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Freya Dass meine beste Freundin kurzerhand beschließen musste, in einen anderen Bundesstaat zu ziehen, ist nur einer der Gründe dafür, wieso es sich anfühlt, als würde mein Leben den Bach runtergehen. Die Einladung auf eine entlegene Farm mitten im Nirgendwo klingt wie die perfekte Möglichkeit, meine Gedanken zu sortieren, also zögere ich nicht lange. Doch schon bald bemerke ich, dass das Schicksal offenbar noch mehr für mich in petto hat. Ob gut oder schlecht – das habe ich noch nicht entschieden … Dexter Der Mondwahnsinn ist näher denn je. Wenn ich nicht bald eine Gefährtin finde, bekomme ich ernsthafte Schwierigkeiten. Eines Tages stehe ich plötzlich Freya gegenüber, und meine Welt steht Kopf. Sie ist die Eine – und sie ist ein Mensch. Etwas, das ich nie gewollt habe. Endlich ist mein persönlicher Frieden zum Greifen nah, doch ich zögere. Und dann ist da auch noch dieser Schneesturm, der weitaus größere Gefahren verbirgt als meine eigenen, schwer zu kontrollierenden Gefühle. Ich werde mich entscheiden müssen – für oder gegen meine eigenen Instinkte. Der zweite Band der Wulfen-Reihe von Emma S. Rose – spannend, prickelnd und anders als sonst. Achtung: Es handelt sich um eine Paranormal-Romance mit Gestaltwandlern und unterscheidet sich daher von den anderen Büchern der Autorin. Eines ist jedoch gleich geblieben: Die Liebe spielt die zentrale Rolle!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Für die einsamen Seelen,
die noch immer ihren Gefährten suchen.
Gebt nicht auf! Die Suche lohnt sich.
Die Liebe besteht aus einer einzigen Seele, die zwei Körper bewohnt.
ARISTOTELES
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Epilog
Danksagung
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Über den Autor
Wulfenbrüder - Dexter & Freya
1. Auflage
Februar 2022
© Emma S. Rose
Rogue Books, Inh. Carolin Veiland, Franz – Mehring – Str. 70, 08058 Zwickau
Buchcoverdesign: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung Stockgrafiken von Katrina Leigh; Denis Andricic; AlenD; Devotion / Shutterstock
Alle Rechte sind der Autorin vorbehalten.
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit der ausdrücklichen schriftlichen Genehmigung der Autorin gestattet.
Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes in andere Sprachen, liegen alleine bei der Autorin. Zuwiderhandlungen sind strafbar und verpflichten zu entsprechendem Schadensersatz.
Sämtliche Figuren und Orte in der Geschichte sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit bestehenden Personen und Orten entspringen dem Zufall und sind nicht von der Autorin beabsichtigt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
»Da bist du ja!«
Elenas Stimme dröhnte quer durch die zugegebenermaßen relativ leere Empfangshalle des Flughafens in Boise, Idaho. Lächelnd ließ ich den Griff meines Koffers los, breitete die Arme aus und ließ zu, dass Elena mich praktisch ansprang – was schon etwas ungünstig war, wenn man bedachte, dass sie mehr als einen Kopf größer war als ich. Ihr Überschwang brachte mich zwar nicht zum Fall, dafür aber herzlich zum Lachen. Für einen Moment vergaß ich alles um mich herum, vergrub mein Gesicht in ihrem Wollmantel und atmete tief durch.
Endlich hatte ich meine beste Freundin wieder. Und ich war im Nirgendwo angekommen.
Normalerweise bezeichnete ich mich nicht gerade als Großstadt-Tusse, insbesondere, wenn man bedachte, wo ich meine ersten Lebensjahre verbracht hatte, aber das hier war dann doch … wie ein kleiner Kulturschock für mich. Mein Flug war vor weniger als einer Stunde in Seattle gestartet. Eine kleinere Maschine der Alaska Airlines hatte mich und etwa fünfzig weitere Passagiere in den anderen Bundesstaat geflogen, der laut Wikipedia-Eintrag zu den am dünnsten besiedelten Staaten der USA gehörte. Weil ich erst einen Flug um 17 Uhr ergattert hatte, war es bereits stockdunkel draußen, ich hatte also nicht gerade die Aussicht genießen können, während wir uns dem Ziel genähert hatten. Dennoch hatte ich bereits ein mehr als deutliches Bild vor Augen, wo ich mich nun befand – oder genauer gesagt, wo ich mich befinden würde, sobald wir die Stadtgrenze hinter uns ließen.
Wie gesagt, vor weniger als einer Stunde hatte ich mich noch in der Metropole Seattle mit dem vollgestopften, lebendigen Flughafen befunden. Nun war ich in Boise, an einem Flughafen, an dem man das Echo hören konnte, wenn man laut rief – übertrieben gesagt. Der Gegensatz hätte nicht deutlicher sein können. Definitiv keine Großstadt-Tusse, und doch von diesem gewaltigen Gegensatz überwältigt.
