Widersehen in Berlin - Victoria Benner - E-Book

Widersehen in Berlin E-Book

Victoria Benner

4,9

Beschreibung

Charlotte Grottinger hat alles verloren, was sie verlieren konnte: Freundschaft, eine Liebe und ihr altes Leben. Nun muss sie den Neuanfang wagen und zieht nach Berlin. Bei dem Versuch die Realität zu meistern stolpert sie aber über die Vergangenheit und ihr wird etwas geboten, dass nur wenige bekommen: eine zweite Chance und eine Rundumerneuerung in Sachen Leben, Liebe und Job.

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Seitenzahl: 390

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Impressum

© 2016 Victoria Benner

Herausgeber: Vivien Gerlach-Farrell, Durlacher Allee 35, 7613Karlsruhe

Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Erzeugt mit Writer2ePub von Luca Calcinai

ISBN 978-3-7375-8775-4

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1.

Charlotte, das Tablett mit den vollen Sektgläsern in der Hand, drängte sich durch die schwatzende, flirtende und feiernde Menge. Gelegentlich blieb sie stehen, nahm den Gästen der Party leere Gläser ab und ersetzte sie durch neue, mit prickelndem gelben Champagner gefüllte. Der Raum war stickig und heiß, die Musik sowohl unerträglich als auch zu laut. Und doch schienen sie sich alle wunderbar zu amüsieren, sonnten sich im Glanz ihrer eigenen zweifelhaften Leistung, wie Charlotte fand.

Was zur Hölle hatte sie sich dabei nur gedacht diesen Job anzunehmen? Sie hätte sich etwas anderes suchen sollen und keine Stelle, bei der sie jederzeit in Kontakt mit einer Welt kam, die sie vor gut einem Jahr ausgespuckt hatte wie ein altes Kaugummi. Das war doch masochistisch!Sie seufzte auf und versuchte ihren Kopfschmerz zu ignorieren, während sie einem Gast ein volles Glas reichte. Sie hätte auf Kindergärtnerin umschulen sollen. Oder auf Bürokraft, vielleicht hätte sie etwas in einer Bibliothek finden können, das wäre ungestörtes Arbeiten gewesen, aber nein! Sie musste es ausgerechnet bei einer Cateringfirma versuchen!

Sie lächelte freundlich als sie einem Gast auswich, aber der schien sie nicht mal zu sehen. Was sollte sie schon machen, sie brauchte nun mal das Geld. Auch wenn man dafür in Kauf nehmen muss wie ein lächerlicher Pinguin auszusehen, dachte sie und schreckte vor einem knutschenden Pärchen und einem Troß aus Pressefotografen zurück, der ihnen folgte.

Allerdings war die Pinguinverkleidung ohnehin egal, denn als Bedienung schien sie für alle Luft zu sein, wie sie feststellte.

Langsam kehrte sie mit dem leeren Tablett in Richtung Küche zurück um sich Nachschub zu organisieren. Dabei blickte sie sich misstrauisch nach links und rechts um. Zum Einen da sie in niemanden reinrennen wollte, zum Anderen um notfalls einer bestimmten Person aus dem Weg gehen zu können, sollte sie sich tatsächlich auf der Feier blicken lassen. Die Küchentür schwang auf und Charlotte atmete tief ein, als sie in der antiseptischen Sicherheit des kalten gekachelten Raumes stand. Kurz lehnte sie den pochenden Kopf gegen die Wand, um zu genießen, wie die kühlen Fliesen ihren Schmerz betäubten.

„Immer noch Kopfschmerzen?“, fragte Miriam mitfühlend. Charlotte nickte nur stumm. Miriam, ihre Kollegin, berührte sie kurz an den Schultern.

„Kein Wunder, du bist komplett verspannt! Das da oben sind keine Muskeln mehr, sondern schon Steine! Was machst du denn, dass du so fertig bist?“, rief sie verwundert.

„Nichts. Weiß irgendwer, ob die Stargäste schon da sind?“, gab Charlotte zurück. Oder weiß irgendwer, wann ich mich wegschleichen kann, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Warum? Willst du dir ein Autogramm holen?“, neckte sie Dimitri, der eben mit einem leeren Tablett in die Küche gewedelt kam.

Charlotte drehte sich der Magen bei der Vorstellung um, sie könnte ihn um ein Autogramm fragen. Ein kurzer Blick auf Miriam sagte ihr aber, dass genau das war, was alle als Grund hinter ihrer Angespanntheit vermuteten.

„Du kannst ja heimlich sein Glas klauen und es zu Hause in die Vitrine stellen! Als Trophäe!“, lachte sich Dimitri ins Fäustchen.

Miriam schürzte die Lippen und sah ihn mit zu Schlitzen verengten Augen an. „Hör nicht auf den!“, sagte sie zu Charlotte gewandt. „Und du bist ja nur neidisch auf ihn, weil du nicht solchen Erfolg einstreichen kannst und nur ein kleiner unbedeutender Kellner bist!“, rief sie Dimitri hinterher, als er vollbeladen nicht mehr ganz so dynamisch die Küche wieder verließ.

Kurz hörten sie noch sein lautes gellendes Lachen, dass sich beim Anblick des Chefs, welcher eben die Küche betrat, aber sehr schnell in ein professionelles „Champagner?“, verwandelte.

Für einige Augenblicke sah der Chef ihm noch nach, dann wandte er sich stirnrunzelnd zu ihnen um.

„Was steht ihr hier rum? Wir haben alle Hände voll zu tun!“, fuhr der Chef Miriam und sie missmutig an und Charlotte die wusste, dass solche Events ihn immer ganz kribbelig machten, biss sich auf die Unterlippe, in der Hoffnung ihre Fassung schnell wieder zu gewinnen. Schließlich war ihr bekannt, dass er glaubte, dass dies der Grundstein zu einer glänzenden Firmenkarriere sein würde. Er wurde nie müde seinen Mitarbeitern gegenüber zu betonen, dass, sich die Veranstalter an ihn erinnern würden. Vorausgesetzt er würde diesen Job gut schaukeln. Und dann seien Folgeaufträge nur noch eine Frage der Zeit. Weswegen er Charlottes Bitte um Urlaub vor einer Woche abgelehnt hatte.

„Da ist die Creme de la Creme vertreten. Alles hohe und bekannte Tiere. Du weißt genau, dass ich an solche Menschen nur die besten Mitarbeiter ranlasse!“, hatte er gepoltert.

Die besten Mitarbeiter, ging es Charlotte durch den Kopf. Das hieß im Endeffekt, sie sollen alle diszipliniert sein, mussten gut aussehen, blutjung sein und trotzdem fünf Fremdsprachen fließend sprechen. Nur um die Gäste ja nicht in Verständigungsschwierigkeiten zu bringen.

Müde sah sie sich in der Küche um. Am liebsten wollte sie gar nicht mehr da sein. Lieber wollte sie auf das Geld verzichten und nach Hause gehen, in ihre kleine zwei Zimmer Wohnung. Vor allem wollte sie jede Gefahr vermeiden ihm zu begegnen. Vielleicht sollte sie es doch noch mal riskieren und versuchen ihren Chef zu einem Kompromiss zu bewegen, der ihnen im Endeffekt beiden das Genick retten würde, sollte er tatsächlich auftauchen. Müde sah sie zu ihm auf. „Chef, kann ich diesmal nicht hinter den Kulissen arbeiten? Da würde ich mich viel besser machen, als da draußen im Chaos“, fragte sie ihn und bemühte sich denkbar schlecht auszusehen, um für wenig präsentabel gehalten zu werden.

