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Ein 20-Jähriger lernt und denkt anders als ein 80-Jähriger, doch wie genau verändert sich in dieser Zeitspanne die Denk- und Lernfähigkeit? In welchem Alter hört das Gehirn auf zu reifen und ist es tatsächlich für einen 40-Jährigen schwieriger, etwas Neues zu lernen, als für einen 20-Jährigen? Klar ist, dass das Nervensystem eines Kindes wächst, aber stimmt es auch, dass ein Erwachsener geistig abbaut? In diesem ursprünglich als Hörbuch erschienenen unterhaltsamen Austausch des Bestsellerautors und renommierten Psychiaters Prof. Manfred Spitzer mit dem Hirnforscher Norbert Herschkowitz wird für jeden leicht verständlich erklärt, wie sich der menschliche Denkapparat im erwachsenen Alter verändert. Dabei gehen die beiden Wissenschaftler der spannenden Frage nach, inwiefern das "alternde Gehirn" auch Vorteile haben kann und geben wertvolle Tipps, wie wir uns im Alter fit halten können.
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Seitenzahl: 112
Manfred Spitzer
Norbert Herschkowitz
Manfred Spitzer
Norbert Herschkowitz
Ein faszinierender Einblick in das Gehirn von Erwachsenen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
Originalausgabe
2. Auflage 2025
© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Dieser Titel erschien erstmals 2012 als Hörbuch beim Galila Verlag unter dem Titel Wie Erwachsene denken und lernen.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.
Redaktion: Kerstin Brömer
Umschlaggestaltung: Manuela Amode
Umschlagabbildung: shutterstock.com/CS Stock, TopSeed
Satz: Röser Media, Karlsruhe
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-7474-0113-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-465-5
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-466-2
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mvg-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter
www.m-vg.de
Einführung
Junge Erwachsene – Denken und Lernen bei Zwanzig- bis Vierzigjährigen
Ein kurzer Rückblick – vom Blühen und Stutzen
Plötzlich erwachsen – mehr Stabilität und der Ernst des Lebens
Von Trampelpfaden zu Straßen – die Verkabelung des Gehirns I
Freier Wille? Wie das Gehirn uns manipuliert
Der moderne Ablasshandel – das Verrechnen von guten und schlechten Taten
Das Gehirn ist mehr als die Summe seiner beiden Hälften
Die Vorteile eines großen Erfahrungsschatzes
Die Nebenwirkungen eines großen Erfahrungsschatzes
Das Gehirn ist ein Hochleistungsrechenzentrum
Lernen funktioniert am besten ganzheitlich
Das Schaltzentrum für mehr Erfolg
Mit zwanzig bis dreißig Jahren: Impulse können besser kontrolliert werden
Erwachsene lernen anders als Kinder
Wie wir Dinge bewerten
Die Persönlichkeit: Temperament und Charakter
In der Blüte des Lebens – Denken und Lernen bei Vierzig- bis Sechzigjährigen
Schnell und effektiv – der Höhepunkt der mentalen Leistungsfähigkeit
Beispiele für herausragende Leistungen in der Blüte des Lebens
Wie man im Alter immer besser wird
Von Straßen zu Autobahnen – die Verkabelung des Gehirns II
Ziele zu erreichen war noch nie so einfach wie als Vierzig- bis Sechzigjähriger
Lernen bedeutet nun Weiterbildung
Wie die Weisheit Einzelner das Leben aller verbessert
Der Austausch unter verschiedenen Altersgruppen dient dem Gemeinwohl
Senioren – Denken und Lernen bei Sechzig- bis Achtzigjährigen
Lernen ist in jedem Alter möglich
Tipps und Tricks I: Rahmenbedingungen an veränderte Fähigkeiten anpassen
Von Weitermachern und Neueinsteigern
Normale Alterungsprozesse schaden dem Gehirn weit weniger als oftmals angenommen
Körperliche Fitness fördert das Lernen
Lernen macht im Alter besonders viel Spaß
Hürden beim Lernen im Alter und wie man sie überwindet
Das Gedächtnis bleibt uns treu – bis ins hohe Alter
Tipps und Tricks II: Empfehlungen der Autoren für gesundes und aktives Altern
Tipps von Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer
Tipps von Prof. Dr. Norbert Herschkowitz
Über die Autoren
Wir lernen nahezu unablässig – von der Geburt an bis ins hohe Alter. Doch wie läuft das eigentlich genau ab? Wie bauen Lernen und Wissen aufeinander auf? Und wie unterscheiden sich Denk- und Lernprozesse in unterschiedlichen Altersgruppen?
