Wolfgang Bosbach: Jetzt erst recht! - Anna von Bayern - E-Book

Wolfgang Bosbach: Jetzt erst recht! E-Book

Anna von Bayern

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Beschreibung

Die Biografie des Frühjahrs

Er ist Politiker mit Leib und Seele, manchmal auch Querdenker und Rebell: Wolfgang Bosbach, einer der bekanntesten und anerkanntesten Unions- Politiker Deutschlands. Der 61-Jährige ist Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, Kritiker der Euro-Rettungsschirme, dreifacher Familienvater – und unheilbar an Prostatakrebs erkrankt. Bestsellerautorin Anna von Bayern erzählt in enger Zusammenarbeit mit Wolfgang Bosbach seine Lebensgeschichte und zeigt einen Politiker, der fest entschlossen ist, mit Leidenschaft gegen den Krebs und weiter für seine Werte und Ziele zu kämpfen.

Wolfgang Bosbach hat sein Leben der Politik verschrieben: Seit über 40 Jahren ist er Mitglied der CDU, seit 19 Jahren sitzt er im Bundestag, mehr als einmal wäre er fast Minister geworden. Er gilt als Politiker, der Rückgrat zeigt und Tacheles redet – selbst wenn er sich dafür gegen die eigene Fraktion stellen muss. Seit seiner Krebsdiagnose hat er sich mit der Frage beschäftigt, was er mit der ihm verbleibenden Zeit anfängt. Die Antwort lautet: »Jetzt erst recht. Bundespolitik mit Hingabe. Vollgas.« Anna von Bayern, die ihn seit Monaten zu unterschiedlichen Anlässen begleitet und mit seiner Familie und vielen Wegbegleitern spricht, erzählt in diesem Buch sein Leben und nähert sich dabei auch Fragen wie: Wie süchtig ist einer, der auch todkrank nicht von der Politik lassen kann? Wie blickt man zurück, wenn man so krank ist? Und wie blickt man nach vorn? Das sehr persönliche Porträt eines Menschen, der sich nicht unterkriegen lassen will – auch wenn das Leben wieder einmal die Richtung ändert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 319

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Anna von Bayern

WOLFGANG BOSBACH

JETZT ERST

RECHT!

Copyright ©2014 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Ute Rösler, Berlin

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie

Werbeagentur, Zürich, Michael Hofstetter,

unter Verwendung eines Fotos von © Anatol Kotte/laif

Satz: Leingärtner, Nabburg

ePub-ISBN 978-3-641-12777-0

www.heyne.de

INHALT

Licht und Schatten

Aufstand mit Ansage

Sieg und Niederlage

Lebensrettende Tiefkühlware

Mandatsstrampeln

Waterloo

Kein Rosinenpicker

PutschParty

Erfolgreich scheitern

Ein wilder Bursche

Zirkuspferd im GrossEinsatz

Bei aller Liebe

Tage wie diese

Epilog

Danksagung

Bildnachweis

Anmerkungen

LICHT UND SCHATTEN

Schlechte Nachrichten eilen sich selbst voraus. »Wollen Sie sich nicht erst einmal setzen?«, fragt der Professor, als Wolfgang Bosbach erfahren soll, ob er leben oder sterben wird. Unter dem großen Fenster liegt die ehemalige Bundeshauptstadt in rot-gelben Herbstfarben seltsam ruhig da.

Nein, eigentlich will er sich nicht setzen, weil er es jetzt schon weiß: Der Krebs hat gestreut und ist unheilbar. So sagt es auch der Professor im September 2011: »unheilbar«, und zeigt auf ein bunt gesprenkeltes Bild seines Skeletts. »Wie lange habe ich noch?«, fragt Bosbach. Nach der gelungenen Prostataoperation 2010 war von 23 Jahren die Rede gewesen. An diese Zahl hatte er sich in all ihrer Unbarmherzigkeit ein bisschen gewöhnt. 23 Jahre, dann wäre er 81, würde vielleicht noch Enkelkinder groß werden sehen. Mit 81 Jahren kann man auch mal sterben, denkt er, auch wenn seine Eltern schon älter und noch sehr fit sind. Nach der OP war der Arzt optimistisch. Der Tumor hatte die Prostatakapsel nicht gesprengt, es wurde nervenschonend operiert, ein besseres Ergebnis hätte man sich nicht wünschen können, hieß es. Bosbach hatte sich gefreut. Doch der PSA-Wert, diese gnadenlose Messzahl des Prostatakrebses, hält sich nicht an die Prognose. Er bleibt nicht auf null, sondern steigt von Monat zu Monat, von Untersuchung zu Untersuchung wieder an. Vor Weihnachten beginnt Bosbach eine Strahlentherapie, während der nächsten zwei Monate geht er fünfmal die Woche hin. Danach ist er erschöpft. Er legt sich die Behandlungen möglichst immer auf den frühen Morgen, damit er am Abend wieder Veranstaltungen im Wahlkreis besuchen kann. Das klappt ganz gut, keine weiteren Nebenwirkungen. Leider auch sonst keine Wirkung, denkt sich Bosbach, als der PSA-Wert weiter ansteigt. Für die Bestrahlung hätten die Ärzte auch eine normale Taschenlampe nehmen können, der Effekt wäre der gleiche gewesen.

