wochen ende - Brigitta Klaas Meilier - E-Book

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Brigitta Klaas Meilier

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Beschreibung

Der unnatürliche Tod ihrer Mutter treibt Caroline Feldhoff an, sich zunehmend mit deren wechselnden Existenzbedingungen nach zwei Weltkriegen, dem wirtschaftlichen Wiederaufstieg und seinen psychischen Folgen zu beschäftigen. Was hat ihre einst so starke Mutter derart geschwächt? Sie geht den Rätseln ihrer Herkunftsfamilie nach, nimmt gleichzeitig die Tier- und Pflanzenwelt im Wechsel der Jahreszeiten auf ihrer Flussinsel wahr, ebenso die sich ausbreitenden Kriege. Der Ex-Freund, der nicht loslassen kann, die neuen Formen des Terrors - all diese thematisch weit gespannten Notizen bilden ein stilistisch ungewöhnliches Geflecht aus poetischer Verknappung und kritischer Durchdringung. Die gezielte Ignoranz der Dudenregeln in Großschreibung und Zeichensetzung tut ein Übriges, um dem Sog dieser Notate zu erliegen.

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Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.

v. Ebner-Eschenbach

Inhaltsverzeichnis

Kapitel I

Samstag

Sonntag

Samstag

Sonntag

Samstag

Sonntag

Samstag

Sonntag

Samstag

Sonntag

Samstag

Sonntag

Samstag

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Samstag

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Sonntag

Kapitel II

Samstag

Sonntag

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Samstag

Sonntag

Sonntag

Intro

Es war ein kalter Wintertag, als ich die Tür des Hospizes öffnete. Seit einer Woche ging es Caro rapide schlechter, ihre Begleitperson hatte mich vorbereitet. Mit Frau Feldhoff kann es jeden Tag vorbei sein, hatte sie leise gesagt und mich besorgt angesehen. Ja, jeden Tag, das wusste ich seither und betrat das Hospiz jeden Tag mit derselben bangen Frage. Sie hatte stark abgenommen, die Knochen ihres Gesichts stachen geradezu hervor, als ich sie betrachtete. Sie schlief. Zumindest sah es so aus. Ich rief sie leise, sie antwortete nicht, drehte nur ihren Kopf ein wenig in meine Richtung. Vorsichtig legte ich ihre Hand in meine, nachdem ich mich gesetzt hatte. Ich schwieg, wie so oft in der letzten Zeit. Dabei sah ich uns als Kinder, wie wir spielten, gemeinsam den Schulweg gingen, manchmal Hausaufgaben gemeinsam machten, auch noch während der Gymnasialzeit, bis uns das Studium schließlich trennte. Nach einem schweren Unfall nahm sie plötzlich wieder Kontakt zu mir auf und erzählte mir in einer langen Nacht ihr Leben. Wir sahen uns wieder öfter, denn sie wohnte nicht weit entfernt. Das hatte uns beide überrascht, denn wir lebten nicht mehr in unserer Geburtsstadt. Vor wenigen Monaten dann die Diagnose der Krankheit, die ihr Leben nun bald beenden würde, vorzeitig beenden, statistisch gesehen. Wir sollten um die achtzig werden, hier aber fraß sich der Krebs durch ein Organ. Sie war ganz ruhig, als sie es mir erzählte, kein Aufbegehren, kein Hadern. Mein Leben? Ist, wie es ist. Es hätte schlimmer sein können. Bei dem Start … Sie ließ den Satz so ausklingen. Ich wusste nicht, was sie meinte, traute mich aber nicht, sie zu fragen. Wenn sie mehr sagen wollen würde, machte sie es eines Tages auch, darauf verließ ich mich. Vielleicht war es auch nicht so wichtig. Anfang letzter Woche, als es ihr schon merklich schlechter ging und sie immer schwächer wurde, hatte sie einen Stapel Papier aus ihrem Nachtkästchen genommen und mir hingehalten. Hier steht, sagte sie, was ich dir bisher nicht erzählt habe. Nimm ihn dann zu dir, wenn. Unsere Blicke trafen sich, als sie den Satz nicht weiterführte. Es sind eher Notizen, lies es danach, es ist nicht viel; das meiste habe ich vernichtet. Und deine Verwandten? Du weißt ja, wie ich zu ihnen stehe. Geschrieben habe ich es nicht für sie. Wenn Du es ihnen geben möchtest, ist es mir auch recht, aber nötig ist es nicht. Sie redete nur schwach, schlief dann ein. Nach zwei Stunden leisen Wartens berührte ich sanft ihre Wange, nahm die Blätter zu mir und rief die Pflegerin. Zu Hause begann ich zu lesen.