Der Chef warf ihr einen scheelen Blick zu. „So ein Quatsch! Du bist eine meiner besten Mitarbeiterinnen. Ich brauche dich da draußen! Oder meinst du unsere süße Miriam oder unser frecher Dimitri kriegen das allein hin? Nein, nein, ich brauche dich, damit du ein Auge auf den Rest behältst! Also gehst du jetzt da raus…“, er drückte ihr ein volles Tablett in die Hand, „und machst deinen Job. So wie immer.“

Noch während er sie aus der Küche schob, begann sie zu protestieren. „Aber Chef, mir geht es heute echt nicht gut. Was ist wenn ich jemand Erlauchtem plötzlich auf die Füße kotze? Das wäre nicht gut. Außerdem sehe ich schrecklich aus. Und was sollen die Gäste denken, wenn sie von so einem Häufchen Elend Champagner angeboten bekämen? Das würde ihre Stimmung total ruinieren.“

Ihr Chef sah sie skeptisch von oben bis unten an, entschied dann jedoch, dass sie wohl hinreichend gut aussähe, um den Job weiter machen zu können. „Sieh es mal so, du bist hübsch und gepflegt, aber nicht so sehr, dass du den Ladies da draußen den Rang abläufst. Ist gut fürs Geschäft“, grinste er

Mist, dachte Charlotte und zog wieder in den Kampf hinaus.

„Die Zeit zieht sich diesmal auch hin wie alter Kaugummi. Ist euch das schon mal aufgefallen, heute will sie so gar nicht vergehen!“

„Deswegen ist sie ja relativ…“, kicherte Dimitri feixend an ihrer Seite, als sie in einer ruhigen Minute an eine Wand des Saales gelehnt standen und die illustre Gesellschaft beobachteten, während Charlotte zum Heulen zumute war. All das hätte sie haben können, noch vor gut einem Jahr. Wenn sie sich anderes benommen hätte. „Nein, falsche Annahme!“, rief Charlotte sich zur Ordnung, „Wenn er sich anderes benommen hätte.“ Sie hatte nichts falsch gemacht! Im Gegenteil. Sie wollte ihr Leben mit ihm verbringen, war bereit zu springen, in der festen Annahme er würde sie auffangen, sie könnte ihm vertrauen! Sie hatte alles für ihn riskiert! Ihre Tochter, ihr Herz, ihre Sicherheit! Und dann hatte er sie einfach so hinaus geworfen!

Charlottes Magen krampfte sich bei der Erinnerung an den Tag in London zusammen. „Nicht dran denken. Ignoriere es einfach!“, dachte sie bei sich. „Es war ein blöder Fehler, wird nie wieder vorkommen. No use to cry over spilled milk. Sieh lieber zu, wie du die Zukunft gestaltest.“

Sie massierte ihre Schultern mit ihren Händen und atmete tief ein und aus, um ihre Gelassenheit wieder zu finden und die Tränen und ihre Gedanken auf ihre Plätze zurück zu pfeifen. Sie brauchte den Job, sie brauchte das Geld, sie brauchte die Menschen um sich herum um ihr ein wenig Normalität zu geben, ein wenig Halt in der neuen Umgebung. Es war ihr neues Leben und das würde sie sich nicht kaputt machen lassen! Und bisher war er noch nicht aufgetaucht und ihre Schicht statt dessen bald vorbei. Wenn es bis hier hin gut gelaufen war, warum nicht auch noch weiter? Vielleicht war er viel zu müde und kaputt und käme gar nicht. Charlotte wusste er hasste die Tretmühle aus andauernden Verpflichtungen und Terminen. Vielleicht hatte er beschlossen im Hotel zu bleiben. Oder sich mal wieder abgesetzt?

Sie musste schmunzeln, als sie sich an seine Eskapaden erinnerte.

„Wusstest du, dass Donoghue eine neue Freundin haben soll?“, sagte Dimitri neben ihr.

Charlotte sah ihn verwundert an.

Miriam neben ihnen seufzte auf. „Schade… Aber ist das nicht immer so? Die besten sind immer schon vergeben. Und wenn es das nicht ist, dann sind sie schwul“, bemerkte sie enttäuscht.

Charlotte runzelte die Stirn. Es war gerade mal ein Jahr her, dass sie sich getrennt, nein, halt, dass er sie aus seinem Leben gestrichen hatte. Und er hatte schon was Neues an der Angel?

„Tja die Damen! Da werdet ihr euch wohl an mich halten müssen“, flötete Dimitri gerade selbstbewusst, als Charlotte sich, zu ihrer eigenen Überraschung fragen hörte: „Wer ist sie?“ Sofort biss sie sich auf die Lippe und wünschte, sie hätte es nicht gefragt. Wie blöd war sie eigentlich? Warum musste sie sich auch noch selbst quälen?

„Ach so ein Model“, hörte sie Dimitri sagen.

„Ja, die beiden sind schon seit ein paar Monaten zusammen. Und sie sehen toll aus miteinander! Sie ist ganz zierlich, blond, große blaue Augen und sehr sehr hübsch und erfolgreich und kommt aus guter Familie“, setzte Miriam hinzu.

Charlotte spitzte verblüfft die Ohren. Miriam wusste verdammt viel über die neue Flamme ihres Ex. Sollte sie etwa ein Fangirl sein?

Am anderen Ende des schön geschmückten Saales kam Bewegung in die Menschenmasse, vereinzelt wurden Rufe laut. Die Menge schien jemanden am Eingang des Saales zu begrüßen und überschwänglich zu preisen.

Dimitri stieß sich von der Wand ab und sagte: „Na dann… werden wir wohl mal wieder. Sieht so aus, als wäre die Trophäe des Abends doch noch erschienen.“

„Ja…“, seufzte Miriam.

„Super. Fehlte mir gerade noch!“, knurrte Charlotte.

Aber wie hieß es doch gleich? Desto später der Abend, desto schöner die Gäste? Tatsächlich konnte sie sehen, wie sich der Star des Abends gelassen, ein einnehmendes Lächeln auf seinen Zügen, einen Weg durch die Menge bahnte, an der Hand seine bezaubernde Freundin.

Wobei sich den Weg bahnen die falsche Beschreibung war, da sich die Menge vor ihm wie das rote Meer vor Moses teilte. Von Arbeit auf seiner Seite konnte also keine Rede sein, stellte Charlotte missmutig fest.

„Und wieder mal fällt es ihm alles in den Schoß! Verdammtes Glückskind!“, grummelte sie, als sie sah, wie er auf eine Gruppe Kollegen oder Freunde zusteuerte, die ihn glücklich begrüßten und in ihre Mitte zogen.

***

„Tom! Schön dich hier doch noch zu sehen! Wir dachten schon Norah hätte dich endgültig im Hotel fest gekettet!“, rief einer seiner Kollegen.

Tom wiegelte lachend ab, sah aber wie Norah kurz angesäuert guckte.

„Wie du hast noch gar nichts zu trinken?“, fragte ihn einer seiner Bekannten.

