Winterliebe mit Herz - Karin Lindberg - E-Book
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Winterliebe mit Herz E-Book

Karin Lindberg

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Beschreibung

Zwei herzerwärmende Winterromane zum Sonderpreis in einem E-Book-Sammelband.

Wollsockenwinterknistern (k)ein Weihnachtsroman.
Kann aus Freundschaft Liebe werden? Fristlos entlassen, vom Freund betrogen, zurück im Heimatdorf und in Muttis Haus - Marie Janssen ist wahrhaftig am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen. Sie will nur eins: sich strickend in ihrem Elend vergraben und ihre Wunden lecken. Aber da hat sie die Rechnung ohne ihre beste Freundin gemacht! Nicole schmiedet unerbittlich Pläne, um Maries Lebensgeister zu wecken. Dabei spielt ihr das Schicksal in die Hände, denn das zehnjährige Abitreffen steht an und Nicole beschließt, Marie dort an den Mann zu bringen. Doch Maries ehemaliger Beachvolleyballpartner rettet sie ganz unerwartet aus dieser unangenehmen Situation - dabei ist er so attraktiv wie eh und je, und sein Charme lässt sie leider ganz und gar nicht kalt. Doch was will Lennart wirklich?

Kokosmakronenküsse:
Wenn man den Traummann trifft und gerade kein Mistelzweig in der Nähe ist ... Kurz vor Weihnachten und alles geht schief, dabei müsste sich die Musiklehrerin Luisa Zimmermann eigentlich auf das große Konzert an ihrer Musikschule vorbereiten. Als in ihrer ohnehin schon prekären finanziellen Lage dann auch noch ihr geliebter Käfer den Geist aufgibt, verlässt sie vollends der Mut. Hilfe erhält sie von gänzlich unerwarteter Seite. Die Reparatur ihres Wagens ist jedoch an eine Bedingung geknüpft: Luisa soll Till heiraten - zum Schein. Dummerweise entpuppt sich der attraktive Mechaniker als gar nicht so gefühlskalt, wie zunächst angenommen. In einem Moment der Schwäche kommen sich die beiden näher und plötzlich wird es schrecklich kompliziert. Ihre Gefühle waren doch nur gespielt, oder etwa nicht?

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Winterliebe mit Herz

E-Book-Sammelband

Karin Lindberg

Karin Lindberg

Inhalt

Karin Lindberg

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Epilog

Kokosmakronenküsse

Prolog

12. Kapitel 1

13. Kapitel 2

14. Kapitel 3

15. Kapitel 4

16. Kapitel 5

17. Kapitel 6

18. Kapitel 7

19. Kapitel 8

20. Kapitel 9

21. Kapitel 10

22. Kapitel 11

23. Kapitel 12

24. Kapitel 13

25. Kapitel 14

26. Kapitel 15

27. Kapitel 16

28. Kapitel 17

29. Kapitel 18

30. Kapitel 19

31. Kapitel 20

32. Kapitel 21

33. Kapitel 22

34. Kapitel 23

Epilog

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Karin Lindberg

Winterliebe mit Herz

E-Book-Bundle

Wollsockenwinterknistern und Kokosmakronenküsse

Über die Bücher

Zwei herzerwärmende Winterromane zum Sonderpreis in einem Ebook-Bundle

 

Wollsockenwinterknistern

(k)ein Weihnachtsroman

Kann aus Freundschaft Liebe werden?

Fristlos entlassen, vom Freund betrogen, zurück im Heimatdorf und in Muttis Haus – Marie Janssen ist wahrhaftig am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen. Sie will nur eins: sich strickend in ihrem Elend vergraben und ihre Wunden lecken. Aber da hat sie die Rechnung ohne ihre beste Freundin gemacht! Nicole schmiedet unerbittlich Pläne, um Maries Lebensgeister zu wecken. Dabei spielt ihr das Schicksal in die Hände, denn das zehnjährige Abitreffen steht an und Nicole beschließt, Marie dort an den Mann zu bringen. Doch Maries ehemaliger Beachvolleyballpartner rettet sie ganz unerwartet aus dieser unangenehmen Situation – dabei ist er so attraktiv wie eh und je, und sein Charme lässt sie leider ganz und gar nicht kalt. Doch was will Lennart wirklich?

 

Kokosmakronenküsse

Wenn man den Traummann trifft und gerade kein Mistelzweig in der Nähe ist ...

Kurz vor Weihnachten und alles geht schief, dabei müsste sich die Musiklehrerin Luisa Zimmermann eigentlich auf das große Konzert an ihrer Musikschule vorbereiten. Als in ihrer ohnehin schon prekären finanziellen Lage dann auch noch ihr geliebter Käfer den Geist aufgibt, verlässt sie vollends der Mut. Hilfe erhält sie von gänzlich unerwarteter Seite. Die Reparatur ihres Wagens ist jedoch an eine Bedingung geknüpft: Luisa soll Till heiraten – zum Schein. Dummerweise entpuppt sich der attraktive Mechaniker als gar nicht so gefühlskalt, wie zunächst angenommen. In einem Moment der Schwäche kommen sich die beiden näher und plötzlich wird es schrecklich kompliziert. Ihre Gefühle waren doch nur gespielt, oder etwa nicht?

Covergestaltung: Casandra Krammer - www.casandrakrammer.de

Covermotiv Deopositphotos, Shutterstock

Copyright © Karin Lindberg 2021

K. Baldvinsson

Am Petersberg 6a

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Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Erstellt mit Vellum

Vorwort

Liebe Leserinnen,

dieses E-Book beinhaltet die Romane Wollsockenwinterknistern und Kokosmakronenküsse. Die Geschichten sind voneinander unabhängig und können in beliebiger Reihenfolge gelesen werden.

Viel Freude beim Lesen wünscht

Karin Lindberg

Kapitel 1

»Hast du jetzt genug in Selbstmitleid gebadet?«, höre ich meine beste Freundin Nicole neben mir.

»Ich bade überhaupt nicht in Selbstmitleid«, schnappe ich und starre sie mit zusammengekniffenen Augen an. Ich umklammere die Teetasse mit beiden Händen, um mich daran zu wärmen.

»O doch, meine Liebe, und ich werde mir das nicht mehr länger mitansehen!« Sie hat ihre Arme vor ihrer stattlichen Oberweite verschränkt. Das bedeutet, sie macht keine Witze, und mir wird leicht mulmig.

»Dann sieh halt nicht hin!« Dass ich wie ein bockiges Kind klinge, ist mir mal so richtig egal.

»Das ist aber verdammt schwer, denn du bist mir sehr wichtig und ich finde es schlimm, dich leiden zu sehen. Und deswegen gehen wir heute aus. Komm mal mit«, lockt Nicole, zupft am Ärmel meines Wollpullovers und verschwindet einen Moment später aus dem Wohnzimmer. Ich runzele die Stirn. Ich habe keine Ahnung, was dieses eindrucksvolle Luder schon wieder ausgeheckt hat, aber es kann nichts Gutes sein. Dann begreife ich und ein Stöhnen schleicht sich über meine Lippen.

»Komm schon! Oder muss ich dich nach oben tragen?«, ruft sie mir aus der Diele zu.

Seufzend richte ich mich auf, stelle die leere Tasse auf dem Wohnzimmertisch ab und schlurfe kraftlos auf sie zu.

Ich habe null Bock auf das Abitreffen. Bei den meisten meiner ehemaligen Mitschüler bin ich sogar froh, dass ich sie seit knapp zehn Jahren nicht mehr gesehen habe. Nicht aber meine beste Freundin. Sie steht bereits – mit einer Sporttasche bepackt – auf der Mitte der Treppe und denkt gar nicht daran lockerzulassen. Ich hätte vorhin schon misstrauisch werden sollen, als sie mit dem Ding reingekommen ist. Nicole geht nämlich selten freiwillig zum Sport. Mir hätte also gleich klar sein müssen, dass sie irgendwas vorhat, das keinen Ausflug auf die Yogamatte beinhaltet. Jetzt ist es zu spät. Mist.

»Zack, zack!«, sagt sie jetzt, und ihr Ton duldet keinen Widerspruch. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie täglich ihre Kinder herumkommandiert – mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sehr erfolgreich. Mühsam ziehe ich meine müden Knochen am Treppengeländer nach oben, so langsam wie möglich, auch um Zeit zu schinden, hauptsächlich aber, weil mir absolut die Kraft fehlt, mich auf eine Party vorzubereiten. Widerworte wären jetzt allerdings mein endgültiges Todesurteil. Jedenfalls, wenn sie so entschlossen ist wie in diesem Moment.

Oben angekommen, schiebt mich Nicole sichtlich ungeduldig ins Badezimmer. Ihr Gesichtsausdruck macht mir mittlerweile ein bisschen Angst, wenn ich ehrlich bin.

»Was hast du vor?«, frage ich vorsichtig, ihren Bewegungen misstrauisch mit den Augen folgend.

»Du ziehst jetzt deine Klamotten aus und machst das, was ich dir sage!«, kommandiert sie mich weiter herum.

Für einen kleinen Moment bin ich sprachlos, dass sie wirklich in diesem Ton mit mir spricht – als ob ich ihre Leibeigene wäre! Alles muss ich mir auch nicht bieten lassen. Ich schnaube laut auf und zeige ihr einen Vogel. »Du hast sie doch nicht mehr alle. Ich werde nirgendwohin gehen! Du bist nicht meine Mutter, also hör auf, mich so zu behandeln.«

»Pff, als ob du auf deine Mutter hören würdest. Wo ist sie eigentlich? Marie, ich habe seit acht Wochen keine Kohlenhydrate mehr gegessen und fünf Kilo für dieses verdammte Abitreffen abgenommen. Du machst jetzt also gefälligst, was ich dir sage! Ich muss dich nicht darauf hinweisen, dass du in Lebensgefahr schwebst, wenn du dich hier weiter so aufführst?«

Muss sie nicht. Ich bin vielleicht blond, aber nicht total blöd.

