Wulfenbrüder: Dylan&Harper - Emma S. Rose - E-Book

Wulfenbrüder: Dylan&Harper E-Book

Emma S. Rose

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Beschreibung

Harper Freundschaft? Familie? Konzepte, mit denen ich nicht viel anfangen kann. Seit ich in meiner Kindheit auf die harte Tour lernen musste, dass ich nicht genüge, schlage ich mich allein durchs Leben. Nicht unbedingt erfolgreich, aber man kann schließlich nicht alles haben. Nach ein paar Gläsern zu viel wache ich in der Wohnung dieses Fremden auf. Er ist sexy und aufdringlich und gibt mir das Gefühl, die Eine zu sein. Aber das kann nicht sein. Wir kennen uns doch gar nicht! An so etwas wie Liebe auf den ersten Blick glaube ich jedenfalls nicht. Oder …? Dylan Ich liebe es, ein Gestaltwandler zu sein, liebe mein Rudel und die Arbeit auf der Farm – aber vor allem liebe ich meine Freiheit. Für eine Gefährtin bin ich noch lange nicht bereit. Denke ich zumindest. Bis ich sie treffe. Harper ist dickköpfig, eigensinnig und speziell. Alles nicht gerade Eigenschaften, die meine vorherigen Bettgeschichten aufweisen konnten. Und doch scheint sie genau das zu sein, was ich immer brauchte. Schlagartig akzeptiere ich mein Schicksal, doch es gibt einen Haken: Harper scheint ein Problem mit Bindungen haben. Auf mich wartet eine Menge Arbeit … Der dritte Band der Wulfen-Reihe von Emma S. Rose – spannend, prickelnd und anders als sonst. Achtung: Es handelt sich um eine Paranormal-Romance mit Gestaltwandlern und unterscheidet sich daher von den anderen Büchern der Autorin. Eines ist jedoch gleich geblieben: Die Liebe spielt die zentrale Rolle!

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Wulfenbrüder

DYLAN & HARPER

EMMA S. ROSE

Für Marion.

Es gibt nichts Schöneres als geliebt zu werden, geliebt um seiner selbst willen oder vielmehr trotz seiner selbst.

VICTOR HUGO

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog

Danksagung

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Über den Autor

Wulfenbrüder - Dylan&Harper

 

1. Auflage

April 2022

© Emma S. Rose

Rogue Books, Inh. Carolin Veiland, Franz – Mehring – Str. 70, 08058 Zwickau

[email protected]

Buchcoverdesign: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung von Stockgrafiken AlenD; Denis Andricic; Devotion / Shutterstock sowie Rudzhan / Adobe Stock

Alle Rechte sind der Autorin vorbehalten.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit der ausdrücklichen schriftlichen Genehmigung der Autorin gestattet.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes in andere Sprachen, liegen alleine bei der Autorin. Zuwiderhandlungen sind strafbar und verpflichten zu entsprechendem Schadensersatz.

Sämtliche Figuren und Orte in der Geschichte sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit bestehenden Personen und Orten entspringen dem Zufall und sind nicht von der Autorin beabsichtigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

»Fuck!«

Wütend rieb ich über die Stelle, an der mich der verdammte Bulle erwischt hatte, als er an mir vorbeigesprungen war. Knapp 800 Pfund reinste Kraft – dagegen konnte selbst ein ausgewachsener Wolf in Menschengestalt wenig anrichten. Die Rippen waren definitiv geprellt, wenn nicht gar angeknackst. Ich atmete tief durch, ließ mich auf den Schmerz ein, der gleißend durch meinen Körper schoss … und spürte, wie er bereits etwas von seiner Schärfe verlor. Vielleicht also doch nicht gebrochen. Ich wischte mir über die Stirn. Mir ging es nicht einmal primär um den Schmerz an sich, obwohl der nicht zu unterschätzen war. Schon heute Abend würde ich nichts mehr davon spüren.

Wirklich nervig war das Gelächter von Dexter, Jake und Peter, die hinter mir standen und mich beobachteten, als wäre ich eine Ratte in einem verdammten Labor. Langsam drehte ich mich zu ihnen um, stemmte die Hände in die Seiten und reckte das Kinn. Die Mistkerle krümmten sich über den Zaun. Natürlich. »Macht es doch besser, Arschlöcher.« Wohl wissend, dass ich mich verhielt wie ein unreifer Jungwolf, stolzierte ich an ihnen vorbei.

Peter nickte mir zu. »Mach Platz und staune.«

Die Sticheleien der anderen ignorierend, schwang ich mich auf die oberste Latte des Zaunes und sah zu, wie Peter versuchte, das unruhige Tier auf den Anhänger zu treiben.

Normalerweise bauten wir eine Art Gang aus mobilen Zaunelementen von der Weide direkt zum Anhänger, wenn wir Tiere verladen wollten. Da es sich dieses Mal jedoch nur um einen einzigen Jungbullen handelte, den wir verkauften, hatten wir auf diesen Umstand verzichten wollen. Dass besagtes Tier besonders temperamentvoll war und absolut keinen Bock hatte, in den Hänger zu steigen, hatten wir dabei jedoch nicht kalkuliert.

