Wenn Parlamente vors Volk ziehen - Nils Arne Brockmann - kostenlos E-Book

Wenn Parlamente vors Volk ziehen E-Book

Nils Arne Brockmann

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Beschreibung

Akklamation, Okkupation und Verantwortungsflucht - Ratsreferenden genießen als Top-down-Verfahren in der lokalen Politikforschung einen zweifelhaften Ruf. Nils Arne Brockmann unternimmt nun erstmalig eine empirisch-systematische Erforschung des direktdemokratischen Entscheidungsinstruments: Anhand vergleichender Fallstudien in vier Städten untersucht er die vielfältigen Initiierungsgründe und Akteurskonstellationen von Ratsreferenden. Er hinterfragt dabei ihre im Vergleich zu Bürgerreferenden negative Rezeption und entwickelt eine Analyseheuristik, die auch auf Top-down-Referenden anderer politischer Ebenen übertragbar ist.

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Nils Arne Brockmann, geb. 1983, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Bereiche Digitale Lehre und Digitales Lernen an der Hochschulbibliothek der Fachhochschule Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen insbesondere E-Assessment, Direkte Demokratie und Kommunalpolitik.

Nils Arne Brockmann

Wenn Parlamente vors Volk ziehen

Ratsreferenden in der kommunalen Demokratie

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung der Dissertation »Wenn Parlamente vors Volk ziehen — Ratsreferenden in der kommunalen Demokratie«, die 2020 an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der Fern- Universität in Hagen im Fach Politikwissenschaft zur Erlangung des akademischen Grades »Doktor der Philosophie« (Dr. phil.) eingereicht wurde.

Erstbetreuer: Prof. Dr. Lars Holtkamp (FernUniversität in Hagen) Zweitbetreuerin: Prof. Dr. Dorothée de Nève (Justus-Liebig-Universität Gießen)

Das Projekt wurde durch die Gesellschaft der Freunde der FernUniversität e.V. sowie durch die interne Forschungsförderung der FernUniversität in Hagen gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext:https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2021 im transcript Verlag, Bielefeld © Nils Arne Brockmann

Covergestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Print-ISBN 978-3-8376-5820-0 PDF-ISBN 978-3-8394-5820-4 EPUB-ISBN 978-3-7328-5820-0 https://doi.org/10.14361/9783839458204 Buchreihen-ISSN: 2702-9050 Buchreihen-eISSN: 2702-9069

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

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Inhalt

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort und Dank

Einführung

1.Referenden: eine begriffliche und konzeptionelle Verortung

1.1Historie, Definition und Typen

1.2Das Referendum als Begriff in der deutschen Politikwissenschaft

1.3Zum Verhältnis von Referenden und Plebisziten

1.4Zum Verhältnis von Referenden und Initiativen

1.5Zum Verhältnis von Referenden und direkter Demokratie

2.Ratsreferenden: Begrifflichkeiten und rechtliche Merkmalsausprägungen

2.1Definition und Terminologie

2.2Typologische Einordnung

3.Die Institutionalisierung von Ratsreferenden in den Kommunalverfassungen: eine vergleichende empirische Analyse

3.1Implementation und Reform im Bundesländervergleich

3.1.1Genese und Entwicklung bis zur Gründung der BRD

3.1.2Genese und Entwicklung in der BRD

3.1.3Vergleichende Analyse

3.2Verflechtungen von Bürger- und Ratsreferenden

3.2.1Konkurrenzreferenden

3.2.2Bindungswirkungen

3.3Fazit

4.Ratsreferenden: Entwicklung eines Phasenmodells

4.1Phasenmodelle in der bundesdeutschen kommunalen Referendumsforschung

4.2Modellentwicklung

4.2.1Phasenablauf

4.2.2Entscheidungsumgebung und Einflussfaktoren

4.2.3Ratsreferenden als Konkurrenzreferenden

5.Ratsreferenden: Theorie der Funktionsweise des Initiierungs- und Auslösungsprozesses

5.1Neo-Institutionalismus als theoretisches Fundament

5.2Initiierungsprozess

5.2.1Initiierungsidee

5.2.2(Potentielle) Initiatoren

5.2.3Politische Standardmotive, Initiierungsziele und Initiierungstypen

5.2.4Initiierungsverhandlungen

5.2.5Initiierungsvorlage

5.2.6Initiierungsentscheidung

5.2.7Initiierungsbedingungen

5.3Auslösungsprozess

5.3.1(Potentielle) Auslöser

5.3.2Politische Standardmotive, Auslösungsziele und Auslösungstypen

5.3.3Auslösungsverhandlungen

5.3.4Auslösungsvorlage

5.3.5Auslösungsentscheidung

5.3.6Auslösungsbedingungen

5.4Das Gesamtmodell

6.Ratsreferenden: eine quantitative Vermessung der Initiierungs- und Auslösungspraxis

6.1Datenlage und -qualität

6.2Ratsreferenden mit Bürgerentscheid im Bundesländervergleich: eine Sekundäranalyse

6.3Die Initiierungs- und Auslösungspraxis von Ratsreferenden: eine Primäranalyse

6.3.1Die Initiierungspraxis in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein

6.3.2Die Auslösungspraxis in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein

6.4Fazit

7.Ratsreferenden: vergleichende Fallstudien der Initiierungs- und Auslösungspraxis in bayerischen und nordrhein-westfälischen Kommunen

7.1Einführung, Fallauswahl und Methodik

7.2Verfahrensexogene politische Einflussfaktoren in Bayern und Nordrhein-Westfalen

7.3Legden

7.3.1Politische und sozioökonomische verfahrensexogene Einflussfaktoren

7.3.2Erweiterung des Gewerbegebiets »Heying Esch«

7.3.3Ampelanlage im Ortskern

7.3.4Fallfazit

7.4Aachen

7.4.1Politische und sozioökonomische verfahrensexogene Einflussfaktoren

7.4.2Campusbahn-Projekt

7.4.3Fallfazit

7.5Rothenburg o. d. T.

7.5.1Politische und sozioökonomische verfahrensexogene Einflussfaktoren

7.5.2Mehrzweckhalle

7.5.3Fallfazit

7.6Augsburg

7.6.1Politische und sozioökonomische verfahrensexogene Einflussfaktoren

7.6.2Mobilitätsdrehscheibe I: Königsplatz

7.6.3Wasserkraftwerk am Hochablass

7.6.4Mobilitätsdrehscheibe II: Hauptbahnhof und Linie 5

7.6.5Energie-Fusion der Stadtwerke

7.6.6Fallfazit

7.7Muster im Initiierungs- und Auslösungsprozess: Fallvergleich und Einordnung der Ergebnisse

7.7.1Reflektion der Analyseheuristik

7.7.2Fallübergreifende Muster in der Initiierungs- und Auslösungspraxis

7.7.3Vergleich der Initiierungs- und Auslösungspraxis in Klein- und Großstädten

7.7.4Vergleich der Initiierungs- und Auslösungspraxis unter majoritären und konsensualen Auslösungsbedingungen

7.7.5Relevanz bundeslandspezifischer verfahrensexogener Einflussfaktoren auf die Initiierungs- und Auslösungspraxis

7.7.6Einordnung der Ergebnisse im Kontext der Implementationsdebatte

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnisse

Anhang

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1.1:Formale Referendumstypen in der Referendumsforschung

Tabelle 1.2:Grundformen direkter Demokratie

Tabelle 2.1:Terminologie kommunaler Referenden

Tabelle 2.2:Spannbreite von Negativkatalogen

Tabelle 2.3:Einordnung von Ratsreferenden in die formalen Referendumstypologien

Tabelle 3.1:Einführung von Ratsreferenden und Entwicklung ihrer Auslösungserfordernisse im Bundesländervergleich (1949-2018)

Tabelle 3.2:Legitimitätserwartungen an Ratsreferenden für die kommunale Demokratie

Tabelle 3.3:Anträge Ratsreferenden nach Fraktionszugehörigkeit im Bundesländervergleich (1989-2018)

Tabelle 3.4:Kritik an Ratsreferenden nach Fraktionszugehörigkeit im Bundesländervergleich (1989-2018)

Tabelle 3.5:Abstimmungsverfahren bei Konkurrenzreferenden im Bundesländervergleich (1989-2018)

Tabelle 3.6:Auslösungserfordernisse bei ratsinitiierten Konkurrenzreferenden im Bundesländervergleich (1989-2018)

Tabelle 3.7:Bindungswirkungen von Bürger- und Ratsreferenden (Stand: 2018)

Tabelle 4.1:Potentielle verfahrensexogene Entstehungsbedingungen

Tabelle 4.2:Potentielle verfahrensendogene Entstehungsbedingungen

Tabelle 5.1:Gemeindegröße als Kontextbedingung

Tabelle 6.1:Anwendungshäufigkeiten von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid im Bundesländervergleich (1990-2018)

Tabelle 6.2:Anwendungshäufigkeiten von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid in Baden-Württemberg nach Gemeindegrößenklassen (1990-2018)

Tabelle 6.3:Anwendungshäufigkeiten von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid in Nordrhein-Westfalen nach Gemeindegrößenklassen (2007-2018)

Tabelle 6.4:Anwendungshäufigkeiten von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid in Schleswig-Holstein nach Gemeindegrößenklassen (1990-2018)

Tabelle 6.5:Anwendungshäufigkeiten von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid in Bayern nach Gemeindegrößenklassen (1995-2018)

Tabelle 6.6:Anzahl an Ratsreferenden mit Bürgerentscheid pro Gemeinde nach Gemeindegrößenklasse in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Bayern (1990-2018)

Tabelle 6.7:Anwendungshäufigkeiten von Einzel- und Konkurrenzreferenden mit Bürgerentscheid in Bayern (1995-2018)

Tabelle 6.8:Wiederholungsquoten in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (1990-2018)

Tabelle 6.9:Initiierungshäufigkeiten von Ratsreferenden in Nordrhein-Westfalen (2010-2018)

Tabelle 6.10:Initiierungshäufigkeiten von Ratsreferenden in Schleswig-Holstein (2010-2018)

Tabelle 6.11:Gemeinden mit Ratsreferendumsanträgen in Nordrhein-Westfalen nach Gemeindegrößenklassen (2010-2018)

Tabelle 6.12:Gemeinden mit Ratsreferendumsanträgen in Schleswig-Holstein nach Gemeindegrößenklassen (2010-2018)

Tabelle 6.13:Anzahl an Ratsreferendumsanträgen pro Gemeinde nach Gemeindegrößenklassen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (2010-2018)

Tabelle 6.14:Wiederholungsquoten von Ratsreferendumsanträgen nach Gemeindegröße in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (2010-2018)

Tabelle 6.15:Initiatoren von Ratsreferenden in Nordrhein-Westfalen (2010-2018)

Tabelle 6.16:Initiatoren von Ratsreferenden in Schleswig-Holstein (2010-2018)

Tabelle 6.17:Initiierungsvorlagen von Ratsreferenden in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (2010-2018)

Tabelle 6.18:Initiierungsvorlagen von Ratsreferenden nach Initiator in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (2010-2018)

Tabelle 6.19:Auslösungspraxis von Ratsreferenden in Nordrhein-Westfalen (2010-2018)

Tabelle 6.20:Auslösungspraxis von Ratsreferenden in Schleswig-Holstein (2013-2018)

Tabelle 7.1:Fallauswahl

Tabelle 7.2:Vergleich der Referendumsdispositive von Bayern und Nordrhein-Westfalen (2010-2015)

Tabelle 7.3:Vergleich der Handlungsspielräume von (Ober-)Bürgermeistern und Ratsakteuren in Bayern und Nordrhein-Westfalen (2010-2015)

Tabelle 7.4:Ergebnisse der Bürgermeisterwahlen in Legden (1999-2015)

Tabelle 7.5:Ergebnisse der Kommunalwahlen in Legden nach Sitzen (1999-2014)

Tabelle 7.6:Haushaltsbeschlüsse nach Fraktionszugehörigkeit in Legden (2010-2015)

Tabelle 7.7:Haushaltssituation Legdens (2010-2015)