„Nein, irgendwie hatte ich noch nicht die Gelegenheit“, lachte Tom

„Stand da nicht so eine niedliche verträumte Kleine mit blonden Haaren am Eingang?“, fragte der Bekannte.

„Nein, beziehungsweise, ja, aber ihr Tablett war leer. Deswegen hat sie mich an eine ihrer Kolleginnen weiterempfohlen, die hier irgendwo durch die Hallen schweben soll. So eine Brünette, schlank, mit dunklen Augen…“, Tom ließ den Blick durch die Halle schweifen. Wenn er den heutigen Abend überleben sollte, brauchte er dringend etwas intus. Eigentlich wollte er gar nicht hier sein, am liebsten würde er den Abend einfach mal nichts tun, frei nehmen, früh schlafen gehen. Nicht immer lächeln, Konversation betreiben müssen, gut aussehen und lieb zu allen sein müssen.

Bisher war von einer brünetten schlanken Kellnerin noch keine Spur zu sehen. Aber er bemerkte wie Michael anfing zu winken. Offenbar war das Wesen mit der flüssigen Nervennahrung erspäht worden.

Hilfsbereit kam die Kleine im schwarz-weißen Outfit auf die Gruppe zu. Ihre langen dunklen Haare waren zu einem strengen Zopf nach hinten gebunden, was ihr helles Gesicht nur noch mehr leuchten ließ.

Tom war verblüfft.

Ihre Haut war weiß wie Milch oder Schnee und ihre Augen waren, in dem Dämmerlicht, dass in dem Saal herrschte, tief schwarz, genau wie ihr Haar.

Tom hielt entsetzt die Luft an!

***

Charlotte konnte den direkten Wink kaum ignorieren, auch wenn sie lieber nicht gegangen wäre. Aber sie wusste die Augen ihres Chefs waren überall und es würde Ärger geben, wenn sie eine so direkte Aufforderung übersehen würde.

„Verdammt! Wo ist eigentlich Dimitri wenn man ihn mal braucht!“, fluchte sie leise und machte sich auf den Weg zu der Gruppe. Schon von weitem sah sie seine lange dürre Gestalt aus der Menge ragen, seine rötlich leuchtenden Ringellöckchen, die sie zu Beginn ihrer Bekanntschaft so scheußlich fand. Sie sah ihn gestikulieren, als er sprach, sah wie er sich immer wieder mit einer seiner Hände durch diese Locken oder aber unter den Hemdkragen fuhr. Er war nervös, das konnte sie bis zu dem Platz an dem sie stand spüren. Er war nervös und wollte eigentlich nicht hier sein.

Dann sah sie das Mädchen an seiner Seite. Es war genau so wie Miriam es beschrieben hatte. Blondes Haar, wie gesponnenes Gold, lang bis zur Hüfte und offen. Zierlich und kleiner als er, ungefähr ihre Größe. Sie hätte ihr locker in die wunderbaren, zauberhaften, veilchenblauen Augen sehen können. Sie war eine Trophäe, keine Frage. Sie war die Frau, die er brauchte, um auf den roten Teppichen dieser Welt glänzen zu können.

„Ja bitte?“, fragte Charlotte als sie sich bewusst mit dem Rücken zu Tom stellte und seinen Bekannten fragend ansah. „Was kann ich ihnen bringen?“ Das der Typ bereits ein Glas in der Hand hielt ignorierte sie gekonnt.

Er sah sie grinsend an. „Oh nein, nicht für mich. Ich habe schon“, und wie zum Beweis, dass er bereits versorgt war, hielt er ihr sein Glas unter die Nase.

„Naja aber sie haben doch zwei Hände“, entfuhr es Charlotte, nur um kurz darauf die Zähne zusammen zu beißen. Das hätte sie nicht sagen dürfen!

Aber der Typ nahm es gelassen und lachte schallend über ihren Kommentar. „Na, nicht nur hübsch auch noch amüsant“, pries er sie Tom an, der nur ein schwaches: „Ja, sehr gut Michael“, hören ließ.

„Nein, nein, Tom hier braucht dringend etwas zu trinken“, sagte Michael und drehte Charlotte zu ihm um.

Charlotte starrte fest auf ihr Tablett. Es war eine blöde Situation. „Champagner?“, fragte sie mit leicht zitternder Stimme.

Es war alles so peinlich. Ihre Wangen nahmen langsam aber sicher eine bedrohliche Rottönung an und ihre Hände begannen auf einmal so zu zittern, dass sie Mühe hatte ihr Tablett ruhig zu halten. Alles was sie wollte war nur noch im Boden zu versinken oder den Mut aufbringen, der nötig wäre, um wegzulaufen. Ich sollte nicht hier sein! Ich sollte so was von nicht hier sein, schrie es in ihr.

Aus der Ferne erreichte sie seine ablehnende Antwort. „Nein, danke. Nicht für mich.“

„Aber für mich!“, vernahm sie die zickige Antwort seiner Freundin. Nun, wenn sie dieses Püppchen bedienen wollte, sollte sie zumindest mal sehen, wohin sie das Glas reichte, sonst würde es in einer Katastrophe enden.

Langsam hob sie die Augen und streifte mit ihren Blicken das makellose Dekolletee der Dame, dabei blieben ihre Augen an einem zarten Kettchen hängen, dass um ihren schlanken Hals lag. Es war eine einfache schlichte Silberkette, doch nicht die Kette war das schockierende an der Sache, sondern der Anhänger, der kurz unter ihrer Halsgrube lag, eine silberne Schneeflocke mit einem leuchtenden blauen Stein in der Mitte!

Charlotte konnte ihren Blick nicht von dem Anhänger nehmen und schnappte nach Luft.

„Was ist denn mit der los?“, hörte Charlotte die Blondine fragen.

Charlotte biss die Zähne zusammen. „Mist Mist Mist!“, flüsterte sie leise und verwünschte sich dafür nicht mit dem Zittern aufhören zu können.

„Geht es dir nicht gut? Möchtest du dich hinsetzen?“, hörte sie Tom fragen und es klang so besorgt, dass Charlotte die Zähne noch fester aufeinander biss.

„Der Anhänger…“, presste sie hervor. Sie konnte es nicht fassen! Diese blöde Modelkuh trug ihren Anhänger! Ihren Anhänger!

Charlotte schwirrte der Kopf und ihr Magen krampfte sich zusammen, ihre Beine drohten einzuknicken! Pure Verzweiflung wurde über ihr ausgekippt wie kaltes Wasser aus einem Eimer. Warum trug dieses Weib ihren Anhänger?

„Der ist wunderschön nicht?“, flötete die Blondine völlig ahnungslos.

Wie hätte sie auch wissen sollen was genau sie da um den Hals trug?

„Tom hat ihn mir zu unserem Halbjährigem geschenkt.“

Mit schaudern konnte Charlotte beobachten wie sie den Anhängern nach Beifall heischend in der Runde herum zeigte.

„Nein wie hübsch.“, „Wunderschön.“ und „Was für eine tolle Idee von Tom dir so etwas Außergewöhnliches zu schenken.“, waren die einhelligen Antworten der umstehenden Frauen.

Es rauschte nur so an Charlotte vorbei. Ihre Übelkeit und der Aufruhr in ihrem Magen nahm immer mehr zu. Sie musste dringend von hier verschwinden. Am besten jetzt gleich.