Wir hätten es uns leicht machen, ihn einfach gemeinsam packen und in den Hänger zerren können, doch das käme Quälerei gleich, und die lehnte Dexter ab. Wir alle, um genau zu sein. Dennoch begann die Sache, zu nerven. Das Tier hielt uns nun schon seit zwanzig Minuten auf und wurde zunehmend gestresster. Wenn es nicht bald …

»Seht ihr, so macht man das!« Triumphierend drehte sich Peter zu uns um, deutete eine Verbeugung an und schloss die Klappe des Anhängers mit einem satten Knall.

Super. Großartig. Ich verdrehte die Augen, während ich spöttisch in die Hände klatschte. »Der Tierflüsterer war wieder am Werk, was?«

Peter ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Grinsend wackelte er mit den Augenbrauen. »Wo rohe Kräfte sinnlos walten, geht es nicht vorwärts. Wie oft soll ich euch das noch sagen?«

Ich verkniff mir, darauf hinzuweisen, dass ich alles andere als rohe Kraft hatte walten lassen, und gönnte ihm den Erfolg. Dieser Tage war Peter nicht gerade im Gleichgewicht, was vor allem damit zusammenhing, dass seine Gefährtin für eine Weile bei Freunden in Green River war. Sie hatte ausdrücklich darauf bestanden, alleine zu reisen, was eine erhebliche Diskussion nach sich gezogen hatte. Am Ende hatte sie natürlich gewonnen. Kein Wolf würde je zugeben, dass es die Frauen waren, die die Macht über uns hatten. Sie mussten nur diesen ganz bestimmten Tonfall einschlagen, mit den Wimpern klimpern – und schon hatten sie uns um den Finger gewickelt, verwandelten uns in verdammte Schoßhündchen. Oder genauer gesagt: die anderen. Mich hatte bisher keine Frau derart in die Knie gezwungen.

Nun, Deborah würde bald wiederkommen, und bis dahin kümmerten wir uns um Peters Launen. Wenn er Kraft daraus zog, mich übertrumpft zu haben – bitte. Ich würde diesen Erfolg sicher nicht zerschlagen.

»Also gut.« Jake, der sogar noch in sich gekehrter war als Dexter, tat so, als würde er einen Hut lüften. »Ich mache mich dann mal auf den Weg.« Er warf mir einen Blick zu. »Bleibt es bei heute Abend?«

Jake wohnte ebenso wie ich am Rande von Boise. Gelegentlich gingen wir abends auf ein paar Bier aus, obwohl wir oberflächlich betrachtet nicht unterschiedlicher hätten sein können. Ich nickte ihm zu. »Klar. Wenn die Arbeit erledigt ist, mache ich mich auf den Rückweg. Gib mir Zeit für eine Dusche, dann gehört der Abend uns.«

»Besteht die Chance, dass ich mich euch anschließe?« Peter hob die Augenbrauen. »Ihr wisst schon, wie in guten alten Zeiten.«

Nun konnte ich es mir doch nicht verkneifen, aufzustöhnen. »Aber nur unter einer Bedingung.«

Die Aufmerksamkeit aller lag auf mir.

Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. »Kein Wort über Gefährten. Besser noch, über Frauen im Allgemeinen. Klar?«

Diese Aussage … Sie brachte mir mehrstimmiges Gelächter ein. Ich versuchte, deshalb nicht beleidigt zu sein, wohl wissend, dass die Männer sich aufgrund meiner Vorgeschichte amüsierten. Ein leises Grollen konnte ich mir nicht verkneifen, während ich mich abwendete, um in den Stall zu stapfen. Sollten sie doch lachen, aber ich meinte es ernst. Mochte sein, dass ich gelegentlichem Spaß gegenüber aufgeschlossen war. Dabei machte ich auch nicht gerade einen Unterschied zwischen Menschen und unseresgleichen. Doch langsam begann dieses Thema zu nerven. Immerhin war Jake noch ungebunden. Was die anderen Männer der Wulfen-Farm anging … Es wurde immer anstrengender, mit ihrem verdammten Nestbau umzugehen, vor allem, wenn man selbst noch so viel Zeit hatte, ehe man sich festlegen musste. Seit Dean und Dexter ihre Gefährtinnen gefunden hatten, war es ruhig um sie geworden. Nicht, dass ich es ihnen nicht gönnte – für sie war es dringend an der Zeit gewesen, sich zu binden, und ich mochte ihre Frauen, auch wenn sie Menschen waren. Aber wenn man noch weit davon entfernt war, sich zur Ruhe zu setzen, und stattdessen noch ein wenig Spaß haben wollte, wurde es immer schwieriger, in ihrer heilen Welt zu leben. Früher hatten unsere Gespräche sich um Arbeit, Bier und anderes oberflächliches Geplänkel gedreht. Jetzt ging es ständig um ihre Welpen, um Hausbau und all solche Themen, zu denen ich nichts beitragen konnte. Ja, es gab Wölfe, deren oberstes Ziel es nicht war, ihren Partner fürs Leben zu finden und sich ewig zu binden. Irgendwann, sicher, aber nicht jetzt.

