Wenn tote Kinder niemals schweigen - C. E. Frayna - E-Book

Wenn tote Kinder niemals schweigen E-Book

C. E. Frayna

4,3

Beschreibung

Das Mädchen öffnete den Mund und ein langgezogenes, lautes, spitzes, unheimliches: "Verschwinde" hallte durch die Bäume. Nina Steinberg begibt sich nach dem Tod ihres Vaters, der sie früh verließ, in seine Heimat Mierlbach. In dem kleinen Ort, trifft sie auf den verheirateten Dominik, der sie von Anfang an fasziniert. Es scheint, als würde er etwas vor ihr verbergen. Überdies stellt sie überrascht fest, dass ihr Vater, Nina ein Haus im Wald hinterlassen hat. Von Anfang an hat sie dort ein beklemmendes Gefühl. Mehr noch, etwas scheint sie an diesen Ort zu binden. Mysteriöse Dinge geschehen. Wer lauert in den dunklen Ecken des Walds und will, dass sie dort hineingeht? Zu spät bemerkt sie, dass es mehr mit ihr zu tun hat, als es scheint. Ist sie wirklich bereit für die erschütternde Wahrheit? Ein packendes Buch über eine Welt hinter der unseren! Dabei fehlt eine Portion Liebe nicht. Schauplatz ist dabei eine kleine Gemeinde in Bayern. Für alle, die wissen, dass ein Leben nicht mit dem Tod endet. Wo das Böse ist, verweilt auch das Gute!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 247

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,3 (18 Bewertungen)
11
2
5
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Dominik 1979 – 2007

Besondere Menschen gleichen Sterne,

sie leuchten noch lange nach ihrem Erlöschen.

(unbekannter Verfasser)

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Epilog

Danksagung

Prolog

Der laute Schrei durchbrach die Stille. Er hallte in den Wänden des alten und kleinen Schlosses wider, das am Ende des Marktes Mierlbach stand.

Welch ein neuartiges Geräusch in diesem Haus, fand Dominik Sturm, als er mitten in der Nacht erwachte. Der 10-jährige rieb seine Augen, setzte sich im Bett auf und sah sich im Raum um. Hatte er das geträumt? Bevor er einen weiteren Gedanken fassen konnte, ging ihm ein weiterer Schrei durch Mark und Bein.

Herzzerreißend weinte ein Baby, unweit von dem Zimmer entfernt, dass er, seit seiner Geburt bewohnt. Einen Moment wunderte er sich nur. Wie kam ein Baby in Dominiks Elternhaus? Hatten seine Eltern Besuch, von dem er nicht das Geringste mitbekommen hatte? Es war mitten in der Nacht und am Tag nichts Ungewöhnliches geschehen.

Egal auf welche Weise er es drehte und wendete, er kam zu keinem schlüssigen Gedanken.

Das Schreien ging jäh in ein leises Wimmern über. Es war nicht weniger herzerweichend.

Verwirrt von der ganzen Sache, raffte er sich und stand auf. Auf dem Weg zur Tür, fiel er über Bauklötze und landete auf den Knien. Er seufzte auf. Zum Ersten mal in seinem jungen Leben bereute er, sie nicht weggeräumt zu haben.

Wenn jetzt Dominiks Mutter im Raum wäre, würde sie ihn mit schadenfrohem Blick betrachten. Ihm sagen, dass er gefälligst auf sie gehört hätte. Er hob behutsam die Schlafanzughose nach oben und besah das aufgeschlagene Knie.

Allmählich ließ der brennende Schmerz nach. Er rückte die Hose zurecht. Behäbig schob er die schwere Eichentür auf und äugte den Gang hinauf. Niemand war zu sehen, dennoch hörte er unentwegt den klagenden Ruf des Babys. Dominik gähnte, und fing an den Flur entlang zu schleichen. Stimmen kamen vom Erdgeschoss, vom Wohnsalon, er strebte ein anderes Ziel an.

Am Ende des Stockwerks lag das Zimmer seines großen Bruders, das er bewohnt hatte, bevor er auszog, um zu studieren. Endlich erreichte er die gegenüberliegende Tür, die angelehnt war. Auf Zehenspitzen ging er leise hinein.

Das Weinen kam aus dem Bett. Dort angekommen, starrte er auf das Neugeborene hinunter, setzte sich darauf, um es gründlicher zu bestaunen.

Es hatte viel rabenschwarzes Haar und war winzig. Vorsichtig streckte er seinen Finger aus. Die Fingerchen griffen nach ihnen. Erneut fing es herzzerreißend an, zu schreien.

Beruhigend nahm er es achtsam in die Arme. Wissbegierig musterten ihn ihre schönen, mandelförmigen Augen.

Ein Blick unter die Decke genügte und er wusste, dass es ein Mädchen war. Vor und zurück schaukelte er sie sanft. Mit der Zeit wurde sie ruhiger. Dominik vermutete, dass sie Hunger hatte. Wo war die Mutter? Er sah sich im Zimmer um, niemand war da.

