Wo die Libellen tanzen - Leonie Zenk - E-Book
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Wo die Libellen tanzen E-Book

Leonie Zenk

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Beschreibung

Ein tiefgründiger Liebesroman vor malerischer Kulisse. Valeria hat für ihren Partner Felix ihren Traumjob als Klavierlehrerin aufgegeben, aber mittlerweile steht ihre Beziehung auf wackligem Grund. Um herauszufinden, was sie wirklich will, reist sie zurück in ein kleines Haus im Harz. Hier, mitten im Wald, hat sie die schönsten, aber auch die schwersten Momente ihrer Kindheit erlebt. Und hier ist sie im Begriff, sich neu zu verlieben, in einen Mann, der für sie die Freiheit schlechthin verkörpert. Valeria muss eine folgenschwere Entscheidung fällen.

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Leonie Zenk wurde im ostniedersächsischen Wolfenbüttel geboren und ist dort noch immer zu Hause. Momentan widmet sie sich neben dem Schreiben einer weiteren großen Leidenschaft: dem Geschichtsstudium an der Universität Göttingen. Neben dem Hörsaal und ihrem Schreibtisch findet man sie meist am Klavier oder beim Wandern im Harz.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2023 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, unter Verwendung der Motive von mauritius images/Werner Otto, shutterstock.com/Irina Fischer

Lektorat: Susann Säuberlich, Neubiberg

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-091-4

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Buchplanung Nina Wegscheider/Dirk Meynecke.

Für meine Familie.

Prolog

Der eiskalte See raubte mir den Atem, ließ meine Lunge auf die Größe eines Zwei-Euro-Stückes zusammenschrumpfen und riss an meiner Haut. Ich zwang mich, ein paar Meter zu schwimmen. Eine Alge kitzelte an meinem Schienbein, und ein kleiner Fisch streckte eine Armlänge neben mir seinen Kopf aus dem Wasser. Mein Körper hörte auf, gegen die ungewohnte Temperatur zu rebellieren. Etwas Schweres löste sich von mir.

Ich drehte mich auf den Rücken. Der Himmel war tiefblau, wie Tinte, umrahmt von einem perfekten Oval aus dunklen Fichtenkronen. Alles, was ich hörte, waren das Wasser, das Summen von Hummeln und Bienen und die eifrigen Gespräche der Wasseramseln, Ringdrosseln und Haubenmeisen, die sich hier niedergelassen hatten.

Manchmal muss man im Leben ins kalte Wasser springen. Das hatte meine Mutter immer gesagt. Und Jahre später hörte ich das Gleiche von Felix, als er den neuen Job annahm und mit mir in die Stadt zog. Felix, der meine große Liebe hätte werden sollen. Ich hatte auf beide gehört.

Meine Zähne klapperten bedrohlich, als ich aus dem Wasser stieg und mich in mein Handtuch wickelte. Zwischen duftendem Löwenzahn und kniehohen Glockenblumen legte ich mich ins Gras in die Sonne, um mich ein wenig aufzuwärmen. Die zarten Pollen tanzten in der Luft und kitzelten mir in der Nase.

Mein Vater hatte mich früher »Blümchen« genannt, selbst dann, wenn ich ahnte, dass ich ihn enttäuscht hatte. Wenn ich mir selbst untreu geworden war und nicht das getan hatte, was ich wirklich wollte, obwohl ich wusste, dass es mich unglücklich machte. Wenn ich in der Chor-AG schief und mit vor Scham geröteten Wangen ein Kinderlied zum Besten gab, weil meine Freundin es ebenfalls tat. Wenn ich im Schwimmbad nicht mehr ins Kinderbecken ging, obwohl ich es dort liebte. Dann sah ich diesen Ausdruck in seinem Gesicht. Eine Mischung aus Mitleid und unbändiger Liebe. Als er verstand, dass er keine Zeit mehr haben würde, bei meinen Auftritten in der Schulaula in der ersten Reihe zu sitzen oder mich auf dem Startblock anzufeuern, war da noch etwas anderes in seinem Blick gewesen. Etwas, das ich als Kind nicht verstanden hatte. Er hatte immer davon erzählt, was er mir noch alles zeigen, was er mir noch alles beibringen wollte, bevor ich erwachsen wurde. Dann tat er es plötzlich nicht mehr, weil es Versprechen gewesen wären, die er nicht hätte halten können.

Damals, als ich an seinem Bett gestanden hatte, mit einem stolz aufgeschürften Knie und von Sonnencreme glänzenden Schultern, hatte er mir all seine Hoffnungen überreicht.

Gib niemals das auf, was du wirklich willst, Valeria Wagner.

Und was hatte ich getan? Ich hatte seine Bitte vergraben, so tief in mir, dass sie niemals wieder den Weg zurückgefunden hatte. Ich hätte es wissen können. Vielleicht nicht damals als kleines Mädchen in meinem geblümten Sommerkleid und mit den zwei Zöpfen, die ich mir jeden Morgen allein gebunden hatte. Aber später.

Ich habe dir doch gesagt, dass du deine Träume niemals aufgeben darfst. Das hätte er mir gesagt, wenn er gekonnt hätte. Wenn er wie früher am Ufer gesessen und darauf gewartet hätte, dass ich mit blauen Lippen aus dem Wasser stieg und mich von ihm in ein Handtuch wickeln ließ.

Jetzt war ich allein. Und jetzt konnte ich sie plötzlich sehen, die Momente der letzten Jahre, die so klar gewesen und die trotzdem an mir vorbeigezogen waren, ohne dass ich etwas dagegen unternommen hatte. Genau da hätte ich wissen können, dass ich uns beide enttäuscht hatte. Vielleicht war genau das der Grund, warum ich hier war.

 Teil 1

1

»Hast du nicht auch das Gefühl, dass die verdammten Paletten immer größer werden?« Mathilda hatte beide Hände in die Hüften gestemmt und betrachtete mit hochgezogener Braue die in Plastik gewickelte Kleinstadt aus Waren.

»Ich glaube, das liegt am Muskelschwund«, diagnostizierte ich und griff nach dem Hubwagen, um ihn aus dem Lager zu ziehen. An meinem ersten Arbeitstag hatte ich mich unfassbar tollpatschig angestellt und mich mit dem Gerät derart unglücklich in einer Ecke festgefahren, dass Herr Reuß, der Filialleiter, hatte eingreifen müssen. Mittlerweile war ich allerdings so routiniert, dass ich den Wagen mit einer Hand lenkte und kaum mehr hinsehen musste.

»Muskelschwund? Ich bin vierunddreißig«, protestierte sie.

