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Maximilian ist ein aufgeweckter, intelligenter, belesener Junge. Das Leben stellt ihm viele Fragen, und er denkt über Gott und die Welt nach. Doch die Antworten der Erwachsenen helfen ihm nicht weiter, weil sie ihn nicht ernst nehmen, sondern als zu jung für solche Dinge abkanzeln. Das bringt Maximilian gehörig auf die Palme. Sein bester Freund Yasin holt ihn immer runter, wenn Maximilian mal wieder zu explodieren droht. Leonie, seine ältere Schwester, ist ganz auf der Seite ihres Bruders und versteht ihn. Und dann ist da noch Anna. Sie ist nicht nur eine Gleichgesinnte und liebt Bücher so wie Maximilian, sondern wann immer er an sie denkt oder sie trifft, hat er Schmetterlinge im Bauch. Die Geschichte einer ersten zarten Liebe − mit offenem Ausgang ...
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Seitenzahl: 115
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Manfred Mai
WunderbareMöglichkeiten
Roman für Kinder
Fabulus-Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.Copyright Text: © 2016 by Manfred MaiCopyright Umschlagillustration: Quint Buchholz, »Im Land der Bücher« © 2013 by Carl Hanser Verlag, MünchenAlle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Lektorat: Elmar Klupsch, StuttgartUmschlaggestaltung: r2 | röger & röttenbacher, büro für gestaltung, leonberg, unter Verwendung einer Illustration von Quint Buchholz, »Im Land der Bücher«Herstellung: Fabulus-Verlag, FellbachSatz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, LemfördeISBN 978-3-944788-41-8Besuchen Sie uns im Internet unter:www.fabulus-verlag.de
Für meinen Enkel Joshua, der die Welt verändert hat.
Maximilian liegt im Bett und würde sich am liebsten noch mal umdrehen. Aber dann käme in spätestens zwei Minuten seine Mutter herein und würde ihm die Decke wegziehen.
Weil er das nicht ausstehen kann, steht er auf, schlurft erst zur Toilette und dann ins Wohnzimmer, wo sein Handy liegt. Er darf es abends in sein Zimmer nicht mitnehmen und muss morgens erst mal checken, was es Neues gibt.
Nachdem er das getan hat, schlurft Maximilian weiter ins Bad und sieht im Spiegel ein zerknautschtes Gesicht mit kleinen Augen und wirren dunkelblonden Strubbelhaaren. Er streckt seinem Spiegelbild die Zunge raus. Dann füllt er den Zahnputzbecher mit Wasser und spült den Mund aus, um den Nachtgeschmack los zu werden.
»Maxi, beeil dich!«, ruft die Mutter.
Wie kann ich mich beeilen, wenn ich noch nicht mal richtig wach bin? Eigentlich liege ich noch im Bett. Es ist einfach unmenschlich, schon um halb sieben aus dem Schlaf gerissen zu werden. Das gehört per Gesetz verboten: kein Wecken vor neun! Wenn ich Gesetze machen dürfte, wäre das mein erstes. Aber Gesetze dürfen nur die Erwachsenen machen. Das gehört auch verboten! Wird Zeit, dass wir Kids unsere eigenen Gesetze machen.
Maximilian tappt in die Wohnküche und setzt sich grußlos an seinen Platz.
»Guten Morgen!«, sagt die Mutter.
Er nuschelt etwas, das nicht zu verstehen ist.
Seine Mutter nimmt eine Scheibe Brot aus dem Körbchen, streicht Butter drauf und fragt: »Möchtest du Marmelade oder Honig?«
»Egal.«
»Egal gibt’s nicht.«
»Honig«, sagt Maximilian, damit er seine Ruhe hat.
Der Vater kommt im dunklen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte herein. In der einen Hand hat er seinen Aktenkoffer, in der anderen sein Smartphone, auf dem er eine Nachricht liest. Er antwortet kurz, steckt das Smartphone in die Tasche und sagt dann: »Ich muss …«
In diesem Augenblick bemerkt er Maximilian. »Guten Morgen, mein Sohn. So richtig munter siehst du noch nicht aus.«
»Bin ich auch noch nicht«, brummt Maximilian.
»Das wird schon«, sagt der Vater schmunzelnd und wuschelt ihm durch die Haare.
Maximilian zieht das Genick ein.
