge gegenseitig beeinflussten. Der Wind beeinflusste den Weg der Wolken. Der Sand gab den Weg des Wassers vor. Ein Hindernis wie eine Muschel änderte den Weg, den der Sand nahm, wenn der Wind ihn über das Watt pustete. Die Schnecken mussten Hindernisse und Gräben überwinden. Die Welt war wie ein Wollknäuel aus Wegen, aber sie lag nicht still wie ein Wollknäuel. Alle Fäden waren ständig in Bewegung. Rhea wurde nie müde, dieses wilde Geschehen zu beobachten und zu ergründen und manchmal selbst einen Faden zu ziehen.

Aber heute konnte sie sich nicht darauf konzentrieren. Wider Willen bedrückten sie die Worte, die ihr der große Björn in die Ohren gesetzt hatte. Sie musste an Otto denken, der nun keinen Vater mehr hatte, weil der im Sturm ertrunken war.

Was, wenn es wirklich ihre Schuld war? Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, wie es dazu gekommen sein könnte, aber so voller Geheimnisse, wie die Welt war, hielt sie alles für möglich.

 

»Rhea! Du hast wieder dein Brot vergessen.«

Rhea zuckte beim Klang der Stimme zusammen, aber es waren nicht die Jungen, die zurückkamen. Es war Filine.

Auch das unterschied Rhea von den anderen Kindern auf der Insel. Sie nannte ihre Mutter beim Vornamen. Filine wollte es so, und Rhea erschien es logisch, denn Filine war nicht wie andere Mütter.

Auch jetzt betrachtete sie ihre Tochter, die von oben bis unten voller Schlick war und auch so roch, mit einem Lächeln. Niemals hätte sie wegen ein bisschen Dreck an den Kleidern geschimpft. Sie wischte nur eine nasse Haarsträhne aus Rheas Gesicht und reichte ihr das Brot. Rhea wusste, dass zwischen den duftenden, frisch gebackenen Hälften außer frischer Butter auch ein paar Körner brauner Zucker verborgen waren.

»Hier!« Filine gab auch Lilani ein Brot. Statt eines »Danke« strich eine kleine dunkle Hand sanft Filines Arm entlang.

Die Kinder setzten sich auf einen angeschwemmten Baumstamm und kauten eifrig. Filine hockte sich dazwischen und summte vor sich hin, während sie die langen Beine ausstreckte und versonnen zum Horizont blickte.

Eine der Eigenschaften, die Filine von anderen Müttern unterschied, war, dass sie nie in Eile war. Sie war immer ganz und genau da, wo sie gerade war, und nie mit den Gedanken schon woanders, bei der Wäsche oder beim Kochen oder der Feldarbeit.

Rhea konnte nicht warten, bis sie heruntergeschluckt hatte, und stellte ihrer Mutter mit vollem Mund die Frage, die ihr auf der Seele brannte. »Filine, warum sagen die anderen, ich bin schuld an dem Sturm?«

»Das sagen sie?« Filine lachte hellauf, wurde aber sofort ernst, als sie die bekümmerten Augen ihrer Tochter sah.

»Sie sagen, ich bin schuld, dass Ottos Vater ertrunken ist, weil mein Vater ein Wassermann ist und der Sturm deswegen gekommen ist. Ist mein Papa ein Wassermann, Filine?«

Filine sprang vom Baumstamm und setzte sich im Schneidersitz vor die Kinder. »Ihr treibt euch doch so oft bei Elvar und Skem herum. Haben die Onkels euch denn nie die Sage erzählt, wie die Amrumer Dünen entstanden sind?«

»Nein. Aber eine Sage ist eine sehr alte Geschichte mit einem Kern, der wahr ist, meint die Lehrerin. Dann gibt es wirklich einen Wassermann?«

»Das mit dem wahren Kern ist so eine Sache. Also, pass auf, die Sage geht so: In den alten Zeiten war die Insel flach wie ein Blatt Papier. Nicht die kleinste Düne weit und breit. Eines Tages wurde ein Toter angeschwemmt. Man hatte Mitleid und gab ihm ein anständiges Begräbnis.«

»Auf dem Friedhof der Namenlosen?« Das war einer von Rheas geheimen Lieblingsplätzen, auch wenn er gruselig war.

»Ja. Aber man hatte nicht bemerkt, dass der Tote kein Landmensch war. Er war ein Wassermann. Und das Meer wollte ihn zurückhaben, weil ein Wassermann nun mal ins Wasser gehört und nicht an Land, auch wenn er tot ist. Darum kam ein Sturm, und der Wind und die Wellen warfen den Sand hin und her, um den Toten zu finden und zurückzuholen. So türmte sich der Sand auf, und die Dünen entstanden. Weil bald Strandhafer darauf wuchs und den Sand festhielt, blieben sie bis heute erhalten.«

»Hat denn der Sturm den Wassermann gefunden?« Rhea vergaß, ihr Brot weiterzuessen. Sie sah die wütende See mit ihren langen Wellenfingern, die die Insel absuchten, deutlich vor sich.

»Das hat niemand je herausgefunden. Das Meer hat sich irgendwann beruhigt. Es beruhigt sich immer, egal, was passiert. Daran können wir Menschen uns ein Beispiel nehmen.«

»Aber Filine, war denn mein Papa nun auch so ein Wassermann?«

Alles, was Rhea über ihren Vater wusste, war, das er »auf der Durchreise« gewesen war.

»Dein Papa rauchte Pfeife und trug Stiefel. Glaubst du, ein Wassermann würde Stiefel tragen? Und wie sollte er Pfeife rauchen?«

Rhea stellte sich das vor. Nein, ein Wassermann würde gewiss barfuß gehen wie Skem Rossmonith, den noch nie jemand in Schuhen gesehen hatte. Rhea lief selbst auch am liebsten barfuß. Unter Wasser konnte man bestimmt erst recht keine Schuhe gebrauchen. Und das mit dem Pfeiferauchen ging schon gar nicht.

»Aber warum sagen sie das dann?«

»Hast du schon mal einen Wassermann gesehen?«, fragte Filine.