Tabelle 7.8:Positionen der politischen Akteure zum Ratsreferendum »Heying Esch«

Tabelle 7.9:Ergebnisse des Ratsreferendums zum Gewerbegebiet »Heying Esch«

Tabelle 7.10:Profil der Initiierungspraxis in Legden

Tabelle 7.11:Profil der Auslösungspraxis in Legden

Tabelle 7.12:Ergebnisse der OB-Wahlen in Aachen (2004-2014; Kandidaten mit mehr als 5 %)

Tabelle 7.13:Ergebnisse der Stadtratswahlen in Aachen nach Sitzen (1999-2014)

Tabelle 7.14:Haushaltsbeschlüsse nach Fraktions- bzw. Gruppenzugehörigkeit in Aachen (2010-2015)

Tabelle 7.15:Haushaltssituation in Aachen (2010-2015)

Tabelle 7.16:Positionen der politischen Akteure zum Ratsreferendum »Campusbahn«

Tabelle 7.17:Ergebnis des Ratsreferendums zur »Campusbahn«

Tabelle 7.18:Profil der Initiierungspraxis in Aachen

Tabelle 7.19:Profil der Auslösungspraxis in Aachen

Tabelle 7.20:Ergebnisse OB-Wahlen in Rothenburg (2006-2012)

Tabelle 7.21:Ergebnisse Stadtratswahlen in Rothenburg (1996-2014)

Tabelle 7.22:Haushaltsbeschlüsse nach Fraktions- bzw. Gruppenzugehörigkeit in Rothenburg (2010-2015)

Tabelle 7.23:Haushaltssituation in Rothenburg (2010-2015)

Tabelle 7.24:Positionen der politischen Akteure zu den Konkurrenzreferenden zur Mehrzweckhalle

Tabelle 7.25:Ergebnisse der Konkurrenzreferenden zur Mehrzweckhalle

Tabelle 7.26:Profil der Initiierungspraxis in Rothenburg

Tabelle 7.27:Profil der Auslösungspraxis in Rothenburg

Tabelle 7.28:Ergebnisse OB-Wahlen in Augsburg (2002-2014; Kandidaten mit mehr als 5 %) 

Tabelle 7.29:Ergebnisse Stadtratswahlen in Augsburg (1996-2014)

Tabelle 7.30:Haushaltsbeschlüsse nach Fraktions- bzw. Gruppenzugehörigkeit in Augsburg (2010-2015)

Tabelle 7.31:Haushaltssituation in Augsburg (2010-2015)

Tabelle 7.32:Ergebnis des Bürgerreferendums zum Königsplatz 2007

Tabelle 7.33:Positionen der politischen Akteure zu den konkurrierenden Referenden zum Königsplatz

Tabelle 7.34:Ergebnisse der Konkurrenzreferenden zum Königsplatz

Tabelle 7.35:Positionen der politischen Akteure zu den konkurrierenden Fusionsreferenden

Tabelle 7.36:Ergebnisse der Konkurrenzreferenden zur Fusion

Tabelle 7.37:Profil der Initiierungspraxis in Augsburg

Tabelle 7.38:Profil der Auslösungspraxis in Augsburg

Tabelle 7.39:Fallübergreifende Muster in der Initiierungspraxis nach Initiatoren

Tabelle 7.40:Fallübergreifende Muster in der Auslösungspraxis nach Initiatoren

Tabelle 7.41:Muster in der Initiierungspraxis von Ratsreferenden in Klein- und Großstädten

Tabelle 7.42:Muster in der Auslösungspraxis von Ratsreferenden in Klein- und Großstädten

Tabelle 7.43:Muster in der Initiierungspraxis unter majoritären und konsensualen Auslösungsbedingungen

Tabelle 7.44:Muster in der Auslösungspraxis unter majoritären und konsensualen Auslösungsbedingungen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 4.1:Phasenmodell kommunaler Referenden nach Paust

Abbildung 4.2:Phasenablauf von Ratsreferenden

Abbildung 4.3:Grundmodell der Entscheidungsumgebung und Einflussfaktoren

Abbildung 4.4:Ratsreferenden als Konkurrenzreferenden

Abbildung 5.1:Politische Standardmotive, Initiierungsziele und Initiierungstypen

Abbildung 5.2:Verfahrensexogene und -endogene Initiierungsbedingungen im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess

Abbildung 5.3:Politische, sozioökonomische und situative Initiierungsbedingungen im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess

Abbildung 5.4:Verfahrensexogene und -endogene Auslösungsbedingungen im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess

Abbildung 5.5:Politische, sozioökonomische und situative Auslösungsbedingungen im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess

Abbildung 5.6:Die Funktionsweise des Initiierungs- und Auslösungsprozesses

Abbildung 6.1:Absolute jährliche Anwendungshäufigkeiten von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein- Westfalen und Schleswig-Holstein (1990-2018)

Abbildung 6.2:Anzahl von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid pro Gemeinde nach Einwohnerzahl in Baden-Württemberg (1990-2018)

Abbildung 6.3:Anzahl von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid pro Gemeinde nach Einwohnerzahl in Nordrhein-Westfalen (2007-2018)

Abbildung 6.4:Anzahl von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid pro Gemeinde nach Einwohnerzahl in Schleswig-Holstein (1990-2018)

Abbildung 6.5:Anzahl von Ratsreferenden mit Bürgerentscheid pro Gemeinde nach Einwohnerzahl in Bayern (1995-2018)

Abbildung 6.6:Jährliche Initiierungshäufigkeiten von Ratsreferenden in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (2010-2018)

Abbildung 6.7:Anzahl von Ratsreferendumsanträgen pro Gemeinde nach Einwohnerzahl in Nordrhein-Westfalen (2010-2018)

Abbildung 6.8:Anzahl von Ratsreferendumsanträgen pro Gemeinde nach Einwohnerzahl in Schleswig-Holstein (2010-2018)

Abkürzungsverzeichnis

AA

Augsburger Allgemeine Zeitung

A. d. V.

Anmerkung des Verfassers

AH

Abgeordnetenhaus von Berlin

AN

Aachener Nachrichten

AZ

Aachener Zeitung

BB

Brandenburg

BbgKVerf

Kommunalverfassung von Brandenburg

BE

Berlin

BezAbstDurchfG

Gesetz zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in den Bezirken von Hamburg

BezVG

Bezirksverwaltungsgesetz von Berlin

BfR

Bürgerentscheid für Rothenburg

BLfD

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

BM

Bürgermeister/in

BI

Bürgerinitiative

BR

Bürgerreferendum

BremBü

Bremische Bürgerschaft

BremVerf

Bremische Verfassung

BrhvStVV

Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung

BürgerentscheidDVO

Verordnung zur Durchführung eines Bürgerentscheids in Nordrhein-Westfalen

BVV

Bezirksverordnetenversammlung

BW

Baden-Württemberg

BY

Bayern

CSM

Christlich Soziale Mitte

DAZ

Die Augsburg Zeitung

DDR-KVerf

Kommunalverfassung der DDR von 1990

FA

Fränkischer Anzeiger

FBU

Freie Bürger Union

FRV

Freie Rothenburger Vereinigung

GO

Gemeindeordnung Bayern

GO NRW

Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen

GO SH

Gemeindeordnung Schleswig-Holstein

GVFG

Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz

HamBü

Hamburgische Bürgerschaft

HmbVerf

Hamburgische Verfassung

HE

Hessen

HGO

Hessische Gemeindeordnung

H. i. O.

Hervorhebung im Original

KV-MV

Kommunalverfassung von Mecklenburg-Vorpommern

LT

Landtag

LfStat

Landesamt für Statistik

MDA

Mobilitätsdrehscheibe Augsburg

MV

Mecklenburg-Vorpommern

MZ

Münsterland Zeitung

NAM

Neue Augsburger Mitte

n. b.

nicht bekannt

NKomVG

Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz

NI

Niedersachsen

NRW

Nordrhein-Westfalen

OB

Oberbürgermeister/in

o. V.

ohne Verfasser/in

ÖPNV

Öffentlicher Personennahverkehr

RP

Rheinland-Pfalz

RR

Ratsreferendum

SL

Saarland

SN

Sachsen

ST

Sachsen-Anhalt

SH

Schleswig-Holstein

TH

Thüringen

ThürEBBG

Thüringer Gesetz über das Verfahren bei Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

UR

Unabhängige Rothenburger

UWG

Unabhängige Wählergemeinschaft

VerfBrhv

Stadtverfassung von Bremerhaven

VolksEG, HB

Gesetz über das Verfahren beim Volksentscheid in Bremen

WSA

Wir sind Augsburg

Vorwort und Dank

2011 begann ich die Arbeiten an meinem ersten Dissertationsprojekt. Mit der Zeit wuchsen bei mir jedoch die Zweifel, das Projekt fertigstellen zu können. Die Verknüpfung von Theorie und Empirie wollte mir nicht gelingen. Die Entscheidung, das Projekt nach drei Jahren Arbeit aufzugeben, fiel mir nicht leicht, war dann aber doch erleichternd. Die anschließende Mitarbeit in einem Projekt zur Direkten Demokratie sollte zunächst eigentlich meiner beruflichen Neuorientierung dienen. Nicht ganz überraschend weckte sie aber meine Freude an Forschung erneut und gab den Anstoß, das Wagnis Dissertation ein zweites Mal einzugehen. Die Lehren aus dem ersten Versuch halfen mir dabei, den zweiten Anlauf erfolgreich zu beenden. Heute bin ich glücklich, die Ergebnisse meiner Arbeit präsentieren zu können.

Für die finanzielle Unterstützung auf diesem langen Weg bedanke ich mich für das Sachkosten-Stipendium der Gesellschaft der Freunde der FernUniversität e. V. sowie für das Abschluss-Stipendium und den Druckkostenzuschuss der internen Forschungsförderung der FernUniversität in Hagen. Des Weiteren gilt mein Dank den vielen Interviewpartnerinnen und -partnern aus den Fallbeispiel-Kommunen. Die Gespräche und Forschungsaufenthalte halfen nicht nur meinem Verständnis der politischen Entscheidungsprozesse, das Eintauchen in unterschiedliche kommunale Lebenswelten empfand ich auch jenseits der wissenschaftlichen Perspektive als sehr bereichernd.

Bereichernd waren auch die vielen Menschen, die mich auf meinem wissenschaftlichen Werdegang begleitet und unterstützt haben. Dazu zählen mein Erstgutachter Lars Holtkamp und meine Zweitgutachterin Dorothée de Nève, die mir beide die notwendigen Freiheiten einräumten, aber auch den Weg zur Zielgeraden aufzeigten. Als Nomade des Instituts für Politikwissenschaft hatte ich zudem das Glück, von der Zusammenarbeit mit vielen Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten zu profitieren; in ungefährer chronologischer Reihenfolge: Eva-Maria Hinterhuber, Tina Olteanu, Inga Beinke, Marcel Rüttgers, Hans Asenbaum, Silke Schneider, Franziska Carstensen, Sara Becker, Elke Wiechmann, Thomas Bathge, Ina Krause-Heemsoth, Tobias Fuhrmann, Torsten Noe, Annette Töller, Kathrin Loer, Bettina Waffner, Michael Stoiber, Lisa Schäfer, Marie-Sophie Heinelt, Daniel Otto und Helmut Elbers. Gerne erinnere ich mich an die gemeinsamen Projekte in Hagen zurück! Für die vielen digitalen Probesimulationen in Vorbereitung auf die Disputation richte ich auch ein ganz großes Dankeschön an Ina Daßbach, Niklas Ferch und Johannes Diesing. Meinen Eltern danke ich dafür, das Manuskript gleich mehrfach Korrektur gelesen und mich immer unterstützt zu haben.

Widmen möchte ich meine Arbeit allen vormaligen Promovierenden, denen die Beendigung ihres Dissertationsprojektes trotz großen Engagements verwehrt geblieben ist.