Die Tür wurde aufgeschoben und seine Mutter Juliane stand vor ihm.

»Du sollst doch schlafen!« Sie schüttelte eine Babyflasche.

»Sie hat mich geweckt«, antwortete Dominik und zeigte auf den Säugling. »Wer ist sie denn?«

Juliane gab ihm die Flasche und er schob sie zwischen die leicht geöffneten Lippen. Sofort saugte die Kleine und zog gierig am Schnuller.

»Ich bin gleich wieder da.«

»Mama, wer ist sie?«, fragte er.

»Nicht jetzt, Dominik, morgen erkläre ich dir alles.« Sie ging hinaus.

»Wo ist dei Mutter? Armes Ding.« Dominik wippte sie sachte auf und ab. Unentwegt schauten ihre Augen zu ihm hinauf. Ihr Geruch stieg ihm in seine Nase, eine Mischung aus Milch und Rosenöl. Ein feiner, unschuldiger Geruch, der in ihm ein Gefühl von Geborgenheit hervorrief. Sie erinnert ihn an jemanden ..., ebendieser Name war wie ein Kleid für sie: Nina.

»Keine Angst, Nina. Ich pass auf dich auf.«

»Nina?« Seine Mutter trat ins Zimmer.

»Sieht sie nicht aus wie eine Nina?«

»Nina, ein schöner Name«, sagte Juliane und lächelte ihren Sohn an.

»Das sollten doch ihre Eltern bestimmen.«

»Nina hat keine Eltern mehr, mein Schatz«, sagte Juliane.

»Dann bleibt sie bei uns?«, fragte er.

»Vielleicht«, sagte sie.

Dominik drückte sie an sich. »Sie soll bleiben, dann kann ich sie beschützen.«

»Ich weiß, das würdest du tun.« Juliane fuhr zärtlich durch sein sandfarbenes Haar.

»Sie ist noch so klein.« Dominik sah wieder zu ihr hinab.

Plötzlich wurde das Zimmer mit weiteren Menschen gefüllt. Einer davon war Andreas Steinberg, ein Freund seines Bruders.

Andreas, ein großer Mann mit dunkelgrünen Augen, beugte sich über Nina.

Andreas streckte seine Hände nach Nina aus, Dominik wollte sie nicht hergeben.

»Sie ist in guten Händen«, versicherte Andreas ihm.

Er wollte sie nicht im Stich lassen.

»Dominik«, warnte ihn die schneidende Stimme seines Vaters.

Seine Augen wanderten zu ihm hinüber.

Ein Weiteres mal sah er zu seiner Mutter, die unbeteiligt am Rande stand. Wie immerfort würde sie nicht für ihn einstehen. Scheu und mutlos, wie sie zeitlebens war. Jedoch hatte er weit weniger, was er hätte entgegensetzen können.

Unterwürfig schlug er die Augen nieder. Betrachtet ein letztes mal das kleine Mädchen. Er küsste sie zum Abschied auf die Stirn und gab sie Andreas, der sie an Maria weiterreichte.

»Sie heißt Nina«, sagte Dominik bestimmend und die Erwachsenen sahen ihn erstaunt an.

Andreas und Maria verließen mit Nina das Zimmer.

Juliane nahm ihn in die Arme.

»Du wirst sie wiedersehen«, sagte sie beruhigend.

Und doch wusste er, sie sollte hierbleiben.

Das Auto fuhr holprig über die gewundene Straße.

Ein Mädchen stand am Rande, versteckt unter ein paar Bäumen.

Ihr graues Kleid, flatterte im Wind. Sie streckte die Hand aus, um nach irgendetwas Unsichtbarem zu greifen, das einzig und allein sie erahnen konnte. Eine Träne rollte ihre Wange hinab.

Das Auto verschwand und ebenso sie. Eine Sekunde später, war alles, als wäre sie niemals an diesem Platz gewesen.

Erstes Kapitel

21 Jahre später

Greta Berg lag in ein dünnes Laken gehüllt, in dem großen Doppelbett. Verträumt lächelnd sah sie an die Decke des Schlafzimmers. In dem Raum, wo sie seit 25 Jahren das Bett mit Holger teilte. Völlig gefangen in der Zufriedenheit ihres Körpers.

Der Blick richtete sich auf sie. Fasziniert betrachtete sie den bloßen Rücken der Frau, die so alt war wie Greta, als sie Holger geheiratet hatte. Sie zog sich gerade an. Greta sah ihr gerne zu.

Es waren die schönsten Stunden der Woche, wenn sie mit ihr zusammen war. Die Treffen waren zur Regelmäßigkeit geworden und ebenso normal. Genauso alltäglich, wie sie jeden Abend das Essen für ihre Familie kochte. Sie schenkte ihr Aufmerksamkeit.

