Wir Apfelesser - Michael Rebmann - E-Book

Wir Apfelesser E-Book

Michael Rebmann

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wir Apfelesser, Adams Kinder, in unserem harten süßen Leben, weich wird es mit der Zeit, saftlos und faltig. Am Ende schwindet gar der Duft, macht Raum einem schimmligen Kellergeruch. Dunkelbraun wird das Fleisch wie bei Alten, die mit Sonnenbräune aus sich noch etwas machen wollen, mit braunen Zähnen Gesundheit predigen, mit Händen wie Flussdeltas auf alten Karten. Wenn die letzten Wespen die zusammengesunkenen Haufen verlassen haben, werden die Schalen zu lederschwarzen Gräbern und Schleim. Und singt auch wieder im kalten März die schwarze Amsel -- uns singt sie nicht mehr.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 49

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Vorwort

Erinnerung an Freiburg.

Küche unter dem Dach

Salomons Silberschatz

Langer Nachmittag

Alte Gymnasien

Der Gesang der Lerche

Tag, dann Nacht

Ich bin Beamter, Notiz zu einer Poetik

KOLLEGEN!

Friede auf Erden

Sturm

März

Mährische Gärten (Zyklus)

Der glückliche Gärtner

Der unglückliche Gärtner

Einladung in den Garten

Anger und Friedhof

Bucht vor Bäumen

Apfelesser

Finnische Kartoffelesser

Mährische Semmelknödel

Sorgen

Die nackte Muse

Zwischen uns

Mozart muss warten

Pferde

Der Duft der Kühe

Diversität

Der Vollständigkeit halber:

Wir Apfelesser

Ein Sommer

Am Strand

In der Strandsauna

Jonas

Die tägliche Fliege

Vergangene Landschaften

Reise an die Grenze

Leutnant von Trottas Vorübergehn

Zu Hellevis Achtundsiebzigstem

Berliner Zahnarztpraxis

Jerusalem

Abschied

Anfang der Ewigkeit

Kommen und Gehen

Stroh

Essenszeit

Donnerstag

DDR

Blütezeit der blauen Zichorie

Der Geruch der Kamille,

Weiße Hortensien

Holunder

Fingerhut digitalis

Buchen

Welkende Anemonen

Der Traum des Lehrers

Die Hesse

Hinterlassenschaften des Jahres

Herbstabend in Berlin

Silentium

Odysseus‘ Tränen

Oktober

Kirchner

Unruhiger Tag

Monolog

Sonnenblume

Vor dem Gesetz

Auferstanden

Neo Rauch, ein Bildgedicht

Das Xylophon

Igor Obrosov, Stillleben mit Telefon 1974

Anselm Kiefer

Die Grille

Weißer Sonntag

Totensonntag

Neuschnee

Vater hat zwei Hechte gebracht

Menschen am Wasser

Rhabarber holen

Wo schlafen die Wolken?

Die Erde, mein Garten

Vorwort

Wie in der Sammlung »Rückkehr zur Erde« wird der Leser auch hier auf die »Schauplätze« Berlin, den Schwarzwald, Mähren und Finnland stoßen. Es gibt allerdings weniger Berlin-Gedichte, auch die heimischen Vogelarten finden nun weniger Interesse. Geschrieben sind die Gedichte unverändert in »freien reimlosen Versen unter Beibehaltung der üblichen Rechtschreibung und Zeichensetzung«.

In vielen Fällen kann man Gruppen von Gedichten ein gemeinsames Motiv zuordnen, so kenntlich gemacht beim Zyklus »Mährische Gärten«, oder bei Gedichten, die sich mit Essen und Kochen, mit Pflanzen, Büschen und Bäumen, oder mit Bildern der Kunst und mit Künstlern beschäftigen. Gedichte mit finnischen Themen sind meist Natur- oder Landschaftsgedichte, das gilt auch für die Schwarzwaldgedichte. Die mit mährischen Themen reden mehr von Geschichte und haben autobiographische Anlässe. Schule, Lernen und Lernstoffe sind neue Themen in dieser Sammlung und was hier »Bildgedicht« genannt wird, nach der eingebürgerten Bezeichnung »Dinggedicht«, die Kunstwerke und Künstler poetisch reflektieren. Vielleicht ist der Titel »Wir Apfelesser« dieser Sammlung erklärungsbedürftig. Die biblische Urgeschichte im Buch Genesis erzählt, dass der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, von dem zu essen Gott den Ureltern verboten hat, eine für das erste Menschenpaar verlockend wirkende Frucht trug, die die Menschen reizte, sie zu essen. Die Bildhauer und Maler, die diese Szene darstellen sollten, griffen meist zu einem Notbehelf, weil sie das abstrakte Wort Frucht nicht verbildlichen konnten, und nahmen Zuflucht zu einem Apfel, einem Notapfel, wie es ja auch Notnägel gibt.