In unserem Buch Wie Kinder denken lernen haben wir uns damit beschäftigt, wie Kinder die Welt erfahren und begreifen. Wir haben untersucht, wie sich das Gehirn in den ersten Lebensjahren entwickelt und in welche Phasen sich der Lernprozess dadurch unterteilt. Gerade bei Kindern ist das sehr gut zu beobachten, weil die Entwicklung geradezu rasant verläuft und neue Fähigkeiten offensichtlich hervortreten wie beispielsweise das erste gesprochene Wort oder der erste freihändig gelaufene Schritt.
Doch auch mit dem Erreichen des Erwachsenenalters gehen die Entwicklung des Gehirns und der Erwerb neuen Wissens weiter. Lebenslanges Lernen ist keine hohle Phrase, sondern Realität. Für viele Aufgaben und Tätigkeiten lernen wir die entscheidenden Fähigkeiten erst als Erwachsene. Allerdings unterscheidet sich der Lernprozess deutlich von dem als Kind und verändert sich im Laufe der Zeit weiter. Folgen Sie unserem spannenden Austausch, und freuen Sie sich auf die unterschiedlichen Sichtweisen eines Neurowissenschaftlers und eines Kinderarztes auf das menschliche Gehirn. Tauchen Sie ein in die faszinierende Welt des Denkens und Lernens, und finden Sie heraus, wie Sie Ihr Potenzial voll ausschöpfen und möglichst lange geistig fit bleiben können.
Herschkowitz: In der Kindheit und Jugend vollzieht das Gehirn eine rasante und komplexe Entwicklung. Früh, schon vor der Geburt, bildet sich ein Großteil der Nervenzellen. Dann wandern diese Nervenzellen an die Stellen, die sie ab jetzt im Gehirn einnehmen werden. Diesen Prozess nennt man die Wanderung der Zellen. In dieser Zeit werden zudem bereits Nerven durch Synapsen miteinander verbunden und es bildet sich ein engmaschiges Netzwerk. In den ersten drei bis vier Lebensjahren lernen Kinder ungemein viel, wodurch die Zahl der Synapsen rapide ansteigt. Das bezeichnet man als Blühen.
Ab einem Alter von etwa drei Jahren werden die wichtigen und relevanten Verbindungen mit zunehmendem Lernen des Kindes gestärkt, während die Verbindungen, die nicht gebraucht wurden, eher abgebaut werden. Wir sprechen jetzt von Stutzen. Dieser Prozess dauert bis zu einem Alter von etwa elf bis zwölf Jahren an.
Während dieser Zeit bilden sich ebenfalls die Transmitter. Darunter versteht man Botenstoffe, die für die Weiterleitung elektrischer Impulse im Nervensystem sorgen. Zudem verfestigen sich bis zum Eintritt ins Erwachsenenalter die Verbindungsstrecken zwischen nahe gelegenen Hirnregionen, sodass der Austausch untereinander besser und schneller funktioniert.
Wenn Sie nun annehmen, damit sei die Entwicklung des Gehirns abgeschlossen und die Denk- und Lernprozesse keinen Veränderungen mehr unterworfen – weit gefehlt! Mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter ändert sich eine ganze Menge.
Spitzer: Im jungen Erwachsenenalter, also im Alter von zwanzig bis vierzig Jahren, findet man sich. Man reift, man wird gelassener. Man ist nicht mehr so instabil wie in der Jugend, nicht mehr so hin- und hergeworfen von Eindrücken – äußeren oder inneren – und von emotionalen Zuständen. Doch nicht nur man selbst wird stabiler, sondern auch die Beziehungen, die man führt. Bindungsphänomene treten jetzt in den Vordergrund, man wächst zusammen und bekommt Kinder.
Mit dem Erreichen der Volljährigkeit finden sich junge Menschen einerseits damit ab, nun erwachsen zu sein, viele denken aber andererseits auch zunehmend darüber nach, was das eigentlich bedeutet. Schließlich sind sie nun plötzlich selbst für sich verantwortlich. Und das impliziert, dass sie sich nun nicht nur kontrollieren können, sondern auch müssen. Erwachsen zu sein ist etwas anderes, als jugendlich zu sein.
