Winterfunkelnd verliebt - Karin Koenicke - E-Book

Winterfunkelnd verliebt E-Book

Karin Koenicke

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Beschreibung

Ist es schlau, mit einem Mann den Club „Singles forever“ zu gründen – und dich dann in ihn zu verlieben?
Veronika ist reif für die Insel. Nach einer schmerzhaften Trennung sehnt sie sich nach ruhigen Tagen auf Nortrum. Doch aus der Ruhe wird nichts, weil sie von nebenan ständig mit Klavierlärm beschallt wird. Eines Nachts wird es ihr zu bunt, sie trommelt gegen die Nachbartür – und trifft auf Timo. Der verschlossene Komponist steckt tief in einer Schaffenskrise. Da Veronika ein großes Herz und dringenden Schlafbedarf hat, beschließt sie, Timo aus seinem Tief herauszuhelfen. Weil auch Timo der Liebe abgeschworen hat, hält Veronika gemeinsame Ausflüge für ungefährlich und gründet mit ihm sogar einen Singleclub. Doch der glitzernde Inselschnee und Timos Musik berühren ihr Herz tiefer, als ihr lieb ist. Nur dumm, dass Timo immer wieder betont, wie toll ihre platonische Freundschaft ist. Trifft die Liebe am Ende doch noch den richtigen Ton?
Alle Bände der Reihe Inselküsse & Strandkorbglück sind in sich abgeschlossen.
Lass dich entführen auf eine winterlich-verträumte Nordseeinsel mit überzuckerten Dünen, heißem Friesentee mit Kluntjes und Bewohnern, die das Herz am rechten Fleck haben. Du kannst den Roman ohne Vorkenntnisse lesen, freust dich aber vielleicht über ein Wiedersehen mit Figuren aus den anderen Bänden der Reihe von Karin Lindberg, Stina Jensen und Lotte Römer. Viel Spaß mit den Wohlfühlbüchern aus Nortrum!

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Kurzbeschreibung
1. Die kichernden Erbsen
2. Klartext
3. Raue Inselluft
4. Lärm im Akkord
5. Jingle hell
6. Erkundungstour
7. Pizza Inquisitorio
8. Rutschpartie
9. Schnupfennase
10. Heißer Fiebertraum
11. Tonspiele
12. Leuchtturm-Gedanken
13. Schneeglitzerwelt
14. Das Geheimnis der Tasse
15. Entscheidungen
16. Winterfunkelabend
17. Der verdächtige Anruf
18. Krokusse und Tulpen
weitere Bände der Reihe
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Leseprobe

 

 

 

 

 

Winterfunkelnd verliebt

Inselküsse und Strandkorbglück Buch sechs

 

 

 

 

Karin Koenicke

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2024 by Karin Koenicke

All rights reserved

Korrektorat: Ruth Pöß

Covergestaltung: Catrin Sommer/Rauschgold

 

 

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www.karinkoenicke.de

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Karin Koenicke

Beckstettener Str. 2

87656 Ketterschwang

[email protected]

 

 

 

 

 

Kurzbeschreibung

 

Ist es schlau, mit einem Mann den Club „Singles forever“ zu gründen – und dich dann in ihn zu verlieben?

 

Veronika ist reif für die Insel. Nach einer schmerzhaften Trennung sehnt sie sich nach ruhigen Tagen auf Nortrum. Doch aus der Ruhe wird nichts, weil sie aus der Wohnung nebenan ständig mit Klavierlärm beschallt wird. Eines Nachts wird es ihr zu bunt, sie trommelt gegen die Tür – und trifft auf Timo. Der verschlossene Komponist steckt tief in einer Schaffenskrise. Da Veronika ein großes Herz und dringenden Schlafbedarf hat, beschließt sie, Timo aus seinem Tief herauszuhelfen. Weil auch Timo der Liebe abgeschworen hat, hält Veronika gemeinsame Ausflüge für ungefährlich und gründet mit ihm einen Singleclub. Doch der glitzernde Inselschnee und Timos Musik berühren ihr Herz tiefer, als ihr lieb ist. Nur dumm, dass Timo immer wieder betont, wie toll er ihre platonische Freundschaft findet. Trifft die Liebe am Ende doch noch den richtigen Ton?

 

 

 

 

 

1. Die kichernden Erbsen

 

Das kleine Mädchen musterte so fasziniert die Wand mit den Klangspielen, dass mir das Herz aufging. Ihre Großmutter stupste die Aufhängung eines Zaphir-Klangspiels an und sofort rieselte ein silberheller Märchenklang durch den ganzen Verkaufsraum.

Ich lächelte still in mich hinein. Auch nach zehn Jahren, in denen ich diesen Laden führte, hatte ich mich immer noch nicht sattgehört an den zarten Melodien eines fein gestimmten Klangspiels. Und erst recht nicht sattgesehen an den Reaktionen mancher Kunden darauf. Besonders Kinder waren oft völlig verzaubert von den Tönen aller Art, die es hier zu erlauschen gab.

Mein Geschäft im Münchner Glockenbachviertel nannte sich passenderweise „Seelentöne“ und war spezialisiert auf Trommeln aller Art, peruanische Holzflöten, tibetanische Klangschalen, Veeh-Harfen und Ähnliches. Weil ich keine verklärte Esoterikträumerin im wallenden Batikgewand, sondern eine knallharte Geschäftsfrau in Jeans und Ringelpulli war, bot ich seit einigen Jahren auch Yogakissen, Meditationsbänkchen und Turnmatten mit Yin-Yang-Motiv an. Außerdem alles, was die moderne Frau zur Detox-Kur benötigte und der hippe Mann für seine Entspannungs-Shisha. Meine Leidenschaft galt allerdings allem, was mit Musik zu tun hatte, deshalb freuten mich die strahlenden Augen des Mädchens ganz besonders.