Über zwei Stunden dauert heute die Prozedur. Zunächst wird ihm atomar aufgeladener Zucker gespritzt, dann muss er still in einer Röhre liegen für das PET-CT, das Bildgebungsverfahren, das mit Röntgenstrahlen die Tumorzellen im Körper finden soll. Er durfte vorher nicht essen, der Magen knurrt. Die genauere Diagnose durch eine Magnetresonanztherapie kommt für ihn nicht infrage wegen des Herzschrittmachers, den Bosbach seit sieben Jahren trägt. Seine Herzmuskelschwäche ist die Folge einer verschleppten Grippe aus seinem ersten Bundestagswahlkampf zehn Jahre zuvor. Damals wollte er seine Fahrradtour durch den ganzen Wahlkreis nicht abbrechen, um sich auszukurieren. Wie hätte es denn ausgesehen, wenn der Kandidat schlapp macht, bevor er überhaupt gewählt ist? Die Medikamente für das Herz vertrug er nicht gut, sie machten ihn schlapp, irgendwann hörte er auf, sie zu nehmen, bis die Herzleistung im Frühjahr 2004 nur noch 19 Prozent betrug und er die Treppen zu seinem Haus nicht mehr ohne Pause hochkam. Er flog trotzdem zur Sitzungswoche nach Berlin, wo ihm der damalige Gesundheitsminister Horst Seehofer einen Arzt an der Berliner Charité vermittelte, der ihm gleich einen Herzschrittmacher und einen Defibrillator gegen den plötzlichen Herzstillstand einsetzte. Das Herz blieb nicht stehen, doch der Defibrillator rettete ihm trotzdem das Leben, weil nach einer Operation, bei der seine Batterien ausgetauscht wurden, der erhöhte PSA-Wert auffiel. Das müsse nichts Schlimmes sein, aber er solle mal zum Urologen gehen, hieß es. Dort war Bosbach noch nie, er habe immer gedacht, der Urologe mache was mit Zeitmessung, scherzte er damals. Auch zur Vorsorge war er bis dahin nie gegangen, ihm habe ja nichts gefehlt.

Wenn er rechtzeitig erkannt wird, sind die Heilungschancen bei Prostatakrebs gut. Doch Bosbach hat auf einer Skala von sechs bis zehn schon einen sogenannten Gleason-Score von sieben, dunkelgelb oder hellorange, je nach Ansicht. Bosbach entscheidet sich für dunkelgelb. Weil am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen gewählt wird, legt er den OP-Termin auf den 11. Mai. Bis dahin sind es zwar noch acht Wochen, aber die sind durchgetaktet mit Wahlkampfterminen. Dann die Hoffnung nach der OP. Und jetzt die Metastasen, die Bosbach vorkommen wie ein Raubtier im eigenen Körper. Der unbekannte Feind leuchtet ihm vom Bild seines Körpers entgegen, besonders bunt sind Becken und Wirbelsäule. Bosbach bringt die gnadenlose Aufnahme zu seinem Onkologen wie ein Schüler seinen Eltern ein miserables Zeugnis. Ich weiß, es ist schlecht, nur wie schlecht ist es? Um Heilung könne es jetzt nicht mehr gehen, sagt der Arzt, sondern um Lebensverlängerung und Lebensqualität. Und was ist mit den 23 Jahren? »Die müssen wir jetzt schon deutlich nach unten reduzieren«, sagt der Arzt und wirkt dabei so niedergeschlagen, dass Bosbach kurz überlegt, ob er ihn nicht trösten soll. »Können Sie das präzisieren?«, fragt Bosbach. Nein, das kann er nicht. Es könne ja in ein paar Jahren auch neue Therapieformen oder Medikamente geben. Wie zu sich selbst sagt der Onkologe dann, man dürfe den Kopf jetzt nicht hängen lassen.