Wölfe wie mich, zum Beispiel. Auch wenn das die meisten anderen aus meinem Rudel nicht verstehen konnten.

* * *

Abends trafen wir uns in einer Bar nahe dem Julia Davis Park. Sie war verhältnismäßig unspektakulär, kein Schickimicki-Schuppen oder neumodisch mit irgendwelchen Cocktails, die teurer waren als ein Liter Millers. Einfach Musik, Billard, Dart und Bier. Als ich vor ein paar Jahren das erste Mal hier gewesen war, hatte es nur wenige Besucher gegeben. Mittlerweile teilten wir uns den Laden mit einem weit gestreuten Publikum aus Studenten, Middle-Agern und Junggebliebenen, die es bevorzugten, in Gesellschaft Sportsendungen zu schauen oder eine Kugel zu schieben.

Ärgerlicherweise kam es auch immer häufiger zu Junggesellinnenabschieden und anderen Aufläufen von Frauen, die Unruhe in die eher ruhige Atmosphäre der Bar brachten. Nicht, dass ich grundsätzlich ein Frauenfeind war. Ich liebte das weibliche Geschlecht mit all seiner Schönheit, aber in diese Bar ging ich nicht, um Frauen abzuschleppen. Hier wollte ich mein Feierabendbier trinken, gemeinsam schweigen und Billard spielen, nicht etwa sinnlos flirten.

Heute schienen wir jedoch Glück zu haben. Keine wildgewordenen Frauentruppen, dafür eine beginnende Schlägerei um eine Dartscheibe, in die wir uns nicht einmischten. Betrunkene Männer waren amüsant. Betrunkene menschliche Männer. Sie verkamen mitunter zu primitiven Wesen. Nicht, dass unsereins keinen Respekt vor körperlichem Einsatz hatte. Innerhalb des Rudels wurden Streitigkeiten gern auf diesem Weg geklärt. Im Gegensatz zu Menschen hatten wir jedoch keine Probleme mit den typischen Verletzungen einer guten, alten Schlägerei. Gedankenverloren rieb ich meine Seite, gegen die der Bulle früher am Tag geknallt war. Schon jetzt war kaum noch etwas von der Prellung zu spüren. Ich hatte verdammtes Glück gehabt, dass das Vieh mir keine Rippen angeknackst hatte, so viel stand mal fest.

»Witzig wäre es, wenn wir das Gemenge nutzen würden, um den Platz an der Scheibe zu ergattern«, stellte Peter fest, das Bier direkt am Mund. Ein fieses Grinsen umspielte seine Lippen, ehe er einen großen Schluck nahm.

»So schlimm also, ja?«, entgegnete ich amüsiert. »Treibt dich die Sehnsucht so weit?«

Er warf mir einen wütenden Blick zu, doch ehe er etwas erwidern konnte, mischte sich Jake ein.

»Wie war das noch gleich? Keine Gefährtinnen? Also halt auch du deine Klappe, Dylan.«

Ich knurrte leise, gab ihm aber recht. Keine Gefährtinnen, also durfte ich nicht auf dem Thema herumhacken. Jammerschade. Ich hob mein Millers, um den Männern zuzuprosten. »Nun denn. Auf Fäuste und Männerfreundschaft.«

Die beiden tauschten einen Blick, lachten dann aber leise los. »Auf Fäuste und Männerfreundschaft.«

»Und auf den Vollmond«, fügte ich hinzu, wenn auch mehr für mich selbst. Meine Augen zuckten zu den Männern, nur um festzustellen, dass sie ihre Streitigkeiten beiseitegelegt hatten und nun gemeinsam spielten. So lief das in unserer Welt, selbst bei den Menschen. Zu wissen, dass unsere Spezies mehr Gemeinsamkeiten hatte, als viele dachten, erfüllte mich mit grimmiger Befriedigung. Im Vergleich zu vielen der älteren Rudelmitglieder mochte ich die Menschen, und ich verabscheute dieses abgrenzende Denken. Es hatte uns in der Vergangenheit viel zu oft Probleme eingebracht. Einer der Gründe, wieso ich in der Stadt lebte, anstatt zu den anderen aufs Land zu ziehen. Die Wulfen-Brüder hatten mir mehr als einmal ein Stück Land angeboten, um dort ein Haus zu bauen. Platz genug war da, und es würde die Arbeit erleichtern. Irgendwann vielleicht … doch nicht jetzt. Noch lange nicht.

Gefangen zwischen den Traditionen unserer Art und dem Bedürfnis nach Freiheit und eigenen Entscheidungen, fiel es mir in der Stadt leichter, meinen Weg zu gehen.

Die Frage war nur, wie lange diese Flucht vor der Realität noch funktionieren würde, ehe meine Instinkte mich einholten.

Für heute schob ich den Gedanken beiseite. Ich saß in einer Kneipe, trank Bier mit Freunden und hatte keinen Grund, in Grübeleien zu verfallen.

