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Die Chancen aus Big Data und künstlicher Intelligenz erkennen und jetzt die Digitalisierung vorantreiben! Das globale Datenvolumen wächst Tag für Tag und künstliche Intelligenz optimiert Entscheidungen. Daten und Algorithmen können die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erhöhen und neue Geschäftsmodelle hervorbringen - aber nur, wenn Menschen, Organisationen und Prozesse mitwachsen. Rund 20 Expert:innen zeigen Strategien und Organisationsmodelle für Unternehmen in einer datengetriebenen Welt auf. Auf Chancen und Risiken gehen sie praxisnah ein. Ein Glossar erklärt Fachbegriffe. Ein Buch für alle in Praxis und Wissenschaft, die Daten und künstliche Intelligenz als Wettbewerbsvorteile besser verstehen wollen, sowie für Studierende der Wirtschaftswissenschaften und -informatik. Mit Beiträgen von Expert:innen der Unternehmen Consorsbank/BNP Paribas, Schweizerische Post, PricewaterhouseCoopers Luxembourg, Eindhoven University of Technology, HDBW München, Hochschule Flensburg, s2 data&algorithms, August-Wilhelm Scheer Institut, ValueWorks.ai, elaboratum, htw saar, HSBC Group, Horváth&Partners, avantum consult und 1&1 Telecommunication.
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Markus Thomas Münter (Hrsg.)
Wie verändern Daten Unternehmen?
Strategie und Organisation für eine datengetriebene Welt mit Beiträgen von Shari Alt, Andreas Braun, Wolfgang Decker, Sven Deglow, Wolfgang Faisst, Markus Gildenhard, Torben Hügens, Patricia Kahr, Sonja Christa Köberlein, Kim Kordel, Stefan Kremsner, Annina Neumann, Jörg Neumann, Nataša Pavlović-Höck, Jürgen Rahmel, Victoria Schorr, Joachim Stalph, Rainer Volland, Lisa Weinzierl, Dirk Werth
UVK Verlag · München
Markus Thomas Münter war 15 Jahre Unternehmensberater und im Management von Finanzdienstleistern tätig. Seit 2014 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomie, an der htw saar.
Umschlagabbildung: © Happy_vector ∙ iStockphoto Herausgeberbild: © privat
DOI: https://www.doi.org/10.24053/9783739882246
© UVK Verlag 2023— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISBN 978-3-7398-3224-1 (Print)
ISBN 978-3-7398-0620-4 (ePub)
Schön, dass Sie gerade genau diesen Satz in genau diesem Buch lesen. Wer weiß davon? Sie, ich, wer noch? Wie viele und welche Daten haben Sie bereits hinterlassen, bei der Suche oder dem Finden dieses Buches, beim Kauf und der Bezahlung, der Ausleihe oder dem Download einzelner Kapitel?
Wie viele und welche Daten haben Sie heute schon persönlich verursacht, wo haben Sie digitale Fußspuren hinterlassen? Wie viele Daten haben Ihre Hardware (Smartphone, Laptop, E-Scooter, Auto, Smartwatch, Kaffeemaschine, Kreditkarten etc.) oder die von Ihnen genutzte Software (WhatsApp, E-Mail, digitale Kalender, Online-Banking, Supermarktscanner etc.) heute schon geschaffen? Wer wird diese Daten (Ihre ‚Small Data‘) in Echtzeit oder danach erhalten – wer wird diese Daten künftig in Entscheidungen berücksichtigen, wie werden Unternehmen ihre Organisation und Strategie aufgrund Ihrer Daten anpassen? Wann und wo fließen Ihre ‚Small DataSmall Data‘ mit anderen Daten zu ‚Big DataBig Data‘ zusammen? Wann kommen diese Daten wieder bei Ihnen oder bei anderen Kunden an – in Form von personalisierten Empfehlungen, Echtzeitnavigation, sentimentgetriggertem Social Media Feeds, Anpassungen Ihrer Versicherungsprämie oder Jobangeboten in der Stadt Ihres neuen Lebenspartners?
In einem Artikel des Harvard Business Review im Oktober 2012 haben Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson Big DataBig Data als die nächste Management Revolution bezeichnet. Zehn Jahre später haben allerdings erst 11 % der Unternehmen in Deutschland wirklich Big Data eingesetzt (Bitkom Research 2022). Ist die Revolution ausgeblieben – oder kommt sie jetzt dann irgendwann? Tatsächlich befinden sich viele Unternehmen gerade in einer digitalen Transformation, hin zum Einsatz digitaler Technologien und Infrastruktur, aber insbesondere in der Entwicklung von Strategie und Organisation die helfen, Daten und AlgorithmenAlgorithmen besser zu nutzen. Oft ist hier das Ziel, Entscheidungen zu verbessern und von ihren HiPPOs zu entkoppeln:
„Beware of the HiPPO in the room. When a HiPPO (highest paid person’s opinion) is in play, your organization is most likely not relying on data to inform decision-making. In fact, I believe the HiPPO effect is one of the biggest barriers to more evidence-based and data-driven decision-making. With the quantity and quality of data available today, it is just poor business for organizations to ignore data in favor of making decisions solely based on what the HiPPO wants done.“ (Marr 2017).
Das globale Datenvolumen wächst Tag für Tag. Das bietet Unternehmen zahlreiche Chancen, sofern sie dieser Komplexität gewachsen sind. Daten können die Effizienz von Unternehmen erhöhen und neue Geschäftsmodelle hervorbringen – aber nur, wenn Mitarbeiter, Organisation und Prozesse mitwachsen. Wie kann ein Unternehmen zu einem datengetriebenen Unternehmen werden? Muss ein Unternehmen zu einem datengetriebenen Unternehmen werden, um in einer datengetriebenen Welt erfolgreich zu sein? Davon handeln die Beiträge in diesem Buch. Wir analysieren Möglichkeiten und Herausforderungen aus strategischer und organisatorischer Perspektive und zeigen Best-Practice-Beispiele unterschiedlicher Industrien. Wir sind dabei hoffentlich weder zu optimistisch oder enthusiastisch betreffs der Möglichkeiten, noch zu pessimistisch aufgrund aktueller Herausforderungen – das Ziel ist, tatsächliche Anwendungen und deren Erfolgshebel zu beschreiben, aber auch heute vorhandene Umsetzungshürden zu benennen.
Mein Dank gilt allen, die sich spontan und mit großer Energie mit in dieses Projekt gestürzt haben – es war eine Freude, mit Euch allen über den Winter 2022/2023 zu arbeiten. Die Idee zu diesem Buch habe ich von meiner Frau Cecile – vielen Dank – aber meinen ersten wirklich tieferen Einblick zum Thema Big Data vor elf Jahren verdanke ich Jutta Euchenhofer, auch hierfür vielen Dank.
Saarbrücken und Karlsruhe, im Sommer 2023
Markus Thomas Münter
Der Mobilitätsdienstleister Uber wird meist verkürzt dargestellt als all das, was er nicht hat: Keine eigenen Autos, keine festangestellten Fahrer, oft keine Taxilizenz. Was Uber aber insbesondere hat: Ein enormes Umsatzwachstum – global von 0,4 Mrd. USD im Jahr 2014 auf 31,8 Mrd. USD im Jahr 2022 – mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von fast 73 % (investor.uber.com/financials). Im Jahr 2023 ist Uber aber längst kein reiner Taxidienstleister mehr. Das Unternehmen bietet mittlerweile neben taxiähnlichem Ride-Hailing und Mobilitätsdienstleistungen durch Uber Eats auch Essenslieferungen und mit Uber Freight allgemeine Lieferantendienstleistungen an.
