Wretched - Emily McIntire - E-Book

Wretched E-Book

Emily McIntire

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Beschreibung

Eine gerissene junge Frau als Gangsterboss und ein Agent, der sie zur Strecke bringen soll – Der dritte Band der BookTok-Erfolgsserie Sie ist großartig und grausam zugleich Evelina Westerly ist das skrupellose Genie in ihrer Familie und die Geheimwaffe ihres Vaters. Um Rache für den Mord an ihrer Schwester zu üben, geht sie über Leichen. Sie hat keine Zeit für Gefühle oder Liebe. Auch nicht, als ihr nach einem One-Night-Stand der gutaussehende Fremde nicht mehr aus dem Kopf geht. Bis sie ihn unter anderem Namen wiedertrifft … Nicholas Woodsworths wahres Geheimnis ist viel gefährlicher als sein Deckname. Er ist ein verdeckter DEA-Agent, und wild entschlossen, den Drogenhandel zu zerstören, der seine Familie vernichtet hat. Als er erkennt, dass die jüngste Tochter des Westerly-Imperiums dieselbe Frau ist, von der er seit jener Nacht im Club geträumt hat, kämpft Anziehung gegen Abscheu. Evelina verkörpert alles, was er ablehnt, und er sollte ihr Untergang sein. Doch je mehr er über die Dunkelheit in ihrem Herzen erfährt, desto mehr Ähnlichkeiten entdeckt er zu sich selbst. Und als sich sein Hass in etwas Größeres verwandelt, muss Nicholas entscheiden, ob er eine abtrünnige Frau lieben kann, selbst wenn das bedeutet, dass es ihrer beider Leben ruinieren wird. Wretched ist ein düsterer Liebesroman und der dritte, unabhängig lesbare, Teil der Never-After-Serie: einer Sammlung von gebrochenen Märchen, in denen die Bösewichte die Helden sind. Es handelt sich nicht um eine Nacherzählung und nicht um Fantasy. Wretched enthält Themen und Inhalte, die möglicherweise nicht für alle Leser:innen geeignet sind. Alle Warnhinweise zum Inhalt findet ihr auf der Webseite der Autorin.

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© Wretched by Emily McIntire 2022

© der deutschsprachigen Erstausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2024

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Victoria Anagour

Sprachredaktion: Uwe Raum-Deinzer

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Cover design by TRC Designs

Covermotiv: cover images © AntonMatukha; Rastan; rehananlisoomro10; tanantornaunt/depostiphotos; ©Cassandra Madsen; P Maxwell Photography/Shutterstock

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Playlist

Widmung

Zitat

Anmerkung der Autorin

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Epilog

Erweiterter Epilog

Evelina

Nicholas

Leseprobe Twisted

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Charaktere

Evelina Westerly

Nicholas »Brayden« Woodsworth

Kleine Liebeszauber

Werde Mitglied bei McIncult!

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Playlist

Natural – Imagine Dragons

Teeth – 5 Seconds of Summer

Genius – LSD feat. Sia, Diplo, Labrinth

Ruin My Life – Zara Larsson

Fire on Fire – Sam Smith

I Don’t Wanna Live Forever – ZAYN, Taylor Swift

Don’t Speak – No Doubt

Crying Over You – The Band CAMINO and Chelsea Cutler

If I Killed Someone for You – Alec Benjamin

Over the Rainbow – Israel Kamakawiwo’ole

Widmung

Für die Unverstandenen.

Zitat

Ein Herz wird nicht danach beurteilt, wie sehr du liebst,sondern wie sehr du von anderen geliebt wirst.

L. Frank Baum, Der Zauberer von Oz

Anmerkung der Autorin

Wretched ist ein düsterer, zeitgenössischer Liebesroman. Ein gebrochenes Märchen für Erwachsene.

Der Roman ist weder Fantasy noch Nacherzählung.

Die Hauptfigur ist ein Schurke. Wenn du nach einer harmlosen Lektüre suchst, wirst du sie auf diesen Seiten nicht finden.

Wretched enthält sexuell explizite Szenen, die anschaulich beschrieben werden und nicht für alle Zielgruppen geeignet sind. Die Leser:innen werden zur Diskretion aufgefordert.

Ich fände es besser, wenn du dich blind darauf einlassen würdest, aber wenn du eine Liste mit detaillierten Triggern möchtest, findest du sie auf EmilyMcIntire.com

Prolog

Evelina (Ehv-ah-leen-ah)Siebzehn Jahre alt

Trauer ist etwas Seltsames.

Es ist das einzige Gefühl auf der Welt, das die Menschen angeblich verstehen, und doch als lästig empfinden.

»Die Zeit heilt alle Wunden, Evie.«

Verschont mich.

Die Zeit heilt gar nichts. Sie gibt allem nur mehr Raum zum Wachsen, Verfaulen und Verrotten.

Ich zappele auf meinem Platz, die alte Holzbank bohrt sich in meine Oberschenkel, und ich zucke zusammen. Meine Schwester Dorothy – diejenige, die noch lebt – wirft mir einen finsteren Blick zu, als würde ich mit meiner Bewegung unerwünschte Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Dabei schaut sowieso schon jeder einzelne Mann in unsere Richtung, nur um einen Blick auf sie zu erhaschen.

Ihre braunen Haare sind perfekt und voller Sprungkraft, ein hoher Pferdeschwanz schwingt hinter ihr, als sie sich nach vorne umdreht und dem Priester zuhört, der über Dinge redet, von denen er keine Ahnung hat. Über gemeinsame Erinnerungen und ein Leben, das nicht in Vergessenheit geraten wird. Aber ich lasse sie nicht aus den Augen. Sie und die blöden, wippenden braunen Haare.

Es juckt mir in den Fingern, sie zu packen und so lange daran zu ziehen, bis ich sie ihr ausreiße. Stattdessen setze ich mich auf meine Hände. Wie gern ich Dorothy auch erwürgen würde, es geht nicht um sie. Heute nicht.

Heute geht es um Nessa.

Und Nessa hat mir immer gesagt, ich sei eine Sklavin meiner Impulse, also kann ich wenigstens versuchen, sie zu zügeln. Es ist schließlich ihre Gedenkmesse.

Wieder steigt mir dieses komische Gefühl in die Kehle.

Trauer.

Manchmal ist es fließend wie die Wellen des Ozeans, ab und an stagniert es wie steinerne Skulpturen. Im Moment liegt es mir wie ein Stein auf der Brust.

Ich beiße mir auf die Wange, um mich zu beherrschen.