Ich machte ein paar Schritte auf die Kundin und ihre Enkelin zu.

„Das ist Blue Moon“, sagte ich und deutete auf die gemaserte Rolle, in der die Metallstäbe versteckt waren. „Ein melancholischer Winterklang. Wunderschön, nicht wahr? Es gibt das Klangspiel auch noch mit anderen Tönen, hören Sie sich gern in aller Ruhe durch die Varianten.“

„Haben wir schon“, gab die Frau schmunzelnd zurück. Sie war im Rentenalter, trug einen Mantel, der schon bessere Tage gesehen hatte, und eine abgewetzte Handtasche über der Schulter.

„Oma, ich will das Blaue!“, rief das Mädchen mit heller Stimme. „Das klingt sooo schön.“

Skeptisch sah ihre Großmutter sie an. „Das Gelbe ist aber viel fröhlicher und auch das Grüne klingt irgendwie munterer als ...“

„Nein“, beharrte die Kleine und schüttelte den Kopf. „Ich will das Blaue. Unbedingt! Damit kann man am allerbesten träumen.“

Ich wandte mich dem Mädchen zu und nickte. „Du hast ein sehr gutes Ohr. Das Blaue ist tatsächlich das mit der ruhigsten Melodie, es steht für den Winter. Spielst du denn schon ein Instrument?“

„Ach je“, antwortete stattdessen die Großmutter. „Die Gebühren an der Musikschule sind viel zu hoch. Aber wir singen manchmal gemeinsam, das mag Mia sehr.“ Sie lächelte ihre Enkelin an und strich ihr übers Haar. Anschließend holte sie ihre Lesebrille aus der Handtasche, um das Preisschild des Zaphir-Klangspiels zu entziffern.

„Zweiundvierzig Euro“, seufzte sie. „So viel wollte ich leider nicht ausgeben. Wissen Sie, es soll ein Geschenk sein für die neue Wohnung, in die meine Tochter mit ihrer Familie zieht. Aber das ist wirklich viel Geld.“

Ich sah die Enttäuschung im Gesicht des Mädchens, die hängenden Schultern. Die Kleine hatte sich ganz offensichtlich in das Klangspiel verliebt. Und ich konnte sie so gut verstehen!

„Moment, warten Sie eine Sekunde. Mir fällt gerade etwas ein“, sagte ich und flitzte ins Lager. Während des Weihnachtsgeschäfts, das Gott sei Dank seit einigen Tagen vorbei war, hatten wir ein Blue Moon-Klangspiel an der Eingangstür hängen gehabt. Leider war an einem windigen Tag eine Ecke beschädigt worden, aber das konnte man schnell reparieren. Nachdem ich kurz zwischen den zahllosen Schachteln und Paketen herumgekramt hatte, fand ich es und ging damit nach draußen.

„Das hier ist sozusagen ein Vorführmodell“, erklärte ich der Kundin. „Schauen Sie, hier in der Ecke hat sich die Folie etwas aufgebogen, das können Sie aber leicht kleben. Weil keine Verpackung dabei ist und es den kleinen Fehler hat, kann ich es Ihnen für fünfzehn Euro verkaufen.“

Die Augen des Mädchens strahlten sofort mit der Januarsonne um die Wette, die der Münchner Innenstadt heute einen hellen Glanz verlieh.

„Das ist sehr nett von Ihnen“, sagte die Kundin und wirkte fast schon gerührt. Die Kleine nahm inzwischen das Klangspiel in die Hand und bewegte es andächtig, um der Melodie zu lauschen.

Während ich kassierte, sah ich mehrmals zu dem Mädchen. Es hatte einen ganz besonderen Bezug zur Musik, das war klar zu sehen. Ich lächelte verträumt. So war ich auch gewesen, schon als kleines Kind. Und ich war dankbar, dass ich meine große Liebe zu Tönen zu meinem Beruf gemacht hatte. Auch wenn ich in der Adventszeit oft genug darüber geflucht hatte, weil uns die Kunden auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken die Bude einrannten.

Jetzt aber hatten wir den achtundzwanzigsten Dezember, die verrückte Zeit war vorbei, das Leben lief wieder in halbwegs normalen Bahnen.

„Soll ich dir noch zeigen, wie eine Klangschale funktioniert?“, fragte ich das Mädchen.

„Oh ja!“, rief sie sofort.

Ich ging mit ihr zu dem langen Tisch, auf dem wir die Schalen aufgebaut hatten, nahm einen Lederklöppel und rieb die erste Schale an. Danach eine weitere und schließlich half ich dem Mädchen, selbst einen dieser faszinierenden Töne zu erzeugen.

Als die Kleine ein paar Minuten später an der Hand ihrer Oma fröhlich aus dem Laden hüpfte, sah ich ihr eine Weile nach. Wie es wohl sein müsste, so eine Tochter zu haben? Ein kleines Mädchen, mit dem man Puppen anziehen, ins Kasperltheater gehen, lustige Tänze einstudieren konnte? Manchmal, wenn ich abends alleine im Wohnzimmer saß, stellte ich mir vor, wie es wäre, einem Kind eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen, mich daneben ins Kinderbett zu quetschen und zärtlich über Kinderhaare zu streichen. Die Wehmut, die damit einherging, musste ich immer schnell zur Seite schieben, um nicht in Melancholie zu versinken. Meistens gelang mir das.