Herschkowitz: Die Adoleszenz ist mit etwa zwanzig Jahren abgeschlossen. Im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren denken Menschen häufig über den Ernst des Lebens nach und zugleich über die Zukunft. Mit dreißig bis vierzig Jahren gründen sie häufig eine Familie. Das ist älter, als es früher der Fall war. Hinzu kommt, dass man allmählich seinen Platz in der Welt und im Leben kennen möchte. Viele stellen sich die Frage: Wer bin ich, und wo gehöre ich hin? Das gilt auch für das Berufsleben. Mit vierzig Jahren ist man angekommen, wie man so schön sagt.
Herschkowitz: Wie wir im Kapitel Ein kurzer Rückblick – vom Blühen und Stutzen gesehen haben, sind bis zum Alter von zwanzig Jahren bereits viele Prozesse der Gehirnentwicklung einigermaßen abgeschlossen. Dazu gehören die Bildung von Nervenzellen, die Verbindung einzelner Nervenzellen untereinander, also das Schaffen eines engmaschigen Netzwerks, sowie das Bilden von Transmittern und damit von elektrischen Funktionen. Diese Prozesse gehen natürlich das ganze Leben lang weiter, aber im Großen und Ganzen ist all das mit zwanzig Jahren angelegt. Ab jetzt besteht die entscheidende Entwicklung aus der Verkabelung innerhalb des Gehirns.
Dadurch, dass die verschiedenen Hirnregionen miteinander verkabelt werden, funktioniert das Gehirn mehr und mehr als ein Ganzes und nicht länger nur als eine Summe von einzelnen Strukturen. Verkabelung heißt, dass sich zwischen den Regionen des Gehirns lange Nervenbahnen bilden, von oben nach unten, von links nach rechts. Damit sind die Regionen nun besser und schneller miteinander verbunden. Man kann es auch so ausdrücken, dass aus Trampelpfaden Straßen entstehen. Dazu werden um die Nervenachsen Isolierschichten gebildet, die es ermöglichen, dass die Nervenleitgeschwindigkeit um einen Faktor von bis zu hundert schneller werden kann. Es entstehen also nicht einfach nur Verbindungen, sondern es handelt sich dabei um besonders schnelle Verbindungen. Das führt dazu, dass sich die Hirnfunktionen enorm verbessern, und damit auch die Koordination, die Integration und die Präzision.
Die Isolierschicht, die um die Nervenachsen gebildet wird, heißt Myelin. Myelin ermöglicht eine Nervenleitgeschwindigkeit von vierzig bis sechzig Metern pro Sekunde. Zwar wurden auch schon in jüngeren Jahren Nervenbahnen myelinisiert, allerdings handelte es sich dabei vorwiegend um kurze Verbindungsstrecken. Ab einem Alter von zwanzig Jahren werden zunehmend lange Verbindungsstrecken myelinisiert, sodass jetzt relativ weit auseinandergelegene Hirngebiete miteinander verbunden werden und das Gehirn wie erwähnt mehr und mehr als ein Ganzes funktionieren kann. Diese Entwicklung dauert wahrscheinlich bis zu einem Alter von sechzig Jahren an, wenn nicht sogar noch länger. Es ist also eine ganz entscheidende Entwicklung, die jetzt beginnt.
Spitzer: Durch die zahlreichen und schnellen Verbindungen zwischen den Hirnregionen wird das Gehirn ganz neu gesteuert und funktioniert anders als zum Beispiel noch beim Jugendlichen. Betrachten wir ein paar einfache Beispiele:
In einem Geschäft stehen Weinflaschen. Deutsche und französische, jeweils in verschiedenen Sorten, Güte- und Preisklassen. Lässt man nun französische Musik laufen, so kaufen die Kunden mehr französischen Wein, läuft dagegen deutsche Musik, so kaufen sie verstärkt deutschen Wein. Das haben Wirtschaftswissenschaftler schon vor zehn Jahren herausgefunden. Besonders interessant ist, dass von all den Kunden, die man hinterher nach dem Grund für ihre Wahl gefragt hat, nur ein Einziger antwortete: »Die Musik hat mich interessiert.« Dennoch hat die Musik offensichtlich praktisch jeden Kunden dazu bewogen, entweder mehr deutsche oder mehr französische Produkte einzukaufen. Doch woran liegt das?