Nun, ich schob erst einmal all die rasenden Gedanken beiseite und genoss die Wiedervereinigung mit meiner besten Freundin, die ich seit ihrem überstürzten Aufbruch Anfang November nicht mehr gesehen hatte. Etwas in mir fiel endlich wieder an den rechten Fleck. »Gott, Ela. Ich habe dich so vermisst!«, brachte ich krächzend hervor. Endlich war der Stress der letzten Wochen wie fortgewaschen. Ich atmete ihren fruchtigen Duft ein und fühlte mich einfach … zuhause. Irgendwo im Nirgendwo.
Alleine das sagte doch bereits mehr als genug über meinen aktuellen Gemütszustand aus.
»Wie war der Flug? Hat alles gut geklappt?« Elena schob mich von sich, um mir forschend in die Augen zu blicken. Etwas war anders an ihr, doch ich konnte nicht recht sagen, was. »Hast du deine Sachen so weit zusammen? Ist das die wärmste Jacke, die du auftreiben konntest? Draußen ist es wirklich arschkalt.«
»Ja, Mama. Das ist meine wärmste Jacke. Und ich bin nicht aus Zucker. In Seattle ist auch Winter, falls du das bereits vergessen hast …«
»Das kann man nicht miteinander vergleichen«, fiel Elena mir lachend ins Wort. »Glaub’s mir. Anfangs wollte ich das auch nicht wahrhaben, aber du weißt erst, was Kälte ist, wenn du ein paar Tage hier verbracht hast. Das Nasskalte in Seattle ist nichts gegen einen richtigen Wintersturm. Aber du hast Glück. Heute ist es einfach nur arschkalt, nicht auch noch windig. Komm, bringen wir deinen Kram zum Auto.«
Elena griff nach meinem großen Koffer, und ehe ich es verhindern konnte, zog sie das schwere Ding mit sich und ließ mich mit meinem Handgepäck zurück. Ich wollte protestieren, schluckte die Worte jedoch im letzten Moment herunter. Ich war müde von diesem aufreibenden Tag und insgeheim mehr als froh, wenn ich die verdammten Stiefel loswerden und meine Beine hochlegen konnte. »Äh, gibt es hier wohl irgendwo einen Starbucks oder so? Ich könnte einen Kaffee gebrauchen. Wir sind doch sicher noch ein Weilchen unterwegs, nicht wahr?«
Elena wurde langsamer, warf mir einen beinahe mitleidigen Blick zu. »Starbucks haben wir nicht, aber im Foodcourt hättest du dir beim Bagel-Shop einen Kaffee holen können. Nicht schlimm, ich glaube, in der Nähe gibt es eine Filiale. Wir könnten einen Abstecher machen, ehe wir zur Farm fahren …«
»Nein, schon gut.« Seufzend strich ich mir eine Strähne meines Haares aus der Stirn. »Lass uns einfach direkt fahren. Ich bin mir sicher, ich kann mein Koffeindefizit auch bei euch ausgleichen.«
Elena grinste mich an. »Bist du dir sicher? Ich weiß genau, was es bedeutet, wenn du Kaffee brauchst …«
Mit wenigen schnellen Schritten hatte ich zu ihr aufgeschlossen und stieß sie mit der Schulter an. »Hör auf, so blöd daherzureden, und bring mich lieber zum Auto. Mag sein, dass der Flug nur eine Dreiviertelstunde ging, aber ich bin trotzdem schon ein paar Stunden unterwegs und völlig fertig. Du weißt, dass ich tausend Tode durchstehen musste, während wir abgehoben sind, und alles nur, damit wir uns wiedersehen …«
»Du hättest ja auch fahren können«, warf Elena ungerührt ein.
Ich hob beide Augenbrauen. »Klar. Lieber sieben Stunden Autofahrt statt keiner Stunde Flug. Liegt natürlich völlig auf der Hand, wofür ich mich entscheide. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass ich gar kein Auto besitze, Miss Neunmalklug!« Ich lachte los, Elena fiel in mein Gelächter ein. Grinsend hakte ich mich bei ihr unter, und gemeinsam steuerten wir das Parkhaus an, wo meine beste Freundin mich zu einem ziemlich protzigen Jeep führte, der für mich wie eine Art Edelvariante eines Farm-Wagens daherkam. Ich pfiff lautstark, während sie jeglichen Zweifel beseitigte und den Wagen mit einem deutlichen Piepen entriegelte. »Ist das deiner?«
Elena hielt inne – und nun war sie diejenige, die laut loslachte. »Nein, bist du verrückt? Der Wagen gehört Dean. Ich kann ihn aber jederzeit benutzen.« Ihr Schmunzeln wurde verschwörerisch. »Und weißt du, was das Beste an ihm ist?«
Ich hob eine Augenbraue, stemmte eine Hand in die Seite und musterte sie wortlos.
Elena tätschelte das Auto wie einen braven Gaul. »Er hat eine Sitzheizung.«
Nun, an dieser Stelle musste ich tatsächlich anerkennend aufstöhnen. Sitzheizung klang definitiv gut, egal zu welcher Jahreszeit.