„Und was für ein schöner Stein! Schau nur, der hat die Farbe von seinen Augen! Wie romantisch und aufmerksam das doch ist. So hast du ihn immer bei dir, selbst wenn er wieder zum filmen unterwegs ist. Was ist das für ein Stein?“, ließ sich eine der anwesenden Frauen hören.

„Das ist ein Saphir“, erläuterte Toms Freundin und Charlotte konnte die Selbstzufriedenheit in ihrer Stimme hören. „Ja, ein echter Saphir. Von ihm für mich.“

„Ein Aquamarin“, sagte Charlotte tonlos.

„Entschuldigung, wie bitte?“

„Es handelt sich um einen Aquamarin. Ein Saphir von der hellen Farbe wäre fast nichts wert. Wenn er ihnen also tatsächlich gesagt hat, es sei einer, dann würde ich mir mal Gedanken machen und ihn fragen warum sie ihm so wenig wert sind“, platzte Charlotte heraus, blickte auf und starrte sie und Tom wütend an, zumindest hoffte sie das, denn es wäre ihm recht geschehen.

Tom starrte nur wütend zurück.

„Tom, Darling?“, fragte seine Begleitung, hängte sich an seinen Arm und guckte ihn mit einem Schmollmund aufreizend von unten her an.

„Ja, Tom, was ist es denn nun?“, fragten auch andere.

Doch Tom starrte nur auf Charlotte herunter. „Ein Saphir, Norah Schatz. Das ist das was man mir in dem Laden gesagt hat“, teilte er abwesend seiner Freundin mit.

Charlotte konnte nur noch knurren vor Wut. Sie hätte zu gern gefragt, in welchem Laden er den Anhänger wohl gekauft hatte, denn dieses Stück war eine Einzelanfertigung. Erschaffen für nur eine einzige Person! Nämlich sie!

Norah lächelte sie eiskalt an und Charlotte wurde die ganze Scharade zu viel, als ihre aufgestaute Wut sich die Bahn brach. Sie würde sich nicht wie den letzten Dreck behandeln lassen.

„Was ist nun mit meinem Glas?“, fragte das die Blondine.

Charlotte hob eine Augenbraue. Oh, so war das? Norah Schatz wollte ein Glas haben?

Ruhig nahm Charlotte ein Glas von ihrem Tablett und goss dessen Inhalt auf Toms Schuhe. Dann überreichte sie mit dem freundlichsten Lächeln dass sie zustande brachte und mit der größten Würde zu der sie fähig war, seiner Freundin das Glas.

„Bitte schön“, trotzdem sie es hatte fest klingen lassen wollen, konnte sie nicht verhindern, dass sich ein kleines Schluchzen hineinmischte. „Den Anhänger hat er übrigens nicht gekauft. Nirgendwo. Kann er auch nicht, denn es ist eine Sonderanfertigung. Er ist einmalig auf der Welt und er wurde nur für eine einzige Person gemacht. Und die sind sie nicht. Es ist mein Anhänger. Er hat ihn von mir, weil ich so blöd war ihn in London vor gut einem Jahr zurückzulassen. Wenn sie hinten auf der Flocke nachsehen wollen, werden sie die Gravur „SG für CG“ finden, falls sie mir nicht glauben wollen.“ Damit drehte sie sich um und lief erst langsam, dann immer schneller in Richtung Küche.

2.

In der Küche angekommen stützte sie sich heftig von Heulkrämpfen und Magenschmerzen geschüttelt an der Wand ab und rutschte langsam auf den Boden herab. Sie hätte es bleiben lassen sollen. Es war eine blöde Idee gewesen. Nun war alles aus. Die Tränen liefen, ohne dass sie etwas daran hätte ändern können.

Sie wollte ihren Anhänger wieder haben. Er gehörte nicht an den Hals dieser Zicke! Unter gar keinen Umständen!

Und sie wollte ihren Frieden wieder haben! Sie wünschte sich all das wäre nicht passiert.

Nicht nur das eben in der Halle, wo er mit seinen tollen feinen Freunden zusammenstand und vermutlich gerade um Erklärungen rang, die er seinem niedlichen Model präsentieren konnte. Sondern sie wünschte sich, dass alles was in den letzten zwei Jahren abgelaufen war, nie passiert wäre!

Tom Donoghue! Der von ihr meißten gehasste Name der Welt.

Wäre sie ihm doch nie begegnet! All das was sie im vergangen Jahr geschluckt hatte, was sie nicht zugelassen hatte kam nun hoch. Ihr Kopf schmerzte wie wahnsinnig, die Tränen rannen die Wangen runter und ihre Nase lief ohne Ende. Ihr Make-up war vermutlich völlig ruiniert!

Sie würde sich nie wieder blicken lassen können. Weder vor ihrem Chef, der sie natürlich umgehend feuern würde. Konnte sie es ihm verübeln? Wenn sie einen der anderen Gäste auf der Feier hätte vergraulen können, aber nein! Sie lachte trübselig! Nein, sie musste sich am Star des Abends und seiner bildschönen Freundin vergehen! Noch vor ihren Kollegen! Wie sollte sie den anderen erklären, was da abgelaufen war? Gab es denn überhaupt eine vernünftige Erklärung dafür?

Sie wusste es nicht und sie wollte auch nicht mehr denken. Nie nie wieder. Gott war ihr schlecht!

Sie wollte irgendwo in eine dunkle Höhle, wo sie keiner mehr sah oder hörte, damit all diese komplizierten Probleme und diese furchtbaren Schmerzen und der Hass auf ihre eigene Dummheit ein Ende fanden.

***

Kaum war Charlotte verschwunden, kam eine andere Bedienung herbeigelaufen.

„Es tut mir so leid“, hörte Tom sie sagen. „Hier ihr Champagner. Ich weiß auch nicht was in meine Kollegin gefahren ist. Normalerweise ist sie nicht so.“

Als Tom sich seiner Gruppe wieder zuwandte, sah er noch, wie Norah das Glas von der Bedienung entgegennahm,wobei sie die Bedienung nicht mal zu bemerken schien. Norah behandelte sie eher wie einen Gegenstand, wie eine Art Kommode, auf der sie ihr Glas vor Kurzem abgestellt hätte und nun wieder aufnahm. Tom beobachtete Norahs Reaktion erschrocken. Wie konnte Norah nur so mit Menschen umgehen? Fast hätte er sie gefragt, wandte sich aber lieber an die Blondine, die sie gerade bedient hatte.

„Tut mir leid, ich glaube das war ganz allein meine Schuld“, sagte er zu ihr und sah, wie sie ihn aus großen Kinderaugen ansah.

„Nein, es ist wirklich… ich weiß auch nicht“, begann sie zu stammeln.

Vermutlich wurde ihr gerade bewusst, wem sie gegenüberstand. Tom kannte die Art von Schreckreaktion bereits, weswegen er sich von ihr nicht aus der Ruhe bringen ließ. Im Moment, fand er, gab es wichtigere Dinge, als seinen Promistatus.

„Hören sie…“, Tom ließ die Frage nach ihrem Namen unausgesprochen in der Luft hängen.

„Miriam.“

„Miriam. Ich möchte nicht, dass Charlotte Probleme wegen mir bekommt.“

Miriam schnappte voller Überraschung nach Luft.