Also schloss ich mit dem Thema ab, verstaute es irgendwo in meinem Hinterstübchen. So wie ich es immer tat, wenn es unangenehm wurde. Manche mochten das als feige betrachten.

Ich bezeichnete es als sorgloses Leben, solange es mir nur möglich war.

»Nein, nein, nein!«

Mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung starrte ich auf den Brief, der irgendwie zwischen die Werbung gerutscht war und daher seit mindestens zwei Wochen keine Beachtung gefunden hatte. Ich versuchte, nicht durchzudrehen, während ich meine Schlamperei verfluchte. Wenn ich direkt alles sortieren würde, wäre mir das nicht passiert. Andererseits – vielleicht wäre der Brief dann auch gemeinsam mit den Prospekten im Müll gelandet, und das wäre auch nicht besser gewesen.

Seufzend fiel ich auf die kleine Bank neben dem Tischchen im Flur und las den Brief erneut, nur für den Fall, dass ich in meiner Aufregung etwas falsch verstanden hatte.

Nope.

Mein Vermieter kündigte mir, und ich konnte es ihm nicht einmal übel nehmen. Ich war mit mindestens drei Kaltmieten im Rückstand. Er hatte mir zwar gesagt, dass er Verständnis für meine Situation hätte, aber am Ende war auch er nur irgendein Kerl, der das Geld vor Augen hatte. Und Geld hatte ich leider absolut nicht genug. Nicht mal im Geringsten. Dass ich seine Avancen vor einem Monat abgewehrt hatte, machte es wohl auch nicht besser.

Ich spürte, wie der schmerzende Druck in meiner Brust stärker wurde. Verdammt. Was ich jetzt brauchte, war Kaffee. Und Schokolade. Ersteres war kein Problem, doch die Schokolade ... nun, ich hatte den letzten Riegel heute Morgen verdrückt. Im Nachhinein betrachtet ziemlich dumm, denn da war es nichts weiter als Appetit gewesen – jetzt jedoch ein so drängendes, nagendes Bedürfnis, dass ich meine Zehen krümmte.

»Ach, verdammt.«

Ich sprang auf, riss meine Jacke vom Haken und streifte sie mir über. Kein Kaffee, keine Schokolade, aber vielleicht ein Drink. Jetzt in dieser Wohnung zu bleiben, würde mir nicht weiterhelfen – im Gegenteil. Wahrscheinlich würde ich hier völlig durchdrehen. Ich brauchte Ablenkung. Gesellschaft. Etwas, das mich von meiner unmittelbaren Zukunft abbringen würde, und wenn es nur für wenige Stunden war.

Seufzend warf ich einen Blick in den Spiegel. Ich sah aus, wie man nach einer langen Schicht nun einmal aussah. Alles andere als frisch. Doch ich hatte keine Lust, noch mal ins Bad zu gehen und mein Make-up zu erneuern. Eigentlich war ich gerade grundsätzlich anti. Vielleicht nicht die beste Voraussetzung, um sich unter die Leute zu mischen – aber egal. In wenigen Wochen würde ich obdachlos sein, sofern ich nicht das große Glück hatte, eine neue Unterkunft zu finden. Wenn es mir zustand, derangiert zu wirken, dann jetzt. Ich fuhr mit den Fingern durch mein Haar, lockerte es etwas auf, streckte meinem Ebenbild die Zunge heraus, weil es immer eine gute Idee war, erwachsen zu agieren, und verließ die 35 Quadratmeter, die ich bislang mein Eigen genannt hatte. Meinen heiligen Rückzugsort.

Nun jedoch war das Ende abzusehen. Wenn das mal kein Grund war, sich volllaufen zu lassen.

* * *

Die kleine Eckkneipe, auf die meine Wahl fiel, war vermutlich der perfekte Ort für meine Laune. Von außen eher heruntergekommen und etwas gammelig, das Verhältnis von Frauen zu Männern unterirdisch, die Beleuchtung schummerig und die Hälfte des Raums vollgestopft mit Billard-Tischen, Dartbrettern und Fernsehern. Natürlich war mir klar, dass ich wie ein bunter Vogel zwischen all den Kerlen wirkte, aber es war mir egal. Ich tänzelte an einem verdammt schmalen Abgrund, der immer bröckeliger wurde, doch immerhin brachte mich das auf andere Gedanken.

Und hey, wenn man keine Kohle für Miete hatte, hatte man auch keine für Drinks. In dem Zusammenhang war es definitiv von Vorteil, wenn es ein paar Kerle gab, die bereitwillig bezahlten.

Gott, ich klang wie ein Flittchen. Dabei war ich das normalerweise nicht, wirklich nicht. Aber an diesem Abend war ich einfach zu gleichen Teilen erfüllt von Verzweiflung und Leere, und mir schien diese Vorgehensweise wie die einzig Richtige.

Während ich also zwischen den einzelnen Gruppen hin und her huschte, mal hier einen Queue in die Hand nahm und da einen Dartpfeil, begann die Mischung aus zimmerwarmem Bier und billigen Schnaps seinen Zweck zu erfüllen. Mein Lachen wurde lauter, der Druck auf meiner Brust leichter. Natürlich würde ich all das morgen bereuen, aber wer war ich, eine solche Gelegenheit ziehen zu lassen? Heute war heute. Morgen war morgen. Und ich hatte mir schon vor geraumer Zeit angewöhnt, von Tag zu Tag zu leben.