Die sie lange nicht mehr von Holger erhielt. Wie gerne sie ihren Körper spürte. Wenn sie ihn berührte, fühlte er sich samtweich und schlank an. Anders, als ihr Eigener es war.

Greta bemerkte, wie die Sehnsucht erneut ihren Bauch hochstieg. »Komm her«, sagte Greta bittend und lächelte sie reizvoll an.

»Ich muss arbeiten.«

»Wann treffen wir uns wieder, nächste Woche, zur selben Zeit?«, fragte Greta.

»Ich ruf an«, antwortete Nina.

Ein Lächeln umspielte ihre vollen, roten Lippen. Nina Steinberg war immens verschlossen. Ihr melancholischer Charakter war das, was Greta am meisten an ihr gefiel.

Ihr Blick verweilte an der Tür, woraus Nina verschwunden war. Was würde Holger von ihr denken, wenn er es erfahren würde? Trotz ihres schlechten Gewissens, die dauernd hochkamen, taten ihr die geheimen Treffen gut. Seit Langem verspürte sie nochmals Glück in ihrem Leben. Glück, das ebenso ihre Familie zu spüren bekam. Das konnte nicht so abwegig sein. Oder?

Zwanghaft fuhr sie vom Bett hoch, beschloss erst, zu duschen, bevor sie sich dem Abendessen für ihre Familie widmete.

Seit drei Monaten verbrachten sie einen Nachmittag in der Woche zusammen. Mittlerweile fing Nina an es, zu bedauern. Seufzend stieg sie in ihr Auto und fuhr los. Durch die mit schicken Häusern gesäumte Straße. Eines davon kostete ohne Frage mehr, wie sie je in ihrem Leben verdienen würde. Ihr Blick glitt auf die Uhr über dem Lenkrad. Sie war spät dran. Ärger hatte sie dafür nicht zu befürchten. Das Restaurant ihres Stiefvaters, würde wie jeden Abend auf den letzten Platz besetzt sein. Heute würde es erneut stressig werden. Ihr graute davor.

Es war nicht das, was sie in Zukunft machen wollte. Ursprünglich eine Notlösung, als sie ihre Ausbildung als Konditorin beendet hatte. Nina war eben unschlüssig, was sie in Zukunft tun wollte. Aufgrund dessen hing sie seit 2 Jahren dort fest. Zu keiner Entscheidung fähig.

»Sorry, bin zu spät.« Nina betrat mit wenig Reue das Lokal, ging auf Mario Fischer ihren Stiefvater zu. Er deckte die Tische gerade mit der bekannten weiß-rot gestreiften Tischdecke ein. Mario lächelte, als er sich ihr zuwandte und winkte ab. Sie fragte sich, ob er irgendeinmal verärgert über sie sein konnte.

Des Öfteren hatte sie ihn, das ein, oder andere mal, um den Finger gewickelt. Dass sie damit Streit mit ihrer Mutter heraufbeschwor, war ihr egal. Sie konnte nichts dafür, wenn er ihr manche Freiheiten gewährte. Ein Anrecht, das sie aufs Äußerste ausreizte.

An diesem Ort hatte sie im Übrigen Greta kennengelernt.

Es war ein Sonntag Abend gewesen. Greta hatte sie mit diesem bestimmten Blick angesehen. Hatte Nina nicht mehr aus den Augen gelassen, bis sie mit ihrem Mann das Lokal verlassen hatte. Zwei Tage später war sie alleine zum Mittagessen gekommen und sie hatten sich verabredet.

Genauso hatte alles seinen Lauf genommen.

Mario trat in den vorderen Bereich und reichte ihr das Telefon.

»Deine Mutter«, erklärte er. Nina verdrehte die Augen und nahm den Apparat an sich.

»Was gibt´s?«, fragte Nina.

»Ich hab auf dich gewartet, wo warst den ganzen Tag?«, gab Maria, ihre Mutter, zurück.

»Was willst du?«, fragte Nina.

Sie war alt genug, um sich ihre Vorhaltungen nicht anhören zu müssen.

»Ich wollte es dir persönlich mitteilen, aber du bist nie Zuhause, wenn ich mit dir reden will. Dei Vater ist gestorben.«

Nina war sprachlos. Ihr leiblicher Vater, den sie zuletzt sah, als sie Windeln getragen hatte. Den Vater den sie kennenlernen wollte, seit sie denken konnte.

»Die Beerdigung ist in zwei Tagen. Gehst hin?«

Nina war sich darüber nicht im Klaren. Zu frisch war die Nachricht. Sie musste darüber nachdenken. War sie ihm das schuldig? Keine Sekunde seines Lebens hatte er sich für sie interessiert. Nicht ein Einziges mal, hatte er ihr geschrieben, geschweige denn sie besucht. Kein Weihnachten, oder einen Geburtstag mit ihr gefeiert. Hatte er gewusst, in welch hohem Maße sie ihn vermisst und gebraucht hätte?