Wir hievten meine Koffer ins Heck des Wagens, der meiner Meinung nach viel zu sauber war und daher meinen Eindruck eines Möchtegern-Jeeps in Luxusvariante bestätigte. Während ich auf den Beifahrersitz kletterte, zog ich mein Handy aus der Tasche, um es aus dem Flugmodus zu holen. Noch im selben Moment bereute ich die Entscheidung. Eine wahre Flut an Benachrichtigungen prasselte auf mich nieder, angefangen mit einigen Mails von der Arbeit bis hin zu diversen entgangenen Anrufen und Nachrichten von meinem Bruder, der es zwar sicher nur gut meinte, die Last auf meinen Schultern dadurch aber nur anwachsen ließ. Einer der Gründe, wieso ich so bereitwillig meine Koffer gepackt hatte und nach Idaho geflogen war, als Elena mich mal wieder eingeladen hatte. Meine eben erst gestiegene Laune erhielt einen gewaltigen Dämpfer. Genervt stellte ich das Handy auf lautlos und schob es in meine Hosentasche, wo ich es besser den Rest des Tages lassen würde. Idealerweise beachtete ich es für die Dauer meines Aufenthaltes gar nicht mehr, aber das würde ich nicht schaffen.
Leider.
Nun, ich würde klein anfangen müssen.
Obwohl es bereits dunkel war, klebte ich an der Scheibe und ließ meine neue Umgebung auf mich wirken. Elena fuhr verdammt sicher, dafür, dass sie in Seattle nicht einmal hinterm Steuer gesessen hatte. Sie plauderte ein wenig belangloses Zeug über Boise und Umgebung, dem ich nur mit halbem Ohr lauschte. Zum einen, weil ein Teil meiner Gedanken immer noch bei den drängenden Kontaktversuchen meines Bruders war, zum anderen, weil uns beiden klar war, dass es Themen gab, die eigentlich viel wichtiger waren. Zum Beispiel die Frage, warum zum Teufel Elena damals so überstürzt abgehauen war, und ob ihr neues Umfeld sie wirklich so glücklich machte, wie sie behauptete. Wir hatten in den vergangenen Wochen nur telefoniert, uns ein einziges Mal per Videochat gesehen. Ich war nicht völlig davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, derart kurzfristig alles hinter sich zu lassen, aber ich hatte auch das Gefühl, dass sie mir einige Dinge verschwieg. Diese Überzeugung war in den vergangenen Wochen langsam in mir gewachsen, und es schien, als würde sie genau jetzt zwischen uns in der Luft schweben und die Stimmung irgendwie … beeinflussen. Und das nicht unbedingt im positiven Sinne. Ich verkniff mir ein müdes Seufzen.
Wir verließen die Stadt Richtung Südwesten. Ich starrte mit offenem Mund in die Dunkelheit, die uns innerhalb kürzester Zeit verschlang. Die gelegentlichen Straßenlampen schafften es nicht, die Schwärze ausreichend zu durchdringen. Über den Straßenrand hinweg konnte ich kaum etwas ausmachen; abgesehen von gelegentlichen Häusern, die sanft beleuchtet der einrückenden Nacht trotzten.
Diese neue Form der Dunkelheit war … beinahe beängstigend. Ich hatte die vergangenen fünfzehn Jahre meines Lebens ausschließlich innerhalb der Stadtgrenzen Seattles verbracht, wo es eigentlich nie richtig dunkel gewesen war. Zumindest dort, wo ich mich in der Regel aufgehalten hatte. Dass ich meine ersten achtzehn Lebensjahre in Eatonville und damit in einem wesentlich kleineren Ort gelebt hatte, schien ich völlig vergessen zu haben. Seltsam, wie schnell man sich an neue Umstände gewöhnte. Wahrscheinlich würde ich, wenn ich in zwei Wochen nach Seattle zurückkehrte, ernsthafte Probleme mit dem Licht und der Lebendigkeit haben.