Er gibt eine Anleitung zum Leben-nicht-unnötig-Verkürzen, das Übliche: nicht rauchen, wenig trinken, viel Sport. »Da rennen Sie bei mir mit Anlauf offene Türen ein«, sagt Bosbach. Er hat nie geraucht, kaum Alkohol getrunken, immer viel Sport gemacht, und als er das erzählt, klingt er fast trotzig, so als müsse der Krebs sich in ihm geirrt haben. »Sonst noch etwas?« fragt er. »Nein«, sagt der Mediziner, »machen Sie einfach die Dinge, die Ihnen Spaß machen.« Und da ist Bosbach dann doch ein wenig erleichtert. Denn die Dinge, die ihm Spaß machen, das sind seine 16-Stunden-Tage als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, die rund 400 jährlichen Redeveranstaltungen im ganzen Land, seine Arbeit in der Kanzlei, die Wochenendtermine im Wahlkreis. Dass der Onkologe mit seiner Empfehlung zu einem gleichmäßigen Lebensrhythmus vielleicht etwas anderes meint als das ständige Pendeln zwischen Bergisch Gladbach und Berlin, die vielen tausend Kilometer auf Deutschlands Straßen, die langen Nächte und frühen Morgen zwischen Bundestag, Partei, Kanzlei, Interviews, Fernsehauftritten und Wahlkreis, das ist erst einmal zweitrangig. Für Bosbach ergibt sich zwischen diesen Fluchtpunkten der Rhythmus seines Lebens – gleichmäßig in seiner Ungleichmäßigkeit.

Der Arzt schlägt eine medikamentöse Hormonentzugstherapie vor, wie sie bei geringer Lebenserwartung häufig empfohlen wird. Sie kann nicht heilen, aber durch den Entzug von Testosteron soll die Ausbreitung der Tumorzellen verlangsamt oder eingedämmt werden. Drei bis vier Jahre könne die Therapie wirken, sagt er, dann passe sich der Krebs dem Hormonentzug an und wachse weiter. Zu den Nebenwirkungen würden Antriebsschwäche, Hitzewallungen, Osteoporose, Verlust der Libido und der Potenz, Zunahme des Körperfetts sowie Blutarmut zählen. Alles, was Bosbach hört, ist: »drei bis vier Jahre«. Das ist die wichtigste Aussage für ihn wegen der Kandidatur für den nächsten Bundestag. In diesem Moment weiß er: Er wird weitermachen wie bisher. Jetzt erst recht. Bundespolitik mit ganzer Kraft. Vollgas.

Wolfgang Bosbach hat für seinen offenen Umgang mit seiner Krebserkrankung viel Anerkennung erfahren. Nicht nur weil dieser Umgang gerade in der Politik ungewöhnlich ist, wo Krankheit als Tabu gilt, weil man Schwäche jeglicher Art tunlichst für sich behält. Er hat vor allem Respekt für die Haltung geerntet, mit der er seine Diagnose akzeptiert hat und nun mit ihr lebt. Damit löst er bei seinen Mitmenschen die Frage nach deren eigenem Umgang mit der Sterblichkeit aus: Wie würden wir unser Leben ändern, wenn wir wüssten, dass uns nur noch wenig davon bleibt (und den meisten von uns bleibt ja zu wenig)? Die Frage testet unsere eigenen Prioritäten, unser Menschenbild und die Treue zu unseren Träumen. Sie hinterfragt, ob wir das Leben führen, das wir führen wollen. Würden wir alles ändern? Oder nichts, wie Bosbach? Bedeutet seine Antwort, dass er das gute Leben für sich gefunden hat, oder ist seine Produktivität nur die Sublimierung seiner Todesangst? Ist er ein Meister des Akzeptierens oder des Verdrängens? Setzt er sein Leben aufs Spiel für die »Wichtigkeitsdroge öffentliche Aufmerksamkeit«, wie Jürgen Leinemann es vielen Spitzenpolitikern attestiert hat, oder arbeitet er einfach aus Leidenschaft, die ja per se maßlos ist? Ist es überhaupt möglich, nach fast zwei Jahrzehnten im Deutschen Bundestag und als zentrale Figur seiner Partei, als stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender des Innenausschusses, nicht süchtig nach der »Droge Macht« zu werden? Und wie bitter ist dann für ihn die Niederlage, als ihm der erhoffte Schritt in die erste Reihe, ins Ministeramt verwehrt bleibt?