Denn diese Träume würden sich aller Voraussicht nach nie erfüllen und ich hatte damit meinen Frieden gemacht. Ich war vierzig Jahre alt, mit meinem Laden verheiratet und suchte mir meistens Männer aus, deren Drang zu einer Familie sich stark in Grenzen hielt.

Ich wandte mich um und sah zu Viktor, der soeben eine Panflöte in Papier einschlug und sie dem Kunden nach Bezahlung freundlich in die Hand drückte.

Als er meinen Blick bemerkte, lächelte er und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Er arbeitete seit einem halben Jahr bei mir und war inzwischen mehr als nur mein Angestellter. Aber als Familienvater konnte ich ihn mir beim besten Willen nicht vorstellen.

„Für eine Geschäftsfrau hast du ein viel zu gutes Herz, Veronika“, sagte er, nachdem er seinen Kunden verabschiedet hatte.

Er war zu mir gekommen und half, das CD-Regal ordentlich zu sortieren.

„Wegen des Mädchens, meinst du?“, fragte ich.

„Genau. Du hast der Oma das Klangspiel sehr billig gegeben. Und das, obwohl du dich doch so gern beschwerst über die miesen Einnahmen des diesjährigen Weihnachtsgeschäfts.“

„Ich habe gleich zwei Menschen glücklich gemacht, das ist mehr wert als Geld“, behauptete ich.

Natürlich stimmte das, aber mein Kontostand bereitete mir trotzdem Sorgen. Ich hatte nämlich den Eindruck gehabt, dass wir sogar mehr Kunden als die letzten Jahre angelockt hatten. Immerhin hatte ich mir eine Menge Aktionen ausgedacht, besonders für die Adventszeit. Wir hatten Schnuppertage für Klangschalen veranstaltet, außerdem verschiedene Seminare und Vorträge. Sogar mit der Münchner Volkshochschule hatten wir zusammengearbeitet. Die Kurse waren allesamt gut besucht gewesen und viele Teilnehmer hatten im Laden eingekauft. Trotzdem lagen meine Einnahmen weit unter dem Niveau der Vorjahre, was mir Kopfzerbrechen bereitete.

„Das ist sowieso das Beste“, stimmte Viktor mir zu. „Etwas für andere zu tun. Dein Karma freut sich ganz bestimmt. Und ich mich auch, weil ich Frauen mit großem Herz sehr mag.“

Er beugte sich zu mir und drückte mir einen kleinen Kuss auf den Mund.

„Nicht hier im Laden“, murmelte ich, freute mich aber trotzdem.

Dass Viktor und ich ein Paar waren, auch wenn wir nicht zusammenwohnten, wussten die anderen Angestellten sowieso. Neben ihm arbeiteten hier abwechselnd zwei Studentinnen, die mit einem Minijob ihre WG-Zimmer bezahlten. Ich kannte Lena und Jenny schon eine Weile und konnte mir kaum vorstellen, dass sie etwas mit den fehlenden Geldbeträgen in der Kasse zu tun hatten. Andererseits war München schweineteuer, ihre Mieten hatten sich erhöht und selbst für ein Radler im Biergarten legte man inzwischen über fünf Euro hin. Da konnte ein schneller Griff ins Scheinefach womöglich verführerisch sein.

Viktor hatte ich nichts von meinen Gedanken erzählt, weil sie mir peinlich waren. Er betätigte sich nebenbei als Yoga-Trainer und meditierte regelmäßig für den Weltfrieden. Wenn ich ihm erzählte, dass ich einen Verdacht gegen Mitarbeiter hegte, würde er mir einen dreistündigen Vortrag über die Wichtigkeit von Vertrauen zu allen Mitmenschen halten. Genau aus diesem Grund wusste er nichts von EddieEagle.

Klammheimlich warf ich einen Blick zu der Plüschfigur, die auf einem Regal hinter der Kasse stand. Eddie war ein lustiger Geselle in Form eines grinsenden Adlers, der eine Mandoline in der Hand hielt. Seine Superkraft war allerdings nicht die Musikalität, sondern seine Adleraugen. Genauer gesagt die Minikamera, die sich im Schallloch der bauchigen Mandoline befand. Gekauft hatte ich diese winzige Überwachungskamera als Teddybär, aber in dessen Auge war sie zu auffällig gewesen. Das mochte in einem Kinderzimmer funktionieren, jedoch nicht in einem Geschäft mit erwachsenen Kunden und Mitarbeitern.

Zu meinem großen Glück war meine beste Freundin Emma eine talentierte Nähfee. Auch wenn sie inzwischen auf der idyllischen Nordseeinsel Nortrum lebte, hatte sie darauf bestanden, ein passendes Plüschtier für mein Kameraversteck zu nähen. Und so war gestern das Paket mit Eddie Eagle bei mir angekommen. So richtig glaubte ich noch nicht daran, dass das Adlerauge funktionierte, deshalb startete ich erst einmal einen Test.

„Sehen wir uns heute Abend?“, riss Viktor mich aus meinen Gedanken. „Ich kann nach dem Yin-Yoga bei dir vorbeikommen. Wir wollten doch schon lange diesen Film über die Magie der tibetanischen Klöster anschauen.“

„Stimmt“, gab ich zu. Allerdings mit mittelmäßiger Begeisterung. Viktor war ein toller Mensch, gar keine Frage. Und ein kleiner Teil von mir hoffte tatsächlich, dass das mit uns etwas Ernstes werden und sich mein völlig traumschlossiger Wunsch von eigenen Kindern noch erfüllen würde. Mit seinem melancholischen Charme und den halblangen dunklen Locken kam er bei meiner Klientel sehr gut an. Er war quasi die Personifizierung eines Peace-Zeichens, ein lebender Namaste-Gruß, eine wandelnde Meditation. Die Kunden, insbesondere die weiblichen, liebten ihn und kauften ihm alles ab, was er ihnen vor die Nase hielt. Selbstredend waren alle Entspannungskurse, die er gab, auf Wochen im Voraus ausgebucht. Ja, er war in jeder Hinsicht ein Glückstreffer. Außer bei der Filmauswahl, aber damit konnte ich leben.