Während ich mich mit verschränkten Armen vor dem Waschbecken platziere, öffnet sie den Reißverschluss der knallroten Sporttasche, die auf dem hellen Fliesenboden steht. Die offizielle Eroberung des Badezimmers ist damit abgeschlossen.

»Na, wird’s bald? Hosen runter!« Nicoles Wangen sind gerötet, und ich weiß, dass ich endgültig und unwiederbringlich verloren habe. Widerstand absolut zwecklos. Außerdem habe ich in einem Anfall geistiger Umnachtung letzte Woche zugesagt, dass ich auf ein Stündchen mitkommen würde. Ich bin also selbst schuld, dass sie sich hier aufführt wie Schwester Hildegard. Irgendwie habe ich gehofft, dass vielleicht eines ihrer Kinder krank wird und sie nicht kommen kann, aber Magen-Darm gibt’s auch bei Kindergartenkindern nicht auf Bestellung. Leider.

»Kacke«, flüstere ich leise vor mich hin, während ich die ausgeleierte Jogginghose nach unten ziehe und umständlich aus den Hosenbeinen steige.

»Ach, du Schande! Aber echt. Wann hast du dir das letzte Mal die Beine enthaart? Rasiert?« Meine Freundin lässt sich mit weit aufgerissenen Augen auf den Rand der Badewanne sinken. »Hiermit werde ich eine Weile beschäftigt sein. Mein lieber Mann! Nur gut, das ich schon so früh gekommen bin.«

»Ganz toll, ja. Was hab’ ich doch für ein Glück«, gebe ich sarkastisch zurück und schäme mich wirklich ein bisschen für meinen verwahrlosten Zustand.

Nicole geht zum Glück nicht weiter darauf ein, sondern kramt in der Tasche und fördert allerhand Utensilien zutage, mit denen sie meiner Körperbehaarung zu Leibe rücken will. Kaltwachsstreifen, Babyöl, Pinzette und allerhand kleine Fläschchen, bei denen ich nicht genau weiß, was drinnen ist. Sogar fürs Gesicht und die Intimzone hat sie Extrapackungen Enthaarungswachs gekauft. Als ich das sehe, komme ich mir fast vor, als wäre ich ein Gorilla. Dabei ist es wirklich nicht sooo schlimm, versuche ich mir wenigstens einzureden. Immerhin bin ich naturblond, meine Körperbehaarung fällt also quasi kaum auf. Völlig unnötig, diese Prozedur ... Mir schwant Schlimmes, denn Schmerzen habe ich noch nie gut ausgehalten. Ich will das nicht und beäuge meine Beine mit Widerwillen. Leider hat Nicole in einem Punkt doch recht: Mein Zustand ist, um es mit einem Wort auszudrücken, schlimm.

Seit mich mein Freund vor zwei Wochen rausgeworfen hat, habe ich zu nichts mehr Energie aufgebracht, außer um mich selbst zu bemitleiden. Zähneputzen und Duschen waren das Höchstmaß an Körperpflege, das ich in diesem Stadium gerade eben so noch habe bewältigen können. Meine Haare sind in diesem Moment zu einem schlampigen Dutt zusammengedreht und das letzte Mal habe ich sie, glaube ich, vor drei Tagen gewaschen. Vielleicht waren es auch vier? Ach herrje! Aber für wen soll ich mich hübsch machen? Mein Freund, ähm, Exfreund vögelt just in diesem Moment wahrscheinlich gerade seine Neue. Seinen Facebook-Status musste er nicht mal ändern. Nur die Freundin wurde ausgetauscht. Holger Ludwigs – in einer Beziehung mit ... Na ja, jedenfalls nicht mehr mit mir. Arschloch.

Der Gedanke an ihn treibt meinen Puls in die Höhe.

Dieser miese Verräter.

Ich wünsche ihm die Pest an den Hals oder wenigstens eine fiese Geschlechtskrankheit.

Aber mir bleibt nicht mehr Zeit, mich in meiner Wut zu verlieren, denn in genau diesem Moment wird meine volle Aufmerksamkeit auf meinen Unterschenkel gelenkt. Nicole hat mir bereits zwei Kaltwachsstreifen auf selbigen geklebt und zieht sie jetzt mit einem herzhaften Ruck ab.

Ich schreie auf.

»Aua, scheiße, tut das weh!«

»Reiß dich jetzt zusammen, Mädel! Du wirst es mir später noch danken«, herrscht sie mich mit konzentrierter Miene an.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich mich für diese Prozedur zu irgendeinem Zeitpunkt bei meiner bald ehemals besten Freundin bedanken werde.

Das Brennen klingt langsam ab, aber Nicole kennt keine Gnade. Die nächsten beiden Streifen werden auf meiner Wade platziert. Ich kralle mich am Duschvorleger fest. Das Ratschen des Kaltwachses lässt mich erneut wimmern. Ich werde definitiv nicht zum Abitreffen gehen können, denn bis dahin bin ich vor Schmerzen krepiert.

Wenigstens ein Lichtblick ...

Zwei Stunden nach Beginn der Tortur stehen wir immer noch im Badezimmer, mein körperlicher Zustand hat sich allerdings ein wenig verändert. Babyglatte Haut, seidig schimmernde blonde Wellen, lackierte Nägel und Smokey Eyes ... und ein kleiner Schwips. Glücklicherweise hat Nicole nämlich außer dem Drogeriemarkt auch noch einen Supermarkt angesteuert und für Flüssignahrung gesorgt. Die Flasche Sekt ist bis auf einen letzten Rest leer und ich fühle mich so beschwingt wie schon eine ganze Weile nicht mehr.

»Ich weiß gar nicht, warum ich das alles mitmache ...«, grummele ich, den Kopf abgewandt, damit sie mein halbes Grinsen nicht sieht, als wir nylonbestrumpft die Holztreppe nach unten stolzieren.

»O Mann. Kannst du irgendwann mal damit aufhören? Jetzt sind wir schon so weit gekommen ...«

»Ha, so weit gekommen! Wir sind gerade einmal ein Stockwerk tiefer.«

»Ach, du wieder, Marie. Ich habe mich hier in die teuerste Unterwäsche meines Lebens gezwängt.«

»Ich hab’ dir nicht gesagt, du sollst dir Shapewear besorgen! Die sieht nicht mal hübsch aus.«

Nicole hält einen Moment inne, lässt ihre Schultern sinken und fixiert mich mit ihren hübschen dunklen Augen.

Mist. Den Blick kenne ich allzu gut. Gleich macht sie mich einen Kopf kürzer.

»Marie, kannst du nur für einen Moment aufhören, an dich und dein Elend zu denken? Ja? Kannst du das? Es ist mir scheißegal, ob diese Unterwäsche gut aussieht, solange sie meinen Bauch flach und meinen Arsch eine Nummer kleiner macht. Ich habe es in den letzten zehn Jahren zu was gebracht, ich ... Wir sind nicht mehr die grauen Mäuse von früher! Ich will diesen Abend genießen und sehen, was aus den anderen geworden ist.« Gut, ich lebe noch, aber ich bin garantiert zwei Zentimeter kleiner. Trotzdem hebe ich eine Augenbraue und wage eine vorsichtige Antwort, wenig diplomatisch, aber wahr: »Die meisten unserer ehemaligen Mitschüler leben immer noch im gleichen Ort, zumindest im gleichen Landkreis, soweit ich weiß. Also ... na gut, von mir aus. Ich sag’ nichts mehr.« Abwehrend hebe ich beide Hände in die Luft und Nicole atmet hörbar aus. »Gott sei Dank, besser isses. Gönn mir den Abend und hör auf, mir auf die Nerven zu gehen, wenn du es schon nicht genießen kannst. Noch einen Drink, bevor es losgeht?« Letzteres klingt schon wieder ganz versöhnlich, immerhin.

»Cosmo?«, fragte ich wohlwissend, dass meine Mutter nicht alle Zutaten dafür im Haus hat. Ich würde in ihrem Vorratsschrank höchstens vielleicht Cranberrysaft finden, mit dem sie ihre häufigen Blasenentzündungen auskuriert. Von Limettensaft, Wodka und Orangenlikör hat sie vielleicht schon mal was gehört, aber gekauft hat sie davon sicher nie etwas.

»Hat man dir das mit den feinen Cocktails in Hamburg beigebracht, oder wie?«, fragt Nicole und sieht mich schräg an.

»Nein, das hat mir ‚Sex and the City‘ beigebracht. Müssen wir nicht los?«, lache ich.

»Ach, jetzt hast du es auf einmal eilig?«, kontert sie, und in diesem Moment wird mir klar, dass ich eine supermiese Freundin bin. Nicole ist nervös. Für sie ist es ein besonderer Abend, für mich hingegen ... eine Qual.