Mehrmals hatte sie sich in Gedanken ausgemalt, wie sie ihn besuchte. Ihm ihre ganzen Gedanken entgegenschleuderte.

Bis jetzt hatte ihr der Mut gefehlt. Soweit würde es nicht mehr kommen.

»Vielleicht«, antwortete Nina.

»Ich muss weiter machen.« Sie legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten.

Sie war diesem Mann nichts schuldig. Warum zusehen, wie er endgültig in der Versenkung verschwand.

Was hatte er für sie getan?

Gemischte Gefühle durchzogen sie. Eine altbekannte Frage geisterte in ihrem Kopf herum.

War er der Teil ihrer Wurzeln, der sie zu keiner Zeit ihres Lebens komplettiert hatte? War es nicht einen Versuch wert, dort zumindest Antworten zu suchen?

Sie schüttelte den Kopf und wandte sich dem Besteck zu. Für nichts in der Welt würde sie an seiner Beerdigung teilnehmen.

Dominik Sturm strich das unbändige, gelockte Haar hinter seine Ohren. Er sprang die Treppe hinunter und pfiff einen Ohrwurm, den er vorhin im Radio gehört hatte.

Einen Moment gab er sich den Gedanken an die Architektin hin, die ihn vorhin in seinem Büro angehimmelt hatte.

Als sie sich auf den Stuhl gesetzt hatte, war ihr Rock hochgerutscht. Das schamlose Grinsen, hatten ihre Absichten unumwunden klar gemacht.

Wenn er gewollt hätte, läge er jetzt in ihrem Bett.

Eine Sache, die ihn überrascht hatte, als er abgelehnt hatte. Sein Kopf war im Moment zu ausgefüllt. Wenn man schlagartig an seinem Leben zweifelte, war alles andere bedeutungslos.

Zwar konnte man meinen, er hätte alles, was Nick sich erträumt hatte. Ein perfektes Leben. Nick empfand es keineswegs als das.

Bald nach der Hochzeit vor 2 Jahren merkte er seinen Fehler. War das alles, was er von seinem Leben erwarten konnte?

Kam da mehr? Als er spätabends von seinem Büro, die paar Schritte zu seinem Haus hinüberging, klingelte das Handy in seiner Jeans.

»Guten Abend, Dominik. Sie kommt.«, sagte Maria Fischer.

»Bist du sicher?«, fragte Nick.

»Sie hat ihre Tasche gepackt.«

»Okay.«

»Lass die Finger von ihr«, sagte Maria.

Nick schüttelte den Kopf und ärgerte sich.

»Seit wann treib ich es so wild?«, fragte er.

»Seit du weißt, wie sie aussieht.«

Hatte Maria, Nick durchschaut, oder hatte er sich mit irgendetwas verraten?

Dominik konnte Gefühle mühelos verbergen, wohl nicht, wenn es um sie ging. Im Besonderen nicht vor Ninas Mutter.

»Ich hoffe, du hast dich bei ihr besser im Griff.«

Er seufzte, konnte Maria Fischers tadelndes Gesicht förmlich vor sich sehen.

»Zerbrech dir nicht meinen Kopf«, sagte er und legte auf. Sie hatte nicht unrecht. Nina spukte ihm ständig im Kopf herum. Seit er sie Andreas Steinberg in die Arme gelegt hatte, war sie als ständige Erinnerung in seinem Kopf verankert.

Er wusste, es war so gut gewesen. Dass sie ein Anrecht auf ein ruhiges Leben gehabt hatte, meilenweit entfernt von ihrem Vater entfernt.

Als er das Haus betrat, steckte er das Handy ein, hoffte, das Lisa im Bett war und schlief. Alleine darum schob er öfters die Arbeit vor.

Lisa legte viel Wert auf ihr Aussehen, warf ständig das Geld für Kosmetik, Sonnenstudio und wöchentliche Friseurbesuche hinaus. Jeden Tag war sie perfekt frisiert und gepflegt, trotz allem fühlte er nichts mehr in ihrer Gegenwart.

Das er sie geliebt und begehrt hatte, kam ihm wie aus einem anderen Leben vor. Lisa, schien auf ihn gewartet zu haben, und war vor dem Fernseher eingeschlafen. Er schaltete ihn ab und betrachtete sie einen Moment nachdenklich. Auf dem Weg hinaus, löschte er das Licht und ging nach oben.

Nina war auf die Anzeige in einer Zeitung gestoßen.

Ständig dachte sie über ihre Selbstständigkeit nach. Ein eigenes Café. Seit ihrer Ausbildung als Konditorin träumte sie davon. Das war es, was sie erfüllen würde. Der einzige Weg, den sie in ihrer Zukunft sah.

Als Kind hatte sie Teestunden veranstaltet. Kekse gebacken, kaum das sie laufen konnte.