Wolfgang Bosbach, mehr Fach- als Machtpolitiker, hat eine Schwäche für Zahlen, Daten und Fakten. Vor politischen Entscheidungsprozessen legt er Wert auf das, was er als Jurist die »Verständigung über die Sachlage« nennt. »Zahlen, Daten, Fakten«, ruft er seiner Mitarbeiterin zu, wenn er inhaltliche Ausarbeitungen braucht. Die paukt er dann, bis sie sitzen. Auch Bosbach selbst, Einzelhandelskaufmann, Karnevalsprinz, staatlich geprüfter Betriebswirt, Volljurist, Rechtsanwalt, Karnevalspräsident, kann man malen mit Zahlen: 61 Jahre alt, seit 25 Jahren verheiratet, drei Töchter, seit 41 Jahren CDU-Mitglied, seit 20 Jahren Parlamentarier, dreimal gegen die eigene Fraktion gestimmt, zuletzt gegen die Ausweitung des sogenannten Euro-Rettungsschirms. Im 17. Deutschen Bundestag einer von 620 Abgeordneten, der 52. im alphabetischen Verzeichnis, einer von 22 Ausschussvorsitzenden. Seriensieger mit Rekordergebnissen, 2013 mit sagenhaften 58,5 Prozent wiedergewählt. Jährlich Tausende von Einladungen, 200 Hotelübernachtungen, 30000 Kilometer im eigenen Auto, zeitweilig 14 Punkte in Flensburg (vier werden ihm nach einem »Aufbauseminar für verhaltensauffällige Kraftfahrer« erlassen). Unzählige Interviews, 85 Fernsehauftritte in ARD und ZDF im Jahr 2012, nur drei andere Politiker waren dort häufiger zu sehen als er.1 Wöchentlich durchschnittlich 200 Zuschriften, fast 10000 beantwortet er jährlich individuell. Drei Tore für den FC Bundestag im linken Mittelfeld. 42 Prozent Herzleistung, vierteljährliche Krebskontrolle, null Skandale.

So weit Bosbach in Zahlen. Man kann aber auch versuchen, die Punkte entlang dieser Zahlen zu verbinden, um den Menschen Bosbach zu umreißen. Seine Karriere vom Realschulabsolventen und Supermarktleiter im beschaulichen Bergisch Gladbach zum Rechtsanwalt in der bundesdeutschen Spitzenpolitik ist erstaunlich, seine Ablehnung der erweiterten Euro-Rettungsmaßnahmen, der European Financial Stability Facility (EFSF), im September 2011 gegen seine Fraktion nach seinen vielen Jahren als braver Parteisoldat nicht minder. Seine Sprache ist erfrischend direkt, seine Werte sind erfrischend untrendy, seine Schlagfertigkeit und sein Witz oft genial. Allein deshalb lohnt es sich, ihn kennenzulernen. Natürlich passt ein Leben nicht in ein Buch und das Leben von Wolfgang Bosbach schon gar nicht. Aber ein Versuch lohnt sich trotzdem, denn sein Leben veranschaulicht nicht nur die vergangenen 20 Jahre der deutschen Politik, die er teilweise entscheidend mitgeprägt hat, sondern auch deren Machtgesetze. Sein außergewöhnlicher Aufstieg ist der eines klassisch Konservativen, der mit Fleiß, Unabhängigkeit und Humor zu einem der bekanntesten und beliebtesten Spitzenpolitiker ohne Spitzenamt wird. Durchaus zu Populismus fähig lehnt er doch den zeitgeistigen Pragmatismus seiner Partei ab. Was lehrt seine Karriere über den politischen Betrieb, den Zustand der CDU und insbesondere das System Angela Merkels? Sind Unabhängigkeit und das Bestehen auf unveränderlichen Grundwerten für eine Karriere in diesem System vielleicht primärhinderlich? Wenn der Konservative in der CDU schon nicht mehr geschätzt wird, wird er dann in Deutschland überhaupt noch gebraucht? Und was sagt unsere Faszination an einem öffentlich Todkranken, an seiner Mischung aus Schwäche und Stärke, aus Angst und Mut, über uns selbst aus? Beobachten wir Kranke neugierig in den Medien, in den zig Arztfernsehserien, weil wir selbst so gerne gesund sind, so schrecklich gerne überleben, wie es Ines Kappert in der Tageszeitung formulierte?2