Mein Vater räuspert sich. Er sitzt auf Dorothys anderer Seite, und ich betrachte die Tätowierungen auf seinen Fingern, die im Ärmel seines Hemdes verschwinden. Hin und wieder sehe ich sie mir genauer an, um nach versteckten Hinweisen auf ihre Bedeutung zu suchen, und frage mich, ob eine davon für mich steht. Doch wahrscheinlich hat er sich nur gelangweilt, als er in den letzten acht Jahren in einer fünf Quadratmeter großen Gefängniszelle verrottete, und hatte einfach Lust, sich tätowieren zu lassen.

Er sieht mich aus dem Augenwinkel an, Traurigkeit liegt in seinen verwitterten hellbraunen Augen, als er den Arm um Dorothy legt und sie den Kopf an seine Schulter lehnt. Ich bin mir nicht sicher, ob sein Schmerz dem Verlust von Nessa gilt oder all den Jahren, die er verpasst hat. Vielleicht keinem von beiden.

Aber das spielt sowieso keine Rolle.

Wir haben uns auch ohne ihn ein Leben aufgebaut, und jetzt ist er zurück und tut so, als hätte er keine dummen Fehler gemacht und seine Familie nicht im Stich gelassen.

Es ist heiß heute, und obwohl der Hochsommer in Kinland, Illinois, nicht unerträglich ist, fühlt es sich im Moment so an, als würde ich bei lebendigem Leib verbrennen. Mein Blick schweift durch den Raum, nimmt die wahllos geschnitzten Initialen und Kratzer auf den hellen Holzbänken wahr, die Farbflecken der Buntglasfenster auf dem glänzenden Boden. Ich zähle die wackelnden Köpfe der Leute, die sich die Mühe gemacht haben, zu kommen, und ignoriere, dass sie entweder eingenickt sind oder miteinander flüstern, als wäre es angemessen, während der Gedenkmesse für den wichtigsten Menschen in meinem Leben zu tratschen.

»Aber vor allem«, tönt die Stimme des Priesters und hallt von den hohen Bögen und Decken der Kathedrale wider, »war Nessa Westerly eine Frau mit Familie. Des Glaubens. Und wer könnte besser über ihre Liebe zu beidem sprechen als jemand, den sie über alles liebte … ihre Schwester.«

Mein Herz setzt kurz aus, ich bohre die Fingernägel in das Holz unter meinen Oberschenkeln, bis es sich anfühlt, als würden sie gleich abbrechen. Ich wusste nicht, dass ich etwas sagen soll. Aber ich werde es tun, denn Nessa war nicht nur meine Schwester. Sie war zehn Jahre älter und Lichtjahre weiter, und nachdem unser Vater mit zehn Kilo Koks auf dem Rücksitz eines Transportflugzeugs erwischt und in den Knast gesteckt worden war, hat sie mich ab meinem neunten Lebensjahr aufgezogen. Auch wenn sie sich in Wahrheit schon lange vorher um mich gekümmert hat. Ich frage mich, was ich jetzt ohne sie tun soll, und mir schnürt sich die Kehle zu.

Flüchtig geht mir durch den Kopf, ob unsere Mutter ihre fiese Fratze zeigen wird, ob sie überhaupt weiß, dass ihre älteste Tochter tot ist oder dass der Mann, den sie angeblich geliebt – und dann verlassen – hat, wieder auf freiem Fuß ist. Ich schüttele den Gedanken ab und beschließe, stattdessen davon auszugehen, dass sie tot ist und verrottet. Es geschähe ihr recht, schließlich ist sie abgehauen, als mein Vater eingesperrt wurde.

Ich werfe Dorothy noch einen Seitenblick zu und verenge die Augen, da sie sich mit einem Taschentuch über die Augen wischt. Als hätte sie das Recht, traurig zu sein. Sie hat Nessa gehasst.

Fairerweise muss man sagen, dass sie mich auch hasst, aber mit Nessa war es anders. Unbeständiger. Am Anfang war es pure Eifersucht. Nessa war die Älteste und Schönste, sie zog nur durch ihre Anwesenheit alle Aufmerksamkeit auf sich. Und Dorothy war … die Zweitbeste. Das typische Sandwich-Kind.

Als Dad eingesperrt wurde, waren seine letzten Worte an Nessa, sie solle ihn stolz machen. Kein einziges Wort zu Dorothy oder mir. Danach veränderte sich Dorothy. Ihr Neid verhärtete sich zu Hass, und ihre Persönlichkeit wandelte sich vom verbitterten Kind zur »perfekten« Frau mit tief sitzendem Vaterkomplex.

So gut, wie sie die Rolle spielt, würde sie eine wunderbare Schauspielerin abgeben.

Bei der Erinnerung atme ich tief ein und will aufstehen, aber bevor ich auch nur die Beine ausstrecken kann, erhebt sich Dorothy und stößt mich auf dem Weg durch die Kirchenbank zum Mittelgang zurück. Sie sieht mich kaum an, aber ich beobachte mit brennenden Augen, wie sie zum Podium geht, mit ihrem wippenden Scheißpferdeschwanz und den silbern glänzenden Absätzen, die auf dem Holzboden klackern.

Als mein Blick auf ihre Füße fällt, beiße ich so fest die Zähne zusammen, dass mir die Backenzähne wehtun.

Nessas Schuhe.

Was für ein Miststück.

Ja … Trauer ist eine seltsame Sache.

Wut aber auch.

Und ich bin zornig.

Ich bin wütend auf Nessa, weil sie sich umbringen ließ.

Und ich bin stinksauer auf Dorothy, weil sie sie umgebracht hat.

Kapitel 1

NicholasSieben Jahre später

»Wie heißt sie?«

Ich schaue Seth von der Seite an, und er streicht sich über den dunklen Bart.

»Kein Wunder, dass du mit dem Scheiß im Gesicht keine abkriegst.«

Er grinst mich an. »Frauen lieben den Scheiß. Und du lenkst ab.«

»Welche Frauen?«

»Alle, die du hübscher Arsch übriglässt.« Zwinkernd steht er auf und greift nach seiner Jacke. Das hellbraune Leder passt gut zu seiner dunklen Haut. Dann lässt er die Jacke über die Pistole im Holster an seiner Hüfte gleiten. »Du willst es mir echt nicht sagen?«

Achselzuckend drehe mich auf dem Bürostuhl, die Wände meines engen Arbeitsplatzes sind bedrückend nah. »Ich kann mich nicht erinnern.«

»Typisch«, schnaubt Seth.