Die Musik im Hintergrund war relativ rockig und daher weniger mein Geschmack, aber immer noch ausreichend, um die Hüften schwingen zu lassen. Durchbrochen wurde sie vom gelegentlichen Geschrei der Kerle, die sich irgendeine Sportsendung ansahen. Alles in allem ein Laden, der von Testosteron nur so gefüllt war.

»Hey, Lady, kann ich dir irgendetwas Gutes tun?«

Ich warf einen Blick über die Schulter und sah einen Kerl, der bestimmt zwanzig Jahre älter war als ich, und seine Augen lüstern über meinen Körper wandern ließ. Allzu viel war nicht zu sehen – wie gesagt, ich hatte mich nicht gerade herausgeputzt. Nun. Ihm schien das zu reichen. Seine Augen waren wässrig rot, und sein Atem roch nach zu viel Bier. Anstatt ihn angewidert beiseitezuschieben, lächelte ich ihn jedoch an. »Ne, alles gut. Bin gerade wunschlos glücklich.« Mein Herz schlug kräftig, während ich seine Reaktion abwartete … und mir entwich schwallartig Luft, als er mir verkniffen zulächelte, sich dann aber trollte.

Gott sei Dank.

Ich war verzweifelt, ja. Aber nicht so verzweifelt.

Zum Glück schien es so, als würde ich heute von den ganz unangenehmen Kerlen verschont bleiben, und das, obwohl ich es ja beinahe darauf anlegte, Schwierigkeiten zu bekommen.

Ich leerte mein Glas, knallte es auf die Theke und rutschte vom Hocker, um mich wieder unter die Männer zu mischen.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, aber mein Pegel stieg und eine leise Stimme in meinem Hinterkopf begann, mir zuzuflüstern, dass ich vielleicht besser nach Hause gehen sollte. Morgen würde früh mein Wecker klingeln, und auch so hatte ich bereits genug intus, um meine Entscheidungen bitter zu bereuen. Doch da war diese Blockade; nach Hause zu gehen bedeutete, mich dem Unausweichlichen zu stellen. In Gedanken bereits zu packen und Abschied zu nehmen. Darauf war ich nicht vorbereitet. Ich wollte noch ein wenig länger in dieser angenehm blubbernden Blase schweben, mich von der Wärme treiben lassen, der Sorglosigkeit, die verschwinden würde, sobald ich diese Kneipe verließ.

Nur einen Drink noch, sagte ich mir. Ein Spiel. Ein Lied. Danach wäre immer noch genug Zeit, um zu gehen.

Ob das eine gute Idee war? Vermutlich nicht. Aber wer behauptete schon, dass man zu jeder Zeit gute Ideen haben musste?

Ich jedenfalls ganz sicher nicht.

Nicht zum ersten Mal fiel mein Blick auf die kleine Blondine, die zwischen all den Männern herumtänzelte, als würde der Laden ihr gehören. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich ihre Anwesenheit störte – oder vielmehr der Umstand, dass sie ständig meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

Sie war nichts weiter als eine Fremde, eine von drei Frauen, die heute Abend in der Bar waren, und sie schien es zu genießen, mit all den ahnungslosen Männern zu spielen, die nach und nach ihr Portmonee zückten und ihre Drinks bezahlten. Es gab einen Haufen wenig schmeichelhafte Bezeichnungen für Menschen wie sie, doch ich verkniff sie mir, denn die Wahrheit war, dass auch ich bereits auf solche Verhaltensmuster reingefallen war. In der Regel im vollen Bewusstsein, welche Konsequenzen dies nach sich zog, und mehr als bereitwillig. Einfache Beute, beiderseitiges Einverständnis. Wahrscheinlich würde sie im Laufe des Abends irgendeinen Kerl finden, den sie nach Hause begleitete, weil genau das ihr Plan war. Win-win für beide Seiten – und etwas, das mich nichts anging. Weder war ich in der Laune, sie – oder irgendwen sonst – abzuschleppen, noch suchte sie meine Aufmerksamkeit.

Objektiv gab es also keinen Grund, von dieser Frau genervt zu sein, ebenso wie es keinen Grund dafür gab, ständig zu ihr rüberzuschauen, um sicherzustellen, dass niemand sie zu sehr bedrängte. Ich versuchte, mich auf Jake und Peter zu konzentrieren, die im Laufe des Abends gesprächiger geworden waren, und nippte an meinem Bier – nur um zusammenzuzucken, als ein glockenklares Lachen geradewegs an mein Ohr drang.

Von ihr.

Mann, die Situation begann, ernsthaft zu nerven.

