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Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. Max von Grünbergs kleine Welt war voll Sonnenschein. Es war gar nicht leicht gewesen, seinen Willen durchzusetzen. Bei einem viel beschäftigten Vater, der Gutsbesitzer war, und einer als Tierärztin ständig überforderten Mutter, hatte es ein vierjähriger Junge nicht eben leicht. Aber er durfte seit zwei Tagen allein zum Kindergarten gehen. Er wurde nicht mehr wie ein Baby, das er mit vier Jahren ja wirklich nicht mehr war, mit dem Auto zum Kindergarten gefahren. Eltern waren eben viel zu ängstlich und seine Eltern ganz besonders. Fand Max! Er pfiff vergnügt, schlenkerte seine Kindergartentasche, in der ein Apfel kullerte und vermutlich das Butterbrot platt drückte. Er würde das sowieso nicht essen, er tauschte sein Frühstück gegen Murmeln ein. Er hüpfte über das alte Kopfsteinpflaster, bemühte sich, nicht auf den Rand zu treten, als ein unterdrücktes Schluchzen an sein Ohr drang. Er stand stocksteif, sah sich um und entdeckte Florian Pulver, der unter dem alten Kastanienbaum saß, ihn überhaupt nicht beachtete und bitterlich schluchzte. Mit wenigen Sätzen war Max bei ihm. Ein wenig verlegen sah er auf den verheulten Florian. Florian paßte es bestimmt nicht, daß jemand ihn weinen sah. »Haste denn?« Max zog dabei seine Nase ein wenig kraus und wickelte das Lederband seiner Tasche um seine Finger. Florian war größer als Max, und schon am ersten Tag hatte sich Max zu dem Jungen hingezogen gefühlt, aber der hatte leider kaum Notiz von ihm genommen. »Die wollen Gertrud schlachten«, stieß Florian unter Schluchzen hervor. »Mörder sind sie.
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Seitenzahl: 134
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Max von Grünbergs kleine Welt war voll Sonnenschein. Es war gar nicht leicht gewesen, seinen Willen durchzusetzen. Bei einem viel beschäftigten Vater, der Gutsbesitzer war, und einer als Tierärztin ständig überforderten Mutter, hatte es ein vierjähriger Junge nicht eben leicht. Aber er durfte seit zwei Tagen allein zum Kindergarten gehen. Er wurde nicht mehr wie ein Baby, das er mit vier Jahren ja wirklich nicht mehr war, mit dem Auto zum Kindergarten gefahren.
Eltern waren eben viel zu ängstlich und seine Eltern ganz besonders. Fand Max!
Er pfiff vergnügt, schlenkerte seine Kindergartentasche, in der ein Apfel kullerte und vermutlich das Butterbrot platt drückte. Er würde das sowieso nicht essen, er tauschte sein Frühstück gegen Murmeln ein.
Er hüpfte über das alte Kopfsteinpflaster, bemühte sich, nicht auf den Rand zu treten, als ein unterdrücktes Schluchzen an sein Ohr drang.
Er stand stocksteif, sah sich um und entdeckte Florian Pulver, der unter dem alten Kastanienbaum saß, ihn überhaupt nicht beachtete und bitterlich schluchzte.
Mit wenigen Sätzen war Max bei ihm. Ein wenig verlegen sah er auf den verheulten Florian. Florian paßte es bestimmt nicht, daß jemand ihn weinen sah.
»Haste denn?« Max zog dabei seine Nase ein wenig kraus und wickelte das Lederband seiner Tasche um seine Finger. Florian war größer als Max, und schon am ersten Tag hatte sich Max zu dem Jungen hingezogen gefühlt, aber der hatte leider kaum Notiz von ihm genommen.
»Die wollen Gertrud schlachten«, stieß Florian unter Schluchzen hervor. »Mörder sind sie. Jawohl.«
Entsetzt starrte Max auf den Kameraden und stieß hörbar die Luft aus.
»Und da sitzt du hier und heulst? Da mußt du sofort zur Polizei gehen. Die kommt dann und steckt sie ins Gefängnis. Komm, wir rennen los. Die können doch deine Schwester nicht totmachen.«
Florian blieb der kummervolle Schluchzer im Hals stecken. Er zog hörbar die Nase hoch, starrte Max an und tippte dann gegen seine Stirn.