»Je eher wir hingehen, desto früher können wir wieder nach Hause«, gebe ich daher achselzuckend zurück und bleibe noch einmal vor dem Spiegel in der Diele stehen. Mein blondes Haar fällt mir in sanften Wellen über die Schultern. Der Ausschnitt des schwarzen Kleides ist zwar sündhaft tief, aber es ist das einzige, das für diesen Abend halbwegs geeignet ist. Außer diesem habe ich nämlich nichts Taugliches. Als Verwaltungsfachangestellte besucht man äußerst selten Veranstaltungen, auf denen festliche Kleidung Pflicht ist. Dieses Exemplar jedoch habe ich mir für einen Theaterbesuch im letzten Jahr besorgt, der dann buchstäblich ins Wasser gefallen ist: Das Stück wurde wegen eines Wasserschadens abgesagt und mein Kleid ist damit unbenutzt im Schrank hängen geblieben. Tja, und einen Job habe ich seit zwei Wochen auch nicht mehr. Aber das ist ein anderes, sehr unerfreuliches Thema, mit dem ich mich heute Abend sicher nicht befassen möchte. Momentan befinde ich mich auf dem absoluten Tiefpunkt meines neunundzwanzigjährigen Lebens. Ich bin eine Versagerin. Und auch noch Single. Wo ist der nächste Fluss, in dem ich mich ertränken kann?

Nicole stupst mich in die Seite und ihr Spiegelbild erscheint neben meinem.

»Guck nicht so ernst. Du siehst toll aus, Marie!«, höre ich meine beste Freundin neben mir sagen, während sie mich anlächelt und den Arm um meine Taille legt. Ich fühle mich gleich ein bisschen besser. Komplimente helfen doch immer.

»Danke. Du siehst aber auch superklasse aus. Wahnsinn, das Rot steht dir so gut!«, revanchiere ich mich und meine es auch so. Sie ist wirklich sehr hübsch mit ihren dunkelbraunen glänzenden Haaren und den symmetrischen Gesichtszügen.

»Hi, hi, ja, und die langen Ärmel kaschieren meine schwabbeligen Oberarme«, lacht sie verlegen.

»Hör doch auf!«

»Erinnerst du dich nicht? ‚Pfannkuchengesicht‘ haben sie mich immer genannt.«

»Jesus, Nicole, das war in der Grundschule!«

»Ja, aber das habe ich nie vergessen. Kinder können grausam sein.« Ihre melodische Stimme klingt ein wenig melancholisch und sie schaut bedrückt auf den Boden. Oje, nicht, dass es gleich Tränen gibt! Ich habe in den letzten zwei Wochen genug für ein ganzes Leben geheult. Schnell lenke ich ein: »Stimmt, das ist wahr. Na, komm, lass uns gehen. Ich verspreche hoch und heilig, ich werde mir Mühe geben, dass du einen schönen Abend hast.« Zur Sicherheit hebe ich meine Hand zum Schwur und Nicole kichert. Sie bleibt nie lange schlecht gelaunt und kann einem selten ernsthaft böse sein – genau das Gegenteil von mir. Ich bin leider nachtragender als ein Elefant. Das würde ich aber nie vor jemandem zugeben. Wahrscheinlich bin ich genau deswegen so lange und so gut mit Nicole befreundet, weil wir uns eben perfekt ergänzen. Wir ziehen unsere Winterjacken über – es ist ganz schön kalt und windig heute – und schlüpfen in unsere Schuhe. Dann sind wir auch schon unterwegs in die dunkle Herbstnacht.

Wenig später klopft mein Herz bis zum Hals. Warum noch mal will ich mir das antun?

Richtig. Weil ich eine gute Freundin bin.

Verdammt. Vielleicht muss ich mal einen Kurs besuchen: So lernen Sie, in den richtigen Momenten Nein zu sagen. Nun ja. Jetzt jedenfalls ist es zu spät dafür. Nicole schiebt mich mehr oder weniger durch die rote Doppeltür in das historische Gebäude, in dem unser altes Gymnasium untergebracht ist. Äußerlich hat sich hier in den letzten zehn Jahren wenig bis gar nichts verändert. Musik und warme Luft schlagen uns entgegen und vor uns gehen ein paar unserer ehemaligen Mitschüler und Mitschülerinnen, deren Namen mir auf Anhieb nicht einfallen. Sie könnten aber auch zu einem anderen Jahrgang gehören, da nicht nur unser Abitreffen sich heute hier jährt. Aber da wir das zehnjährige feiern, hielt unser Jahrgang bei der Planung das Zepter in der Hand. Nicole war im Organisationsteam; wahrscheinlich wollte sie deswegen unbedingt herkommen. Irgendwie habe ich meine Schulzeit ziemlich weit hinten in meinen Erinnerungen vergraben. Es ist nicht so, dass ich überhaupt keine Freunde gehabt hätte, aber zu den Coolen und Hippen habe ich nie gehört. Ich war eher so der unsichtbare Typ, der nie besonders auffällig war. Mehr so wie ein Fisch im Schwarm, angepasst und Mainstream. Außer beim Beachvolleyball, da habe ich immer eine ganz gute Figur gemacht. Eine sehr gute sogar.

Nicole hakt sich bei mir unter. Sie trägt ihr Kinn hoch und ihren üppigen Busen voran. Im Gegensatz zu mir hat sie noch nie Berührungsängste gehabt.

Ich trete zusammen mit ihr in die dekorierte Aula meines ehemaligen Gymnasiums. Mein Atem kommt flach, mein Puls rast. Das Gefühl, eine Versagerin zu sein, lässt mein Selbstvertrauen auf Ameisengröße schrumpfen. Dann sehe ich ihn. Mein Herz bleibt einen Moment stehen, bevor es in ungleichmäßigem Takt weiterschlägt.

»Wieso hast du mir nicht gesagt, dass er hier ist?«, flüstere ich Nicole hektisch zu. Mir ist heiß und kalt zugleich und ich wünschte, ich hätte mich auf diesen Moment vorbereiten können.

»Wer, Lennart?«, gibt sie grinsend zurück.

»Du blöde Kuh bist doch im Organisationskomitee, du hast doch sicher einen Blick auf die Liste mit Zusagen geworfen«, zische ich nun deutlich lauter.

»Ich dachte, es wäre nicht so wichtig«, säuselt sie unschuldig. In mir reift das Verlangen, ihr eine reinzuhauen.

»Ich hasse dich«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Am liebsten würde ich meine Beine in die Hand nehmen und davonlaufen. Trotzdem bleibe ich stehen und starre Lennart einfach nur an. Er sieht gut aus. Viel zu gut. Er ist komplett in Schwarz gekleidet, seine dunkelblonden Haare sind leicht mit Gel frisiert und er lächelt in die Gesprächsrunde. Natürlich ist er umringt von einigen Frauen und Kerlen. Er war immer schon beliebt bei den Jungs und begehrt von den Mädels. Von allen Mädels. Jetzt, wo er reich und erfolgreich ist, werden sie ihn noch mehr umschwärmen als früher. Als ob er ahnen würde, dass ich ihn beobachte, dreht er seinen Kopf in meine Richtung. Unsere Blicke treffen sich ...

Aber halt. Erst mal zurück an den Anfang. Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass ich wieder bei meiner Mutter eingezogen bin – was im Übrigen nur vorübergehend ist – und damit wieder im wohl langweiligsten Kaff Norddeutschlands wohne?

Es ist jetzt etwas mehr als zwei Wochen her, dass ich wie üblich in meinem Hamburger Büro saß und meinem Job bei einer Wohnungsbaugesellschaft als Verwaltungsfachangestellte nachgegangen bin. Gekriselt hat es schon länger zwischen mir und meinem Chef, aber dass ich der alten Dame aus der Westermannstraße 43 nicht – wie von ihm aufgetragen – die Wohnung zum Monatsende gekündigt habe, war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es hat schon öfter kleinere Probleme gegeben, weil ich immer wieder die Interessen der Mieter vertrat, anstatt meinem Arbeitgeber mehr Profit einzubringen. Ich tat das nicht aus einem Anfall von Samaritertum, sondern vielmehr, weil mir die Machenschaften der Wohnungsbaugesellschaft etliche Male unfair vorgekommen sind. Und dann habe ich mir mit Frau Sablotzky wohl zu viel herausgenommen, aber die nette alte Dame hat mir einfach leidgetan – sehr leid sogar. Sie wohnte seit mehr als dreißig Jahren in dieser Wohnung, war weit über achtzig, und für sie gab es nichts Schlimmeres, als ihre Bleibe und damit ihr langjähriges Zuhause zu verlieren. »Ich werde mich eher umbringen, als hier ausziehen. Dann können sie mich im bleiernen Sarg hier raustragen. Aber auf meinen eigenen Füßen verlasse ich meine Wohnung nicht«, hat sie immer wieder gesagt – und ich habe ihr geglaubt. Tja, und dann hat mein Chef wohl kontrolliert, ob die Wohnung endlich frei ist, da sie den gesamten Komplex modernisieren wollten, um die Mieteinnahmen erheblich zu steigern. Dieser fiese Sklaventreiber Matzek hat sich nicht mal die Mühe gemacht, meine Kündigung irgendwie nett zu verpacken. Er ist einfach in mein Büro gekommen und hat mir einen Umschlag auf den Tisch gelegt. »Hier ist Ihre fristlose Kündigung, das war jetzt eine Nummer zu viel. Packen Sie Ihren Kram, Sie sind den Rest des Monats freigestellt. Ihre Papiere schicken wir Ihnen zu.« Kein »Tschüss«, kein »Vielen Dank für die Arbeit in den letzten vier Jahren«, kein »Alles Gute auf dem weiteren Lebensweg«. Einfach emotionslos neutralisiert.