»Du wuchtest auch schon seit acht Jahren jeden Tag tonnenweise Konserven in die Regale.« Ich zückte mein Teppichmesser, das ich nach jedem Feierabend in einen der kleinen Schränke im Pausenraum einschließen musste, und befreite die Ware vom Plastik. »Vielleicht setzt dann der Alterungsprozess einfach früher ein.«

»Also hör mal, du hast gut reden. Mit dreißig habe ich auch noch so abfällig über die Alten geredet.«

Wir grinsten uns an und begannen dann, die Palette zu leeren, bevor Herr Reuß uns zur Eile ermahnen konnte. Er war ein viel beschäftigter Mann, packte überall mit an und ließ es sich auch nicht nehmen, persönlich die monatliche Gehaltsabrechnung jedes einzelnen seiner Mitarbeiter zu kontrollieren. Er erwartete von allen ein ähnliches Maß an Einsatz und wachte mit Argusaugen über jeden noch so kleinen Verstoß. Manchmal konnte ich den Gedanken nicht abschütteln, dass pro Schicht immer mindestens drei Reuß-Exemplare im Laden unterwegs waren, denn eines von ihnen war stets sofort zur Stelle, wenn ich den Entladevorgang ein wenig zu entspannt anging.

»Wie geht es Felix?«, fragte Mathilda und drückte seufzend den Rücken durch, nachdem sie mehrere Literflaschen Pflanzenöl verstaut hatte.

Sofort fühlte ich den Groll der vergangenen Wochen in mir aufsteigen. »Das wüsste ich auch gern. In letzter Zeit fällt er nach der Arbeit sofort ins Bett. Ich glaube, manchmal vergisst er sogar, was wir kurz vorher zu Abend gegessen haben.«

Sie klopfte mir mitleidig auf die Schulter. »Vielleicht ist das immer noch besser als Ralf, der abends stundenlang nicht ansprechbar ist, weil er Fußball gucken möchte.«

Ich sah mich rasch zu allen Seiten um, konnte kein einziges Reuß-Exemplar entdecken und lehnte mich gegen den halb leeren Hubwagen. »Die Saison ist bald vorbei, dann hast du seine volle Aufmerksamkeit. Aber bei Felix ist das Ende nicht absehbar. Er nimmt ständig neue Projekte an, weil er der Meinung ist, dass sie in den Händen eines anderen den Bach runtergehen.«

»Du hast doch gesagt, dass er dafür möglichst früh in Teilzeit wechseln will.«

Ich verdrehte die Augen. »Ja, mit sechzig vielleicht.«

Mathilda sah auf ihre Armbanduhr. Es waren noch fünfundvierzig Minuten bis zur Mittagspause. »Ach, das sind doch nur noch knapp dreißig Jahre. Hey, habe ich dir eigentlich erzählt, dass Ralf und ich übers Wochenende an die Nordsee fahren? Wir haben ganz spontan eine Ferienwohnung gebucht. Da muss es herrlich sein um diese Jahreszeit.«

Ich spürte den vertrauten Stich in der Herzgegend. Er machte sich seit etwa einem Jahr regelmäßig bemerkbar. »Nein, davon wusste ich nichts. Wie schön. Das wird bestimmt toll.«

»Oh ja.« Ihr Lächeln machte erneut dem Mitleid Platz. In letzter Zeit geschah das viel zu häufig. »Weißt du, das wäre auch für euch echt super.«

»Mir brauchst du das nicht zu erzählen«, brummte ich und spürte zugleich, wie in mir das Verlangen wuchs, es noch einmal zu versuchen. Es gab Abende, an denen Felix mehr als nur zwei Sätze mit mir sprach, an denen seine Augenringe nicht bis unter das Kinn reichten und er mir zuhörte, wenn ich von meinem Tag berichtete. Vielleicht war heute so ein Abend, und vielleicht konnte ich die Chance nutzen. Wenn ich darüber nachdachte, sah ich dieser Gelegenheit sogar mit so etwas wie Optimismus entgegen, auch wenn die letzten Versuche kläglich gescheitert waren.

»Darf ich mal?«

Neben mir war ein älterer Herr mit Baskenmütze und kariertem Pullunder aufgetaucht und funkelte mich an. Mit seinem Gehstock wies er auf das Regal, das ich mit dem Hubwagen blockierte. In den ersten Wochen hatten mir die unwirschen Kommentare mancher Kunden noch ordentlich zugesetzt und mich bis unter meine Bettdecke verfolgt.

»Aber sicher«, sagte ich in dem freundlich-souveränen Tonfall, den ich mir für diese Momente antrainiert hatte, und zog den Hubwagen beiseite.

»Für Geschnatter gibt es ja schließlich Pausenräume.«

Ich sah, wie Mathilda Luft holte, und hob unauffällig eine Hand, um sie von einem ihrer bissigen Kommentare abzuhalten.

»Ihnen auch einen schönen Tag«, zischte sie nur sarkastisch, als der alte Mann sich mit erstaunlich sicheren Schritten entfernt hatte.

»Dass du dich noch immer nicht an solche Menschen gewöhnt hast.«

»Das werde ich nie verstehen. Obwohl es sicherlich auch daran liegt, dass ich hier etwa doppelt so lange im Laden stehe wie du. Ich bekomme die absolut Schlimmsten ab, wenn du weg bist.«

»Dafür verdienst du auch doppelt so viel.« Ich machte mich daran, die letzten Konserven in die Regale zu hieven, bevor wir in die wohlverdiente Pause gingen.

***

Als ich den Laden durch die Hintertür verließ, stand die Sonne bereits so tief am Himmel, dass ich in meiner Handtasche nach der Sonnenbrille kramte, die ich vorausschauend nach dem Frühstück eingesteckt hatte. Dabei war es noch nicht einmal drei Uhr am Nachmittag.

Ich ertastete mein Portemonnaie, eine Packung Taschentücher und einen Labello, von der Brille fehlte jede Spur. Blinzelnd versuchte ich, meine Augen an die Strahlen zu gewöhnen, ohne die vielen hundert Passanten über den Haufen zu rennen, denen ich auf dem Weg begegnete, und nach ein paar Metern Fußmarsch hörte zumindest das Niesen auf.

Mit etwas Glück würde Felix heute vor neunzehn Uhr zu Hause sein. Dass er mindestens an einem Tag die Woche nicht mehr als drei Überstunden leistete, hatten wir einmal zur goldenen Regel unseres neuen Lebens erklärt. Damals, als unsere gespachtelten Wohnzimmerwände noch den Geruch von neuer Farbe verströmt hatten und ich mich an den glänzenden Küchenfliesen kaum hatte sattsehen können. Wir hatten auf unserer Couch gesessen, ein Glas Rotwein geteilt, und er hatte mir von seinem neuesten Projekt in dem IT-Unternehmen erzählt, das ihn vor knapp drei Jahren als Business Development Manager eingestellt hatte. Ich verstand kaum etwas von dem, was er mir in unglaublichem Tempo zu berichten versuchte, und als er es bemerkte, hielt er den Mund und nahm mich in seiner empfindsamen Felix-Art in den Arm.

»Versprichst du mir, dass das in Zukunft nicht alles sein wird, was ich von dir zu hören bekomme?«, fragte ich leise.