»Nein.«

»Siehst du. Und niemand hier außer mir hat deinen Vater gesehen. Darum sagen sie das.«

»Wie hat er denn ausgesehen, Filine?«

Filine wuschelte ihr über den Kopf. »Er hatte Haare wie du. Die immer aussahen, als ob der Wind drin wohnt, sogar wenn gar kein Wind wehte.«

»Ich bin froh, dass er kein Wassermann ist. Die Geschichte ist unheimlich.«

Filine stand auf. »Vor Geschichten muss man keine Angst haben. Es kommt immer darauf an, was man im Kopf daraus macht. Wäre es nicht schön, wenn es da draußen Wassermänner gäbe? Sie würden vielleicht, wenn der Mond scheint, Lieder von den Tiefen singen. Und sind nicht eigentlich alle Fischer Wassermänner, die auf den Wellen unterwegs sind und Wind und Wetter trotzen, um Krabben und Fische zu fangen?« Sie steckte die leere Brotbüchse wieder ein. »Ich muss zurück an die Arbeit. Viel Spaß euch noch.«

 

Rhea aß nachdenklich ihr Brot zu Ende. Der braune Zucker knirschte wunderbar zwischen ihren Zähnen. Lilani war verschwunden. Sie war wie die Wolken. Entweder war sie da oder eben nicht. Das Nachtkind kam und ging ohne Abschied oder Gruß, und das so leise, dass man es selten bemerkte.

Rhea kehrte zurück zu ihrem Graben, doch die Flut war inzwischen aufgelaufen und hatte ihn verschluckt, mitsamt den Miesmuschelhaufen und den Krabben. Sie würde warten müssen, bis wieder Ebbe war, ehe sie ihre winzigen Gefährten wiedersah.

Ärgerlich blickte sie auf die zerbrochenen Muschelschalen, Tangfetzen und Treibholzstücke, die am Flutsaum lagen. Wenn sie dort doch nur endlich das entdecken würde, was Filine sich so sehr wünschte, schon seit sie selbst ein kleines Mädchen gewesen war. Von dem Tag an, als Filine ihr davon erzählt hatte, suchte Rhea danach. Wenn sie das kleine Wunderding nur für ihre Mutter finden könnte, dann würde Filine ihr sicher mehr von dem Mann erzählen, den niemand gesehen hatte und der ihr Vater war. Aber die Wellen wollten und wollten es nicht hergeben.

Sie ließ das Meer allein und lief durch die Dünen ins Kiefernwäldchen. Dort pflückte sie Löwenzahnblüten, Klee und Margeriten. Vorsichtig schlüpfte sie durch das Tor in den Friedhof der Namenlosen, wo man alle die beerdigte, die am Strand angespült wurden, ohne dass man je erfuhr, wer sie waren und woher sie kamen. Der Rost an der Klinke färbte Rheas Finger rot.

Zwei lange Reihen Holzkreuze standen da, die unter dem Gewicht der Zeit alle ein wenig schief geworden waren, mit nichts als einem hineingeschnitzten Datum darauf. Efeu bedeckte die vielen Hügel so dicht, dass man keine Erde mehr darunter sah, außer bei den beiden neuesten Gräbern. Hier war es unheimlich und wunderbar friedlich zugleich. Selten war an diesem Ort jemand, selbst die Vögel schienen ihn zu meiden, und die dichten Büsche hielten den Wind ab.

Rhea legte behutsam auf jeden Hügel eine Blüte, genau in die Mitte vor das Kreuz. Sie achtete sorgfältig darauf, dass sie keinen einzigen der Namenlosen ausließ.

Nur falls ihr Vater doch ein Wassermann war und vielleicht hier unter den grünen Ranken gefangen lag, weil das Meer ihn nicht gefunden hatte.

Rhea

1979

2Besuch aus einem Tagtraum

»Niinje? Wo bist du?«

Das wilde Kaninchen, das gerade mit Hingabe eine Mohrrübe aus Rheas Hand fraß, erschrak. Es hielt mitten im Kauen inne und saß für einen Augenblick wie versteinert da, die Augen aufgerissen. Nur das rechte Ohr bewegte sich ein wenig in die Richtung, aus welcher der Seewind Filines Stimme um die Ecke des Schuppens getrieben hatte.

Rhea lächelte. Wenn ihre Mutter den alten Kindernamen benutzte, obwohl Rhea inzwischen zweiundzwanzig war, dann ging es um etwas Wichtiges. »Diesem Ruf muss ich folgen«, sagte sie zu dem Kaninchen, das an Rheas sanfte Stimme gewöhnt war und wieder eifrig zu mümmeln begann, bevor sie auf die Idee kam, ihm die Mohrrübe fortzunehmen.

»Keine Angst, ich lasse sie dir hier.« Rhea legte den Leckerbissen auf ein Grasbüschel, damit er nicht zu sandig wurde, und stand langsam auf, um das Tier nicht noch einmal zu erschrecken.

 

Auf der Minigolfanlage war an diesem milden Septembertag wenig los, nur eine Familie mit drei Kindern schlug mit Gelächter die bunten Bälle durch die Bahnen.

»Mir ist der Pinsel aus der Hand gefallen. Würdest du bitte einen Lappen holen, ich habe dabei einen Fleck auf die Bahn gemacht.« Filine lächelte entschuldigend zu ihrer Tochter auf. Sie hatte es zwar geschafft, den Pinsel wieder aufzuheben, aber bis sie mit dem Rollstuhl im Schuppen und zurück gewesen wäre, hätte sich der Spritzer Grün auf dem blauen Beton nicht mehr entfernen lassen. Im Seewind trocknete alles so schnell.

»Ach was. Gib mal den Pinsel.« Rhea tauchte ihn erst in die grüne Farbe, dann in die gelbe. »Wir machen einfach eine Insel aus dem Fleck, so. In der Mitte Palmen, und außen herum Sandstrand. Sieht doch gut aus!« Rhea legte den Kopf schief und betrachtete das gemeinsame Werk. »Also ich finde, genau diese Insel hat in der Geschichte noch gefehlt. Mir gefällt’s.«

»Mir auch. Streichst du den Rest der Bahn fertig? Meine Hände sind müde.« Filine lehnte sich zurück.

»Gern. Fehlt ja nicht viel.«

Die Sonne hatte das Blau ausgeblichen, welches das Meer um Neuseeland darstellte. Rhea legte kräftige Pinselstriche darüber. Es war die Bahn Nummer drei. Die Hindernisse, an denen man dort den Ball vorbeibekommen musste, stellten verschiedene Inseln und Kontinente dar. Die Stelle, von der aus man den Ball abschlug, war selbstverständlich die Insel Amrum. Sie war aus Modelliermasse geformt und sandfarben gestrichen. Danach folgte ein Hindernis in der Form von Afrika, danach Sizilien, schließlich Neuseeland. Dazwischen fuhren mehrere Schiffe, an denen der Ball ebenfalls vorbeimusste.