Aber das war noch nicht alles an diesem Tag. Ein wenig bedröppelt war ich nach dem Rauswurf schon, anders kann ich es nicht sagen, aber ich bin eigentlich kein Mensch, der lange mit dem Schicksal hadert. Deswegen wollte ich das Beste aus dem Tag machen, fuhr also auf dem Rückweg zum Supermarkt, kaufte für ein nettes Dinner ein und stellte mich ganze zwei Stunden in die Küche, um ein leckeres Abendessen für mich und meinen Freund Holger zuzubereiten, obwohl ich absolut keine Meisterköchin bin. Gegen acht saß ich da, mit meinem Glas Wein. Die Kerze brannte auf dem Tisch und das Essen köchelte auf kleiner Flamme. Aber Holger kam nicht. Sein Handy war ausgeschaltet. Gegen dreiundzwanzig Uhr hörte ich den Schlüssel im Schloss – natürlich war das Abendessen längst kalt. Um neun habe ich den Herd abgedreht, weil ich ihn nicht erreichen konnte. Um meinen Tag perfekt zu machen, teilte mir Holger nach einem unverbindlichen »Hallo« mit, dass unsere Beziehung beendet sei.

»Marie«, sagte er, »es geht nicht mehr länger. Ich möchte, dass du ausziehst. Ich liebe dich nicht mehr.«

Bumm. Der Schlag hat gesessen.

Dass er mich dermaßen kalt und ohne Zögern nach vier Jahren abservierte, hat mir den letzten Rest Boden unter den Füßen weggezogen.

Erst dachte ich noch, er macht vielleicht Witze, aber sein ernster Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel. Und es war nicht mal Freitag, der 13., und leider auch nicht der 1. April.

»Ich möchte, dass du bis zum Wochenende ausgezogen bist.«

»Was?! Wo soll ich denn hin?«, gab ich völlig aufgelöst zurück. Von meiner Kündigung hatte ich ihm noch nichts gesagt.

»Ich weiß es nicht, schau halt mal bei Airbnb oder so. Es gibt doch überall freie Zimmer in WGs. Wir sind ja in Hamburg und nicht in Wanne-Eickel«, warf er mir weiter völlig nüchtern Informationsbrocken hin. Genau, in Hamburg, wo viele für eine anständige Wohnung ihre Seele verkaufen würden. Ein zynisches Lachen hat die Stille durchbrochen. Es hat einen Moment gedauert, bis ich realisiert habe, dass es meines war.

Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, hat es ja so kommen müssen. Das Ende unserer Beziehung hat sich leise und schleichend über Monate hinweg abgezeichnet. Ich mache mir da nichts vor, aber gerade an diesem Abend hätte ich eine starke Schulter gebraucht, um mich auszuheulen. Hätte er nicht einen Tag länger warten können, bevor er mich rauswarf? Irgendwann im Verlauf des Abends ging mir dann auf, dass Holger längst eine Neue hatte. Weil ich mich nicht völlig lächerlich machen wollte, räumte ich zügig das Feld. Wie ein geprügelter Hund.

Am nächsten Morgen habe ich meine spärlichen Habseligkeiten in meinen Twingo gepackt und bin damit zu meiner Mutter gezogen. Alles, was ich besitze, passte in zwei Koffer und vier Umzugskartons. Kein Job. Kein Freund. Kein Leben. Seitdem habe ich mich im Selbstmitleid mehr oder weniger ertränkt. Bis zum heutigen Abend jedenfalls.

Im Moment bin ich mir nicht sicher, was schlimmer ist: alleine bei Mutti abzuhängen oder von hunderten ehemaliger Schüler umringt zu sein, die alle irgendwie glücklich und vergnügt wirken. In der Mitte der Aula haben fleißige Helfer eine Discokugel aufgehängt, die helle Kreise auf Boden und Wände projiziert. Gegenüber vom Eingang gibt es ein üppiges Buffet, daneben die Getränke. Auf der Bühne spielt eine lokale Band, die ‚Goodies‘. Sie schmettern alte Hits aus unserem Abschlussjahr 2006, und ich komme mir vor, als wäre ich im falschen Film gelandet.

Lennart und ich starren uns immer noch an. Es ist, als ob die Zeit stillstehen würde. Trotzdem fällt mir auf, dass er sich verändert hat. Aus dem neunzehnjährigen Teenager ist ein Mann geworden. Ein reicher Mann, wie man hört. Genau deswegen habe ich auch absolut nicht damit gerechnet, ihn hier zu treffen. Meines Wissens lebt er nämlich im Silicon Valley, wo er Spiele-Apps programmiert. Damit hat er auch ein Vermögen gemacht, führt jetzt ein Jetset-Leben und feiert eine Party nach der anderen – so ist jedenfalls mein Informationsstand. Das habe ich alles von Nicole. Sie weiß über alles und jeden Bescheid, daher denke ich – dachte ich – dass die Quelle zuverlässig sei. Aber die Hexe hat mich anscheinend nicht über die jüngsten Entwicklungen informiert. Ihrem dämlichen Grinsen nach zu urteilen, wusste sie nämlich auf jeden Fall, dass er hier sein würde.

Die Flasche Sekt, die wir zuhause bereits geleert haben, um das Nervenflattern zu beruhigen, hat sich mit Lennarts Anblick aus meinem Blutkreislauf verabschiedet.

Was zur Hölle macht er hier?

Natürlich ist er immer noch von einer Traube Frauen und Männern umringt, die ihm sicher gerade jetzt die Fragen stellen, die mir auf der Zunge brennen. Nicole stupst mich sanft in die Seite. »Geh hin und sag hallo.«

Auf gar keinen Fall!

Meine Beine zittern und mir ist schlecht. Vielleicht habe ich Glück und mein farbloses Dasein endet just in diesem Moment mit einem Herzinfarkt. Aber natürlich werde ich nicht erlöst. Stattdessen lässt Lennart den Haufen ehemaliger Mitschüler stehen und kommt auf mich zu, dabei hat er seinen Blick die ganze Zeit auf mich gerichtet. Nicole höre ich wie im Nebel rufen: »Ich hole uns mal ein Glas Bowle!«, bevor sie davoneilt.

Ich bin alleine, schätze die Fluchtmöglichkeiten ab, aber es ist zu spät. Das Strahlen in Lennarts Gesicht wird breiter, als er schließlich vor mir steht.

»Marie, du bist hier! Wie schön!« Er drückt mich an sich und umarmt mich, ganz wie eine alte Freundin. Das bin ich ja auch. Ich muss mich kurz selbst daran erinnern; auch daran, dass er mich enttäuscht hat, als er damals einfach verschwunden ist, ohne sich wirklich von mir zu verabschieden. Das würde man doch von einem Freund erwarten ...

Ich stehe stocksteif da, meine Wange wird an seine muskulöse Brust gedrückt und ich atme seinen frischen Duft ein. Er riecht noch wie früher – fehlen nur noch die Sonnencreme und der Sand unter unseren Füßen. Viel zu schnell lässt er mich los und sieht mich eindringlich an. Ich verliere mich einen Moment zu lange in seinen samtbraunen Augen.

Zack.

Jetzt ist es soweit. Ich bin mir sicher, ich brauche einen Notarzt. Mein Puls rast lebensbedrohlich schnell, mein Sprachzentrum arbeitet nicht mehr und möglicherweise steht mein Mund weit offen. Ja, ganz sicher sogar.

»Du siehst toll aus!«, höre ich ihn sagen und ich bemerke, wie er auf mein Dekolleté starrt.

Wenigstens etwas. Da hat sich der Einsatz des unbequemen Push-up-BHs doch noch ausgezahlt.

»Danke, du, äh, auch«, stammele ich. »Was machst du hier?«

Lennart lacht und ich sehe seine weißen, geraden Zähne aufblitzen.

»Das klingt ja so, als wolltest du mich nicht sehen, Summer«, tadelt er mich amüsiert.

Ich zucke zusammen.

Summer. Mein Gott. So hat mich seit neun Jahren niemand mehr genannt. Eigentlich hat sowieso immer nur er mich so genannt. Und unter dem Namen haben wir mich meistens auch bei der Tour registriert. Wir fanden das damals lustig. Und passend.

Summer & Naughty.

Bildfetzen erscheinen vor meinem inneren Auge. Lennart und ich auf dem Beachfeld, jener Sommer 2006, als wir noch das ganze Leben vor uns hatten und ich an seiner Seite beinahe jedes Wochenende von Turnier zu Turnier gefahren bin. Wir waren ein unschlagbares Team. Beinahe jedenfalls. Bis zum plötzlichen Tod seiner Mutter. Danach ist er in ein tiefes Loch gefallen, bis er Deutschland schließlich den Rücken gekehrt hat. Er hat danach jeglichen Kontakt zu mir und – soweit ich weiß – auch zu allen anderen von damals abgebrochen. Ich war zutiefst getroffen, weil er, neben Nicole, mein allerbester Freund gewesen ist. Für ihn wäre ich durchs Feuer gegangen. Anscheinend habe nur ich das so gesehen, denn er ist ohne ein Wort auf einen anderen Kontinent abgehauen.

