Wenn Weihnachten so einfach wär - Zara Stoneley - E-Book
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Wenn Weihnachten so einfach wär E-Book

Zara Stoneley

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Beschreibung

Die verschneiten Rocky Mountains und ein Weihnachtsmuffel zum Verlieben

Sarah ist stocksauer. Sie hat schon wieder einen Beschwerdebrief über die Ferienanlage Shooting Star Mountain Resort und deren unfreundlichen Besitzer Will Armstrong erhalten. Das kann ihre Reiseagentur nicht auf sich sitzen lassen, und so beschließt Sarah kurzerhand, selbst nach Kanada zu fliegen, um diesem unverschämten Kerl einmal die Meinung zu sagen. Doch als sie Will unverhofft in die Arme läuft, kann sie es kaum glauben: Unverschämt mag der Hotelbesitzer zwar sein, doch unglaublich attraktiv ist er auch …

»Das perfekte Mittel gegen Winterblues!« Debbie Johnson

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Seitenzahl: 496

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Das Buch

Das Shooting Star Mountain Resort ist der absolute Geheimtipp der Reiseagentur von Sarah und ihrer Tante Lynn. Als Kind verbrachte Sarah hier in den schneebedeckten Bergen ein unvergessliches Weihnachtsfest. Doch nun häufen sich die Beschwerden von Gästen, die das weihnachtliche Flair vermissen. Als Tante Lynn auch noch verkündet, dass Sarah dieses Jahr Weihnachten alleine feiern muss, ist klar, wo die Reise für Sarah hingeht. Angekommen in den Rocky Mountains, stellt sie erschrocken fest, dass das Resort offenbar vor dem finanziellen Ruin steht. Kein Wunder, wenn der Besitzer sich wie der Grinch höchstpersönlich aufführt. Warum nur weigert sich Will, Schneeballschlachten zu veranstalten und Weihnachtsdeko aufzuhängen? Sarah will dem Resort wieder zu altem Glanz verhelfen. Doch dazu muss sie dem Weihnachtsmuffel erst mal zeigen, wie schön Weihnachten wirklich sein kann.

Die Autorin

Für Zara Stoneley gibt es nichts Schöneres, als über Freundschaft, Liebe und Happy Ends zu schreiben. Mit ihrer Familie, ihrem Hund Harry und ihrer Katze Saffron lebt sie in Cheshire, einer Kleinstadt im Nordwesten Englands. Wenn Weihnachten so einfach wär ist ihr erster Roman bei Heyne.

ZARASTONELEY

Wenn Weihnachten so einfach wär

ROMAN

Aus dem Englischen von Jens Plassmann

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel No One Cancels Christmas bei HarperImpulse.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Deutsche Erstausgabe 11 / 2019Copyright © 2018 by Zara StoneleyCopyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenRedaktion: Rabea GüttlerUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Shutterstock / © rangizz (Schneeflocken); Shutterstock / © Mikael Damkler (Haus); Shutterstock / © Lilkar (Lichterkette); Shutterstock / © Pink Panda (Paar)Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN978-3-641-24979-3V001www.heyne.de

Für meine wundervolle Schwester Lynn, die mindestens so großherzig und liebenswert ist wie ihre Namensschwester in diesem Buch

Teil 1

Weißglut und Rauschgold

1

Sehr geehrte Miss Hall,

normalerweise zähle ich nicht zu den Menschen, die sich beschweren, aber (wer schon so anfängt, zählt in der Regel genau zu diesem Typ, und das »aber« ist der Beweis) in diesem Fall kann ich nicht anders.

Wir haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Reisen über Ihre Agentur gebucht, und Ihre Tante hat stets dafür Sorge getragen, dass wir die absolut besten Angebote bekamen. Wir haben einander zu Weihnachten sogar Karten geschickt!

»Und obwohl es mir fernsteht, Ihnen die Schuld geben zu wollen … Pah! Verdammter Heuchler! Das ist doch passiv-aggressiv in reinster Form.« Die laute Stimme direkt an meinem Ohr lässt mich zusammenschrecken.

»Lies es nicht auch noch vor, Sam! Mir langt’s völlig, es selbst vor Augen zu haben. Außerdem dachte ich, du bist damit beschäftigt, diese Kreuzfahrt für die Nifty Fifty’s Gin Drinkers Association zu buchen.«

»Bin ich auch. Oder war ich. Aber dann hast du diesen Untersetzer regelrecht zerstört, und da war mir klar, dass etwas nicht stimmt.«

»Es ist schon wieder wegen diesem dämlichen Will Armstrong aus dem Shooting Star Mountain Resort – am liebsten würde ich den Kerl erwürgen!« Kundenbeschwerden erhalten wir eigentlich nur selten, aber diese Urlaubsanlage und ihr unfreundlicher Betreiber haben in letzter Zeit gleich für mehrere gesorgt. Und diese letzte Beschwerde wiegt besonders schwer, da ich darin persönlich für die Mängel verantwortlich gemacht werde, obwohl ich gar nichts dafür kann. »Dem Depp genügt es nicht, seinen eigenen Laden gegen die Wand zu fahren, der richtet uns gleich mit zugrunde.«

»Ach, komm, so schlimm wird’s schon nicht werden. Der Typ allein kann doch nicht Making Memories in Schwierigkeiten bringen. Oder?«

Ich richte den Zeigefinger auf den Bildschirm, antworte aber lieber nicht.

Prompt nimmt Sam ihren Vortrag wieder auf: »… können wir nicht nachvollziehen, warum Sie ausgerechnet das Shooting Star Mountain Resort empfohlen haben, da es doch eindeutig überteuert und personell unterbesetzt ist. Bei Lynn sind die Reisen früher immer ihr Geld wert gewesen, und wir haben ferner herrliche Urlaube verbracht. Ferner? Wer redet denn so?«

»Jemand, der ganz und gar nicht zufrieden ist. Lies weiter. Übrigens klingst du ein bisschen wie deine Mum.«

Sie ignoriert meinen Einwurf bezüglich ihres aufgesetzten Tonfalls – der dem eines stark angesäuerten Cottage-Besitzers aus feinstem Londoner Umland gleicht – und fährt fort: »Unser Zimmer war, offen gesagt, regelrecht ekelhaft. Die Bettwäsche war zwar sauber, aber ungebügelt.« Sam unterbricht ihre Tirade. »Ungebügelt? Wovon spricht der Mann? Ich verstehe überhaupt nicht, was ihn daran so anwidert. Du etwa? Ich bügele meine Bettwäsche nie. Das ist wie mit Socken oder Slips. Wer hat schon Zeit, Sachen zu bügeln, die nie jemand zu Gesicht bekommt? Bügelst du deine Bettwäsche?«

»Bekommt nicht zumindest Jake deine Bettwäsche zu sehen? Zusammen mit diesen anderen kleinen Wäschestücken?«

»Na ja, schon, aber Knitterfalten verschwinden doch beim Dehnen, hab ich recht?«

»Ich bügele alles. Ich finde immer, ein frisch gebügelter glatter Slip mit der Naht akkurat in der Mitte besitzt einen gewissen Sex-Appeal.«

Sie starrt mich mit offenem Mund an.

Ich muss schallend lachen. »Mein Gott, Sam, glaubst du im Ernst, ich würde irgendwas bügeln? War doch nur Spaß. Lies weiter.«

Sie mustert mich misstrauisch und räuspert sich. »Du bügelst nicht wirklich deine Slips, oder?«

»Nein. Ganz ehrlich nicht. Und jetzt los, bevor noch Kundschaft kommt.«

»Das Essen war von stark schwankender Qualität und in der Regel lauwarm. Wir setzten unsere letzte Hoffnung auf ein Gespräch mit dem Manager, der sich jedoch kurz angebunden und mürrisch bis an die Grenze zur Grobheit gab und nur vorschlug, dass wir den Aufenthalt in unserer Hütte vorzeitig abbrechen könnten, sollte es uns im Resort nicht gefallen. Wie soll uns der Aufenthalt dort gefallen, wenn einer seiner bösartigen Huskys unsere Tochter Ruby angegriffen hat? Der Vorfall hat – da bin ich mir sicher – langwierige Folgeschäden bei ihr verursacht. Sie schreit seitdem, sobald sich ein Hund auch nur nähert (und das gilt auch für unsere kleine Pippin, die keiner Fliege etwas zuleide tut). Wegen dieser Angstschreie unserer Tochter hat Pippin sogar meine Frau gebissen, und jetzt ist der Hund so nervös und unberechenbar, dass wir ihn in tierärztliche Behandlung geben mussten. Auch Ruby ist bereits für eine Therapie angemeldet. Meine Frau kann währenddessen mit ihrer bandagierten Hand nur unter großen Schmerzen Klavier spielen – und sie ist Musiklehrerin! Ich habe Ihren Empfehlungen bislang stets vertraut, hege inzwischen jedoch den Verdacht, dass dieser Fehlschlag Ihrer mangelnden Erfahrung …«

Als sie diese Stelle vorliest, entfährt mir unwillkürlich ein Aufschrei. Sam und ich starren einander an. »Mangelnde Erfahrung! Ich weiß gar nicht, wen ich mehr hasse, ihn oder Will Armstrong.«

»… geschuldet ist. Da wir keinen früheren Rückflug finden konnten und die Hotels in der Nähe alle ausgebucht waren, mussten wir den Rest unseres Urlaubs in bedrückender Atmosphäre und tief begraben unter mächtigen Bettdecken verbringen, da die Heizung bei Weitem nicht den Erfordernissen entsprach. Na, immerhin haben sie Decken bekommen.«

Wie gewöhnlich betrachtet Sam die Sache von der positiven Seite. Ich verdrehe die Augen und deute auf den Bildschirm.