I

Samstag

aus dem fenster in den nebel geschaut dabei im kopf den unterricht vorbereitet. für fast die ganze woche. an Lissi gedacht wie auch nicht. bei all den fragen. an sie. mich selbst was soll das gefragt. antworten gibt es keine also. L. wollte lieber tot sein. ja. lieber tot als das. als was. als L. geboren wurde war krieg. was war als L. starb? krieg? in ihrem kopf? immer noch alles im nebel. was frieden sein sollte war keiner. war revolution. sie nannten es demokratie. frauen durften sie wählen. wie männer. jetzt erst, sagte L. den kaiser vorher hatte es einfach gegeben. aber einfach demokratie die gab es nicht. im november, wie jetzt. nebel auch? inflation die gab es. einfach? zu kompliziert. die sonne kommt doch durch. ich gehe noch zum fluss.

Sonntag

wieder nicht länger geschlafen. geht nicht mehr. früher, was konnten wir schlafen. egal. reicht so auch. am fluss gestern keine schwäne. nur die enten in ihrem gleichmäßigen zug übers wasser. und möwen als vorboten. der winter letztes jahr kam im februar. und blieb. was frühling sein sollte war immer noch winter dann gleich sommer: über zwanzig grad im april. mal abwarten was jetzt wird. wenn L. ihren pelz anzog trugen wir die wollhosen. handgestrickt von L. gegen ekzem an den beinen gab es vom arzt eine salbe. gegen protest eher schläge. nicht immer aber oft. L. war mitfühlend aber schläge mussten sein. was sonst … von L.s hilfslosigkeit ahnten wir nichts. gegen die frühere kindergärtnerin das wussten wir gab es keinen widerspruch. vielleicht aber habe ich ihn auch nur vergessen die ausnahme aber behalten? vielleicht hat sie mehr geduldet als ich erinnere. unsere Kindheit war nicht anders als bei allen. alle wurden geschlagen manche mehr manche weniger. wir konnten nur staunen wenn L. aus ihrer kindheit erzählte. waren froh und ihr dankbar. sie hätte ja auch von uns für jedes danke an die eltern einen knicks verlangen können oder einen kniefall mit der bitte um verzeihung bei ungehorsam. ihre eindrückliche stimme ließ keinen zweifel in uns aufkommen: schläge fanden wir besser. das war schnell erledigt. elternmacht. L., ja, immer wieder. andere schon auch aber L. besonders. natürlich dieser unnatürliche tod.

Samstag

eine schöne woche. viel lesen etwas sport vor allem gespräche mit A. über u. a. die zeit. zeit. unsere zeit. zeit allgemein. was das ist. wer weiß es. niemand. es bleibt nur die physikalische definition. auch Hawking oder andere sind nicht viel weiter als Hildegard v. B. es im 12. Jahrhundert war so A. in ihren sci vias schrieb sie bereits das universum dehne sich wohl aus, ungeheuerlich, es ging schon damals um dieselben fragen, zusammenziehen oder ausdehnen, was erst seit Hubble, 1929 glaube ich, klar ist, nicht?, so A. weiter. ja ja rotverschiebung doppler-effekt und die folgen dass einer schwindelig wird. aber die einsicht in die gestirne berührt uns zu wenig auch wenn sie unsere zeit bestimmen. eine menschliche zeit wäre uns lieber ist aber nicht zu haben immerhin gibt es bei Hawking den psychologischen zeitpfeil usw, war schön. Lissis zeit. wann war L.s zeit? nachkriegszeit, im nachhinein vorkriegszeit, kriegszeit nochmals nachkriegszeit friedenszeit. hieß für sie kindheit jugend heirat elternzeit dann lange. irgendwo dazwischen liebe oder über allem? wie lange? der neue nachbar hat wieder frische rosen auf dem tisch. weiße diesmal manchmal grüßen wir uns mit einem leichten handzeichen winken wäre zu viel gesagt, nein, kein winken nur ein kurzes heben der hand oder von zwei fingern ein lächeln so etwa. unsere bougainvillea wir nennen sie der kürze wegen BV auf der ter rasse blühen einfach weiter. tun so als gäbe es keinen frost nachts lustig. muss noch an die schutzhüllen denken. die ungeheizte veranda im winter. filigrane eisblumen am fenster zum anhauchen im gefrorenen klo daneben. wie hat L. das gelöst: wasser ge kocht und reingeschüttet? muss wohl. war ja überall so. fror eins ein, gefroren alle nebenan unter uns überall eingefrorene klos. lagen im haus übereinander. es gab auch einen trick oder eine methode um das zu verhindern. vielleicht fällt mir noch ein wie das ging. für uns wars ein spass für L. wohl weniger.