»Ich hab’ doch keine Schwester. Wie kommste denn da drauf?«
»Ja, aber…«, Max verschluckte sich und holte Luft. »Du hast doch gesagt, die wollen Gertrud…«
»Du verstehst aber auch gar nichts«, ärgerte Florian sich, und der Kummer überrollte ihn wieder. »Gertrud ist doch das Schwein vom Bauern Griese. Aber viel mehr als ein Schwein, das kann ich dir schriftlich geben. Wenn Gertrud mich hört, dann quiekt sie schon, und wenn ich in den Stall komme, dann stellt sie sich auf die Hinterfüße und will von mir gekrault werden. Am liebsten hat sie, wenn ich an ihrem Hals kratze. Wenn der Bauer nicht in der Nähe ist, darf ich Gertrud sogar aus dem Stall holen. Der Knecht ist nämlich mein Freund, der tut einfach, als ob er das gar nicht sieht. Und jetzt…«, er bemühte sich nicht einmal, die Tränen zurückzuhalten, sie flossen über seine Wangen, auf denen die Sommersprossen glühten, »… jetzt haben sie Gertrud in den kleinen Stall gesperrt. Gertrud weiß bestimmt, was das heißt. Da hinein kommen die Schweine, wenn sie geschlachtet werden. Hast du schon mal gehört, wie ein Schwein schreit, wenn es totgemacht wird?«
Max stopfte blitzschnell seine Finger in die Ohren. Die Tasche fiel dabei auf den Boden, aber darauf achtete er nicht.
Er nickte nur.
»Weißt du, Max«, Florian sprach beinahe so tiefsinnig wie Max’ Vater, wenn der seinem Sohn etwas erklärte. Max bewunderte den Freund rückhaltlos.
»Menschen sind gemein. Das kann ich dir sagen. Widerlich sind sie. Gertrud ist mein Freund, gestern abend hab’ ich sie noch mit Äpfeln gefüttert, und morgen ist sie einfach nicht mehr da. Aufgegessen wird sie. Die Menschen sind Kannibalen, oder wie die Leute heißen, die andere aufessen.«
Max kratzte über seine Nase, wie immer, wenn er verlegen war oder scharf nachdenken mußte.
»Aber wenn man keine Tiere schlachtet, dann können wir doch kein Fleisch essen«, gab er zu bedenken.
»Na und, na und?« ereiferte sich Florian und reckte sich zu seiner beneidenswerten Größe auf. »Schmeckt Brot etwa nicht? Und sind Eier nicht lecker? Von mir aus brauchte es kein Fleisch zu geben, ich bin auch mit Klößen zufrieden, und Kuchen esse ich auch gern. Meine Oma kann toll Streuselkuchen backen. Ach Mensch…«, seine Tränen flossen wieder, »… ich kann dir sagen, mir geht es scheußlich.«
Vom nahen Kirchturm schallten mahnende Glockenschläge herunter. Die beiden hörten die Uhr nicht. Sie hatten auch vergessen, daß man im Kindergarten auf sie wartete. War man um viertel nach neun nicht im Kindergarten, wurden die Eltern angerufen.
»Da muß man doch was machen«, stieß Max wütend aus. »Wir könnten Gertrud retten.«
Florians Tränen versiegten sofort. Die beiden Buben sahen sich an; sie schwiegen einen Augenblick.
»Klar, wir müssen sie retten. Aber wie?«
Max’ Lausbubengesicht verzog sich listig. Seine grauen Augen funkelten unternehmungslustig.
»Wir holen sie einfach aus dem Stall, aus ihrer Todeszelle. Ich hab’ einen Apfel in der Tasche, damit locken wir sie.«
»Die braucht man nicht zu locken. Wenn die mich nur sieht, will sie bei mir sein. Die folgt mir wie ein Hund. Aber was machen wir, wenn uns jemand sieht?« gab Florian ängstlich zu bedenken.
Max winkte großspurig ab, aber so mutig, wie er sich gab, fühlte er sich längst nicht. Seinem Vater war einmal ein Kälbchen geklaut worden, da war die Polizei gekommen. Es war wahnsinnig aufregend gewesen.
Vielleicht kamen sie sogar ins Gefängnis, wenn man sie erwischte? Aber ein Schwein war ja längst nicht so groß wie ein Kalb! Und überhaupt!
»Wir retten Gertrud«, erklärte Max energisch. »Los, komm, wir dürfen uns einfach nicht erwischen lassen.«
»Aber wohin gehen wir mit ihr?« überlegte Florian zögernd. Er war zwar nicht viel älter als Max, aber offensichtlich doch besonnener.