»Tja, ich bin einfach überrascht, Naughty. Ich hätte nicht damit gerechnet, dich heute hier zu treffen.«

Lennart ist selbst in den USA eine Nummer. Sein Ruf als Herzensbrecher eilt ihm voraus, wo auch immer er hingeht. YouTube, Twitter, Instagram ... Man kann genug Infos über ihn finden, wenn man danach sucht. Ja, ich gebe es zu: Ich habe ein paarmal nachgeforscht, wie es ihm geht, was er macht und so. Aber das habe ich schnell wieder sein lassen; das war nicht der Lennart, den ich kannte. So, wie es aussieht – und auch, was man sich im Dorf erzählt –, hat er mit seinen Spielen Millionen verdient. Etwas allerdings hat sich auch in den USA nicht verändert: nämlich, dass man ihn auf keinem Bild zweimal mit derselben Frau im Arm sieht. Die wenigen Bilder, die ich gefunden habe, bestätigen das. Ich kann wahrscheinlich von Glück sagen, dass ich niemals was mit ihm hatte. An ihm hätte ich mir nur die Finger verbrannt. So hatte ich Glück. Ich war eigentlich immer an seiner Seite, best buddies, aber nach Sonnenuntergang war es dann auch meist vorbei mit dem Teamplay und Lennart ist mit einer anderen Beachkönigin davongezogen, bis wir uns am nächsten Tag wieder zum Frühstück vor dem anstehenden Match getroffen haben.

»Beachst du noch?«, fragt er mich, als könnte er Gedanken lesen.

»Selten«, gebe ich ausweichend zurück.

»Wieso?«, fragt er mich, und seine warmen braunen Augen suchen meine.

Ich zucke mit den Schultern. Nein, ich werde ihm jetzt nicht erzählen, dass ihm meiner Meinung nach keiner das Wasser reichen kann. Jahrelang habe ich versucht, seinen Verlust zu ersetzen, aber nie wieder hatte ich so viel Spaß auf dem Feld wie mit ihm. Schließlich habe ich es ganz aufgegeben, als ich Holger kennengelernt habe, um mehr Zeit mit ihm zu verbringen.

»Keine Ahnung, man wird halt irgendwann erwachsen, schätze ich.«

Gott, das klingt so lahm!

Er sieht mich seltsam an. Gerade will er etwas sagen, als Nicole mit zwei Gläsern Bowle neben uns auftaucht. Na, hoffentlich ist viel Alkohol drin, den brauche ich jetzt nämlich.

»Hey, Lennart! Wie schön, dass du kommen konntest«, strahlt sie ihn an.

Er deutet eine Verbeugung an und grinst spitzbübisch: »Na klar, das zehnjährige Abitreffen wollte ich mir nicht entgehen lassen. Außerdem wohne ich jetzt wieder hier. Du siehst gut aus, Nicole.« Dann umarmt er sie mit Küsschen hier und Küsschen da.

Ich verschlucke mich an meiner Bowle, und beide sehen mich an, als wäre ich ein Alien. Er wohnt wieder hier? Warum zur Hölle erfahre ich eigentlich immer alles als Letzte?

Hat er sein Vermögen verspielt, oder warum kehrt er in dieses Kaff zurück?

Obwohl mir diese Fragen auf der Zunge brennen, behalte ich sie für mich.

»Sorry, mir ist wohl ein Stück Erdbeere in den Hals gerutscht«, presse ich zwischen zwei Hustenanfällen hervor.

»Danke, du hast dich auch gut gehalten«, schäkert meine beste Freundin mit ihm. Keine Frage, er schafft es nach wie vor, jede Frau innerhalb von Sekunden um den Finger zu wickeln. Er sieht aber auch verdammt sexy aus. Schwarz steht ihm. Definitiv. Ich schaue ihn mir noch einmal genauer an. Seine Wangen sind unrasiert und die hellbraunen Haare nach oben gegelt. Er hat einen Stil, den man nicht mit Geld kaufen kann, und ist wirklich erwachsen geworden. Früher hat man ihn eigentlich nur mit Sweatshirt und Jeans gesehen, aber das ist lange her. Ich hingegen habe mich nicht so viel verändert. Dass ich heute ein sexy Kleid trage, ist, wie gesagt, eine absolute Ausnahme.

»Auf uns!«, höre ich seine tiefe Stimme, während er seine Bierflasche hebt. »Prost!«

Er schlägt seine Flasche zuerst leicht an Nicoles Glas, sieht ihr kurz in die Augen und wendet sich dann mir zu. Kleine Schauer rieseln über meinen Rücken, während er mich mit seinem Blick fixiert. Ich habe kurz das Gefühl, seine Augen würden mir mehr sagen wollen als einfach nur Prost.

Aber was zur Hölle ist mit mir eigentlich los, dass ich so heftig auf ihn reagiere?

Ich bin verwirrt und starre zu Boden. Als ich meinen Kopf wieder anhebe, sehe ich Elke Joost auf uns zukommen – frisch geschieden und mit einer neuen Haarfarbe.

Ich hasse sie. Sie war der Alptraum meiner Schulzeit. Wo immer sie konnte, hat sie mich gemobbt. Keine Ahnung, wieso, aber es war wechselseitiger Hass auf den ersten Blick. Im Gegensatz zu mir ist Elke mit einem überdimensionalen Selbstvertrauen zur Welt gekommen. Meines hingegen ... Lassen wir das. Auf einer Skala von Null bis Zehn liege ich aktuell bei minus Fünf.

»Lennart«, flötet sie und wirft sich ihm an den Hals. Nicole und ich tauschen Blicke, und ich weiß, sie denkt das Gleiche wie ich: einmal Schlampe, immer Schlampe.

Lennart hingegen scheint erfreut zu sein und erwidert ihre Umarmung kameradschaftlich.

In mir löst das herzliche Wiedersehen allerdings Brechreiz aus. Im letzten Schuljahr waren die beiden ein Paar. Natürlich das Paar. Aber das Glück hat nicht lange gehalten. Wie mir scheint, ist Elke nicht nachtragend. Aber eines ist nach wenigen Sekunden klar: Sie hat jetzt vor, sich meinen Kumpel zu krallen.

»Ähm, ja«, sagt Nicole und nimmt einen Schluck. Elke dreht sich so, dass Nicole und ich quasi von der Unterhaltung ausgeschlossen werden. Ich habe keinen Bedarf, weiter wie eine Idiotin neben den beiden zu stehen, und ziehe Nicole an ihrem Kleid sanft mit mir fort. Lennart runzelt die Stirn, aber Elke legt ihre Hand so bestimmt auf seinen Oberarm, dass er nicht protestiert oder uns gar etwas hinterherruft. Ich übernehme den Job für ihn: »Wir sehen uns sicher noch.« Dazu setze ich ein hoffentlich freundliches Lächeln auf. Es fühlt sich mehr wie eine verzerrte Grimasse an, aber das kann ich nun auch nicht mehr ändern. Ich rette mich zusammen mit Nicole hinter eine Gruppe von Leuten, die ich nicht kenne, und kippe meine Bowle auf ex hinunter. Es hat also auch etwas Gutes, dass sich hier mehrere Jahrgänge versammeln: Man kann sich aus dem Weg gehen.

»Puh. Können wir dann los?«, frage ich wenig hoffnungsvoll.

»Du hast sie doch nicht alle! Die Feier hat eben erst angefangen.« Meine Freundin tippt sich an die Stirn, um mir klarzumachen, dass sie mich für bescheuert hält.

»Also, ich habe jetzt schon genug«, erwidere ich erschöpft.

»Jetzt entspannt dich. Sieh mal, da vorne sind Ole und Johanna. Gott, den hätte ich ja beinahe nicht erkannt. Was ist mit seinen Haaren passiert?«

»Ausgefallen«, kommentiere ich ein bisschen gelangweilt, mit meinen Gedanken noch ganz woanders. »Die beiden wohnen doch mittlerweile in der Schweiz, oder?«

»Ja, er ist Banker. Die sind anscheinend nur für das Abitreffen gekommen.«

Ich schüttele ungläubig den Kopf, während ich mich langsam mit Nicole in Bewegung setze. Wir unterhalten uns ganz gut. Ole holt noch eine Runde Getränke für uns und mein Schwips meldet sich zurück. Angeheitert lässt sich das alles hier besser ertragen und ich habe sogar etwas Spaß an der Sache. Es sieht so aus, als ob sich doch mehr Leute, als gedacht an mich erinnern können, und wir unterhalten uns prima.

Da wäre Petra, die jetzt halbtags in einer Buchhandlung arbeitet. Wir saßen früher in Chemie nebeneinander, und sie hat mich mehr als einmal vor einer Fünf gerettet, weil sie mich immer abschreiben lassen hat. Sie ist schon ziemlich betrunken, daher macht es doppelt so viel Spaß, mit ihr über unsere ehemaligen Lehrer zu lästern, von denen auch ein paar hier sind. Ich habe gar nicht bemerkt, wohin Nicole verschwunden ist, bis die Musik leiser wird und ich sie auf der Bühne sehe.

Da steht sie wie eine Walküre, mit wehendem kastanienbraunem Haar, rotem Kleid und mörderischen Absätzen. Ich bin stolz auf meine Freundin, aber was, verdammt, macht sie da oben?

»Hallo, äh, hallo? Kann mich jemand hören?« Sie klopft gegen das Mikro. Ein paar Männer aus der linken Ecke grölen ihr zu, dass sie sich ausziehen soll.

»Ja, wir hören dich!«, kommt es aus der zweiten Reihe.

Gelächter. Jubeln.

»Gut, dann also …« Nicole räuspert sich. »Ich freue mich, dass heute Abend so viele von meinem Abijahrgang hier sind. 2006, wir sind die Besten!« Sie reckt ihre Faust in die Luft, und viele schreien: »2006!«

Wow, so viel Animationstalent habe ich gar nicht in ihr vermutet.

Jubeln. Pfiffe.