Ein Lachen steigt in meiner Brust auf. »Sie kannte die Abmachung. Wir haben gevögelt. Ich habe nicht um ihre Hand angehalten.«

Er schüttelt den Kopf. »Es gibt sicher keine Frau, die dumm genug ist, zu glauben, dass bei dir mehr als eine Nacht drin ist, Kumpel.«

Das versetzt mir einen Stich, und ich zwinge mich zu einem Grinsen. Er hat nicht unrecht. Selbst wenn ich es wollte, bei diesem Job ist kein Platz für eine Beziehung. Ein DEA-Agent zu sein birgt gewisse Risiken. Und es ist schon schwierig genug, meine Schwester zu beschützen. Jede weitere Person wäre nur Ballast, und so was kann ich nicht gebrauchen.

»Sei nicht böse auf mich, weil ich keinen Bock auf erfundene Märchengefühle habe.«

Er zieht eine Augenbraue hoch. »Was soll das überhaupt sein?«

»Liebe.« Ich zucke mit den Schultern. »Ist eh nicht echt. Nur eine chemische Reaktion, auch wenn alle behaupten, es sei mehr.«

»Wenn du meinst, Mann.« Seth lacht leise. »Sollen wir nen Happen essen?«

Ich blicke den langen Gang mit den gleichförmigen grauen Schreibtischen hinunter, die von einem schmuddeligen blauen Teppich unterstrichen werden. »Ne, Cap will mich sehen.«

Seth folgt meinem Blick zur geschlossenen Tür unseres Chicagoer Abteilungsleiters, Agent Galen. »Weshalb?«

»Wahrscheinlich soll ich wieder für irgendwen den Babysitter spielen. Es ist lange genug her, dass er mir einen richtigen Fall gegeben hat.«

Einer seiner Mundwinkel hebt sich. »Tja, vielleicht hättest du nicht seine Tochter ficken sollen.«

Stöhnend reibe ich mir das Gesicht. »Es war nur ein einziges Mal, und ich wusste nicht, dass er ihr Vater ist.«

Seth lacht, und ich werfe ihm stirnrunzelnd einen Stift an den Kopf. Ganz schön frech, dass er sich über mein Pech so lustig macht.

Die Tür zu Caps Büro schwingt auf, und wir wirbeln bei dem Geräusch herum. Seths Lachen verstummt, und er richtet sich räuspernd auf. Ich sehe ihn an und grinse.

Schisser.

Er hatte schon immer Angst vor unserem Chef, egal, wie oft ich ihm gesagt habe, dass Cap nur bellt und nicht beißt. Wir sind beide fast zehn Jahre hier, und trotzdem tut er so, als wäre er gerade erst von der Schule gekommen und hätte Schiss, seinen Posten zu verlieren. Dabei machen sie nicht jeden zum Field Agent; man muss sich schon anstrengen. Das ist einer der Gründe, warum ich den Job so liebe. Man kriegt nichts geschenkt. Und wenn ich verdeckt arbeite, spüre ich, was ich in der Welt bewirke. Mit jedem Scheißdrogendealer, den wir von der Straße holen, wiegt die Schuld, dass ich meine eigene Familie im Stich gelassen habe, weniger schwer.

»Woodsworth.«

Galen klingt schroff, und ich zwinkere Seth zu und stehe auf. Auf dem Weg zu seinem Büro spüre ich bei jedem Schritt den bohrenden Blick meines Chefs. Es ist kein Geheimnis, dass er mich nicht leiden kann und mich am liebsten aus seiner Abteilung und damit aus seinem Leben werfen würde. Aber das ändert nichts daran, dass ich diesen Job lebe und atme. Und in meinem Bereich bin ich der Beste.

Ich plumpse in den steifen, grauen Stuhl seinem Schreibtisch gegenüber und lasse den Blick über die gerahmten Porträts seiner Frau und seiner drei Töchter schweifen. Als ich Samantha mit ihrer perfekten olivfarbenen Haut entdecke, die grinsend den dünnen Arm um die Schulter ihrer Schwester gelegt hat, zuckt mein Schwanz.

Ich habe Seth belogen. Ich wusste, dass sie Caps Tochter ist. Aber es war mir scheißegal. Geschieht ihm recht, wenn er mich aus einer laufenden Ermittlung rausreißt und zum Schreibtischdienst verdonnert.

Cap räuspert sich, geht an mir vorbei und dreht den Bilderrahmen. Einer meiner Mundwinkel hebt sich, aber ich unterdrücke das Grinsen und mache stattdessen ein gelangweiltes Gesicht.

Er zeigt mit dem Finger auf mich. »Schau sie nicht an, du kleiner Scheißer.«

Leise lachend hebe ich kapitulierend die Hände. »Mein Fehler, Cap.«

Er runzelt die Stirn. »Ich bin dein Vorgesetzter, nicht dein verdammter Captain. Und deine Entschuldigung bedeutet einen Dreck.«

»Du bist halt der Captain meines Herzens, und wenn du nicht glücklich bist, bin ich es auch nicht.« Ich lege mir eine Hand auf die Brust und grinse. »Ach komm. Ich habe mich doch entschuldigt. Was kann ich denn noch tun?«

Er verengt die dunklen Augen. »Du hast schon mehr als genug getan.«

Ich lehne mich zurück. »Nichts, worum sie nicht gebeten hat.«

Ein heftiger Knall schallt durch den Raum und Cap drückt die Finger fest auf die Tischplatte. »Du bist gefeuert.«

Achselzuckend stütze ich die Hände auf die Armlehnen und drücke mich hoch. »Na gut.«

»Setz dich. Scheiße.« Er fährt sich über die Glatze und atmet tief aus, während er sich auf den Stuhl plumpsen lässt. »Ich hasse dich, du Arsch«, brummt er.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Darfst du das zu einem Untergebenen sagen?«

»Ich habe einen Job für dich.«

Das klingt interessant, ich beuge mich vor, und die Belustigung verschwindet aus meinem Gesicht.

Endlich.

»Warst du schon mal in Kinland?« Er wirft einen Ordner auf den Tisch, der Knall hallt in meinen Ohren wider, und ein paar schwarz-weiße Überwachungsfotos rutschen seitlich heraus.

Ich strecke den Arm aus und hebe sie auf.

»Ja, ein paarmal«, sage ich lässig, um mich nicht darauf zu konzentrieren, wie sich alles in mir zusammenzieht, wenn ich an die zweistündige Fahrt von Chicago nach Kinland denke, auf die Mom mich und meine Schwester immer mitnahm. »Aber ich war schon lange nicht mehr dort. Nicht seit meiner Kindheit.« Beim letzten Wort bricht meine Stimme ein wenig, Unbehagen kriecht mir über den Nacken.

Ich räuspere mich und schaue die Fotos durch. Auf einem laden Leute Kisten von einem Sattelschlepper. Auf einem anderen grinst ein älterer Mann mit zurückgegelten grauen Haaren und Tattoos von den Fingern bis zum Kinn den Typen neben ihm an. »Wer ist das?«

»Das ist Farrell Westerly. Schon mal von ihm gehört?«

Ich schüttele den Kopf.