Er küsste meinen Scheitel und hielt mich noch fester. »Versprochen.«

Ich hatte ihm geglaubt. Oder zumindest hatte ich das gedacht. Und warum auch nicht? Seit wir uns kennengelernt hatten, an einem eisigen Wintermorgen im Campuscafé, war er der zuverlässigste Mensch der Welt gewesen. Wenn er mir versprach, um zwölf vor der Mensa auf mich zu warten, damit wir zusammen die Currywurst essen konnten, die jeden Donnerstag angeboten wurde, dann war es so gewesen. Wenn er mir versprach, dass er mit Kochen an der Reihe war und sich besondere Mühe geben würde, dann war es so gewesen. Und als er versprach, dass er sich immer für meine Gefühle interessieren und niemals einer von diesen rücksichtslosen Workaholics werden würde, dann – nun, hatte das zugegebenermaßen nicht annähernd so gut geklappt.

Bevor ich die Haustür des perfekt renovierten Altbaus aufschloss, summte mein Handy, das ich wie immer risikofreudig in der hinteren Hosentasche mit mir herumtrug. Eine SMS von Mathilda.

»Du hast deine Sonnenbrille auf dem Tisch liegen lassen! Hätte sie fast mit meiner Brötchentüte im Mülleimer versenkt. Ich bringe sie dir auf dem Rückweg vorbei, in Ordnung?«

Nachdem ich ihr versichert hatte, dass das nicht nötig sei und sie die Brille bis zu meiner nächsten Schicht in ihrem Spind aufbewahren könne, leerte ich den Briefkasten und nahm die Post mit ins Haus. Ein flüchtiger Blick verriet mir, dass es sich bei den Absendern um Felix’ Segelclub, unsere private Krankenversicherung und ein Modegeschäft handelte, das uns jeden Monat daumendicke Kataloge zuschickte.

Auf der Treppe begegnete ich dem grummeligen Herrn Schmitt aus dem zweiten Stock, der mir zur Begrüßung nur stumm zunickte. Felix und ich nannten ihn Scrooge, was er hoffentlich niemals erfuhr. Im Haus kursierten die wildesten Gerüchte bezüglich seiner Verschlossenheit, die aber auch der Grund war, warum niemand etwas Genaues wusste. Ich persönlich hatte mich mit der Version angefreundet, dass ihn seine große Liebe verlassen hatte und er seitdem verbittert war, aber schon irgendwann auftauen würde, wenn die Richtige seinen Weg kreuzte.

In der Wohnung im Dachgeschoss schlüpfte ich aus meinen Turnschuhen heraus, die mich in jeder Schicht mehrere Kilometer durch den Laden trugen, und in meine flauschigen Hausschuhe hinein.

Ich erinnerte mich daran, dass ich diesem Abend noch vor ein paar Stunden durchaus optimistisch und hoffnungsvoll entgegengeblickt hatte, und wider Erwarten funktionierte es. So gut, dass ich mir zur Feier des Tages ein alkoholfreies Bier aus dem Kühlschrank nahm und mich damit auf die mehr als großzügige Dachterrasse setzte, die ich im letzten Sommer neu bepflanzt hatte. Meine Mutter wunderte sich jedes Mal über den grünen Daumen, den ich von meinem Vater geerbt haben musste. Die Erinnerungen waren nicht mehr dieselben wie vor einigen Jahren, aber ich wusste noch, dass wir oft zusammen in den Beeten vor unserem damaligen Haus Radieschen und Erdbeeren gepflanzt und ihnen beim Wachsen zugesehen hatten. Heute wuchsen bei uns zumindest ein wenig Efeu und ein Strauch Basilikum.

Glücklicherweise war es seit einigen Tagen warm genug, sodass ich es länger als zehn Minuten draußen aushielt, und bis zum Abendessen hatte ich noch mehr als genügend Zeit. Die Wärmelampen, zu denen Felix mich überredet hatte, hatte ich noch nie zuvor benutzt, sie widersprachen meinen Prinzipien.

Ich dankte meinem morgendlichen Ich, dass es bereits das Gemüse geschnippelt und den Tofu mariniert hatte, und legte genüsslich die Beine hoch. Heute würde ich mir besonders viel Mühe geben. Einfach, weil ich mich danach fühlte.

***

Um kurz vor acht weckte mich das Geräusch des Schlüssels in der Eingangstür. Offensichtlich war ich nach meinem zweiten Bier für ein paar Minuten auf der Couch eingenickt. Felix kam mit seinen schweren Feierabendschritten auf mich zu. Er lächelte, was gut war, aber er war beinahe zwei Stunden zu spät, was weniger gut war.

»Hey, Kleine.« Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich, bevor er sich die Jacke auszog. Das tat er immer, egal wie spät es wurde.

»Hey.« Ich bemühte mich, nicht enttäuscht zu klingen. Immerhin waren seine Augenringe nicht so tief, wie sie es in letzter Zeit oft gewesen waren. »Hast du Hunger?«

»Und wie!«, rief er aus dem Flur. »Hast du ohne mich gegessen? Ich habe dir vor einer Stunde geschrieben, dass es später wird.«

Ich stand auf und drückte den Rücken durch. Er knackte geräuschvoll. »Nein, ich habe gewartet. Und vielleicht geschlafen.«

Wenig später gesellte sich Felix zu mir in die Küche, wo ich das Essen zubereitete.

»Riecht wirklich lecker«, sagte er und legte mir von hinten seine Hände um die Taille. Sein unverwechselbarer Geruch stieg mir in die Nase, und ich musste lächeln. Ich hatte recht gehabt. Es war ein guter Tag, trotz der zwei Stunden Verspätung, und ich entschied, ihn nicht darauf anzusprechen. Zur Feier des Tages schenkte ich ihm ein Glas Cola Zero ein, was er unter halbherzigem Protest über sich ergehen ließ, und als er mich beinahe überschwänglich für meine Kochkünste lobte, hatte ich ihm die Verspätung bereits ein wenig verziehen. Heute übersah ich sogar den kritischen Blick, den ich immer dann in seinem Gesicht entdeckte, wenn ich nach dem Kochen vergaß abzuspülen.

»Wie war dein Tag?«, fragte ich vorsichtig und stellte mich auf eine Flut von Eindrücken und Fachbegriffen ein, doch Felix winkte ab und schob sich einen besonders großzügig panierten Streifen Tofu in den Mund.

»Reden wir heute einfach nicht über die Arbeit.«

Er hätte kaum eine bessere Antwort geben können. Innerlich atmete ich erleichtert auf. Vielleicht würden wir doch bald mit gepackten Koffern auf dem Weg in unseren wohlverdienten Urlaub sein. Oder zumindest hier zu Hause ein wenig bitter nötige Zeit zu zweit verbringen.

»Reden wir über dich. Wie war es heute im Laden?«

»Ach, am Anfang der Woche gibt es immer einiges zu tun, aber ich werde dich nicht damit langweilen, dass ich ein neues Bio-Olivenöl aus Griechenland auf der Palette hatte.«

Er lachte, und ich fühlte mich sicher genug für den eigentlichen Vorstoß. »Mathilda und ihr Mann fahren übers Wochenende an die Nordsee.« Es klang beiläufig. Ich war durchaus zufrieden mit mir.