Etwa eine Stunde hielt ich dieses Hin und Her noch aus, ehe ich kapitulierte. Meine Sinne, deutlich geschärfter als die eines Menschen, waren überreizt von ihr und dem ganzen Lärm, und ich war nicht länger in der Laune, dagegen anzukämpfen. »Muss noch kurz pissen«, informierte ich die Männer, »und dann reicht’s für heute.«

»Du schwächelst, was?«, erwiderte Peter grinsend. Jake dagegen wirkte, als wäre ihm ein Aufbruch nur allzu recht. Er verdeckte sein Gähnen hinter der Hand, während er sein Portmonee zückte.

Ich warf ein paar Scheine auf den Tisch, damit sie für mich bezahlten, und schlängelte mich zwischen den Billardtischen hindurch zu der Tür, die zu den Toiletten führte. Dabei verkniff ich es mir, nach der Frau Ausschau zu halten. Nun, wie sich herausstellte, hätte ich sie sowieso nicht gesehen, denn gerade, als ich den kurzen Flur betrat, von dem Damen- und Herrentoilette abzweigten, öffnete sich eine Tür, und niemand anderes als sie stolperte über die Schwelle. Es war meinen übernatürlichen Reflexen geschuldet, dass ich es schaffte, mit einem Schritt bei ihr zu sein und sie am Oberarm zu packen, um Schlimmeres zu verhindern. Wieder flackerte diese irritierende Mischung aus Wut und Fürsorge in mir auf, während ich sie auf die Füße stellte.

»Pass auf, wo du hintrittst!«

Obwohl die Worte nicht viel mehr als ein wütendes Zischen gewesen waren, kicherte die Frau los. »Wieso? Bist du die Spaßpolizei, oder was?«

Es war eine Sache, sie in der Peripherie der Kneipe zwischen all den Kerlen zu hören, aber eine andere, sie direkt vor mir zu haben, wenn sie sprach. Eine Art eiserne Faust legte sich um mein Herz, quetschte es zusammen, was gleichermaßen beklemmend und befreiend war. Meine Augenbrauen schossen in die Höhe, während ich sie losließ, als bestünde ihre Haut aus Säure. »Nun, wenn du es so bezeichnest, dass ich dich daran gehindert habe, auf die Nase zu fliegen, bitte.«

Sie lachte erneut auf. Ich sah, wie ihre Wangen sich verfärbten. Trotz der eher bescheidenen Lichtverhältnisse fiel es mir nicht schwer, zu erkennen, wie sich die delikate Röte bis hinab zu ihrem Hals ausbreitete … und von dort aus sicherlich bis ins Dekolleté. Unser Sehvermögen war selbst in Menschengestalt außerordentlich gut. Etwas daran, wie sie reagierte, sorgte für Unruhe in meiner Magengrube.

»In dem Fall – danke Herr Spaßpolizist und Herr Aufpasser zugleich.« Sie verbeugte sich … oder versuchte es zumindest, denn sie verlor erneut das Gleichgewicht.

Ein weiteres Mal packte ich sie am Oberarm, um sie vor Schlimmerem zu bewahren. Etwas in mir schnappte über. Oder rastete ein.

»Alles klar. Jetzt ist Schluss für dich.« Meine Stimme war nicht viel mehr als ein Knurren, und auch so war ich überzeugt davon, dass ich einen anderen Menschen, der klarer bei Verstand gewesen wäre, längst in die Flucht geschlagen hätte. Doch diese Frau kicherte, als wären ihre Instinkte absolut nicht empfänglich für mich und meine Ausstrahlung. Ich wusste nicht, ob mich das beeindrucken oder vielmehr nerven sollte.

»Spaßpolizei … Ihr Freund und Helfer, wenn Sie zu viel Spaß haben …«

Ich ignorierte ihren nervigen Singsang ebenso wie die Tatsache, dass ich eigentlich hatte pissen wollen, zog sie geradewegs zurück in die nach wie vor belebte Kneipe. Jake und Peter standen neben unserem Tisch, offenkundig aufbruchsbereit. Als sie bemerkten, wen ich mitschleppte, wurden ihre Augen groß.

»Dein Ernst?«, tönte Peter schnarrend. »Ich dachte, dieser Abend sollte weiberfrei bleiben!«

»Bleibt er auch«, zischte ich ihm zu, nicht in der Laune, näher zu erklären, in was ich mich gerade hineinmanövriert hatte. Ich wusste es selbst nicht so genau. »Wir sehen uns Montag, ja?«

Jake nickte mir zu. Seine Mundwinkel zuckten, aber er war klug genug, sich einen Kommentar zu verkneifen. Und Peter? Er schob die Zeigefinger in seine Mundwinkel, um einmal laut zu pfeifen. Am liebsten hätte ich ihm dafür eine runtergehauen. Unter anderen Umständen hätte ich es definitiv getan. Jetzt jedoch hatte ich eine junge Frau im Schlepptau, die dringend nach Hause musste, ehe das hier noch ernsthaft schiefging.

Nicht jeder Kerl war ein Gentleman, der ihre Schwäche respektierte. Nicht, dass ich normalerweise eine blütenreine Weste hatte. Sicher nicht. Aber ich wusste, wo Schluss war. Und eine Frau in diesem Zustand war definitiv die Grenze.