»Ich weiß noch, wie verrückt man deine Idee damals fand, mit jeder Minigolfbahn eine Geschichte zu erzählen«, sagte Filine und blickte in den Himmel auf, über den ganze Herden von Schäfchenwolken zogen, als wäre Sommer und nicht Herbst. »Und jetzt sind sie so eine Attraktion.«

Rhea blickte von ihrem Werk auf und lächelte, als sie sah, dass Filine den Rollstuhl versonnen vor- und zurückbewegte. Müde oder nicht, Filine war ihr Leben lang in Bewegung gewesen. Auch der Rollstuhl konnte daran nichts ändern. Sie sprühte immer noch vor Energie. Die Sonne glänzte auf ihren langen braunen Haaren, die sie mit einem bunten Seidentuch zusammengebunden hatte.

»Was ist eigentlich mit dem Feriengast aus Nürnberg, der in den letzten Wochen immer wieder hier aufgetaucht ist und mit dir ausgehen wollte?«, erkundigte sich Rhea beiläufig, während sie noch ein paar Schaumkronen auf das Meer pinselte.

Filine zuckte mit den Schultern. »Er ist abgereist. Der war nett, aber mehr auch nicht.«

»Hättest du nicht Lust, dich mal richtig zu verlieben?« Diese Frage hatte Rhea ihrer Mutter schon lange stellen wollen, aber aus irgendeinem Grunde wagte sie es gerade heute. Vielleicht weil der übermütige Herbstwind so launig die Blätter über den Boden kreiseln ließ, die tiefe Sonne allem einen goldenen Anstrich gab oder weil jetzt, am Ende der Saison, alles entspannter war und gleichzeitig wehmütig. Es würde noch viele Sommer geben, aber dieser hier kam niemals wieder.

Filine macht eine wegwerfende Handbewegung. »Wozu? Ich habe wunderbare Freunde.«

»Freunde meine ich nicht, das weißt du genau. Möchtest du nicht auch einmal dieses ganz besondere Gefühl erleben?«

»Ich habe es nie vermisst. Es kann kein größeres Gefühl geben als das, was ich hatte, als ich dir zum ersten Mal in die Augen geblickt habe.«

Filine streckte etwas mühsam den Arm aus und zupfte ihre Tochter zärtlich an einer ihrer aufmüpfigen Locken. »Aber dir würde ich es wünschen!«

»Ach, ich. Ich hab doch noch so viel Zeit!« Rhea wusch den Pinsel unnötig heftig in dem Glas mit Terpentin aus. Ein paar Spritzer flogen auf die Bahn, lösten die Farbe an und bildeten Ringe, als wäre dort gerade ein großer Fisch untergetaucht. Sie hätte wissen müssen, dass ihre Frage nach hinten losgehen würde.

»Ja, das denkt man immer. Mit zwanzig und auch mit vierzig, und später gewiss auch noch.« Filine schlug mit dem Fuß gegen das Rad ihres Stuhls. »Aber man sollte sich nicht darauf verlassen.«

Rhea ahnte, an wen sie dachte.

»Wann ist eigentlich die letzte Postkarte von Oma und Opa gekommen?«, fragte sie, um Filines Gedanken eine fröhlichere Richtung zu geben. »Da ich gerade ihre Geschichte male, gibt es etwas, das ich noch ergänzen sollte?«

»Ach ja, ich habe ganz vergessen, sie dir zu zeigen. Sie kam gestern. Deswegen habe ich ja angefangen, gerade diese Bahn frisch zu streichen, weil ich so sehr an die beiden denken musste. Du kannst noch ein paar Vögel auf Neuseeland draufmalen.« Filine wies auf das Loch, das das Ziel für den Ball darstellte und mitten in Neuseeland lag. »Deine verrückten Großeltern arbeiten seit ein paar Monaten in einem Reservat für Kakapos!«

Rheas Pinsel hing einen Moment fragend in der Luft. »Reservat für was?«

»Ein Kakapo ist eine Art flugunfähiger Papagei, der nach Honig duftet und vom Aussterben bedroht ist.«

»Toll! Ich wusste nicht, dass es duftende Vögel gibt.« Rhea malte einen Papagei. Leider sah er eher aus wie ein grünes Huhn. »Das mit dem Maori-Museum ist also vorbei?«

»Dort haben sie es ziemlich lange ausgehalten. Meine Eltern hören nie auf, mich zu überraschen. Möchtest du sie nicht doch einmal besuchen?«

Bloß nicht. Rhea wusste, dass allein die Flugkosten ihre gesamten Ersparnisse auffressen würden. Sie sparte für ihren Traum, da war an anderes nicht zu denken. »Irgendwann werden sie wiederkommen.«

»Sicher. Irgendwann kommen sie alle wieder. Aber bei ihnen würde ich mich nicht darauf verlassen, dass es bald ist! Komm, wir haben uns einen Tee verdient. Diese Bahn sieht jetzt gut aus. Morgen mache ich mich an die nächste, hoffentlich ohne Flecken.«

»Ich muss noch kurz die Kiefernzapfen auf Bahn fünf wegfegen.« Rhea sah sich um und kniff die Augen zusammen. »Sag mal, der ältere Herr da hinten, der gehört gar nicht zu der Familie mit den drei Kindern, oder? Er sieht aus, als ob es ihm nicht gutgeht.«

»Ja, der ist allein gekommen. Aber er ist nicht alt. Er hat bloß graue Schläfen und sieht müde aus.«

Rhea hob die Augenbrauen. »Du scheinst ihn ja ziemlich genau angesehen zu haben«, neckte sie ihre Mutter.

Filine warf ein Kieselsteinchen nach ihr. »Er war mir eben sympathisch. Ich mache einen Tee für ihn mit. Schaust du mal nach ihm?«

»Mach ich.«

Rhea stellte den Besen weg und ging hinüber zur Bahn Nummer dreizehn, wo sich der Herr an einer Kiefer festhielt.

Als sie näher kam, hielt sie den Atem an. Für einen Augenblick war ihr, als ob die Erde unter ihren Füßen schwankte, bevor der Boden wieder fest wurde. Das konnte doch nicht sein!

Sie kannte diesen Mann – und doch wieder nicht.

Unendlich oft hatte sie ihn in ihrer Phantasie gesehen, seit sie klein war, hatte mit ihm gesprochen, ihn um Antworten gebeten und sie sich selbst in seinem Namen gegeben, hatte sich vorgestellt, er würde sie bei der Hand nehmen und mit ihr einen Ausflug machen. Ihr eine Geschichte vorlesen. Mit ihr Drachen bauen.