Tom übersah diese Reaktion. „Miriam, es wäre mir lieb, wenn sie vielleicht mal nach ihr gucken könnten? Ich mein, ich würde es ja selber machen, aber so wie ich sie kenne würde sie das nur noch mehr aufregen und dann gibt es eine noch viel größere Katastrophe?“, bat er sie.

Miriam riss die Augen noch weiter auf, falls das noch im Rahmen des Möglichen war. Sie nickte und zog sich mit einem kleinen Lächeln in Richtung Küche zurück.

Tom sah ihr so lange besorgt nach, bis Norah sich bei ihm einhängte und seine ungeteilte Aufmerksamkeit beanspruchte. Als er sie anblickte, sah er ihren strengen Gesichtsausdruck. „Was?“, fragte er und zuckte die Schultern.

„Das war eine Kellnerin“, sagte Norah.

***

Charlotte hatte sich in eine Ecke der großen Küche gedrückt, wo sie dem Personal nicht im Weg war. Sie hatte sich gerade etwas beruhigt, als die Schwingtür aufging und Miriam den gekachelten Raum betrat. Als Charlotte Miriams besorgten Gesichtsausdruck sah, fing sie sofort wieder an zu schluchzen, was Miriam einen Stoßseufzer entlockte, bevor sie zu ihr herüber kam.

Charlotte machte ein paar abwehrende Bewegungen mit den Händen und schüttelte den Kopf. „Nein. Ist schon gut. Es geht schon“, quäkte sie verschnupft, als Miriam direkt auf sie zukam.

„Erzähl keinen Blödsinn“, meinte Miriam nur, griff nach einer Küchenrolle, die auf einer der Arbeitsplatten lag. „Hier“, sagte Miriam in mitfühlendem Ton und reichte ihr die Rolle runter.

„Danke“, stotterte Charlotte und riss eines der Blätter ab und betupfte sich die Augen. Mehr sagten sie nicht.

Erst als die schlimmsten Schluchzer verebbt waren fragte Miriam: „Was war da draußen los? Warum hast du dich so daneben benommen?“

Charlotte schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“

„Aber du bist doch sonst nicht so, Charlie“, sagte Miriam und kniete sich neben ihr auf den Küchenboden.

Charlotte gab nur einen unverständlichen Laut von sich. Als sie von der Küchenrolle in ihrem Schoss aufsah, erhaschte sie einen von Miriams besorgten Blicken. Hilflos zuckte Charlotte die Schultern und seufzte schwer. Miriam griff sich die Küchenrolle. Nachdenklich riss sie eines der Blätter ab und begann vorsichtig in Charlottes Gesicht herumzuwischen.

„Dein ganzes Make - up ist verlaufen. So wird das nie was“, sagte sie tadelnd. „Ach Charlie“, seufzte sie dann.

Charlotte begann wieder zu heulen. „Ich kann doch nichts dafür“, stammelte sie, „Es ist einfach … Es ist einfach so passiert“ sie brach ab und putzte sich die Nase. „Und es ist so unfair!“, heulte sie.

Miriam blickte sie streng an. „Was ist so unfair?“, fragte sie und ließ die Hand mit dem Küchenpapier in ihren Schoß sinken.

„Alles!“, sagte Charlotte

„Wie alles?“, fragte Miriam. „Du bist total komisch. Charlie, was ist los? Du kannst doch einem Gast nicht einfach so Champagner auf die Schuhe kippen.“

Charlotte sah Miriams fassungslosen Blick. „Ich weiß doch“, würgte sie hervor. „Das weiß ich doch.“

„Und trotzdem …“, sagte Miriam.

„Ich weiß“, Charlotte schnappte nach Luft. „Aber es ist doch …“

„Tom Donoghue?“, fragte Miriam. „Ich weiß.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber was hat dein Verhalten damit zu tun? Wenn das der Chef mitbekommt, dann bist du in Teufels Küche.“

Charlotte nickte und presste die Lippen aufeinander. Wütend zerpflückte sie ein Blatt von der Küchenrolle. Miriam hatte so recht. Sie war wirklich in Teufels Küche. Wie hatte das nur passieren können? Ihr! Das war alles nur seine Schuld! Das war nur wegen ihm und dieser Schnepfe, die er seine Freundin nannte! Seine Freundin! Charlotte heulte kurz auf. Es war gerade mal ein Jahr her und er hatte schon wieder eine Neue! Nach einem hlaben Jahr schon hatte er sie vergessen gehabt! Nach nur einem halben Jahr! Die Tränen liefen ihr wieder über die Wangen.

„Weißt du das er mich geschickt hat?“, fragte Miriam und strich ihr mitfühlend eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Charlottes Kopf schoss hoch. „Was?“, platzte es aus ihr heraus. „Das kann nicht sein!“

„Doch“, sagte Miriam und es klang sowohl verwirrt als auch stolz. „Er hat gesehen wie du weggerannt bist und als ich kam um seiner Freundin ein Glas zu geben, da hat er mich angesprochen und mir gesagt, ich soll nach dir sehen.“ Miriam schien kurz nachzudenken. „Nicht das ich nicht auch so gekommen wäre“, fügte sie schuldbewusst klingend hinzu. „Aber er hat mich eben darauf angesprochen. Und mir gesagt, dass, so wie er dich kennt, du vermutlich heulen würdest. Und das ich nach dir sehen sollte.“

Charlotte konnte förmlich sehen, wie es in Miriam arbeitete.

„Eigenartig, findest du nicht?“, fragte Miriam.

„Nein, überhaupt nicht“, sagte Charlotte barsch, putzte sich nochmal die Nase.

„Hör mal, das klang als ob ihr euch kennen würdet. Du und er. Und wenn er nicht Tom Donoghue und es nicht so absurd wäre, dann würde ich das fast glauben. Das mit dem kennen.“, meinte Miriam. „Warum sonst solltest du so aus der Rolle fallen. Und warum sollte sich einer wie er Sorgen um dich machen?“, fügte sie hinzu. Miriam runzelte die Stirn.

Charlotte wurde kalt. Wenn Miriam so weiter machen würde könnte sie bald eins und eins zusammenzählen, etwas das es unter allen Umständen zu verhindern galt. Sie musste zusehen, dass sie sich schnell wieder in den Griff bekäme und mit dem Heulen aufhörte, um Miriam eine vernünftige und vor allem unverfängliche Erklärung für sein hirnrissiges Verhalten zu liefern!

„Weil weil…“, sagte Charlotte und suchte verzweifelt nach einer Antwort, „weil es mir nicht gut geht. Ich habe Kopfschmerzen und diese blöde Kuh, die da neben ihm stand, die hat mich total sch..schlimm behandelt.“

Charlotte hörte Miriam leise lachen.

„Und weil er eben ein furchtbarer… ein furchtbar netter Typ ist“, heulte Charlotte eben, als die Schwingtür der Küche mit einem lauten Krachen an der gekachelten Wand landete.

Charlotte und Miriam schreckten aus ihrer stillen Ecke hoch und auch sonst drehten sich alle andern in der Küche um. Aufgebracht stand der Chef mitten in der Küche. Hinter ihm schwang die Küchentür mit einem traurigen Quietschen wieder zurück.