»Ich bin mir sicher, dass Ihr Dachverband ABTA oder die Fernsehredakteure von Watchdog den hier aufgelisteten Mängeln mit größter Bereitwilligkeit nachgehen würden. Als Zeichen des guten Willens bin ich jedoch bereit, Ihnen zuvor Gelegenheit zu geben, uns eine Rückerstattung der gesamten Reisekosten sowie eine angemessene Entschädigung für alle entstandenen Unannehmlichkeiten anzubieten. Angefügt finden Sie eine komplette Aufstellung der angefallenen Kosten. Um baldmöglichste verbindliche Antwort wird gebeten. Sollte ich innerhalb der nächsten sieben Werktage keine Antwort erhalten, werde ich die Angelegenheit meinem Anwalt übergeben. Mit freundlichen Grüßen. Stephen Latterby. Bla, bla, bla«, fügt Sam an. Den erbosten Spießerton hat sie abgelegt. »Scheiße, schau dir das an, Sarah! So viel verlangt ein Hundepsychologe? Wow, ich glaub, ich schule um.«

Ich werfe einen Blick in den Anhang, was ich besser hätte bleiben lassen. »Hast du gesehen, was er insgesamt von uns fordert?« Mir wird schwindlig. »Wenn wir das berappen müssen, sind wir pleite. Lynn bringt mich um!«

»Aber die Sache ist doch nicht deine Schuld. Ich denke, an dieser Stelle dürfte ein kleiner Zucker- und Koffeinschuss angebracht sein. Ich spring rasch zu Costa rüber und hol uns etwas zu trinken und einen Schokobrownie. Unternimm nichts, bis ich wieder zurück bin!« Sie fixiert mich mit erhobener Braue. »Ich meine das ernst. Versprochen?«

»Gar nichts?«

»Na, atmen und solche Sachen schon, aber antworte bitte nicht auf diese Mail. Darüber solltest du erst sehr genau nachdenken.« Sie weiß, wie impulsiv ich reagieren kann. »Und sprich mit Lynn. Ich meine, was ist, wenn dieser Kerl uns tatsächlich verklagt? Wenn die in Watchdog über uns berichten, wird meine Mum mir das bis ans Ende ihrer Tage unter die Nase reiben.«

Eine Weile verfallen wir wieder in Schweigen und starren uns an. Wahrscheinlich geht ihr gerade das Thema Hundepsychologie durch den Kopf. Mich dagegen beschäftigt vor allem die Frage, wie viel körperlichen Schaden man jemandem zufügen darf, ohne dafür in den Knast zu wandern.

»Ich werde nicht antworten«, versichere ich, womit mir gewisse Optionen allerdings weiter offenstehen. So erlaubt es mir durchaus, stattdessen Mr. Will Armstrong eine satte Ladung aufs Fell zu brennen.

Jetzt geht es nicht länger bloß darum, endlich mal ein paar Stechpalmenzweige als Weihnachtsdeko aufzuhängen oder die Kamine zu befeuern (was ich ihm beides bereits mehrmals empfohlen habe – ohne jede Resonanz). Dieser Fall ist weit ernster.

Ich kremple die Ärmel hoch. Was auch immer der Typ für ein Problem hat, uns wird er jedenfalls nicht mit ins Verderben ziehen. Wenn hier jemand Klageschriften einreicht, dann nicht Mr. Latterby oder irgendein anderer unzufriedener Kunde, sondern wir.

Wir müssen als diejenigen auftreten, die agieren. Mein Blick wandert zum Foto von Tante Lynn an der Wand. Sie sieht darauf so glücklich aus, so voller Lebensfreude. Genau so, wie sich jeder nach einem gelungenen Urlaub fühlen möchte. Wir müssen zeigen, dass wir uns dafür einsetzen.

Sehr geehrter Mr. Armstrong,

anbei ein Brief, den wir soeben von einem geschätzten Kunden erhielten.

Und wie weiter? Ich google nach gesetzlichen Vorschriften für die Haltung gefährlicher Hunde.

Bitte richten Sie Ihre Aufmerksamkeit doch einen Moment auf den Absatz, der Ihren Hund betrifft. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Ihre Risikobewertung zukommen lassen könnten, was die Haltung dieser Tiere angeht. Meines Wissens sollten gefährliche Hunde stets einen Maulkorb tragen, und Kontakt mit Fremden sollte nur unter Aufsicht erlaubt sein. In diesem Fall macht es jedoch den Anschein, als hätte keiner dieser Punkte Berücksichtigung gefunden, was für uns wiederum Anlass zu großer Sorge ist, da wir (ebenso wie Sie) für das Wohlergehen unserer Kunden Verantwortung tragen, und wir daher erwarten, dass gefährliche Tiere nicht einfach frei und unbeaufsichtigt herumlaufen.

Des Weiteren bemängelt unser Kunde den Zustand der zugewiesenen Blockhütte sowie die Qualität der angebotenen Mahlzeiten. In diesem Zusammenhang würde ich Sie gerne an die Beschreibung in Ihrem Prospekt (und die darin abgedruckten Abbildungen) erinnern, die ausdrücklich eine »wohlige, komfortable Unterbringung, prasselnde Kaminfeuer und ein Restaurant, das mit seinen Speisen und Getränke einen perfekten Tag abrundet« verspricht.

Lassen Sie mich abschließend auch noch meine Bedenken hinsichtlich des Auftretens des Personals zum Ausdruck bringen. Während der Umgang mit den Gästen in der Vergangenheit meist als aufmerksam und herzlich beschrieben wurde, klagt unser Kunde nun über die grobe Behandlung. Mängel in Ihrem Service fallen stets auch auf uns zurück, und ich habe leider den Eindruck, dass sich unsere geschäftlichen Beziehungen derzeit einem Punkt nähern, an dem eine Fortsetzung untragbar ist.

Dies ist eine äußerst schwerwiegende und ernste Angelegenheit, und ich wäre für eine möglichst umgehende Antwort dankbar, da ich mich andernfalls gezwungen sähe, rechtliche Schritte einzuleiten.

Mit freundlichen Grüßen

Sarah Hall

Reisebüro Making Memories

Ich klicke auf »Senden« und starre zum Fenster hinaus. Und jetzt? Will Armstrong reagiert grundsätzlich nicht auf E-Mails, nicht einmal auf betont lockere der Art »Gemeinsam findet sich schon eine Lösung«. Warum sollte er ausgerechnet auf eine Beschwerde reagieren? Vielleicht hat Sam recht, und es wäre besser, Tante Lynn anzurufen. Aber das will ich nicht. Diesmal nicht. Diesmal muss ich es alleine regeln.

Ein helles Ping vom Computer. Der Posteingang. Mein Gott, eine Mail vom Shooting Star! Verdammt, wenn er antwortet, bedeutet es, dass die Sache offenbar tatsächlich ernst ist und dass er ebenfalls der Ansicht ist, dass wir aktiv werden müssen. Auweia, wenn uns das nicht mal in den Ruin treibt! Tante Lynn wird mir das nie verzeihen.

Sehr geehrte Miss Hall,

ich habe den Eindruck, Sie überreagieren da ein wenig. Die Familie Latterby hat keinerlei begründeten Anlass, Sie zu verklagen oder eine Erstattung sämtlicher Kosten für sich selbst oder ihren Hund zu verlangen (wobei der Hund gewiss dringend psychologische Hilfe benötigen dürfte, wenn er tagtäglich dieser häuslichen Situation ausgesetzt ist). Auch auf die Gefahr hin, unprofessionell direkt zu klingen, würde ich Mr. Latterby der Kategorie »chronische Nörgler mit überzogener Erwartungshaltung« zurechnen.

Unsere Huskyhündin Rosie befand sich zum Zeitpunkt des besagten Zwischenfalls in ihrem Gehege. Die Tochter der Latterbys hat sich nicht davon abhalten lassen, dorthin zu gehen und die Hunde mit den Resten ihres Abendessens (das lauwarme, mit der stark schwankenden Qualität) zu füttern, obwohl überall Schilder hängen, die dies ausdrücklich untersagen, und weitere Schilder darauf hinweisen, dass den Gästen ein Betreten des Bereichs, wo die Hunde untergebracht sind, nur in Begleitung des zuständigen Personals gestattet ist.

Rosie, die kurz zuvor erst Welpen bekommen hat, reagierte auf die Störung, indem sie gegen den Zaun sprang, woraufhin das Kind der Latterbys ausrutschte, auf ihr wohlgepolstertes Hinterteil fiel und das ganze Haus zusammenschrie. Es wurde kein Blut vergossen, obwohl ich gute Lust verspürte, daran etwas zu ändern, da mir das Wohlergehen unserer Tiere sehr am Herzen liegt.

Was den groben Ton betrifft, so fällt es in der Tat schwer, die Beherrschung zu wahren, wenn Gäste beharrlich Wellnesseinrichtungen und Feinschmeckermenüs einfordern, obgleich aus unserem Prospekt und Internetauftritt unmissverständlich hervorgeht, dass so etwas nicht zu unserem Angebot zählt. Und wer im Winter nach Kanada reist, sollte der nicht mit frostigen Temperaturen rechnen? So gerne ich auch Petrus spielen würde, aber an den Wetterverhältnissen kann ich leider Gottes nichts ändern.

Ich schlage vor, Sie benutzen all Ihr taktisches und diplomatisches Geschick und all Ihre Sozialkompetenz dazu, die Herrschaften davon zu überzeugen, das nächste Mal besser nach Australien zu reisen. Ich für meinen Teil bin jedenfalls nicht gewillt, irgendwelche Entschädigungen oder Rabatte zu gewähren. Allerdings kann ich Ihnen, so Sie das möchten, gerne die Adresse eines guten Anwalts geben.