»Und jetzt habe ich einen ganz besonderen Programmpunkt für euch. Wie schon in der Einladung angekündigt, wird es eine Versteigerung geben ...«

Was will sie denn jetzt versteigern? Alte Schulranzen; und der Erlös kommt dem Tierheim zugute? Ich nippe derweil an meinem dritten Glas Bowle.

»… Es gab mehr Anmeldungen, als ich mir ausgemalt habe, deswegen musste das Los entscheiden, wer auf die Bühne darf ...«

Ich verstehe nur Bahnhof. Wie sollte ich auch? Ich habe die Einladung doch direkt vom E-Mail-Posteingang in den Papierkorb befördert, ohne sie zu lesen natürlich. Dass Nicole mich trotzdem hergeschleppt hat, reicht ja schon.

Meine Freundin faltet einen Zettel auseinander und hebt das Mikro wieder an ihre rotgeschminkten Lippen. »Der Erlös geht zu gleichen Teilen an das Kinderkrankenhaus und das Tierheim. Ich bitte also zu mir auf die Bühne: Simone Peters, Ariane Berger, Steffi Herbst, Marion Weber und, last but not least, Marie Janssen.«

Natürlich, das Tierheim!

Moment mal.

Hat sie eben nicht meinen Namen gesagt?

Verfluchter Mist.

Ich verdrehe die Augen und forme lautlos mit meinem Mund in ihre Richtung: »Ich hasse dich!«

Trotz – oder wegen – des Alkohols kann ich eins und eins zusammenzählen. Versteigerung und fünf Frauen – das kann nichts Gutes bedeuten. Ich checke, wie viele Schritte mich vom Ausgang trennen, aber die Masse beginnt rhythmisch zu klatschen. Schließlich schubst mich Petra, so dass ich mich stolpernd in Bewegung setze. Warum haben sich eigentlich alle gegen mich verschworen? Das ist nicht fair!

Wenig später stehe ich also mit vier anderen Frauen aus meiner ehemaligen Schule auf der Bühne und lausche den Erläuterungen zu dem Programm, in dem ich die unfreiwillige Hauptrolle spiele. Nicole sieht mich nicht an. Aha, sie weiß also, dass sie damit einen Schritt zu weit gegangen ist. Aber das nützt mir jetzt auch nichts mehr. Die Scheinwerfer sind auf uns gerichtet. Ich muss blinzeln, kann aber nicht viel erkennen, als ich mich in der Aula umsehe. Nur eines ist klar: Es sind verdammt viele Leute hier, und das wird wohl der peinlichste Moment in meinem bisherigen Leben werden. Um diese Farce zu unterstreichen, tönt leise Musik aus den Lautsprechern, die mich irrsinnigerweise an »Jeopardy«, die Quizshow, erinnert. Es ist skurril und peinlich. Zum wiederholten Mal an diesem Tag wünsche ich mir, einfach tot umzufallen. Ein Blitzschlag würde es sicher auch tun.

»So, ich würde sagen, wir fangen auch gleich mit Marie an. Du bist ja schließlich die Älteste auf der Bühne ...«

Na, danke schön. Muss das jetzt sein? Als ob ich mit neunundzwanzig das Verfallsdatum längst überschritten hätte! Nicole ist definitiv tot, wenn ich die Sache hier überlebe.

Ich presse meine Lippen aufeinander und versuche möglichst lässig dazustehen. Aber was macht man in einem solchen Moment mit seinen Händen? Mein Bowleglas hat mir jemand aus der Hand genommen, als ich nach oben gegangen bin. Jetzt habe ich nichts mehr, woran ich mich festhalten kann, also lasse ich sie einfach runterhängen. Es fühlt sich falsch und verkrampft an. Ich wünschte, ich wäre am anderen Ende der Welt. Oder tot. Aber das hatten wir ja schon.

»… Und jetzt meine Herren! Wie immer ist klar: Wer verheiratet oder in einer Partnerschaft ist, darf nicht mitbieten. Schließlich geht es hier um ein ernsthaftes Date mit unseren hübschen Damen. Wir wollen ja nicht, dass sie am nächsten Geburtstag auf dem Rathausmarkt kehren müssen ...«

Na, und wenn schon, ich würde lieber alle Klinken dieser Erde putzen, als mich so bloßstellen lassen. Ich hebe eine Augenbraue und atme einmal tief durch.

In wenigen Minuten wird dieser Spuk hier vorbei sein, und dann werde ich die Party auf jeden Fall verlassen. Nicole ist die längste Zeit meine Freundin gewesen. So.

»… Der Gewinner der Auktion hat das Recht auf ein Date. Was danach passiert, ist eure Privatsache und nicht im Preis inbegriffen ...«

Ich verdrehe die Augen. Übertreibt sie jetzt nicht ein wenig? Also echt.

»… Wir fangen mit einem Startpreis von fünfzehn Euro an ...«

Fünfzehn Euro?

Ich reiße meinen Mund auf und will etwas sagen, klappe ihn aber schnell wieder zu. Das ist das Lächerlichste, was ich jemals gehört habe. Fünfzehn Euro ist eine Beleidigung, wie sie mir nicht mal mein ärgster Feind hätte antun können. Elke Poobst, äh, Joost, hätte ich das zugetraut, aber doch nicht Nicole!

Zwei Herren, die ich beim besten Willen nicht als Bekannte einstufen kann, heben die Hand. Der eine ist klein, hat einen Bierbauch und eine Halbglatze, und der andere sieht aus wie eine Figur aus der Rocky Horror Picture Show. Das darf doch alles gar nicht wahr sein!

Sonst niemand?

»Gut, dann hätten wir jetzt also fünfzehn Euro. Fünfzehn Euro sind geboten für die schöne Goldmarie! Wer bietet mehr? Das nächste Gebot liegt bei fünfundzwanzig Euro ...«

Goldmarie? Ich werde ihr später sowas von Goldmarie geben! Das wird ja immer schlimmer.

Plötzlich höre ich ganz hinten aus dem Saal ein »Hier«. Ich kneife die Augen zusammen, um zu erkennen, von wem es kommt, und erblicke ...

Mein Herz stockt schon wieder.

Jesus, ich brauche vielleicht doch einen Herzschrittmacher, so geht das nicht weiter mit mir!

Es ist Lennart, der seinen Arm gehoben hat. Er lehnt lässig an der roten Backsteinwand; ein Bein ist angewinkelt und mit der Fußsohle stützt er sich an selbiger ab. So komplett in Schwarz sieht er verwegen und gefährlich aus, wie er aus dem Hintergrund so lässig die Hand hebt.

»Ja, Lennart«, höre ich Nicole ins Mikrofon säuseln. »Sonst noch jemand?«, fragt meine ehemals beste Freundin überflüssigerweise noch.

»Ich biete zweitausendfünfhundert Euro«, ruft er über alle im Saal hinweg.

Ein Murmeln und ungläubiges Raunen gehen durch die Aula und mein Kiefer klappt nach unten. Ich warte darauf, dass ich den Knall höre, wenn er auf dem Boden landet.

Moment mal. Ich muss mich einfach verhört haben.

Er hat doch nicht wirklich gerade zweitausendfünfhundert gesagt?

Vielleicht meint er ja Cent. Ganz sicher sogar.

»Wie bitte?«, höre ich nun auch Nicoles Stimme durch die Lautsprecher.

Die blöde Kuh. Sie glaubt es also auch nicht.

Ich überlege mir, auf welche Art und Weise ich meine ehemals beste Freundin foltern werde, wenn wir das nächste Mal unter uns sind.

»Zweitausendfünfhundert«, sagt Lennart noch einmal. Ich taumele ein paar Schritte, während das Murmeln sich zu ungläubigem Geraune entwickelt.

Ich glaube, mein Kreislauf macht schlapp. Endgültig. Das ist alles zu viel für mich. Ich klammere mich am Schlagzeug fest.

»Wunderbar!«, ruft Nicole. »Dann wäre Marie also verkauft. Für schlappe zweitausendfünfhundert Euro an Lennart Wolf. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten! ... Marie, du darfst jetzt zu deinem, äh, Date gehen.«

Meine Beine fühlen sich an, als hätte jemand Pudding daraus gemacht. Trotzdem schaffe ich es irgendwie, die Stufen nach unten zu gehen, ohne zu stürzen. Die Menge teilt sich. Alle Augen sind auf mich und auf Lennart gerichtet, der nun breitbeinig am Bühnenaufgang steht und mich mit einem siegessicheren Lächeln erwartet. Es fühlt sich verrückt an, beinahe wie in einer dämlichen Ami-Teenie-Schmonzette – bis auf einen kleinen Fehler: Lennart und ich sind kein Liebespaar, wir sind nicht einmal ineinander verliebt. Für ihn ist es der perfekte Moment, um seine Rückkehr mit Pauken und Trompeten zu zelebrieren. Für mich ist es – auch wenn ich es ungern zugebe – eine Erlösung, dass ich nicht mit Fettbacke oder Horror-Heini zu einem Abendessen oder ins Kino gehen muss.

Aber dieser Moment gehört uns. Summer & Naughty. Er streckt mir seine Hand entgegen, die ich, ohne zu zögern, ergreife. Mir ist egal, wie viele Leute uns zusehen, denn es fühlt sich an wie nach Hause zu kommen. Ein schönes Gefühl. Ein Summen ergreift meinen Körper und die Welt steht einen Moment still. Lennarts Haut ist warm und trocken, und ich spüre die männliche Kraft, die durch mich strömt, auch wenn es nur eine sanfte Berührung ist, die uns verbindet.