„Bist du eigentlich völlig wahnsinnig geworden?“, keifte er Charlotte an, die Arme in die Hüften gestemmt, mit hochrotem Kopf. „Ausgerechnet der Superstar des Abends und seine Freundin! Bist du noch ganz bei Trost! Was hast du dir dabei gedacht den Leuten den teuren Champagner auf die Schuhe zu kippen und die Dame so zu beleidigen? Hast du eine Ahnung was das für mich bedeutet? Hast du eine Idee, wie sehr mir so etwas das Geschäft ruinieren kann?“ Dann wandte er sich Miriam zu und polterte: „Was tust du überhaupt hier? Solltest du nicht bei den anderen draußen sein um weiter zu bedienen? Es wird immer besser! Wofür bezahle ich euch eigentlich? Sieh zu das du raus kommst und zwar schnell!“

„Aber Chef“, wagte Miriam einen sachten Einspruch.

Auf der Stirn des Chefs begann eine Ader hervorzutreten und nervös zu pochen. Charlotte griff nach Miriams Arm und berührte sie: „Geh schon. Los! Bevor er explodiert.“, sagte sie zu ihr.

„Aber Charlie“, sagte Miriam.

Charlotte nickte nur und wies mit dem Kinn in Richtung der Schwingtür. „Los!“, drängte sie Miriam.

Miriam warf ihr einen mitfühlenden Blick zu, drückte ihr die Küchenrolle in die Hand und begann umständlich an ihrem Kostüm herumzuzupfen.

„Dallie Dallie Dallie!“, fuhr der Chef sie an und Miriam zuckte zusammen.

„Ja, ich mach ja schon“, sagte sie zu ihm. „Viel Glück noch“, flüsterte sie Charlotte zu.

Die schluckte schwer. „Danke“, würgte sie hervor. Mehr brachte sie nicht zustande, denn jetzt begann sich ein dicker Kloß in ihrem Hals zu formen, der allein schon das Atmen schwer machte.

Miriam war kaum durch die Tür verschwunden, da fuhr der Chef sie herrisch an: „Was für eine Katastrophe! Verdamm mich noch mal!“

Charlotte versuchte die Tränen in Schach zu halten und nicht zu wimmern.

„Was hast du dir dabei gedacht? Kannst du mir das mal bitte erklären?“, fuhr ihr Chef sie an. „So eine Show abzuziehen! Bist du noch ganz bei Trost!“

Charlotte biss sich auf die Lippen und zog die Nase hoch. „Ja“, sagte sie leise.

„Und sieh nur an wie du jetzt aussiehst!“ Der Chef stieß ihr einen Finger in die Brust. „Wie ein Haufen Elend!“, sagte er. „Meinst du ich kann solche Leute gebrauchen?“, herrschte er Charlotte an.

Sie schüttelte mühsam den Kopf.

„Häh?“, machte der Chef. „Was hast du gesagt?“, fuhr er sie an. „Was hast du gesagt als ich ich fragte … “

„Nein“, brachte Charlotte das Wort endlich über die Lippen. „Nein können sie nicht.“

„Eben“, stellte er befriedigt fest. „Ganz genau! So einen Dreck kann ich hier nicht gebrauchen. Unter normalen Umständen nicht und heute Abend erst recht nicht!“ Er beäugte sie misstrauisch.

Charlotte wich ihm aus und starrte auf ihre Schuhe.

Ihr Chef stöhnte. „ Sieh zu das du nach Hause kommst!“, fuhr er sie an. „So kann ich dich hier nicht gebrauchen! Völlig verrotzt und verheult! Gott, was sollen die Leute bloß von mir denken?! Wenn das den Folgeauftrag versaut, dann kannst du dich warm anziehen! Sei froh, dass du für gewöhnlich so gut bist, sonst würde ich dich gleich feuern!“

Charlotte schluckte und hob den Blick ein wenig. Es reichte um zu sehen, wie Dimitri neugierig den Kopf durch die Tür steckte.

"Au weia!“, hörte Charlotte ihn murmeln, als er den Rücken vom Chef entdeckte, nur um kurz darauf ohne weitere Erklärungen wieder zu verschwinden.

***

Ungeduldig wartete Tom. Immer wieder sah er sich in der gut gefüllten Halle um und jedes Mal wenn sein Blick einen der Kellner streifte, sah er genauer hin in der Hoffnung es möge die Blondine von vorhin mit einer Nachricht sein.

„Schatz?“ Norah hängte sich bei hm ein und zog seine Aufmerksamkeit auf sich. „Was machst du denn da?“

Tom renkte sich weiter den Hals aus auf der Suche nach der Kellnerin. „Nichts“, murmelte er, als er einen blonden Haarschopf aus der Küche kommen sah. Das ist sie, dachte er und er wäre am liebsten sofort losgelaufen, doch Norahs Gewicht an seinem Arm hinderte ihn daran. Mit verkniffenem Gesicht sah er wie die Blondine kurz hinter der Küchentür stehen blieb, sich suchend im Raum umsah und sich dann in die entgegengesetzte Richtung von ihm entfernte.

„Mist!“, fluchte er und löste Norahs Hand von seinem Arm. Ohne die blonde Kellnerin aus den Augen zu lassen sagte er zu Norah: „Schatz, entschuldige mich mal eben einen Augenblick ja?“, und noch bevor er Norahs Antwort überhaupt gehört hatte, war er bereits in der Menge verschwunden.

Nach wenigen Minuten stand er direkt hinter der blonden Kellnerin, tippte ihr behutsam auf die Schulter. Erschrocken drehte sie sich zu ihm herum.

„Und?“, drängte Tom.

Die Kellnerin sah sich hektisch in der Halle um und sie zuckte zusammen, als ihr Blick die Küchentür streifte. Aus der trat, wie Tom sehen konnte, ein kleiner dicker Mann. Genauso breit wie hoch.

„Ich kann jetzt nicht“, hauchte sie und drückte einem Gast ein volles Glas in die Hand und lief dann weiter durch den Saal.

Tom musterte den Typen an der Tür für ein paar Augenblicke. Als er sich umdrehte war die Kellnerin schon in der Menge verschwunden.

„Hey, Miriam, jetzt warten sie doch mal!“, rief er und folgte ihr. „Ich will doch nur wissen …“, er quetschte sich durch die Menge, immer dicht hinter ihr, „ich will nur wissen, wie es gelaufen ist?“.

Er konnte sehen wie sie die Schultern zuckte.

„Jetzt sagen sie doch schon. Haben sie sie gefunden? Hat sie geheult? Ich wette sie hat geheult“, textete er sie zu.

„Ja hat sie. Aber ich kann jetzt wirklich nicht mit ihnen reden. Tut mir leid“, hörte er sie schnell antworten. „Bitte schön. Ja, das leere Glas nehme ich gleich wieder mit. Nein, kein Problem.“ Höflich lächelte sie einem Gast zu, der ihr sein leeres Glas in die Hand drückte.

„O.k. Ich versteh schon“, lenkte Tom ein, „aber sie können mir doch wenigstens sagen, ob sie noch in der Küche sitzt oder nicht?“, fragte er.

Die blonde Kellnerin wirbelte herum und sah ihn bestürzt an. „Ich weiß nicht“, murmelte sie.