Antwort ernst genug für Sie?

Grüße

Will Armstrong

»Ach, du meine Güte. Wie ist der denn drauf?«

Ich habe Sam gar nicht zurückkommen gehört.

Zu der Frage kann ich allerdings auch nichts sagen, weil mir selbst völlig unklar ist, wie dieser Mensch tickt. »Jedenfalls scheint er es einfach nicht kapieren zu wollen.«

»Na ja, um seine Hunde wirkt er schon besorgt.«

»Stimmt.« Und gerade der Punkt stört mich. Wohlgemerkt nicht die Tatsache, dass er um seine Hunde besorgt ist (wer würde einem Mann einen Vorwurf daraus machen, wenn er seine Haustiere liebt und schützt?), sondern vielmehr, dass er mit seiner Antwort doch nur demonstriert, wie wenig ihm sein eigentliches Fehlverhalten bewusst ist. »Er hat schlicht keinerlei Sinn für Kundenservice, hab ich recht? Ich meine, natürlich können Kunden mitunter Nervensägen sein …«

»Wem sagst du das?«, wirft Sam ein und verdreht dabei die Augen.

»Aber er arbeitet nun mal im Dienstleistungssektor. Selbst wenn dieser Beschwerdebrief nichts als ein Haufen Quatsch ist«, was ich selbst für durchaus wahrscheinlich halte, »und hier nur jemand möglichst dick aufträgt, um seinen Schnitt zu machen, entbehren doch nicht alle Kritikpunkte zwangsläufig jeder Grundlage, oder? Schau dir doch nur die Bewertungen im Internet an …«

»Mich musst du nicht überzeugen, Sarah.«

»Ich weiß«, sage ich stöhnend. »Vielleicht sollte ich ihm mal ein Bündel davon zukommen lassen. Aber bestimmt würde er die nur ungelesen in den Papierkorb schieben, und irgendwelche konstruktiven Änderungsvorschläge sind von ihm sowieso nicht zu erwarten.« Will nervt mich wirklich ungeheuer. Auch wenn er sich um gewisse Dinge durchaus zu kümmern scheint und nicht in allem unrecht haben mag. »Dann stinkt es ihm eben, wenn Leute ankommen und eine Rundum-Wellnessumsorgung erwarten oder zehn verschiedene Ginsorten an der Bar, aber warum kapiert er nicht, dass es die vielen kleinen Dinge sind, die den Unterschied ausmachen? Und – « Ich fühle mich plötzlich schrecklich erschöpft und massiere mir die Augen. »Vor allem begreift er kein bisschen, was er uns damit antut. Seinetwegen gehen wir noch pleite! Und«, ich fixiere noch einmal die E-Mail, »er könnte wenigstens einen höflichen Ton anschlagen.«

»Na schön, er klingt angefressen, aber wirklich grob ist der Ton nicht. Eher sauer eben. Oder auch bloß bestimmt. Vielleicht ist er nicht gewohnt, mal selbst einen Fehler einzugestehen.« Sam drückt meine Schulter und gibt mir einen Kaffee und einen mächtigen Heidelbeermuffin. »Mit dem möchte ich mich lieber nicht anlegen, du etwa?«

»Ich fürchte, mir wird nichts anderes übrig bleiben.« Mit solch einem polternden Typen, der glaubt, selbst stets im Recht zu sein, wird man wahrscheinlich am ehesten fertig, wenn man ihn frontal attackiert und ihm sein Fehlverhalten direkt vor Augen hält.

2

Sehr geehrter Mr. Armstrong,

zu meinem größten Bedauern muss ich Ihnen auf diesem Wege mitteilen, dass Sie mir tatsächlich extrem auf die Nerven gehen. Den Kopf einfach in den Sand zu stecken, ist weder ein Zeichen von menschlicher Größe noch ist es besonders clever. Wenn Sie unbedingt den Weihnachtsverächter spielen wollen, dann ruinieren Sie sich gefälligst Ihr eigenes Fest, aber lassen Sie das pubertäre Gehabe, und denken Sie auch mal an andere Menschen und nicht nur an sich selbst. Einfach mal runterkommen vom Sockel, der Herr. Das Geld unserer Kunden nehmen Sie doch auch mit Freuden, also verkneifen Sie sich die Scrooge-Nummer von wegen Weihnachten ist Humbug, schmücken Sie Ihre verflixten Hallen mit festlichem Stechpalmengrün, und beantworten Sie verdammt noch mal die Mails, die ich Ihnen schicke!

Herzlichst und mit

vorweihnachtlichen Küsschen

Sarah xxx

Reisebüro Making Memories

Ich hämmere den letzten Buchstaben auf den Bildschirm und lehne mich zurück. Unwillkürlich schießen meine Arme im Triumph nach oben und streifen etwas Weiches, Nachgiebiges, das dort nicht sein sollte, und ein Aufschrei folgt.

»Autsch!« Sam presst eine Hand auf ihre Nase und verzieht gequält das Gesicht.

»Was machst du denn da, mir einfach so über die Schulter zu sehen?«

Sie ignoriert die Frage und drückt stattdessen prüfend ihre Nase, was ihren Worten einen komischen Klang verleiht. »Das kannst du unmöglich abschicken, Sarah!«

»Warum nicht? Ich fange wirklich an, den Kerl zu hassen.« Unmittelbar nach der gestrigen Drohung, auf Schadensersatz verklagt zu werden, ist heute Morgen im Büro gleich die nächste Katastrophe über mich eingebrochen. Meine letzte Mail mag Will Armstrong vielleicht nicht sonderlich ernst genommen haben, aber heute werde ich sicherstellen, dass das nicht noch mal passiert. Selbst wenn es dem Stil ein wenig an professioneller Sachlichkeit mangeln sollte.

»Trotzdem kannst du doch nicht einfach – «

»Du meinst, ich hätte was anderes als ›auf die Nerven gehen‹ sagen sollen? War das noch zu zahm? Bei dem Teil bin ich auch unsicher gewesen.«

»Herrgott, Sarah. Du kannst so was überhaupt nicht schreiben. Was würde Lynn dazu sagen? Lösch es! Alles! Sofort!« Ihre Stimme wird immer schriller.

»Hör auf, so an meinem Stuhl zu zerren.« Ich kralle mich inzwischen bereits mit den Fingerspitzen am Schreibtisch fest und fürchte, dass ich auf den Rollen durch den ganzen Raum bis in die große Topfpflanze rausche, sobald ich loslasse. Es wäre nicht das erste Mal. »Findest du es zu heftig?«

»Viel zu heftig.« Sie hat ihre Versuche eingestellt, mich vom Schreibtisch wegzuziehen. Jetzt nickt sie nur energisch und reibt sich zeitgleich die Nase.

»Alles okay?«

»Klar.« Es klang eher wie Klee. »Alles war super, bis du am Ende deine Arme hochwerfen musstest und mir dabei mit dem Ellbogen eine verpasst hast.«

»Hab ich das?«

»Du wirfst immer die Arme in die Luft, wenn du besonders zufrieden bist mit dem, was du getan hast.«

»Tu ich das?« Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass ich das nicht tue, aber da ich meiner besten Freundin gerade die Nase plattgehauen habe, ist dies wohl nicht der angemessene Zeitpunkt für Widerspruch. »Aber du hast herumgeschnüffelt. Du wirst deiner Mum mit jedem Tag ähnlicher!« Ich liebe ihre Mum, und das weiß Sam. Uns ist allerdings auch beiden klar, dass Ruth die beeindruckende Fähigkeit besitzt, sich wie ein Ninja anzuschleichen, um die privaten Gespräche anderer zu belauschen.

»Nein, werd ich nicht! Sie hört ständig mit bei Dingen, die sie nichts angehen. Das hier geht mich etwas an. Das ist rein geschäftlich, und du kannst es unmöglich abschicken. Was ist denn jetzt schon wieder vorgefallen?«

Sie hat recht. Es ist rein geschäftlich. Und in Bezug auf die E-Mail liegt sie womöglich auch nicht ganz falsch.

»Stimmt schon. Viel zu viele Küsschen. Immerhin kenne ich den Mann kaum.« Ich lösche das letzte X und muss mich bremsen, nicht wieder die Arme in die Luft zu reißen. »Was ganz sicher nicht an mir liegt. Hätte der Mann auf meine Kontaktversuche reagiert, würde es mittlerweile bestens brummen zwischen uns beiden. So aber bekomme ich ihn einfach nicht gepackt, den Deppen.«

Sam zieht sich kichernd an ihren Schreibtisch zurück, womit sie eine Armlänge Abstand zwischen uns schafft.

»Sehr lustig«, schiebe ich nach. »Du weißt genau, dass ich das nicht so gemeint habe!«

Obwohl meine beste Freundin und geschätzte Arbeitskollegin Sam mich inzwischen schon einige Jährchen kennt, nimmt sie meine Sprüche noch immer viel zu ernst. Sie ist zu leichtgläubig. Oder weise. Womöglich ist sie ja derart weise, dass sie genau durchschaut, wie sehr es mir im Zeigefinger juckt, bei dieser E-Mail auf »Senden« zu klicken, auch wenn man denken könnte, ich würde nur herumalbern.

Was sie allerdings nicht weiß, ist, warum der Kerl mich so auf die Palme gebracht hat. Ich gehe zwar möglichst cool damit um und mache meine Witzchen, aber innerlich frisst es an mir.

Es fühlt sich an, als würde ein Teil von mir zerstört, und heute Nacht im Bett habe ich den Entschluss gefasst, es nicht zuzulassen, dass ein völlig Fremder mir so etwas antut. Uns so etwas antut.