Liebte es neue Kreationen, auszuprobieren. Ihr fehlte Geld und Mut, um ihren größten Wunsch wahr zu machen.

Die Anzeige versprach eine günstige Miete, auf den ersten Blick, wusste Nina warum. Es hatte eine schlechte Lage und war massiv renovierungsbedürftig. Sie müsste viel investieren. Geld, das sie nicht im Mindesten hatte. Ihr Handy läutete, sie warf einen Blick darauf und drückte auf den grünen Hörer.

»Wie sieht´s aus?«, fragte Alina.

»Eine Bruchbude!« Nina fuhr sich durch ihr rot-braunes Haar.

»War zu erwarten.«

Nina war enttäuscht. Es waren solche Rückschläge, die ihre Hoffnung schwinden ließen. Alina hatte Nina bald mit ihren Plänen anstecken können und war auf ihren Traum aufgesprungen.

»Na komm, wir finden was Passendes«, sagte Alina.

Alina schien sie trösten zu wollen. Nina würde ein paar Tage brauchen, um über die herbe Enttäuschung hinwegzukommen.

»Wann fährst du?«, fragte Alina.

»Heut mittag.«

»Na gut, denk daran, du bist ihm am Arsch vorbeigegangen, er hat keine einzige Träne von dir verdient.«

»Ich weiß.«

Sie verabschiedeten sich und Nina legte auf. War es eine Pflicht, die sie dorthin trieb?

Als sie nachdachte, kam sie zu dem Entschluss, es war reine Neugier. Neugier auf die Frau und den Ort, den er ihr vorgezogen hatte. Sie hatte endlich den Mut gefasst, sich dem zu stellen. Wenn auch zu spät.

Drei Stunden später, saß Nina im Auto und war auf den Weg nach Mierlbach. Ihre Mutter hatte sie zum Abschied umarmt.

Ein einzigartiges Erlebnis seit Jahren. Sie schien besorgt um sie. Nina war froh einen Tag von Zuhause weg zu sein.

Sie hatte sich Mierlbach anders vorgestellt. Vor allem Kleiner.

Das war es nicht.

Viele Geschäfte säumten den Weg. Man musste Mierlbach nicht verlassen, um alles zu bekommen, was man für den Lebensunterhalt brauchte.

Sie kam an der kleinen Pension an, wo sie ein kleines Zimmer gebucht hatte. Es lag direkt gegenüber der stattlichen, in Gelb gestrichenen Kirche. Zu ihrem Erstaunen war es hervorragend in Schuss, es schien, als wäre es vor nicht allzu langer Zeit renoviert worden.vDas hohe Haus, im sonnigen Orange gestrichen, brachte Licht in den trüben Oktobertag.

Es lud ein, damit man es betrat.

Sie parkte auf den kleinen Parkplatz, nahm ihren Koffer und ging die breite Treppe hinauf. Schwer bepackt öffnete sie die weiße Tür und trat an den Empfangsbereich.

Eine ältere Frau wischte den Flur. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie Nina entdeckte.

An dem altmodischen Kittel, den sie trug, wischte sie sich die Hände ab und trat hinter den Tresen.

»Sie müssen entschuldigen, sonst komm ich nicht dazu.« Die blondhaarige Frau lächelte sie freundlich an und Nina erwiderte es gerne.

»Na gut, willkommen in Katrins Gästehaus, ich bin Katrin Huber, womit kann ich denn helfen?«

»Ich bin Nina Steinberg und habe ein Zimmer gebucht.«

Der Blick der Frau entging ihr nicht, sie wurde auf einen Schlag merklich distanzierter.

Hatte sie irgendetwas verkehrt gemacht? Warum war das Lächeln der Frau im mittleren Alter erloschen?

Nachdenklich nahm sie den Schlüssel entgegen. »Danke«, sagte Nina.

Nina wandte sich um.

»Ich bin mit ihm zur Schule gegangen, mein herzlichstes Beileid«, sagte Katrin.

Nina drehte sich zu ihr um und nickte sprachlos. Endgültig wandte sie sich der Treppe zu, und ging nach oben.

Ihr Zimmer war gemütlich eingerichtet. Sie warf ihren Mantel achtlos auf das Bett und sah sich näher um.

Ihr Blick glitt aus dem Fenster und sie sah dem geschäftigen Treiben auf der Straße zu.

Um die Mittagszeit war viel los. Menschen, die in ihrer Mittagspause zum Essen gingen, andere die Erledigungen machten. Kinder säumten die Straße, die nach Schulschluss, auf dem Nachhauseweg waren.

Schlagartig riss sie sich von diesem Anblick los und wandte sich ihrem Koffer zu. Sie hatte sich Zuhause nicht entscheiden können, was sie anziehen sollte. Darum hatte sie mehr eingepackt, als sie brauchte.