Der Vater schaut auf die Uhr. »Höchste Zeit, ich muss los!« Er gibt seiner Frau einen Kuss. »Tschüss, ihr beiden! Bis heute Mittag.«
Kaum ist er draußen, kommt Leonie in die Küche. »Guten Morgen«, sagt sie, und es klingt so, als würde sie sich freuen, dass ein neuer Tag beginnt.
Maximilian kann es kaum fassen, wie munter seine Schwester mitten in der Nacht ist. Denn so fühlt er sich noch immer.
Leonie weiß, dass ihr Bruder ein Morgenmuffel ist, und manchmal stichelt sie ihn deswegen. »Du kennst doch bestimmt das Sprichwort ›Morgenstund hat Gold im Mund‹ …«
»Kenn ich nicht«, grummelt er. »Will ich auch gar nicht kennen.«
Leonie grinst.
Die Mutter schiebt Maximilian das Honigbrot unter die Nase. Und obwohl er noch nicht richtig wach ist, weiß er, was sie in der nächsten Sekunde sagen wird: Willst du wieder nichts frühstücken?
»Willst du wieder nichts frühstücken?«, fragt sie Leonie.
Jeden Morgen fragt sie das. Mindestens schon eine Million Mal. Obwohl sie die Antwort kennt, weil Leo ihr mindestens schon eine Million Mal erklärt hat, dass sie um diese Zeit noch nichts runterbringt. Warum kapiert sie das nicht endlich? Wenn wir so lange brauchen würden, bis wir etwas kapieren, gäb’s Hausarrest, Fernsehverbot, schlechte Noten oder alles zusammen. Erwachsene kapieren nichts, aber trotzdem dürfen sie Gesetze machen.
»Ach, Mama, warum fragst du mich das jeden Morgen?«
»Weil es gut wäre …«
»Du weißt doch, dass ich um diese Zeit noch nichts runterbringe …«
»Aber du solltest …«
»Ich esse gleich in der ersten Pause mein Pausenbrot«, sagt Leonie. »Versprochen!«, fügt sie hinzu und macht sich ein Pausenbrot.
Maximilian isst das Honigbrot wie in Zeitlupe und trinkt den Kakao. Dann geht er wieder ins Bad und lässt das Wasser laufen, bis es kalt ist. Aus dem Spiegel schaut ihn immer noch ein verschlafenes Gesicht an. Maximilian atmet tief durch, bildet mit den Händen eine Mulde unter dem Strahl, hält die Luft an, beugt sich übers Waschbecken und schüttet sich das kalte Wasser ins Gesicht.
»Puaaah!«, prustet er, schnappt nach Luft und wiederholt das Ganze. Dann schüttelt er sich wie ein Hund, dass die Tropfen fliegen.
»Geschafft«, sagt er zu sich im Spiegel. »Jetzt bin ich da.«
Als er eine Zahncremewurst auf die Zahnbürste drückt, wird die Tür geöffnet, und Leonie streckt den Kopf herein. »Hast du’s hinter dir?«, fragt sie.
»Danke der Nachfrage, große Schwester. Wie du siehst, weile ich inzwischen unter den Lebenden.«
»Spinner«, sagt sie. »Tschüss! Ich muss los, sonst verpasse ich den Bus.«
»Mögen die Götter dich begleiten und beschützen!«, ruft er ihr noch hinterher.
Weil Maximilian gern Bücher liest und Filme sieht, die in längst vergangenen Zeiten spielen, redet er manchmal so wie die Menschen früher. Solche Sätze aus dem Mund eines Elfjährigen zu hören, verwirrt die Leute, zumal sie nicht in das Jahr 2016 passen.
Er putzt sich die Zähne und schafft es mit reichlich Wasser, etwas Gel und viel Mühe, seine Strubbelhaare einigermaßen zu bändigen.
»Auf in den Tag!«, sagt er zu seinem Spiegelbild. »Möge er dir Freude bereiten!«
Maximilian verlässt das Bad, nimmt seine Schultasche und verabschiedet sich mit den Worten: »Lebt wohl, liebe Mutter. Euer einziger Sohn muss nun in die weite Welt hinaus.«
Sie stutzt einen Moment. Dann schüttelt sie leicht den Kopf, wobei ein Lächeln über ihr Gesicht huscht. »Mach da draußen in der weiten Welt bitte keinen Blödsinn, mein lieber Sohn!«
Das kann ihr Maximilian aber nicht versprechen.
Zwei Häuser weiter wartet Maximilians Freund Yasin. Er kickt einen Tennisball gegen das Garagentor. Als er Maximilian kommen sieht, schießt er den Ball zu ihm. Maximilian stoppt ihn, dribbelt ein wenig und schießt den Ball knapp an Yasin vorbei gegen das Garagentor.