Sam schiebt eine Packung Hobnobs in meine Richtung. »Wahrscheinlich hat er Angst vor dir.«

Ich merke, wie ich die Zähne aufeinanderpresse. Das mache ich immer, wenn ich sauer bin. Meine Therapeutin meinte, es sei wichtig, dass ich mir das abgewöhne, weil ich sonst beim Sprechen wütend klinge. Gleichzeitig sagte sie aber auch, ich solle meine Gefühle offen zum Ausdruck bringen. Wie passt das bitte schön zusammen? Ich fühle mich wütend und zeige es eben, indem ich durch zusammengebissene Zähne spreche. Langsam verfestigt sich bei mir der Verdacht, dass das meiste, was diese Frau erzählt, blanker Unsinn ist.

Ich atme tief durch, entspanne mich und reagiere meinen Frust an einem der knusprigen Kekse ab. »Vor mir muss keiner Angst haben. Richtige Männer wissen diese direkte Art vielmehr sehr zu schätzen.« Ich versuche, die Krümel von der Tastatur zu blasen. Das D schwächelt bereits ein wenig, wenn jetzt noch E und P den Geist aufgeben, kann ich eins meiner Lieblingsworte nicht mehr tippen.

»Vielleicht ist er in Wirklichkeit sogar ganz nett«, spekuliert Sam. »Ich sehe mir mal deren Website an. Wie heißt er noch?« Sie piekt mich in die Seite, als ich nicht sofort antworte.

»Armstrong.«

»Vorname?«

»William.« Ich kann mir ein genervtes Aufstöhnen nicht verkneifen.

Sam wirbelt auf ihrem Stuhl zurück in Richtung Computer und tippt in rasanter Folge ein paar Tasten.

Das Klappern bricht ab, und ich ahne schon, was nun kommt.

»Oh, wow. Der ist …« Sie verstummt, neigt den Kopf zur Seite und studiert den Bildschirm. Dann stützt sie das Kinn auf die Hand und schweigt.

»Na, gerätst du ins Schwanken?«

»Quatsch.« Sie straft mich mit ihrem besten Schuldirektorinnenblick. »Aber hast du ihn dir mal angeschaut? Ich meine, sieh dir das an! Wenn ich meinen Jake nicht schon hätte, würde ich sofort selbst hinfliegen und einchecken, ganz egal, was für beschissene Bewertungen der Laden hat. Sieh nur!«

»Hab ich bereits.« Ich spiele die Gelangweilte, obwohl ich in Wahrheit das Foto von William Armstrong schon mehr als einmal betrachtet habe. Ich werde aus dem Mann nicht schlau. Kurz nachdem ich das erste Mal über diese Aufnahme von ihm gestolpert bin, hab ich ihn angerufen, in der Annahme, dass er freundlich und charmant sein würde. War er aber nicht. Er war kurz angebunden, barsch und brummte nur etwas wie »Dafür knüpf ich ihn an seinen Christbaumkugeln auf«, bevor er kommentarlos die Verbindung kappte.

»Aber ziemlich sexy sieht er schon aus, das gibst du doch wohl zu.«

»Hast du sie noch alle?« Nie im Leben würde ich dem zustimmen, obwohl er tatsächlich etwas Interessantes an sich hatte. »Sorry, nicht mein Typ.«

»Ach komm. So stark unterscheidet er sich gar nicht von … Dingsda, dem Kerl, den du vor Callum gedated hast.«

Ich verdrehe die Augen. »Eben. Sieht aus wie einer, den du in der Pfeife rauchen kannst.« Ich werfe einen Blick auf das Foto. »Und eingebildet dazu.« Dingsda, der Kerl vor Callum verbrachte den halben Tag damit, sein eigenes Spiegelbild zu bewundern, und seitdem bin ich eher skeptisch bei gutem Aussehen. Ich meine, was willst du mit einem Kerl, der sich sogar beim Sex im Spiegel beobachtet?

Ich dachte immer, er zählt im Kopf das Alphabet rückwärts auf oder lenkt sich mit sonst irgendwas ab, um das unweigerlich Nahende hinauszuzögern, aber wie sich herausstellte, kontrollierte er bloß, ob sein gegeltes Haar noch richtig saß. Das war’s dann für mich. Tschüss und Ende.

»Er sieht richtig gut aus, total süß!«

»Was ihm nur zu bewusst ist.«

»Quatsch, wie willst du das denn von einem Foto ablesen? Mich erinnert er an diesen Mentalist-Typen.« Sie starrt gebannt auf den Bildschirm und beugt sich dabei so weit vor, als würde sie gleich anfangen, ihn abzuschlecken.

»Mental ist sicher das passende Wort, aber von wem quatschst du jetzt schon wieder?«

»Ach, du weißt doch. Wie heißt der Schauspieler noch?« Sie googelt ein paar Sekunden. »Hier haben wir ihn, Simon Baker. Mit diesem spitzbübischen Funkeln in den Augen, verschmitzt und ein wenig aufsässig.« Wir studieren beide die Fotos.

»Pff.«

»Er sieht süß aus.« Vermutlich meint sie jetzt wieder unseren Mr. Armstrong, aber wer weiß das schon? »Und diese Grübchen. Ich wette, mit ihm kann man Spaß haben.« Keine Ahnung, welche Grübchen sie entdeckt haben will, doch das schert mich gerade auch herzlich wenig.

»Mich interessieren weder seine Grübchen noch sein süßes Aussehen. Dann ist er eben janusköpfig.«

»Klingt antik.« Ich erkenne an Sams neugierig vorschießenden Fingern, dass sie erneut das Internet zurate ziehen will, und zerre sie mitsamt ihrem Stuhl vom Schreibtisch fort. Diese rollenden Bürostühle sind wirklich sehr praktisch. Eine lohnende Investition.

»Glaub mir, es stimmt.« Wie kann sich jemand selbst als so … na ja, zwanglos locker und amüsant darstellen und dabei das genaue Gegenteil sein? »Sein Gesicht verstößt schlicht gegen das Gesetz zur korrekten Warenkennzeichnung von 1976.«

»Sein Gesicht?«

»Sein Gesicht. Er ist definitiv kein freundlicher Zeitgenosse, ganz egal wie sympathisch er sich auf diesem Bild gibt. Wahrscheinlich ist er das überhaupt nicht selbst, oder die Aufnahme ist schon zig Jahre alt, und er ist mit den Jahren verbittert und bösartig geworden.«

»Vielleicht steckt er mitten in einer Midlifekrise und begreift gerade, wie sinnentleert sein Leben ist.« Sam seufzt und stützt das Kinn erneut auf die eine Hand, während sie mit der anderen nach dem nächsten Keks greift. Ich schüttle den Kopf. Nicht wegen ihrer Naschsucht, sondern wegen ihrer blühenden Fantasie.

»So einen Betrieb zu führen, ist doch nicht sinnentleert.«

»Wenn man immer davon geträumt hat, mit Delfinen zu schwimmen oder auf einem Kamel durch die Wüste zu reiten oder in einem Ferrari nach Monte Carlo zu fahren, schon.«

»Sam, das ist deine Liste von Dingen, die du im Leben noch tun willst, nicht seine. Findest du wirklich, er sieht aus, als würde er mit Delfinen schwimmen wollen?«

»Nicht unbedingt, aber weiß man’s?«

»Und die Frage interessiert mich, ehrlich gesagt, auch nicht die Bohne. Er sackt das Geld unserer Kunden ein, beschert ihnen als Gegenleistung ein beschissenes Weihnachten und weigert sich dann auch noch, vernünftig mit mir zu reden.« Ich weiß nicht, was mich am meisten ärgert: dass er uns das zugkräftigste Festtagsziel, das wir im Programm hatten, im Alleingang und ohne jede Not vollkommen ruiniert hat; oder dass er nicht mit mir am Telefon darüber sprechen will. »Was ist aus dem Grundsatz ›Der Kunde ist König‹ geworden? Der Mann ist einfach ein ungehobelter Klotz.«

Wir stecken gerade mitten in den Vorbereitungen zur Wintersaison, und die hässliche E-Mail von gestern ist nicht der einzige Querschläger. Die Buchungen für das Shooting Star Mountain Resort brechen dramatisch ein. Und das sollte eigentlich nicht so sein, denn einen perfekteren Ort, um Weihnachten zu verbringen, kann man sich kaum vorstellen. Prasselnde Kaminfeuer, ein Riesenbecher heiße Schokolade, Schlittenfahrten mit einem Rudel Huskys vorneweg und ein wenig »Ho, ho, ho« vom Weihnachtsmann, während man ein echtes Rentier mit einer Karotte füttert. Ganz abgesehen von all dem Aprèsski, bei dem man sich nach stundenlangem Herumtollen im Schnee wieder aufwärmen kann. (Da ich keine Skifahrerin bin, bleibt mir nur Herumtollen und Hinfallen.)