»Irischstämmiger Amerikaner mit einem gewöhnlichen Vorstrafenregister. Hat acht Jahre im Gilyken Penitentiary verbracht, bevor er wegen guter Führung auf Bewährung entlassen wurde. Ist vor einiger Zeit wiederaufgetaucht. Sieht so aus, als wäre er überall.«

Ich grinse. »Ein geläuterter Sträfling?«

»Sind sie das nicht alle?«, schnaubt Cap. »Sie leiten die Geschäfte von Kinland aus und überschwemmen die Straßen mit so nem neuen Zeug.«

Mir dreht sich der Magen um. Der »neue« Scheiß heißt Flying Monkey und verbreitet sich rasant. Ähnlich wie jedes andere Heroin, nur anders. Es ist verdammt populär, sodass überall Nachahmer auftauchen, die es kopieren wollen und scheitern. Und deshalb sterben noch mehr Menschen an gepanschten Drogen.

Mit zusammengekniffenen Augen sehe ich mir das Foto der beiden Männer genauer an. »Ist das …«

»Ist es.«

Ausatmend lehne ich mich zurück und erkenne die kräftige Statur. »Ezekiel O’Connor.«

Mir wird übel, und ich lege die Fotos zurück auf den Schreibtisch. Ezekiel ist in unseren Kreisen bekannt. Sein Vater, Jack O’Connor, war in Chicago als Kopf der irischen Mafia berühmt-berüchtigt. Er war skrupellos. Aber das war, bevor ihre Macht vor Jahren gebrochen und Jack im Knast ermordet wurde, während er die Zeit für seine unzähligen Verbrechen absaß.

»Also, was … soll ich ein wenig Aufklärung betreiben?«

Er verengt die Augen. »Ich will, dass du reingehst und ihren Lieferanten findest. Wenn wir den großen Fisch erwischen, kriegen wir auch den Rest. Ich habe nicht meine besten Jahre darauf verwendet, sie zu jagen, nur damit die irische Mafia woanders mit neuen Gesichtern auftaucht und denkt, sie könnte wieder alles übernehmen.«

Meine Augenbrauen wandern nach oben. »Undercover?«

»Überrascht dich das?« Er legt den Kopf schief.

Von dem unerwarteten Adrenalinschub zittern mir die Hände. »Es ist bloß eine Weile her.«

Er brummt und zieht die dicken Augenbrauen zusammen, bis sich mitten auf seiner Stirn eine Falte bildet. »Willst du damit sagen, du hast keinen Bock?«

Mein Magen verkrampft sich, und ich setze mich noch aufrechter hin. »Bist du verrückt? Niemand könnte das besser als ich, das weißt du, Cap.«

Er greift neben seinen Computer, holt ein weiteres Foto hervor und legt es vor mich. Darauf ist eine Frau zu sehen. Sie ist wunderschön, mit einem glänzenden braunen Pferdeschwanz und Designerklamotten. »Das ist Dorothy Westerly, Farrels Tochter. Man munkelt, sie sei seine Schwachstelle. Wenn du drin bist, mach dich an sie ran. Sie wird einknicken.«

Überraschung durchzuckt mich. »Warum sie?«

Ein träges Lächeln umspielt seine Lippen, und er lehnt sich zurück. »Hast du nicht eine Schwäche für hübsche Töchter?«

Kapitel 2

Evelina

An meinem Schuh klebt Blut.

Verdammt.

Ich schaue auf den abgenutzten schwarzen Kunstlederstiefel hinunter. Vor Verärgerung, dass ich den Rest der Nacht in diesem beschissenen Club verbringen muss, während das Blut eines Toten meinen Stiefel beschmutzt, zieht sich mir der Magen zusammen.

Hoffentlich kommt er nicht zurück, um mich heimzusuchen.

»Was ist los, Miss Maulig?«, fragt mein bester – und einziger – Freund Cody, der sich breit grinsend neben mich an die Bar setzt.

Ich hebe den Blick, lege mir eine Hand auf die Brust und ziehe die Augenbrauen hoch. »Ich bin nicht maulig.«

Seine blonden Haare fallen nach hinten, als er den Kopf zurückwirft und schallend lacht. »Du bist eine Pessimistin, hundertpro.«

Ich werfe einen Blick auf die Leute, die hinter ihm für einen Drink anstehen und zucke mit den Schultern. »Ich bin Realistin. Das ist ein Unterschied.«

»Auf jeden Fall bist du total langweilig.« Er verdreht die Augen. »Hast du mich deswegen rausgeschleppt? Ich dachte, mit den falschen Haaren würdest du ein bisschen lockerer. Blondinen sollen ja mehr Spaß haben.«

Ich beiße die Zähne zusammen und trommele mit den mandelförmigen Nägeln auf die hölzerne Theke, der schwarze Nagellack spiegelt meine Laune wider. Ich bin nur in Chicago, weil ich – wie immer, wenn irgendwer meinem Vater in die Quere kommt – mit der unglücklichen Aufgabe betraut wurde, diesen idiotischen Niemand aufzuspüren, um ihm eine Lektion zu erteilen. Die blonde Perücke und die farbigen Kontaktlinsen sind nur zur Sicherheit. Nicht zum Spaß.

»Willst du nen Kurzen?«, versucht er es wieder und wackelt mit den Augenbrauen, die seine Brille halb verdeckt.

»Ich trinke nicht.«

Es kommt schärfer rüber als beabsichtigt. Aber seit mich heute Morgen irgendein Arsch bei der Arbeit an den Büchern unterbrochen hat, der ich nachgehe, um die Geschäfte meiner Familie legal aussehen zu lassen, obwohl sie alles andere als legal sind, habe ich Kopfschmerzen.

Ich werfe noch einen Blick auf das getrocknete Blut.

Er runzelt die Stirn. »Seit wann?«

Seufzend fahre ich mir durch die dicken, blond gefärbten Haare, die mir über die Schultern fallen. »Schon ewig, Cody. Keine Ahnung. Willst du mir die ganze Zeit Honig ums Maul schmieren? Ich wollte dir nur helfen, mal aus dem Haus deiner Mutter rauszukommen.« Ich zucke mit den Schultern. »Ein bisschen was erleben, anstatt immer nur auf Bildschirme zu starren.«

Er sieht mich an und blinzelt. »Gut«, schnauft er schließlich. »Ich gehe tanzen. Suche mir einen schönen fetten Schwanz zum Lutschen.« Zum ersten Mal an diesem Abend lächele ich, und er zwinkert mir zu. »Wenn du erledigt hast, weshalb du tatsächlich hier bist, solltest du das auch tun. Vielleicht befreit dich ein guter Fick ja von dem Riesenstock im Arsch.«

Ich winke ab, wirbele herum und als der Barkeeper lächelnd auf mich zukommt, krampft sich mein Magen zusammen. Genau der Mann, den ich treffen soll.