Deshalb lächelte ich ihn glückselig an. „Ich brutzle uns Kichererbsen-Bratlinge mit Mandelsoße, danach können wir es uns auf dem Sofa gemütlich machen.“

Das war Viktors Lieblingsessen, und natürlich würde ich es gerne für ihn zubereiten. Auch wenn er manchmal eine Spur zu friedselig und weltverbesserisch war – er war ein wunderbarer Mann. Einer, der mir immer zuhörte, mir Mut machte, viel Fantasie hatte und absolut ehrlich war. Bei so einem Glückstreffer sah man natürlich gerne über winzige Macken hinweg. Zumal ich die auch hatte. Ich liebte es, schon morgens zu Gute-Laune-Musik durch die Wohnung zu tanzen, ich flippte bei Activity-Spieleabenden pantomimisch völlig aus und ich war eine Zumutung für andere Kinobesucher, weil ich bei schrägen Komödien aus dem Lachen nicht mehr herauskam. Gut, es gab auch eine andere Seite an mir, aber die verbarg ich gekonnt.

Nachdem ich mich im Laden umgesehen hatte, traf ich eine Entscheidung.

„Weißt du was?“, sagte ich zu Viktor. „Heute ist nicht viel los. Jenny und du, ihr bekommt die letzten zwei Stunden sicher auch ohne mich hin. Ich gönne mir heute mal eine kleine Auszeit in der Badewanne und bin dann völlig entspannt und wohlriechend, wenn du später zu mir kommst.“

Er beugte sich zu mir, ein sündiges Lächeln im Gesicht. „Klingt verlockend“, raunte er mir zu. „Ich werde ausgiebig erschnuppern, in welchem Duft du gebadet hast. Und mich überhaupt sehr ausgiebig mit dir beschäftigen.“

Na, das war doch mal eine Ansage. Ich drückte ihm einen Abschiedskuss auf den Mund, sagte Jenny Bescheid und machte mich gut gelaunt auf den Heimweg. Die Nachmittagssonne gab sich alle Mühe, den Januartag als Frühling zu tarnen. Von den Menschenmengen, die mich noch vor zwei Wochen ständig verschluckt hatten, weil jeder ein letztes Weihnachtsgeschenk brauchte, fehlte jede Spur. Ein herrlicher Tag!

Ich bummelte ein wenig durch die benachbarten Klamottenläden, füllte meine Lebensmittelvorräte wieder auf und bereitete anschließend in meiner kleinen Küche den Teig für die Bratlinge vor. Nachdem ich mich um die Buchhaltung gekümmert hatte, zeigte mir meine Wanduhr an, dass es schon kurz vor Ladenschluss war. Ich ließ mir das Badewasser ein, goss großzügig Magnolien-Duftöl hinein und legte mir das Handy auf einem Stuhl zurecht. Ein paar Minuten später fläzte ich schon in der Wanne, sog den berauschenden Duft ein und genoss das warme Wasser.

Da ich Emma versprochen hatte, mal wieder mit ihr zu telefonieren, rief ich sie an. Ich stellte das Handy auf Lautsprecher, als sie sich meldete, und planschte in der Wanne herum.

„Das Leben ist schön, Emma“, begrüßte ich sie grinsend. „Ich liege an einem Arbeitstag in der Wanne, rieche nach Magnolien und quatsche mit dir. Geht’s dir gut?“

Ich hörte das Lachen meiner Freundin. „Nicht so gut wie dir offenbar, ich schabe nebenbei Karotten für einen Salat. Aber erzähl mal, hast du Eddie Eagle schon aufgestellt?“

„Jepp. Aber ich weiß noch nicht, ob alles funktioniert. Derzeit ist das Ding im Testlauf.“

„Ist so eine Überwachung eigentlich erlaubt?“, fragte Emma.

„Keine Ahnung. Darüber mache ich mir Gedanken, wenn ich weiß, ob Eddie tatsächlich aufzeichnet. Wahrscheinlich muss ich ein Schild aufstellen oder so was. Aber es geht um meine Existenz, da ist mir das fürs Erste egal. In ein paar Minuten sperren Viktor und Jenny den Laden zu. Mal sehen, ob Jenny einen Griff in die Kasse wagt.“

„Und ich bin live dabei? Das ist super!“, freute sich Emma.

„Ich lasse die App im Hintergrund laufen. Momentan sehe ich nur, dass Viktor eine Kundin bei den Handpans berät. Er spielt gerade die in D-Moll, die ist richtig schön.“

Ich liebte die sanften Töne dieser Metallschalen mit Ton-Dellen, die man mit der Hand spielen konnte. Sie kamen immer mehr in Mode und waren Verkaufsschlager. Bei einem Preis von bis zu dreitausend Euro wollte ich mich über diesen Trend nicht beschweren.

„Der Wunderknabe“, neckte sie mich. „Für mich wird es ein ewiges Geheimnis bleiben, was du an ihm findest. Er ist so durchgeistigt. Und trotzdem fehlt ihm irgendetwas.“

„Kann eben nicht jeder auf bodenständige Handwerker wie deinen Jarick stehen“, schoss ich fröhlich zurück.