»Ein Urlaub dort sollte der absolute Hammer sein. Im Prospekt und auf der Website sieht alles wie im Bilderbuch aus.«

»Kann natürlich ein wenig veraltet sein, das Material«, meint Sam mit besorgter Miene. Der Gedanke ist mir auch bereits gekommen. »Aber deshalb brauchst du ihm noch lange nicht so eine Mail zu schicken.«

»Und ob! Es ist doch nicht bloß dieser Latterby, der mit dem Anwalt droht. Es ist weit schlimmer. Erinnerst du dich an die Wilsons, die kürzlich hier waren?«

»Klar, reizendes junges Paar. Sie haben sich schon riesig auf die Reise gefreut, obwohl es noch eine ganze Weile hin ist bis Weihnachten. Und wie verliebt die beiden gewesen sind …« Sams Augen nehmen wieder diesen verträumten Ausdruck an. Sie und der gute Jake sind derzeit selbst ganz schön verknallt, und es könnte sein, dass sie im Unterbewusstsein bereits die Hochzeit des Jahres plant. »Kannst du dir vorstellen, in solch einem Winterwunderland zu heiraten?«

Genau das habe ich getan. Und in Gedanken habe ich bereits ein Plakat mit der Überschrift »Traumhochzeit im Winterwunderland« ins Schaufenster gestellt, sobald sie mir die schönsten Bilder ihrer Reise zuschicken würden. Eingewickelt in Decken, würden sie darauf inmitten von Geschenken auf einem wunderschönen, von Rentieren gezogenen Schlitten sitzen. Und sich küssen. All das Schönste, was Weihnachten und Hochzeiten zu bieten hatten, in einem Foto vereint.

Sie würden sich vor einem lodernden Kaminfeuer aneinanderkuscheln und einen Becher heiße Schokolade teilen, während draußen sanft die Schneeflocken tanzen, und die ganze Szene wäre in Kerzenlicht getaucht, das sich in einem üppig mit Kugeln und Lametta geschmückten Christbaum spiegelt.

Und Freunde und Verwandte würden mit ihnen feiern, würden einander Geschenke überreichen und sich schließlich um eine reich gedeckte Tafel versammeln, wo sie ein grandioser Weihnachtsschmaus erwartet, bei dem absolut alles aufgefahren wird, selbst die Sachen, die man eigentlich gar nicht mag.

»Tja.« Ich blinzle, und das Traumbild verschwindet. »Daraus wird nichts.«

»Was meinst du damit? Sie haben doch so toll zusammengepasst. Er war …«

»Oh nein, heiraten werden sie schon noch, bloß nicht im Shooting Star. Sie haben heute Morgen storniert und bereits online ein anderes Resort gebucht.«

»Was?«

»Hier.« Ich wechsle auf eine andere geöffnete Seite und klicke den Videolink an, den sie mir geschickt haben. »Matt Wilson hat sich Bewertungen angesehen und ist auf dem Blog Mein schrecklichstes Weihnachten über das gestolpert. Es stammt aus dem vergangenen Jahr.«

Das Video macht einen richtig professionellen Eindruck. Untertitel werden eingeblendet, und im Hintergrund läuft Musik, wobei der Titel »Do they know it’s Christmas?« besonders treffend ausgewählt wurde.

Ich habe mir den Streifen bereits mehrmals angesehen. Es ist wie mit einem dieser Horrorfilme, bei denen man genau weiß, dass sie einen zu Tode erschrecken, die man aber dennoch anschaltet. Man muss den Film einfach sehen, selbst wenn man nur, halb abgewandt, vorsichtig hinüberschielt und im Nachhinein die schlimmsten Passagen mehrmals wiederholt.

Sam und ich schauen stumm zu. Die Familienmitglieder tragen Partyhüte, was ein wichtiger Fingerzeig ist, da man sonst kaum gemerkt hätte, dass Weihnachten ist. Außerdem tragen sie alle dicke Jacken. Und Schals. Mit Lametta geschmückt.

An der Oberfläche von etwas, das unter Umständen eine heiße Schokolade sein soll, treibt ein einsames Marshmallow, und jemand stochert hartnäckig in einem Glühweinbottich herum, bis endlich eine einzige mit Nelken bespickte Orange nach oben schwappt.

Eines der Kinder nimmt ein Röschen Rosenkohl und lässt es auf den Tisch plumpsen, wo es herumspringt wie ein Flummi und eine Katze mit ihm zu spielen beginnt.

Das Kaminfeuer sieht aus, als hätte es schon zwei Tage zuvor zu prasseln aufgehört, und der Truthahn schien vor seinem Tod auf strenger Diät gehalten worden zu sein.

Und dann erst der Baum! Über ihn möchte ich eigentlich lieber nicht reden. Ein Christbaum muss prächtig sein. Es sollte der größte Baum sein, den man noch nach Hause tragen kann, und er sollte mit allem behängt werden, was sich an Dekoration auftreiben lässt. »Zu viel« ist hier überhaupt nicht möglich. Der Baum im Video jedoch wirkt wie von Weihnachten verstoßen. Ein Vollwaise, der noch nie etwas von Weihnachtsstimmung gehört hat.

Niemand hat sich seiner angenommen, und so ist er praktisch nackt bis auf eine magere Lamettagirlande und einen Restposten Zuckerstangen.

»Wow, sieh nur die Zuckerstangen.« Sam deutet überflüssigerweise auf den Bildschirm. »Hast du jemals so viele an einem Baum gesehen?«

»Nein. Und ich will auch nie wieder so viele auf einem Haufen sehen.«

Die Kamera schwenkt zum Fenster. Draußen schneit es, und an der Scheibe verkündet ein Zettel in Großschrift: FEIERAMZWEITENWEIHNACHTSTAGENTFÄLLT.

Ich breche das Video ab und wechsle zurück auf die Seite mit meiner Mail. »Das ist richtig übel. Jetzt bucht allenfalls noch einer, der nicht weiß, wie man Google benutzt. Ich möchte das Shooting Star Mountain Resort wirklich ungern als hoffnungslos einstufen und aus unserem Angebot werfen, aber ganz im Ernst, Sam: Was bleibt uns anderes übrig? Wir können den Leuten doch keine Reise verkaufen, von der wir wissen, dass sie beschissen wird.« Wie kann ein Mann mit diesem Aussehen bloß ein derartiger Schnarchsack sein? Pure Verschwendung.

»Schon richtig, aber vielleicht ist es nach dem letzten Weihnachten ja besser geworden.« Ich liebe Sams optimistische Ader. »Womöglich hat er eine neue Weihnachtsdekoration besorgt.«

Ich fahre den Cursor auf das »Senden«-Feld und lasse den Zeigefinger eine Weile theatralisch über der Maustaste schweben, um den panischen Ausdruck in Sams Gesicht zu genießen.

»Das wagst du nicht!«

»Der Kerl hasst Weihnachten, Sam! Ein lupenreiner Scrooge, bloß jünger!«

Sam ist nicht wie ich. Sie ist einerseits ein wenig durchgeknallt, andererseits aber auch liebenswürdig, rational und vernünftig. Alles Eigenschaften, die mir für gewöhnlich nicht unterstellt werden. Und jetzt gerade bin ich sauer. Bin auf hundertachtzig oder drüber. Dieser Mr. Armstrong raubt mir einfach den letzten Nerv, was eine durchaus beeindruckende Leistung ist angesichts der Tatsache, dass ich dem Mann noch nie persönlich begegnet bin.

Er vergrault uns nicht nur die Kundschaft, viel schlimmer ist, wie sich Tante Lynn seinetwegen aufregt. Als sie gestern von dem neuesten Beschwerdebrief erfuhr (erzählen musste ich es ihr, da ich vor Tante Lynn einfach nichts verheimlichen oder ableugnen kann, obwohl ich das mit der Schadensersatzklage unerwähnt ließ), hat sie vor lauter Ärger glatt den Backofen gereinigt. So hab ich sie noch nie erlebt. Und darum braucht Mr. Armstrong mal einen anständigen Schuss vor den Bug. Mich regt er natürlich auch auf, aber das ist hier nebensächlich. »Willst du mich wirklich herausfordern?«

»Nein, nein. Das war nicht so gemeint. Ich nehme alles zurück. Sicher hast du den Mut, aber tu’s bitte nicht!« Sam ist klar, dass ich auf Herausforderungen grundsätzlich sofort anspringe. Wenn mir jemand sagt »Das wagst du nicht«, wirkt das auf mich so unwiderstehlich wie auf sie »warme Schokoladencremetorte«.

»Dem Mann muss mal jemand in den Hintern treten. Hat der überhaupt eine Ahnung, was wir seinetwegen an Provision verlieren? Ich, ich, ich – etwas anderes kümmert solche Menschen nicht.«

Sie kichert und wedelt mit einem Keks vor meiner Nase herum. »Haha. Statt du, du du, wie? Du nimmst das alles viel zu ernst. Ist doch nichts Persönliches. Noch’n Keks? Sind Hobnobs mit Schoko.«

Und ob ich das persönlich nehme. Dieses Reisebüro in bester Innenstadtlage hat Tante Lynn aufgebaut, und unser Alleinstellungsmerkmal liegt darin, die angebotenen Reiseziele genau zu kennen. Klein, kundenfreundlich, außergewöhnlich – darauf haben wir uns konzentriert. Boutique eben. Soweit ich weiß, war Tante Lynn in ihren jungen Jahren so etwas wie ein Hippie. Ich nenne das immer ihre Vor-mir-Zeit. Also die Zeit, bevor ich bei ihr einzog und sie den Platz meiner Mutter einnahm.

Sie liebte es, zu reisen und die Welt zu entdecken. Sie lebte das Leben auf eine Weise, wie es die meisten Menschen nur aus Büchern kennen.

Ihrer Meinung nach ist alles da draußen etwas ganz Besonderes. Genauso wie Urlaub etwas ganz Besonderes ist.

Unser Geschäft ist es, Sehnsüchte zu erfüllen, sagt sie immer. Daher stehen wir in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass Träume nicht in Albträume umschlagen. Individuelle Kundenbetreuung ist unser großes Plus. Wir verkaufen den Menschen einen Urlaub, der haargenau auf ihre Wünsche zugeschnitten ist.

Doch dank Mr. Armstrong kann davon inzwischen nicht mehr die Rede sein.