»Das sehen wir dann schon«, winkte Max ab, der auf keinen Fall auf das Abenteuer verzichten wollte. Selbst das Gefängnis erschien ihm spannend, wenn ihm nur seine Eltern keinen Strich durch sein Abenteuer machten!
»Hinter Grieses Hof fängt doch gleich der Wald an, Florian. Und hinter dem Wald ist eine Hütte, da kann Gertrud sich verstecken, wenn man sie sucht. Mein Vater hat mal gesagt, wenn Tiere die Freiheit riechen, dann kann man sie nicht wieder fangen.«
Daß sein Vater damit einen Kanarienvogel gemeint hatte, der seinem Sohn davongeflogen war, bedachte Max natürlich nicht.
»Ich sag dir ja«, Florian fuhr mit allen zehn Fingern durch sein blondes Haar, das anschließend noch mehr zu Berge stand. »Gertrud ist schlau. Wir können auf sie aufpassen und ihr immer Futter bringen, weil sie ja nicht gewohnt ist, sich selbst was zu suchen. Die Hauptsache ist, sie kann nicht geschlachtet werden. Griese hat ja noch mehr Schweine, er kann ja ein anderes Schwein schlachten, wenn er unbedingt Fleisch essen muß. Komm.«
Beiden klopfte das Herz bis zum Hals, aber um nichts in der Welt hätten die beiden Lausebengels auf ihre Rettungsaktion verzichten mögen. Wie Indianer schlichen sie zum Hof und versteckten sich hinter einem Holzstoß. Die Vorsicht war gar nicht nötig, der sauber gepflegte Hof lag wie ausgestorben. Nur ein Huhn pickte gelangweilt zwischen den Steinen und stolzierte dann davon; den Jungen, die gebückt zum Stall schlichen, warf es keinen Blick zu.
»Was für ein Glück, daß Hühner so blöde sind«, zischte Max seinem Freund zu. »Sonst müßten wir ihm glatt den Hals umdrehen, damit es uns nicht verrät.«
Sein Freund nickte. Ja, jetzt war Florian sein Freund. Für immer und ewig.
*
»Es ist nur noch eine Patientin im Wartezimmer.« die Sprechstundenhilfe sah mitleidig auf das erschöpfte Gesicht der jungen Tierärztin. »Das war aber auch ein Morgen! Ich glaube, so viel zu tun hatten wir noch nie.«
Manuela von Grünberg nickte. Einen Moment fühlte sie sich zu müde, um aufzustehen. Es war gut, daß Bertram sie nicht so sah. Bertram lebte in ständiger Angst, daß seine Frau sich überanstrengte.
»Es war leider auch eine lange Nacht.« Manuela strich sich dabei das Haar aus der Stirn und versuchte, sich zu einem Lachen aufzuraffen. »Zweimal wurde ich aus dem Bett geholt. Die Stute bei Greiner fohlte schwer. Ich hatte mich beinahe zu einem Kaiserschnitt entschlossen, aber dann bequemte sich das kleine Wesen zum Glück, auf normale Weise auf die Welt zu kommen. Jetzt bitten Sie den letzten Patienten hinein, dann werde ich ja heute mittag endlich pünktlich zu Tisch kommen.«
»Es wird wirklich höchste Zeit, daß ein neuer Tierarzt in das alte Doktorhaus kommt. Ich fand es ausgesprochen abscheulich von Dr. Wilms, daß er eine Praxis in der Stadt übernommen hat.«
»Er hat sich hier nicht richtig heimisch gefühlt, Klara. Es wird schon jemand kommen. Mein Mann jedenfalls bemüht sich händeringend darum.«
Klara führte eine ältere Dame ins Sprechzimmer, neben ihr drückte sich ein wundervoller Bernhardiner ins Zimmer, den offensichtlich die fremde Umgebung und die fremden Gerüche ängstigten.
Manuela ging der Frau entgegen, lächelte sie an und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Tier zu.
»Das ist ja eine Pracht von einem Hund«, bewunderte sie den Bernhardiner. »Er sieht aus wie Barry auf den Bildern, Barry, der Lawinenhund, der schon viele Menschen rettete.«
»Das wird er bei uns nicht nötig haben«, lächelte die Dame verlegen, sie schien genauso nervös zu sein wie der Hund.