Der wesentliche Wettbewerbsvorteil und ein großer Teil der Wertschöpfung hinter allen Geschäftsmodellen von Uber: Daten und die kluge Analyse der Daten (Wamba et al. 2017 und Teece 2018). Der Kundennutzen steigt, weil Kunden durch Daten besser über Fahrtkosten, Fahrtzeiten sowie Ankunftszeit und Qualität des Fahrers informiert sind. Für Uber entstehen durch Konnektivität von Endgeräten, Fahrzeugen und Fahrern mehr und bessere Daten und damit zahlreiche Möglichkeiten für Serviceverbesserungen, Lösungen für erhöhtes Sicherheitsempfinden, dynamische Preissetzung und neue Geschäftsmodelle. Insbesondere sinken durch die genutzten Daten die Transaktionskosten, so dass Uber trotz besserer Leistungen in der Regel niedrigere Preise als etablierte Taxidienstleister bieten kann. Zudem bindet Ubervielfältige externe Daten – Wetter, Verspätungen des öffentlichen Nahverkehrs, Staudaten oder unerwartete Ereignisse – in Echtzeit in die dynamische Preisbildung ein (Uber Surge Pricing). Die meisten dieser Wettbewerbsvorteile sind für klassische Taxidienstleister nicht imitierbar. Jedes einzelne traditionelle Taxiunternehmen hat zu wenige eigene Daten, um diese gezielt zu nutzen, externe Daten werden oft nicht erhoben. Zudem widerspricht die Logik der Datennutzung den vormaligen Wettbewerbsparametern: Gebietsmonopole, Ortskundeprüfung, geringe Lohnkosten, Preisintransparenz und Informationsasymmetrie zwischen ortsfremden Fahrgästen und Taxifahrern – datengetriebene Geschäftsmodelle können disruptive Veränderungen in Industrien hervorrufen und etablierte Unternehmen verdrängen.
In diesem Kapitel wird ein Überblick über Big DataBig Data, Chancen und Herausforderungen datengetriebener Unternehmen geschaffen. In → Abschnitt 1.1 werden Wachstums- und Wettbewerbsmuster datengetriebener Unternehmen beschrieben, in → Abschnitt 1.2 wird der Einfluss von Big Data auf Entscheidungen gezeigt. → Abschnitt 1.3 grenzt Wettbewerbsvorteile ab, bevor abschließend in Abschnitt → 1.4 typische Herausforderungen und mögliche Strategien auf dem Weg zu einem datengetriebenen Unternehmen skizziert werden.
Viele der Unternehmen, die in den 2000er-Jahren die stärksten Anstiege der Kapitalmarktbewertungen verzeichnet haben und mittlerweile oft große Marktanteile in ihren jeweiligen Industrien besitzen – Google, Airbnb, Netflix, Alibaba, Meta, Visa oder Amazon – haben zumindest eine Gemeinsamkeit: Sie sind datengetriebene Unternehmen. Diese Unternehmen haben umfangreich neue Technologien zur Datengewinnung und -analyse etabliert, sie setzen Daten zentral in ihren Geschäftsmodellen ein und sie nutzen Algorithmen zur Entscheidungsvorbereitung und -unterstützung.
Natürlich ist der Zweck oder das Ziel eines Unternehmens nicht, datengetrieben zu sein. Auch wird sich nicht jedes Unternehmen in ein Plattform-Unternehmen wandeln – das Unternehmensziel ist Überlebensfähigkeit durch hinreichende Erfüllung ökonomischer Ziele. Aber eine wesentliche strategische Option ist, Daten und die Nutzung von Daten als Wettbewerbsvorteil einzusetzen. Mittlerweile sind umfangreich Technologien und Infrastruktur verfügbar, um Daten besser und insbesondere strategisch zu nutzen – aber das Herumspielen mit ChatGPT, die Beschaffung von Cloud-Ressourcen, Business-Intelligence-Software und der Aufbau eines Data Lakes ermöglicht alleine keine dauerhaften Wettbewerbsvorteile.
Für viele Unternehmen, deren Strategie und deren Organisation, geht damit eine riesige Herausforderung einher: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen zumindest prüfen, ob datengetrieben aufgestellt und digital transformiert die Überlebensfähigkeit erhöht wird – unabhängig von der damit verbundenen Implementierung einer neuen Strategie und einer neuen Organisation.
Aber wie macht man das? Natürlich gibt es kein allgemeingültiges Rezept, keinen einfachen Fahrplan und schon gar keine Business-Intelligence-Software oder Hardware, die ein Unternehmen von heute auf morgen zu einem datengetriebenen Unternehmen macht. Auch gibt es bisher keine einheitliche Definition, was ein datengetriebenes Unternehmendatengetriebenes Unternehmen ist. Eine mögliche Beschreibung ist in → Abbildung 1 dargestellt: Eine Organisation, die wesentliche Entscheidungen und Aktivitäten auf Daten und Datenanalyse stützt und dafür notwendige Strukturen, Entscheidungsmodelle, Fähigkeiten und Rollen sowie Technologien etabliert (Brynjolfsson und McAfee 2014, Loebbecke und Picot 2015, Gupta und George 2016, Wamba et al. 2017, Müller et al. 2018, Pflaum und Klötzer 2019 und Mikalef et al. 2020). Oftmals werden darunter im engeren Sinne die Kombination mehrerer Elemente aus datengetriebenem Geschäftsmodell, Anwendung von Data Science/Data Analytics und künstlicher Intelligenz sowie Umsetzung von datengetriebenen Innovationen verstanden (Hupperz et al. 2021).
Datengetriebenes Unternehmen
Ob damit – wie einige Unternehmensberatungen und Teile der Forschung gerade zu suggerieren scheinen – eine ‚Data-Driven-Everything‘-Ausrichtung der Unternehmen einhergeht, kann zumindest bezweifelt werden. Natürlich kann ‚datengetrieben‘ vor nahezu jede Organisationseinheit oder Initiative eines Unternehmens geschrieben werden – aber ‚datengetrieben‘ ist ein Querschnittsthema und erfordert eine umfassende (auch digitale) Transformation der Organisation (Warner und Wäger 2019 sowie Ellström et al. 2021). Allerdings lassen sich zumindest folgende Muster einer datengetriebenen Organisation identifizieren:
In alle wesentlichen Entscheidungen, Transaktionen und Prozesse sind Daten eingebettet und werden nahezu in Echtzeit verarbeitet. Datenmanagement, Datenkonsistenz und Datensicherheit werden zu Wettbewerbsvorteilen in einem integrierten und unternehmensübergreifenden Datenökosystem. Automatisierung wird auf datengetriebene (teil-)autonome Entscheidungen und Systeme ausgedehnt – das gilt natürlich in der Fertigung oder Produktion, aber auch im Rahmen von Marketing-Automation bei der Planung, Ausspielung und dem Controlling von mehrkanaligen Marketingmaßnahmen. Damit werden Daten und Wissen in der Organisation zum Wettbewerbsvorteil, aber dieses Wissen entsteht teilweise durch maschinelles Lernenmaschinelles Lernen aus großen Datensätzen und konkurriert mit Bauchgefühl und Erfahrungswissen von Managern.
Datengetriebene Wettbewerbsvorteile werden in der vierten industriellen Revolution auf Konnektivität ausgeweitet, d. h. die Fähigkeit, sich selbstorganisiert und spontan mit neuen Elementen oder anderen Systemen zu kombinieren oder zu verbinden. Wesentlicher Treiber sind hier Datenformate, -kompatibilität und -standards, die Skalierung ermöglichen und Organisationen leistungsfähiger werden lassen. Die Unternehmensgrenzen gerade auch beim Austausch von Daten werden durchlässiger oder lösen sich auf. Sichtbar wird dies heute beispielsweise in Form von offengelegten IT-Architekturen, BlockchainBlockchain-Technologie oder offenen APIs – und die gemeinsame Datennutzung und der Zugang zu Datenmärkten werden zu einem Wettbewerbsvorteil. Zudem ist die notwendige Rechenleistung leistungsfähiger KI-Systeme derart groß, dass KI-Unterstützung im Wesentlichen in der Cloud und damit außerhalb des Unternehmens stattfinden wird.
In der Folge wird die Koordination über Unternehmen hinweg durch spontane Beziehungen von Mitarbeitern unterschiedlicher Unternehmen, Kunden und Dienstleistern noch stärker projekthaft stattfinden. Datenverfügbarkeit und -qualität werden hier das Bindeglied darstellen und die Effektivität und Effizienz der Koordination bestimmen. Daneben wird die Vielfalt der Mensch-Mensch, Mensch-Maschine und Maschine-Maschine-Beziehungen anwachsen – mit entsprechenden Herausforderungen für Datensicherheit und -Governance, Kommunikation, Entscheidungen und Verantwortlichkeiten.
Die für ein Unternehmen relevanten Daten entstehen dabei konventionell natürlich ‚im eigenen Unternehmen‘, aber künftig insbesondere in weit größerer Zahl außerhalb der eigenen Organisation durch Konnektivität: Hierunter zählen die in Deutschland häufig verkürzt mit der vierten industriellen Revolution gleichgesetzte Industrie 4.0 (oder Internet of Things), d. h. die autonome Kommunikation und Vernetzung von Geräten, Anwendungen oder Prozessen – insbesondere aber die Daten, die von Kunden direkt oder indirekt verursacht werden und genutzt werden können. Zweites großes Element ist die Blockchain-Technologie, die über verkettete dezentrale Buchführungsprozesse unternehmensübergreifend Datenströme auslöst. Drittens spielt die Einbindung nahezu beliebiger Daten externer Quellen eine zunehmende Rolle: Daten aus dem makroökonomischen und technologischen Umfeld, aber auch Wetterdaten, politische oder soziodemographische Entwicklungen und Daten aus Forschung, Nachrichten und Social Media.