»Willst du was trinken?«, fragt er.

»Ich weiß nicht genau, was ich will.« Ich zwinge mich zu einem verschmitzten Grinsen und schaue ihn unter den Wimpern hervor an. Das ist natürlich gelogen. Ich bin hier, um zu sehen, ob er eine schlechte Kopie unserer Ware verkauft.

Seine blauen Augen funkeln. »Keine Vorlieben?«

Ich spiegele seine Bewegungen und drücke mein Dekolleté an die Bar, um es nach oben zu schieben, damit er einen guten Einblick bekommt. »Ich stehe nicht so auf Alkohol. Ich glaub, ich würde lieber … fliegen.«

Sein Blick wandert von meinen Augen zu meinen Brüsten, und ich verkneife mir den Ekel darüber, dass er so berechenbar ist. Ehrlich gesagt, bin ich nicht mal besonders attraktiv. Nicht im Vergleich zu den feinen Gesichtszügen meiner Schwester. Aber wenn man einem Mann ein paar Titten vor die Nase hält, fließt das ganze Blut aus dem Gehirn in den Schwanz.

Er leckt sich über die Lippen.

»Ich möchte einfach eine gute Zeit haben.« Ich lege den Kopf schief und trommele mit den langen Fingernägeln auf die Theke. »Du nicht auch?«

Er wirft sich ein ehemals weißes Tuch über die Schulter und stützt den Ellenbogen auf die Bar.

»Andrew!«, ruft jemand. Er wendet sich der Kellnerin zu, die mit einem leeren Tablett und grimmiger Miene herumsteht. »Kumpel, krieg ich endlich mal meine Getränke?«

Er verzieht das Gesicht, sieht mich wieder an und klopft mit den Fingerknöcheln auf die Theke. »Geh nicht weg. Ich hab genau das Richtige für dich.«

Sobald er mir den Rücken zukehrt, lasse ich die Maske fallen, schnappe mir einen Bierdeckel und drehe ihn in der Hand, um mich davon abzuhalten, nach Wasser und einer Serviette zu fragen, damit ich mir den Fleck von der Stiefelspitze wischen kann.

Er ist kaum zu sehen, aber er nervt.

»Du versuchst es zu sehr.«

Ruckartig hebe ich den Kopf, und mein Blick fällt auf ein kantiges Kinn und hellgrüne Augen. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Wie bitte?«

Der Mann grinst, Grübchen rahmen seine perfekten Lippen, er nimmt einen Schluck Bier und lehnt sich an die Theke.

Ich schnaube, verärgert, dass der Typ beschlossen hat, mich zu nerven, und noch mehr verärgert, weil er so attraktiv ist, dass sich mir der Magen zusammenzieht. »Wer sagt, dass ich es versuche?«

Sein Adamsapfel bewegt sich, er tritt näher und als er sich durch die kurzen leicht gelockten Haare fährt, steigt mir ein Hauch Zimt in die Nase. Ich verfolge die Bewegung mit den Augen und mustere dann die schwarze Lederjacke und die dunkle Jeans.

»Du kannst an mir üben, wenn du willst«, fährt er fort und nickt dem Barkeeper zu. »Bevor er zurückkommt.«

Ich lege den Kopf schief und versuche herauszufinden, ob er mich anbaggert oder sich über mich lustig macht. »Wow, was für ein Angebot.«

Er zuckt mit den Schultern. »Ich bin in Geberlaune.«

Normalerweise würde ich nicht gut darauf reagieren, wenn jemand in meinen Bereich eindringt. Aber der Typ macht mich neugierig. Außerdem ist er heiß, und ehrlich gesagt, habe ich Lust. Es ist schwer, jemanden zu finden, den ich lange genug ertragen kann, damit er mich befriedigt.

Ich strecke den Arm aus, nehme ihm das Bierglas aus der Hand, führe es zum Mund und trinke einen kleinen Schluck. Ich verberge, wie widerlich ich den Geschmack finde, fahre mir mit der Zunge über die Lippen und schlucke. Ohne mein Piercing fühlt es sich komisch an, aber besondere Merkmale wie Zungenpiercings sind nicht angebracht, wenn man anonym bleiben will.

Und ich habe vorhin nicht gelogen. Ich trinke tatsächlich keinen Alkohol.

»Das sind ja gute Nachrichten.« Ich rutsche vom Stuhl und gehe vor, bis meine Brust seinen Oberkörper berührt. Als ich mich ein wenig aufrichte und mit den Lippen seinen Kiefer streife, stockt ihm der Atem. »Denn ich nehme gern.«

Ich ziehe mich zurück, seine Augen leuchten auf und dieses perfekte Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Du bist interessant.«

»Und du nervst«, antworte ich.

Er lacht leise.

Mir wird eng um die Brust und kopfschüttelnd beiße ich mir auf die Lippe, um das Grinsen zu unterdrücken.

»Wie heißt du?«, fragt er.

Ich blicke ihn an. »Warum?«

»Ist doch normal. Ein Typ sieht eine attraktive Frau an der Bar und will sie näher kennenlernen.« Er streckt die Hand aus. »Ich bin Nick.«

Mit verschränkten Armen blicke ich auf seine Hand hinab. »Woher soll ich wissen, dass du nicht nur nach meinem Namen fragst, um mich zu stalken?«

»Das ist ziemlich arrogant.«

»Ach ja? Du bist hier in einem Club, ganz allein, machst irgendwelche Frauen an und fragst nach ihrem Namen. Hast du nie Dateline gesehen, Nicholas?«

Er zeigt auf die Tanzfläche. »Ich bin nicht allein. Und ich heiße Nick.«

Mein Blick folgt seinem Fingerzeig auf einen attraktiven Mann, der mitten auf dem Dancefloor mit irgendeiner Frau tanzt.

»Das ist mein Freund Seth. Ich habe heute einen neuen Auftrag bekommen und muss die Stadt verlassen, also ›feiern‹ wir ein letztes Mal.«

»Deinen Abschied würde ich sicher auch feiern.«

Lachend nimmt er noch einen Schluck, platziert seine Lippen genau dort, wo ich vorhin getrunken habe, dann leckt er sich darüber, ohne auch nur eine Sekunde den Blickkontakt zu unterbrechen. In mir zieht sich alles zusammen, Hitze breitet sich zwischen meinen Beinen aus.