Das ändert aber nichts an unserer tiefen Bewunderung für den Dichter der Vorzeit, dem es gelungen ist, die Probleme der menschlichen Existenz in der scheinbar einfachen Form einer Erzählung darzustellen. Der nachpardiesische Mensch erleidet die Mühen der Arbeit auf einer disteltragenden Erde, seine Frau gebiert ihm Kinder unter Schmerzen, von ihm versklavt, und am Ende eines mühseligen Daseins erwartet beide der Tod. Aber das ist bekanntlich nicht das Ende, denn ehe Gott die Beiden nackt in die unwirtliche Welt hinausjagt, näht er ihnen schützende Kleider. Man kann auch draußen leben.

Vielleicht wird dem einen oder anderen Leser noch auffallen, dass neben der unmittelbaren Erfahrung auch die Erinnerung zur Quelle vieler Gedichte wurde, kein Wunder, sind es doch die Gedichte eines alten Mannes.

Erinnerung an Freiburg.

Vor Sonnenaufgang

Tannenhaarige, zwischen dunstigen Tälern

hingestreckte Bergrücken wie an Land gestiegene

schlafende Meeressäuger unter einem glasharten

Himmel voll unruhiger Sterne.

Später

Unten Rossmarkt der Fahrräder,

Wochenmarkt der Bauern. Hausfrauen beim Einkauf,

der aus der offenen Tasche ragende gehisste

Lauchstängel Wappen der Suppenköchinnen.

Es gibt Eier in vier Klassen, Maultaschen

in zwei Geschlechtern. Bienen umschwärmen

die süßen kleinbeerigen Trauben, Zwetschgen

sind noch kalt von der Nacht und Pfirsiche

wie drei Kilokugeln groß,

mit goldenem und rotem Leuchten werden

wir Apfelesser gegrüßt

Der gotische Kirchturm zählt den Vormittag mit.

Die heulende Ambulanz voll unbestimmter Ahnungen

verhallt hinten im Tal, bis sie die Baumgrenze überschritt.

heute

Für uns stehen heute in Freiburg

nur leere Häuser, in den Türmen

hängen stumme Glocken, es ist

geworden wie eine Stadt auf dem

Meeresgrund, in hundert Jahren

einmal belebt sich wieder der Markt,

wenn sie aus der Vergangenheit

emporsteigt,

und alle Händler warten immer noch auf den

erlösenden Pfennig.

Küche unter dem Dach

Mit Stroh geflochtene Stühle um den runden Tisch.

Zwischen Tisch und Wand eine Küchenbank mit

verdrückten Kissen gepolstert. Darüber eine alte

Küchenuhr, stumm im käsefarbenen Gehäuse, die

Schlüssel zu Uhr- und Schlagwerk gingen verloren,

obwohl in einer Schublade im braunen Büfett

Schlüssel zur Genüge, auch im alten Aschenbecher

(Cinzano).

Niedrig über dem Tisch wie ein weißer Sonnenschirm

eine Lampe, schwebend auch über einer

blauen Keramikschale mit Äpfeln. Niedrig ist auch

die tapezierte Küchendecke. Und das Fenster in den

Hof der Garagen.

Unter ihm ein Treteimer neben einem Korb

Zeitungen, aufgerissenen Briefen, die es nicht vermocht hatten, den Adressaten zu Hause zu halten.

Im Hof, die Garagen und das Haus hoch überragend

wie ein riesiger Pinsel, eine kahle Pappel, isoliert

und jedem Gespräch entzogen. Im Spülbecken und

auf dem Tisch Spuren, Geschirr und Reste eines Frühstücks,

Kaffeebecher, Müslischale, Cornflakes, Bodum-Kaffeekanne. Es riecht nach den Äpfeln und nach

Katzenklo.

Der Kühlschrank neben der Küchenbank stößt auf

und verstummt dann, als sei ihm das peinlich.

In memoriam Bernd Seegebrecht · Maler und Bildhauer

1940 – Berlin, 2020 – Freiburg

Salomons Silberschatz