Tom stutzte. „Was meinen sie, sie wissen nicht?“, fragte er und drängte sich nach ihr durch die Menge, weil sie ihren Rundgang wieder aufgenommen hatte. Geduldig wartete er, bis sie wieder ein paar Gläser entgegengenommen hatte. „Wissen sie nicht ob sie noch in der Küche ist oder?“, fragte er.

„Ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist, ihnen zu helfen“, sagte die Kellnerin. „Ich glaube nicht, dass Charlotte das gut finden würde.“ Sie sah ihn ernst an.

„Sagen sie mir einfach was sie wissen“, meinte Tom, der merkte, dass der Blondine das Thema unangenehm war. „Den Rest entscheide ich. Sie haben damit gar nichts zu tun. Ich schwörs“, versicherte er ihr.

Die Kellnerin rang kurz mit sich selbst. „Na schön. Aber wenn es Ärger gibt, sagen sie ihr, dass das ihre Idee war“, meinte sie zu ihm.

Tom nickte. „Keine Sorge, das mach ich.“

„Gut, also soweit ich weiß müsste sie noch in der Küche sein. Zumindest hab ich sie da zurückgelassen. Wenn sie Glück haben finden sie sie da noch“, sagte sie.

Tom lächelte sie an. „Heißesten Dank. Sie haben mir sehr geholfen“, sagte er.

Die Blondine verzog nur den Mund, als wenn sie sich nicht so sicher wäre, dass sie das nicht noch bereuen sollte. „Aber wie gesagt, das war alles ihre Idee“, warnte sie ihn.

Tom nickte nur und sah ihr hinterher, als sie in der Menge verschwand.

Tom lief in Richtung Küche und das obwohl er es noch vor ein paar Minuten nicht wollte. Natürlich wollte er das es Charlotte gut ging, deswegen hatte er ihr Miriam hinterhergeschickt. Eben damit sich jemand, nur nicht er, darum kümmern konnte.

Was trieb er eigentlich?

Charlotte war wieder voll und ganz neben der Spur gewesen. Wie konnte sie ihm bloß den Champagner auf seine Schuhe kippen und die Dreistigkeit besitzen Norah ein leeres Glas zu reichen? War sie verrückt? Oh nein. Sie war nicht verrückt, sie war Charlotte.

Dann noch die Sache mit dem Anhänger. Tom fuhr sich mit der Hand gestresst durch die Locken. Sicher, es war eine dumme Idee gewesen ihn an Norah weiter zu reichen. Es war etwas … billig. Musste er zugeben. Aber wie hätte er ahnen sollen, dass sie sich erneut begegnen würden? Wo sie in getrennten Welten lebten. Und wenn sie derart an dem Metallteilchen hing, warum ließ sie es überhaupt bei ihm zurück! Wenn sie Angst vor ihm gehabt hätte, meine Güte, er hätte ihr das Schmuckstück per Post geschickt. Es gab immer Wege!

Sie hätte nur ihren hübschen vorlauten Mund aufmachen müssen. Konnte sie doch sonst auch sehr gut. Im Sachen an den Kopf werfen war Charlotte einsame Spitze!

Thomas schüttelte den Kopf. Charlotte, der Alptraum seiner schlaflosen Nächte.

Missmutig schob er die Küchentür auf. Er sah sich um, entdeckte sie aber erst auf den zweiten Blick.

Sie beugte sich gerade über eine dunkelblaue Tasche und wühlte darin herum. Zwischen drin unterbrach sie immer wieder seufzend und schniefend was auch immer sie tat. Tom wollte sie nicht eiskalt erwischen, weswegen er laut und vernehmlich an die Schwingtür klopfte. Charlotte fuhr herum und Tom konnte einen Sekundenbruchteil gute Sicht auf ihre laufende Nase, ihr verschmiert es Make-up und ihre roten Augen erhaschen.

Shit!, dachte er sich. Er wollte eigentlich nur kurz vorbei kommen und „Hi“ sagen, aber klar, bei Diva Charlotte war gar nichts einfach.

„Was willst du hier?“, fuhr sie ihn hektisch an, während sie ihm den Rücken zu drehte, so dass er ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte.

Vom her Saal drang Tanzmusik zu ihnen herein. Offenbar trug sich der Veranstalter mit der Idee die Leute tanzen zu lassen, um sie so von dem Vorfall abzulenken Er würde auch gern tanzen. Norah wäre bestimmt schon mitten im Getümmel, wild ihre blonde Mähne werfend.

„Ich wollte nach dir sehen“, sagte er ruhig zu Charlotte.

Die gab nur ein spöttisches Lachen von sich. „Als ob. Hast du meinen Anhänger? Und was hast du eigentlich mit dem Lederband angestellt?“, zickte sie ihn an. Dann drehte sie sich ihm wieder zu, strich die langen glatten Haare hinter die Ohren, so dass er freie Sicht auf ihr Gesicht hatte.

Tom starrte verblüfft. Wie war das möglich? Eben noch sah sie aus wie quer durch den Schlamm gezogen und jetzt, keine Minute später stand da eine schöne, sorgfältig geschminkte Frau, an deren Maske keine Spur des Dramas zu entdecken war! „Faszinierend!“, entfuhr es ihm.

„Danke für das Kompliment, aber dafür kann ich mir nichts kaufen, also, der Anhänger?“, sagte sie streng.

„Wie hast du das hingekriegt?“, er war verwundert.

„Oh bitte!“, sagte Charlotte sarkastisch.

Tom kniff die Augen zusammen. „Der Anhänger hängt da wo er hingehört“, meinte er.

Charlotte lächelte dünn. „Du willst es echt wissen oder?“

Tom zuckte nur die Schultern. „Wie konnte ich ahnen, das der dir so wichtig ist? Wo du ihn in London zurück gelassen hast. Abgesehen davon, ich bin sicher, wir können uns einig werden. Norah liebt die Flocke. Ich würde sagen…“, er kramte nach seinem Portemonnaie, "ich würde sagen ich gebe dir Fünfzig Euro und die Sache ist bereinigt?“

Er hob den Kopf und sah wie Charlotte mit vor Empörung offenem Mund vor ihm stand. „Ich glaube ich höre schlecht?“, fauchte sie.

„Nein nein, fünfzig Euro “, versicherte er ihr und hielt ihr den Geldschein hin.

„Der Anhänger“, begann sie mit schriller Stimme, stockte und er sah, wie sie die Lippen aufeinander presste, als sie um ihre Fassung rang. Sie holte tief Luft und sprach in ruhigerem Tonfall weiter: „Der Wert des Anhängers ist unbezahlbar für mich. Außerdem gehört er zu mir. Der ist unverkäuflich. Eben so gut könntest du versuchen Regan zu kaufen!“

„Ach ja Regan.“ Er ließ den Namen ihrer Tochter einige Sekunden im Raum zwischen ihnen stehen, bevor er grinsend fragte: „Wie gehts der Kleinen? Wo ist sie überhaupt? Sicherlich hast du die jetzt für diese Nachtschicht nicht auch irgendwo aus Versehen liegen lassen, hmm?“

Kurz darauf ertönte ein lautes Klatschen und er hielt sich die Wange auf der ihr Handabdruck zu sehen war. „Autsch. Nicht schlecht. Den Teil hatte ich schon fast vergessen“, murmelte er.