Die Beschaffung derartiger unternehmensexterner Daten kann insbesondere durch die Nutzung von externen Datenmärkten wie bspw. AWS Data Exchange, Microsoft Azure Marketplace, DataStreamX, Open Data Market oder Ocean Protocol erfolgen. Unternehmen erhalten damit im Wesentlichen Zugriff auf vier mögliche Wettbewerbsvorteile:
Datenzugang: Unternehmen können fehlende Daten ergänzen oder ihre eigenen Daten erweitern. Dies ermöglicht umfangreichere und vielfältigere Daten zu nutzen, um die Qualität der Datennutzung zu erhöhen und bessere Vorhersagen zu ermöglichen.
Datenmonetarisierung: Unternehmen können umgekehrt eigene Daten auf Datenmärkten verkaufen und daraus Erlöse generieren. Dies ist besonders relevant für Unternehmen, die große Mengen an internen Daten generieren und erkennen, dass diese Daten für Dritte wertvoll sein können.
Partnerschaften und Zusammenarbeit: Datenmärkte ermöglichen es Unternehmen, Partnerschaften und Kooperationen mit anderen Organisationen einzugehen. Durch den Austausch von Daten können Unternehmen gemeinsame Ziele erreichen, Synergien nutzen und voneinander lernen – insbesondere in Perspektive auf datengetriebene Innovationen.
Datenanalyse und Modellentwicklung: Durch den Zugriff auf verschiedene Datensätze auf dem Datenmarkt können Unternehmen fortschrittliche Analysemethoden und KI-Algorithmen entwickeln und verbessern. Ein breiterer Zugang zu Daten ermöglicht es Unternehmen, genauere Modelle und Vorhersagen zu erstellen – um dann wiederum statt den Daten ggfs. Algorithmen und Analysemethoden in den Datenmärkten anzubieten.
Die Herausforderung – egal ob Chance oder Risiko – ist damit, dass durch Daten- und Algorithmenstrategien bestehende Rollen und Aufgaben neu definiert und sortiert werden. Zudem werden die Unternehmensgrenzen poröser und sowohl Prozesse als Organisation fluid. Wenn die hier beschriebenen Entwicklungslinien der Digitalisierung deutlicher hervortreten und sich ggf. wechselseitig verstärken, müssen sich also Grenzen, Organisation und Struktur von Unternehmen anpassen. Unternehmen sind damit gefordert, diese Entwicklungslinien insbesondere durch Unternehmensentwicklungs- und Innovationsinitiativen in Wettbewerbsvorteile zu übersetzen, um ihre Überlebensfähigkeit abzusichern oder weiterzuentwickeln – dies erfordert insbesondere neue dynamische Fähigkeiten zur digitalen Transformationdigitale Transformation (Wamba et al. 2017, Warner und Wäger 2019, Ellström et al. 2021 sowie Bughin et al. 2019). Zur digitalen Transformation als fundamentalem Veränderungsprozess zur Nutzung digitaler Technologien und strategischen Neuausrichtung einer Organisation existiert aktuell allerdings noch eine Vielzahl an Stoßrichtungen (Gong und Rubiere 2021), im Übrigen ist der Startpunkt für alle Unternehmen natürlich unterschiedlich. Damit geht einher, dass kein allgemeingültiger Fahrplan zum Aufbau einer datengetriebenen Organisation existiert.
Zudem zeigen Studien, dass viele Unternehmen zwar auf dem Weg zu datengetriebenen Organisationen sind, aber oft weit davon entfernt, daraus höhere Erlöse oder Gewinne zu erzielen (Brynjolfsson und McElheran 2019 sowie Hagen und Hess 2020). Dean (2021) beschreibt an US-amerikanischen Unternehmen, dass in den Jahren 2019 bis 2021 die Intensität einiger Unternehmen hin zu einer datengetriebenen Organisation abgenommen hat, trotz oder wegen der Coronapandemie. Erfolgsfaktor scheint aber zu sein, dass ein datengetriebenes Unternehmen Produkte und Dienstleistungen für die Kunden in den Vordergrund stellt – statt wie oft suggeriert primär in Technologie investiert und zahlreiche Datenanalysten einstellen. Ebenso ist die Logik eines datengetriebenen Unternehmens immer durch das Geschäftsmodell und mögliche Gewinne definiert, nicht durch Datenbanken oder Algorithmen. Dagegen ist das größte und schwierigste Hindernis oft die Unternehmenskultur und die fehlende Veränderungsbereitschaft in der Organisation (siehe auch → Kapitel 2 von Nataša Pavlović-Höck und Sonja Christa Köberlein).
Das Wachstum datengetriebener Unternehmen hat in den letzten zwei Jahrzehnten seit etwa 2005 oft eine Dynamik gezeigt, die davor unbekannt war. Ein Treiber für die teils exponentiellen Wachstumsraten ist, dass diese Unternehmen keine physischen Produkte, sondern digitale Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Damit ist das Unternehmenswachstum weitgehend von einem sonst notwendigen Anstieg des Kapitaleinsatzes und der Mitarbeiterzahl entkoppelt: Airbnb muss nicht Grundstücke finden, Hotels bauen, Betten beschaffen und Servicepersonal einstellen, sondern lediglich digitale Infrastruktur zum Angebot von Räumen oder Wohnungen und für den Buchungs-, Bezahl- und Bewertungsprozess bereitstellen.
Der wesentliche Wettbewerbsvorteil datengetriebener Unternehmen ist, dass sie Daten strategisch einsetzen, um neue Geschäftsmodelle aufzubauen – z. B. um Netzwerkeffekte in digitalen Geschäftsmodellen zu ermöglichen. Netzwerkeffekte entstehen, wenn Kunden direkt oder indirekt einen höheren Nutzen haben, weil auch andere Kunden dasselbe Produkt oder dieselbe Dienstleistung nutzen. In vielen Geschäftsmodellen geben Kunden oder Nutzer freiwillig und kostenlos ihre Daten her, um Social Media wie TikTok oder Instagram zu nutzen, kostenlos Musik bei Spotify zu hören oder Videos bei YouTube zu sehen, ein Uber Ride zu bestellen, Betriebssysteme wie Android oder iOS zu verwenden oder Apps auf Smartphones zu nutzen. Diese oft durch Daten ermöglichte Netzwerkeffekte führen – wenn sie strategisch angewendet werden – zu schnell skalierenden Geschäftsmodellen mit enormen Wachstumsraten, die als mehrseitige Plattformen oder digitale Ökosysteme oftmals dominante Marktpositionen besetzen.
Die Geschäftsmodelle sind häufig digital – und der Erfolg der Unternehmen liegt oft datengetrieben in kostenbasierten Wettbewerbsvorteilen. Wann immer digitale Daten gegenüber physischen Daten oder Produkten kostengünstiger genutzt werden können, entsteht ein Wettbewerbsvorteil. Daten sind in den Geschäftsmodellen meist der Dreh- und Angelpunkt für die Realisierung von Economies of ScaleEconomies of Scale und Economies of ScopeEconomies of Scope: Je mehr und je unterschiedlicher die Daten sind, desto größer ist oft der Vorteil für die Unternehmen. Zudem sind die Grenzkosten der Daten und der Datenverarbeitung oft nahe Null, so dass weiteres Wachstum nahezu kostenlos möglich ist (Hirt und Wilmott 2014, Brynjolfsson und McAfee 2016 und Münter 2022).
DatenDaten sind dabei die unterste Stufe der oft verwendeten InformationspyramideInformationspyramide: Unstrukturierte oder nicht klassifizierte Daten werden durch Analyse und Aufbereitung zu Informationen, durch ein Verstehen der Informationen entsteht Wissen, welches dann zu Entscheidungen oder Handlungen führen kann. Aus ökonomischer Perspektive sind Daten damit Grundlage für intangible Fähigkeiten in Form von WissenWissen. In der Folge kann mit besserem Wissen bei gleichem Kapital- oder Arbeitseinsatz mehr produziert werden, oder die Produktivität und Effizienz erhöht werden. Zudem entstehen aus der Zusammenführung unterschiedlicher Daten SynergienSynergien, und die Daten selbst verbrauchen sich bei Nutzung nicht, sind also skalierbarSkalierbarkeit ähnlich einem Patent (Haskel and Westlake 2018).