Unerträglich, wie sehr er mich anmacht.

»Hör mal, ich habe keine Zeit für …«, ich wedele mit dem Arm zwischen uns, »was auch immer. Also komm zur Sache oder such dir eine andere. Es gibt bestimmt jede Menge verzweifelte Frauen, die gerne ihre persönlichen Daten preisgeben, damit du sie durchs Fenster beobachten kannst.«

Er stellt das Glas ab, blickt an mir vorbei, dann tritt er einen Schritt vor, beugt sich herunter und seine Lippen kommen meiner Wange unglaublich nahe. Ich schnappe nach Luft, und mein Herz schlägt schneller.

»Ich will dich nicht stalken, Schönheit.« Er streicht mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Ich will dich vögeln.«

Oh.

Etwas Heißes und Verruchtes wirbelt durch meine Mitte. Der Typ ist gefährlich. Eine Ablenkung, die ich mir nicht leisten kann. Obwohl … ich werfe einen Blick auf Andrew, den Barkeeper, und mir wird klar, dass er sicher erst in ein paar Stunden Feierabend hat. Ein bisschen Spaß kann nicht schaden, und warum sollte ich mich nicht belohnen? Abgesehen davon, bin ich es nicht gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Normalerweise verstecke ich mich in dunklen Ecken und bemühe mich, mit den Schatten zu verschmelzen. Denn so kann ich besser meine Schwester Dorothy beobachten und herausfinden, ob ihre perfekte Fassade lange genug verrutscht, damit ich beweisen kann, wovon ich seit Jahren überzeugt bin. Dass sie Nessa umgebracht hat.

Diese Veränderung ist unerwartet, aber schön.

»Tja …« Ich trommele mit den Fingerspitzen auf die Theke und Nicholas’ sengender Blick wandert meinen Körper hinab. »War nett mit dir, aber ich muss mal verschwinden. Wenn du weißt, was gut für dich ist, folgst du mir besser nicht, Stalker.«

Er schürzt die Lippen, als würde er ein Grinsen unterdrücken, und legt den Kopf schief.

Ehrlich gesagt, erwarte ich, dass er mir folgt, aber als ich mir einen Weg über die Tanzfläche und in die engen Flure bahne, vorbei an einem Dutzend klebriger, verschwitzter Körper, ist er nirgends zu sehen.

Besser so.

Ich ziehe die Tür zur Damentoilette auf und trete ein. Sie ist klein, mit schwarzen und weißen Metrofliesen an den Wänden und nur zwei Toiletten. Ich schaue bei beiden unter der Tür durch, um sicherzugehen, dass niemand hier ist. Dann gehe ich zum Waschbecken, stütze mich auf den Rand und atme tief aus.

Die Tür schwingt auf und schließt sich wieder, dann rastet ein Schloss ein. Sofort schlägt mir das Herz bis zum Hals, und ich bin alarmiert. Ich wirbele herum, begegne Nicholas’ Blick und als er auf mich zukommt, breitet sich Aufregung in mir aus. Er legt den Kopf schief, zieht die schwarze Lederjacke aus und wirft sie auf den Waschbeckenrand. Ich gehe rückwärts, bis ich an die schmutzigen Kacheln stoße, aber er läuft weiter, bis er eng an mich gepresst ist und mich ein Kribbeln packt.

»War ja klar, dass du mir folgst.« Ich verdrehe die Augen. »Durchschaubar.«

Er fährt mir durch die Haare, packt sie und zieht daran, bis ich ihm in die Augen sehen muss.

Himmel.

Mein Herz rast, und ich hoffe inständig, dass der Perückenkleber hält.

»Offenbar weiß ich nicht, was gut für mich ist«, sagt er.

Und dann beugt er sich zu mir und küsst mich.

Ich stöhne und als seine Zunge in meinen Mund eintaucht und mit meiner tanzt, schnellen meine Hände zu seinem Hinterkopf. Er schmeckt süß und würzig, und ich verliere mich im Augenblick. Ich werde ihn nie wiedersehen, aber ich hoffe, dass er seiner Prahlerei gerecht wird und mir vor seinem Abgang wenigstens einen Orgasmus verschafft.

Seine Hände wandern zu meinen Schenkeln, er hebt mich hoch und presst sich an mich, bis jeder einzelne Zentimeter zwischen meinen Beinen liegt. Er stößt zu, und ich stöhne an seinem Mund.

Zum Glück habe ich meine Waffe im Auto gelassen. Das zu erklären wäre schwierig geworden.

Ich verschränke die Knöchel hinter seinem Rücken, bewege die Hüften und reibe mich an ihm.

»Fuck«, flucht er und löst sich von mir, um mit den Lippen meinen Hals hinabzuwandern.

Ich bin total feucht und wölbe mich ihm entgegen, damit er besser herankommt, bis mein Kopf gegen die Wand stößt.

»Verrätst du mir jetzt deinen Namen?«, haucht er.

»Nein.«

Ich öffne den Knopf seiner Jeans, schiebe die Hand hinein und umfasse seinen Schwanz. Er ist ziemlich groß, und Vorfreude steigt in mir auf.

Er lässt meine Beine los, zieht sich ein wenig zurück und holt ein Kondom aus der Tasche. Ich schnappe es mir, knie mich hin, nehme den Saum seiner Hose und schiebe ihn gerade so weit hinunter, dass ich durch seine Boxershorts greifen und seinen Schwanz herausholen kann. Seine Eichel ist ganz feucht, und ich beuge mich vor, lecke die salzige Flüssigkeit ab und stöhne, als sie auf meine Zunge trifft. Sie schmeckt gut, und ich will mehr, deshalb umschließe ich ihn mit den Lippen und gleite an ihm hinunter, bis er gegen meine Kehle stößt.

»Herr im Himmel«, stöhnt er und schlägt an die Wand.

Ich bewege ein paarmal den Kopf, fahre mit der Zunge an der dicken Ader am Schaft entlang. Dann lasse ich ihn mit einem Plopp aus mir herausgleiten und reiße die Kondomverpackung mit den Zähnen auf. Ich streife es ihm über, während sein Blick auf meinem Kopf brennt.

Er packt mich an den Schultern, hebt mich energisch hoch, und bevor ich auch nur blinzeln kann, hat er mir den Rock hochgezogen und den Slip zur Seite geschoben. »Ich muss in dir sein.«

Er legt sich meine Beine um die Hüften, und mit einem kräftigen Stoß ist er da.

So tief.

Sein Tempo ist rasant und strapaziert mich bis zum Äußersten, meine Augen rollen zurück, denn ich glaube nicht, dass mich schon mal jemand so gefickt hat. Schnell und schmutzig und als wolle er nur mich.