Ihr Vater – so, wie sie ihn sich wünschte!

Da es in ihrem Leben keinen Vater gab, hatte sie sich einen erschaffen, wenn auch nur in ihrer Vorstellung. Sie war fünf, als sie damit anfing, und er hatte sich im Laufe der Jahre nur wenig verändert, bis er ihr so vertraut war, dass sie sich manchmal selbst daran erinnern musste, dass er nicht existierte, jedenfalls nicht so.

Ein Mann mit breiten Schultern, nicht zu groß, bodenständig, mit grauen Schläfen und einem jungenhaften Lächeln, einer, der Vernunft und Verlässlichkeit ausstrahlte und vor allem absolut keine Ähnlichkeit mit einem Wassermann hatte. Sie wusste nicht genau, wie ein Wassermann aussah, aber sie stellte ihn sich lang und dünn und irgendwie unsolide vor, etwas durchsichtig, mit Zahnlücken, grünen Strähnen und einer tropfenden Nase.

Und nun stand ein völlig Fremder einfach so an einem beliebigen Septembertag auf der Minigolfanlage und wirkte dermaßen vertraut! Er ähnelte ihrem Phantasievater so genau, als wäre er geradewegs aus ihren Gedanken in die Wirklichkeit spaziert. Für einen Moment fühlte sich Rhea schuldig, als ob ihr ein Fehler unterlaufen wäre.

Was für ein Blödsinn. Sie war nun wirklich alt genug, um nicht mehr an Tagträume zu glauben.

Er war tatsächlich nicht alt, stellte sie fest, als sie sich zusammenriss und auf ihn zuging. Vielleicht um die fünfzig. Als er aufsah und sie musterte, kam sie sich auf einmal schäbig vor in ihren ausgefransten Jeans, dem alten T-Shirt mit den Farbflecken und mit Spuren von dem schwarzen Schlick an den Beinen, in dem sie vorhin noch gewatet war. Er trug ein Marken-Polohemd, eine edle Uhr und italienische Schuhe, und seine Brille wirkte auch sehr teuer.

Als sie ihren Vater erfunden hatte, hatte sie nie über seine Kleidung nachgedacht. Jetzt war sie erstaunt über seinen Geschmack und musste ein Kichern unterdrücken, weil sie diesen Gedanken so komisch fand.

»Hallo. Ist Ihnen nicht gut?«, fragte sie, als sie ihre Beherrschung wiedergewonnen hatte.

»Nur ein wenig schwindelig. Ich habe mich zu oft nach dem Ball bücken müssen, weil ich so ungeschickt bin. Ich habe dieses Spiel noch nie gespielt, wissen Sie. Dabei hat es mir so gutgetan. Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Man vergisst alle Sorgen dabei.« Selbst seine Stimme entsprach genau der in Rheas Vorstellung.

Sie hoffte, dass ihre eigene Stimme nicht zitterte. »Das freut mich! Kommen Sie. Meine Mutter macht gerade Tee. Setzen Sie sich zu uns und trinken Sie einen Schluck, dann geht es Ihnen sicher wieder gut.«

»Ach, Sie sind die Tochter von dieser bezaubernden Dame, die mich eingelassen und so geduldig instruiert hat? Angenehm! Mein Name ist Tilmans, Severin Tilmans.« Sie konnte seine Sprechweise nicht einordnen. Eine Sprachmelodie, die ihr fremd war. Sein Händedruck war kräftig, aber nicht schmerzhaft übertrieben. Rhea nahm das sehr genau. Einen laschen Händedruck fand sie abstoßend, hasste es aber auch, wenn man ihr die Finger quetschte. Sein Blick war offen, aus warmen grauen Augen, die sehr genau hinsahen und trotzdem freundlich wirkten. Diese Augen waren Rheas eigenen recht ähnlich. Kurz ertappte sie sich bei dem Gedanken: Was, wenn er wirklich mein Vater ist?

Für den Bruchteil eines Augenblicks begann ihr Herz zu klopfen, ehe sie sich selbst streng ausbremste und tief durchatmete. Er konnte es nicht sein. Filine und er hatten sich eindeutig nie zuvor gesehen.

Verstohlen betrachtete sie ihn genauer. In seinen etwas zu langen Haaren saßen die Jahre wie der Raureif im Oktober am Dünengras, aber Filine hatte recht gehabt. Die eisgrauen Schläfen täuschten. Er war nicht alt, er sah nur erschöpft aus.

»Ihre Mutter sagte mir, Sie seien der kreative Kopf, der hinter der ungewöhnlichen Gestaltung dieser Bahnen steckt und so unterhaltsame Herausforderungen daraus gemacht hat«, sagte er, als sie langsam nebeneinander auf das Tickethäuschen zugingen, vor dem Filine gerade eine dampfende Kanne auf den Tisch stellte. »Erzählen Sie mir später etwas darüber?«

»Wenn Sie möchten. Vorsicht!«

Etwas Buntes schoss hinter einem Busch hervor und machte sich vor Herrn Tilmans Füßen breit. Fast wäre er darüber gefallen.

»Na servus! Ein Fasan!«, sagte er verdutzt.

Jetzt fiel es ihr ein. Herr Tilmans musste Österreicher sein! Seine Art »Na so was« zu sagen kannte sie von einer Familie, die im Vorjahr hier gewesen war. Rhea wedelte mit den Armen. »Lass das, Björn! Husch!« Widerstrebend erhob sich der große Vogel und begab sich aufreizend langsam hinter den nächsten Busch.

»Er hat nur Unfug im Kopf. Erschreckt gern die Gäste. Tut mir leid.«

»Kein Problem. Ein schönes Tier. Warum Björn?«

»Er erinnert mich an einen Jungen, der mich als Kind gepiesackt hat. Der hat sich genauso aufgeblasen und anderen aufgelauert. So, nun setzen Sie sich erst einmal. Herrn Tilmans war schwindelig«, sagte sie zu Filine.

»Es geht schon wieder.« Dankbar nahm er die Tasse entgegen und roch daran. »Ist dies etwa einer von den wunderbaren Friesentees, schwarz wie die Sünde und mit einer ganzen Handvoll dieser braunen Kandiszuckerstücke darin, in denen die Sonne leuchtet wie an einem warmen Nachmittag?«

»Eine Handvoll nicht, aber Sie können gern noch welche dazugeben. Das bringt Ihren Kreislauf wieder in Schwung.« Filine reichte ihm lächelnd ein Schälchen mit genau diesen Kandiszuckerstücken, die Rhea als Kind so gern genascht hatte. Manchmal lutschte sie die immer noch.