Auf all diese Fragen habe ich Antworten gesucht in den vielen Monaten, in denen ich Wolfgang Bosbach auf Veranstaltungen und Reisen, im Wahlkampf und in seinem Alltag in Berlin begleitete. Ich habe über seine Schlagfertigkeit gelacht, mich über seine Widersprüchlichkeit gewundert und am häufigsten über ihn gestaunt. Er hat mir erzählt, wie die Politiker die Wähler für dumm verkaufen, wie unverhältnismäßig Einsatz und Ertrag in seinem Geschäft sind und wie er einmal am Wahlabend geweint hat. Wir haben gesprochen über seinen Kampf zwischen Körper und Geist, den hohen Preis seines Wirkens, und wie das Leben trotz aller Widrigkeiten Sinn machen kann. Er hat mir erklärt, wie man am besten auf einen ausfälligen Kanzleramtsminister reagiert, was die Logik eines links gedrehten Supermarktumlaufes ist und das Geheimnis einer glücklichen Ehe und warum der Karneval sich nach dem Mond richtet so wie Ebbe und Flut.

Bosbachs verhinderte Topkarriere ist symptomatisch für das inhaltliche Vakuum, das Angela Merkel in der Partei geschaffen hat, die nun allein auf sie zugeschnitten ist. Die teilweise sehr öffentliche Geringschätzung seiner Positionen sollte jeden Demokraten beunruhigen, weil konservative und unabhängig wirkende und kommunizierende Politiker in Deutschland dringend gebraucht werden. Nicht nur im Sinne der für die Gesundheit unseres politischen Systems unerlässlichen Meinungsvielfalt, sondern auch weil unabänderliche konservative Werte in unserer Gesellschaft nicht ausgedient haben. Auf einer persönlicheren Ebene lehren Leben und Laufbahn Bosbachs vor allem eines: Wenn man versucht, jede Entscheidung und jede Handlung für sich zu betrachten und um ihrer selbst willen zu vollziehen, ist das Leben sowohl im Erfolg wie auch im Misserfolg besser erträglich. Es geht dabei nicht darum, sich zu finden, sondern sich in dem zu verlieren, an das man glaubt.

Wolfgang Bosbachs Geschichte ist relevant und spannend, weil sie aus demselben Stoff gestrickt ist wie alle großen Geschichten: aus Leidenschaft und Macht, aus Sieg und Niederlage, aus Liebe und Verlust.

AUFSTAND MIT ANSAGE

Weil er mit Hiobsbotschaften keine Zeit verschwendet, fasst Wolfgang Bosbach sich kurz. In einem Satz sagt er seinen drei Töchtern Caroline, Natalie und Viktoria, dass er todkrank ist. So sei es, so gehe es jetzt weiter, und mehr gebe es dazu bis zu einem neuen Befund nicht zu sagen. »Und jetzt nicht den Papa mit traurigen Augen anschauen, armer Papa, das will ich nicht, da kriege ich die Krise.« Danach möchte er zu Hause nicht mehr über den Krebs sprechen. Auch wenn man sich auf eine solch niederschmetternde Diagnose nicht vorbereiten kann, hat Wolfgang Bosbach sie doch in den vergangenen Monaten angesichts des steigenden PSA-Wertes zumindest in Betracht ziehen können. Für seine Töchter hingegen sitzt der Schock tief. Dennoch akzeptieren sie, dass ihr Vater mit ihnen darüber nicht mehr reden will. Nur dass er es andererseits so bereitwillig in der Öffentlichkeit tut, das ist schwierig für die Familie. Mit dem Stern spricht er wenig später über die Angst vor dem Tod (»Keine, wenn der kommt, bin ich ja weg«), über Inkontinenz und Erektionsstörungen (»Damit hatte ich nur ein paar Tage zu tun, dann war das Thema durch«). Dem Spiegel erzählt er, dass er gerne zu Hause sterben würde (»Ich möchte meinen Lieben dann alles sagen können, was für mich noch wichtig ist und was ich ihnen schon immer sagen wollte«) und wie er sich sein Begräbnis vorstellt (»Nicht nur Kirchenlieder und keine langen Reden, die Leute wollen was zu essen haben«). In Bild lässt er sich lachend mit seinem ebenfalls krebskranken Freund, dem Bestatter Fritz Roth, ablichten (»Wir haben beide Krebs! Wir lachen trotzdem!«), und Bunte erzählt er, dass er mit Gott gehadert habe (»mit dem Krebs nicht«). Er spricht in Talkshows über Krebs, über Vorsorge, über den Tod und über seinen christlichen Glauben an ein Leben danach.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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