Nina zog sich um, entschied sich zum Schluss für ein schönes, schwarzes Kleid in A-Linie und kniehohe Stiefel.

Mit ihrem schwarzen Mantel darüber sah sie anders aus. Sehr elegant. Sie wollte bei den Steinbergs keinen schlechten Eindruck hinterlassen.Ihr hüftlanges Haar tat sie zu einem Zopf zusammen, sah sich zufrieden im Spiegel an und ging hinaus.

Nina beobachtete emotionslos die Menschen, die vor dem Grab standen. Theresia, Andreas Frau, wurde von einem jungen Mann gestützt. Er fiel ihr sofort ins Auge. Theresia war eine unscheinbare Frau. Was hatte ihr Vater an ihr gefunden? Ihr dunkelblondes Haar, war mit grauen Strähnen durchzogen. Ihr Gesicht besaß keinerlei Ausstrahlung, aber es war attraktiv und freundlich.

Nina merkte, wie sie anfing Theresia, zu mögen, obwohl sie sie nicht kannte. Bald wanderte ihr Blick erneut zu dem Mann neben ihr. Irgendetwas durchfuhr ihren Körper und sie sah rasch weg.

Der Sarg verschwand in dem dunklen Loch und Nina musste schlucken. Das Ende eines Lebens.

Sie folgte den anderen Trauergästen und ließ die Erde auf den Sarg herabrieseln. Das Geräusch des Todes. Ein letztes Wahrnehmbares, das von Andreas Steinberg ausging.

Sie starrte hinab in die Grube. Ihr wurde jäh bewusst, dass sie beraubt worden war, einen Satz mit ihm zu wechseln. Ein Gespräch mit ihm zu führen und seine Beweggründe zu erfahren. Warum hatte er seine einzige Tochter aufgegeben?

Sie wandte sich um und ging davon. Mit leisen Schritten ging sie auf das Ende des Friedhofs zu, als Arme ihre Schultern umfassten. Sie schreckte zurück. Ein Mann lächelte ihr schüchtern zu.

»Du bist die Nina, net wahr?«, fragte er. »Robert Steinberg, bin Andreas Bruder.«

Von Neugier erfüllt musterte sie ihren Onkel.

Sie fragte sich, ob er und ihr Vater, sich ähnlichgesehen hatten.

Robert war etwa Mitte 40, und ein Mann mit dunkelgrünen Augen, die ihr vertraut vorkamen.

Jeden Tag wenn sie in den Spiegel sah, sahen sie die gleichen Augen an.

»Wir hätten dich gern kennenglernt, schon viel früher«, sagte er und musterte sie unentwegt.

Nina blieb sprachlos. Was sollte sie sagen?

Dass sie sich gerne die Mühe hätten machen können, sie zu besuchen.

»Ich vermut, du bist alleine hier?«, fragte er.

»Ja«, sagte Nina. »Meine Mutter wollte nicht kommen.«

»Ich versteh sie scho.«

»War er krank?«, fragte sie.

»Darmkrebs. War net mehr viel zu machen. Bleibst eine Weile?«, fragte Robert.

»Ich weiß nicht.«

Robert lächelte. »Es wäre mir eine Freude, wenn du mich besuchen würdest.«

»Vielleicht.« Sie verabschiedete sich und verließ endgültig den heiligen Boden.

Ursprünglich wollte sie morgen zurückfahren, aber sie überlegte es sich anders. Sie wollte ein paar Tage hierbleiben und sich auf die Spuren ihres Vaters begeben.

Was konnte es schaden, ein paar ihrer Fragen zu beantworten.

Es war ein grauer Oktobertag und sie zog ihren Mantel enger um sich, als sie durch die Ortschaft stapfte. Der Ostwind pfiff unaufhörlich um die Häuser und ließ sie frösteln.

An diesem Ort war ihr Vater geboren worden, zurückgekehrt und letztendlich gestorben. All die verschwendeten Jahre, sie waren unwiederbringlich vorbei.

Vor einem Restaurant stieß sie mit jemanden zusammen. Sie hob den Kopf und sah in tiefblaue, strahlende Augen.

Er war es, schrie es in ihrem Kopf. Einen Moment schienen sich beide nicht zu bewegen. Ihre Augen trafen sich. Grün in Blau.

Seine Lippen bewegten sich und sie realisierte, dass er mit ihr redete.

»Wie bitte?«, fragte sie und starrte wie benommen auf seine ausgestreckte Hand.

»Dominik Sturm.«

»Nina Steinberg.«

Ihre Hände berührten sich einen Moment, als sie sich zu einem förmlichen Schütteln umschlossen.

»Hab ich mir gedacht«, sagte er und schenkte ihr ein Lächeln.

»Du hast seine Augen.«

Er legte einen Moment den Kopf schräg und betrachtete sie eingehend. Sie wartete darauf, dass er irgendetwas sagte, aber er blieb still. Stattdessen wandte er den Kopf zur Gaststätte und sie folgte seinem Blick.