„Du bist mal ein echter Dreckstyp!“, fauchte Charlotte und stürmte an ihm vorbei nach draußen. Mitten auf die Tanzfläche, wo sich Norah in aller Lebensfreude wie ein goldener und hellgrüner Brummkreisel drehte.

Charlotte griff ruppig nach ihr und dann nach dem Kettchen, dass um Norahs Hals hing. Tom hörte Norah kreischen, aber es war schon zu spät. Charlotte hatte schon was sie wollte und stürmte aus dem Saal. Zum größten Vergnügen aller Schaulustigen durch die Vordertür.

3.

Müde schlurfte Charlotte aus dem Aufzug und kramte den Schlüssel zu ihrer kleinen Wohnung im siebten Stock des Hochhauses hervor.

Als sie die Tür hinter sich zuzog und in dem kleinen fast viereckigen Flur stand, kam ihr Jackie entgegen. „Schon?“, fragte sie leise.

Aus dem kleinen Zimmer gegenüber dem Flur war Regans leises Schmatzen zu vernehmen. Charlotte nickte geknickt. Dann brach sie wieder in Tränen aus, presste die Hände panisch vor den Mund. Wenn sie so weiter machte würde sie nur Regan und ihre Freundin wecken.

Jackie, nahm ihr die Sporttasche ab und bugsierte sie in das links gelegene Wohnzimmer in dem sich auf einem kleinen Sofatisch Stapel an Papierkram häuften.

„Na nu komm erst mal Mäuschen. Ist doch allet halb so schlimm. Was war denn los?“, erkundigte sie sich bei der immer noch von einem Heulkrampf geschüttelten Charlotte.

„Er war da“, kiekste Charlotte. Sie konnte kaum atmen, der Kummer lag ihr wie tausend Steine auf der Brust.

„Wer war da?“, fragte Jackie und zog Charlotte in den Lichtschein der Sofalampe. „Oh man siehst du scheiße aus“, teilte sie ihr dann wahrheitsgemäß mit.

Charlotte lächelte traurig. „Tom war da“, flüsterte sie dann.

„Wie jetze? Tom? Dein Tom?“

Charlotte nickte.

Jackies pinkfarbener Kurzhaarschopf glühte im gelben Licht der Lampe und sie zog die Brauen zusammen. „Wat macht der n da? Kellnert der och?“

Charlotte schüttelte den Kopf. „Nein, er kellnert nicht“, sagte sie mit zitternder Stimme.

Jackie zog die Augenbrauen hoch. „Charlie“, sagte sie in einem warnenden Tonfall und Charlotte seufzte, als sie sah, wie Jackie sie anstarrte. „Was hast du verjessen mir zu erzähln?“, fragte Jackie.

„Wenn ich es dir sage, versprichst du mir dann, dass du nicht ausflippst und es für dich behalten kannst?“, flüsterte Charlotte und beäugte die andere misstrauisch.

Jackie nickte. „Klar doch“, sagte sie.

„Tom Donoghue“, sagte Charlotte. Mehr nicht.

Jackie sah sie fassungslos an. "Momentchen mal! Du willst mir ehrlich erzählen, du hattest wat mit Tom Tod aller Frauen Donoghue?“ Jackies Augen waren groß wie Unterteller. „Du hattest wat mit nem Star?“, wiederholte sie.

Charlotte nickte.

Jackie pfiff. Dann stand sie auf und lief eine Weile im Wohnzimmer auf und ab, wobei sie immer wieder stehen blieb und Charlotte kopfschüttelnd ansah.

„Dit is doch“, murmelte sie in einer Tour, „dit glob ick jetz nich. Brat ma einer nen Storch! Da haste wat mit nem Star und dit sagste mir nich?“

Charlotte zuckte die Schultern. „Wie hätte ich das denn sagen sollen?“, meinte sie leise. „Das ist nichts was man mal eben so zwischen Tür und Angel sagt.“

„Allerdings!“, schnaubte Jackie „Allerdings. Dit is n Ding.“ Wieder schüttelte sie den Kopf. „Ist die Kleene etwa auch von ihm? Hat se deswegen son Namen?"

Charlotte schüttelte stumm den Kopf und starrte auf ihre Hände. „Nein. Tom war nach Regans Geburt. Vor nicht ganz einem Jahr.“

„Ah“, sagte Jackie und nahm ihren Parcours im Wohnzimmer wieder auf. „Und nu?“, fragte sie Charlotte.

„Was und nun?“

„Wat willste nun machen?“, fragte Jackie.

Charlotte starrte sie eine Weile an. „Nichts“, sagte sie dann. „Was sollte ich schon machen wollen?“

Jackie zuckte die Schultern. „Ick wees nich. Ick mein, wir reden hier von Tom Donoghue! Musste da nich irgjendwat machen?“

Charlotte dachte nach. „Nein“, sagte sie. „Warum sollte ich?“

Jackie überlegte: „Wees er das du hier bist?“

Charlotte fuhr schuldbewusst zusammen. „Oh ja, davon kann ich ausgehen“, sagte sie und sah Jackie´s Stirnrunzeln.

„Warum sagste dit so komisch? Is wat passiert?“, wunderte sie sich.

„Och, nichts“, antwortete Charlotte. Sie wusste sie sollte den Mund halten. Andererseits spätestens morgen würden die Bilder der Party überall zu finden sein und dann, spätestens, würde Jackie eins und eins zusammen zählen. Also lieber ehrlich sein. Was sie an die Kette in ihrer Hosentasche erinnerte.

Missgestimmt kramte sie das silberne Kettchen hervor und zog ihren heiligen Anhänger davon ab. Sie ließ ihn lange in ihrer offenen Hand liegen, betrachtete das kühle Funkeln des Aquamarins darin.

Jackie warf einen interessierten Blick darauf. „Is schön. Was ist das?"

„Mein Lieblingsanhänger. Mein Glücksbringer. Der gehört nicht an den Hals der blöden Obertrulla.“

„Bitte?“ Jackie guckte erschrocken. „Das Teil haste ner anderen abgenommen? Ist jetzt nich dein Ernst.“

Charlotte ging zur Schrankwand und kramte in einem der Schubfächer nach einem Lederband, dann knotete sie sich das Band mit der kleinen Flocke um den Hals. Jetzt fühlte sie sich gleich besser.

„Doch, ich hab es seiner neuen Flamme abgenommen. Morgen wirst du die Aktion vermutlich groß und breit in den Zeitungen und im Klatschfernsehen bewundern können.“

„Seiner neuen Flamme?“, wiederholte Jackie ungläubig.

„Außerdem werde ich vermutlich einen neuen Job brauchen. Das Catering fällt nach der Aktion flach.“

„Da haste dir aber was erlaubt.“

Charlotte nickte und wieder rollten Tränen ihre Wangen herunter. „Tom“, sagte sie leise.

„War er dit wert?“, fragte Jackie mit schief gelegtem Kopf.

Charlotte zuckte heulend die Schultern, was Jackie zum lachen brachte.

„Oh man, der hat dich mal echt ruiniert, wenn de wegen dem so austickst. Mensch Mädel. Du sollst dich doch von solche Typen fernhalten! Hat dir das noch keener jesacht? Aber mal ehrlich, wie war er denn so, wenn ick fragen darf“, wollte Jackie wissen.