Früher habe ich mich immer gefreut, wie begeistert die Kunden von ihrem Aufenthalt im Resort berichteten. Wie viel ihnen dieses Erlebnis bedeutete. Dann ist mir oft ganz heiß und schwummerig geworden, so als wäre ich irgendwie dafür verantwortlich. Und die gemeinsame Lektüre der Bewertungen hat Tante Lynn und mir regelmäßig ein verstohlenes Lächeln ins Gesicht gezaubert. Dem hat Mr. Armstrong nun ein brutales Ende gesetzt, und das stinkt mir gewaltig.

»Die Angelegenheit ist sehr wohl persönlich«, erkläre ich und versuche dabei, mit zusammengekniffenen Augen den Bildschirm zu paralysieren. »Das Shooting Star ist einer der ersten Orte, die Tante Lynn bereist hat. Sie hat sich sofort in das Resort verliebt. Er zerstört also nicht nur unseren guten Ruf, sondern auch ihre glücklichen Erinnerungen.«

Meine Tante hat dieses Geschäft gegründet, um hier für Orte zu werben, die sie selbst besucht hat. Es sollten Orte sein, die sie selbst liebte und deren Schönheit sie gerne auch anderen erfahrbar machen wollte. Als das Angebot später wuchs, legte sie großen Wert darauf, jedes Reiseziel persönlich in Augenschein zu nehmen. Sie wollte selbst erleben, was es konkret zu bieten hat, und in vielen Fällen durfte ich sie auf diesen Testreisen begleiten. Sie nannte uns bei diesen Gelegenheiten oft die zwei Musketiere. Allerdings habe ich mich bisweilen gefragt, ob es für sie nicht schöner wäre, für diesen Bund noch einen dritten zu finden.

Aber zurück zu Herrn Nervensäge-Armstrong. Der Versuchung nachzugeben und bei dieser E-Mail auf »Senden« zu klicken, wäre natürlich das Eingeständnis, dass er mich aus der Fassung gebracht hat. Es gelänge ihm, mich zu einem unprofessionellen Ton zu verleiten. Um es mir leichter zu machen, sollte ich mich also stattdessen lieber gleich auf die Suche nach einem anderen, besseren Resort machen.

Doch so einfach ist das Ganze leider nicht.

Der Anblick der hübschen Blockhütten mit ihren gemütlichen Kaminfeuern, den dampfenden Bechern heißer Schokolade und der weißen Pracht vor den Türen hat uns früher scharenweise Kunden beschert, die in den kanadischen Rockies dann ein zauberhaftes Weihnachten verlebten, an das sie sich noch ewig erinnerten. Und manchmal braucht jeder von uns solch glückliche Erinnerungen, um den Glauben an gute Zeiten nicht zu verlieren.

»Es ist einfach ärgerlich.« Ich weiß, ich nöle schon wie ein verzogener Balg. Aber ich bin halt angefressen. »Die Anlage war einfach perfekt, ohne jeden Kommerz, und jeder, der da war, hat das ähnlich empfunden. Alle kamen sie mit diesem verträumten Blick zurück und erzählten, dass sie das beste Weihnachten aller Zeiten erlebt hätten. Bis dieser Kein-Bock-aufs-Fest-Kerl aufgetaucht ist.«

Im vergangenen Jahr war das Weihnachtsangebot schon sehr dürftig gewesen, und selbst die Kunden, die zum Skifahren oder Snowboarden angereist waren, hatten schaurige Erfahrungsberichte über das ausleihbare Material und den Zustand der Sportanlagen verfasst. War der Aufenthalt für Outdoorbegeisterte damit schon ziemlich durchwachsen – für Weihnachtsurlauber war er ein Grauen.

»Um ehrlich zu sein …« – Sam ist stets darum bemüht, ehrlich zu sein – »… ist das Niveau in den letzten Jahren tatsächlich stetig gesunken. Vergangenen Winter hat jemand erzählt, dass die Huskys eine Pinkelpause eingelegt hätten, statt den Schlitten zu ziehen, und die Mistelzweige wären aus Plastik gewesen.« Der Glanz vergangener Tage trübt sich immer weiter ein, da hat sie recht. »Aus altem verblichenem Plastik.«

Kunststoff-Mistelzweige! Und dann auch noch abgenutzt und verblichen! Wer bitte stellt sich mit kussbereiten Lippen unter so was?

»Wir könnten den Leuten stattdessen Lappland anbieten«, fährt Sam mit einem Achselzucken fort. »Oder sonst irgendwas, wo man das Polarlicht sehen kann. Polarlicht liegt derzeit voll im Trend. Ich hätte selbst nichts dagegen, mir das mal anzuschauen. Willst du den letzten Keks?«

»Gerne, schließlich hast du alle anderen gefuttert.« Ich greife danach. »Verdammt!« Eben noch hatte ich den letzten Keks gewollt, jetzt nicht mehr. Mir ist gerade der Appetit vergangen. »Mist, verfluchter! Wie konnte das bloß passieren?« Oh nein, warum musste ich den Cursor unbedingt genau an dieser Stelle platzieren? Und warum liegt die dämliche Maus genau da, wo mein Ellbogen sie erwischen muss? Und warum gibt es überhaupt Kekse?

»Was ist?«

»Scheiße, scheiße, scheiße! Jetzt bin ich echt im Arsch. Ich hab auf ›Senden‹ gedrückt!« Ich schiele vorsichtig durch die Hände, die ich mir vors Gesicht geschlagen habe. Erfolgreich versendet. Unwiederbringlich weg. Selbst wenn ich sie aus dem Fach für gesendete Nachrichten lösche, dürfte mir schon bald jemand in Erinnerung rufen, dass ich sie abgeschickt habe. Tante Lynn bringt mich um! »Alles in Ordnung. Es ist alles in Ordnung.« Tief durchatmen, Sarah. »Er liest das Zeug doch sowieso nicht. Normalerweise liest er keine meiner Mails.« Gestern war eine Ausnahme. Ich knabbere verzweifelt an dem Keks in meiner Hand, wie ein gestörter Hamster.

»Was machst du auch für einen Blödsinn!«, bemerkt Sam, und wie von Zauberhand liegt plötzlich eine Packung Oreos auf ihrem Schreibtisch. »Notfallvorrat, zur Behandlung akuter Schockzustände.«

»Oh neiiiiin!«

»Ich dachte, du magst …«

Ihre Stimme bricht ab, vermutlich weil ich entsetzt auf meinen Bildschirm deute. Das darf doch nicht wahr sein. Ich brauch einen Gin, keine Oreos. »Ich hab eine Antwort bekommen!«

»Bestimmt bloß eine automatische Eingangsbestätigung. Bin gerade nicht im Büro oder so etwas. So schnell kann kein Mensch tippen.«

Von wegen automatisch.

Ganz offensichtlich gibt es Menschen, die tatsächlich so schnell tippen können.

3

Liebe Sarah,

herzlichen Dank für Ihr letztes Schreiben. Wie schön, so rasch wieder von Ihnen zu hören! (Ironisch gemeint, vermute ich.) Da in unseren Breiten leider kein Sand zur Verfügung steht, in den man den Kopf stecken könnte, muss dazu hier Schnee herhalten, wodurch das Hirn jedoch leicht einfriert und man vorübergehend beim besten Willen außerstande ist, selbst die einfachsten Verrichtungen zu bewältigen wie z. B. Anrufe entgegenzunehmen.

Im Übrigen unterziehe ich gerade unsere »verflixten Hallen« und andere Kundenwünsche einer intensiven Überprüfung, kann mich in diesem Zusammenhang aber nicht daran erinnern, dass jemals ein Gast im Beurteilungsformular irgendein »pubertäres Gehabe« gerügt hätte.

Vielen Dank jedenfalls für das große Interesse, das Sie unserem Resort entgegenbringen, und wir würden uns natürlich sehr freuen, Sie eines Tages einmal bei uns als Gast willkommen heißen zu dürfen.

Beste Grüße, Will Armstrong (Weihnachtsverächter)

Shooting Star Mountain Resort

»Na, immerhin hat er Sinn für Humor.«

»Irrsinnig komisch.« Trockenen Humor nennt man das wohl. Ich hämmere bereits wieder in die Tasten, während ich antworte. Was für eine Unverfrorenheit! Willkommen heißen, ach ja? Der Mann weiß doch gar nicht, was das bedeutet.

LieberWillMr. Armstrong,

herzlichen Dank für Ihre rasche Antwort. Sofern Sie nicht gerade an Hirnfrost leiden, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Zeit erübrigen könnten, mal das Telefon in die Hand zu nehmen, damit wir Gelegenheit haben, über besagte Qualitätsanforderungen zu sprechen.

Außerdem berichten unsere Kunden, dass sie eher unfreundlich willkommen geheißen worden sind, ja, in einem Fall wurde der Empfang sogar als »frostig« bezeichnet. Und in letzter Zeit ist wohl auch sonst im Resort keine höhere Temperatur zu vermerken gewesen. Das einzige Werbeversprechen aus Ihrem Prospekt, das Sie tatsächlich einlösen, scheint der Schnee zu sein. Vielleicht sollten Sie in Ihrem Beurteilungsformular die Kundenmeinung mal etwas detaillierter erfragen.

»Das kannst du unmöglich abschicken!« Sam schielt mir schon wieder über die Schulter und bröselt dabei Oreo-Krümel in meinen Ausschnitt.