»Du bist herzlich eingeladen, zu einem kleinen Umtrunk«, sagte Nick.

»Nein, Danke.«

Nachdenklich verzog er das Gesicht, als er weiter das Gebäude musterte. »Ich wäre jetzt auch lieber woanders. Theresia ist mei Schwester.« Seine Augen glitten zu Nina. »Wir sind überrascht, dass du gekommen bist.«

»Das bin ich selbst«, sagte sie.

Er lächelte und sie tat es ihm nach. »Bleibst noch länger hier?«

»Wahrscheinlich fahr ich morgen zurück«, sagte sie und merkte selbst ihr Zögern.

»Wenn du Lust hast, kann ich dir morgen ein paar Sehenswürdigkeiten von Mierlbach zeigen.«

Er grinste schelmisch und sie tat es ihm nach.

»Ich würd mich freuen«, sagte sie.

Er hob seine Hand, um durch seine, durch den Wind, ruinierte Frisur zu fahren. Die längeren, sandfarbenen, gelockten Haare, standen ihm gut. Ein dicker, goldener Ehering blitzte an seinem Ringfinger auf. Es wäre eher verwunderlich gewesen, wenn er nicht verheiratet gewesen wäre.

Sie sah auf die Uhr. Sie verabredeten sich für morgen und beide gingen ihrer Wege. Sie winkte ihm, als sie um die Ecke bog.

Schweigend, jeder seinen Gedanken nachhängend, fuhren sie am nächsten Morgen durch das Dorf. Verwirrt beobachtete sie, wie er aus dem Dorf fuhr, um gleich an einem Waldstück zu parken.

»Das sind wohl die Mierlbacher Wälder, die größte Sehenswürdigkeit auf der ganzen Welt«, sagte sie ironisch.

Er lachte und stieg aus und sie tat es ihm nach. »Nicht so ganz.«

Eine Spur von etwas Geheimnisvollen, umschloss seine Worte.

Was auf sie warten würde?

Nina hoffte, seine Frau wusste es zu schätzen, so einen Mann zu haben und hielt ihn fest. Er musterte sie eingehend. Der Mistkerl flirtete mit ihr.

»Du bist sehr schön«, sagte er, hob seine Hand und strich ihr eine Haarsträhne hinter die Ohren.

»Oh bitte.« Sie verdrehte die Augen und er lachte auf.

Schweigend folgte sie ihm weiter durch den Wald und sie fragte sich, wie sie ihn einschätzen sollte. Auf der einen Seite wirkte er nett und introvertiert. Auf der anderen Seite selbstbewusst und machte keinen Hehl daraus, dass sie ihm gefiel. Die Routine dahinter zeigte ihr seine Erfahrung damit. Wie oft hatte er seine Frau betrogen? Bei ihm würde sie eine weitere Frau auf einer endlosen Liste sein.

»Wir sind da«, sagte er.

Seine ausgestreckte Hand deutete auf das Holzhaus, das zwischen den Bäumen stand. Nina war einen Moment sprachlos, staunte über das einfache, alleinstehende Haus. Sie rieb sich die Augen. Es würde sie nicht überraschen, wenn die Holzbretter aus Lebkuchen bestanden hätten und die Türklinke aus Zucker. Ein Haus im Wald? Das gab es im Märchen, nicht in der Realität.

Warum hatte er sie hierher geführt?

»Dein Vater hat´s dir vererbt, er bat mich drum, es dir zu zeigen, falls du hierherkommen solltest.«

Sie starrte ihn mit offenen Mund an. »Mir?«

Das kam überraschend. »Warum mir?«, fragte sie.

Er zuckte die Achseln. »Deine Oma hat früher hier glebt. Seit Jahren steht`s leer, aber er hats in Schuss gehalten«, sagte er.

Fasziniert betrachtete sie es eingehend. Es war komplett aus Holz gebaut. Nina trat auf die kleine Veranda, worauf eine Bank aus dunklem Holz stand, direkt vor einem Fenster. Sie strich über das alte Holz, das die besten Tage hinter sich hatte und warf einen Blick durch das Fenster. Eine weiße, altmodische Küche, wurde sichtbar.

Sie sah zu Nick, der lächelnd den Schlüssel aus seiner Hosentasche zog. Geruhsam folgte sie ihm in das eiskalte Haus.

Ein Hauch von Staub und starkem Reinigungsmitteln lag in der Luft, als sie in den kleinen Flur trat. Vor ihr lag die Küche, die sie durch das Fenster gesehen hatte. Was sie nicht gesehen hatte, war die weiße Eckbank auf der anderen Seite des Raums.

Der Rest des Hauses war gleich besichtigt. Oben waren drei Schlafräume und unten ein kleines Badezimmer, das Wohnzimmer lag direkt neben der Küche.