Die genannten digitalen Geschäftsmodelle erlauben insbesondere, dass Daten unterschiedlicher Unternehmensbereiche kombiniert werden können, um wechselseitig die Wettbewerbsfähigkeit von Produkten und Dienstleistungen zu verbessern. So ist der Erfolg von Alphabet maßgeblich geprägt durch die wechselseitige Nutzung kundenspezifischer und individueller Daten aus den Suchanfragen bei Google, den Videos und Kommentaren bei YouTube, der Nutzung des Betriebssystems Android, den Lokationsdaten in Maps, Bewertungen in Google Shopping und vielen anderen Apps und Diensten. Dies gilt sowohl nach innen in der Verbesserung der Entscheidungen von Alphabet zu Produktportfolio oder Kostenstruktur, aber genauso nach außen, beispielsweise durch die Möglichkeit, sehr präzise für Dritte personalisierte Werbung auszuspielen, bessere Vorschläge für das ‚Next Best Offer‘ im Onlineshopping zu machen oder schlicht die richtige Musik- oder Video-Playlist ablaufen zu lassen. Aber genauso konnte Google mit dem Dienst Flu Trends durch Suchanfragen früher (wenn auch nicht immer perfekt) als Ärzte oder Pharmahersteller die Entstehung und Dynamik von Grippewellen erkennen – und nach der Akquisition von Fitbit kennt Google auch den Blutdruck und die Herzfrequenz einzelner Nutzer in Echtzeit. Die Analyse und ein Verständnis der Daten verbessern also die eigenen Produkte, helfen die eigene Effizienz zu steigern, und schaffen neue Erlösquellen und Geschäftsmodelle (Newell et al. 2020, Münter 2021, Teece und Linden 2017 sowie Duch-Brown et al. 2017).
Zudem dringen datengetriebene Unternehmen immer stärker über Industriegrenzen hinweg und in andere Unternehmen ein und lösen durch ihre ÖkosystemeÖkosysteme traditionelle Wettbewerbssituationen auf. So hat im Februar 2023 Mercedes-Benz eine Partnerschaft mit Google ankündigt. Ziel ist, gemeinsam das Betriebssystem für Automobile weiterzuentwickeln und insbesondere mit Google-Daten zu füttern. Die Angst der Automobilhersteller, Google könnte selbst Autos herstellen, scheint also für den Moment unbegründet: Google dringt stattdessen datengetrieben in die Hersteller ein und partizipiert an den Profit-Pools der Automobilindustrie. Ein völlig anderes Beispiel ist die Social-Media- und Karriereplattform LinkedIn – durch unmittelbare Kontaktmöglichkeit zwischen Unternehmen, derzeitigen und potenziellen Mitarbeitern sowie Headhuntern verändert sich die Logik des Arbeitsmarktes. In der Folge ändern sich Bewerbungsprozesse, die Rolle der Personalabteilung und damit das gesamte Ökosystem für Arbeitgeber und Arbeitnehmer – zudem werden traditionelle Stellenanzeigen und Jobportale immer weiter zurückgedrängt. In ähnlicher Weise wird projekthaftes, zeitlich begrenztes Zusammenarbeiten über Plattformen wie Upwork und Fiverr oder als Mechanical Turk bei Amazon immer einfacher.
Diese Entwicklungen haben natürlich nicht nur positive Effekte auf den Wettbewerb und nicht nur Vorteile für alle Marktteilnehmer. So können schnell wachsende digitale Geschäftsmodelle die sowohl bestehenden Kundenbeziehungen wie auch die vorhandene Technologiebasis angreifen, disruptive Veränderungen in Märkten hervorrufen und etablierte Unternehmen verdrängen. Werden aber Unternehmen durch Innovationen oder Economies of Scale auf Basis der Daten immer verdrängt? Die Antwort hängt vom Geschäftsmodell und der Anpassungsfähigkeit jedes einzelnen Unternehmens ab. Einerseits entstehen Größenvorteile aus Daten, andererseits entstehen viele Chancen für innovative Markteintritte von Start-ups mit neuen Geschäftsmodellen. Kleine und mittlere Unternehmen können daher durch datengetriebene Innovationen entweder eigene neue Geschäftsmodelle etablieren oder aber Unternehmensgrenzen anpassen und sich in neu entstehende Ökosysteme einbinden.
In den letzten Jahren haben Unternehmen, Wissenschaft, aber gerade auch politische Institutionen und Wettbewerbsbehörden versucht, die Auswirkungen von Daten insbesondere in digitalen Märkten und auf Wettbewerb generell besser zu verstehen (Stucke und Grunes 2016, Lambrecht und Tucker 2017, Haucap 2018, Pino 2022 sowie de Reuver et al. 2022). Dabei zeichnen sich zumindest drei grundlegende Muster ab:
Wenn Unternehmen individuell Daten ohne strategische Interaktionen und damit unabhängig voneinander sammeln oder nutzen, wirkt sich stärkere Datennutzung meist wettbewerbsfördernd aus – neue Angebote entstehen, die Kunden profitieren von Innovationen und Preise sind niedrig. Allerdings entstehen genau hier oft Anreize für übermäßige Datensammlung oder Datennutzung, die zu möglichen Verletzungen von Datenschutz führen und damit zum Nachteil der Kunden sind oder sogar gegen bestehende Gesetze verstossen.
Unternehmen, die Daten aus Transaktionen und Interaktionen mit den Kunden gewinnen, diese aber strategisch über Netzwerkeffekte nutzbar machen und monetarisieren, können rasch marktbeherrschende Stellungmarktbeherrschende Stellungen einnehmen und damit den WettbewerbWettbewerb beschränken. In der Folge können dominante Marktstellungen Innovationen reduzieren, zu Beschränkungen von Qualität führen oder Lock-in-EffekteLock-in-Effekte auslösen – Kunden sind über ihre Daten an bestimmte Technologien oder Ökosysteme gebunden.
Schließlich können Unternehmen als Datenintermediäre oder über Plattformen Daten einsetzen, um den Wettbewerb in nachgelagerten Wertschöpfungsstufen oder anderen Industrien abzuschwächen und so Marktmacht zur Durchsetzung höherer Preise oder Beeinflussung anderer strategischer Parameter einzusetzen – bis hin zur Einflussnahme auf Wahlergebnisse oder in der manipulativen Beeinflussung von gesellschaftlicher und individueller Wahrnehmung durch Berichterstattung und Social Media.
Wachstumstreiber datengetriebener Geschäftsmodelle
Alle drei Entwicklungen bedeuten Handlungsbedarf auf wettbewerbs-Wettbewerb oder wirtschaftspolitischerWirtschaftspolitik Ebene. Überlagert werden alle drei Themen von der Frage, ob Kunden oder Unternehmen bewusst und freiwillig ihre Daten preisgeben, oder ob dies unbewusst und/oder unfreiwillig passiert. Aufgrund der oft zu beobachtenden Marktkonzentration in datengetriebenen Geschäftsmodellen und dem möglichen Missbrauch von Marktmacht haben sich in den letzten Jahren Gesetzgeber und Wettbewerbsbehörden verstärkt der Schaffung eines wettbewerbsfördernden Ordnungsrahmens – beispielsweise der Datenschutzgrundverordnung DSGVODSGVO, des Digital Market Acts DMADigital Market Acts (DMA) und des Digital Service Acts DSADigital Service Acts (DSA) in der Europäischen Union – gewidmet.
Ziel ist hier, einen sicheren digitalen Raum zu schaffen, in dem die Grundrechte aller Nutzer digitaler Dienste geschützt und gleiche Wettbewerbsbedingungen zur Förderung von Innovation, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden. Zudem strebt die EU-Kommission durch den Data Act DAData Act DA an, dass gerade kleinen und mittleren Unternehmen Zugang zu anonymisierten Daten großer Plattformen ermöglicht wird. Hiermit würden sowohl datengetriebene Innovationen, das Training unternehmensspezifischer Algorithmen als auch unternehmensübergreifende Zusammenarbeit unterstützt werden – und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Im Sommer 2023 hat die EU-Kommission erste Vorschläge für den Artificial Intelligence Act AIA diskutiert, der eine Risikoklassifikation (inakzeptables Risiko, hohes Risiko, begrenztes Risiko und minimales Risiko) von KI-Lösungen vorschreiben wird. Der Vorschlag der EU-Kommission fällt zeitlich zusammen mit Warnungen führender KI-Unternehmen und Entwicklern zu Gefahren, die von künstlicher Intelligenz ausgehen können. Die Regulierung zielt auf alle Anwendungen, die Inhalte, Vorhersagen oder Empfehlungen zur Entscheidungsunterstützung von Nutzern beeinflussen. Anwendungen und Systeme, die ein inakzeptables Risiko darstellen, wie z. B. staatlich betriebene soziale Bewertungssysteme, werden generell verboten. Anwendungen mit hohem Risiko, wie z. B. automatisierte Tools zum Scannen von Bewerbungen, die eine Rangfolge von Bewerbern ermöglichen, werden genehmigungspflichtig.