Dummerweise schlug der Alkohol noch einmal so richtig zu, kaum dass wir die stickige Bar verlassen hatten. Eben noch war sie zumindest in der Lage gewesen, mehr oder weniger zu laufen, nun knickten ihr buchstäblich die Beine weg. Die ganze Zeit über hörte sie einfach nicht auf zu kichern, was beinahe manische Züge annahm. Diese Frau war nicht nur angetrunken, sie war total besoffen. Ich sorgte mich ernsthaft, dass sie mir auf die Füße kotzen würde, wenn sie sich nicht zusammenriss, weshalb ich etwas harscher war als nötig.

»Wohin soll ich dich bringen?«

Ihr Kichern hörte nicht auf, bekam aber eine andere Färbung. Verzweiflung? Eine Antwort bekam ich jedoch nicht.

Ich knurrte leise auf. »Wo wohnst du?«

»Das weiß ich nicht mehr lange«, erwiderte sie, zumindest glaubte ich, das zu verstehen, und ihre Worte erfüllten mich mit Verwirrung und Anspannung zugleich.

Ich griff auch ihren anderen Arm, unterdrückte das Bedürfnis, sie zu schütteln, und verzog meinen Mund, weil ihr alkoholgeschwängerter Atem mich traf und dafür sorgte, dass mich ein Schaudern durchlief. »Dein Zuhause. Wo?«

Sie schüttelte den Kopf – und dieses Mal entkam ihr ein Laut, der ganz klar verzweifelt klang.

Etwas in mir riss – vermutlich mein Geduldsfaden. Oder war es die zunehmende Sorge, die so laut in mir knallte? Ich erwartete nicht wirklich, dass sie obdachlos war, doch etwas war definitiv nicht okay. Sie war betrunken, verzweifelt und nicht in der Lage, mir Antworten zu geben. Wahrscheinlich hätte ich sie einfach stehenlassen sollen. Vor mir lag ein Wochenende, das ich ruhig hatte angehen wollen. Ich war nicht für diese Frau verantwortlich – aber ebenso wenig einer der Kerle dort drinnen, die sich mehr erhofft hatten und deshalb fleißig für ihre Drinks aufgekommen waren. Jeder war seines eigenen Glückes Schmied, hatte meine Grandma immer gesagt, doch ich war mir ziemlich sicher, dass sie damit niemals eine Frau wie diese gemeint hatte. Es überstieg meine Fähigkeiten, jemanden wie sie einfach stehen, seinem Schicksal zu überlassen. Nicht in diesem Zustand. Obwohl mir gar nicht gefiel, wie sich die Sache entwickelte, presste ich meine Zähne aufeinander und setzte mich in Bewegung, ohne die Fremde loszulassen.

»Hey«, protestierte sie schwach, doch gleichzeitig folgte sie mir widerstandslos – wenn man ihr betrunkenes Stolpern so bezeichnen mochte.

»Hey«, knurrte ich zurück, mehr zu mir selbst. Genervt. Angespannt. Aber irgendwie auch erfüllt von einer gewissen Wärme; von dem Wissen, dass ich das einzig Richtige tat.

Dylan Keller, einer der ungebundenen Sprösslinge unseres Rudels, nicht gerade bekannt für seine Vernunft, was Frauen betraf.

Und doch führte ich gerade eine von ihnen in meine Wohnung. Ausnahmsweise mal nicht mit dem Ziel, das Bett mit ihr zu teilen.

Interessanterweise erfüllte mich diese Aussicht nicht gerade mit Widerwillen. Ich hatte nichts gegen ehrliche Lust … doch die bekam ich nur, wenn besagte Frauen noch in der Lage waren, gerade zu gehen. Etwas, das ich von dieser Unbekannten nicht behaupten konnte.

Meiner Brust entrang sich ein unwilliges Knurren, während ich sie zur belebteren Broadway Avenue zog, um dort ein Taxi heranzuwinken. Eine verdammte Geldverschwendung. Normalerweise wäre ich die Strecke bis zu meiner Wohnung schnellen Schrittes gelaufen, doch knapp vier Meilen mit einer betrunkenen Frau waren mindestens vier Meilen zu viel.

Ich verdrehte meine Augen. Wieso schaffte ich es eigentlich immer wieder, mich in die Scheiße zu reiten, selbst wenn ich ehrlich versuchte, es nicht zu tun?

Die zarten Sonnenstrahlen eines herrlichen Frühlingsmorgens kitzelten mich wach. Etwas, das unter anderen Umständen angenehm gewesen wäre, beinahe poetisch, sorgte in diesem Moment jedoch für ein unmenschliches Stöhnen, dicht gefolgt von der Erkenntnis, dass etwas in meinem Mund gestorben war. Vermutlich, nachdem es einen Stepptanz in meinem Schädel vollführt hatte, denn … verdammt.

Ich fühlte mich scheiße.

Richtig, richtig scheiße.

Murrend und mich selbst bemitleidend, rollte ich mich auf den Rücken – und zuckte zusammen, als mich die schreckliche Erkenntnis überwältigte, dass ein gestorbenes Tier auf meiner Zunge sowie hämmernde Kopfschmerzen definitiv nicht mein größtes Problem waren.