»Ich bin zur Kur hier, wissen Sie. Aber ich bin es nicht gewohnt, untätig zu sein. Der Arzt hat gesagt, ich soll mich nach meinem Schlaganfall erholen und üben, mich zu entspannen. Doch es ist leichter, ein Hotel zu führen, als dieses Entspannen zu lernen! Es ist mir so fremd.« Die Lachfältchen in seinen Augenwinkeln gefielen Rhea. Seine Kleidung und die Art, wie er sie trug, hatten ihn mit einer Aura von Distanz umgeben, doch jetzt wirkte er anders. Nahbar und verletzlich.

Sie konnte sich nicht daran gewöhnen, dass hier jemand neben ihr saß, der so aussah wie ihr Traumvater persönlich. So nett er auch war, Rhea hoffte, er würde bald wieder gehen. Er brachte sie völlig durcheinander.

»Ich weiß«, sagte Filine mit Nachdruck. »Es ist schwer, aber man kann fast alles lernen, wenn man muss. Ich weiß, wovon ich spreche.«

»Sie waren nicht immer an den Rollstuhl gefesselt, richtig?« Er sagte es ohne Mitleid, aber mit ehrlichem Interesse. Rhea begann, sich immer mehr für ihn zu erwärmen.

»Stimmt. Aber gefesselt würde ich es nicht nennen. Er ist ein nützliches Hilfsmittel. Ich lasse mich von nichts fesseln.« Filine grinste ihn spitzbübisch an. »Ich weiß nicht, woher Sie stammen, aber hier auf der Insel, umgeben von Himmel, Watt und Meer, bleibt man immer frei, egal, was passiert.«

»Hmm. Das ist nachvollziehbar, aber ich glaube, es gehört eine gewisse Stärke dazu«, sagte Herr Tilmans. »Glauben Sie, ich kann mir das auch aneignen?«

»Sicher. Sie scheinen mir durchaus das Zeug dazu zu haben.« Filine schenkte ihm nach und gab unaufgefordert Kandis dazu. »Sie dürfen nur nicht in die Selbstmitleidsfalle geraten. Manche neigen dazu. Ich vermute, Sie nicht.«

Er betrachtete sie anerkennend. »Ich glaube, wenn doch, würden Sie mir heraushelfen.«

»Sollte es nötig sein, gern. Besser ist, man schafft es von sich aus. Bleiben Sie länger?«

»Mein Arzt hat mir vier Wochen verordnet. Aber ich muss sagen, ich komme mir verloren vor. Ein so flaches Land hatte ich noch nie um mich. Ich habe hier das Gefühl, die Erde ist vielleicht doch eine Scheibe und ich könnte vom Rand fallen.«

»Sie waren also noch nie auf Amrum?«, fragte Rhea. Sie musste es einfach wissen. Sicherheitshalber.

»Nein. Von Deutschland kannte ich bisher nur München.«

»Woher kommen Sie denn?«, erkundigte sich Rhea. Auch wenn er nicht ihr Vater sein konnte, er machte sie neugierig, dieser Mann, der so anders war als die anderen Feriengäste. Und der trotz seines eleganten und selbstbewussten Auftretens schutzbedürftig und einsam wirkte.

»Aus Kärnten in Österreich. Meine Mutter war aus Deutschland. Sie machte dort Urlaub und heiratete den Hotelbesitzer, meinen Vater. Jetzt führe ich das Hotel. Aber erzählen Sie mir doch lieber, wie Sie auf die Gestaltung Ihrer Minigolfbahnen kamen, die mich so wunderbar von meinen Kümmernissen abgelenkt haben.« Er wies auf die frisch gestrichene Bahn Nummer drei. »Wie kommen Sie auf diese Motive? Ich hatte übrigens einige Mühe, am Horn von Afrika vorbeizukommen. Ich fühlte mich wie ein Kapitän eines der Schiffe.«

»Jede Bahn erzählt eine Geschichte«, sagte Rhea. »Meine Mutter und mein Onkel brachten mir bei, dass Geschichten das wahre Geschenk sind. Ohne die dazugehörigen Geschichten sind alle Dinge wertlos. Diese Bahn erzählt von meinen Großeltern. Sie sind eines Tages ihrer Abenteuerlust gefolgt, haben einige Zeit in Afrika verbracht, dann auf Sizilien, und leben nun auf Neuseeland. Viele Amrumer packt eines Tages die Wanderlust.«

»Sie nicht?«, fragte Herr Tilmans und sah Rhea dabei wieder mit diesem offenen, durchdringenden Blick an, der ihr das Gefühl gab, dass er sich im Augenblick für nichts anderes interessierte.

Rhea schüttelte abwehrend den Kopf.

»Auf gar keinen Fall. Ich bin genau da, wo ich sein möchte!« Sie beschrieb einen Bogen mit ihren Händen, die den Himmel, die endlose Weite des Kniepsands, die Heide, den Leuchtturm, die Dünen sowie alle Kaninchen, Krabben, Eiderenten und sämtliche Bewohner des Watts einschloss.

Herr Tilmans wartete, ob da noch mehr kam, doch Rhea fand ihre Erklärung vollständig.

»Waren Sie denn schon einmal fort von der Insel?«, hakte er nach.

»Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht und bin noch immer nicht fertig damit, alles zu entdecken, was um mich herum ist. Das Watt und das Meer sind voller Geheimnisse. Es ist ein Privileg, hier sein zu dürfen.«

»Sind Sie gar nicht neugierig auf den Rest der Welt?«

Rhea bückte sich, um ein paar Kiefernnadeln von der Bahn Nummer eins zu wischen, die der Wind dorthin getragen hatte. Ein einziger Krümel genügte, um einen Ball aus der Bahn zu werfen. »Neugierig kann man überall sein!«

Herr Tilmans betrachtete nachdenklich den Ball in seiner Hand.

»Vielleicht strahlen Sie deshalb so eine Ruhe aus. Weil Sie Ihr ganzes Leben an einem Ort verbracht haben, ohne unzufrieden zu sein. Ich wünschte, mein Sohn hätte etwas von dieser Beständigkeit!«

In seiner Stimme lagen Trauer und Ratlosigkeit. Rhea war überrascht. Bis eben hatte er noch geklungen wie jemand, der es gewohnt ist, seinen Willen zu bekommen und Menschen zu führen.