In den unterschiedlichen Regionen unseres Gehirns sind jeweils bestimmte Informationen abgespeichert, zum Beispiel unser Handlungswissen, unsere Vorlieben, aber auch unsere kulturellen Gepflogenheiten, also zum Beispiel was wir über Musik wissen, über deren Herkunft und so weiter. Werden nun diese Hirnregionen, auch wenn sie weit voneinander entfernt liegen, plötzlich viel besser miteinander vernetzt, hat das natürliche Auswirkungen. Kleine Kinder würden ihre Getränke nicht danach aussuchen, welche Musik gerade läuft. Trinken und Musik hören sind noch viel zu weit weg voneinander. Beim Erwachsenen funktioniert das Gehirn jedoch integriert, das heißt, weit entfernt liegende Module, die ganz unterschiedliche Dinge codieren, wie beispielsweise Musik einerseits und Wein andererseits, spielen jetzt zusammen. Sie rufen gemeinsam ein bestimmtes Verhalten hervor. Und so kann die gehörte Musik die Wahl des gekauften Produkts beeinflussen, obwohl beides eigentlich nichts miteinander zu tun hat. Und der Betreffende merkt es noch nicht einmal.
Betrachten wir ein zweites Beispiel: Man kann Menschen Bilder von unterschiedlichen Umgebungen zeigen – von natürlichen Landschaften auf der einen Seite, beispielsweise von Auen, Seen, Bäumen oder Feldern, oder von Kulturlandschaften auf der anderen Seite, also von Umgebungen, die Menschen erschaffen haben, wie etwa Straßen oder Häuser. Anschließend kann man die Betrachter befragen oder sie handeln lassen. Man kann sie zum Beispiel fragen, ob sie bereit sind, etwas zu spenden, oder ob sie bereit sind, eine kreative Aufgabe zu lösen. Oder man kann prüfen, wie gut sie eine kreative Aufgabe tatsächlich lösen. Oder wie gut sie zum Beispiel bestimmte Einzelheiten erkennen.
Durch solche Experimente wissen wir heutzutage, dass jemand, der an die Natur denkt und Naturbilder im Kopf hat, empathischer ist und verstärkt an andere Menschen denkt. Für ihn steht die Gemeinschaft im Vordergrund. Dagegen denkt jemand, der Straßen und Häuser im Kopf hat, eher an das Geschäft und nicht so sehr an die Gemeinschaft. Natur bringt uns dazu, prosoziale Motive in uns zu aktivieren, und macht uns damit zu etwas besseren Menschen. Aber aufgepasst! Das Ganze hängt unter anderem auch davon ab, was wir gerade tun.
Spitzer: Sehen wir uns eine weitere Studie an. Wir können Natur nicht nur betrachten, wir können sie auch einkaufen. Wir können zum Beispiel in einen Bioladen gehen und Bioprodukte kaufen. Eine Studie hat gezeigt, dass biologisch zu denken durchaus Gedanken an die Gemeinschaft fördert und unseren Altruismus, also unseren Einsatz für andere, erhöht. Biologisch einzukaufen bewirkt jedoch das Gegenteil. Der Grund: Wenn ich ökologisch einkaufe, dann tue ich etwas Gutes, habe damit also bereits eine gute Tat begangen, und ich brauche nicht noch eine zu begehen. Das ökologische Einkaufen macht uns also nicht zu besseren Menschen. Das Betrachten ökologischer Waren aber durchaus.
Wie bekommt man so etwas heraus? Nun die Studie funktioniert ganz einfach. Man setzt erwachsene Menschen vor einen Bildschirm, auf dem sich ein Onlineladen befindet. Und dann sagt man ihnen: »Schaut euch mal an, was es hier so alles gibt.« In einem Fall betrachtet die Versuchsperson einen ganz normalen Laden und im anderen Fall betrachtet sie Produkte in einem Bioladen. Dann sagt man hinterher: »Passt mal auf! Ihr bekommt jetzt sechs Euro. Im Nachbarzimmer sitzt noch eine andere Versuchsperson, der ihr ein bisschen von dem, was ihr gerade geschenkt bekommen habt, abgeben könnt.« Und in der Tat: Wer dabei ökologische Produkte vor Augen hat, der gibt ein bisschen mehr ab als derjenige, der konventionelle, nicht ökologische Produkte betrachtet.