Wie aus weiter Ferne nehme ich Nicoles Stimme durch die Lautsprecher wahr: »… Und da wären wir nun bei unserer zweiten Dame, die noch auf der Suche nach einem Date ist ...«

»Komm, wir gehen ein Stück«, sagt Lennart und unterbricht damit das Schweigen zwischen uns. Er nickt mir aufmunternd zu. Meine Hand hält er noch in seiner, und ich entziehe sie ihm nicht. Ich bin nach dieser Gefühlsachterbahn und dem ganzen Alkohol heute ein bisschen willenlos, und es ist leider auch verdammt angenehm, ihn so nah bei mir zu haben. Ich will gar nicht, dass er mich loslässt, wenn ich ehrlich bin.

Verdammt.

Das ist gar nicht gut.

Schnell entziehe ich ihm meine Fingerchen, als mir klar wird, dass ich mir sonst nur noch mehr Probleme einhandele, und ernte dadurch einen skeptischen Blick von ihm. Wir haben die Bar angesteuert; er will die Party ganz offensichtlich noch nicht verlassen.

»Willst du mir nicht danken, Summer?«, fragt er mich, nachdem er zwei Bier bestellt hat.

»Äh, danken?«, frage ich leicht dümmlich und sehe ihn mit gerunzelter Stirn an. »Warum hast du das gemacht?«

Ich war noch nie ein Mensch, der lange um den heißen Brei herumredet.

Besser er klärt mich gleich darüber auf, warum er sein Geld so aus dem Fenster wirft, bevor ich mir irgendwas einbilde und mir eine hirnverbrannte Story zusammenreime.

Er legt einen Fünfer auf die Theke und drückt mir ein Bier in die Hand. Das Geschehen auf der Bühne wird von allen aufmerksam verfolgt – außer von uns beiden, denn er hat nur Augen für mich.

»Ich habe dich gerettet. Das war zumindest einer der Gründe.« Er sieht mich eindringlich an und seine braunen Augen wirken in der spärlichen Beleuchtung beinahe, als wären sie schwarz. Er hatte immer schon dieses Raubtierhafte an sich, und ich weiß, warum ihm die Frauen reihenweise zu Füßen liegen. Natürlich bekommt er immer, was er will. Die Frage ist nur: Was will er von mir?

Mir scheint, er hat sich äußerlich zwar ein wenig verändert, aber ansonsten ist er immer noch der alte Frauenheld. Da hat sich nichts gewandelt in den letzten Jahren. Der Gedanke gefällt mir nicht; ich will definitiv keine weitere Trophäe in seinen Memoiren abgeben. Oder wie auch immer er es bezeichnet, wenn er mit einer seiner Liebschaften fertig ist.

»Danke. Fürs Retten. Die Aktion kostet dich aber einiges. Ist vielleicht etwas übertrieben gewesen ...«, kommentiere ich weiter.

»Du hast schon immer viel zu viel nachgedacht. Das hat sich anscheinend nicht verloren in den letzten Jahren. Aber ich muss sagen, du bist noch viel hübscher geworden.« Er streicht mir sanft eine blonde Locke aus dem Gesicht, in der anderen Hand hält er sein Bier.

Verfluchter Mist.

Ich bin absolut nicht immun gegen seinen Charme, im Gegenteil.

In meinem Bauch flattern kleine Schmetterlinge, die ich nicht bestellt habe. Ganz und gar nicht. Ich bin doch noch in Trauer! Dabei scheint mir die Beziehung mit Holger in so weiter Ferne, dass ich mich im Moment nicht mal mehr an sein Gesicht erinnern kann. Schon gar nicht, wenn Lennart mir so nahe ist.

»Was gibt’s Neues aus der Gegend?«, fragt er mich in diesem Moment.

»Keine Ahnung«, gebe ich achselzuckend zurück. »Ich bin erst seit zwei Wochen wieder da. Wann bist du denn wiedergekommen?«

Es wundert mich sowieso, dass wir uns noch nicht über den Weg gelaufen sind. Andererseits habe ich die meiste Zeit, seit ich bei Mutti eingezogen bin, strickend auf ihrem Sofa in Selbstmitleid versunken verbracht. Andere essen bei Liebeskummer Schokolade, ich stricke. Aber jetzt kann ich nicht an Wolle und Norwegermuster denken, denn Lennart steht vor mir und ich muss immerzu den Impuls unterdrücken, auf seine verführerischen Lippen zu starren.

»Vorgestern. Hat etwas länger gedauert, meine Geschäfte in den Staaten abzuwickeln und meine Bude zu verkaufen.«

‚Bude‘ ist wahrscheinlich ein Witz. Nicole hat mir nämlich letztes Jahr erzählt, dass er ein riesiges Anwesen dort besitzt – jetzt wohl besaß – in dem er regelmäßig Orgien und so gefeiert hat. Partys für Superreiche. Angeblich gehören Stars wie 50 CentundRihanna zu seinen Freunden.

»Aha«, gebe ich recht einsilbig zurück. Das ist definitiv nicht meine Welt, und wieder frage ich mich, warum er mich ersteigert hat. Aber ich habe keine Ahnung, und das macht mich fast wahnsinnig. Andererseits sind zweitausendfünfhundert Euro für ihn wohl eher ein Trinkgeld.

»Komm schon, Summer«, er zwickt mich in die Seite und sucht meinen Blick, »ein bisschen Klatsch und Tratsch für einen alten Kumpel?«

»Na gut. Also, dass Elke Joost frisch geschieden ist, ist ja kein Geheimnis. Ihr Mann ist mit dem zwanzigjährigen Au-pair-Mädchen durchgebrannt und lebt jetzt mit ihr in ihrer Heimat in Brasilien. Als Arzt findet er wohl überall eine Anstellung.«

Die Schlampe Elke hat es verdient, sitzengelassen zu werden. Karma. Sie hat oft genug andere hintergangen oder fertiggemacht, mich inklusive. Das behalte ich aber lieber für mich.

»Nein, nicht dein Ernst?« Er sieht mich mit großen Augen an.

»Wie, hat sie dir das etwa nicht erzählt?« Meine Stimme klingt bissig. Ihm muss klar sein, dass ich sie nach wie vor nicht leiden kann, aber das ist mir herzlich egal.

Lennart lacht und wirft den Kopf in den Nacken.

»Äh, nein, das hat sie nicht erwähnt. Die Arme.«

Vermutlich war die Arme damit beschäftigt, sich ihm an den Hals zu werfen, schießt es mir durch den Kopf, und hat deshalb wenig Interesse daran, ihm zu erklären, warum sie wieder Single ist.

»Ansonsten habe ich leider keine brandheißen News für dich, da können dir andere besser Auskunft erteilen.«

Die Versteigerung ist auf ihrem Höhepunkt, als die vollbusige Ariana Berger wie reifes Obst angepriesen wird. Ich verziehe den Mund und schüttele den Kopf.

»Wieso hast du da überhaupt mitgemacht?«, höre ich Lennart sagen. Ich schnappe nach Luft. Er meint, ich hätte mich da freiwillig angemeldet?

»Das ist doch jetzt nicht dein Ernst!«, gebe ich empört zurück und knalle meine Flasche auf den Tresen. Sie ist noch recht voll und fängt leider an zu schäumen. Ich sehe mit Schrecken, wie sich der weiße Bierschaum seinen Weg durch den Flaschenhals nach draußen sucht. Wie überkochende Milch schäumt er über und landet schließlich auf der Theke.

»Alles klar?«, fragt er auch noch und lacht mich aus.

»O Mann, du bist so ein Idiot. Also ich gehe jetzt nach Hause. Mir reicht es.«

Damit lasse ich ihn stehen und versuche so grazil wie möglich, mit ungefähr einem Promille im Blut aus der vollen Aula zu gelangen. Ich bin echt genervt, und mein alkoholisierter Zustand verstärkt meine explosive Stimmung nur noch. Als ich die provisorische Garderobe erreicht habe und nach meiner Jacke suche, spüre ich eine warme Hand auf meiner Schulter. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es mein ehemaliger Beachvolleyballpartner ist, der seine Wärme auf mich überträgt.

»Was ist?«, schnappe ich und suche weiter nach meiner Jacke. Der blöde Ständer ist aber auch wirklich zum Brechen vollgehängt. Außer uns ist niemand hier; anscheinend will sich keiner die Versteigerung entgehen lassen. Ein Blick nach oben auf die alte Schuluhr sagt mir, dass es schon Viertel nach zwölf ist. Wow, die Zeit ist viel schneller vergangen, als ich gedacht habe.

»Kann ich dich nach Hause bringen?«, fragt er und sieht mich mit einem herzerweichenden Hundeblick an, als ob es ihm wirklich etwas bedeuten würde, mich zu begleiten.

»Kann ich dich davon abhalten?«, gebe ich schlagfertig zurück. Ich bin ein bisschen stolz auf mich, dass ich das noch zustande gebracht habe.

Sein heiseres Lachen dringt an mein Ohr und ich muss jetzt auch schmunzeln.

»Komm schon, Summer, sei nicht böse auf mich. Hat Nicole dich angemeldet?«

»Wer denn sonst?«, schnaube ich und schüttele den Kopf.

»Aber Fragen ist noch erlaubt?«, scherzt er.

Ich werfe ihm einen giftigen Blick zu und ziehe endlich meine Winterjacke zwischen den anderen hervor.