»Sagtest du schon.« Ich trommle mit den Fingern auf der Schreibtischplatte, meide allerdings die unmittelbare Gefahrenzone der Maus. Stattdessen fische ich mir mit der anderen Hand die Krümel aus dem BH. »Weißt du, was ich in diesem Moment tatsächlich ernsthaft versucht bin, zu tun?«

Sam sperrt erschrocken die Augen auf und schiebt zugleich verstohlen die Maus aus meiner Reichweite. »Was immer es auch ist, dein Ton verheißt nichts Gutes.«

»Hinzufahren.«

»Was meinst du mit hinfahren?«

»Hinfahren. Ins Resort. Er hat doch geschrieben, dass er sich freuen würde, mich eines Tages dort willkommen zu heißen. Womöglich ist das ja die Lösung. Ich meine, wenn ich direkt vor ihm stehe, kann er mich schlecht ignorieren, richtig?« Ich minimiere das E-Mail-Postfach und logge mich ins Buchungssystem ein. »Dann könnte ich mir mit eigenen Augen ein Bild davon machen, wie gastfreundlich unser Mr. Hirnfrost ist und ob noch Hoffnung besteht, irgendetwas von dem früheren Zauber des Ortes zu retten. Falls nicht, storniere ich umgehend sämtliche Buchungen unserer Kunden und biete ihnen etwas anderes an.«

»Nein! Du kannst nicht weg, dafür haben wir viel zu viel zu tun. Du hast zu viel zu tun!« Sam starrt mich verzweifelt an. »Und überhaupt, die guten Resorts sind mittlerweile alle bereits ausgebucht. Du kannst also niemanden einfach umbuchen, sollte die Situation dort wirklich so beschissen sein. Dafür ist es zu spät.«

»Da fällt mir schon was ein.«

»Das meinst du doch nicht im Ernst, oder?«, fragt Sam stirnrunzelnd und beißt sich auf den Daumenrand. »Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?«

In dem Punkt mag sie durchaus recht haben, dennoch bin ich nicht bereit, das zuzugeben. »Ich könnte die Hotelinspektorin spielen, die undercover in all seinen verborgenen Winkeln herumstöbert und die Wahrheit ans Tageslicht bringt. Ich wollte immer schon mal mein Talent zur Schnüfflerin unter Beweis stellen.«

»Eben hast du noch gesagt, du würdest dich direkt vor ihn hinstellen, damit er dich nicht ignorieren kann.«

Das stimmt. »Nimm doch nicht jeden Spruch gleich so übergenau. Dann kommt das eben, nachdem ich überall herumgeschnüffelt und einen ebenso geistreichen wie vernichtenden Bericht über den Zustand seiner Skilifts und Fußleisten verfasst habe.«

»Fußleisten?«

»Anscheinend sammelt sich da der Staub besonders an.« Nicht dass ich Ahnung davon hätte, ich bin selbst keine große Freundin des Saubermachens.

»Haben Blockhütten überhaupt Fußleisten?«

»Sam!«

»Sorry, ich versuch bloß, zu helfen.«

»Außerdem bekomme ich Mitarbeiterrabatt.« Betrachte die Dinge immer von der positiven Seite, wie Tante Lynn zu sagen pflegt, und zu den positivsten Seiten einer Anstellung im Reisebüro zählt nun mal, dass man selbst für kleines Geld reist.

»Im Grunde sollten sie dir dafür Geld geben, dass du da hinfährst«, erklärt Sam. Sie tippt kurz auf ihrer Tastatur, dann schnappt sie laut nach Luft. »Hör dir das an.« Kann ich mir eigentlich sparen, da ich die beschissenen Bewertungen mittlerweile auswendig kenne, aber vorlesen wird sie mir das Zeug so oder so. »Das schrecklichste Weihnachten, das wir je hatten. Das einzig Gute daran war die heiße Schokolade – «

»Bis ihnen auch noch die Marshmallows ausgingen«, beende ich den Kommentar für sie. »Aber davon könnte ich notfalls welche mitnehmen.«

Sie ignoriert meinen Vorschlag. »Wie können einem denn Marshmallows ausgehen? Das ist, als …«

»Würde dem Restaurant der Wein ausgehen?«

»Wie eine Margarita ohne Salzrand am Glas.«

»Also richtig ernst.«

»Na, du würdest dir bei so etwas doch auch verschaukelt vorkommen, oder? Und hier: Wohlige Gemütlichkeit strahlt das Haus nun wirklich nicht aus – es sein denn, man ist mit Eisbären verwandt. Draußen war es jedenfalls wärmer als drinnen.« Sam hebt den Kopf, um zu kontrollieren, dass ich noch zuhöre. »Auf der Website werden Fahrten mit von Huskys gezogenen Schlitten versprochen. Bei uns kam dem am nächsten, dass uns erlaubt wurde, einen der Hunde bei einem Spaziergang auszuführen. Ach, aber die Vorstellung finde ich schon schick. Jake spielt gerade mit dem Gedanken, Harry darauf abzurichten, einen Schlitten zu ziehen. Dafür bräuchten wir hier bloß irgendwann richtig Schnee.« Ich spare mir jeden Kommentar. So süß der Hund ihres Freundes auch ist, ich bin mir ziemlich sicher, dass Schlittenhunde gewöhnlich mindestens doppelt so groß wie Harry sind. »Und hier vom letzten Weihnachten: Der Bergführer weigerte sich, mit uns auf Skitour zu gehen, weil es schneite! Käsefondue war spitze, doch ein ungepflegter Speisesaal und eine unfreundliche Bedienung verleideten das Vergnügen komplett. Herrliches Anwesen – eine Schande nur, dass unter den neuen Betreibern das Niveau derart in den Keller gesackt ist. Zauberhafte Weihnachten sehen anders aus.«

»Spricht alles dafür, dass ich fahre, oder? Schließlich ist der Laden lange Zeit unser absolutes Topangebot gewesen. Nirgendwo war es zu Weihnachten malerischer, märchenhafter, magischer …« Mir fallen keine Worte mit M mehr ein, aber sie versteht schon, was ich meine.

»Und jetzt ist alles eben nur noch mangelhaft und großer Mist, aber es ist doch nicht unser Job, solche Häuser wieder auf Vordermann zu bringen, Sarah. Wir empfehlen einfach andere Ziele. Du musst da nicht unbedingt hin.«

»Tante Lynn hat das aber auch immer gemacht.« Ich habe den Verdacht, langsam etwas arg trotzig zu klingen.

»Um die jeweiligen Häuser zu begutachten und abzuwägen, ob sie tatsächlich ein Urlaubserlebnis garantieren, wie sie es verkaufen möchte. Nicht, um dort für Ordnung zu sorgen. Mensch, Sarah, warum schmeißen wir das Shooting Star Resort nicht einfach raus und suchen uns was Besseres?«

»Weil …« Na ja, nicht zuletzt, weil ich ein Dickschädel bin und mich nicht gerne geschlagen gebe. »Zum einen hat es Tante Lynn dort besonders gut gefallen.« Völlig überraschend steigt mir das brennende Kitzeln von Tränen in die Augen. Ich atme tief ein und beschäftigte mich kurz mit den Büroklammern auf meinem Tisch, um nicht aufschauen zu müssen. »Zum anderen haben sie und ich dort unser erstes gemeinsames Weihnachten verbracht.« In meinem Hals sitzt ein Kloß, der dort nicht sein sollte, und meine Augen blinzeln schneller als das rote Männchen an einer defekten Fußgängerampel. Ich schlucke einmal schwer. »Mit anderen Worten: Ich möchte Will Armstrong einfach gern eine runterhauen.«

»Ach Gott. Warum hast du das nicht gleich gesagt? Nicht das mit dem Runterhauen, meine ich, sondern das mit eurem Weihnachten.« Sam drückt mir die Hand, und ich ziehe sie rasch zurück, weil Mitgefühl mich immer ganz fertigmacht. Ich möchte nicht in Tränen ausbrechen. Nicht hier, nicht auf der Arbeit. Also eigentlich überhaupt nirgendwo. Weinen ist etwas, das ich mir schon vor langer Zeit abgewöhnt habe. Es bringt einfach nichts.

Unser erstes Weihnachten im Shooting Star Resort ist traumhaft schön gewesen. Und ich glaube, dass Tante Lynn es gezielt deswegen ausgesucht hatte.

Sie und ihre Schwester, meine Mutter, haben sich nie sonderlich nahegestanden. Sie waren wohl zu verschieden. Camembert und Brie, wie Lynn gerne sagt. Mum hat jung geheiratet, mich bekommen und mich im Camper-Kleinbus auf so manche Magical Mystery Tour mitgeschleppt. Lynn dagegen war Single, aus Überzeugung kinderlos und trieb sich gern in den entlegensten Ecken der Welt herum. Von Fernweh waren sie offenbar beide erfüllt, aber was und wie sie suchten, wich so stark voneinander ab, dass sie sehr unterschiedliche Wege einschlugen.

Tante Lynn habe ich damals im Grunde genommen kaum gekannt. Begegnet waren wir uns vor diesem Weihnachten nur sporadisch.

Es war das Weihnachten, an dem sie eigentlich versuchen wollte, meine kleine Familie zu retten. Stattdessen stand sie auf einmal mit mir allein da, weil meine Eltern sich nämlich aus dem Staub gemacht hatten. Ohne mich. Um mal etwas »kinderfreie Zeit« zu haben, wie Mum es lachend formulierte. Ich habe sie nie wiedergesehen. Dieser Spruch und ihr kicherndes Lachen sind das Letzte, das mir von ihr geblieben ist.

Parfüm benutzte sie keins, daher gibt es auch keinen typischen Duft nach Lavendel oder Chanel Nº 5, den ich mit ihr verbinde und der mir etwas von ihr zurückbringen könnte. Nicht einmal einen ausrangierten Pulli oder ein viel getragenes Schmuckstück hinterließ sie mir. Das Leben ist eben nicht immer so, wie es in Filmen geschildert wird. Da war einfach nichts. Kein Teil von ihr, an das ich mich hätte klammern können. Nur der Klang ihres Lachens und die vage Erinnerung an ihre großen grünen Augen.