Bei diesem Gedanken und weil er sich so perfekt in mir anfühlt, baut sich mein Orgasmus schnell auf, meine Klit schwillt an, und mein Inneres zieht sich vor Anspannung zusammen.

»O Gott«, murmele ich und stoße mit dem Kopf an die Wand. »Ich liebe deinen Schwanz.«

Er lacht leise, dringt tiefer in mich ein, und sein Griff um meine Schenkel ist so fest, dass es beinahe wehtut. »Zeig es mir«, sagt er, saugt an meinem Ohrläppchen und beißt hinein. »Zeig mir, wie sehr du meinen Schwanz liebst.«

Mehr braucht es nicht, und ich explodiere, helle Lichter blenden mich, und während er mich weiterfickt, bohre ich ihm die Nägel in die Schultern.

»So ist es gut, Schönheit. Gibs mir.«

Ein paarmal dringt er noch tief in mich ein, dann presst er die Hüften an mich, sein dunkles Stöhnen geht mir durch Mark und Bein und sein Schwanz zuckt wild in mir.

Langsam komme ich wieder zu mir, begreife, was gerade passiert ist und wo ich bin.

Was mein Auftrag war.

Er lässt meine zitternden Beine los, streicht mir mit den Fingerspitzen über die Oberschenkel, packt mich an den Seiten und drückt die Stirn an meine. »Sag mir deinen Namen«, flüstert er.

Ich schweige, stoße ihn weg und drehe mich um. Meine Glieder beben immer noch davon, wie er mich gerade genommen hat.

Definitiv der beste Sex, den ich je hatte.

Plötzlich kommt mir die Luft stickig vor, und ich muss weg. Sofort.

Mir gefällt nicht, was er in mir auslöst. Dass ich ihm meinen Namen sagen will. Ich möchte ihn fragen, was er vorhat, wer seine Freunde sind, und so läuft das nicht bei mir.

So bin ich nicht.

Stattdessen wirbele ich herum, ich habe das Gefühl, als würden die Wände immer näher kommen. Ich gehe zu ihm, lege ihm die Hand in den Nacken, stelle mich auf die Zehenspitzen und drücke ihm einen sanften Kuss auf die geschwollenen Lippen.

Sein Blick verdüstert sich.

Dann verlasse ich so schnell wie möglich die Toilette, damit er mir nicht folgt.

Was er nicht tut.

Und als ich drei Stunden später Andrew, dem Barkeeper, in der Seitengasse eine Kugel in den Hals jage und zusehe, wie er die Fälschung fallen lässt, auf die Knie sinkt und sein Blut das rissige Pflaster tränkt … kann ich nur daran denken, wie gern ich Nicholas meinen Namen gesagt hätte.

Kapitel 3

Nicholas

Ich bin total durcheinander. Und zwar so, dass sich das Gedankenkarussell wie wild dreht und mir die Galle in die Kehle steigt.

Es gibt nicht viel, was mir unter die Haut geht, und noch weniger, was mich beunruhigt, aber jedes Mal, wenn ich meine Schwester Rose ansehe, nagt mein schlechtes Gewissen an mir wie ein Specht, der an einem Baum pickt. Dass ich sie heute zum letzten Mal für wer weiß wie lange sehe, macht es noch schlimmer.

Ich ermittele nicht zum ersten Mal verdeckt, aber zum ersten Mal, seit wir nur noch zu zweit sind. Seit ich sie in den dunklen Gassen Chicagos aufgespürt und ihren Arsch – endlich! – clean in meiner Wohnung geparkt habe.

»Hunger?«, fragt sie, zieht eine Augenbraue hoch und stemmt die Hand in die Hüfte.

»Ich könnte was vertragen.« Ich zucke mit den Schultern, trommele mit den Fingern auf den runden Holztisch und beobachte, wie sie in der winzigen Küche wirbelt. Zappelig schüttet sie Nudeln in einen Topf und fährt sich mit den abgekauten Fingernägeln durch die tiefroten Haare.

»Wann hast du dich das letzte Mal mit deinem Betreuer getroffen?«

Sie zuckt zusammen, legt die Hände auf die Kante des weißen Ofens und lässt mit einem tiefen Seufzer den Kopf hängen. »Fang nicht wieder damit an, Nick.«

»Mach ich ja gar nicht. Ich frag doch nur.«

»Dann hör auf zu fragen«, schnauzt sie.

Es versetzt mir einen Stich, und ich sehe sie stirnrunzelnd an. Mein Blick wandert von den Sommersprossen auf ihrem Gesicht zu den hervorstehenden Hüftknochen, die allerdings nicht mehr ganz so ausgeprägt sind wie früher, und dann zu den Narben und verblassten Malen zwischen ihren Fingern und an ihren Armen.

Sie schnappt sich einen Holzlöffel aus der Schublade zu ihrer Rechten und als sie sie unsanft schließt, klappern die anderen Utensilien darin. »Ich spüre, wie du mich musterst. Lass das.«

Ich ziehe einen Mundwinkel hoch und reibe mir das Kinn, die Stoppeln sind kratzig unter meinen Fingerkuppen. »Hör zu, Kleine …«

»Ich bin drei Jahre älter als du.«

Ich grinse. »Wortklauberei.«

Sie lacht, dreht sich kopfschüttelnd wieder zum Herd und rührt die Pasta um.

Mir zieht sich der Magen zusammen, und mein Gehirn versucht, die Worte aus meinem Mund zu pressen, obwohl ich sie nicht sagen will. Außer der Arbeit ist mir nicht viel wichtig, aber wenn, dann ist es genau hier in diesem Raum. Und sie für unbestimmte Zeit alleinzulassen, verursacht mir Übelkeit.

»Ich muss eine Weile weg.«

Sie lässt die Schultern hängen. »Weshalb?«

Ich lecke mir vorn über die Zähne.

Sie zögert. »Wegen der Arbeit?«

Ich nicke.

Ihr Kopf wippt, die Finger schießen zu ihrem Mund, und sie knabbert daran.

Ich atme geräuschvoll aus, stehe auf, wobei die Stuhlbeine auf dem hässlichen Parkettboden kratzen, und gehe auf sie zu. »Das ist eine ekelhafte Angewohnheit.«

Sie blickt zu mir auf, ihre Lippen umspielt der Anflug eines Lächelns. »Ja, na ja … ich hatte schon schlimmere.«

Mit finsterem Blick schlage ich ihr leicht die Hand aus dem Mund.