»Krasser Schuss, Alter«, sagt Yasin.
»Sei gegrüßt, bester Freund und Weggefährte«, erwidert Maximilian. »Dein Lob tut meinen Ohren wohl.«
»Lass den Scheiß! Du weißt, dass ich es hasse, wenn du so mit mir redest.«
»Es soll nicht wieder vorkommen.«
»Maxi!«
»Was denn?«
»Halt jetzt einfach mal die Klappe!«, sagt Yasin, der morgens nicht sehr gesprächig ist.
Auf dem Weg zur Schule kickt er den Tennisball vor sich her, ohne noch ein Wort zu sagen.
Warum ist ausgerechnet Yasin mein bester Freund? Er versteht keinen Spaß und lacht nicht über meine Witze. Er sitzt oft am Computer, ich lese lieber. Ihm ist Fußball unheimlich wichtig und mir gar nicht. Ich kicke zwar manchmal mit, aber wenn ich eine Woche lang gegen keinen Ball trete, fehlt mir nichts. Dagegen wäre eine Woche ohne Lesen die Hölle. Ich glaube, dann würde ich Entzugserscheinungen bekommen und das erstbeste Buch verschlingen, das mir in die Hände fiele. Und wenn es ein Kochbuch wäre.
Bei Yasin ist es genau umgekehrt. Er liest zwar ab und zu, aber er könnte garantiert länger ohne Buch als ohne Ball leben. Und trotzdem ist er mein bester Freund. Warum gerade er? Nur weil wir zufällig in der gleichen Straße wohnen? Klar, wenn er mit seinen Eltern oder ich mit meinen in einer anderen Ecke Deutschlands lebte, würden wir uns nicht kennen und wären logischerweise auch keine Freunde.
Aber in dieser Straße wohnen noch mehr Jungen in unserem Alter, Kenan und Paul gehen sogar in unsere Klasse. Die sind beide okay, wir machen auch mal was zusammen, aber keiner von ihnen ist mein Freund geworden. Warum nicht, sondern ausgerechnet Yasin? Ist das alles Zufall, oder steckt dahinter ein Plan? Und wenn ein Plan dahintersteckt, wer hat den gemacht?
»He, pass doch auf, du Arschgesicht!«
Maximilian ist so in Gedanken, dass er Ketchup gar nicht bemerkt hat und ihn beinahe gerammt hätte. Er braucht ein paar Sekunden, bis er sich gefangen hat. »Zähme er seine Zunge, sonst wird er für sein loses Mundwerk bestraft!«
»Hä?«
»Hä?«, äfft Maximilian ihn nach. »Hat ihm seine Mutter nicht beigebracht, richtige Worte zu benutzen?«
»Äh … Worte … du … äh … was laberst du denn da?«, sagt Ketchup. »Du hast doch Scheiße im Hirn!«
»Pfui, welch garstiges Wort!«
Ketchup nimmt die Fäuste hoch.
Yasin geht dazwischen. »Ey, willst du ein Problem, Spacko?«
Mit zwei Gegnern mag Ketchup es nicht aufnehmen und lässt die Fäuste wieder sinken.
»Verpiss dich!«, sagt Yasin.
Ketchup zeigt ihm den Stinkefinger und verzieht sich.
Yasin hebt den Tennisball auf und steckt ihn in die Tasche. Dann gehen er und Maximilian schweigend weiter.
In der ersten Stunde haben sie Mathe bei Herrn Bockisch, den die Schüler nur Bock nennen, weil er ziemlich stur ist.
Ketchup und sein Freund Josip kommen kurz nach Maximilian und Yasin ins Klassenzimmer. Ketchup schlägt Maximilian im Vorbeigehen mit der flachen Hand an den Hinterkopf.
»Au!« ruft Maximilian. »Spinnst du?«
»Ey, du kannst wieder normal texten«, feixt Ketchup. »Mein Alter sagt immer, leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen. Bei dir stimmt’s echt. Sag mal schön danke, du Loser.«
Maximilian gibt ihm einen Stoß, dass er rückwärts taumelt. Josip fängt ihn auf und schubst ihn vorwärts zurück. Ketchup fällt gegen Maximilian, der mitsamt dem Stuhl umkippt.
»He, bist du bescheuert!«, schreit er und versucht mit Händen und Füßen, den über ihm liegenden Ketchup von sich wegzustoßen, schafft es aber nicht. Yasin will ihm helfen, wird jedoch zurückgehalten.