Osnabrück, den 27.03.2021

Einführung

a)Problemstellung

Es ist der 9. Juni 2006 spät am Nachmittag: Die Blicke von mehr als 20 Millionen Fernsehzuschauenden1 in Deutschland richten sich auf die Münchener Allianz Arena. Das Eröffnungsspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2006 gegen Costa Rica steht unmittelbar bevor. Aufgrund der durchwachsenen Leistungen in den Jahren zuvor ist die Spannung groß. Wird die Nationalmannschaft den hohen Erwartungen gerecht? Nach nur wenigen Spielminuten ist jedoch klar: Sie wird. Bekanntlich legte Philipp Lahm mit einem Kunstschuss den Grundstein für den Eröffnungssieg und das folgende »Sommermärchen«. So fest wie sich das Spiel seinen Platz in der deutschen Fußballgeschichte sicherte, so groß allerdings waren nur wenige Jahre zuvor die Zweifel, ob die Großveranstaltung nicht an der bayerischen Landeshauptstadt vorbeiginge. In München fehlte nämlich eine angemessene Spielstätte. Nachdem zunächst vor allem ein Bürgerbegehren den Umbau des Olympiastadions verhinderte, entschloss der Münchener Stadtrat im Juli 2001, über den in der Folge geplanten Neubau nicht selbst zu entscheiden, sondern dies der Münchener Wahlbevölkerung zu überlassen. Drei Wochen vor dem Abstimmungstermin schien eine Mehrheit noch gegen das Projekt zu votieren. Daraufhin drohte Franz Beckenbauer, bei Ablehnung München als WM-Austragungsort zu streichen. Schließlich befürworteten im Oktober 2001 dann letztlich doch ca. zwei Drittel der Abstimmenden den Stadionneubau. München bekam die Allianz Arena und das Eröffnungsspiel.2

Jener Typ von Entscheidungsverfahren, den das Münchener Kommunalparlament beim Entscheidungsprozess zur Allianz Arena anwandte, steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Für ihn finden sich in den Bundesländern verschiedene Bezeichnungen. In Bayern spricht man von Ratsbegehren. Mecklenburg-Vorpommern nennt das Entscheidungsinstrument Vertreterbegehren. In Nordrhein-Westfalen beschließen die Kommunalparlamente Ratsbürgerentscheide und Thüringen benutzt mit dem Begriff Ratsreferendum jene Bezeichnung, die auch in der vorliegenden Arbeit Anwendung findet (siehe hierzu Kap. 2).

Ratsreferenden sind mit Ausnahme von Brandenburg und Niedersachsen mittlerweile in den Kommunalverfassungen aller Bundesländer verankert. Den Anfang machte 1956 Baden-Württemberg und zuletzt entschied sich 2016 Thüringen für deren Implementation. Einige Bundesländer ermöglichen dabei nicht nur die Anwendung auf Gemeindeebene, sondern gestatten diese ebenso in Ortsteilen, Stadtbezirken und Landkreisen. Voraussetzung für die Auslösung von Ratsreferenden ist in allen Bundesländern, dass die Mehrheit des Kommunalparlaments dafür stimmt. Viele Bundesländer schreiben in diesem Zusammenhang sogar eine qualifizierte Mehrheit vor (siehe hierzu Kap. 3).

Für den Zeitraum zwischen 1956 und 2017 zählt Mehr Demokratie e. V. (2018a: 13). 1.242 Ratsreferenden in bundesdeutschen Kommunen. Neben Stadionneubauten stimmten Kommunalbevölkerungen auf Geheiß ihrer Vertretungen u.a. auch über den Ausbau des ÖPNV, Schulreformen, Gewerbeansiedlungen, Theater(neu)bauten, Olympiabewerbungen, Projekte im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge und vor allem Gemeindefusionen ab.3 Wenngleich keines der weiteren abgestimmten Projekte bislang an den Bekanntheitsgrad der Allianz Arena heranreicht, so erlangen sie in ihrer Summe durchaus überregionale Relevanz. Angesichts aktueller politischer und gesellschaftlicher Herausforderungen ist zudem davon auszugehen, dass die Bedeutung von kommunalen Projekten, also potentiellen Abstimmungsgegenständen von Ratsreferenden, künftig weiter zunimmt. Letztlich ist es doch die kommunale Ebene, die die Infrastruktur für eine erfolgreiche Bewältigung von Energiewende, Flüchtlingsfrage, demographischem Wandel und Binnenmigration zu errichten hat.

Ungeachtet dieser Relevanz haben sich die Politikwissenschaft im Allgemeinen sowie die lokale Politikforschung im Besonderen bisher allerdings kaum mit dem Phänomen Ratsreferendum auseinandergesetzt. Seit Beginn der direktdemokratischen Reformperiode Anfang der 1990er Jahre (siehe dazu Neumann 2007) richtet sich deren Fokus vor allem auf jene Verfahren, bei denen nicht Kommunalparlamente, sondern Teile der kommunalen Wahlbevölkerung die Abstimmung beantragen, d.h. auf Bürgerbegehren. Sichtbarster Ausdruck dieser ungleichen Gewichtung ist wohl, dass Mehr Demokratie e. V. regelmäßig eine Dokumentation und Analyse der kommunalen Direktdemokratie unter der Bezeichnung »Bürgerbegehrensbericht« veröffentlicht (Mehr Demokratie e. V. 2008, 2012a, 2014, 2016a, 2018a).

Die Gründe für diese Ungleichgewichtung sind vielseitig. So erwartet die Politikwissenschaft von Bürgerbegehren bedeutendere Auswirkungen auf die kommunale Demokratie, die sogar bis zu deren möglicher Transformation in eine Konsensdemokratie reichen (Bogumil 2001: 208ff.), was sicherlich stärkere Forschungsanreize auslöst. Ratsreferenden werden somit eher als ein (zu vernachlässigendes) Nebenprodukt der kommunalen Demokratiereform betrachtet. Als weiteren Grund lässt sich auch die höhere Anzahl an Verfahren von Bürgerbegehren vermuten. So erfolgten im Vergleichszeitraum 6.261 Verfahren, von denen 2.542 zu einer Abstimmung führten (Mehr Demokratie e. V. 2018a: 13). Nicht zuletzt trägt aber wahrscheinlich auch die regelmäßig zu beobachtende normative Überhöhung von Bürgerbegehren zum weniger ausgeprägten Interesse an Ratsreferenden bei. Ungeachtet auch gegenläufiger empirischer Befunde wird Bürgerbegehren dementsprechend regelmäßig prinzipiell zugeschrieben, sowohl die Input- als auch die Output-Legitimität kommunaler Demokratien zu erhöhen (siehe dazu Holtkamp 2016: 6f.).

Ratsreferenden hingegen haben in der lokalen Politikforschung einen weitaus schlechteren Stand. Sie sehen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, letztlich ein manipulatives Entscheidungswerkzeug in den Händen lokaler politischer Eliten zu sein. Zu diesem Ergebnis gelangt etwa Beilharz (1981) in seiner empirischen Studie zu kommunalen Referenden in Baden-Württemberg:

»Die meisten Kommunalparlamente unterlaufen bzw. vereinnahmen die bürgerschaftlichen Initiativen [,] indem sie Bürgerentscheide [,] beschließen sobald sich mehrheitsfähige Aktivitäten in der Bürgerschaft abzeichnen« (ebd.: 87).

Ein durchweg negatives Bild von Ratsreferenden zeichnet ferner auch Paust (1999), demzufolge die lokale politische Elite einerseits mittels Ratsreferenden die »Bürgerinnen und Bürger […] als ›Schiedsrichter‹ missbraucht«, damit diese »den streitenden Fraktionen im Rathaus die Entscheidung abnehmen« (ebd.: 65) oder die andererseits die Kommunalbevölkerung schlicht zum »akklamierenden Publikum« (ebd.) degradiert. Seine Ausführungen beendet Paust folglich mit einer demokratietheoretischen Bankrotterklärung des Entscheidungsinstrumentes:

»Bürgerentscheiden aufgrund von Ratsbegehren ist der partizipatorische Charakter abzusprechen, sie müssen als symbolische Politik betrachtet werden« (ebd.).

Aber nicht nur in der lokalen Politikforschung haben Top-down-Referenden einen schlechten Ruf. So gelangt etwa Patzelt (2011) im Rahmen einer Bewertung verschiedener direktdemokratischer Verfahren zu einer ähnlichen Einschätzung wie Paust:

»Die zentrale Scheidelinie verläuft vielmehr zwischen plebiszitären Instrumenten, die allein in der Hand der politischen Klasse [H. i. O.] liegen, also ›von oben nach unten‹ wirken, und solchen, deren Verwendung von Bürgergruppen [H. i. O.] – und darunter natürlich auch den Parteien – initiiert werden kann, also politische Wirkungen ›von unten nach oben‹ entfaltet. Die erstgenannten plebiszitären Instrumente tun jeglicher Demokratie unausweichlich schlecht, die letzteren der repräsentativen Demokratie vermutlich sogar gut« (ebd.: 101; kritisch dazu Decker 2017: 162ff., 2018: 642f.).

Und schließlich betrachtet z.B. mit Walker (2003) auch die internationale Referendumsforschung regierungs- bzw. parlamentsinitiierte Referenden mit kritischem Argwohn:

»When executives and legislators are attempting to maximize their power in order to implement policies they believe are right, the people are only important with respect to elite calculations about how they would vote in a referendum« (ebd.: 2; ähnlich auch Cheneval/El-Walkil 2018: 299).

Sollten nun Autoren wie Beilharz, Paust, Patzelt und Walker rechthaben, bleibt im Nachhinein also nicht nur das deutsche Sommermärchen eine Illusion, sondern desgleichen die Vorstellung, der Bau der Allianz Arena sei in besonderer Weise demokratisch durch die Münchener Kommunalbevölkerung legitimiert.

Obgleich die jüngsten Entwicklungen um das Brexit-Referendum in Großbritannien oder auch die Anwendung von Referenden in Ungarn derartige Thesen über Top-down-Referenden zu stützen scheinen (vgl. dazu Pállinger 2019 sowie Sottilotta 2017) und Patzelt recht polemisch verkündet, nur die »gedankenlose Lust am eigenen Entscheidenkönnen« oder »der mangelnde Einblick in die Funktionslogik politischer Prozesse« könne die Sympathie für solche Referenden erklären (ebd. 2011: 100), erscheint eine solch grundsätzliche Bewertung der demokratischen Qualität von Ratsreferenden ohne soliden theoretischen wie empirischen Unterbau unangemessen.

b)Forschungsstand und -desiderate

Dieser Unterbau fällt – wie bereits angemerkt – ziemlich mager aus, wobei sich die Rechtswissenschaft im Rahmen von Kommentierungen und Rechtsinterpretationen intensiver als die Politikwissenschaft mit Ratsreferenden auseinandergesetzt hat.4

Zeitlich setzt die Forschung zu Ratsreferenden in der Weimarer Republik ein, da bereits einige ihrer Gliedstaaten dieses Entscheidungsinstrument kannten (siehe hierzu auch Kap. 3.1.1). So legen Schmidt (2007) und Witte (1997) in ihren Dissertationen zusammen eine vergleichende Analyse der Rechtsentwicklung der unmittelbaren Demokratie für diesen Zeitraum vor, wobei sie neben Bürgerbegehren auch Ratsreferenden berücksichtigen. Zudem gewähren sie Einblicke in deren Anwendungspraxis. Wenngleich dabei davon auszugehen ist, dass es ihnen nicht gelang, alle Anwendungsfälle zu rekonstruieren, so schlussfolgert Witte zumindest für die norddeutschen Gliedstaaten, dass »eine oftmals befürchtete ›Flucht aus der Verantwortung‹ durch die Vertretungskörperschaft […] im Nachhinein als unbegründet anzusehen« ist (ebd.: 181).