»Er sieht gar nicht krank aus.« Manuela nickte der Frau beruhigend zu. »Komm, spring auf den Tisch.« Sie klopfte auffordernd auf das Wachstuch. Der große Hund zögerte einen Augenblick, sah auf sein Frauchen, und als das nickte, sprang er aus dem Stand hinauf.
»Du bist ja riesig. Wie heißt er denn?«
»Urs heißt er.« Die Frau sprach leise, und das angespannte Gesicht überzog sich mit einer krankhaften Blässe. »So hieß der Mann, der meinem Enkel das Tier schenkte. Er ist ein braves Tier.«
»Welche Beschwerden hat er denn?« wollte Manuela wissen und nahm das Stethoskop vom Tisch. Eine Antwort wartete sie nicht ab. Sorgfältig untersuchte sie den Hund, der sich vorbildlich benahm, sich nicht einmal rührte, als seine Augenlider hochgezogen wurden und die fremde Frau, die so beängstigend roch, seinen Mund öffnete.
Ein wenig ratlos sah Manuela auf die Frau, die auf dem Stuhl Platz genommen hatte.
»Ich kann wirklich nichts feststellen. Wieso meinen Sie, daß ihm etwas fehlt? Frißt er nicht richtig?«
Mit einer fahrigen Bewegung fuhr die Fremde über ihr kalkweißes Gesicht.
»Sie verstehen doch, was ich Sie fragte?« Manuela lächelte liebenswürdig. Sie kannte die Frau nicht und überlegte gerade, ob sie eine der Ausländerinnen war, die seit kurzem im Dorf wohnten.
»Es fehlt Urs auch nichts«, stieß die Fremde heiser aus. Manuela starrte die Frau fassungslos an.
»Es fehlt ihm nichts? Aber warum sind Sie dann gekommen?«
Sofort bereute Manuela den ungeduldigen Ton, als sie die Verzweiflung in den braunen Augen sah. Erst jetzt betrachtete sie die Fremde genauer.
Einmal mußte sie sehr gut ausgesehen haben. Jetzt hatten die Jahre, die offensichtlich Kummer und Sorgen brachten, ihre Spuren in dem schmalen Gesicht hinterlassen.
»Ich wollte Sie sprechen, Frau Doktor. Und ich wußte mir keinen Rat, da bin ich auf die Idee gekommen, Urs zu Ihnen zu bringen. Bitte, seien Sie mir nicht böse. Ich habe gewartet, bis alle fort waren, ich meine, ich bin die letzte Patientin. Ich muß Sie sprechen, Frau Doktor.«
Sie krampfte die Hände zusammen. Ein Sonnenstrahl hatte sich durch die dunklen Wolken geschoben und leuchtete ins Zimmer. Er legte ein Gespinst von Licht über das graue Haar, das sorgfältig zu einem Knoten geordnet war.
»Mich sprechen?« Manuela streichelte mechanisch über das glänzende Fell des Hundes, der sich die Zärtlichkeit gefallen ließ.
Klara kam ins Zimmer. Manuela überlegte nicht lange.
»Machen Sie jetzt Mittag, Klara. Ich komme hier allein zurecht.« Die Sprechstundenhilfe war froh, entlassen zu sein. Sie machte, daß sie davonkam, bevor das Telefon ihre Freizeit kürzte.
»So, jetzt entspannen Sie sich zuerst einmal«, bat Manuela die Fremde. Manuela verbot sich, auf die Uhr zu sehen. Hier war jemand in Not, das sah man doch. Die Frau würde den Weg zu ihr nicht gemacht haben, wenn sie nicht Hilfe brauchte. Manuelas mitfühlendes Herz war längst aufnahmebereit.
»Der Kaffee ist noch heiß, möchten Sie eine Tasse?«
»Sie sind sehr liebenswürdig, Frau Doktor. Ich müßte ein schlechtes Gewissen haben, daß ich Ihre Zeit in Anspruch nehme. Aber ich weiß mir keinen anderen Rat. Ich glaube, daß nur Sie mir helfen können.«
Manuela gab dem Hund einen Klaps und befahl ihm, vom Tisch zu springen. Sie selbst setzte sich auf ihren Platz, schlug die Beine übereinander und lächelte der Frau aufmunternd zu.
»Wenn ich Ihnen helfen kann, tu ich es ganz sicher. Bitte, erzählen Sie.«
Sie saß da, entspannt, ruhig, als hätte sie alle Zeit der Welt und nicht einen Mann, der mit jeder Minute geizte, während der er seine Frau entbehren mußte, und sehr ungeduldig werden konnte, wenn sie ihn warten ließ.