Elena ächzte. »Okay, raus mit der Sprache. Wenn es etwas gibt, worüber du reden willst, ehe wir die Farm erreichen, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt. Wenn wir erstmal angekommen sind, ist Dean meistens in der Nähe. Also, nutz die Chance auf Privatsphäre.«
Ich starrte sie an, zerrissen von Sprachlosigkeit und Überraschung. Hatte sie so deutlich gespürt, dass ich ihr einiges zu sagen hatte? Anstatt jedoch wirklich die Chance auf ein Gespräch unter vier Augen zu nutzen und die Fragen zu stellen, die mir seit Monaten auf der Seele brannten, kamen mir zunächst andere Worte über die Lippen. »Aha, klammert er also, oder wie?« Das war so nicht geplant, aber plötzlich eine durchaus logische Erklärung dafür, wieso Elena alles stehen und liegen gelassen hatte … ich keuchte auf. »Im Ernst, Ela. Ist es das? Klammert er? Ist er so ein Psycho, der dich keinen Schritt alleine machen lassen kann? Bist du deshalb hierhergezogen? Zwingt er dich …«
»Freya!«, fiel sie mir ungläubig lachend ins Wort. »Wenn er ein klammernder Psycho wäre, meinst du, er hätte mich alleine zum Flughafen fahren lassen? Damit hätte er doch riskiert, dass ich mich in den nächstbesten Flieger setze und abhaue.«
Ah. Verdammt. Ich hasste es, wenn Logik mir in die Quere kam. »Ich weiß nicht«, erwiderte ich gedehnt. »Vielleicht befindet er sich ja irgendwo im Wagen …«
»Wo denn? Du hast alles gesehen!«
»… oder du stehst auf so etwas?«
Elena schnaubte los, und ich ließ den Gedanken ziehen. Sie wirkte nicht gerade wie eine Frau, die von einem Mann unterdrückt wurde. Und dennoch …
Ich verstand es einfach nicht. Eine Frau wie sie war einfach nicht dafür vorgesehen, so eine Entscheidung zu treffen. Bis heute rätselte ich über ihre wahren Beweggründe. Eine Rechtsassistentin, die ihr gesamtes Leben damit brilliert hatte, durchdacht und zielstrebig ihre Karriere zu verfolgen und alles drumherum aufzubauen, brach nicht einfach so ihre Zelte ab. Nicht bei einem derart vielversprechenden Job in einer renommierten Kanzlei, für den sie so hart gearbeitet hatte. Nicht, wenn sie manchmal nicht einmal in der Lage gewesen war, sich kurzfristig für später am Abend zu verabreden, weil ihr das zu spontan war. Nein. Sie konnte mir nicht weismachen, dass sie innerhalb einer Woche erkannt hatte, dass Dean die Liebe ihres Lebens war und daher wert, alles für ihn stehen und liegen zu lassen.
So etwas war faktisch unmöglich.
Ich atmete tief durch, ehe ich so beiläufig wie möglich zu reden begann. »Erzähl doch mal, wie geht es dir denn jetzt so? Nach all den Wochen hier auf dem Land?«
Elena schnaubte amüsiert. »Diese Frage stellst du mir wirklich jedes Mal, wenn wir telefonieren. Und jedes Mal ist meine Antwort die Gleiche: Es geht mir gut.«
»Gut? Einfach nur gut?«
Sie stöhnte auf. »Es geht mir fantastisch, wenn du es so direkt hören willst. Verdammt, Freya. Ich weiß, dass du auch deshalb hier bist, um mir auf den Zahn zu fühlen, aber du kannst mir ruhig glauben, wenn ich dir sage, dass ich die Entscheidung nicht bereue. Zumindest zu neunzig Prozent.«
»Ach ja?«, stürzte ich mich begierig auf diese letzte Aussage. »Wieso nicht zu einhundert?«
»Wegen dir«, entgegnete sie schlicht – und nahm mir damit jeglichen Wind aus den Segeln. »Du und Dad, ihr seid die Einzigen, die es mir schwer machen. Ich wünschte, uns würden nicht so viele Meilen trennen. Abgesehen davon geht es mir aber ausgezeichnet. Dean ist ein Schatz, ich hätte mir keinen liebevolleren Mann wünschen können. Er sorgt dafür, dass es mir an nichts fehlt, und ich bin jeden Tag aufs Neue dankbar, dass ich ihn kennengelernt habe. Er hat mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt und mir geholfen, als …« Sie stockte, und ich warf ihr einen Blick zu. Die Lichter der Armatur beleuchteten ihr Gesicht nur schwach, doch ich glaubte, so etwas wie Schock in ihrer Miene zu erkennen.
»Wobei hat er dir geholfen?«, hakte ich nach, doch wie schon vermutet, presste Elena die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Ich beschloss, diesen fragwürdigen Nebensatz vielleicht nicht zu vergessen, aber erst einmal fallen zu lassen. Unsere jahrelange Freundschaft verriet mir, dass sie mir ohnehin nichts sagen würde, und das Letzte, was ich wollte, war, dass ich einen Streit vom Zaun brach, kaum dass ich einen Fuß auf die Farm gesetzt hatte. »Klingt auf jeden Fall nach ziemlich ekeliger, klebrig süßer Liebe.«
Elena lachte. Das tat sie ganz schön oft, wie mir auffiel. »Wenn du es so bezeichnen möchtest, ja. Wir sind ziemlich heftig verliebt.«
»Das sollte man auch meinen«, brummte ich leise vor mich hin. »Wenn man mal eben so für einen anderen Kerl in einen neuen Bundesstaat zieht, muss es schon verdammt ernst sein.«
Und das war es, was ich nicht begriff. Wie etwas nach einer Woche … so bedeutungsvoll hatte werden können.
Elena starrte lächelnd nach vorne, während sie uns entspannt durch die Dunkelheit kutschierte.
Ich lehnte mich im Sitz zurück, kniff stöhnend in meinen Nasenrücken und schloss die Augen. Das konstante Surren der Reifen auf dem Asphalt wirkte beruhigend auf mich, und ich spürte, wie die Erschöpfung schon wieder an mir nagte.