»Ach, wie schön. Das ist bestimmt toll um diese Jahreszeit.«

Ich sah ihn erwartungsvoll an, doch er lächelte nur und wandte sich wieder seinem Teller zu. Es half nichts, ich musste in die Offensive gehen. »Was meinst du, wäre das nicht auch etwas für uns?«

Er hätte nicht zu antworten brauchen. Als er zu mir aufsah und ich das Bedauern in seinem Blick entdeckte, wusste ich bereits, dass ich meine Chance verspielt hatte.

»Val«, sagte er sanft. »Darüber haben wir doch schon gesprochen.«

Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen schoss. Sollte es das bereits gewesen sein? Dabei war ich so optimistisch gewesen. »Es wäre doch bloß für ein Wochenende.«

Er strich mit dem Daumen über meinen Handrücken, und ich hätte ihn am liebsten fortgeschoben. »Du weißt, dass ich mir das momentan nicht erlauben kann.«

»Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, an welchem Wochenende du zuletzt nicht in die Firma gefahren bist«, giftete ich, und als ich die Irritation in seinen Augen aufblitzen sah, rechnete ich bereits damit, dass er wütend würde, dass wir eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung hätten und er diese und vielleicht auch die nächste Nacht auf dem Sofa verbrächte, doch das geschah nicht. Stattdessen rutschte er mit seinem Stuhl näher an mich heran und zog mich in seine Arme. Ich war sofort außer Gefecht gesetzt.

»Es geht einfach nicht, okay?«, flüsterte er an meinem Ohr, und die Wärme seines Körpers veränderte etwas in mir. »Ich mache es wieder gut.«

Ich blinzelte ein paar verräterische Tränen zurück und rief mir ins Gedächtnis, dass Felix der Mann war, den ich bereits nach ein paar Monaten hatte heiraten wollen und der sich im Grunde nicht verändert hatte, außer dass er in letzter Zeit ein wenig zu verliebt in seinen Job war. Gleichzeitig wusste ich, dass das nicht ganz stimmte.

***

Am nächsten Morgen weckte mich der unglaublich nervtötende Wecker, den Felix auf seinem Handy eingestellt hatte, wie jeden Morgen. Gähnend wickelte ich mich in meine weiche Decke, die ich in der Nacht auf den Boden gewälzt hatte, und legte den Kopf auf Felix’ Schulter, der mich zärtlich an sich zog und zwei Minuten später seufzend aus dem Bett ins Bad tappte.

Bevor ich meinen Job aufgegeben, Felix seinen neuen angenommen hatte und wir in das Haus in Berlin gezogen waren, hatten wir jeden Morgen Seite an Seite in der Küche unserer ersten gemeinsamen Wohnung gesessen, ich im Bademantel, Felix in Boxershorts, und Nutella-Toasts gefrühstückt. Gott, wie ich diese Zeit vermisste. Seit gut zwei Jahren unterbrachen wir nicht einmal am Wochenende unsere Essgewohnheit, die zuckerhaltige Aufstriche auf nährstoffarmem Weißbrot erbarmungslos ablehnte.

Um kurz nach sechs hörte ich die Eingangstür ins Schloss fallen. Ich streckte mich ausgiebig und schob die Schläfrigkeit langsam von mir. Unten wartete frisch gebrühter Kaffee aus der viel zu teuren Maschine auf mich. Wenigstens hatte es sich Felix nicht nehmen lassen, auf einen Vollautomaten zu verzichten, was mich ausgesprochen gnädig gestimmt hatte.

Während ich zwei Scheiben Vollkornbrot mit Frischkäse bestrich und im Gemüsefach nach einem Strauch Tomaten angeln wollte, klingelte mein Handy. Um diese Zeit konnte es sich im Normalfall ausschließlich um meine Mutter handeln, die ähnlich wie mein Partner kaum Verständnis für meine morgendliche Abneigung gegen Gespräche aller Art hatte.

»Hey, Mama«, sagte ich und ließ mich mit meinen Broten auf einen der Küchenstühle fallen.

»Guten Morgen, Süße, störe ich?«

Beim Klang ihrer Stimme wurde mir warm ums Herz. »Natürlich nicht. Hast du gut geschlafen?«

»Ich habe kaum ein Auge zugemacht. Martin hat gesägt wie dieser Typ in dem Horrorstreifen, den du uns letztens empfohlen hast. Irgendwas mit Texas. Schrecklicher Film. Dafür schuldest du mir etwas.«

Ich musste lächeln und biss in mein Vollkornbrot, obwohl heute einer dieser Tage war, an denen ich für einen guten alten Nutella-Toast im Laden Überstunden geschoben hätte. Doch ich blieb eisern. Nicht umsonst schämte ich mich seit einigen Monaten nicht mehr, in meinem liebsten Bikini ins Schwimmbad zu gehen, um meine Bahnen zu ziehen.

»Was darf es denn sein?«, fragte ich mit vollem Mund. »Ein gesundes Dattelbrot?«

Sie schnalzte mit der Zunge. »Auf keinen Fall. Du weißt, dass ich solche Sachen nicht esse. Aber du könntest dich mal wieder bei deiner alten Mutter blicken lassen.«

Meine Mutter war neunundfünfzig Jahre alt und kam mindestens einmal in der Woche in den Genuss, von ihrer Tochter besucht zu werden. Wenn es allerdings jemanden in meinem Leben gab, der das Recht hatte, maßlos zu übertreiben, dann war sie es. »Wenn es weiter nichts ist.«

»Musst du arbeiten?«

Im Hintergrund konnte ich das entfernte Klirren von Gläsern hören. Das musste Martin sein, mein Stiefvater, der jeden Morgen mit seinem neuen Entsafter ein Gemisch aus Apfel und Sellerie zubereitete. Bisher hatte ich ihm verschwiegen, dass ich seine Kreation abstoßend fand. Auch meine Mutter hatte nach dem ersten Versuch dankend abgelehnt.

»Nein, Herr Reuß hat mir am Freitag und Samstag die Spätschichten aufgebrummt. Ich bin um eins bei dir.«

Meine Mutter schickte einen schmatzenden Kuss durch die Leitung und legte auf.

Dann verleibte ich mir meine zweite Scheibe Brot ein, während ich in Erinnerungen an Schokoladenaufstrich auf Weißbrot schwelgte.

Um kurz nach zwölf verließ ich das Haus in Richtung Carport und ließ mich auf den Sitz meines alten VW fallen. Als Felix sich vor etwa einem Jahr einen nagelneuen Audi zugelegt hatte, hatte ich Rufus – so hatte ich mein Auto heimlich getauft – gerade noch vor der Schrottpresse retten können. Ich liebte diesen Wagen. Hatte ich immer getan. Ich würde ihn niemals freiwillig hergeben, bis dass sein Tod uns schied. Zugegebenermaßen war das aller Voraussicht nach recht bald der Fall, aber diesen Gedanken verdrängte ich vorerst.