„Na ja, an Weihnachten war dein Viktor ein ziemlicher Reinfall, wenn ich mich recht erinnere.“

Ich seufzte tief. Okay, da hatte sie recht. Ich hatte mich auf ein richtig besinnliches Fest gefreut. Mit Kerzen und alten Weihnachtsliedern, die unter die Haut gingen. Mit rührseligen Gedichten und einem Film, bei dem ich mitschluchzen und mich an Viktor kuscheln konnte. Doch seltsamerweise war diese Stimmung nicht aufgekommen. Alles war kühl und oberflächlich geblieben, was mich sehr enttäuscht hatte, wie Emma wusste.

„Dabei hätte ich gerade bei ihm erwartet, dass er Tiefgang mitbringt. Und mit dir in melancholischen Momenten schwelgen mag.“

„Na ja, er hat andere Vorzüge“, wiegelte ich ab. „Wir ziehen im Laden an einem Strang, er kommt super mit den Kunden aus und in der Horizontalen ist er auch nicht zu verachten. Man kann halt nicht alles haben.“

„Das ist die Ausrede von allen, die faule Kompromisse leben. Außerdem haben deine Tarotkarten auch gegen ihn gesprochen.“

Oh Mann, Emma konnte manchmal ganz schön hart sein. Sie wusste, dass das mit den Karten oder dem Horoskop nur eine Spielerei von mir war. Seit mir beides von Viktor abgeraten hatte, glaubte ich sowieso nicht mehr daran. Und das war auch besser.

„Ich bin eben Realistin“, beharrte ich und wackelte mit den Zehen, die zwischen Schaumwolken aus dem Wasser ragten. „Es geht uns gut miteinander, wir haben Spaß und auch schon darüber geredet, zusammenzuziehen. Außerdem hat er der Kundin nun tatsächlich ein Instrument verkauft. Ich bin gut, oder? Liege faul im Wasser, während mein Schatz meinen Umsatz ankurbelt.“

Diese Minikamera zeigte überraschend klare Bilder. Fasziniert beobachtete ich, wie die Kundin Viktor vier Hundert-Euro-Scheine aushändigte. Er legte sie neben die Kasse und fragte sie etwas, das ich logischerweise nicht hören konnte. Sie schüttelte den Kopf, lächelte und ließ sich von Viktor die Metallschüssel hinaustragen. Es war nicht das Luxusmodell für dreitausend Euro, sondern die billigere Variante für vierhundert. Trotzdem gehörten die Scheine natürlich ins Kassenfach.

„Offenbar will sie keine Quittung. Das ist seltsam“, murmelte ich vor mich hin. Ich wartete darauf, dass Viktor zurückkam und den Betrag in der Kasse erfasste. Außer ihm war niemand in diesem Teil des Ladens, Jenny befand sich offenbar im Nebenraum bei den schamanischen Trommeln und den Gongs.

Viktor nahm die vier Hunderter, sah sich um – und steckte sie in die Hosentasche.

„Spinnt der?“, kreischte ich und hätte vor lauter Schreck fast das Handy in die Wanne fallen lassen. „Er hat den Verkauf nicht eingetippt! Das kann ja wohl nicht wahr sein.“

Ich erzählte Emma in abgehackten Sätzen, was ich gesehen hatte.

„Aber dir wird doch morgen auffallen, dass eine der Handpans fehlt“, sagte Emma. „Die Dinger sind ja groß.“

„Eben! Deshalb verstehe ich nicht, wie er ... Moment. Echt jetzt? Er geht ins Lager!“

Atemlos starrte ich auf den kleinen Handybildschirm. Viktor kam nach kurzer Zeit zurück, er hatte eine andere Handpan geholt und ersetzte damit das verkaufte Instrument. Nein, verkauft hatte er sie ja nicht!

„Ich fasse es nicht!“, keuchte ich.

Das Ganze war so unglaublich, dass ich es mir einfach nicht vorstellen konnte.

„Du dachtest die ganze Zeit, dass Jenny oder Lena dich beklauen, dabei ist es Viktor?“, hakte Emma nach. „Das ist ja ein Ding.“

Mein Blick hatte sich am Handy festgesaugt. Inzwischen hatten die letzten verbliebenen Kunden das Geschäft verlassen. Jenny hatte noch ein Didgeridoo verkauft und ordnungsgemäß eingetippt. Sie zog nun ihren Mantel an und verabschiedete sich von Viktor. Der schloss die Ladentür ab, knipste das Licht im Nebenraum aus und blieb vor dem Aufsteller mit Silberschmuck stehen. In aller Seelenruhe sah er die Ohrringpaare in Notenform oder mit Flötenanhänger durch. Schließlich steckte er zwei Paar davon ein.

Ich schnappte nach Luft. „Mir hat er gesagt, dass sich neuerdings immer wieder Teenager herumtreiben, auf die man aufpassen muss, dass sie nichts klauen. Dabei ist er der einzige Dieb!“

„Er hat das gesagt, damit du dich nicht wunderst, wenn bei der Inventur eine Menge Sachen fehlen“, stellte Emma glasklar fest.

„Die ist erst im Sommer und das weiß er. Genau da hat er nämlich mit seiner Arbeit bei mir begonnen! Mensch, Emma, ich kann das immer noch nicht glauben. Ist dieser Mistkerl schuld, dass mein Weihnachtsgeschäft so mies war?“ Meine Stimme schraubte sich in schrille Höhen.

„Hm“, machte sie. „Sieht ganz danach aus.“

Ich zog den Stöpsel heraus, sprang aus der Wanne und wickelte mich in ein bereitliegendes Badetuch. Warmes Wasser brauchte ich beim besten Willen nicht mehr, denn das würde sowieso innerhalb von Sekunden verdampfen. Ich kochte vor Wut!