»Und wie geht es dir?«
Elenas sorgenvoller Tonfall ließ mich zusammenzucken. Ich warf ihr einen eiligen Blick zu und sah, dass auch sie mich musterte. »Konzentrier dich auf die Straße, verdammt! Oder willst du uns in den Graben befördern?«
»Diese Straße geht nur geradeaus und im Dunkeln sehe ich meilenweit, ob Gegenverkehr kommt. Ich kann durchaus vertreten, dass ich dir mal einen Blick zuwerfe. Entspann dich, Süße. Und jetzt lenk nicht vom Thema ab, ja? Ich spüre, dass du total angespannt bist. Willst du darüber reden, bevor wir die Farm erreichen?«
Die ehrliche Antwort wäre wohl »Ja« gewesen, doch ich fühlte mich nicht bereit dazu, den ganzen Scheiß aufzurollen. Nicht nach diesem Tag und vielleicht auch nicht morgen. Oder überhaupt. Also seufzte ich nur auf. »Nein, ich bin einfach nur verdammt fertig. In der Praxis war die Hölle los, aber das weißt du bereits. Ich wollte ja viel früher vorbeikommen, aber bis vergangene Woche war nicht einmal klar, ob mein Urlaub überhaupt durchgeht. Glaub mir, ich fühle mich, als hätte ich Sodom und Gomorrha hinter mir gelassen. Ich darf gar nicht daran denken, wie die Lage aussieht, wenn ich wiederkomme …« Damit kam ich dem eigentlichen Grund, wieso ich so dermaßen gestresst war, gefährlich nahe, weshalb ich eilig die Richtung wechselte. »Fassen wir zusammen: Ich brauche einfach ein bisschen Abstand und ganz viel Entspannung und hoffe, das bei euch zu bekommen. Meinst du, das kriegen wir hin?«
»Aber sowas von. Das Einzige, was ich dir nicht bieten kann, ist eine Sauna. Aber wir haben einen Whirlpool im Garten, wo wir es uns mit einem Glas Sekt bequem machen können. Und im Ofen wartet deine Lieblingsessen auf dich …«
»Nein!«, rief ich aus. »Lasagne?«
»Ne, Lobster …«, brachte Elena lachend hervor. »Ey! Der Fahrer wird nicht gepikst!«
»Großer Gott. Brauchen wir noch lange, bis wir angekommen sind? Ich hoffe, du hast genug eingeplant.«
Meine beste Freundin schnaubte los. »Natürlich. Ich kenne deinen Appetit. Du könntest beinahe Dean Konkurrenz machen. Ich habe genug, um euch alle satt zu bekommen. Wir brauchen jetzt noch etwa zehn Minuten. Zuhause muss ich nur den Ofen anmachen und die Lasagne aufwärmen. Bis dahin dürfte Dean auch mit der Arbeit fertig sein. Dein offizielles Erholungsprogramm beginnt ab sofort – und ich lasse dich erst gehen, wenn es dir besser geht.«
»Hört, hört«, murmelte ich zustimmend. Wenn es so einfach werden würde, wie sie es darstellte, machte ich drei Kreuze. Und obwohl ich es bezweifelte, klammerte ich mich an dieser Vorstellung fest. Sie war einfach zu gut. Erneut schloss ich die Augen – und dieses Mal öffnete ich sie erst wieder, als wir unser Ziel erreichten.
* * *
»Heilige Scheiße, Ela. Kein Wunder, dass du dich hier wohl fühlst!« Ich pfiff lautstark, während ich mit großen Augen durch die Diele schritt. Die war bereits so groß wie meine halbe Wohnung – oder wie das ganze Appartement von Elena. Schon als wir vor dem Haus geparkt hatten und die Front von den Scheinwerfern beleuchtet worden war, hatte es mir die Sprache verschlagen. Ähnlich wie bei dem Jeep, mit dem Elena mich abgeholt hatte, handelte es sich bei diesem Haus um die Luxusvariante einer Farmhütte, inklusive Veranda, die einmal um das gesamte Haus führte. Die Diele wurde zentral von einer Holztreppe im warmen Honigton beherrscht, die hinauf in den oberen Stock führte. Zu meiner Rechten befand sich eine Garderobe, die auf den ersten Blick bereits von Elenas Sachen dominiert wurde. Zu meiner Linken öffnete sich der Wohnraum, nur abgetrennt durch eine halbhohe Wand und ein paar Balken, die roh und unbehauen wirkten und dem Ganzen einen rustikalen Charme verliehen. Ich konnte eine große, L-förmige Couch erkennen, einen offenen Kamin und die Ecke eines Esstisches. Neben der Treppe gab es zwei weitere Türen, bei der Garderobe noch eine dritte.
»Gästebad, Arbeitszimmer und Küche«, erklärte Elena, als würde sie meine Gedanken lesen. »Oben befinden sich die Schlafzimmer. Eines davon gehört dir. Dean und Dexter bauen die Scheune im Hinterhof zu einem Gästehaus um, doch es gab leider Verzögerungen aufgrund der Kälte, sonst hättest du dort dein eigenes Reich.«
»Dexter?« Ich warf Elena einen fragenden Blick zu, während ich mich aus meinem Mantel schälte. Hier war es muckelig warm, und ich merkte, wie sich der Schweiß an meinem Haaransatz sammelte.