Bis zum Haus meiner Mutter und meines Stiefvaters in Steglitz brauchte ich im zähen Innenstadtverkehr eine knappe Stunde, und als ich in die gepflasterte Einfahrt einbog, meldete sich das vertraute Gefühl von Geborgenheit, für das ich auch nach den knapp zehn Jahren, die ich bereits nicht mehr zu Hause wohnte, sehr empfänglich war.

Meine Mutter stand bereits an der Tür, als ich ausstieg, und breitete die Arme aus. »Hallo, mein Schatz.«

Ich liebte es, wenn sie so tat, als hätte sie mich seit Wochen nicht zu Gesicht bekommen.

Bereits im Flur duftete es nach frisch gebackenem Brot. Leider wusste ich nur allzu gut, dass es unendlich viel besser schmeckte als das harte Vollkornbrot, das ich zum Frühstück aß. Vielleicht konnte ich mir ein paar Scheiben stibitzen. Immerhin verwendete meine Mutter Biomehl.

Als ich aus meinen Schuhen geschlüpft war und meinen Mantel an einem der gusseisernen Kleiderhaken befestigt hatte, machte ich mich wie immer auf den Weg ins Wohnzimmer – und entdeckte dort einen fremden Mann, der sich auf einer Trittleiter in voller Länge bis an die Gardinenstange reckte. Unwillkürlich blieb ich stehen. Meine Mutter erschien dicht hinter mir.

»Schatz, entschuldige bitte, ich habe ganz vergessen, dass heute der Handwerker kommen wollte«, erklärte sie leise. Sie lehnte sich näher zu mir, und ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Wenn du mich fragst, hat Martin mal wieder seine Termine verlegt.«

Ich nickte verständnisvoll, weil mein Stiefvater ausgesprochen gut in diesen Dingen war, und rief ein »Hallo!« in den Raum. Der Mann auf der Leiter drehte sich zu mir um, tippte sich an die unsichtbare Hutkrempe und wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, dass er mit dem dichten, grau melierten Haar und den kräftigen Händen ziemlich gut aussah, doch meine Mutter zog mich bereits weiter in die Küche.

»Der müsste doch genau dein Typ sein«, stellte ich fest, sobald sie die Tür hinter uns geschlossen hatte. »Wundert mich, dass Martin ihn überhaupt ins Haus lässt.«

Meine Mutter verdrehte die Augen und winkte ab. Sie hatte allen Grund dazu. Martin reagierte auf männliche Wesen aller Art mit Eifersucht. Ohne Ausnahme. Sogar den über siebzigjährigen Herrn Hoffmann von nebenan hatte es bereits getroffen.

»Wenn es danach ginge, müsste er solche Arbeiten selbst erledigen. Aber selbst er weiß, dass er beim Handwerken zwei linke Hände hat.«

Ein unausgesprochener Satz hing in der Luft wie Wäsche an der Leine, die einfach nicht trocknen wollte. Mein Vater war ein brillanter Handwerker gewesen. Nur seinetwegen konnten wir damals in seinem baufälligen Elternhaus wohnen bleiben. Nur seinetwegen existierte noch heute eine kleine Holzhütte mitten im Harz, in der ich als Kind beinahe jeden Sommer verbracht hatte. Über die Hütte wurde im Hause Wagner, in dem sonst über alles gesprochen wurde, normalerweise kein Wort verloren. Sie war das Relikt einer Zeit, die es nicht mehr gab, die vor zwanzig Jahren schmerzhaft beendet worden war.

Frauen suchen sich Partner, die ihren Vätern ähneln, hatte ich einmal in einer Zeitschrift gelesen, und wenn es auch für Stiefväter galt, dann konnte das durchaus stimmen. Felix konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn ich mit anderen Männern in Kontakt stand, und konnte darüber hinaus nur mit Müh und Not einen Schraubenschlüssel von einer Zange unterscheiden. Meistens allerdings war er im Gegensatz zu Martin zu stolz, es sich einzugestehen. Zumal das in vielen Fällen bedeutete, dass er fremde Männer in unser Haus lassen musste, während ich dort allein war. Manchmal war ich froh, dass er nur zwei Daumen hatte, die er sich grün und blau schlagen konnte.

»Kaffee?«, fragte meine Mutter und schwenkte bereits die Thermoskanne.

»Auf jeden Fall.«

Der Kaffee meiner Eltern stammte aus einer stinknormalen Filtermaschine, in die Martin, bevor er morgens zur Arbeit ging, stinknormalen Pulverkaffee einfüllte. Ich für meinen Teil schmeckte keinen Unterschied.

»So, nun erzähl mal«, forderte sie mich auf, als wir zusammen am Küchentisch saßen. »Ist schon ein wenig Zeit zu zweit in Aussicht?«

Nun war ich es, die die Augen verdrehte. »Was glaubst du?«

Sie seufzte, und ihr Blick verriet Mitleid. »Das wird sich bald regeln, Schatz. Er vermisst es sicher genauso sehr wie du.«

Auf irgendeine Weise war ich erleichtert. Es wäre ein schlechtes Zeichen gewesen, wenn meine Mutter nicht für Felix Partei ergriffen hätte. Dann hätte ich gewusst, dass ich zu gutmütig mit ihm war.

»Ja. Ich meine, vielleicht.« Ich ließ den Kopf hängen. »Ach, ich weiß auch nicht. Ich habe das Gefühl, als wäre es ihm nicht wichtig.«

Meine Mutter legte eine Hand auf meine. »Das stimmt doch nicht. Denk doch nur mal an die vielen schönen Ausflüge, die ihr zusammen gemacht habt. All die schönen Dinge, mit denen er dich überrascht hat.«

Aber das ist eine Ewigkeit her, hörte ich mich denken und zwang mich, es nicht laut auszusprechen. Ich war ungerecht. Natürlich war es ihm wichtig, mit mir Zeit zu verbringen. Momentan war es ihm eben wichtiger, uns ein gutes Leben zu ermöglichen.

»Ja, du hast ja recht.«

Sie lächelte mich mit ihrem entwaffnenden Mutterlächeln an, und ich nickte zur Bekräftigung. Dann fiel ihr Blick auf meine Hand.