Hoffentlich wusste dieser Sohn, was für ein Glück er mit seinem Vater hatte!

3Neugier

»Wie alt ist denn Ihr Sohn?«

»Ungefähr so wie Sie. Vielleicht zwei, drei Jahre älter. Er ist voller Unruhe. Weiß nicht, was er will. Hockt meist in seiner Käscha auf dem Berg.« Er fing Rheas ratlosen Blick auf. »Verzeihung. Käscha ist Mundart für ›Alte Hütte‹.«

Rhea schenkte ihm ihr bestes Lächeln. Doch er sah es nicht, sondern stand auf. »Ich muss gehen. Darf ich morgen wiederkommen? Es tut mir gut, mit Ihnen zu plaudern. Eine Kur bedeutet doch auch, dass die Seele heilen soll, nicht wahr?«

Die beiden Frauen sahen ihm nach.

»Etwas quält ihn«, sagte Filine.

Und Rhea fragte sich, warum sich in ihr der Wunsch festsetzte, diesem Mann zu helfen, obwohl ihr sein freundliches Interesse ein wenig unheimlich war. Ebenso unheimlich wie die Tatsache, dass es sich anfühlte, als hätte sie einen Geist heraufbeschworen.

Am nächsten Nachmittag kam der ungewöhnliche Gast wieder und löste ein Ticket. Heute sah er weniger traurig und erschöpft aus. Den Schläger und den Ball lehnte er jedoch ab.

»Wenn Sie nicht spielen, müssen Sie keinen Eintritt bezahlen!«, protestierte Rhea.

»Doch. Denn auch wenn ich nicht spiele, so wünsche ich mir doch, dass Sie mir den Rest der Bahnen erklären! Ich möchte jede einzelne Geschichte hören.« Er nahm ihre Hand und zog ihren Arm durch seinen. Normalerweise konnte Rhea solche Vertraulichkeiten nicht ausstehen, doch er tat es mit einer so liebevoll väterlichen Art, dass sie ihm nicht böse sein konnte. »Sie sagten, Geschichten sind ein Geschenk. Nun, bitte beschenken Sie mich!«

So schlenderten sie von einer Bahn zur anderen, während die Sonne tiefer sank, die letzten Grillen lauter zirpten und der Wind ein paar sterbende Blätter von den Bäumen pflückte. Rhea erzählte von Hark Olufs, dem berühmten seefahrenden Sohn der Insel. »Er wurde mit sechzehn Jahren auf dem Schiff seines Vaters von türkischen Seeräubern gefangen genommen und als Sklave verkauft. Bei seinem Herrn diente er sich zum Schatzmeister hoch, wurde Führer einer Reiterei und dann Leibgardist. Er war geschickt, klug und wagemutig und kehrte nach über zwölf Jahren als freier und reicher Mann nach Amrum zurück, wo er Strandvogt und Austernkommissar wurde.«

»Wie spannend und heldenhaft«, sagte Herr Tilmans. »Kein Wunder, dass Sie ihm eine Bahn gewidmet haben.«

»Ja … Er soll aber seinerzeit auch für seinen Herrn den einen oder anderen Mord begangen haben. Man munkelt, er sei ein Wiedergänger, also einer, der nach seinem Tod spukt. Weil nicht einmal die Seeräuber und die Sklaverei ihn umbrachten, konnte es simples Herzversagen auch nicht, so nahm man wohl an. Hin und wieder will ihn einer im Watt gesehen haben, auch jetzt noch, über zweihundertfünfzig Jahre nach seinem Tod.«

»Ich staune, was auf dieser Insel alles passiert ist, die so unberührt und friedlich erscheint. Nun bin ich gespannt auf die Themen der anderen Bahnen.«

Er war ein guter Zuhörer, und so erzählte Rhea weiter, von Wikingergräbern und Salzsiedern und Strandräubern.

»Tadelwantsch!«, sagte er nach der letzten Bahn.

Rhea lachte hellauf. »Was heißt das denn?«

Er schmunzelte. »Das ist unser Ausdruck für ›sehr gut gemacht‹.«

Ob er das zu seinem Sohn auch schon einmal gesagt hatte? Rhea wusste selbst nicht, warum sie der Gedanke beschäftigte. Wohl weil sie sich selbst einen Vater wie Herrn Tilmans wünschte, kam sie mit der Vorstellung nicht zurecht, dass Vater und Sohn sich nicht verstanden.

 

»Ich habe den Tee bereits fertig«, sagte Filine, als sie den Rundgang beendet hatten. Sie hielt ein großes Tablett auf dem Schoß, goss drei Tassen ein und vergaß auch den Kandis nicht.

»Ihre Tochter ist ein besonderer Mensch«, sagte Herr Tilmans.

»Ich weiß«, sagte Filine, die noch nie etwas von höflicher Bescheidenheit gehalten hatte.

»Bei ungewöhnlichen Menschen frage ich mich immer, was sie dazu gemacht hat. Bei Ihrer Tochter ist das möglicherweise die Landschaft, in der sie aufwuchs. Stimmt das, Rhea? Ich darf doch Rhea sagen? Ich kann Sie ja schlecht beide mit Frau Jessen anreden.«

»Sie dürfen Rhea sagen, aber ich bin ganz sicher kein besonderer Mensch. Wenn Sie welche suchen, werden Sie hier auf der Insel allerdings mit Sicherheit fündig.«

Er war an den Bahnen ein angenehmer Zuhörer gewesen und hatte kluge Fragen gestellt, doch nun ärgerte sich Rhea. Was glaubte er, nach so kurzer Zeit über sie zu wissen? Und warum machte er ein solches Aufheben um eine Zufallsbekanntschaft?

Doch er ließ nicht locker. »Bestimmt haben Sie recht. Aber jetzt interessiere ich mich für Sie. Woher haben Sie Ihr vielfältiges Wissen, von dem ich mich gerade überzeugen konnte?«

»Ich hatte gute Lehrer. Außerhalb der Schule. Zuallererst meine Mutter. Sie ist tatsächlich ein außergewöhnlicher Mensch.«

Filine war davongerollt, um sich um einen Kunden zu kümmern. Herr Tilmans sah ihr bewundernd nach. »Zweifellos. Ich bin mir sicher, dass es auch ein Geschenk wäre, die Geschichte Ihrer Mutter zu hören. Erzählen Sie sie mir?«

Jetzt wurde es Rhea zu bunt. Was wollte er noch alles?