„Er hält jetzt seinen dämlichen Yogakurs“, zischte ich ins Handy hinein. „Danach kommt er zu mir. Weil er auf ach so gesunde Kichererbsenbratlinge hofft. Zu kichern wird der gute Viktor aber heute nichts haben, das verspreche ich dir. Diesem Mistkerl mache ich die Hölle so heiß, dass sogar seine privaten Erbsen zu Popcorn werden!“

 

 

 

2. Klartext

 

Eine Stunde später stapfte ich wild entschlossen auf meinen Laden zu. Meine Haare hatte ich nicht wie sonst über eine Rundbürste geföhnt, sondern nur auf höchster Stufe trocken geblasen, sodass sie wirr in alle Richtungen standen. Ich war in die nächstbesten Klamotten geschlüpft, hatte einen Schal um den Hals geschlungen, der sich farblich mit meiner Jacke biss, und ein wutrotes Gesicht auf. Meine Reflexion in einer Schaufensterscheibe, an der ich vorbeikam, ließ mich zusammenzucken. Ich sah aus wie eine Gewitterhexe auf Rachefeldzug.

Das bemerkten anscheinend auch die Schickimicki-Yogadamen, die aus der Eingangstür der Seelentöne kamen. Im Gegensatz zu mir saß bei ihnen jede Haarsträhne, sie waren dezent geschminkt, in Pastelltönen gewandet und hatten offenbar viele Augenbrauen-Asanas gemacht, denn diese sprangen bei meinem Anblick in die Höhe.

War mir schnurzegal. Ich wartete, bis sich die letzte mit dem typischen Münchner Bussi von den anderen hippen Ladys verabschiedet hatte, dann stürmte ich zur Eingangstür. Viktor war gerade dabei, diese abzuschließen, und sah mich erstaunt an. Er öffnete sie und hielt sie mir lächelnd auf.

„Hattest du so Sehnsucht nach mir, dass du es gar nicht abwarten konntest?“, fragte er. „Meine Yogamatte liegt noch im Nebenraum, wir können also gern eine spezielle Übungsrunde einlegen.“

Sein schmieriges Lächeln hätte ich ihm am liebsten aus dem Gesicht gefegt.

„Du verlogener Schuft!“, platzte ich heraus. „Ich weiß, dass du mich seit Monaten beklaust.“

Sein Adamsapfel hüpfte.

„Aber Vronilein“, säuselte er. „Das ist doch Unsinn. Wie kommst du nur auf so etwas?“ Sein Lächeln wirkte mit einem Mal bemüht.

„Durch die Aufzeichnung der Videoüberwachung. Da ist alles glasklar zu erkennen. Schau, ich weiß sogar, wo du das gestohlene Geld und die Ohrringe hingesteckt hast.“

Ich eilte zur Garderobe in meinem kleinen Büro. Dort hingen seine Klamotten, weil er sich für die Yogastunde natürlich umgezogen hatte. Ein Griff in die Hosentasche – schon hatte ich mehrere Geldscheine und die beiden Ohrring-Paare in der Hand.

„Das äh, sind meine eigenen Sachen. Die Ohrringe habe ich gekauft.“

„Von wegen!“, fuhr ich ihn an. „Du kannst mir gern die Kassenquittung zeigen. Die gibt es aber nicht. Und die vierhundert Euro sind von der Handpan, die du nicht in die Kasse eingegeben hast.“

Viktor wurde schlagartig blass, wollte aber offensichtlich nicht kleinbeigeben.

„Du hast ja einen Knall!“, fauchte er mich an. „Hier, komm mit! Es sind alle Handpans da. Ich habe keine verkauft.“

Er packte meine Hand und zog mich in den Verkaufsraum, direkt zum Tisch mit den Metallschalen.

„Du hältst mich wohl für bescheuert? Ich habe alles gesehen, die Videobeweise habe ich auf meinem Handy. Außerdem bist du sogar zu dumm, um die richtige Handpan aus dem Lager zu holen und auszutauschen. Diese hier ist nämlich in G-Dur, nicht in D-Moll, wie das Schild sagt.“ Ich deutete auf den kleinen Aufsteller, der die Tonart der jeweiligen Handpan zeigte.

„Ich, also, äh, das ist alles ein Missverständnis“, stammelte er und wirkte nun kleinlaut.

Wütend stemmte ich die Hände in die Hüften. „Ist es nicht! Du hast mich systematisch bestohlen. Um viele Tausend Euro. Und die wirst du mir alle zurückzahlen, jeden verdammten Cent. Und den Job hier bist du natürlich auch los.“

Seine sonst so sanften Augen blitzten auf. „Du Miststück!“, schrie er plötzlich los. „Was bildest du dir eigentlich ein? Du hast rein gar nichts gegen mich in der Hand, das sind alles nur Auswüchse deines kranken Hirns. Du solltest dich untersuchen lassen, du blöde Kuh. So jemand wie du gehört in eine Anstalt!“

So viel zum Thema Friedensmeditation. Schien nicht wirklich von Nutzen zu sein.

Ich verengte die Augen. „Die Kamera läuft schon seit Monaten mit“, bluffte ich. „Allerdings kam ich erst jetzt dazu, mir die Aufzeichnungen anzusehen. Diebstahl in so vielen Fällen? Das bringt dich ganz sicher in den Knast. Wer weiß, ob du nicht schon eine Vorgeschichte hast? Du hast dich immer darüber ausgeschwiegen, wie du deinen letzten Job verloren hast. Ich sollte mich da vielleicht mal erkundigen.“

Nun wich die Farbe gänzlich aus seinem Gesicht. Aha! Ich war auf der richtigen Fährte.