In Anbetracht der Dynamik der Digitalisierung und Datennutzung ist aber zu erwarten, dass in den kommenden Jahren wiederholt Anpassungen vorgenommen werden müssen, um Wettbewerb in digitalen Märkten aufrechtzuerhalten und zu fördern.
Wie viele Daten existieren gerade? Die Schätzungen für das Jahr 2020 liegt bei etwa 40 Zetabyte (siehe → Kapitel 9 von Andreas Braun), für das Jahr 2025 bei 175 Zetabyte (IDC 2022) – ob die Zahlen stimmen, weiß niemand. Aber es besteht Konsens: Die Zahl wird größer und sie wird exponentiell wachsen. Bis vor kurzem, in den 1970er-Jahren, waren Daten im Wesentlichen menschlichen Ursprungs (oft geschriebene Worte) oder haben Transaktionen beschrieben (Bilanzkennzahlen, Fußballergebnisse, Verträge etc.) und wurden meist analog auf Papier gespeichert. Mittlerweile entstehen DatenDaten auch durch DatificationDatification. Jede Kommunikation, Transaktion oder Interaktion schafft Daten (für zahlreiche Beispiele siehe Mayer-Schönberger und Cukier 2013 sowie Newell und Marabelli 2015): Sensoren (an Maschinen, autonomen Fahrzeugen, Kameras, Smart Devices etc.) oder Algorithmen in digitalen Systemen (in Social Media Feeds, auf Shoppingplattformen etc.) sowie durch Machine-to-Machine-Kommunikation. Unabhängig davon sind die Daten jetzt weit überwiegend digital gespeichert, auf Festplatten und in Clouds, und können so schneller genutzt, übertragen oder transformiert werden.
Zudem sind natürlich viele Menschen bereit, mit Daten für die kostenlose Nutzung von digitalen Dienstleistungen oder die Mitgliedschaft in Social-Media-Plattformen zu bezahlen – und damit wieder Daten durch das Herumdrücken und Wischen auf Smart Devices zu schaffen. Schätzungen von Cisco (2022) gehen davon aus, dass aktuell pro Tag beispielsweise 28 Petabyte aus Wearables, 4,5 Petabyte durch Google-Suchanfragen und etwa 2 Petabyte durch Uploads bei Instagram entstehen – in Summe etwa 460 Exabyte jeden Tag in 2022.
Waren im Mittelalter die DatenDaten noch in meist von Mönchen geführten Bibliotheken und Archiven nahezu umfassend zusammengefasst, so ist es mittlerweile unmöglich, alle Daten an einem Ort oder in einer Datenbank oder in einer Cloud zu speichern. Was bedeutet das? Bis vor kurzer Zeit konnte ein Unternehmen noch alle entscheidungsrelevanten Daten ‚im eigenen Haus‘ haben und abspeichern, in Ruhe und ausführlich analysieren und ggf. Monate oder Jahre später nochmals auf diese Daten zurückgreifen – künftig geht das nicht mehr. Unternehmen werden kleine Teile der Daten selbst erzeugen, besitzen und speichern. Der weit größere Teil wird in einem exponentiell anwachsenden Datenstrom nur im Moment der Entscheidung greifbar und/oder relevant sein, danach aber weder vollständig dokumentiert noch im eigenen Zugriff abgespeichert sein.
Die Kombinationen von schnell anwachsenden Daten – oft sehr vielen und vielfältigen und unstrukturierten und unscharfen Daten im Rahmen von Big DataBig Data – und die zunehmende Verfügbarkeit von Methoden aus den Bereichen Data Analytics und künstlicher Intelligenzkünstliche Intelligenz (KI) wird die Zusammenarbeit von Menschen, von Organisationen und Unternehmen, und das Zusammenspiel mit Maschinen und Technologien verändern (Mayer-Schönberger und Cukier 2013). Wenn diese neuen Möglichkeiten richtig eingesetzt werden, können sie Kundenzufriedenheit und Kundenerlebnisse verbessern, Effizienz steigern und Kosten senken, und neue Erlösquellen und neue Geschäftsmodelle hervorbringen.
In einigen Studien wird das datengetriebene Unternehmendatengetriebenes Unternehmen als Zwischenstufe auf der Entwicklung zum KI-getriebenen UnternehmenKI-getriebenes Unternehmen beschrieben. Betrachtet man bei aller Unschärfe der Messung die Adaption von Big DataBig Data und KI in deutschen Unternehmen, stehen wir noch am Anfang: 2021 nutzen 11 % der Unternehmen in Deutschland gezielt Big Data, nur 9 % setzen künstliche Intelligenz ein – die Zuwächse fallen mit einem bzw. zwei Prozentpunkten seit 2020 vor dem Hintergrund der umfangreichen öffentlichen Diskussion zu beiden Themen eher gering aus (Bitkom Research 2021 und 2022).
Allerdings gibt es eine mögliche, wenn auch nicht zwingende, Logik in der Reihenfolge des Einsatzes im Unternehmen: Künstliche Intelligenz ohne Daten ist wenig sinnvoll, verstärkte Datennutzung auch ohne weitentwickelte Data Analytics oder gar künstliche Intelligenz aber sehr wohl. Der erste Schritt ist damit häufig der Aufbau von Fähigkeiten rund um Daten und die Entwicklung einer Datenbasis, der zweite Schritt ist dann die Analyse der Daten mit ggf. zunächst einfachen Methoden, nachfolgend dann mit anspruchsvolleren KI-Methoden. Zudem sind mittlerweile leistungsfähige KI-AlgorithmenAlgorithmen für Deep LearningDeep Learning, Machine LearningMachine Learning oder DatenverarbeitungDatenverarbeitung verfügbar (beispielsweise TensorFlow, Hadoop, Theano oder Spark) – der unternehmensspezifische Einsatz scheitert aber oft an der Datenbasis oder -verfügbarkeit.
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen haben hier einen Wettbewerbsnachteil: Im eigenen Umfeld sind oft nicht hinreichende Trainingsdaten für die Algorithmen vorhanden, die Nutzung von unternehmensexternen Trainingsdaten ist die Ausnahme. In der Folge entsteht ein Wettbewerbsvorteil für große Unternehmen und diejenigen Unternehmen, die früh anfangen, mit Daten zu lernen. Allerdings lässt sich die beschriebene Logik auch umkehren: Durch zahlreiche generative KI- Tools – zumindest in 2023 mit dem Hype rund um Dall-E, ChatGPTChatGPT oder GitHub Copilot – können auch kleine und mittelständische Unternehmen ohne eigene Daten KI nutzen, natürlich auf Basis der Daten Dritter und damit in den meisten Fällen mit eingeschränktem unternehmensspezifischem Nutzen.
Was aber genau ist Big DataBig Data und wo liegen die möglichen Wettbewerbsvorteile? Unter Big Data werden große und komplexe Datensätze aus sehr unterschiedlichen Quellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens, die schwach- oder unstrukturiert sind und schnell oder sogar exponentiell anwachsen, verstanden. Big DataBig Data wird in einer ersten Annäherung oft durch die vier (manchmal auch fünf oder sechs) großen Vs beschrieben (siehe auch Mayer-Schönberger und Cukier 2013 sowie Newell et al. 2020):
VolumeVolume (Umfang) beschreibt die riesigen Datenmengen, mit denen Unternehmen täglich umgehen müssen. Diese Daten entstehen teilweise im eigenen Unternehmen, aber zu weit größerem Teil außerhalb des Unternehmens. So liefern vernetzte Produktionsanlagen, Smart Devices oder Social-Media-Plattformen einen nahezu unendlichen Datenstrom. Zudem sind nahezu beliebige Daten im Markt verfügbar – alle digitalen Plattformen und Tech-Dienstleister, die Produkte und Lösungen kostenlos anbieten, erzielen wesentliche Erlöse aus der Weitergabe von Daten.