Sie lacht leise und dreht sich wieder um, um weiter in den Nudeln zu rühren. »Nimm’s nicht so schwer, Nick. Wenn wir keine Witze über die Vergangenheit machen können, werden wir nie drüber hinwegkommen. Außerdem hilft mir der Humor.«

»Humor soll normalerweise lustig sein.«

»Für deinen schlechten Geschmack kann ich nichts.«

Ich packe sie schnell, ziehe sie an mich, nehme sie in den Schwitzkasten und reibe ihr mit den Knöcheln über die Haare.

Sie kreischt und haut mir mit dem Holzlöffel auf den Arm. »Lass mich los, du Arsch!«

Mir wird warm ums Herz, und die Wärme breitet sich in meinen Gliedern aus. Lächelnd gebe ich sie frei, und sie streicht sich fluchend die Haare glatt. Sie sieht mich böse an, geht zur kleinen Vorratskammer an der linken Wand, stellt sich auf die Zehenspitzen, um sich ein Glas zu schnappen, und kommt zurück zum Topf.

Mit jeder Sekunde des Schweigens wird die heitere Stimmung schwerer, bis sie mir wie ein Stein auf der Brust liegt.

»Kannst du mich trotzdem noch besuchen?«, fragt sie.

Ich habe einen Kloß im Hals und schlucke angestrengt. »Ich weiß nicht.«

Sie nickt, wendet sich wieder dem Herd zu und rührt die Tomatensoße unter. Ich schweige, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, und hoffe, dass sie während meiner Abwesenheit zurechtkommt.

*

»Ich will einen Anwalt.«

Ezekiel O’Connor spuckt die Worte mit rauer und tiefer Stimme über den Metalltisch des kleinen Verhörraums. Ezekiel ist ein großer Mann mit breiten Schultern und langen, kastanienbraunen Haaren, die seine Brust berühren, und wäre ich nicht ich, würde er mich bestimmt einschüchtern. Er wirkt wie eine Mischung aus rau und fröhlich, als würde er dir eins mit seinem Bier überziehen, dir dann aufhelfen und dir ein Neues ausgeben.

»Klar.« Grinsend lehne ich mich zurück, bis die vorderen beiden Stuhlbeine vom Boden abheben, lasse den Blick über die kahlen grauen Wände und den abgedunkelten venezianischen Spiegel wandern. »Aber wir sind doch bloß ein paar Typen, die sich unterhalten, oder?«

Seine goldenen Augen verengen sich.

»Es sei denn …« Ich seufze, fahre mir durch die Haare, und die leichten Wellen fallen sofort wieder an ihren Platz. »Vergiss es.«

Er beißt die Zähne zusammen.

»Gott, fang nicht mit dem Scheiß an, Woodsworth«, stöhnt Seth neben mir. »Du weißt doch, dass ich es nicht leiden kann, wenn du ›vergiss es‹ sagst wie eine Frau.«

Ich zeige auf Seth. »Du bist ein sexistischer Arsch. Und ich will den Kerl doch bloß nicht erschrecken.« Ich deute in Ezekiels Richtung und beobachte, wie er sich leicht nach vorne beugt, als würde er uns zuhören, ohne dass er es sich anmerken lassen will. Diesen Teil des Verhörs mag ich am liebsten. Die Psychospielchen. Das Hin und Her. Wir sagen den Leuten nicht direkt, was auf sie zukommt, wenn sie nicht kooperieren, aber normalerweise reichen ein paar subtile Andeutungen. Eine Kunst, die Seth und ich beherrschen.

Ezekiel wippt so schnell mit dem Bein, dass der Tisch wackelt. »Ich will keine verdammte Ratte sein, Mann.«

»Tja …« Ich atme aus und schnappe mir beim Aufstehen die Lederjacke von der Stuhllehne. »Entweder wir oder Knast.«

»Ja«, brummt er und fährt sich über den braunen Dutt.

»Du kannst es immer noch versuchen«, mischt sich Seth ein. »Dein Vater hat doch bestimmt Beziehungen, oder?«

Ezekiels Blick verdüstert sich, und er trommelt mit den Fingern auf die Tischplatte.

»Oh.« Seth schüttelt den Kopf. »Stimmt, das habe ich vergessen. Mein Fehler, Mann.«

»Was denn?«, frage ich, obwohl ich die Antwort kenne. Ich bin angespannt, weil es riskant ist, mein Gesicht einem Mann zu zeigen, der Mitglied der kriminellen Organisation ist, die ich infiltrieren soll. Ich bin von unserem Vorgehen überzeugt, denn wenn ich mich zeige, können wir schneller Vertrauen aufbauen, aber es gibt immer wieder Momente der Angst, die das Fundament der Anfangsphase erschüttern.

Seth presst die Lippen zusammen, sieht Ezekiel an, dann wendet er sich mir zu. »Sein Vater ist im Gefängnis gestorben.«

Ich nicke und reibe mir das Kinn. »Ach ja.« Ich drehe mich um und schaue Ezekiel an. »Wie war das noch mal? Er wurde mit siebenundvierzig Messerstichen durchlöchert und erhängt in der Dusche gefunden?«

Sein Kinn zittert, er hat die großen Hände zu Fäusten geballt.

Es ist ein Glücksspiel, Ezekiels Vater zu nutzen, damit er einknickt. Wir verlassen uns auf Gerüchte – das Geflüster, das andere Agents bei der grundlegenden Aufklärungsarbeit in seine Akte geschrieben haben und das besagt, dass er Angst hat, wie sein Dad zu enden.

Ich pfeife und werfe mir die Jacke über. »Hoffentlich sind sie nicht nachtragend.«

»Na schön«, schnauzt er. »Ich bin dabei, aber wenn das rauskommt, wenn die Scheiße schiefgeht – dann bringen sie mich um.«

Erleichterung durchflutet mich wie Wasser aus einem gebrochenen Damm.

»Dann versau es nicht.« Ich stütze mich mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte und begegne Ezekiels goldenem Blick. »Erzähl mir von Dorothy Westerly.«

Kapitel 4

Evelina

 

»Willst du auch was?«, fragt Ezekiel und lässt sich auf den Küchenstuhl mir gegenüber fallen. Der Gestank seines Brathähnchens mit Bratensoße wabert über den kleinen runden Tisch zu mir. Die Küche ist riesig, und trotzdem setzt er sich ausgerechnet direkt neben mich. Auch wenn er den ganzen Tag unterwegs war, muss er mir jetzt nicht so auf die Pelle rücken.

Ich rümpfe die Nase, blicke von meinem kleinen schwarzen Notizbuch auf und schüttele den Kopf.

Er lacht. »Ich hab vergessen, dass du diesen Vegankram machst.«

»Das ist kein Kram«, schnauze ich.

»Was dann?« Er zieht die kastanienbraune Augenbraue hoch und schiebt sich die Hühnerkeule zur Hälfte in den Mund.