„Du wirst mir das Geld auf Heller und Pfennig zurückzahlen“, stellte ich klar.

Er hob abwehrend die Hände. „Ich habe einiges schon ausgegeben, das ist nicht so einfach.“

„Dann nimm einen Kredit auf. Ist mir egal, wie du das hinkriegst.“

Dummerweise hatte eine kurze Internetrecherche ergeben, dass es nicht zulässig war, die eigenen Mitarbeiter mittels Kamera heimlich zu überwachen. Bei der Polizei würde ich mit meinem filmenden Eddie Eagle womöglich auf taube Ohren stoßen. Aber das brauchte ich Viktor nicht auf die blasse Nase zu binden.

Außerdem wollte ich keine Scherereien mit Polizei und Anwälten oder am Ende noch einen Prozess, bei dem ich Viktor dann ständig sehen musste. Er sollte einfach aus meinem Leben verschwinden, auf Nimmerwiedersehen.

Viktor schluckte sichtbar. „Einen Teil kann ich dir gleich zurückgeben.“ Jetzt klang er deutlich kleinlauter.

„Wie viel?“

„Dreitausend habe ich bar zu Hause“, gab er zu. „Den Rest habe ich ausgegeben.“

Den Rest? Verdammt, wie viel hatte er denn abgezweigt?

Langsam wurde mir klar, wieso manche Lieferungen in letzter Zeit angeblich unvollständig gewesen waren. Und wieso sich der Großhändler neulich so unfreundlich gegeben hatte.

„Ich werde überall nachfragen. Bei allen Händlern, mit denen du zu tun hattest. Die du ja auch bestohlen hast, wie es aussieht. Die können dich dann ebenfalls anzeigen wegen Diebstahl.“

Er zitterte. „Bitte nicht! Ich zahl dir alles zurück, ich schwöre es!“

Ich trat vor, sah ihm direkt in die flackernden Augen. „Ich gebe dir einen Monat Zeit. Wenn dann nicht alles auf meinem Konto ist, wandern sämtliche Bänder zur Polizei. Dann kannst du dich auf was gefasst machen.“

Viktor nickte und schob sich fahrig die Haare hinter die Ohren.

„Her mit dem Schlüssel“, verlangte ich. „Du wirst meinen Laden nie mehr betreten. Sonst mache ich dich einen Kopf kürzer.“

Und zwar nicht wie Keith Richards seinerzeit mit der fünfsaitigen Fender Telecaster, als ein irrer Fan auf die Bühne gelaufen war. Sondern mit einer zehn Kilo Klangschale, die ich ihm eiskalt über den Schädel ziehen würde!

Gehorsam händigte er mir den Schlüssel aus, anschließend holte er seine Siebensachen aus dem Personalbereich und verschwand in Richtung U-Bahn-Station.

Ich atmete schwer, während ich ihm hinterher sah.

Da lief er also, der Mann, der ständig für Vertrauen und Ehrlichkeit plädiert hatte. Der Mann, mit dem ich mir eine Zukunft erträumt hatte: Ein gemeinsames Leben, vielleicht Kinder, eine Erweiterung meines Ladens, ein Häuschen im Grünen.

„Verdammter Mistkerl!“, rief ich ihm hinterher. Half aber nicht viel. Er hatte mich belogen, bestohlen, ausgenutzt. Männer waren einfach das Letzte!

Ich schloss ab, machte mich auf den Heimweg und fiel in meinem Wohnzimmer erschöpft auf das Sofa. Jetzt, in meinem trauten Heim, verflog die Wut und wich tiefer Enttäuschung. Wieder einmal hatte ich mich in einem Mann getäuscht. Wieder einmal hatte es nicht geklappt.

Und wieder einmal waren all meine Träume in unerreichbare Ferne gerückt. Ich war keine zwanzig mehr, meine biologische Uhr tickte bereits lautstark. Ich sollte wohl endlich akzeptieren, dass auch ein Leben ohne Partner sinnvoll sein konnte. Und in meinem Fall sehr realistisch.

Weil es unendlich guttat, in meiner Trauer nicht ganz alleine zu sein, hievte ich mich von der Couch hoch und legte mir Leonard Cohen auf. Er verstand mich. Er kannte diese Dunkelheit der Seele, den Schmerz, die Hoffnungslosigkeit. Als das Gitarrenintro von Avalanche begann und schließlich seine tiefe, düstere Stimme einsetzte, liefen mir Tränen über die Wange.

Beim fünften Song des Albums klingelte mein Handy. Bei Famous Blue Raincoat ging ich endlich ran. Es war natürlich Emma.

„Da bist du ja, Veronika! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht“, sagte sie. „Hast du mit Viktor geredet? Hat er alles zugegeben?“

„Habe ich. Und sogar geblufft mit der Videokamera.“

Ich erzählte ihr von dem Gespräch.

„Das tut mir so leid für dich“, seufzte sie, nachdem ich zum Ende gekommen war.

„Schon gut. Ich bin einfach nicht geschaffen für Beziehungen.“

„Unsinn. Du fühlst dich jetzt nur schlecht, aber das wird sich wieder ändern. Und dann wirst du nicht wie jetzt traurig herumsitzen und dir diesen schrecklich deprimierenden Leonard Cohen anhören.“

„Hey! Leo ist mein Held! Er versteht mich.“

Emma stieß Luft aus. „Ich kenne den Song, der gerade gelaufen ist. Du hörst dieses eine Album, nicht wahr? Von dem es damals hieß, man sollte am besten gleich Rasierklingen mit in die Plattenhülle legen, weil es so trist ist.“

Ich lächelte versonnen. „Songs of Love and Hate ist sein genialstes Werk. Herrlich melancholisch. Die beste Medizin, wenn man mal richtig abtauchen will.“ Oh ja, ich liebte dieses Album so sehr! Und Leonard sowieso.