»Du hast schon wieder so viele Schrammen.«

Ich entzog sie ihr und betrachtete meine Handfläche. Tatsächlich fand ich einige kleine Wunden, die ich mir regelmäßig im Laden einfing, wenn ich Verpackungen öffnete und Kisten schleppte. Ich bemerkte sie kaum noch, und sie wurden von Mal zu Mal weniger. »Ach, das ist doch gar nichts. Du solltest Mathildas Hände sehen.«

Meine Mutter nahm einen Schluck Kaffee und zuckte dann mit den Schultern. »Aber weißt du, ich habe es mir auch nie nehmen lassen, arbeiten zu gehen. Du weißt ja, dein Vater hat …«

»Immer genug verdient, dass du gut hättest zu Hause bleiben können«, vollendete ich ihren Satz lächelnd. »Ja, ich weiß.«

Eine Erinnerung drängte sich in mein Bewusstsein. Ich war ins Büro meiner Vorgesetzten an der Musikschule geschlichen, wo ich regelmäßig Klavierunterricht gegeben hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich der Überzeugung gewesen, meinen absoluten Traumjob gefunden zu haben. Es machte mir unglaublich viel Spaß, Stunden mit der Vorbereitung meiner Einheiten zu verbringen, mich auf jeden einzelnen meiner Schüler einzustellen, mich viel zu sehr zu freuen, wenn sie Fortschritte machten. Und dann war alles anders gekommen. Felix hatte die Stelle in Berlin bekommen, und wir hatten viel schneller als gedacht eine Wohnung gefunden. Kleinlaut hatte ich Pia, meiner Chefin, verkündet, dass ich kündigen wolle, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht bescherte mir immer noch eine Gänsehaut.

»Bitte komm sofort zu mir, wenn du es dir anders überlegen solltest«, bat sie mich, während sie ganz offensichtlich bemüht gewesen war, ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie hatte seit Monaten nach einer neuen Lehrkraft gesucht, als ich mit meinen Bewerbungsunterlagen im Flur herumgeirrt war. »Wir finden jederzeit wieder einen Platz für dich.«

Ich hatte mich freundlich bedankt und war überzeugt gewesen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich könnte in Berlin eine Schule finden, die mein Herz ebenso erfüllt wie diese, dachte ich. Aber noch einmal kam alles anders. Ich bewarb mich zwar, mehrmals, erhielt Einladungen, dann aber Absagen, die an meinem Selbstbewusstsein knabberten und mir den Mut nahmen. Dann führten Felix und ich ein ernstes Gespräch, bei dem wir zu dem Schluss kamen, dass es vielleicht besser war, wenn ich mich erst einmal um die große Maisonettewohnung kümmerte und mich auf die Familienplanung konzentrierte. Ich hielt das für eine durchaus sinnvolle Idee. Doch noch ein drittes Mal kam alles anders. Ein paar Monate später heulte ich mir die Augen aus dem Kopf und nahm die Stelle im kleinen Supermarkt um die Ecke an, der händeringend nach Minijobbern suchte, weil ich zu der Überzeugung gelangt war, dass ich mir ein gewisses Maß an Unabhängigkeit beibehalten musste. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten ging ich gern in den Laden. Es machte mir Freude, ich hatte Mathilda, und auch Herr Reuß war mir in seiner ganz eigenen Art ans Herz gewachsen. Trotzdem fehlte mir mein alter Job, meine wahre Berufung, für die ich schließlich jahrelang studiert und mir die Finger wund geübt hatte.

Ich lehnte mich seufzend auf dem Küchenstuhl zurück, während ich dem dumpfen Hämmern lauschte, das aus dem Wohnzimmer drang. »Meinst du, dein attraktiver Handwerksmann freut sich über einen Kaffee?«

Meine Mutter klopfte mit einer Hand auf den Tisch und erhob sich, um eine dritte Tasse aus dem Schrank zu holen. »Gute Idee, du höfliches Kind.«

Nachdem ich beinahe eine halbe Stunde mit Mirosław, dem Handwerker aus Krakau, geschäkert hatte, brachte meine Mutter mich zur Tür.

»Ich glaube, er steht auf dich«, flüsterte ich ihr zu, und ihr Gesicht färbte sich umgehend rot.

Sie winkte ab. »Ach, du.«

»Nein, wirklich, ich hatte keine Chance.«

Wir verfielen in eine Lachsalve und umarmten uns. Als ich meiner Mutter wieder in die Augen sah, waren wir beide ernst geworden.

Sie legte mir eine warme Hand auf die Wange. »Ach, Süße, das wird schon wieder.«

Ich nickte tapfer und stieg dann in den Wagen, bevor ich in Tränen ausbrechen konnte.

2

Mein Klavier hatte sich verändert. Wenn ich den Raum betreten hatte, um zu spielen, dann war es gewesen, als hätte es bereits auf mich gewartet, als wäre die Zeit, die wir ohneeinander verbrachten, nicht viel mehr als eine erzwungene Pause, die keiner von uns wirklich wollte.

Schon wieder waren mehr als anderthalb Wochen vergangen, seit ich zuletzt gespielt hatte. Aber der unerwünschte Erinnerungsfetzen an meinen alten Job hatte gewirkt. Wie so oft in letzter Zeit musste ich feststellen, dass sich diese unbändige Liebe, die ich mit dem Instrument immer verbunden hatte, mehr und mehr verhärtete, als liefe Beton in die Fasern einer flauschigen Decke, die danach nicht mehr wärmt. Ich sehnte mich nach diesem Gefühl. Wenn ich auf meinem Schemel gesessen und die glänzend schwarze Tastenklappe angehoben hatte, hatte ich alles um mich herum vergessen. In letzter Zeit war das unglaublich schwierig geworden. Dabei wollte ich es so unbedingt wieder lieben lernen.

Ich öffnete die Klappe, fuhr mit einer Hand über die Tasten, schlug sanft einen Ton an. Das leise Knarzen der Federn, wenn ich das Pedal durchtrat, erinnerte mich an den uralten Kawai-Flügel, der im Elternhaus meines Vaters gestanden hatte. Wir hatten ihn verkauft, als meine Mutter und ich in eine kleinere Drei-Zimmer-Wohnung gezogen waren. Damals, nachdem sich alles verändert hatte. Damals, als es zu sehr schmerzte, weiter in diesem Haus zu leben, obwohl wir keine Miete hätten zahlen müssen. Ich hatte jeden Monat mein Taschengeld zurückgelegt, hatte sogar regelmäßig den Rasen der Nachbarn gemäht, um mir irgendwann mein eigenes Klavier leisten zu können. Als ich das Geld beisammenhatte und das zugegeben recht abgenutzte Yamaha in unserem winzigen Wohnzimmer stand, konnte ich mich kaum noch davon trennen. Ich liebte den eigenwilligen Geruch und die störrischen Pedale. Erst als Felix mir viele Jahre später nach einer saftigen Gehaltserhöhung das schwarz lackierte Schimmel mit dem butterweichen Anschlag gekauft hatte, hatte ich mich davon verabschiedet. Es passte einfach nicht mehr in mein neues Leben.

Ich nahm auf dem Schemel Platz und drückte den Rücken durch. Meine Haltung war immer miserabel gewesen, etwas, woran ich unaufhörlich arbeiten musste. Meine Wirbelsäule knackte hörbar. Ich musste unbedingt wieder mit den regelmäßigen Yogaübungen anfangen. Warum hatte ich noch mal damit aufgehört?

Auf dem Notenpult thronte meine liebste Ballade von Chopin mit meinen handschriftlichen Bleistiftnotizen. Mir fiel auf, dass es viel zu lange her war, dass ich daran gearbeitet hatte. Manchmal hatte ich Glück und die Gnade des Muskelgedächtnisses auf meiner Seite. Ich schlug die ersten zwei Töne an. So weit, so gut. Nach einer halben Seite war ich bereit loszulassen, meine gesamte Konzentration in das Stück zu legen. Ich schloss die Augen, ließ die Musik durch mich hindurchströmen.