»Was ist denn hier los?«, ruft Herr Bockisch.
Die Mädchen und Jungen flitzen an ihre Plätze. Ketchup und Maximilian rappeln sich hoch. Er hat einen Strubbelkopf wie nach dem Aufstehen. Ein paar Kinder kichern.
»Jakob und Maximilian«, sagt Herr Bockisch, »wer auch sonst?«
»Ketsch … äh, Jakob hat Maxi …«
»Das interessiert mich nicht«, fällt der Lehrer Yasin ins Wort. »Zivilisierte Menschen prügeln sich nicht.«
»Wie können Sie es wagen, mich einen unzivilisierten Menschen zu nennen?«, hat Maximilian schon auf der Zunge, schluckt die Worte aber im letzten Augenblick hinunter.
Herr Bockisch schaut ihn scharf an. »Bring deine Haare in Ordnung, du siehst ja aus wie ein Zombie.«
Zombie! Jetzt reicht’s Maximilian. »Das ist eine …«
Yasin boxt ihn in die Seite und zischt zwischen den Zähnen: »Schnauze!«
»Was wolltest du sagen?«, fragt der Lehrer.
Durch Maximilians Kopf schießen tausend Gedanken, Worte und Sätze.
»Nix«, hört er Yasin sagen.
»Nichts«, sagt er schließlich.
Herr Bockisch wendet sich ab, geht zum Lehrertisch, stellt seine schwarze Tasche auf den Stuhl und schaut in die Klasse. Der großgewachsene Mann hat kurz geschnittene Haare, die an den Schläfen ergraut sind. Er ist leger gekleidet: hellbraune Cordhose, rostfarbener Pulli mit V-Ausschnitt und kariertes Hemd mit offenem Kragen.
»Guten Morgen zusammen!«
»Guten Morgen, Herr Bockisch!«
Maximilian und Yasin beteiligen sich nicht an dem Gruß.
Der Lehrer nimmt das große Geodreieck von der Wand und zeichnet mit Kreide mehrere Flächen an die Tafel. Dann fragt er nach den Gemeinsamkeiten der Flächen. Die ersten Schüler melden sich. Maximilian lässt seine Hand unten, obwohl er sieht, dass es sich um Vierecke handelt. Doch die interessieren ihn jetzt nicht. Er ärgert sich, weil der Lehrer so getan hat, als würde er sich wie Ketchup jeden Tag prügeln.
»Maximilian, ich habe dich etwas gefragt!«
Etwas gefragt? Maximilian schaut hoch und sieht den Lehrer vor der Tafel stehen.
»Du hast natürlich keine Ahnung, worum es geht, weil du mal wieder träumst.«
»Ich habe nicht geträumt, sondern nachgedacht«, widerspricht Maximilian.
»So, so, nachgedacht«, entgegnet Herr Bockisch süffisant. »Darf man erfahren worüber?«
»Nein, großer Meister der Zahlen und Formeln. Es ziemt sich nicht, meine Gedanken erfahren zu wollen.«
»Wie bitte?«
Yasin tritt seinem Freund auf den Fuß.
»Au!«
»Halt die Klappe!«, zischt Yasin.
Doch Maximilian ist nicht mehr zu stoppen und setzt noch eins drauf: »Wie ihr sicher schon gehört habt, großer Meister der Zahlen und Formeln, gelten auch für einen unbedeutenden Schüler wie mich die Menschenrechte. Und so wie es ein Briefgeheimnis gibt, gibt es auch ein Gedankengeheimnis, das nicht verletzt werden darf.«
»Du bist doch nicht ganz dicht im Kopf«, rutscht es dem Lehrer heraus.
»Und Beleidigungen sind auch nicht erlaubt«, kontert Maximilian.
In der Klasse wird getuschelt.
Herr Bockisch wendet sich kurz zur Tafel, dreht sich wieder um, drückt den Rücken durch, stellt Paul die Frage, die er zuvor Maximilian gestellt hat, und macht mit dem Unterricht weiter, so, als wäre nichts gewesen.
Nach der großen Pause erwartet Frau Richter, die junge Deutsch- und Geschichtslehrerin, die Schüler schon im Klassenzimmer. »Wie ihr wisst, findet heute die Autorenlesung statt. Nehmt bitte euer Schreibzeug und die Fragen mit, die wir aufgeschrieben haben. Und vergesst die Bücher nicht, die ihr signieren lassen wollt.«