VelocityVelocity (Geschwindigkeit) beschreibt, dass Daten mit großer Dynamik entstehen – aber auch oft in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Dies gilt einerseits natürlich für erwartete Daten aus unternehmensinternen Prozessen, aber insbesondere für unerwartete Daten aus der Interaktion mit Kunden. Die Erwartung der Kunden ist hier, dass unmittelbar reagiert wird und schnell eine Transaktion abgeschlossen wird. Die Geschwindigkeit der Datenentstehung und deren Nutzung in Echtzeit bedeutet dabei, dass viele Daten als unsicher klassifiziert werden müssen – zwar sind Plausibilitätschecks oftmals möglich, aber viele Daten weisen nicht die Präzision oder Nachvollziehbarkeit auf, die bei ‚langsamen‘ Daten gegeben ist.
VarietyVariety (Vielfalt) bezieht sich auf die Verschiedenartigkeit einschließlich strukturierter, halbstrukturierter und unstrukturierter Daten, die Unternehmen verarbeiten und verstehen müssen. Unstrukturiertheit bedeutet hier, dass die Daten in verschiedenen Formaten – beispielsweise Bilder, Sprache, Gerüche, Signale, Bewegungen oder Social Media Sentiments – vorliegen, vielleicht aber auch gar nicht klassifiziert oder zuordenbar sind. Damit geht einher, dass die Analyse-Tools auch mit sehr unterschiedlichen Datenstrukturen und -formaten umgehen müssen.
VeracityVeracity (Unsicherheit, Qualität und Verlässlichkeit der Daten) beschreibt, dass Daten sich in Genauigkeit, Vertrauenswürdigkeit der Quelle oder Zuverlässigkeit der Daten unterscheiden. Zwar sind gut informierte Unternehmen per se weniger anfällig für Fake NewsFake News oder Fake DataFake Data als schwach informierte Privatpersonen. Aber aufgrund der Vielfalt und des Umfangs vorhandener Daten müssen neue Analysemethoden insbesondere für unscharfe Daten entwickelt werden, insbesondere um wahre von unwahren Daten zu trennen.
Small Data und Big Data
Wo entstehen aber jetzt die Wettbewerbsvorteile? Big DataBig Data hilft, die Small DataSmall Data (die Daten eines einzelnen Kunden oder eines bestimmten Vorfalls) besser zu kategorisieren und einzuschätzen und dann daraus Schlussfolgerungen abzuleiten. Es werden individuelle Daten mit Mustern in Big Data zusammengeführt, um Vorhersagen zu entwickeln, die dann Entscheidungen unterstützen – und damit den Daten einen Wert geben, manchmal als das fünfte V mit Value bezeichnet. Damit ist allerdings nicht zwingend Kausalität verbunden: Big DataBig Data lässt Muster sichtbar werden, die bei stabilen Umweltbedingungen eine wahrscheinliche Entwicklung aufzeigen. So weiß Amazon nicht wirklich, was wir kaufen wollen, aber eine gute Vermutung reicht für den (experimentellen) Vorschlag eines ‚Next Best Offer‘ – und wenn wir kaufen, dann steigt der Erlös, wenn wir nicht kaufen, verbessern wir den Algorithmus. Wie Mayer-Schönberger und Cukier (2013) formuliert haben: Mehr Daten ist oft besser als bessere Daten.
Andererseits gibt es Fälle, in denen Entscheidungen auf Basis von Small DataSmall Data den Entscheidungen mit Big DataBig Data überlegen sind: Dies kann einmal der Fall sein, wenn die hohe Qualität und Exaktheit von Small Data durch Big Data verzerrt oder unsichtbar wird oder Strukturbrüche im Zeitablauf vorliegen – oder wenn durch FilterblaseneffekteFilterblaseneffekte oder PfadabhängigkeitenPfadabhängigkeiten die Entscheidungen nicht mehr individuell getroffen werden (Faraway und Augustin 2018 sowie Gigerenzer 2022). Big Data und blinde Korrelationen können hier dann völlig sinnlose Muster aufzeigen, die in der Regel zu schlechten oder falschen Entscheidungen führen.
Entscheidungen werden in vielen Unternehmen natürlich heute schon auf Basis vorhandener Daten getroffen – aber, wie in → Abbildung 4 dargestellt, (1) oft werden Daten erst erhoben, wenn eine Entscheidung getroffen werden muss, (2) der überwiegende Teil der dann genutzten Daten ist unternehmensintern oder unternehmensspezifisch und (3) das als Erfahrungswissen getarnte Bauchgefühl von begrenzt rationalen Entscheidern dominiert die Entscheidungen. Big Data verändert alle drei Dimensionen: (1) Daten liegen vor und triggern Entscheidungen, (2) der überwiegende Teil der Daten ist unternehmensextern und nicht unternehmensspezifisch und (3) das Erfahrungswissen wird sukzessiv abgelöst durch Datenanalyse.
Big DataBig Data können in Teilen mit üblichen Methoden analysiert werden. Zum Einsatz kommen alle Formen der Datenanalyse von einfachen Regressionen bis zu komplexerem Data Mining. Aber tatsächlich entstehen gerade aufgrund der Datenunschärfen auch neue Methoden: Big Data Analytics erstreckt sich darüber hinaus auf Methoden künstlicher Intelligenz. Künstliche Intelligenzkünstliche Intelligenz umfasst statistische und mathematische AlgorithmenAlgorithmen als Analyseverfahren (wie beispielsweise Machine LearningMachine Learning oder Deep LearningDeep Learning – für einen knappen Einblick in die Mathematik finden sich bei Buxmann und Schmidt 2019, Shah 2020 oder Ertel 2021 gute Einstiege), die selbständig aus Big Data lernen, mögliche Erklärungen entwickeln und Entscheidungsunterstützung bieten – oder ohne weiteren Eingriff eines Menschen eine Entscheidung treffen.
Datengetriebene Entscheidungen
Im Kern stehen bei der Anwendung von datengetriebener künstlicher Intelligenz die Prozesse Mustererkennung (‚classification‘) und Vorhersage (‚prediction‘), um auf Basis kausaler Erklärungen aus den Daten zunächst Entscheidungsoptionen und schließlich Entscheidungen abzuleiten (Pearl und Mackenzie 2018 sowie Spiegelhalter 2019). Der erste Schritt der Mustererkennung in der Form von überwachtem oder tiefem Lernen zielt auf die Einordnung einer Entscheidungssituation. Der zweite Schritt der Vorhersage nutzt den vermuteten kausalen Zusammenhang, um aus den Daten die künftige Entwicklung abzuleiten – und auf Basis dieser ‚wahrscheinlichsten‘ Entwicklung dann einen Vorschlag für eine Entscheidung zu machen (weiterführend Brynjolfsson et al. 2017, Loebbecke und Picot 2015, Mihet und Philippon 2019, Currie et al. 2020 sowie Acemoglu und Restrepo 2018).
Ob die Entwicklung unternehmerischer Entscheidungen ähnlich wie bei autonomem Fahren verlaufen wird – entlang einer fünfstufigen Klassifikation von assistiertem Entscheiden über geprüftes/überwachtes Entscheiden bis hin zu letztlich vollständig autonomem Entscheiden – ist aktuell nicht abzusehen, aber unwahrscheinlich. Dagegen spricht einerseits die Komplexität gerade strategischer unternehmerischer Entscheidungen in nicht klar definierten Rahmenbedingungen (hier ist künstliche Intelligenz zumindest aktuell oft überfordert), andererseits aber insbesondere der Gestaltungswille von Menschen. Dagegen kann aber datengetriebene Entscheidungsunterstützung helfen, menschliche Entscheidungen auf Basis begrenzter Rationalität zumindest mit einer ‚anderen Entscheidungsoption‘ zu konfrontieren – und vielleicht zu besseren Entscheidungen beizutragen (Camerer 2019 und weiterführend → Kapitel 4 von Patricia Kahr).
Künstliche Intelligenz und Big Data werden also zum interaktiven Co-Piloten und entwickeln so Entscheidungsoptionen und Entscheidungsvorschläge. Dieser künstliche Co-Pilot wird die Entscheidungen eines Menschen zunächst beobachten, dann begleiten und schließlich Vorschläge für Entscheidungen unterbreiten. Bei repetitiven und risikolosen Entscheidungen wird dann der Mensch immer häufiger die Entscheidung an die Maschine delegieren – und so vielleicht bessere Entscheidungen treffen.