»Wir wohnen erst ein halbes Jahr hier im Dorf. Meine Tochter ist Sekretärin bei Diekhoff.«
»Das ist eine weltbekannte Firma«, nickte Manuela freundlich und verstand natürlich noch immer nicht.
»Meine Tochter war auch sehr froh, daß sie die Stelle bekam. Sie arbeitet gern dort, sie ist auch sehr tüchtig, sie spricht drei Sprachen perfekt.«
Die Frau schwieg, suchte sichtlich nach Worten.
»Das ist in ihrem Beruf sicherlich ein großer Vorteil«, nickte Manuela. Sie spürte, daß sie langsam ungeduldig wurde. Warum kam die Frau nicht endlich zur Sache?! So schwierig konnte doch die Hilfe nicht werden.
»Ich muß ein wenig weiter ausholen.« Die Fremde starrte auf ihre Hände, die sie noch immer im Schoß hielt. Arm scheint sie nicht zu sein, dachte Manuela, als sie das Kostüm der Fremden musterte. Um Geld will sie vermutlich nicht bitten.
»Ich versuche aber, mich so kurz wie möglich zu fassen. Ich weiß wohl, wie unmöglich es von mir ist, Ihre Zeit zu stehlen.
Meine Tochter ist sehr hübsch, das sage ich nicht nur, weil ich ihre Mutter bin, sie ist es wirklich. Aber bisher hat diese Schönheit ihr nur Kummer gebracht, jedenfalls seit sie erwachsen ist.
Als sie 18 Jahre alt war, verliebte sie sich in einen Mann, der ihr den Kopf verdrehte. Er sah blendend aus und überhäufte sie mit Geschenken. Ich mochte ihn nicht, aber alle meine Mahnungen fruchteten nichts. Als sie schwanger war, machte er sich aus dem Staub, dabei hatte er ihr die Ehe versprochen und sogar schon Pläne für die Hochzeitsreise gemacht. Pat ist natürlich darauf hereingefallen, verliebt wie sie war. Die Zeit, die dann kam, war entsetzlich. Aber wenigstens fing sie sich soweit, daß sie ihr Studium zu Ende führte. Dann kam Florian zur Welt. Ich zog zu ihr, das heißt, wir nahmen uns eine Wohnung in Köln, wo Pat eine Stelle als Auslandskorrespondentin bekam. Sie war über ihre erste Liebe zum Glück hinweggekommen, als sie einem anderen begegnete. Ich will es kurz machen. Sie kannten sich ein halbes Jahr, als plötzlich eine Dame vor unserer Tür stand und meine Tochter furchtbar beschimpfte. Sie hatte nicht gewußt, daß er verheiratet war. Aber nicht genug damit, diese Frau wandte sich an Pats Chef. Niemand in der Firma glaubte ihr, daß sie nichts von der Ehe wußte. Das hatte zur Folge, daß man sich plötzlich Freiheiten bei ihr erlaubte, die… nun, Pat litt entsetzlich darunter. Können Sie das verstehen?«
Manuela nickte, aber ratlos fragte sie sich, worin ihre Hilfe bestehen sollte. Sie hörte das Hufgetrappel auf dem Hof und wußte, daß ihr Mann nach Hause kam.
»Pat hielt es in der Firma nicht mehr aus, schon gar nicht, als der Juniorchef sie bat, ihn auf einer Geschäftsreise zu begleiten und dort aufdringlich wurde. Sie kündigte. Und hatte das große Glück, bei Diekhoff eine neue Stelle zu bekommen.«
»Sie zogen also mit Ihrem Enkel und Ihrer Tochter hierher?«
Frau Pulver nickte.
»Ja. Pat lebte sich rasch ein, sie liebt ihre Arbeit dort, und das Betriebsklima ist ausgezeichnet.«
»Dann ist doch jetzt alles in bester Ordnung.«
»Eben nicht«, platzte Frau Pulver heftig heraus. »Der Juniorchef hat ein Auge auf sie geworfen. Er hat sie schon einige Male zum Essen eingeladen, und im Betrieb bevorzugt er sie ganz offen. Ich kann das Ganze nicht noch einmal ertragen. Florian fühlt sich hier im Dorf sehr wohl, ich wohne auch gern hier. Und Pat habe ich schon lange nicht mehr so fröhlich und aufgeschlossen erlebt. Das alles darf sich einfach nicht noch einmal wiederholen.«