»Deans Bruder. Ich habe sicher schon mal von ihm erzählt. Er wohnt in dem anderen Haus hier auf der Farm, wir sind daran vorbeigefahren.«
»Ah«, stellte ich fest. Ja, stimmt. Da war ein weiteres Gebäude gewesen, aber dem hatte ich keine Aufmerksamkeit geschenkt, weil wir schnurstracks daran vorbeigefahren waren. »Gibt es noch mehr Menschen, die hier wohnen?«
»Nein, das war’s. Aber im Umkreis von zwanzig Meilen gibt es noch ein paar weitere Anwesen, wo Verwandtschaft oder Bekanntschaft von den beiden lebt.« Ein Glitzern trat in Elenas Augen. »Sie stehen sich alle ziemlich nahe. Du wirst bestimmt den einen oder anderen kennenlernen, während du hier bist. Aber jetzt komm erstmal richtig an. Soll ich dir dein Zimmer zeigen? Du könntest dich kurz frisch machen, während ich die Lasagne in den Ofen schiebe.«
»Klingt nicht verkehrt.« Die Aussicht, in bequemere Klamotten zu schlüpfen und etwas kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, war durchaus verlockend. Gerade, als ich nach meinem Koffer griff, flog die Tür zur Küche auf und eine dunkle, mir durchaus bekannte Stimme ertönte.
»Lass ruhig stehen, ich trage deine Sachen nach oben. Hallo Freya, schön, dass du endlich da bist.« Dean breitete die Arme aus, als wollte er mich für eine herzliche Begrüßung an die Brust ziehen – aber hey, das wäre definitiv zu viel des Guten.
Ich zuckte zusammen, ließ meine Hand wieder sinken und konzentrierte mich auf die große Gestalt, die näher trat, zum Glück aber wieder die Arme sinken ließ. Dean war mir alles andere als unsympathisch, aber ich hegte einen gewissen Groll gegen ihn, immerhin hatte er mir meine beste Freundin gestohlen. Abgesehen davon hatte ich ihn bisher ein einziges Mal getroffen. Ihm jetzt herzlich in die Arme zu fallen, kam mir einfach nicht angemessen vor. Mein Lächeln fiel etwas angestrengt aus. »Hallo Dean. Danke, dass ich bei dir unterkommen kann.«
»Bei uns, meinst du«, erwiderte er und warf Elena einen zärtlichen Seitenblick zu, der mir höchst unangenehm war. »Die beste Freundin meiner Frau ist hier immer herzlich willkommen.«
»Äh, ja. Wie auch immer.« Ich erschauderte; dabei konnte ich nicht einmal sagen, wieso. So seltsam war seine Wortwahl gar nicht gewesen. Mit dem Kinn deutete ich Richtung Treppe. »Mein Zimmer ist oben, habt ihr gesagt, ja?«
Augenblicklich konzentrierte Dean sich wieder auf mich. »Genau. Ich bringe dich hoch. Dann kann ich selbst auch in frische Sachen schlüpfen, ehe wir essen.«
»Gute Idee«, stellte Elena grinsend vor. »Ich will kein Heu in der Lasagne.« Sie suchte meinen Blick und zwinkerte, so als wollte sie ihre Worte direkt wieder relativieren. Dennoch hatte ich einige mehr als deutliche Bilder vor Augen, und die sorgten für umso mehr Chaos im Kopf. Von dem Anwesen an sich hatte ich ja gewusst, aber bisher war Dean für mich nur der Anwalt gewesen. Dass er gleichzeitig ein sexy Farmer war, schien mir einfach zu viel des Guten zu sein.
Ich zog eine Grimasse, die Elena mit einem Kichern quittierte, und ließ zu, dass der Farmer-Anwalt mein Gepäck schnappte und es nach oben trug, als wäre es mit Federn gefüllt. Mit etwas Abstand folgte ich ihm die breite Holztreppe hinauf in ein großzügiges Obergeschoss. Ich gab zu, dass mich das Haus überwältigte. Bisher hatte ich nie in meinem Leben so viel Platz zum Wohnen gehabt, geschweige denn, jemanden gekannt, der so viel Raum zur Verfügung hatte. In Seattle wäre dieses Haus kostentechnisch jenseits von Gut und Böse gewesen, doch hier, in dieser ländlichen Region, sah es vermutlich ganz anders aus. Trotzdem fragte ich mich unwillkürlich, wie viel Geld diese Familie besaß, bei mehreren Farmbetrieben und all dieser Fläche. Unwillkürlich dachte ich an diesen irgendwie fehlplatzierten, sauberen Protz-Jeep.
»Hier vorne ist unser Schlafzimmer. Du kannst im Gästezimmer am Ende des Flurs schlafen. Die letzte Tür ist deine.« Dean sprach mit mir, als würde er mich alleine vorschicken, dabei marschierte er mit selbstbewussten Schritten voraus, ohne je langsamer zu werden. Unterwegs deutete er auf die anderen Türen. »Hier ist unser Zimmer, ein Lesezimmer, und hier gibt es noch ein weiteres, kleines Bad. Das kannst du für dich alleine nutzen, unser Bad befindet sich en suite. So, und hier ist dein Reich.« Er schaffte es irgendwie, trotz Gepäck die Tür aufzustoßen, und wich dann zurück, damit ich noch vor ihm den Raum betreten konnte.