»Bestimmt nicht. Ich kenne Sie kaum. Wenn Sie etwas von meiner Mutter wissen wollen, fragen Sie sie selbst!«

Er lehnte sich auf dem Gartenstuhl zurück, der viel zu klein für seine breitschultrige, kompakte Gestalt war. »Verzeihung. Sie haben natürlich recht. Das werde ich tun. Bitte nehmen Sie mir meine Neugier nicht übel. Ich sagte ja, das mit der Entspannung und Ablenkung muss ich noch üben. Sie beide sind eine so angenehme Ablenkung.«

Man konnte ihm nicht böse sein, wenn er so entschuldigend lächelte.

Rhea schob ihm den Keksteller hin.

»Nein, danke.« Stattdessen bückte er sich, hob einen Kieselstein auf und spielte gedankenverloren damit. »Und Ihr Vater? Hat er Sie auch so viel gelehrt?«

Rhea holte tief Luft. Sie war es müde, die Frage nach ihrem Vater zu hören, in welchem Zusammenhang auch immer. »Er spielt keine Rolle.«

»Aha. Also wer noch? Was für Lehrer außer Ihrer Mutter hatten Sie?«

Rhea war erleichtert, dass er wegen ihres Vaters nicht weiterbohrte. Sie schmunzelte. »Da war zum Beispiel Skem Rossmonith. Er ist der Cousin meiner Mutter, also eine Art Onkel für mich. Skem ist sehr verschlossen, aber wenn er etwas sagt, dann immer, was er wirklich denkt. Niemand, den ich kenne, selbst unter den Amrumern, ist dermaßen verbunden mit dem Watt und dem Meer und allem, was darin lebt. Er ist ebenso ein Exzentriker wie Elvar von Sommerreich, den ich auch als meinen Lehrer betrachte. Wenn Sie außergewöhnliche Menschen kennenlernen wollen, dann sind Sie bei den beiden an der richtigen Adresse.«

»Soso. Und was hat es mit diesem Satz auf der Postkarte auf sich?«, fragte ihr wissbegieriges Gegenüber und überrumpelte Rhea völlig, indem er mit einem Zeigefinger auf die Karten zeigte, die in einem Ständer vor dem Häuschen zum Verkauf standen.

Rhea fuhr sich mit den Fingern durch die Locken, die danach ebenso wild umherstanden wie zuvor. »Warum wollen Sie das alles wissen?«

Er legte den Kopf schief. »Schenken Sie einem einsamen alternden Mann eine letzte Geschichte an diesem schönen Tag!« Er blickte wie die Kaninchen, wenn sie nach Mohrrüben bettelten. Rhea musste wider Willen lachen. Die Beschreibung »einsamer alternder Mann« passte so wenig zu ihm wie der wackelige Stuhl.

Sie zeigte auf den Kieselstein in Herrn Tilmans Hand. »Eine Angewohnheit von Ihnen?«

Er blickte verblüfft darauf. »Ja. Das ist es wohl. Es beruhigt.«

»Da habe ich etwas Besseres für Sie. Warten Sie.« Rhea lief ins Häuschen und nahm etwas aus einer Schachtel. Auf dem Rückweg stieß sie unauffällig mit der Schulter gegen den Postkartenständer, so dass er sich drehte und nur noch die unverfänglichen Allerweltsfotos der Insel zu sehen waren.

»Hier.« Sie legte etwas in Herrn Tilmans Hand. Erstaunt betrachtete er es. »Das ist wunderschön. Und fühlt sich gut an. Sind das Sandkörner?«

»Ja. Eine hohle hölzerne Kugel, auf die Sandkörner geklebt sind, mit einer Pinzette, nach Farben sortiert. Dann wurden mehrere Lackschichten aufgebracht und poliert, bis diese Glätte zustande kam.«

Bewundernd betrachtete er die Kugel und fuhr zärtlich mit dem Daumen darüber. »Die Sandkörner bilden wunderschöne Muster! Welch unglaubliche Liebe zum Detail und welche Geduld darin stecken muss! Ist das Ihr Kunstwerk?«

»Nein. Elvar von Sommerreich stellt sie in mehreren Varianten her.«

»Jener Lehrer, den Sie erwähnten?«

»Genau der.«

Herr Tilmans hielt die Kugel an sein Ohr und schüttelte sie leicht. »Irre ich mich, oder ist ein Flüstern darin?«

»Mag sein. Die Kugel soll Ihnen Glück bringen.«

»Glauben Sie an Glücksbringer?«

»Ja. Aus einem ganz bestimmten Grund. Es ist eine Familientradition. Wir glauben an eine alte Sage, die mit einem solchen zu tun hat.«

»Ihre Augen leuchten, wenn Sie davon sprechen. Sie glauben tatsächlich daran!« Er bewegte die Kugel zärtlich in seiner Hand wie vorher den Kieselstein und mochte sie offensichtlich gar nicht mehr loslassen. »Es handelt sich dabei aber nicht um diese Kugel, sondern um etwas anderes, nicht wahr?«

»Ja. Aber davon erzähle ich Ihnen nicht. Es ist, wie gesagt, eine Familiensache.«

Er ließ wenigstens das auf sich beruhen. »Aber die Kugel ist ein Kunstwerk. Darf ich sie bezahlen?«

»Nein. Es ist ein Geschenk. Vielleicht kann es Ihre Gesundung unterstützen.«

»Ist es nicht!« Er zwinkerte ihr zu. »Es ist Bestechung. Damit ich vergesse, Sie nach dem Satz auf der Postkarte zu fragen, die Sie gerade so verstohlen außer Sichtweite gebracht haben.«

»Ihnen entgeht wohl nichts.«

»Nein. Wenn mir Dinge entgehen würden, wäre ich kein guter Hotelier. Im Übrigen habe ich sehr wohl gesehen, dass Sie diesen Satz auch hinten auf die Eintrittskarten gedruckt haben. Das hätten Sie nicht getan, wenn Sie nicht wollten, dass er gesehen wird.« Er wedelte mit dem gelben Stück Papier, das auf der Vorderseite die Eintrittskarte war und auf der Rückseite die Tabelle trug, auf der man seine Punkte eintragen konnte. Ganz unten, unter der leeren Zeile für das Endergebnis, stand der Satz in Kursivschrift.

Eines leuchtenden Tages wirst du jemandem begegnen, der dich meerestiefhimmelweitsommerhell lebendig macht.