Brynjolfsson und McElheran (2016) untersuchen genau diese Frage: Wenn datengetriebene Entscheidungen bessere Entscheidungen sind, warum nutzen dann nicht alle Unternehmen diesen Wettbewerbsvorteil? Tatsächlich zeigt sich, dass mehr und bessere Daten bessere Entscheidungen ermöglichen – aber nur für Unternehmen, deren Organisation, IT und Qualifikation der Mitarbeiter darauf ausgerichtet sind (weiterführend auch Wamba et al. 2017 und Müller et al. 2018). Zudem gilt dieser Zusammenhang insbesondere für große Unternehmen, die dann aber deutliche Produktivitätssteigerungen realisieren können. In einer anderen Studie zeigen Brynjolfsson et al. (2011), dass datengetriebene Entscheidungen in Unternehmen auch zu signifikantem Anstieg der Profitabilität und des Unternehmenswertes führen.
Eine Studie von McKinsey (Chui et al. 2023) prognostiziert gerade durch Nutzung generativer künstlicher Intelligenz erhebliche gesamtwirtschaftliche Wachstumspotenziale. Bis 2040 scheint ein zusätzliches jährliches Wachstum der Arbeitsproduktivität von 0,1 % bis 0,6 % möglich, abhängig davon, wie schnell sich die Technologie durchsetzt und wie schnell notwendige Investitionen und Qualifikation der Mitarbeiter umgesetzt werden können. Kombiniert man generative KI mit anderen verfügbaren Technologien, könnte das Produktivitätswachstum sogar um 0,2 % bis 3,3 % jährlich anwachsen. Etwa 75 % dieses Produktivitätswachstums adressiert entsprechend der Studie von McKinsey vier Bereiche: Kundenmanagement, Marketing und Vertrieb, Softwareentwicklung sowie Forschung und Entwicklung.
Vorschläge bei Netflix, Amazon oder Spotify, die Routenplanung im Navigationssystem oder die Identifikation von Spam-E-Mails kommen ohne menschliche Interaktion aus, aber auch viele unternehmerische Entscheidungen der Produktionsplanung, Zuordnung von Mitarbeitern zu Service-Lines im Callcenter oder das Entdecken von Bilanzfehlern. Oft sind diese datengetriebenen und damit situativen Entscheidungen nicht perfekt – aber sie sind meist besser als langfristig getroffene, aber einmalige Entscheidungen. Entsprechend ist die Entscheidungsunterstützung oft eher ein dynamisches Experiment mit Trial-and-Error: Aber ein Experiment, aus dem der Algorithmus lernen kann.
Allerdings werden wirkliche strategische Entscheidungen zumindest aktuell noch nicht ersetzt. Zahlreiche Studien zeichnen aber die Entwicklungslinie vor – insbesondere das Zusammenspiel gut ausgebildeter und erfahrener Mitarbeiter mit Daten und Algorithmen, oft als Human-in-the-Loophuman in the loop bezeichnet, ermöglicht überlegene Lösungen: Dies gilt für Ärzte in der Diagnostik, für Bankmitarbeiter bei der Kreditvergabe, und auch die Unternehmensberatung Bain hat angekündigt, die Klienten künftig durch die KI-Lösung ChatGPTChatGPT unterstützen zu lassen (bain.com/vector-digital/partnerships-alliance-ecosystem/openai-alliance). Die Rolle der künstlichen Intelligenz im Zusammenspiel mit Daten ist dabei Mustererkennung, Prognose sowie Entwicklung von Entscheidungsoptionen – der Mensch bringt dann gesunden Menschenverstand in Form von Urteilsvermögen, Erfahrung, Kreativität, sozialer Intelligenz, Empathie und Emotionen ein. Schließlich wird aber durch diese Arbeitsteilung in Form eines Supervised LearningSupervised Learning der Algorithmus verbessert: Er lernt aus der Auswahl, Bestätigung oder Korrektur durch den menschlichen Entscheider.
Die größte Herausforderung bei Big DataBig Data lässt sich damit nicht einfach fassen: Ist es der Umgang mit schierer Datenmenge, sind es datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen, ist es die Fähigkeit mit unscharfen und unstrukturierten Daten umzugehen, ist es das Zusammenspiel von ‚Mensch und Maschine‘ – oder ist es schlicht die Verfügbarkeit von geeigneten Mitarbeitern und die Frage, wie die neue optimale Organisationsstruktur aussehen muss?
Was sind die typischen Annahmen oder Versprechen, aber mittlerweile auch Erfolgsgeschichten, wie und warum Unternehmen durch Big Data und eine stärkere Fokussierung auf Datenverwendung und -analyse Wettbewerbsvorteile aufbauen können? In Studien finden sich vier robuste Befunde und Erfolgshebel (Brynjolfsson et al. 2011, Brynjolfsson und McElheran 2016, Pino 2022, Goldfarb und Tucker 2019, Buxmann und Schmidt 2019, Hagen und Hess 2020, Machado und DeLallo 2022 und Desai et al. 2022):
Verbesserte Entscheidungsfindung: Big DataBig Data liefert Unternehmen grundlegend über die große Menge an entscheidungsunterstützenden Informationen die Möglichkeit, schneller oder besser Entscheidungen zu treffen. Der Datenumfang erlaubt zunächst, die Entscheidungssituation umfassender einzuschätzen. Daneben werden Pfadabhängigkeiten bisheriger Entscheidungen abgelöst. Es werden also nicht nur Daten herangezogen, welche die bisherigen Entscheidungen reflektieren (beispielsweise den Erfolg oder Misserfolg einer Marketingmaßnahme), sondern insbesondere Daten, die unabhängig von den bisherigen Entscheidungen sind. Dies kann insbesondere helfen, Entscheidungen auf Basis von begrenzt rationalem Verhalten oder Bauchgefühl von Entscheidern komplementär durch NudgingNudging zu unterstützen; ebenso können Abstimmungsprozesse in Organisationen stärker faktenbasiert werden.
Gesteigerte Effizienz: Daten und insbesondere digitale Daten verursachen geringere Kosten als ein gleichartiges physisches Produkt oder eine physische Dienstleistung. Aber Big Data hilft auch, Abläufe zu rationalisieren und Prozesse zu automatisieren (oder ihnen selbst eine autonome Steuerung zu überlassen), um Effizienz zu erhöhen, Kosten zu senken oder Produktivität zu erhöhen. So ist die Suchmaschine Google aktuell schlicht allen Wettbewerbern wie Bing oder Yahoo überlegen, weil durch die Menge und Vielfalt an Daten deutlich geringere Durchschnittskosten je Suchanfrage entstehen. Produzierende Unternehmen setzen häufig auf Process MiningProcess Mining oder Robotic Process AutomationRobotic Process Automation, jeweils mit dem Ziel, in repetitiven Tätigkeiten oder Prozessen Muster zu erkennen, Steuerung und Ablauf der Prozesse zu verbessern, Fehler zu reduzieren und ggf. Prozessketten zu verkürzen oder zu stabilisieren.
Personalisierung, Individualisierung und verbesserte Customer Experience: Die Nutzung von Big DataBig Data unterstützt personalisierte Marketingkampagnen, die zu mehr Kundenbindung und höherem Umsatz führen können (siehe auch → Kapitel 5 von Sven Deglow und Jörg Neumann sowie → Kapitel 6 von Rainer Volland und Joachim Stalph). Durch die tiefe und umfassende Analyse von Kundendaten können Unternehmen die Bedürfnisse und Vorlieben ihrer Kunden besser verstehen und Produkte und Dienstleistungen optimieren, entwickeln oder anbieten, die ihren Anforderungen entsprechen (next best offer). In gleicher Weise ermöglicht Big Data personalisierte Preissetzung und algorithmengetriebene Preisdiskriminierung – hier wird aus dem Suchverhalten der Kunden, verwendeten Endgeräten, kundenspezifischen Daten und Kaufhistorie, den Likes und Dislikes aus Social-Media-Accounts eine kundenindividuelle Preissetzung mit deutlichen Gewinnsteigerungen möglich.