Es wurde mein letztes Weihnachten mit Mum und Dad, und mein erstes mit Tante Lynn.

Eine Woche haben wir damals noch dort verbracht. Nur wir beide. Ich war verwirrt, fühlte mich verloren, wartete ständig darauf, dass meine Eltern in der Tür erschienen und alles wieder auf normal zurückspringen würde. Aber sie kamen nicht.

Inzwischen ist es Mum nicht mehr möglich, an irgendeinen Ort zurückzukommen, sie schläft bei den Sternen. Und Dad? Tja, für mich ist mein Dad damals ebenfalls gestorben.

An diesem Weihnachten verbrachten wir unsere Tage damit, Schneemänner zu bauen, durch den Schnee zu stapfen, die Huskys zu streicheln und die Rentiere zu füttern. Und abends kuschelten wir uns in unserer Blockhütte eng aneinander, schauten ins Feuer und flüsterten uns gegenseitig Wünsche ins Ohr. Später habe ich jahrelang noch dieselben Wünsche gehegt. Bis ich endlich begriff, dass Wunschträume sowieso nie in Erfüllung gehen.

Ich zwinkere die Vergangenheit entschlossen fort und ignoriere die eine winzige Träne, der es gelingt, sich durch die Barriere zu quetschen.

»Egal. Darum geht es hier doch gar nicht.«

Sam mustert mich mit fragender Miene und wirkt keineswegs überzeugt. Also ignoriere ich auch sie und haue lieber weiter in die Tasten, was in erster Linie die Chance bietet, dass ich mir unbemerkt die Wange trocken wischen kann.

»Aber was ist mit Lynn? Ihr habt doch Weihnachten immer zusammen verbracht.«

Wieder ein Punkt, in dem Sam recht hat. Seit diesen ersten gemeinsamen Feiertagen im Shooting Star Mountain Resort sind Tante Lynn und ich an Weihnachten stets zusammen gewesen. Sie ist meine Familie, meine gesamte Familie, die einzige, die ich habe, und sie ist toll.

Ich liebe Tante Lynn. Von ganzem Herzen. Ohne sie wäre mein Leben vollkommen anders verlaufen. Ich wäre eine ungeliebtes, unsicheres Häufchen Elend und mit Sicherheit komplett langweilig und gelangweilt. Tante Lynn hat mich mit viel Wärme, Zuneigung und Einfallsreichtum großgezogen, und sie hat mir gezeigt, dass man sich nicht dafür schämen muss, wenn die eigene Erziehungsberechtigte auf Elternabenden die Einzige ist, die bunte Strähnen im Haar trägt und eher an meiner Sicht der Dinge interessiert ist als an der der Lehrer. Das ist vielmehr etwas, über das man sich freuen sollte.

»Über die Weihnachtstage selbst fahre ich ja gar nicht.« Nie im Leben werde ich noch einmal ein Weihnachten dort verbringen. Selbst wenn alles ebenso perfekt wäre wie früher. Ich denke nicht, dass ich das ertragen würde. »Ich fahre kurz davor. Oder erst danach. Im Grunde wäre gleich jetzt wahrscheinlich am besten.« Was du heute kannst besorgen … »Auf die Weise könnte ich noch ein paar Änderungen anschieben, bevor er dazu kommt, einem weiteren Schwung Gäste das Weihnachtsfest zu verderben. Eine weitere vermasselte Saison und der Laden ist endgültig nicht mehr zu retten. Das werde ich verhindern. Kein Mensch hat das Recht, Weihnachten einfach abzublasen!«

»Aber du kannst doch nicht holterdiepolter hier weg und mich allein lassen!«

»Du bist doch nicht allein. Ich werde das mit Tante Lynn klären. Sie hat vor einer Weile selbst angeregt, dass wir die Häuser aus unseren Angeboten häufiger besuchen sollten. Sie will sogar eine Aushilfe anstellen, die einspringen kann, wenn wir mal weg sind. Du würdest dann auch mehr in der Welt herumkommen.« Ich werfe ihr einen vielsagenden Blick zu. »Sie weiß, dass du gern mehr reisen würdest.«

Sam läuft wieder rot an. Sie glaubt zwar, es gut überspielt zu haben, aber sie zählt nun mal zu den Menschen, die ihre Gefühle unmöglich verbergen können. Sie stehen ihr ins Gesicht geschrieben. In letzter Zeit hat sie sich verändert. Zu ihrem Vorteil verändert. Vor allem, nachdem sie ihrem saufenden, fremdgehenden Ex den Laufpass gegeben und ihren schnuckeligen Jake kennengelernt hat. Sie ist eindeutig stärker und selbstbewusster aus dieser Erfahrung herausgekommen. Sie hat weiterhin ihre alberne Seite, die ich so an ihr liebe, aber jetzt ist sie zugleich wesentlich entschlossener, ihr Leben so zu leben, wie sie es will. Und sie möchte sicher nicht auf ewig bloß geruhsam in diesem Goldfischglas hier hocken.

»Lynn möchte dicht nicht verlieren, Sam. Und ich auch nicht.« Ein Leben ohne Sam könnte ich mir gar nicht vorstellen. Wir sind zwar völlig verschieden, kommen aber prima miteinander zurecht. Sie schaut mich an, als wollte sie mich gleich umarmen, aber umarmt zu werden, vertrage ich gerade gar nicht. »Sekunde mal, die schmeißen mich gleich aus dem Vorgang raus, wenn ich die Buchung nicht abschließe.«

»Lass es«, sagt sie und zerrt erneut so lange an meinem Stuhl, bis ich nicht mehr an die Tastatur komme. »Die werden schon nicht gleich ausgebucht sein, wenn du ein paar Minuten wartest. Und musst du nicht erst die Tage abklären?«

»Ich kann unverbindlich reservieren.« Dringend notwendig erscheint das jedoch nicht – Verfügbarkeiten bestehen noch an allen Tagen, die ich ausprobiere. »Danach rufe ich Tante Lynn an.« Sam gefällt mein Hang zu impulsiven Aktionen nicht sonderlich. Er macht sie nervös. Sie weiß gerne genau, woran sie ist. Wohingegen ich, passend zu meiner unsteten Vergangenheit, mich lieber kopfüber in jeden neuen Tag stürze. Und im Augenblick klingt die Aussicht, sich in den kanadischen Rockies mit Mr. Armstrong anzulegen, nach einer guten Ablenkung.

»Warum ruft du sie nicht zuerst an?«

»Okay, okay. Wenn es dich glücklich macht, gebe ich ihr erst Bescheid.« Sams Vorschlag ist natürlich vernünftig, allerdings ist es im Geschäft derzeit ruhig, und ich bin sicher, dass meine Tante nur zu gerne ein paar Tage für mich einspringt. Schließlich möchte sie unbedingt den Finger am Puls der Zeit behalten, wie sie es immer nennt.

»Ja, das würde mich glücklich machen.«

Also wähle ich die Verbindung über den Geschäftsanschluss und schalte auf Lautsprecher, damit Sam die Reaktion von Lynn gar nicht erst anzweifeln kann – wobei ich davon überzeugt bin, dass Lynn die Idee gutheißen wird. Reisen erweitert den geistigen Horizont und reduziert das Sitzfleisch, sagt sie immer. Keine Frage, sie wird zustimmen.

»Tante Lynn?«

»Ach, schön, dass du anrufst, Liebes.« Das klingt, als würden wir nur alle Jubeljahre miteinander sprechen, obwohl wir mindestens einmal am Tag telefonieren. »Ich wollte sowieso etwas mit dir bereden.«

Sam hebt eine Braue, und ich frage mich, ob ich den Lautsprecher besser nicht aktiviert hätte.

»Im Augenblick bin ich allerdings ein wenig in Eile«, fährt Tante Lynn rasch fort. »Aber komm doch auf Kaffee und Kuchen vorbei.« Ich starre erst auf den Hörer und dann zu Sam, die ratlos die Schultern hochzieht.

»Äh, gerne. Ich wollte dich nur kurz – «

»Hat das vielleicht Zeit bis Mittwoch, Liebes?«

Da ich den Eindruck habe, dass sie mir ohnehin nicht richtig zuhört, nicke ich nur, obwohl sie das natürlich nicht sehen kann. »Klar«, schiebe ich nach. Was machen die zwei Tage schon für einen Unterschied? »Oder morgen?«

»Ach, Sarah. Morgen bin ich doch bei der Igelhilfe, schon vergessen?«

In ihrer Stimme schwingt ein Hauch von Vorwurf mit. Wie konnte ich nur die Igelhilfe vergessen? Ganz zu schweigen von Katzen in Not, dem Projekt Hygieneartikel für obdachlose Frauen oder der Aktion Baby im Paket. Letzteres hat mich zuerst ein wenig beunruhigt, bis ich erfuhr, dass es sich dabei um Startersets für junge Eltern handelt. Diese Information vermochte allerdings nichts an dem Bild zu ändern, das sich bei dem Namen unweigerlich in meinem Kopf formt: Heute bestellt, morgen geliefert – der praktische Service bei plötzlichem Kinderwunsch.

Tante Lynn glaubt an das Pay-it-Forward-Prinzip, nach dem es einen Mensch, dem Gutes widerfährt, besonders stark danach drängt, seinen Mitmenschen ebenfalls Gutes zu tun. Und da sie nun einmal so nett ist, dass die Leute ihr ständig kleine Freundlichkeiten erweisen, kommt sie mit ihrem ausgleichenden Engagement kaum hinterher.

»Morgen ist großer Igeltag. Da werden die Tiere gewogen, und anschließend grillen wir.«

»Sehr igelfreundlich klingt das aber nicht.«