»Fragen Sie danach, weil Sie diesen Satz kennen?«, fragte Rhea hoffnungsvoll. Vielleicht interessierte er sich darum so für sie!

»Nein. Er gefällt mir, und ich kann mir gut vorstellen, was damit gemeint ist. Aber er ist mir eben zum ersten Mal begegnet. Ich frage danach, weil ich glaube, dass er einer der Schlüssel zu Ihrer Persönlichkeit ist.«

Schade. Rhea fühlte Traurigkeit in sich aufsteigen. Wenn er den Satz gekannt hätte, wäre er möglicherweise doch eine Verbindung zu ihrem Vater gewesen.

»Dieser Satz ist fast das Einzige, was mein Vater uns hinterlassen hat. Wir kennen nicht einmal seinen Namen.« Die Traurigkeit musste wohl in ihrer Stimme mitgeschwungen haben, denn Herrn Tilmans eigene Stimme wurde sanfter und sein Blick auch.

»Und nun hoffen Sie, dass er selbst oder jemand, der ihn kennt, sich beim Anblick dieser Worte zu erkennen gibt?«

Rhea zuckte mit den Schultern. »Eine bessere Idee hatte ich bisher nicht. Außerdem ist es ein schöner Satz, über den man nachdenken kann. Er macht den Menschen Freude.«

»Und ist auch eine Art Denkmal für Ihren Vater«, sagte Herr Tilmans verständnisvoll.

»Vielleicht. Irgendwie. Ja.« Rheas Ärger war verflogen. Es war so leicht, sich mit ihm zu unterhalten. Sie wunderte sich über sich selbst. Sie war Fremden gegenüber sonst nicht so aufgeschlossen. Es musste wohl daran liegen, dass sie in ihren Träumen schon so oft mit ihm – oder vielmehr seinem Ebenbild – gesprochen hatte. »Haben Sie dieses Gefühl, von dem der Satz spricht, schon einmal gehabt?«

»Ja. Doch meine Frau ist schon vor vielen Jahren gestorben.«

»Das tut mir leid.« Rhea fühlte sich hilflos, als sie die schweren Wolken in seiner Stimme hörte.

Herr Tilmans beugte sich vor. »Ja, aber wissen Sie, was? Wenn man einmal von jemandem dieses Geschenk bekommt, geht es niemals wieder verloren. Auch dann nicht, wenn dieser Jemand nicht mehr da ist. Es ist ein Geschenk für immer. Ihre Mutter kann Ihnen das sicher bestätigen.« Wieder blickte er zu Filine hinüber, die dabei war, Bälle und Schläger einzusammeln, denn es war Abend geworden, und sie mussten die Anlage für den Tag schließen.

»Ich weiß nicht.« Auch Rheas Blick folgte Filine. »Ich glaube nicht, dass es für sie so gewesen ist.«

»Nicht? Nun, wenn nicht, wird es sicher noch geschehen.« Herr Tilmans lehnte sich zurück und betrachtete den Satz auf der Eintrittskarte. »Ein originelles Erbe, so ein Satz. Hat die Geschichte Ihres Vaters etwas mit der einzigen Bahn zu tun, die Sie mir nicht erklären wollten, weil sie zu persönlich ist?«

»Vielleicht.«

Er verfiel in Schweigen und starrte mit gerunzelter Stirn vor sich hin. Irgendwo im Watt rief eine Möwe, und eine zweite antwortete vom Wriakhörnsee her. Ein Windstoß streute ein paar Birkenblätter wie goldenes Konfetti über die Anlage, und in der Ferne wisperte die aufkommende Flut am Strand.

»Was macht denn Ihr Sohn? Ist er auch in Ihrem Hotel tätig?«

»Ja. Er hat Hotelfach gelernt. Und das, obwohl ich ihm immer und immer wieder gesagt habe, dass er das nicht mir zuliebe machen muss. Er soll tun, was er möchte. Aber er redet nicht mit mir!«

»Vielleicht ist es ja wirklich das, was er möchte?«, schlug Rhea vor.

Doch Herr Tilman machte eine heftige, abwehrende Handbewegung, die fast die Zuckerschale über den Tisch fliegen ließ. »Niemals! Er hat schon so viele Interessen gehabt. Heute dies, morgen das. Hotelfach war nie dabei, bis seine Mutter starb. Seit dem Tag will er mir alles recht machen.«

»Aber das ist doch nett von ihm.«

»Ich finde es furchtbar. Ich weiß gar nicht mehr, wer er ist! Wie soll er denn so glücklich werden?«

»Wenn Sie erholt von der Kur zurückkommen, versuchen Sie doch noch einmal, mit ihm zu reden. Dann sind Sie vielleicht entspannter und geduldiger.«

»Sie meinen, ich verschrecke ihn, weil ich zu ungeduldig bin? Da könnten Sie recht haben. Ich mache mir eben Sorgen, wissen Sie. Der Junge hat auch keine richtigen Freunde. Haben Sie Freunde?« Fragend sah er sie an.

»Als Kind habe ich am liebsten mit den Krabben gespielt und geredet. Und es hat mir nicht geschadet.«

»Aber mein Sohn ist kein Kind mehr.« Er seufzte und stand auf. »Würden Sie mir beschreiben, wie ich die Herren Elvar von Sommerreich und Skem Rossmonith finden kann?«

»Elvar wohnt dort den Weg herunter, in einer renovierten Scheune. Sie können sie nicht verfehlen. Skem finden Sie draußen auf dem Kniepsand in einer Holzhütte. Das ist ein weiter Weg. Sie sollten sich das nicht zumuten.« An Skem würde er ohnehin scheitern. Skem war viel zu abweisend. Doch bei Elvar war sich Rhea nicht sicher, was er alles ausplaudern würde. Er liebte es, auch mit Fremden über dieses und jenes zu plachandern, wie er es nannte.

Herr Tilmans lächelte Rhea an. »Das muss ich aber! Sie sagten, es seien Ihre Lehrer gewesen. Ich möchte diese beiden kennenlernen und gründlich über Sie ausfragen.« Er hob entschuldigend die Hände. »Ich weiß, das ist schrecklich ungehörig und Sie halten mich für seltsam und aufdringlich. Aber ich bin im Begriff, Ihnen eine Stelle anzubieten. Einen Auftrag. Und ich stelle niemals jemanden ein, ohne möglichst viel von ihm zu wissen! Deshalb hoffe ich, die Herren erzählen mir, wie Sie als Kind waren und was Sie zu dem Menschen gemacht hat, der Sie sind.«

Rhea

1967

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