Weil Baden-Württemberg als einziges Bundesland kommunale Referenden vor 1990 einführte, bezieht sich die Ratsreferendumsforschung in den ersten vierzig Jahren der BRD vornehmlich auf dessen Rechtsentwicklung und Anwendungserfahrungen. Zunächst ist dabei die Dissertation von Ardelt (1960) zu nennen, der einerseits – ausgehend vom Mittelalter – die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte kommunaler Referenden bis in die Frühphase der Bundesrepublik Deutschland nachzeichnet (ebd.: 53-118) und andererseits die ersten 18 Anwendungsfälle von Ratsreferenden in Baden-Württemberg für den Zeitraum von 1956 bis 1959 auf Basis von Zeitungsartikeln und Archivrecherchen schildert (ebd.: 182-224).

Ardelt/Seeger (1977) führen diese Arbeit für die Zeitperiode von 1956 bis 1976 fort, wobei sie die Gemeindegröße als Analysekategorie hinzufügen. Als wesentliche Erkenntnis sticht bei ihnen hervor, dass mehr als zwei Drittel aller Anwendungsfälle (66 von 96) Gebietsreformen betraf (ebd.: 114).

Beilharz (1981) nimmt dann als erster eine empirische Analyse der Anwendungspraxis kommunaler Referenden auf Basis von Fragebögen vor, die er an die Vertrauensleute von Bürgerbegehren sowie die betreffenden Kommunalverwaltungen versandte (ebd.: 49ff.). Für die Zeitperiode von 1956 bis 1978 stellt er in Bezug auf Ratsreferenden fest, dass Ratsmehrheiten diese nicht aus Furcht vor Verantwortungsübernahme einsetzten, sondern – wie bereits einleitend erwähnt – vielmehr um laufende Bürgerbegehren zu konterkarieren (ebd.: 83, 87). Die im Vergleich zu Bürgerbegehren höhere Annahmequote von Ratsreferenden führt Beilharz darauf zurück, dass bei letzteren parlamentarische Akteure nicht zu Abstimmungsboykotten aufriefen (ebd.: 97ff.).

Seeger (1988) analysiert das dritte Anwendungsjahrzehnt (1977-1987) in Baden-Württemberg. Er diagnostiziert einen starken Rückgang der Anwendungshäufigkeit auf acht Fälle, was er auf die Mitte der 1970er Jahre abgeschlossene Gebietsreform zurückführt (ebd.: 526ff.). Eine Verantwortungsflucht der Ratsmehrheiten schließt er somit, wie zuvor schon Beilharz und Witte, aus (ebd.: 533). Im Gegensatz zu Beilharz verweist er allerdings darauf, dass Ratsmehrheiten Ratsreferenden auch einsetzten, um unzulässig erklärten Bürgerbegehren dennoch zur Abstimmung zu verhelfen (ebd.: 528).

Eine jüngere empirische Studie zu Baden-Württemberg stammt von Reidinger, der im Auftrag von Mehr Demokratie e. V. den Anwendungszeitraum zwischen 1995 und 2010 untersuchte (Mehr Demokratie e. V. 2010). Er identifiziert dabei 57 Ratsreferenden, wobei in (mindestens) 23 Fällen dem Ratsreferendum ein Bürgerbegehren vorausging (ebd.: 14). Anlässe für Ratsreferenden seien demnach vor allem die Androhung von Bürgerbegehren oder das Bestreben der Ratsmehrheit einem Bürgerbegehren abzuhelfen gewesen (ebd.: 15). Hierbei gilt es allerdings anzumerken, dass diese Schlussfolgerungen nicht auf systematischen qualitativen Fallanalysen basieren.

Mit der rechtlichen Ausbreitung von Ratsreferenden während der 1990er Jahre gerieten auch andere Bundesländer ins Blickfeld der empirischen Forschung. Die umfangreichsten Daten dazu erheben »Mehr Demokratie e. V.«, das »Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung« der Universität Wuppertal sowie die »Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie« der Universität Marburg in einem gemeinsamen Projekt. Auswertungen dieser Daten erfolgen regelmäßig in besagten Bürgerbegehrensberichten sowie einzelnen Bundesländerberichten. Zwei dieser Berichte, die beide ebenfalls Reidinger mitverfasste, enthalten einen expliziten Fokus auf Ratsreferenden: zum einen der bundesländerübergreifende Bürgerbegehrensbericht aus dem Jahr 2014 sowie zum anderen der Länderbericht Bayern 2015 anlässlich des 20jährigen Implementationsjubiläums.

Im Zentrum der zwei Analysen stehen jeweils Anwendungshäufigkeiten, Themen sowie Annahmequoten. Im Bundesländervergleich weisen Bayern und Baden-Württemberg seit 1956 die meisten Verfahren auf, gefolgt von den ostdeutschen Bundesländern (Mehr Demokratie e. V. 2014: 35). Etwa die Hälfte aller bis 2014 durchgeführten Ratsreferenden (ca. 500) bezog sich auf Gebietsreformen, wobei diese in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt nahezu alleiniger Abstimmungsgegenstand waren (ebd.). In Bayern und Hamburg wiederum gelangten regelmäßig Ratsreferenden mit Konkurrenzvorlagen zu Bürgerbegehren zur Abstimmung. So sah sich bspw. in Bayern jedes vierte Bürgerbegehren, das es zur Abstimmung schaffte, mit einem Ratsreferendum konfrontiert (Mehr Demokratie e. V. 2015a: 24). In der Mehrzahl der Fälle drehte der Gemeinderat laut Reidinger die Fragestellung des Bürgerbegehrens dabei lediglich um, worin dieser eine unnötige Verfahrensverkomplizierung sieht, die der ursprünglichen Intention entgegenstünde, Abstimmungsalternativen zu ermöglichen (Mehr Demokratie e. V. 2014: 37f., 2015a: 24f.).

Im Bundesdurchschnitt liegt die Annahmequote von singulären Ratsreferenden bei über 70 %. Ratsreferenden mit einer Konkurrenzvorlage erreichen eine Annahmequote von etwas mehr als 50 % (Mehr Demokratie e. V. 2014: 35). In Bayern jedoch liegt die Annahmequote von singulären Ratsreferenden nur bei 52,5 % (Mehr Demokratie e. V. 2015a: 24). Dort fanden allerdings auch keine Gebietsreferenden statt. Die Annahmequote von Ratsreferenden mit Konkurrenzvorlage liegt in Bayern mit 50,5 % knapp über der Ablehnungsrate von Bürgerbegehren ohne Konkurrenzvorlage (45 %), woraus Reidinger schließt, dass Konkurrenzvorlagen die Position der Ratsmehrheit nicht wirklich stärken (ebd.: 24f.)

Weber (1997) wiederum beobachtete, dass Kommunalparlamente in Bayern Konkurrenzvorlagen anders einsetzen als das bayerische Landesparlament. Demnach ginge es den Ratsmehrheiten weniger darum Kompromisse zu formulieren als vielmehr um »eine Bekräftigung einer bereits getroffenen Parlamentsentscheidung«, wodurch »den Abstimmenden die Alternative zur Bürgerbegehrensvorlage vor Augen geführt werden« solle (ebd.: 89). Diese Einschätzung wird ebenfalls von Deppe (2002: 3) geteilt.

Knemeyer (1997) sah in Bayern – zwei Jahre nach der Implementation – Gemeinsamkeiten in der Anwendungspraxis zu Baden-Württemberg:

»Die mitunter thematisierte Flucht der Räte aus der Verantwortung […] kann für Bayern nur in wenigen Fällen festgestellt werden. Die Zahl ratsinitiierter Bürgerentscheide ist relativ gering. Es kommt hinzu, daß diese z.T. erst initiiert werden, wenn ohnehin schon ein Bürgerbegehren angelaufen ist« (ebd.: 40).

Neben den bisher genannten Autoren liefern zusätzlich Gabriel (1999), Haußmann (2012) und Walter-Rogg/Gabriel (2007) Darstellungen von Anwendungshäufigkeiten und Annahmequoten.

Überdies bestehen erste, zaghafte theoretische Reflektionen der Anwendungspraxis von Ratsreferenden. So beschäftigt sich Reidinger im Bürgerbegehrensbericht 2014 mit möglichen Motiven von Ratsreferenden, wobei er vier unterscheidet: Reaktion auf Initiativ- oder Korrekturbegehren, hohe Gewichtung eines Themas, politische Signalwirkung einer Entscheidung und Streitschlichtung (Mehr Demokratie e. V. 2014: 36f.)

Daneben leistet ebenso Paust (1999) einen theoretischen Beitrag zur Analyse von Ratsreferenden. Wie Reidinger unterscheidet er vier mögliche Motive: Legitimationssteigerung, Flucht aus der Verantwortung, Aushebeln eines Bürgerbegehrens und Ermöglichung eines unzulässigen Bürgerbegehrens (ebd.: 63f.). Darüber hinaus erweitert er das Bürgerbegehrens-Phasenmodell von Weber (1997) und Rehmet (1997) um den Verlauf von Ratsreferenden (ebd.: 46-50). Diese Erweiterung erfolgt allerdings recht oberflächlich. Dementsprechend spielen Ratsreferenden vor allem im empirischen Teil seiner Arbeit auch keine weitere Rolle.

Schließlich existieren noch einzelne Fallstudien von Ratsreferenden. So untersuchten Brockmann et al. (2016) Fallbeispiele in Gütersloh, Konstanz und Passau. Der Fokus ihrer Analyse richtet sich jedoch nicht auf die Funktionsweise von Ratsreferenden, sondern auf das Zusammenspiel von direktdemokratischen Verfahren und Konkurrenzdemokratien. Gleichwohl stützen die Fallbeispiele die Vermutung, dass zwischen Bürgerbegehren und Ratsreferenden ein starker Zusammenhang besteht (ebd.: 183). Eine jüngst veröffentlichte Fallstudie zu Stuttgart5 bestätigt diesen Befund, in dem sie aufzeigt, dass Ratsreferenden während laufender Bürgerbegehren auch mit dem Ziel der Verfahrensverkürzung initiiert werden (Häring 2018: 49ff.).

Fasst man nun den Stand der Forschung zusammen, lässt sich zunächst festhalten, dass bislang keine Publikation existiert, die sich vorrangig mit Ratsreferenden beschäftigt. Werden Ratsreferenden thematisiert, dann in der Regel nur als ein weiteres direktdemokratisches Verfahren neben Bürgerbegehren. Insofern beschränken sich die Erkenntnisse über Ratsreferenden bislang vorwiegend auf Daten zur Anwendungshäufigkeit, zu Abstimmungsgegenständen, zur Abstimmungsbeteiligung und zu Annahmequoten sowie auf vereinzelte Darstellungen der Rechtsentwicklung. Zwei Befunde stechen allerdings hervor: Zum einen stimmen bisherige empirische Studien darin überein, dass in der Anwendungspraxis keine Verantwortungsflucht der Kommunalparlamentsmehrheiten zu beobachten ist und zum anderen verweisen die Studien auf eine starke Verflechtung von Bürgerbegehren und Ratsreferenden.

Dieser Überblick zeigt demnach, dass der Bereich an Forschungsdesideraten in Bezug auf Ratsreferenden recht umfassend ausfällt. Von einer wirklichen Ratsreferendumsforschung kann zum jetzigen Zeitpunkt deshalb nur in Ansätzen die Rede sein. Mindestens sechs Forschungslücken sind offensichtlich:

Erstens fehlt es bislang an einer bundesländerübergreifenden vergleichenden Aufarbeitung des Institutionalisierungsprozesses von Ratsreferenden inklusive einer Erhebung der zentralen Implementations- und Reformziele.

Zweitens erfolgte bislang keine theoretische Einbettung der Ratsreferendumsforschung. So integrierte Paust (1999) Ratsreferenden zwar in das bestehende Phasenmodell. Das Modell bleibt aber zu schlicht, um mögliche Verfahrensabläufe von Ratsreferenden angemessen abbilden und erklären zu können. So beruhen auch die beiden bestehenden Taxonomien potentieller Initiierungsmotive (Mehr Demokratie e. V. 2014; Paust 1999) vornehmlich auf illustrativen Fallbeispielen.

Eine wesentliche Ursache dafür ist drittens darin zu sehen, dass systematische qualitative Fallanalysen mit dem Ziel, den Initiierungs- und Auslösungsprozess, d.h. vor allem Initiatoren, Anwendungsmotive und Entstehungsbedingungen herauszuarbeiten, nicht existieren.