„Aber es macht dich trübsinnig.“

„Das ist genau das Schöne daran.“ Einen Moment hielt ich inne, dachte nach. Dann sprach ich weiter.

„Weißt du, Emma, ich bin wahrscheinlich zu verrückt für eine Partnerschaft. Bei einer wie mir passt es niemals.“

„Was genau soll denn so verrückt sein an dir?“, wollte Emma wissen. „Du bist eine absolut liebenswerte Frau. Du bist warmherzig und schlau, bist geschäftstüchtig und trotzdem verträumt. Du bist immer für deine Freunde da, bist praktisch und witzig und doch auch tiefsinnig.“

„Eben. Du sagst es selbst.“ Es war offensichtlich.

„Ich kapier gar nix mehr. Was meinst du denn damit?“, fragte sie.

Nach einem tiefen Seufzer erklärte ich es ihr. „Erinnerst du dich an Ferdi? Den ich kennengelernt habe, als wir mal alle beim Kegeln waren?“

„Klar, das war so ein richtiger Spaßvogel.“

„Genau. Der hat mich ins Kino eingeladen, wir haben über den Eberhofer-Film gelacht. Aber er lief schreiend davon, sobald ich einen Cohen-Song aufgelegt habe.“

„Kann ich ein bisschen nachempfinden“, erwiderte sie trocken.

„Und dann gab es Patrice. Mit dem konnte ich zwar stundenlang in Gedichten schwelgen, aber der hatte keinen Funken Humor. Verstehst du, was ich meine? Ich sende Signale, die nicht zusammenpassen. Die meisten Leute lernen mich als fröhliche, immer gut gelaunte Veronika kennen. Als jemanden, mit dem man Spaß haben, viel lachen, Unfug machen kann. Und ich mag das ja auch alles.“

„Aber du willst auch, dass jemand deine Melancholie mitempfindet“, sagte Emma weich.

Ich nickte. Und erinnerte mich dann daran, dass sie das nicht sah. „Das wäre schön, ja. Aber vielleicht ist es zu viel verlangt. Ich glaube, ich habe einfach die Schnauze voll von Männern. Alleine bin ich doch viel besser dran.“

Erneut drängten die Tränen nach draußen, formte sich ein unterdrücktes Schluchzen in meiner Kehle.

„Könnten deine beiden Minijobberinnen auch mal mehr arbeiten?“, fragte Emma.

Ich blinzelte. Was hatte diese Frage mit meinem Lamentieren über Kerle zu tun?

„Nein, die studieren ja noch.“

„Aber du hast vor ein paar Wochen etwas erzählt von einer ehemaligen Mitarbeiterin.“

„Liane?“ Ich überlegte einen Moment. „Stimmt, die ist mir bei einem Spaziergang im Englischen Garten über den Weg gelaufen. Ihre Tochter ist schon drei und im Kindergarten.“

Sie hatte früher bei mir gearbeitet, aber gekündigt, als sie geheiratet hatte und weggezogen war. Inzwischen lebte sie wieder in München. Und sie hatte mich gefragt, ob ich nicht einen Job für sie hätte.

„Ich könnte sie anrufen“, sinnierte ich vor mich hin. „Jetzt, wo Viktor weg ist, brauche ich einen neuen Mitarbeiter. Und Liane hat schon damals manchmal Kurse übernommen.“

„Klär das ab mit ihr. Und dann kommst du zu mir. Nach Nortrum. Du wolltest mich schon so lange besuchen. Jetzt wäre der genau richtige Zeitpunkt für eine Luftveränderung.“ Emmas Stimme war warm. Und diese Wärme tat mir in diesem Moment unglaublich gut.

„Aber ich muss erst im Laden alles auf Vordermann bringen“, protestierte ich halbherzig.

Ein Ausflug auf die Insel? Endlich mal wieder mit Emma quatschen, ihren Sohn Benni in die Arme schließen, Seeluft schnuppern? Die Vorstellung erschien mir mit einem Mal irrsinnig erstrebenswert.

„Das hast du in ein paar Tagen geschafft“, sagte Emma resolut. „Außerdem ist dein treuster, wenngleich geizigster Stammkunde doch nicht mehr da. Er fragt aber schon die ganze Zeit, wann du endlich mal zu uns in den Norden kommst.“

Benni. Bei dem Gedanken an ihn blühte sofort ein Lächeln auf meinem Gesicht auf. Als Emmi noch ihren Laden hier in München hatte, war er fast täglich bei mir im Geschäft gewesen, hatte auf einem Klanginstrument gespielt oder vorsichtig eine Trommel ausprobiert.

„Außerdem würde dir ein wenig Abstand von allem guttun“, setzte Emma nach. „Ich kann Tante Frauke fragen, ob sie eine ihrer Ferienwohnungen für dich frei hat. Bei uns im kleinen Häuschen ist leider wenig Platz. Oder willst du lieber in ein Hotel?“

„Eine Ferienwohnung wäre toll“, hörte ich mich selbst sagen.

Vielleicht war das gar keine so schlechte Idee?

Ich hatte ewig keinen Urlaub gemacht. Gerade im Advent und auch noch nach den Weihnachtstagen war im Laden die Hölle losgewesen.

---ENDE DER LESEPROBE---