Es dauerte keine acht Takte, und meine Gedanken begannen sich zu Felix zu verirren. Heute Morgen hatte er mir versichert, dass sein wichtigstes Projekt spätestens Anfang Juni abgeschlossen sein würde, und geschworen, dass er sich danach nicht sofort wieder in ein weiteres stürzen würde, wenn er es verhindern konnte. Konnte er das verhindern? Vielleicht. Wollte er das verhindern? Mittlerweile war ich mir sicher, dass dem nicht so war. Aber ich war durchaus bereit, mich überraschen zu lassen. Früher hatte er mich ständig überrascht. Mit Blumen, mit spontanen Ausflügen, mit seiner Zeit. Wann hatte er mich das letzte Mal überrascht?

Die Finger meiner rechten Hand verhedderten sich unglücklich, und ein beinahe beleidigend falscher Akkord war die Folge. Mitten im Takt hörte ich auf und setzte von Neuem an, richtete meinen Blick auf das Notenblatt, atmete tief durch. Diesmal hielt ich es ganze zwei Seiten durch. Es hatte einfach keinen Sinn.

Seufzend schloss ich die Klappe und rieb mir mit beiden Händen die Augen. Wann war ich so müde geworden? Wo war nun das Talent, das mir von so vielen Menschen bescheinigt worden war? Wahrscheinlich lag es irgendwo zusammengekringelt in einer Ecke und traute sich nicht mehr heraus.

Mein Handy riss mich aus meinen Gedanken. Ich sprang auf, stieß mir das Knie an der Unterseite des Klaviers an und sprintete fluchend in die Küche, wo ich das Telefon vermutete. Tatsächlich lag es auf der blank polierten Anrichte. Felix. Um fünf Uhr am Abend konnte das nichts Gutes bedeuten.

»Ja?«, meldete ich mich und wunderte mich nicht ein winziges bisschen über meine barsche Stimme.

»Hey, Lust auf ein Dinner mit deinem unzuverlässigen Freund?«

Ich hätte mir am liebsten mit einem Wattestäbchen die Ohren gereinigt, um sicherzugehen, dass ich mich nicht verhört hatte. Aber das sollte man ja ohnehin nicht tun. »Du und ich? Essen? Im Restaurant?«

Ich hörte sein Lächeln, noch bevor er weitersprach. »Es ist wirklich traurig, dass das etwas so Besonderes für dich ist.«

Allerdings. Ich sagte nichts.

»Also, kann ich dich in einer Stunde abholen?«

Mein Herz machte einen vorsichtigen Hüpfer. »Ja klar.«

***

Um kurz vor achtzehn Uhr stand ich fertig eingekleidet vor der Haustür und wartete darauf, dass Felix mit seinem schwarzen Audi in die Einfahrt einbog. Ich wusste genau, wohin er mich bringen wollte, und hatte dementsprechend meine Abendgarderobe ausgewählt. Das teure schwarze Cocktailkleid mit dem hübschen Spitzenbesatz hatte Felix mir überraschend zu unserem letzten Jahrestag gekauft. Ich konnte förmlich sehen, wie es unter der wenigen Aufmerksamkeit litt, die ihm in letzter Zeit zuteilgeworden war.

Um Punkt achtzehn Uhr hörte ich das Röhren des getunten Motors an der Straßenecke und ließ mich wenig später neben Felix auf den Beifahrersitz sinken. Er sah gut aus, hatte sich offenbar auf der Bürotoilette die Haare neu frisiert und meinen Lieblingsduft aufgelegt.

Lächelnd beugte er sich zu mir herüber und küsste mich. »Du siehst wunderschön aus.«

Wie so oft in letzter Zeit fragte ich mich, ob mein Herz bei seinen Komplimenten nicht ein klein wenig lauter hätte schlagen sollen. »Danke.«

»Rate mal, wohin ich uns bringe«, sagte er.

Ich konnte den unverhohlenen Stolz in seinen Augen aufblitzen sehen und entschied mich, ihm den Erfolg für heute zu gönnen. Ahnungslos legte ich die Stirn in Falten.

»Vielleicht ins ›Grill Royal‹?«, riet ich, wohl wissend, dass ich mich kaum weiter weg von der Wahrheit bewegen konnte.

»Ich dachte eher an das ›Machiavelli‹.«

Ich lächelte zufrieden und gab mir große Mühe, dass es meine Augen erreichte. Vielleicht war ich ungerecht. Er wollte mir bloß eine Freude machen, indem er mich in unser Lieblingsrestaurant einlud, nachdem wir seit knapp einem Jahr nicht mehr zusammen aus gewesen waren.

Er sah mich mit seinen großen blauen Augen erwartungsvoll an. »Also, können wir?«

»Klar.«

***

Als ich mich satt auf meinem roten Samtstuhl zurücklehnte, beschloss ich, dass ich zumindest für diesen Abend aufhören konnte, an unserer Beziehung zu zweifeln. Spätestens wenn Felix in ein oder zwei Tagen wieder bis spät in die Nacht arbeitete, würde ich ohnehin genug Zeit für negative Gefühle haben.

Nachdem ich den letzten Schluck Cola genommen hatte, bemerkte ich, dass er mit irgendetwas unter dem Tisch herumspielte. Seine gute Laune war noch immer nicht verflogen.

»Was hast du denn da?«, fragte ich.

Als hätte er nur darauf gewartet, überreichte er mir feierlich einen schlichten weißen Briefumschlag.

»Mach ihn ruhig auf.«

Langsam schlitzte ich das Papier mit einem Fingernagel auf und zog etwas heraus, das ich gleich auf den ersten Blick als Reisebroschüre identifizierte. Das Cover zeigte einen breiten Sandstrand, ein Holzhaus auf langen Pfählen, die aus dem Meer ragten, ein paar Möwen, die im Watt pickten. Die übergroße Schrift darüber identifizierte den Herkunftsort des Bildes als Sankt Peter-Ording an der Nordsee.

»Was soll das denn werden?«, fragte ich misstrauisch, während ich durch das Büchlein blätterte.

»Ich dachte mir, das könnte dir gefallen.«

Ich sah ihn über den Rand der Broschüre hinweg an. Sein Stolz war ihm nach wie vor überdeutlich ins Gesicht geschrieben. »Was könnte mir gefallen?«

»Guck mal auf die letzte Seite.«

Ich tat wie mir geheißen, und plötzlich fiel ein gefaltetes Blatt Papier heraus. Felix hielt es nun kaum mehr auf seinem Stuhl. Gern hätte ich mir besonders viel Zeit genommen, um ihn ein wenig zu ärgern, doch mittlerweile konnte auch ich meine Neugierde nicht mehr zügeln.