Ebenso fokussieren die (deskriptiven) quantitativen Analysen vornehmlich auf Ratsreferenden, bei denen eine Abstimmung erfolgte. Eine Analyse, weshalb es Ratsreferenden nicht bis zur Abstimmungsurne schafften, stellt daher viertens ein weiteres Forschungsdesiderat dar.

Fünftens liegen auch keine Studien zu Abstimmungskampagnen, Annahme- bzw. Erfolgsbedingungen und Wirkungen von Ratsreferenden vor.

Sechstens schließlich existieren zwar – nicht zuletzt in Form von Konkurrenzreferenden – eindeutige Belege für zahlreiche Wechselwirkungen zwischen Bürgerbegehren und Ratsreferenden. Wie diese aber konkret aussehen, darüber lässt sich aufgrund fehlender systematisch vergleichender qualitativer Fallanalysen bislang eher spekulieren.

c)Zielsetzung, übergeordnete Fragestellung und Verortung

Selbstverständlich kann die vorliegende Arbeit nicht all diese Forschungslücken befriedigend schließen. Ziel des vorliegenden Dissertationsprojektes ist es deshalb, durch einen Fokus auf den Initiierungs- und Auslösungsprozess die Ratsreferendumsforschung auf eine solidere Basis zu stellen. Aus diesem Ziel ergibt sich nachstehende übergeordnete Fragestellung:

Wie funktioniert der Initiierungs- und Auslösungsprozess von Ratsreferenden in bundesdeutschen kommunalen Demokratien?

Dem Projekt liegt dabei die Ausgangsthese zu Grunde, dass die Initiierungs- und Auslösungspraxis von Ratsreferenden hinsichtlich ihrer demokratischen Qualität vielseitiger ausfällt als es die zuvor aufgezeigte pessimistische Position der lokalen Politikforschung bislang annimmt.

Um die übergeordnete Fragestellung zu beantworten, strebt die vorliegende Arbeit nun Folgendes an:

Erstens liefert sie eine vollumfängliche Darstellung darüber, welche Entwicklungsschritte bei der rechtlichen Ausgestaltung von Ratsreferenden im Bundesländervergleich zu beobachten sind. Sie zeigt dabei die parteipolitischen Positionen auf, verweist auf offene Kontroversen und identifiziert die Erwartungen und Befürchtungen, welche die beteiligten Akteure im Gesetzgebungsprozess mit dem Instrument in Bezug auf die Qualität kommunaler Demokratien verbanden bzw. verbinden.

Zweitens entwickelt sie ein umfassendes Phasenmodell von Ratsreferenden, das in der Lage dazu ist, dessen vielfältige Verflechtungen mit Bürgerreferenden abzubilden. Für den Initiierungs- und Auslösungsprozess präsentiert sie dabei eine neue theoretische Analyseheuristik.

Drittens erweitert sie die deskriptiven quantitativen Daten zur Anwendungshäufigkeit auf die Initiierungs- und Auslösungsphase, sodass erstmalig auch Daten über Ratsreferenden, die es nicht an die Abstimmungsurne schafften, vorliegen

Viertens gibt der empirische Hauptteil der Arbeit anhand von vier vergleichenden Fallstudien vertiefende und systematisch vergleichende Einblicke in die Funktionsweise der Initiierungs- und Auslösungspraxis von Ratsreferenden.

Das Dissertationsprojekt befindet sich somit an der Schnittstelle zwischen lokaler Politikforschung, Direktdemokratieforschung und Referendumsforschung. Wie der Überblick über den Forschungsstand zeigt, haben diese Teildisziplinen Ratsreferenden als Analysegegenstand bislang weitgehend ausgeblendet. Gleichwohl greift die Arbeit bei den folgenden Ausführungen immer wieder auf deren Erkenntnisse – z.B. der Forschung zu nationalen Referenden und Europareferenden – zurück. Aus diesem Grund wurde auch auf eine einleitende Aufarbeitung des Forschungsstandes dieser Teildisziplinen verzichtet.6

d)Anmerkungen zu kommunalen Begrifflichkeiten

Im Titel finden sich gleich mehrere Begriffe, deren Anwendung auf die kommunale Ebene nicht unumstritten und deswegen zu begründen ist. Zum einen gilt dies für den Begriff des Kommunalparlamentes. Vor allem Juristen ordnen Kommunalvertretungen aufgrund ihrer fehlenden Gesetzgebungskompetenzen sowie der Beaufsichtigung durch die Landesebene als Verwaltungsorgane eher der Exekutive zu. In der Politikwissenschaft hingegen besteht allerdings inzwischen weitgehender Konsens, dass Kommunalvertretungen jenseits dörflicher Strukturen durchaus Parlamentscharakter aufweisen, d.h. wichtige politische Richtungsentscheidungen treffen, Budget- sowie Kontrollrechte innehaben und Fraktionen bilden. Insofern erscheint es durchaus angemessen, die kommunalen Vertretungen, die bundesländerspezifisch ohnehin verschiedene Bezeichnungen tragen,7 unter dem Begriff des Kommunalparlaments zu subsumieren.8

Ebenfalls aufgrund des fehlenden Staatscharakters vermeiden einige Autoren die Anwendung des Volksbegriffes auf kommunaler Ebene. Nicht zuletzt ist die rechtliche Unterscheidung zwischen Volksentscheiden auf Landesebene und Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene Ergebnis dieser Haltung (Meerkamp 2011: 67). Würde man aber davon sprechen, dass Kommunalparlamente vor die Bürgerschaft ziehen, ergäben sich Doppeldeutigkeiten, da die Landesparlamente in Bremen und Hamburg selbst so heißen (Bremische Bürgerschaft, Hamburgische Bürgerschaft). Außerdem findet im Grundgesetz in Art. 28 Abs. 1 die Bezeichnung Volk ebenso auf die Gemeinden Anwendung (Ott 1994: 96-100).

Schließlich besteht wiederum in der Rechtswissenschaft vereinzelt die Ansicht, den Referendumsbegriff auf Gesetzgebungsbereiche zu beschränken (Landwehr 2004: 45) oder allen Formen von Bürgerentscheiden aufgrund ihres supplementären, d.h. einen Parlamentsbeschluss ersetzenden, Charakters die Referendumsqualität abzusprechen (Burkhardt 1987: 53-56). Wie zu zeigen sein wird, handelt es sich dabei aber um sehr enge Begriffsinterpretationen, die von der Referendumsforschung überwiegend so nicht geteilt und wie bspw. in Thüringen auch durch die Kommunalverfassungen selbst durchbrochen werden (vgl. hierzu auch Kap. 1 und 2).

e)Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sieben aufeinander aufbauende Kapitel.

Kapitel 1 führt einerseits grundlegend in den Referendumsbegriff und Referendumstypologien ein und erläutert andererseits Abgrenzungen zu und Überschneidungen mit verwandten Konzepten, wie z.B. Initiativen, Plebisziten und direkter Demokratie.

Kapitel 2 schlägt zunächst eine neue Terminologie für kommunale Referenden in bundesdeutschen Kommunen vor und ordnet Ratsreferenden entsprechend der im Kapitel zuvor dargelegten Referendumstypologien ein, wobei bereits auch auf rechtliche Varianzen im Bundesländervergleich verwiesen wird.

Kapitel 3 fokussiert dann auf den Institutionalisierungsprozess von Ratsreferenden. Der erste Abschnitt des Kapitels zeigt dabei deskriptiv die Genese und Reform von Ratsreferenden in allen 16 Bundesländern für den Zeitraum von 1949 bis 2018 auf, wobei anhand einer vergleichenden (Inhalts-)Analyse die Einführungs- und Reformmotive sowie die parteipolitischen Positionen bundesländerübergreifend untersucht werden. Im zweiten Abschnitt erfolgt sodann eine Analyse und Darstellung der rechtlichen Verflechtungsbeziehungen zwischen Rats- und Bürgerreferenden (Konkurrenzreferenden, Bindungswirkung).

Kapitel 4 beinhaltet die Entwicklung des übergeordneten Phasenmodells von Ratsreferenden. Neben der Phaseneinteilung liegen die Schwerpunkte in diesem Kapitel auf den möglichen Einflussfaktoren sowie der Verflechtung mit Bürgerreferenden.

Kapitel 5 richtet in der Folge den theoretischen Fokus auf die parlamentarische Beratungsphase, also jene Phase, innerhalb derer sich die Initiierungs- und Auslösungsprozesse vollziehen. Dabei wird eine Analyseheuristik entwickelt, welche mit Hilfe von Kategorienbildungen die Funktionsweise des Initiierungs- und Auslösungsprozesse operationalisierbar macht und somit insbesondere für die folgenden vergleichenden Fallanalysen das wesentliche theoretische Fundament darstellt.

Kapitel 6 ist das erste Kapitel, das sich empirisch mit der Initiierungs- und Auslösungspraxis von Ratsreferenden auseinandersetzt. Unter besonderer Berücksichtigung der Einflussfaktoren Gemeindegröße, Höhe der Auslösungsmehrheit und Anwendungserfahrung erweitert, verfeinert und aktualisiert es die im Forschungsstand dargelegten deskriptiven, quantitativen Analysen, wobei der Zeitraum zwischen 1990 und 2018 erfasst wird.

Kapitel 7 bildet mit vergleichenden Fallstudien zu Gemeinden in Nordrhein-Westfalen und Bayern das empirische Herzstück der vorliegenden Arbeit. Zunächst beinhaltet das Kapitel vier Within-Case-Analysen zu den Beispielstädten (Legden, Aachen, Rothenburg o. d. T. und Augsburg). Darauf folgt dann eine Cross-Case-Analyse, wobei beide Analysen auf Basis des Phasenmodells sowie der theoretischen Analyseheuristik erfolgen. Abschließend werden die Ergebnisse der Cross-Case-Analyse in einem Soll-Ist-Vergleich anhand der Einführungs- und Reformmotive reflektiert.

Die Schlussbetrachtung, in der vor allem die zentralen Ergebnisse präsentiert werden, schließt die Arbeit ab.

1Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit grundsätzlich das generische Maskulin verwendet. Der Autor ist sich bewusst, dass andere Identitäten dann nicht zwangsläufig mitgedacht werden. Insofern strebt er an, auf geschlechtsneutrale Formulierungen zurückzugreifen.

2Zum Verlauf der Debatte um den Stadionbau siehe o. V. (17.05.2010).

3Für einen grundlegenden Überblick über die Themen kommunaler Referenden siehe u.a. Mehr Demokratie e. V. (2018a: 20f.) sowie Paust (1999: 96-100)

4Zu Ratsreferenden in der Rechtswissenschaft siehe u.a. Burkhardt 1987, Dressel 2003, Dustmann 2000, Leukart 2012 und Schliesky 1998.

5Die Fallstudie bezieht sich auf ein Ratsreferendum zum Umbau des ehemaligen Neckarstadions in Stuttgart im Vorfeld der WM 1974.

6Für einen guten Überblick über zentrale Ergebnisse der Direktdemokratie- und Referendumsforschung siehe Vospernik (2014: 49-77). Zur Einführung in wesentliche Ergebnisse der lokalen Politikforschung siehe Bogumil/Holtkamp (2013), Holtmann et al. (2017), Nassmacher/Nassmacher (2007) sowie Wollmann/Roth (1999).

7Die Bezeichnungen reichen von Gemeinderat über Stadtrat bis hin zur Stadtverordnetenversammlung.

8Zur Debatte über die Parlamentarisierung von Kommunalpolitik siehe Bogumil/Jann (2009: 192f.), Gross (2016), Holtmann et al. (2017: 141-145), Knemeyer (1989), Marschall (2016: 176-179), Ott (1994) und Wollmann (1999).