Aufbau neuer Geschäftsmodelle: Big DataBig Data kann zur Schaffung neuer Geschäftsmodelle und Einnahmequellen führen, die – siehe oben am Beispiel Uber – ohne Daten nicht funktionieren oder nicht existieren. Insbesondere können auf Basis von gesteigerter Effizienz und besserem Verständnis der Kundenwünsche Free- oder Freemium-Modelle (generell kostenlose Lösungen oder kostenlose Basisprodukte) etabliert werden, die schnell Marktanteile gewinnen und nachfolgend in bepreiste oder Abo-Modelle überführt werden können. So ist zumindest ein Teil des Erfolgs der Streaming-Anbieter ebenfalls auf datengetriebene Angebote und Personalisierung in Form von Vorschlägen oder Playlists zurückzuführen. Darüber hinaus kann jede Form der Datenanalyse oder der -bereitstellung an Dritte für zusätzliche Erlöse genutzt werden. Insbesondere scheint aber, dass die Monetarisierung einer Datenstrategie genau dann gut funktioniert, wenn die Daten intern und extern als Produkt verstanden werden (weiterführend → Kapitel 13 von Dirk Werth, Victoria Schorr und Shari Alt). Ein Beispiel hierfür können digitale Zwillinge sein, die eine unmittelbare Kostenreduktion oder Erlössteigerung ermöglichen (siehe auch → Kapitel 10 von Jürgen Rahmel zu Metaverse). Ebenso können Daten als komplementäres Produkt die Leistungsfähigkeit anderer Produkte verbessern oder die Zahlungsbereitschaft oder Bindung der Kunden erhöhen.
Wie sieht das heute konkret aus? Im GesundheitswesenGesundheitswesen kann Big Data zur Verbesserung der Patientenbetreuung und -behandlung eingesetzt werden, indem übergreifende Patientendaten analysiert werden, um bessere Diagnostik und effektivere Behandlungspläne zu entwickeln. RetailerRetailer können Big DataBig Data nutzen, um die Bestandsverwaltung und die Effizienz der Lieferkette zu verbessern, sowie das Kundenerlebnis durch datengesteuertes Marketing und Empfehlungssysteme auf Basis von Microtargeting zu personalisieren. Daten und Algorithmen werden genutzt zur automatisierten Preisbestimmung für Personal Pricing oder Dynamic Pricing, genauso wie für die Ausspielung von Marketingmaßnahmen durch Marketing-Automation-Lösungen. IndustrieunternehmenIndustrieunternehmen nutzen für die Zuordnung von Ressourcen und Kapazitäten in dezentralen Produktionsprozessen sowohl interne Daten, Daten der Zulieferer als auch frei verfügbare Daten aus der Unternehmensumwelt. FinanzdienstleisterFinanzdienstleister nutzen Big DataBig Data, um Fraud aufzudecken, das Risikomanagement zu verbessern und sich durch den Einsatz von prädiktiven Analysen und maschinellen Lernalgorithmen einen Wettbewerbsvorteil insbesondere in der Kreditvergabe und -management zu verschaffen. OnlineshopsOnlineshops nutzen Big Data aus der Customer Journey für dynamische und (pseudo-)personalisierte Produktplatzierungen, um zielgruppengenau und wettbewerbsabhängig die Kaufwahrscheinlichkeit zu erhöhen. VersicherungenVersicherungen nutzen die Vielfalt der verfügbaren Daten, um Risiken besser zu klassifizieren – sei es durch Telematik in Fahrzeugen oder Smart Devices auf das Fahrverhalten zurückzuschließen, durch Smart Watches oder Fitnessarmbänder den Bewegungsradius und die Laufgeschwindigkeit zu erfassen oder durch Location-based-Data die Dauer des Aufenthaltes der Versicherten in der Boulderhalle zu erfassen.
Überlagert werden diese vier oftmals verzahnten Hebel gerade im B2C-Umfeld von der SchwarmintelligenzSchwarmintelligenz (Martinez und Walton 2014): Die EntscheidungenEntscheidungen vieler Unternehmen werden heute schon in Echtzeit durch das Verhalten der Kunden mitbeeinflusst – durch Verweildauern auf Websites, Likes oder Dislikes in Social Media, Bewertungen und Reviews von Produkten oder Erklärvideos auf YouTube. Datengetriebene Unternehmen delegieren also gewissermaßen Entscheidungen an Kunden und steigern so intern die Entscheidungseffizienz.
Aber natürlich sind diese Erfolgsgeschichten nur eine Seite der Medaille: Viele Unternehmen stehen vor der komplexen Herausforderung, die eigene Organisation und damit insbesondere die Mitarbeiter so aufzustellen, dass die Chancen und Möglichkeiten von Big Data und künstlicher Intelligenz auch genutzt werden können. Dies erfordert InvestitionenInvestitionen in neue Technologie, aber die unmittelbaren ökonomischen Effekte in den Business Cases der Unternehmen sind oft schwer zu greifen. Tatsächlich finden sich komplementäre Innovationen im Bereich der IT und Kommunikationstechnologie in bestehenden Geschäftsmodellen oft nur deutlich verzögert in Produktivitätsfortschritt oder Effizienzsteigerung wieder. Diese Beobachtung wird als ICT Productivity ParadoxICT Productivity Paradox bezeichnet (Brynjolfsson und Hitt 2000, Syverson 2011 und Acemoglu et al. 2014) und gilt offenbar auch für Big DataBig Data und künstliche Intelligenz weiter (Bughin et al. 2017, Tambe 2014 sowie Bryjolfsson et al. 2019). Die Ursachen sind langfristige und aufwendige AdaptionsprozesseAdaptionsprozesse etablierter Unternehmen bei neuen Technologien und der komplementäre Charakter dieser technologischen Entwicklungen.
Zahlreiche Unternehmen sehen die größten Herausforderungen auf dem Weg zu einer datengetriebenen Organisation aber nicht in der Technologie oder den notwendigen Investitionen, sondern beim Menschen: Unternehmenskultur, etablierte Prozesse und auch Veränderungsresistenz und Angst von Mitarbeitern erschweren und verhindern die Umsetzung von neuen Geschäftsmodellen, Effizienzsteigerung oder schlicht den offenen Umgang mit Daten oder den Aufbau von Datenkompetenz. So zeigt die jährliche Umfrage von Bean (2021): 92 % der C-Level Manager sehen die größeren Herausforderungen in den Bereichen Mensch, Kultur und Organisation, nur 8 % im Bereich Technologie. Zudem stellt die Suche nach geeigneten Mitarbeitern die Unternehmen vor große Herausforderungen. Einerseits sind die Fähigkeitsprofile nicht klar beschrieben und dynamisch, andererseits ist die Zahl der geeigneten Menschen am Arbeitsmarkt limitiert. In der Folge gibt es gerade rund um Big Data und künstliche Intelligenz einen tatsächlichen Kampf um Talente (Samek et al. 2021).
Was sind aktuell die größten Herausforderungen der Unternehmen bei der Umsetzung von Datenstrategien und dazu passender Organisation und Entscheidungen? Aus zahlreichen Projekten und Studien ergeben sich folgende zentrale Baustellen, die in unterschiedlicher Intensität die Umsetzung oder den Erfolg der Transformation zu einem datengetriebenen Unternehmen behindern (Carillo et al. 2019, Bean 2021, Edquist et al. 2022, Ellström et al. 2021, Bartneck et al. 2021, Davenport und Bean 2023 sowie → Kapitel 3 von Annina Neumann und → Kapitel 4 von Patricia Kahr):
UnternehmenskulturUnternehmenskultur, RollenverständnisRollenverständnis und EntscheidungenEntscheidungen in der Organisation: In vielen Projekten und Organisationen leben Datenanalysten und Management heute in Parallelwelten. Die einen analysieren mit teils enormem Aufwand und Fähigkeiten die Daten sowie Modelle und liefern Erkenntnisse und Entscheidungsunterstützung, die anderen entscheiden unabhängig davon. Die Ursache liegt in einer unzureichend integrierten Organisations- und Entscheidungsstruktur, zudem werden die Analysen oft nicht in geeigneter Weise visualisiert – Big DataBig Data lässt sich schlecht über Excel in ein PowerPoint-Schaubild zwängen. Zumindest in einer Übergangsphase scheint zu dem häufig das Verständnis für Geschäftsmodelle und Entscheidungen bei Datenanalysten schwach entwickelt – es geht oft nur um ausgefeilte Datenmodelle und ‚Insights‘, statt um ‚Actions‘ und relevante Handlungsempfehlungen – bei Entscheidern fehlt Kenntnis der Datenmodelle und der genutzten Daten. Beide Rollen müssen also viel stärker verzahnt werden und einen wechselseitigen Lernprozess starten, zudem muss sich ein unternehmensspezifisches Organisationsmodell und Unternehmenskultur entwickeln, die den Wert von datengetriebenen Entscheidungen nutzt.