Nina konnte nicht begreifen, warum ihr Vater das gemacht hatte. Warum hatte er es nicht Theresia überlassen?

Seltsam benommen, nahm sie Nicks Einladung zum Essen an.

Sie fuhren zurück ins Dorf und betraten ein kleines Restaurant direkt am Marktplatz. Nina sah sich darin um, als sie an einem Tisch am Fenster saßen. »Es erinnert mich an das Restaurant meines Stiefvaters«, sagte Nina.

»Deine Eltern haben eine Gastronomie?«, fragte Nick.

»Nur Mario, mein Stiefvater.«

»Schön, dass dei Mutter wieder jemanden gefunden hat«, sagte er.

»Kennst sie?«, fragte Nina.

»Nicht wirklich. Dein Vater war ein paar mal mit ihr hier, da war ich ein kleiner Junge. Ich kann mich gut an sie erinnern, mein Bruder war Andreas bester Freund.«

»Ihr habt noch nen Bruder?«, fragte sie.

»Ja«, sagte er.

»Du kanntest mein Vater gut?«, fragte sie. »Weißt du, warum er mich nie bsucht hat?«

»Is schlimm, nicht wahr? Ich bin auch ein Scheidungskind«, sagte er. »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, er hat nie drüber gesprochen und ich habe ihn nie gefragt. Ich weiß, dass er dich geliebt hat.«

»Wenn er mich geliebt hätte, dann hätt er sich ab und zu um mich gekümmert.«

»Da hast wohl recht«, sagte er.

Nick war ein interessanter Mann. Sie wurde nicht aus ihm schlau. Am nächsten Morgen würde sie es weniger von sich behaupten können.

Zweites Kapitel

Eindeutig zu viel Alkohol. Dies war die einzige Erklärung, dass Nick bis auf ihr Zimmer vorgedrungen war. Der Mistkerl war am Morgen verschwunden. Ninas Kopf dröhnte, als sie mit einem Kater im Genick aufwachte. Das Bett verlassen und leer.

Die zerknautschten Laken zeugten davon, was in der vergangenen Nacht passiert war. Keine Nachricht. Was erlaubte er sich!

Sie zog die Bettdecke zurück und stand auf. Am Rande hatte er erwähnt, dass er viele Termine hatte. Zumindest hätte er eine Nachricht hinterlassen können.

Nina zog sich ihren dicksten Pulli an, den sie eingepackt hatte, ihre Lieblingsjeans und ihre Stiefel. Es war Zeit sich ihr Häuschen genauer anzusehen.

Der Weg war nicht schwer zu finden, wenn man ihn kannte.

Völlig bezaubert, betrachtete sie erneut das kleine Holzhaus, als sie durch die Bäume trat. Welchen Grund, hatte ihn veranlasst, es ihr zu vererben?

Sie ging darauf zu und blieb stehen. Ein komisches Gefühl beschlich sie. Es herrschte eine andere Atmosphäre, als außerhalb des Waldes. Gestern war ihr das nicht aufgefallen, weil sie durch Nick abgelenkt gewesen war.

Sie hörte ein Rascheln hinter ihrem Rücken und fuhr herum. Es war nichts zu sehen. Ihr wurde bewusst, wie einsam das Haus lag. Abermals dieses Geräusch. Angestrengt starrte sie umher. Möglicherweise ein Tier auf Beutejagd. Ihr ging ein Frösteln durch den Körper. Ihr Verstand glaubte nicht daran. Ein ungutes Gefühl nahm ihr Innerstes gefangen. Ihr war, als wäre gerade ein Schatten hinter dem Haus verschwunden. Hatte nicht gerade jemand gelacht?

Erlaubte sich Nick einen Scherz mit ihr? Wer sollte sich in diesem einsamen Stück Wald herumtreiben? Ein weiteres Rascheln und nun schien es von der anderen Seite des Hauses zu kommen. Genau dort, wo gerade jemand verschwunden war. Sicher war es Nick. Mit großen Schritten ging sie um das Haus herum und wollte gerade mit einer Schimpftirade starten.

Ihr Mund schloss sich schlagartig. Von Nick war weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen stand ein kleines Mädchen vor den nackten Bäumen. Den Rücken ihr zugewandt.

»Hallo«, sagte Nina. Sie sah sich um, ob nicht ihre Eltern in der Nähe waren. Da war niemand sonst. Ihr rötliches Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre Haut war durchscheinend blass. Jede Ader zeichnete sich auf der bleichen Haut ab. Das geblümte Sommerkleid, das sie trug, passte nicht zu der herbstlichen Jahreszeit. Wie konnte man sein Kind derart aus dem Haus gehen lassen?

»Hallo. Bist du allein hier?« Nina ging auf sie zu. »Hast du dich verlaufen?«

Sie trat hinter sie und wollte eine Hand auf ihre Schulter legen.

Im selben Moment drehte sie sich um. Nina starrte in die