1.Referenden: eine begriffliche und konzeptionelle Verortung

In wenigen politikwissenschaftlichen Teilgebieten findet man eine so große Begriffs- und Konzeptvielfalt wie in der Referendumsforschung. Bevor sich der Fokus auf den konkreten Untersuchungsgegenstand – Ratsreferenden – richtet, ist es deshalb erforderlich, deren Bezugsrahmen – das Referendum – begrifflich und konzeptionell zu verorten. Zunächst gilt es dafür aus Perspektive der Referendumsforschung den Referendumsbegriff zu definieren sowie einen Überblick über die wichtigsten Referendumstypen zu geben (Kap. 1.1). Die folgende Abgrenzung zwischen Referendumsbegriff und zum Teil synonym verwandten Begriffen (Volksabstimmung, Plebiszit und Initiative) dient der weiteren terminologischen Klarheit (Kap. 1.2 – 1.4). Abschließend erfolgt eine Darstellung der Schnittmengen und Differenzen zwischen Referendums- und Direktdemokratieforschung (Kap. 1.5).

1.1Historie, Definition und Typen

1778 legte das Parlament von Massachusetts in Folge seiner zuvor von Großbritannien gewonnenen Unabhängigkeit der (männlichen) Bevölkerung einen Verfassungsvorschlag zur Abstimmung vor. Wenngleich die Verfassungsvorlage am Volksvotum scheiterte, bedeutete dies, dass erstmalig die Bevölkerung eines Flächenstaats unmittelbar über ihre eigene Verfassung entschied, womit dieses Ereignis als Geburtsstunde des modernen (Verfassungs-)Referendums gilt (Möckli 1994: 66, 2013: 36). Das Beispiel machte nicht nur in weiteren US-Bundesstaaten Schule. Auch die französischen Revolutionsverfassungen aus den Jahren 1793 und 1795 sowie die zweite Helvetische Verfassung aus dem Jahr 1802 wurden durch Referenden vom Volk angenommen (Suksi 1993: 41-48). Referenden blieben aber nicht ausschließlich auf Verfassungsfragen begrenzt. Ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts ermöglichten es zunächst die Schweizer Kantone und später auch der Schweizer Bundesstaat seinen Bürgern ebenso über einfache Gesetze abzustimmen (Kobach 1993: 18-30). Inspiriert durch die Schweizer Entwicklungen und angetrieben von der fundamentalen Abneigung gegenüber den vorherrschenden Parteienapparaten setzte sich in den US-Bundesstaaten das Progressive Movement seit Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls erfolgreich für die Erweiterung von Referenden auf einfachgesetzliche Regelungen ein (Magleby 1984: 21-25). Inzwischen, also gut 100 Jahre später, ist das Referendum als Instrument zur politischen Entscheidungsfindung weltweit verbreitet (Qvortrup 2014).

Der Referendumsbegriff selbst ist jünger als das politische Entscheidungsinstrument, auf das er bezogen wird. So taucht der Begriff im deutschsprachigen Raum erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der Schweizer Volksinitiative auf (Suski 1993: 9). Für den englischsprachigen Raum datieren Butler/Ranney (1978: 4) die erstmalige Nennung auf den Zeitraum der 1880er Jahre. Der Begriff leitet sich dabei vom lateinischen Verb referre ab, welches sich mit zurückbringen, vorlegen oder vortragen übersetzen lässt. Das Substantiv Referendum ist allerdings eine neue Wortschöpfung, die im Lateinischen nicht existierte (Suski 1993: 10).

Sichtet man die verschiedenen Definitionsangebote zum Referendumsbegriff, lassen sich drei Kernelemente identifizieren. Erstens handelt es sich bei Referenden um Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip. Zweitens sind die Abstimmungsgegenstände auf sachpolitische Fragen begrenzt und drittens schließlich muss die gesamte stimmberechtige Bevölkerung des politischen Gemeinwesens, auf das sich der Abstimmungsgegenstand bezieht, unmittelbar ihre Stimme abgeben können (vgl. u.a. Smith 1976: 4). Von einem Referendum soll im Folgenden demnach dann gesprochen werden, wenn die stimmberechtigte Bevölkerung direkt bzw. unmittelbar über einen sachpolitischen Gegenstand ihres politischen Gemeinwesens abstimmt (ähnlich auch Weixner 2002: 87).

Referenden lassen sich allerdings nicht auf die Abstimmungshandlung reduzieren. Vielmehr sind sie mehrstufige politische Entscheidungsverfahren, die aus verschiedenen formalen Verfahrenselementen bestehen (Uleri 1996: 2). Da diese Verfahrenselemente zudem unterschiedliche Merkmalsausprägungen annehmen können, erfreut sich die politische Praxis mittlerweile einer kaum mehr zu überblickenden Vielfalt an Referendumsverfahren.

Seit Gordon Smiths (1976) wegweisendem Aufsatz haben sich viele Autoren daran versucht, diese bestehende Verfahrensvielfalt typologisch abzubilden. Inzwischen findet man deshalb zahlreiche Referendumstypologien, die teils theoretisch abgeleitet, teils aber auch aus der Praxis heraus entwickelt werden. Ziel soll es nun nicht sein, diese Typologien einzeln zu referieren. Zur späteren typologischen Einordnung von Ratsreferenden sowie zum besseren Verständnis von Referendumsprozessen insgesamt ist es aber erforderlich, die wichtigsten formalen Verfahrensmerkmale inklusive ihrer möglichen Merkmalsausprägungen synoptisch darzustellen, wobei es zu betonen gilt, dass sich die Klassifikationsmerkmale teilweise überlagern bzw. nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzen sind.

Das erste zentrale Klassifikationsmerkmal von Referenden bezieht sich auf den Grad ihrer rechtlichen Regulierung. Ältere Typologien unterscheiden hier binär zwischen pre-regulated und non-pre-regulated Referenden (Suski 1993: 29) bzw. prescribed und discretionary Referenden (Johnson 1981: 21f.; Uleri 1996: 6). Beide Unterscheidungen gründen im i. W. auf der Frage, ob das jeweilige Referendum verfassungsrechtlich verankert ist oder eine Person bzw. Institution die Verfahrensregelungen ad hoc einfachgesetzlich bzw. über Verordnungen festlegte. Zu Recht weist Schünemann (2017) allerdings darauf hin, dass eine solch dichotome Unterscheidung die Vielfalt rechtlicher Regulierungsmöglichkeiten nur unzureichend abbildet (ebd.: 61). Er bezeichnet die Gesamtheit der rechtlichen Regelungen als Referendumsdispositiv (ebd.: 60) und schlägt in der Folge eine Einteilung in drei Kategorien vor: schwach, mittel und streng (ebd.: 63). Ein strenges Referendumsdispositiv zeichne sich demnach durch eine konstitutionelle Einbettung, die Existenz einer unabhängigen Referendumskommission, Möglichkeiten neutraler Informationsversorgung, die Frageformulierung von neutraler Seite, eine regulierte Wahlkampffinanzierung und eine faire Zuteilung von Medienanteilen aus. Ein schwaches Referendumsdispositiv hingegen erfülle diese Kriterien nicht (ebd.: 63ff.). Für die Zuordnung konkreter Referendumsdispositive liefert Schünemann allerdings keine eindeutigen Vorgaben, sondern verweist selbst darauf, dass es sich eher um »Einschätzungen und Bewertungen« handele (ebd.: 63).

Zweites zentrales Klassifikationsmerkmal von Referenden ist der Auslösungsmechanismus. In seinem Zusammenhang lassen sich optionale bzw. fakultative Referenden, die von politischen Akteuren freiwillig eingeleitet werden, von obligatorischen Referenden unterscheiden, die in verfassungsmäßig definierten Situationen (z.B. bei Steuererhöhungen) automatisch ausgelöst werden (vgl. u.a. Uleri 1996: 6; Schünemann 2017: 55f. und Suski 1993: 28f.).

Viele Referendumstypologien führen als eng verbunden mit dem Auslösungsmechanismus die Auslösungskompetenz als drittes und oftmals wichtigstes Unterscheidungsmerkmal an. Daraus ergeben sich grundsätzlich zwei unterschiedliche Referendumstypen: Referenden, die Regierungsakteure (Staatspräsident, Regierungschef, Kabinett) oder Parlamentsmehrheiten initiieren, werden als Top-down-Referenden (Altman 2011: 11) oder als Government-initiatedReferenden (Morel 2012: 508) bezeichnet. Davon zu unterscheiden sind oppositionelle Referenden, die gegen die politische Elite initiiert werden. Oppositionelle Referenden wiederum lassen sich weiterhin danach unterteilen, ob parlamentarische Akteure (parlamentarische Minderheiten, Zweite Kammern, Regionalparlamente etc.) oder außerparlamentarische Akteure (z.B. eine festgelegte Anzahl an Stimmberechtigten) als Initiatoren auftreten (Vospernik 2015: 120ff.). Im erstgenannten Fall ist oftmals von minoritärenReferenden (Hornig/Kranenpohl 2014: 11) die Rede, im letztgenannten wird von Initiativen gesprochen (Setälä 1999: 99f.).9 Zusätzlich gilt es in Bezug auf die Auslösungskompetenz zu berücksichtigen, dass sich diese auf mehrere Akteure erstrecken kann. Viele Referenden werden demnach erst durch das Zusammenwirken bzw. den gemeinsamen Beschluss von zwei oder mehr Verfassungsorganen ausgelöst.

Die Frage nach dem Vorlagentyp ist ein viertes formales Klassifikationsmerkmal, welches viele Referendumstypologien berücksichtigen. So unterscheidet bspw. Uleri (1996) zwischen decision-promoting und descision-controllingReferenden. Sofern Vorlagenurheber und Referendumsinitiator übereinstimmen, handelt es sich um erstgenannten Typ. Weichen hingegen Vorlagenurheber und Referendumsinitiator voneinander ab, bezeichnet Uleri das Referendum als kontrollierend. Bei diesem Typ differenziert er weiterhin zwischen Abstimmungen über nicht-implementierte (kassierendes Referendum) und bereits implementierte (abrogatives Referendum) Regierungsvorlagen (ebd.: 10f.).

Einigen Referendumstypologien liegt auch der Abstimmungsgegenstand als Distinktionsmerkmal zu Grunde. Le Duc (2003) bspw. unterscheidet so zwischen Verfassungsreferenden, Referenden über internationale Verträge, Territorialreferenden und Referenden über Public Policies (ebd.: 33). Butler/Ranney (1994) fügen dem noch die Kategorie von Referenden über moralische Fragen (z.B. Schwangerschaftsabbruch) hinzu (ebd.: 2f.) und jüngst differenzierten Silagadze/Gherghina (2019: 3) zusätzlich noch zwischen Referenden über materielle und postmaterielle Gegenstände. Referendumstypologien, für die der Abstimmungsgegenstand typenbildend ist, verzichten i.d.R. auf die Integration weiterer Verfahrensmerkmale, da der Abstimmungsgegenstand quer zu diesen liegt (siehe u.a. bei Mendez et al. 2014: 2227).

Ein weiteres Unterscheidungskriterium, auf das viele Referendumstypologien abstellen, ist die Frage, ob ein inhaltlicher Beschluss des Parlaments über die Abstimmungsvorlage erforderlich ist oder nicht, d.h., ob der Parlamentsbeschluss durch das Referendum lediglich bestätigt/nicht-bestätigt oder aber gänzlich ersetzt wird. Jung (2001) differenziert in diesem Zusammenhang zwischen Zustimmungs- und Entscheidungsreferenden (ebd.: 93). In der Rechtswissenschaft wird üblicherweise zwischen komplementären und surrogativen Referenden unterschieden (Kämmerer et al. 2015: 353).

Als vorletztes formales Klassifikationsmerkmal wird schließlich oftmals der Verbindlichkeitsgrad des Abstimmungsergebnisses angeführt. So werden konsultative Referenden, die eher den Charakter von Volksbefragungen haben von dezisiven Referenden, deren Ergebnis für die Regierung bzw. die Parlamentsmehrheit verbindlich ist, abgegrenzt (Suski 1993: 29). In der Praxis entfalten jedoch auch konsultative Referenden regelmäßig Bindungswirkungen (Rommelfanger 1988: 267).