Mir stockte einmal mehr der Atem.
Ich stand mitten in einer modernen Version eines romantischen Mädchentraums. Ein Bett samt Himmel stand mittig an der Wand mir gegenüber, darauf der wohl größte Haufen an Kissen, den ich je gesehen hatte. Ich vergaß, dass ein noch praktisch Fremder hinter mir im Türrahmen stand, jauchzte auf und warf mich mit vollem Anlauf auf die Matratze. Sie federte, hieß mich aber auch gleichzeitig mit voller Weichheit willkommen, und ich fiel kopfüber in den Kissenberg, der über mir zusammenbrach.
Gedämpft hörte ich, wie Dean hinter mir lachte und den Rückzug antrat. »Ich denke, in etwa 30 Minuten gibt es Essen. Richte dich in Ruhe ein.«
Erst, als die Tür ins Schloss fiel, drehte ich mich auf den Rücken – quietschte und strampelte mit Armen und Beinen, bis ein paar Kissen zu Boden fielen. Kichernd sackte ich in mich zusammen. Wow. Das war mal eine kindische Reaktion.
Ich atmete tief durch, öffnete meine Augen und ließ den Raum auf mich wirken. Er war großzügig geschnitten, so wie vermutlich alles in diesem Haus. Dicke, warm wirkende Vorhänge befanden sich an dem riesigen, doppelflügeligen Fenster zu meiner Rechten. Neben dem Bett gab es noch einen großen, rustikalen Kleiderschrank, den jemand im Shabby-Chic-Stil gestrichen hatte. Eine dazu passende Kommode stand neben der Tür und damit gegenüber vom Bett. Es gab sogar einen Fernseher, der locker über 40 Zoll maß und an der Wand über der Kommode angebracht war. Der Dielenboden war mit einem weichen Teppich bedeckt, der etwa die Hälfte des Raumes einnahm. Es roch sanft nach Vanille und frisch gebackenem Brot.
Nach Heimeligkeit.
Ich seufzte auf.
Damit kam dieses Zimmer einer Oase der Erholung wesentlich näher, als es meine Wohnung in den letzten Wochen je geschafft hatte.
Obwohl ich am liebsten ewig auf diesem ultrabequemen Bett liegen geblieben wäre, rappelte ich mich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Ich beschloss, als Erstes die Vorhänge zuzuziehen. Wahrscheinlich gab es weit und breit niemanden, der in der Dunkelheit sitzen und in mein hellerleuchtetes Zimmer spähen konnte, während ich mich umzog, aber ich kam aus Seattle, wo die Verhältnisse anders waren, und bei dem Gedanken, mich vor offenem Fenster zu entblößen, erschauderte ich. Ich griff nach dem samtigen Vorhang, doch gerade, als ich ihn zuziehen wollte, entdeckte ich einen Schatten, der sich in der Dunkelheit bewegte, und erstarrte. Eilig schob ich mich zur Seite, lugte aber mit rasendem Herzen nach draußen, doch was auch immer ich meinte, gesehen zu haben, es war nicht mehr da. In der Dunkelheit bewegte sich rein gar nichts mehr. Ich starrte noch eine Weile nach draußen, doch mehr als unbewegte Dunkelheit war nicht zu sehen. Ich lachte leise auf. »Komm schon, Freya. Sei nicht so ein Hase.« Ich zog die Vorhänge ruckartig zu und schüttelte über mich selbst den Kopf. Wenn dort draußen wirklich etwas gewesen war, dann nichts weiter als ein Tier. Sollte wohl vorkommen in der Wildnis, wie ich diese Umgebung hier insgeheim bezeichnete. Ganz sicher hatte dort draußen kein Spanner gesessen und darauf gewartet, dass ich eine Show ablieferte. Alleine, dass ich diesen Gedanken für einen kurzen Moment gehegt hatte, kam mir bereits lächerlich vor.
Während ich meinen Koffer aufs Bett warf, um ein paar frische, bequeme Klamotten rauszuziehen, versuchte ich, das leichte Gefühl von Beklemmung abzuschütteln. Es mischte sich mit der Belustigung über mich selbst, aber abgesehen davon war es leider hartnäckig.
Gott, ich war wirklich bescheuert. Es wurde definitiv Zeit, dass ich nach unten zu meiner besten Freundin kam. Ihre Gesellschaft würde mich schon auf andere Gedanken bringen. Außerdem wartete dort die beste Lasagne auf mich, die ich mir nur vorstellen konnte.
Lasagne, ein Glas Wein und gute Gesellschaft. Alles, was ich an diesem Abend noch brauchte, um glücklich zu sein. Keine ominösen Schatten. Keine Nachrichten von meinem Bruder oder der Arbeit.
Ich würde ab sofort abschalten, jawohl.