»Okay, Fragen ist also nicht erlaubt. Hab’s verstanden.« Er lacht, nimmt mir die Jacke aus der Hand und hält sie mir gentlemanlike hin. Ich bin überrascht; Holger wäre nie auf so eine Idee gekommen. Schließlich stecke ich zuerst meinen rechten Arm hinein und dann den linken, bis ich seine Hände wieder auf meinen Schultern spüre. Als Nächstes höre ich seine samtige Stimme dicht an meinem Ohr: »Aber nicht, dass du denkst, das wäre jetzt das Date. Dafür überlege ich mir nämlich etwas ganz Besonderes.«

Wo ist der nächste Stuhl? Ich muss mich setzen. Seine Nähe irritiert mich, weil sie mich innerlich aufwühlt wie schon lange nichts mehr.

Ich hätte einfach nicht so viel trinken dürfen. Sicher reagiere ich nur so stark auf ihn, weil ich emotional in einem sehr labilen Zustand bin. Wer wäre das nicht, wenn er innerhalb von zwei Wochen nicht nur seinen Job, sondern auch noch sein Zuhause und seinen Partner verloren hätte?

Ich winde mich aus seiner Beinahe-Umarmung und laufe in die Kälte der Herbstnacht hinaus. Eisige Luft schlägt mir entgegen, als ich das historische Schulgebäude verlasse. Ich schließe für einen Moment die Augen und lasse den Sauerstoff in meine Lungen strömen, bis ich Lennart hinter mir höre: »Was wird das, Cinderella? Wann hörst du endlich auf, vor mir davonzulaufen?«

Ich muss lachen, er ist einfach witzig. Und süß.

»Das kennst du wohl nicht, du Prinz?«, kontere ich.

Anscheinend habe ich damit einen Nerv bei ihm getroffen, denn sein Lächeln erstirbt.

Huch! Was hab ich denn jetzt falsch gemacht?

»Na, dann komm mal mit. Ich besorge uns ein Taxi.«

Ich hebe eine Augenbraue, sage aber nichts. Der Mann denkt doch nicht wirklich, dass es um die Uhrzeit hier ein Taxi gibt, wenn es nicht vorbestellt ist? Wir befinden uns auf dem Land, nicht in New York.

»Ich bin gespannt«, rutscht es mir gegen meinen Willen heraus, und ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Du meinst, wir bekommen hier kein Taxi?«, fragt er mich mit einem unsicheren, aber ahnungsvollen Blick, als ob ihm gerade erst wieder einfällt, wie der Hase hier läuft.

»Ähm. Ja, das hast jetzt du gesagt.«

»Dann gehen wir eben zu Fuß, schließlich sind wir fast Nachbarn. Oder wo bist du jetzt zuhause? Ich habe ja gar keine Ahnung von dir; das müssen wir definitiv schleunigst ändern!«

»Du wohnst wieder bei deinem Vater?«, frage ich, um von mir abzulenken.

»Ja, momentan schon.«

»Ich wohne bei meiner Mutter. Ich fühle mich gerade wie in einer Zeitmaschine!«

Just in diesem Moment kommt ein ziemlich betrunkenes, kicherndes Pärchen aus der roten Doppelflügeltür gepoltert. Nachdem die beiden die Stufen nach unten gelaufen sind, bleiben sie erst mal stehen und schlecken sich ausgiebig ab.

Lennart und ich wechseln einen Blick. Ja, eindeutig, die beiden waren vor diesem Abend bestimmt nicht zusammen. Eine Sünde im Suff. Möglicherweise liegen die jeweiligen Ehepartner zuhause auf dem Sofa und passen derweil auf die Kinder auf, während der andere fremdknutscht. Betrug ist scheiße, egal ob man zwanzig oder dreißig ist.

Lennart zuckt mit den Schultern und hakt meinen Arm bei sich ein, dann gehen wir los.

»Und was wird das jetzt?«, frage ich ihn skeptisch.

»Na, wir gehen nach Hause, oder hattest du noch was vor?«, ärgert er mich mit einem Augenzwinkern.

»Wirklich? Zu Fuß? Das sind fünf Kilometer!«, teile ich ihm mit, als ob er nicht selbst schon hundertmal hier unterwegs gewesen wäre.

»Seit wann bist du aus Zucker? Es regnet nicht, die Nacht ist sternenklar, man kann fast sagen, es ist herrlich romantisch ...«

Moment mal. Romantisch?

Aber Herausforderungen kann ich selten widerstehen. Das ist mein schizophrenes Ich. Beruflich habe ich – weiß Gott, warum – niemals auch nur den Hauch von Ehrgeiz entwickelt, aber sobald man mich zum Beispiel zu einem blöden Trinkspiel herausfordert, schreit mein Ego: »Ja, hier, du musst gewinnen!« Das hat mir schon in meinen Jugendjahren so manche Kopfschmerzen beschert. Und auch jetzt. Als ob ich in Stöckelschuhen nicht fünf läppische Kilometer gehen könnte! Pah! Der wird schon sehen.

»Na gut. Ich dachte nur, du USA-Bubi weißt bestimmt nicht mehr, wie man zu Fuß geht. Ich habe gehört, die Amis nehmen sogar für den Weg zum Briefkasten das Auto.«

Er lacht schallend. »Das ist wirklich so, aber jetzt bin ich wieder hier und die Uhren ticken anders. Das lerne ich gerade mit den Taxen ...«

»Oho, hört, hört!«, spotte ich, und so marschieren wir schließlich einträchtig durch die Nacht. Es ist, als wären erst wenige Monate vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Das ist es, was mich am meisten irritiert. Einerseits ist er mir fremd, andererseits wieder total vertraut. Ich habe definitiv ein ernstzunehmendes Problem. Vielleicht muss ich mal auf die Couch, bevor ich eine schlimme Psychose entwickele.

Ich sollte nicht vergessen, dass wir beide in den letzten Jahren sicher einiges erlebt haben, was uns zu anderen Menschen macht, als wir es im Alter von zwanzig waren. Und – seien wir mal ehrlich – er hat garantiert eine Million mehr verschiedene, tausendmal spannendere Dinge gesehen als ich. Aber er lässt nicht den Besserwisser oder den Superreichen raushängen, was ich sehr angenehm empfinde. Es ist ein bisschen wie mit dem Fahrradfahren: Wenn man eine Weile nicht draufsaß, muss man sich erst mal dran gewöhnen, aber man verlernt es nie. So scheint es mir gerade auch mit ihm zu sein. Ich habe keine Ahnung, was für ein Typ aus ihm geworden ist, trotzdem kommt er mir so verdammt vertraut vor. In Lennarts Nähe habe ich mich früher immer schon so wohl gefühlt wie bei keinem sonst. Auf dem Feld haben wir uns blind verstanden, aber auch davor und danach – wenn er nicht gerade mit einer anderen Frau beschäftigt war, was oft genug vorgekommen ist.

Obwohl wir neben der Hauptstraße auf dem Fahrradweg gehen, ist es stockfinster. Hier werden die Straßenlaternen tatsächlich um dreiundzwanzig Uhr ausgeschaltet, aus Kostengründen. Willkommen im sparsamen Ostfriesland. Aber der Mond leuchtet hell genug, so dass wir einigermaßen vorankommen, ohne Gefahr zu laufen, den Weg zu verlassen. Meine Füße signalisieren mir allerdings nach der Hälfte der Strecke, dass ich mir das mit dem Weitergehen noch mal überlegen sollte. Es tut so verflixt weh! Ich habe garantiert schon hundert Blasen. Obwohl meine Pumps wirklich eingelaufen sind – ich habe ja nur das eine Paar – sind es eben keine Turnschuhe, mit denen man mal eben einen Marathon absolvieren kann. Ich schätze, noch einen Kilometer weiter und ich fange an, wie ein Storch im Salat zu staksen. Lennart scheint das leider auch bemerkt zu haben.

»Probleme?«, fragt der Mistkerl mich.

»Ich? Auf gar keinen Fall. Du?«

»Ha, ha. Weißt du was, ich liebe dich, Marie Janssen. Du bist einfach göttlich.«

Ich muss schlucken. Mir ist klar, dass er das nur so dahingesagt hat, trotzdem habe ich mir im Alter von neunzehn oft gewünscht, er würde es zu mir sagen und so meinen. Ich habe für ihn geschwärmt, aber es war eher so eine Schwärmerei für einen Typen, bei dem man sowieso weiß, dass er unerreichbar ist. Ich habe mich auch nie getraut, einen Annäherungsversuch zu wagen. Wer hat schon Lust auf eine Abfuhr? Außerdem hätte ich unsere Freundschaft damit gefährdet, aber gut, das Thema hatte sich nach seiner Abreise ohnehin erledigt – bis jetzt.

In diesem Moment befreit Lennart meinen Arm aus seiner Armbeuge. Ich will gerade fragen, was los ist, als er sich vor mich stellt und mich auffordert: »Los, spring auf, Summer. Dein Prinz trägt dich nach Hause.«

»Du hast wohl zu viel in der Sonne gebadet!«, kichere ich und tippe mir an die Stirn.

Er sieht es nicht, da er mit dem Rücken zu mir steht. Anstatt weiterzulaufen, macht er einen Schritt rückwärts auf mich zu. »Los, das ist ein einmaliges Angebot! Mach schon. Do it. Do it. Weißt du noch?«

»O ja. Do it. Do it«, lache ich. »Wie lange ist es her, dass wir Zoolander angesehen haben?«

»Viel zu lange. Vielleicht mache ich das bei unserem Date mit dir. Und jetzt mach endlich, bevor mir kalt wird.«