Tab. 1.1: Formale Referendumstypen in der Referendumsforschung

Klassifikations-merkmal

Referendumstypen

Grad der rechtlichen Regulierung

Ad-hoc-Referendum, schwach institutionalisiertes Referendum

institutionalisiertes

Referendum

stark institutionalisiertes Referendum

Auslösungs-mechanismus

optionales Referendum,

fakultatives Referendum

obligatorisches Referendum

Auslösungskompetenz

gouvernementales Referendum,

Top-down-Referendum

oppositionelles Referendum

(minoritäres Referendum, Initiative)

Vorlagentyp

decision-promoting Referendum

decision-controlling Referendum

(kassierend, abrogativ)

Abstimmungsgegenstand

Verfassungs-referendum

Vertrags-referendum

Gebiets-referendum

Public Policy-Referendum

inhaltlicher Parlamentsbeschluss

komplementäres

Zustimmungsreferendum

surrogatives

Entscheidungsreferendum

Verbindlichkeit des Abstimmungsergebnisses

konsultatives Referendum

dezisives Referendum

Abstimmungsmodus

einfaches Referendum

qualifiziertes Referendum

Quelle: eigene Darstellung

Inwieweit Referenden Verbindlichkeit erlangen, hängt schließlich auch vom Abstimmungsmodus ab. Der Abstimmungsmodus fokussiert vornehmlich auf die Frage nach der Existenz von Abstimmungsquoren, wobei zwischen Zustimmungs- und Beteiligungsquoren zu unterscheiden ist. Werden Referenden mit Zustimmungsquoren versehen, so muss eine festgelegte Anzahl an Ja-Stimmen erreicht werden, damit eine Abstimmung gültig ist. Für Referenden mit Beteiligungsquoren ist die Anzahl der Ja-Stimmen hingegen irrelevant. Bei ihnen muss die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen ein zuvor festgelegtes Niveau erreichen. Referendumstypologien beschränken sich allerdings i.d.R. darauf, zwischen Referenden mit Abstimmungsquoren (qualifizierte Referenden) und Referenden ohne Abstimmungsquoren (einfache Referenden) zu unterscheiden (Jung 2001: 93f.)

Neben Referendumstypologien, die formale Verfahrenselemente zur Typenbestimmung verwenden, existieren auch funktionale Referendumstypologien. Diese fokussieren zusätzlich auf das Ergebnis bzw. die Wirkung von Referenden. Große Prominenz erlangte in diesem Zusammenhang die Typologie von Smith (1976). Dieser unterscheidet auf einem ersten Kontinuum zwischen kontrollierten und unkontrollierten Referenden. Kontrolliert sind Referenden demnach, wenn Regierungen zu Beginn des Referendumsprozesses den Verfahrensablauf sowie das Ergebnis gut antizipieren können. Sind Verfahrensablauf und Ergebnis hingegen weitgehend offen, handelt es sich um unkontrollierte Referenden. Auf einem zweiten Kontinuum differenziert Smith dann zwischen hegemonischen und anti-hegemonischen Referenden. Hegemonisch sind Referenden dabei, wenn sie in ihrer Wirkung die Stellung der Regierungsakteure stärken; anti-hegemonisch, wenn durch den Referendumsprozess Regierungsakteure geschwächt werden. Insgesamt ergeben sich für Smith somit vier Referendumstypen: kontrolliert/hegemonial, kontrolliert/anti-hegemonial, unkontrolliert/hegemonial und unkontrolliert/anti-hegemonial (ebd.: 7).

Wie auch Vospernik (2015) betont, haben funktionale Typologien unzweifelhaft den Vorteil, dass sie das Problem vermeiden, die unzähligen formalen Verfahrensmerkmale in eine Typologie einbinden zu müssen (ebd.: 51). Insofern sind sie sparsam, übersichtlich und aussagekräftig. Als Grundlage für die Fallauswahl einer empirischen Analyse können sie hingegen nicht herangezogen werden, da Referenden in ihrem Kontext erst ex-post einem Typ zugeordnet werden und für diese Zuordnungen fundierte Fallkenntnisse erforderlich sind.

1.2Das Referendum als Begriff in der deutschen Politikwissenschaft

In der deutschsprachigen Politikwissenschaft wird der Referendumsbegriff eher selten verwandt. Überdies findet er sich auch kaum in deutschen Verfassungstexten. Grundsätzlich wird eine strikte sprachliche und rechtliche Zweiteilung des Referendumsprozesses vorgenommen. Die Einleitungsphase wird dabei als Volksinitiative bzw. Volksbegehren bezeichnet; die Beschlussphase als Volksabstimmung bzw. als Volksentscheid. Der Referendumsbegriff wird dann vor allem auf die Beschlussphase bezogen und synonym mit den Begriffen der Volksabstimmung und des Volksentscheids verwandt (Weixner 2002: 84-91). Es handelt sich also um einen engen Referendumsbegriff.

Dagegen besitzt die hier zur Anwendung kommende Verwendung eines weiten Referendumsbegriffs den Vorteil, dass sich die Komplexität der deutschen Begriffsvielfalt in einem Oberbegriff bündeln lässt. Wenn die stimmberechtigte Bevölkerung direkt bzw. unmittelbar über einen sachpolitischen Gegenstand ihres politischen Gemeinwesens abstimmt, handelt es sich um ein Referendum. Der Begriff »Referendum« schließt demnach den gesamten Verfahrensweg ein.

1.3Zum Verhältnis von Referenden und Plebisziten

Der Begriff Plebiszit leitet sich aus den beiden lateinischen Wörtern plebs (Volk) und scitum (wissen)ab. Er bedeutet demnach, dass das Volk aufgrund seines Wissens befragt werden soll, um eine Entscheidung bzw. einen Beschluss herbeizuführen (Luthardt 1994: 34). Der Begriff des Plebiszits ist wesentlich älter als der Referendumsbegriff. Seinen Ursprung hat er in der Römischen Republik, wo er Beschlüsse bezeichnete, die die Plebejerversammlung auf Antrag der Volkstribunen traf (Möckli 1994: 49ff.).

Seit dem ist er als Bezeichnung für sehr verschiedene Volksabstimmungsverfahren in Anspruch genommen worden, was eine klare definitorische Abgrenzung – auch zum Referendumsbegriff – erschwert (Deszõ 2001; Trechsel/Esposito 2001). In seiner weitesten Lesart werden »alle demokratischen Einrichtungen, an denen das Stimmvolk als Souverän unmittelbar beteiligt ist« unter ihm zusammengefasst (Weixner 2002: 83, siehe auch Luthardt 1994: 35). Jedes Referendum ist diesem Verständnis nach gleichzeitig auch ein Plebiszit.

In einer engeren Lesart werden nur solche Volksabstimmungsverfahren als Plebiszit eingeordnet, die staatliche Organe optional oder ad hoc veranlassen (Möckli 1994: 89f.; Schiller/Mittendorf 2002: 11f.). Diese Perspektive erfordert allerdings weitere Differenzierungen. So werden insbesondere Abstimmungsverfahren als Plebiszit gefasst, die zur nachträglichen Legitimierung bereits getroffener Entscheidungen angesetzt werden, und die über das Sachvotum hinaus zumindest implizit auch eine Vertrauensfrage über Staatspräsident bzw. Regierung stellen (Luthardt 1994: 34f., Suski 1993: 10). Praxisbeispiele verweisen hierzu regelmäßig auf die Volksabstimmungen unter de Gaulle in Frankreich (u.a. Luthardt 1994: 64ff.). Abstimmungsverfahren, die durch parlamentarische Minderheiten ausgelöst werden, gelten demnach nicht als Plebiszit (anders bei Hornig/Kranenpohl 2014: 13). Uleri (1996: 4) wiederum begrenzt das Plebiszit ausschließlich auf nicht-kompetitive Volksabstimmungsverfahren, wie sie z.B. im Nationalsozialismus unter Hitler zur Anwendung kamen. Schließlich werden im internationalen Recht Territorial- bzw. Gebietsreferenden als Plebiszit bezeichnet (Deszõ 2001: 267)

Dieser kursorische Überblick veranschaulicht einerseits, dass Versuche, Plebiszite und Referenden z.B. anhand von Abstimmungsobjekten oder Verfahrensregelungen eindeutig zu unterscheiden, bislang nicht überzeugen können – die Trennlinien zwischen beiden Konzepten also weiterhin nebulös bleiben (Trechsel/Esposito 2001). Andererseits zeigt er, dass der Begriff des Plebiszits vor allem dann in Anspruch genommen wird, wenn Staatspräsidenten bzw. Regierungen unterstellt wird, Volksabstimmungen (erfolgreich) zu manipulieren und dem Volk lediglich eine passive Akklamationsfunktion zugeschrieben wird. Aufgrund dieser starken normativen Einfärbung erscheint der Begriff für eine empirische Analyse (demokratischer Systeme) weitgehend ungeeignet.

1.4Zum Verhältnis von Referenden und Initiativen

Im US-amerikanischen Kontext findet man stets den Dreiklang direktdemokratischer Instrumente aus Initiative, Referendum und Recall (Cronin 1989). Initiativen und Referenden stehen sich diametral gegenüber, wobei sich die Initiative auf Sachabstimmungen bezieht, bei denen »das Volk« zugleich Autor der Abstimmungsvorlage und Initiator der Abstimmung ist. Im deutschen Sprachraum wird in diesem Zusammenhang auch von Volksgesetzgebung gesprochen (siehe u.a. Solar 2016). Der Referendumsbegriff wird dann im Sinne seines etymologischen Ursprungs nur auf solche Sachabstimmungen angewandt, bei denen über Regierungs- bzw. Legislativvorlagen abgestimmt wird – unabhängig davon, wer die Abstimmung initiiert hat (Luthardt 1994: 35f.).10

In der Referendumsforschung ist die Abgrenzung zwischen Referendum und Initiative also nicht eindeutig festgelegt (siehe auch Schünemann 2017: 52-55). Die vorliegende Arbeit entfernt sich vom etymologischen Ursprung des Referendumsbegriffs und versteht – wie bereits veranschaulicht – die Initiative bzw. die vom Volk initiierte Sachabstimmung als einen möglichen Subtyp des Referendums, der sich vor allem anhand der Merkmale Auslösungsmechanismus (optional) und Auslösungskompetenz (durch Teile des Volks) von anderen Referendumstypen unterscheidet (ähnlich Butler/Ranney 1978: 23f., Setälä 1999: 99ff., Suski 1993: 30-34).

1.5Zum Verhältnis von Referenden und direkter Demokratie

Die Bandbreite der Phänomene, die unter den Begriff der direkten Demokratie subsumiert werden, übersteigt noch jene beim Referendum, wie viele Beispiele zeigen: Volksabstimmungen über Verfassungsänderungen, Unterschriftensammlungen zur Verhinderung geplanter Infrastrukturprojekte, die Abwahl von Bürgermeistern, Mitgliederentscheide innerhalb politischer Parteien und Gemeindeversammlungen. Eine einheitliche Definition existiert nicht. Nicht selten wird deshalb in Publikationen zur direkten Demokratie auf Definitionsversuche ganz verzichtet (siehe u.a. bei Mueller 1996: 95-100). Der größte gemeinsame Nenner aller Definitionen lässt sich noch so weit fassen, dass unter direkter Demokratie die unmittelbare bzw. unvermittelte Mitwirkung (potentiell) aller stimmberechtigten Mitglieder eines politischen Gemeinwesens an innerhalb dieses politischen Gemeinwesens kollektive Verbindlichkeit erzeugenden Entscheidungen verstanden wird.

Jenseits einer konkreten Definition können aber zunächst drei Grundformen direkter Demokratie unterschieden werden, deren Bestimmung jeweils durch ihr Verhältnis zur repräsentativen Demokratie erfolgt und die zugleich erste Auskünfte über die Schnittmengen von Referenden und direkter Demokratie liefern.