Das Papier war in Wirklichkeit ein Kalender für die nächsten drei Monate, in dem sämtliche Urlaubstage eingetragen wurden. Einen solchen Kalender hatte Felix seit geschätzten drei Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen. Trotzdem war zu meiner Überraschung der komplette Juni gelb markiert. Zusammen mit der Reisebroschüre konnte das nur eines bedeuten.

»Warte, du willst mir doch nicht allen Ernstes sagen, dass du Urlaub genommen hast?«

Felix lächelte das breiteste Lächeln, das ich je gesehen hatte. »Und ob. Es ist schon alles gebucht. Am 10. Juni beziehen wir die Pension. All-inclusive mit Anwendungen, so viele du willst. Massagen, Sauna, Whirlpool. Das ganze Programm.«

»Oh wow, das ist …« Ich suchte nach den richtigen Worten. »Ich kann es gar nicht glauben.«

Das, wovon ich seit Monaten, seit Jahren regelmäßig träumte, war dabei, sich zu erfüllen. Nein, nicht die Aussicht auf einen All-inclusive-Urlaub, sondern einfach ein wenig Zeit zu zweit mit dem Mann, mit dem ich so bereitwillig und voller Überzeugung meine Heimat verlassen hatte. Trotzdem spürte ich, dass ich große Mühe hatte, nicht die Stirn zu runzeln. Seit Ewigkeiten erzählte er mir von diesem Projekt und wie sehr sein Team in Verzug war, wie der Tag gar nicht genug Stunden haben konnte, um alles zu bewältigen. Doch statt voller Vorfreude aufzuspringen und ihm um den Hals zu fallen, war da kaum mehr als Misstrauen. War es bereits so weit gekommen, ohne dass ich es bemerkt hatte?

Das Lächeln in seinem Gesicht verrutschte. Nur ein winziges bisschen. Er war enttäuscht. »Freust du dich nicht?«

Was war nur los mit mir? Natürlich war es nicht zu spät. Hier und jetzt konnte ich die Möglichkeit ergreifen, ihm wieder zu vertrauen, ihm die Chance geben, alles zu retten. Uns zu retten. Schließlich hatte er bereits eine verdammte Reise gebucht. Und beinahe ein ganzer Monat nur zu zweit, weit weg vom Alltagstrott und von unseren selbst auferlegten Regeln, konnte uns sicher wieder in die richtige Spur lenken. Nur wir, das Meer und sonst nichts. Das war doch genau das, was ich gewollt hatte.

Ich stand auf und umarmte ihn, sog seinen Duft ein, bemerkte, dass er vor Aufregung leicht geschwitzt hatte. »Ich freue mich wirklich«, flüsterte ich. »Vielleicht kann ich es noch nicht so recht glauben.«

Er zog mein Gesicht zu sich herunter und sah mir in die Augen. »Ich weiß, wie wenig ich in letzter Zeit für dich da war. Auch wenn ich das alles für uns tue. Aber ich möchte es besser machen.«

Beinahe hätte ich ihm widersprochen, hätte gesagt, dass er längst nicht mehr für uns nächtelang durcharbeitete, konnte mich jedoch noch bremsen. Ich gab ihm einen Kuss auf die Lippen und ließ mich zurück auf meinen Stuhl sinken. Ich musste ihm diese Chance geben.

»Ich kann es kaum erwarten, mal so richtig auszuspannen«, schwärmte er.

»Hoffentlich fasst du nicht wieder in eine dieser giftigen Pflanzen«, witzelte ich in Anlehnung an unseren letzten Urlaub vor – waren es wirklich schon vier Jahre?

»Ach, da gibt es bestimmt nur Algen und ein bisschen Strandhafer.« Ein verträumter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Stell dir vor, wenn wir irgendwann mit unserem Kind Sandburgen bauen und es viel zu dick mit Sonnencreme einschmieren.«

Und da war er. Der wunde Punkt. Man musste ihn nur ansehen, und er begann zu schmerzen, weshalb er in der Regel allgemein beschwiegen wurde. Von uns, von meiner Mutter, von allen, die uns gut genug kannten, um davon zu wissen. Felix und ich versuchten seit ziemlich genau dreieinhalb Jahren, ein Kind zu zeugen. Ohne Erfolg. Es war von Anfang an klar gewesen, dass es schwierig für mich werden würde, das hatte ich mir von mehreren Spezialisten bestätigen lassen. Felix war bei den meisten Untersuchungen dabei gewesen, und nach jeder einzelnen hatte er mir den Arm um die Schultern gelegt und mir versichert, dass er mich niemals unter Druck setzen wolle. Nach einigen Dutzend negativen Schwangerschaftstest sah die Sache allerdings schon anders aus. Ich wusste, dass er sich die größte Mühe gab, sie nicht zu zeigen, aber die Enttäuschung stand ihm von Mal zu Mal deutlicher ins Gesicht geschrieben. Der letzte Test war etwa vier Wochen her. Und es war nicht der erste, bei dem ich heimlich gehofft hatte, dass er negativ sein würde.

Ich zwang mich zu einem Lächeln, ihm zuliebe. Innerlich klaffte die alte Wunde, die einfach keine Chance bekam zu heilen.

3

»Und dann ist er todmüde ins Bett gefallen und sofort eingeschlafen«, beendete ich meinen Bericht des vergangenen Abends.

Mathilda saß auf einer leeren Palette, während ich förmlich darauf wartete, dass ein Reuß-Exemplar um die Ecke bog. Zur Sicherheit lehnte ich lediglich an einem Regalpfosten.

»Unglaublich romantisch. Aber eins musst du zugeben – mit der Reise hat er sich selbst übertroffen.«

»Ich habe das Gefühl, dass das eine echte Chance sein könnte.«

Sie tätschelte mir aufmunternd den Oberschenkel. »Das hast du mehr als verdient. So, wie du ihm jeden Tag den Rücken freihältst.«

»Ich glaube, unser Chef wird ausrasten, wenn ich ihm beichte, dass ich den ganzen Juni über freinehme.«

Mathilda schnaubte verächtlich. »Du hast noch nicht einen freien Tag genommen. Bis auf den, als du deine Mutter ins Krankenhaus fahren musstest.«

Ich bekam noch heute weiche Knie, wenn ich an diesen Tag dachte. Es war ein brütend heißer Sommertag gewesen. Ich erinnerte mich viel zu genau an ihre eingefallenen, blassen Wangen und ihre flatternden Lider, als sie nach einer kräftigen Ohrfeige aufwachte. Glücklicherweise war es nur ein schwacher Kreislauf gewesen, aber die Flut aus unterdrückten Erinnerungen hatte ich trotzdem nicht bremsen können.

»Ja, es wird wirklich Zeit. Er wird es mir verzeihen.«

Wie aufs Stichwort materialisierte sich Herr Reuß vor uns, und Mathilda sprang so schnell auf die Füße, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.

»Was wird er Ihnen denn verzeihen?«, erkundigte sich Herr Reuß mit einer Mischung aus Häme und Neugier in der Stimme.

Ich sah, wie Mathilda sich neben mir aufplusterte.