Sonntag

die medien derzeit voll von krieg. hier und da neu und alt. auf- und abflammende. auf flammt jetzt wieder der in nahost mottende. rennende menschen. suchen zuflucht in kellern. luftschutzkellern wie L. damals. bis sie aufs land floh. das war zwar auch stadt hatte aber keine industrie. nur zigaretten. oder zigarren. frieda rollte dort zigarren. von hand. frieda hieß immer tante. war keine. später kam frieda die tante immer an weihnachten zu uns. wie ihre schwägerin L.s schwiegermutter. L. mochte nur frieda, die schwiegermutter war ein muss. zu uns war sie lieb. schenkte uns viel schlug uns nicht das reichte. frieda war auch lieb aber nur einmal im jahr. frieda las. in den vier wochen weihnachten las sie immer. sie war die einzige die las. las L.? die bücher standen hinter glas im schrank. da blieben sie. in goldbuchstaben die namen keller schiller meyer uhland wieland. die schwiegermutter wohnte in der wielandstraße einer nebenstraße der uhlandstraße. immer mehrere bände gleich hoch gleich golden auf dem rücken gleich langweilig fanden wir. frieda las nicht die aus dem schrank. was las frieda. was war eine marquise las frieda märchen? dann war mal ein krug zerbrochen. lachte sie mich aus? wieso war das lustig meine frage schlimm? später im unterricht kleist wegen frieda der tante gemocht oder wegen der jungen lehrerin oder die lehrerin wegen der tante? die fahrt an den wannsee nach thun auch? friedas kleine gestalt in der wieder klaren luft. abends fiel ihr knoten in einen dünnen zopf geflochten wie die kordel der klospülung zum ziehen den rücken hinunter bis zum po. L.s haare waren kurze krusel. kein nebel mehr seit donnerstag. die wetterfrösche unken es soll so bleiben. vorläufig wenigstens wer weiss. warum nur nennt man sie so? weil frösche bei schönem oder schlechtem wetter quaken? keine ahnung.

Samstag

hektische tage. zu viel in zu kurzer zeit. hektik an Lissi sehe ich keine. täuscht vielleicht. ärger, das schon. dann ging sie zu Klara unter uns. Klara wusste alles über L. und L. alles über Klara. freundinnen eben. Klara war L. zugefallen. einquartiert hieß das. Klara war ausgebombt und L. bewohnte drei zimmer. nur mit ihrer kleinen tochter. ein zimmer zu viel also frei für Klara. wenn die männer zurückkommen wird man sehen. so die fürsorgerin. tot waren sie ja nicht. das immerhin hätten sie erfahren. aber wo Ernst war wusste L. nicht. irgendwo hieß bei den sowjets. schon vor dem krieg hatte er L. karten geschickt. aus livland. ist das estland, lettland oder litauen. ernteeinsatz. fand er schön. später fotos. junge männer nackte oberkörper meist strohblondes haar schaufeln getreideballen. lachend. ist das nicht putin, die fotos ebenfalls maskerade? kaum. L. und Klara konnten ihre sorgen ab jetzt halbieren ihre freuden verdoppeln. das blieb so. der nahost scheint beruhigt nicht etwa befriedet. mottet zunächst weiter. was lernen männer. aung san suu kyi. wieso das plötzliche nachgeben des militärs dort. der chinesische weg: teilhabe am weltmarkt zu konkurrenzlosen preisen?