Innerhalb der ersten Grundform wird direkte Demokratie als ein Gegenmodell zur repräsentativen Demokratie konzipiert. Direkte Demokratie bezieht sich demnach auf ein politisches Gemeinwesen, in dem alle kollektive Verbindlichkeit erzeugenden Entscheidungen unmittelbar von allen stimmberechtigen Mitgliedern des jeweiligen Gemeinwesens selbst getroffen werden. Als bekanntestes Beispiel dieser Grundform wird oftmals die Versammlungsdemokratie in der attischen Polis angeführt (siehe u.a. Solar 2016: 7).

Die Entwicklung des Konzepts demokratischer Repräsentation und die Entstehung von Massendemokratien bewirkten jedoch, dass direkte Demokratie als reine Versammlungsdemokratie bzw. »pure democracy« (Suksi 1993: 5) heutzutage – mit Ausnahme von einigen Kleinstgemeinden – empirisch nicht mehr auftritt. Deshalb wird direkte Demokratie im Rahmen der zweiten Grundform weniger als ein Gegenmodell zur repräsentativen Demokratie betrachtet, sondern ihr wird vielmehr ein Ergänzungscharakter zugeschrieben. Direkte Demokratie soll demnach idealerweise bestehende Repräsentationslücken demokratischer Systeme ausfüllen (siehe u.a. Butler/Ranney 1994: 13-17). Aufgrund ihres punktuellen Charakters wird im Zusammenhang mit dieser Grundform dann i.d.R. auch von direktdemokratischen Verfahren, Instrumenten, Mechanismen oder Institutionen gesprochen. Einer der vielen direktdemokratischen Verfahrenstypen ist das Referendum. Da Referenden in Bezug auf die repräsentative Demokratie grundsätzlich als wirksamstes direktdemokratisches Verfahren gelten und zudem ihre Einführung historischer Ausgangspunkt dieser zweiten Grundform direkter Demokratie ist, werden repräsentative Demokratien mit Referendumsinstitutionen auch als Referendumsdemokratien bezeichnet (Mendelsohn/Parkin 2001: 3ff.).11

In der Politikwissenschaft bestehen allerdings voneinander abweichende Ansichten darüber, wie stark die Auswirkungen von direktdemokratischen Verfahren im Allgemeinen bzw. Referenden im Besonderen auf die repräsentative Demokratie sind bzw. sein können. So weist Decker (2005) darauf hin, dass auch »von den plebiszitären Elementen ein nachhaltiger Einfluss auf die Funktionslogik des gesamten Regierungssystems ausgehen kann, der über einen bloß ergänzenden Charakter weit hinausreicht« (ebd.: 1112f.). Er begründet dies am Beispiel der Schweiz, in der sich durch die Einführung direktdemokratischer Verfahren konkordanzdemokratische Politikmuster herausbildeten (ebd.; siehe dazu auch Trechsel/Kriesi 1996: 202ff.). In solch starken Referendumsdemokratien wirken direktdemokratische Verfahren demzufolge nicht ergänzend, sondern als Katalysator und führen zu einer Transformation der repräsentativen Demokratie.

Tab. 1.2: Grundformen direkter Demokratie

Grundform

Versammlungs-demokratie

schwache Referen-dumsdemokratie

starke Referendumsdemokratie

Verhältnis zur repräsentativen Demokratie

Gegenmodell

Ergänzung

Katalysator

zur Transformation

Quelle: eigene Darstellung

Im Rahmen der beiden letztgenannten Grundformen direkter Demokratie werden Referenden als eine Teilmenge direktdemokratischer Verfahren verstanden. Ungeachtet dessen besteht jedoch eine Kontroverse darüber, ob alle Referenden zwangsläufig direktdemokratisch sind. Umstritten sind dabei vor allem drei Aspekte.

Die erste Kontroverse dreht sich um den Verbindlichkeitsgrad von Referenden. Definitionsgemäß zählen konsultative Referenden demnach nicht zu den direktdemokratischen Verfahren, da es sich bei ihnen nicht zwangsläufig um kollektive Verbindlichkeit erzeugende Entscheidungsverfahren handelt. Viele Autoren argumentieren allerdings, dass Regierungen i.d.R. de facto gezwungen sind, auch die Ergebnisse von konsultativen Referenden unverändert umzusetzen (siehe u.a. Jung 2001: 85). Formal zählen konsultative Referenden also nicht zu den direktdemokratischen Verfahren, empirisch können sie jedoch direktdemokratischen Charakter annehmen.

Zweitens wird die Frage diskutiert, in welchen Herrschaftsformen direktdemokratische Verfahren überhaupt auftreten können. Aus normativer Perspektive wird hier oftmals argumentiert, dass Referenden in autoritären Systemen tendenziell nicht als direktdemokratische Verfahren klassifiziert werden können. Diese Position ist allerdings insoweit problematisch, als dass Referenden in autoritären Herrschaftssystemen durchaus kompetitiven Charakter annehmen können, wenngleich auch die politische Elite dies zunächst nicht intendierte (Marxer 2004: 3f.). Stärker empirisch orientierte Studien sprechen deshalb teilweise auch bei Referenden in autoritären Herrschaftssystemen von direktdemokratischen Verfahren (siehe Altman 2011).

Für die vorliegende Arbeit wesentlich interessanter stellt sich jedoch die dritte Kontroverse dar, in der es um die Frage geht, welche politischen Akteure direktdemokratiekompatibel sind, d.h., welche politischen Akteure aus normativer Perspektive überhaupt direktdemokratische Entscheidungsverfahren initiieren können (siehe dazu auch Decker 2018: 642). Interessenverbände, die sich für den Ausbau bzw. die Liberalisierung direktdemokratischer Verfahren einsetzen (z.B. »Mehr Demokratie e. V.« und das »Initiative and Referendum Institute Europe«), vertreten in diesem Zusammenhang vornehmlich den Standpunkt, nur solche Verfahren als direktdemokratisch einzuordnen, von denen sie einen Zugewinn an demokratischer Entscheidungsqualität erwarten. Diese Eigenschaft schreiben die entsprechenden Verbände dann nur jenen Referenden zu, die in Opposition zur politischen Elite initiiert werden (minoritären Referenden und Initiativen). Top-down-Referenden sprechen sie dieses Potential nicht zu, weshalb sie diese dann eher der repräsentativen Sphäre zuordnen (siehe bei Kaufmann et al. 2010: 197). Die normative Annahme, dass Initiativen und minoritäre Referenden die demokratische Entscheidungsqualität (in demokratischen Herrschaftssystemen) eher erhöhen als Top-down-Referenden, ist empirisch bislang allerdings nicht belegt. Insofern kann anhand dieses Klassifikationsmerkmals eine angemessene Zuordnung nur ex-post vorgenommen werden. Einen anderen Weg schlägt deshalb Jung (2001) ein. Sie betrachtet nicht die Einleitungsphase bzw. die Auslösungskompetenz, sondern die Beschlussphase bzw. den Abstimmungsmodus als klassifizierendes Verfahrenselement direktdemokratischer Verfahren:

»Er [der Begriff der direkten Demokratie, A. d. V.] bezeichnet einen spezifischen Modus der (konventionellen) Teilnahme des Bürgers am demokratischen Entscheidungsprozess: den Modus der Abstimmung [H. i. O.]. Dieser zeichnet sich dadurch aus, daß keine Entscheidungsvollmacht übertragen, sondern über eine Sachfrage unmittelbar entschieden wird« (ebd.: 13).

Demnach sind also in demokratischen Herrschaftssystemen alle politischen Akteure theoretisch direktdemokratiekompatibel. Dieses Verständnis liegt auch der vorliegenden Arbeit zu Grunde.

9 Zum Verhältnis von Referendum und Initiative siehe Kap. 1.4.

10Vospernik (2014) wiederum bezeichnet volksinitiierte Sachabstimmungen über Regierungs- bzw. Legislativvorlagen (z.B. das fakultative Referendum in der Schweiz) als Initiative auf Dezision (ebd.: 126).

11Kritisch dazu allerdings Schaub (2016: 75f.), der zumindest in Bezug auf die Schweiz eine Gegenüberstellung von Versammlungs- und Referendumsdemokratie ablehnt und selbst die Versammlungs- von der Urnendemokratie abgrenzt.

2.Ratsreferenden: Begrifflichkeiten und rechtliche Merkmalsausprägungen

Auf Basis der vorgenommenen Konkretisierung des Metakonzepts Referendum widmet sich dieses Kapitel nun dem eigentlichen Erkenntnisinteresse. Dabei verfolgt es zwei Ziele. Erstens soll es begriffliche Klarheit in Bezug auf die beiden wesentlichen bundesdeutschen lokalen Referendumsinstitutionen herstellen und so den Untersuchungsgegenstand insbesondere für die folgenden empirischen Analysen abgrenzen. Zweitens strebt es eine typologische Einordnung von Ratsreferenden anhand der zuvor eingeführten formalen Referendumstypen an. Diese dient dazu, die wesentlichen rechtlichen Varianzen zwischen den einzelnen (Rats-)Referendumsdispositiven in den Kommunalverfassungen aufzuzeigen.

2.1Definition und Terminologie

Das vorherige Kapitel veranschaulichte die Vielfältigkeit von Referendumstypen. Auch die kommunale Demokratie in Deutschland kennt verschiedene Referendumsinstitutionen. Mit dem Ratsreferendum steht eine dieser Institutionen im Fokus der vorliegenden Arbeit. Von Ratsreferenden ist im Folgenden die Rede, wenn die stimmberechtigte Bevölkerung einer Gemeinde oder eines Kreises auf Beschluss ihres kommunalen Vertretungsorgans direkt bzw. unmittelbar über einen sachpolitischen Gegenstand ihres politischen Gemeinwesens abstimmt. Definitionsgemäßhandelt es sich bei Ratsreferenden also um direktdemokratische Verfahren.

In Gesetzestexten, juristischen Kommentaren sowie dem alltäglichen Sprachgebrauch stehen für Ratsreferenden verschiedene Begrifflichkeiten zur Verfügung, die teilweise synonym verwandt werden und/oder sich auf spezifische Prozesse der Entscheidungsinstitution beziehen. Von einem Ratsbegehren ist etwa die Rede, wenn die Mitglieder einer kommunalen Vertretung den Antrag stellen, dass die kommunale Bevölkerung über einen bestimmten Sachverhalt abstimmen soll, wobei in Anlehnung an Burkhard (1987: 65) unter diesem präziser auch »die von einem kommunalen Vertretungsorgan freiwillig vorgenommene, punktuelle Zurückverlagerung seiner Entscheidungskompetenz in die Hände des Bürgers« verstanden wird. Hessen und Mecklenburg-Vorpommern nennen diesen Vorgang Vertreterbegehren (§ 8b Abs. 1 HGO; § 20 Abs. 3 KV-MV).

Üblicherweise wird die Abstimmung der Stimmberechtigten unter den Begriff desBürgerentscheids gefasst. Nordrhein-Westfalen verwendet mit der Bezeichnung Ratsbürgerentscheid aber die exaktere und somit angemessenere Begrifflichkeit (§ 26 Abs. 1 GO NRW). In Hessen findet sich jüngst auch der Begriff des Vertreterentscheides (Piratenpartei-Hessen 2016). Thüringen schließlich bezieht den Begriff des Ratsreferendums nicht auf den gesamten Verfahrensprozess, sondern ausschließlich auf die Abstimmungshandlung (§ 18 Abs. 5 ThürEBBG).

Aufgrund der rechtlichen Verflechtungen ist es notwendig, Ratsreferenden immer in Zusammenhang mit weiteren kommunalen Referendumsinstitutionen zu betrachten. Empirisch relevant ist dabei vor allem die Verflechtung mit Bürgerreferenden. Bei Bürgerreferenden sind nicht Mitglieder des Rates und/oder (Ober-)Bürgermeister, sondern eine Minderheit der stimmberechtigten Bevölkerung Antragsstellende (u.a. Paust 1999: 28f.). In Abgrenzung zum Ratsbegehren bezeichnen alle Kommunalverfassungen dessen Antrags- bzw. Qualifizierungsvorgang als Bürgerbegehren. Die finale Abstimmung der Stimmberechtigten wird – ebenso in allen Kommunalverfassungen – Bürgerentscheid