»Shit!«

Ich richtete mich ruckartig auf, was ein weiterer Fehler war. Ekelerregende Übelkeit überrollte mich hinterhältig, doch sie kam nicht gegen die gleißende Panik an, die mich gleich auf zwei Ebenen erfüllte. Nein, sogar drei.

Erstens: Ich war in einer fremden Wohnung aufgewacht.

Zweitens: Meine eigene Wohnung würde mir nicht mehr lange gehören.

Drittens: Ich hatte hundertprozentig verschlafen – und das war ein Fehler, den ich mir bei meinem Samstagsjob wirklich nicht erlauben durfte.

Obwohl es schwierig war, Schwindel und Übelkeit in den Griff zu bekommen, schwang ich meine Beine aus dem Bett, immer darauf bedacht, nicht loszukotzen. Ich wertete es als gutes Zeichen, dass ich noch dieselben Klamotten vom Vorabend trug – und zwar vollständig. Dennoch befand ich mich in einer denkbar beschissenen Lage. Meine Beine waren wackelig und schwach. Bis zum Bettende schaffte ich es, ehe der Schwindel erneut zunahm – und ich auf die Kante der Matratze sank, bevor ich geradewegs auf den Boden schlagen konnte. Dabei entwich mir ein so jämmerliches Stöhnen, dass ich mich am liebsten selbst erschossen hätte.

Ich war dumm, naiv und hatte mich absolut und vollständig selbst in diese Lage gebracht. Kein Wunder, dass ich nicht einmal fähig war, meine verdammte Miete zu bezahlen, wenn …

»Alles okay?«

Jeder Gedanke erstarrte, ich gefror zu einer Säule, während sich die unbestreitbar männliche Stimme über meine gereizten Nervenenden legte und sie zumindest etwas beruhigte. Dumm. Das war ein Fremder, verdammt. Anstatt durch den offenkundigen Hinweis auf seine Existenz ruhiger zu werden, hätte ich erst recht durchdrehen müssen!

Doch ich tat es nicht, und vermutlich war das ein weiterer Beweis für meine Unfähigkeit, zu überleben. Kapitulierend schloss ich die Augen.

»Ich weiß, dass du dort drinnen bist«, ertönte die Stimme erneut, und ich kam nicht umhin, festzustellen, dass sie irgendwie sexy war. Auf perfekte Art und Weise rau, mit der richtigen Mischung von Timbre und Belustigung. Ein Bild blitzte vor meinen Augen auf: Wie ein fremder Kerl mich daran gehindert hatte, auf die Nase zu fallen. Großer Gott, wie sehr hatte ich mich gestern Abend nur blamiert? Ich begrub mein Gesicht in den Händen. »Okay, betrachte das als letzte Chance. Wenn du nicht reagierst, muss ich leider reinkommen, um sicherzustellen, dass du nicht gerade an deinem eigenen Erbrochenen erstickst …«

»Ich bin wach!«, presste ich eilig, fast schon schockiert hervor. »Kein Grund zur Sorge!«

»Nun, das sehe ich anders.« Seine Stimme war wesentlich gedämpfter, drang dennoch glasklar an mein Ohr.

Obwohl ich mich fühlte, als wäre ich einmal durch die Mangel gedreht worden, flackerte etwas von meinem normalerweise so typischen Kampfgeist auf. »Wie bitte?«

Es dauerte ein paar Sekunden, ehe ich eine Antwort erhielt. »Gegenüber vom Schlafzimmer befindet sich das Bad. Du möchtest dich bestimmt etwas frisch machen. Ich kümmere mich derweil um Frühstück. Klingen Speck und Eier gut für dich?«

Es war auf so vielen Ebenen falsch, mich von einem Fremden zum Frühstück einladen zu lassen, insbesondere, weil ich noch nicht sicher sagen konnte, wieso ich überhaupt hier gelandet war, doch mein Magen grummelte unmissverständlich bei seinem Angebot.

»Schätze, das heißt ja.«

Ich erstarrte erneut – so laut war das Geräusch auch nicht gewesen! Doch ehe ich mich entscheiden konnte, wie ich reagieren sollte, hörte ich bereits, wie sich Schritte entfernten.

Verdammt. Großer Gott. Das hier war wirklich die Krönung jeder Peinlichkeit. »Nie wieder Alkohol«, murmelte ich zu mir selbst. »Ganz besonders nicht, wenn ich eigentlich Kaffee und Schokolade wollte.« Ich blickte mich um, konnte jedoch weder meine Handtasche noch mein Handy entdecken. Hm. Hoffentlich war das hier nicht doch eine Art schrecklicher Hinterhalt, und der Kerl mit der sexy Stimme und dem Frühstücksangebot ein Psychopath, der mich nun gefangen hielt …

Mein Gefühl sagte mir zwar etwas anderes, aber ich durfte jetzt nicht zu naiv werden. Ich ließ meinen Blick schweifen, erkannte jedoch nichts, was ich als Waffe verwenden konnte, wenn man von der Stehlampe in der Ecke neben der Tür absah.

---ENDE DER LESEPROBE---