Mein Magen grummelte zustimmend.
Der verdammte Mondwahnsinn.
Ich schüttelte den Kopf, während ich versuchte, die Unruhe loszuwerden, die mich mittlerweile gar nicht mehr verließ, rund um den Vollmond herum jedoch besonders unangenehm wurde. Zwei Wochen noch, bis es wieder so weit war, und der innere Druck wuchs an. Jedes Mal ein bisschen mehr. Ich wusste nicht, was geschehen würde, wenn es schlimmer und schlimmer wurde. Schon jetzt fühlte es sich an, als wollte mein innerer Wolf sich winselnd zusammenrollen und die Welt ausblenden – oder mich einfach verschlingen. Wahlweise beides, im schnellen Wechsel. Und das machte einen wirklich wahnsinnig.
Ich war bereits seit kurz nach fünf auf den Beinen, und das, obwohl ich erst weit nach Mitternacht in mein Bett gefallen war. Ich schlief selten länger als fünf Stunden, und die auch nie am Stück. Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nicht mehr, was es bedeutete, erholt zu sein.
Und das spitzte sich von Monat zu Monat weiter zu.
Leise vor mich hin grollend, riss ich mir die Jacke von den Schultern und hing sie zu den anderen an die Garderobe. Während ich die groben Arbeitsstiefel von den Füßen kickte, wanderte ich in Gedanken bereits zu meinen heutigen Aufgaben. Am Vortag war eines der Rinder ausgebrochen. Ich hatte die Schwachstelle im Zaun geflickt, wollte heute aber die gesamte Weide überprüfen und nachsehen, ob es weitere Stellen gab, die einer Reparatur bedurften. Dean hatte zugesagt, mir dabei zu helfen, aber seine Gefährtin hatte seit gestern Besuch, und wer wusste schon, was die zwei Frauen von meinem Bruder verlangten. Frauen, die aus der Stadt kamen und mit Sicherheit ein wenig Programm wünschten.
Menschen.
Obwohl ich mittlerweile einige Zeit gehabt hatte, um mich daran zu gewöhnen, erfüllte mich immer noch ein gewisses Unbehagen, wenn ich daran dachte, dass mein Bruder sich ausgerechnet auf Elena hatte einlassen müssen. Es widersprach der Natur der Gestaltwandler, sich mit dieser Spezies zu mischen, die absolut unwissend war, was unsere Existenz betraf. Darüber hinaus kollidierte es mit unserer wichtigsten Rudelregel, Menschen niemals einzuweihen, und es gab einige Mitglieder, die alles andere als einverstanden mit Deans Wahl waren. Der fuhr jedoch eine klare Linie – wer nicht für sie war, war gegen ihn –, was bereits für einige Spannungen gesorgt hatte. Als Rudelanwalt vertrat er unsere Interessen, sobald es nötig war, doch einige von uns, insbesondere die Älteren, vermieden aktuell jeden Kontakt zu ihm, was die Ausführung seiner Aufgaben erschwerte. Gut, dass wir mittlerweile ein eher zurückgezogenes Rudel waren. Wir hatten uns mit einem ruhigen Leben in relativer Abgeschiedenheit arrangiert, seitdem wir vor einigen Jahren durch ein paar erbitterte Auseinandersetzungen mit einem anderen Rudel empfindlich ausgedünnt worden waren. Eine Zeit, an die nicht nur Dean und ich ungern zurückdachten, weil sie uns unsere Eltern gekostet hatte. Es gab einige weitere Wölfe, die deshalb ohne Eltern aufwachsen mussten, Nola zum Beispiel, die mittlerweile in Boise lebte, oder die Crimson-Brüder. Damals wären wir beinahe auseinandergebrochen, und es hatte einiges an Aufräumarbeiten seitens Alpha Greystone bedurft, um die versprengten Reste wieder zusammenzuführen. Seitdem war einiges geschehen. Wir hatten die Fehde mit dem südlichen Rudel beigelegt, das geforderte Land abgegeben, um unseren Frieden zu finden, und uns neu fokussiert. Die meisten von uns hatten sogar eine Position im menschlichen Gefüge gefunden; Jobs, die sie täglich mit ihnen in Interaktion treten ließen. Im Großen und Ganzen ohne Probleme. Während andere Rudel weiterhin im Streit lebten, hatten wir Frieden gefunden.
Dass anhaltende Unruhen nun aus unserer eigenen Mitte entspringen mussten, war beunruhigend.
Einen Großteil davon hatte ich bisher erfolgreich von Dean abschirmen können. Als sein großer Bruder war ich laut Rudelrecht verantwortlich für ihn, umso mehr, seit unsere Eltern in jener Nacht bei der Patrouille gestorben waren. Damals hatte ich die Position als Oberhaupt übernommen, und diesen Posten hatte ich nicht wieder abgegeben. Ich fürchtete ernsthafte Probleme, wenn er mitbekäme, wie teilweise über seine Gefährtin gesprochen wurde. Trotz meiner eigenen anfänglichen Reaktion war auch ich nicht gerade begeistert über das Gerede.