Zeitbach - Ennis Falk - E-Book

Zeitbach E-Book

Ennis Falk

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Beschreibung

Paul atmet schwer und tief. Es ist unfassbar. Aus irgendeinem Grund sind wir nicht mehr in Pauls Welt. Ich aber habe nur einen einzigen Gedanken in mir. Was ist dort drüben in dieser anderen Welt? Werde ich Paul wiedersehen? Wenn ja, wie? Und wann? Und dann noch die Frage, die mich am meisten beschäftigt: Welche ist die bessere Welt?

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Inhalt

Vorwort oder Kapitel null

Sieben Minuten

Der Motorradunfall

Im Supermarkt

Im Stiegenhaus

Die Sache mit dem Auto

Das Spiegelbild

Der Abend bei Paul

Das mit dem Handy

Die Autofahrt

Neue Häuser am Waldrand?

Am Weg und der Bach

Die Illusion

Heulerei

Architekten gibt es hier nicht

Der Schlag

Zeitbach

Kai und Paul

Thomas und Kai

Nur so eine Kleinigkeit

Das blaue Haus

Der Spiegel

Nachrichten

Montagvormittag

Bei Peter und Kurt

Paul

Der Arzt

Meine neue Welt

Zehn Monate und sieben Minuten später

Sieben Minuten

Vorwort oder Kapitel null

Mein Name ist Paul.

Ich bin 36 Jahre alt und wohne in Zeitbach. Eine kleine 2750-Seelen-Gemeinde. Ich habe lange Zeit gebraucht, um mich zu erholen. Meinen Geist wieder in Ordnung zu bringen. Mir ist, als wäre mein halbes Leben nichts anderes als ein Gedicht gewesen. Anfangs waren nur Bruchstücke einzelner Wörter, manchmal nur wenige Buchstaben in dem kleinen Gefäß meines Geistes gesammelt vorhanden.

Ich war nicht in der Lage, diese zu sortieren – sie zu einem Ganzen werden zu lassen – sie irgendwo einzufügen. Denn ich wusste nicht einmal einen Ort, wo ich sie hätte wohnen lassen können. Lange Zeit habe ich meinen Namen vergessen. Thomas und ich sind immer noch sehr gute Freunde, obwohl er fast ein ganzes Jahr lang nichts mit mir anfangen konnte. Er hatte viel Geduld mit mir. Die letzten acht Monate musste ich in einem Sanatorium verbringen. Eine Heilstätte für angeblich psychisch erkrankte Menschen. Jetzt bin ich wieder zu Hause und gesund, laut Meinung all dieser Menschen, die es wohl am besten wissen. Wie auch immer.

Ich habe mir eine teure Musikanlage gekauft und spiele unentwegt Chet Baker.

Das ist die Musik der Frau in mir. Die Frau in mir ist stark. Wir haben uns vor einiger Zeit ein Versprechen gegeben.

Unsere Geschichte aufzuschreiben.

Ich werde jetzt damit beginnen.

»Oder möchtest du gerne beginnen, Emma?«

»Ja, sehr gerne Paul, ich fange an zu schreiben.«

Sieben Minuten

Irgendwann einmal habe ich die Zeit gestoppt. Ich brauche genau sieben Minuten über den Berg, wenn niemand vor mir fährt und ich schnell und zügig fahren kann. Das ist im Großen und Ganzen immer so. Wenn ein Lastwagen oder ein Heuwagen vor mir fährt, brauche ich zehn Minuten länger. Es kommt darauf an, ob der vor mir gefühlt fast einschläft oder nicht.

Die Bergstraße, man kann auch meinen, es ist eine Waldstraße, ist ziemlich schmal und kurvenreich. Vor einer Woche ist mir etwas sehr Eigenartiges aufgefallen. Ich ließ mir morgens, nachdem ich verschlafen hatte, extra viel Zeit, weil es sowieso schon egal war. So oder so würde ich mit Sicherheit zu spät in die Arbeit kommen.

Ich fuhr um acht Uhr los. Es war ein schöner klarer Morgen, die Sonne hatte den Mut, schon warm und grell zu sein. Vor mir fuhren mehrere Autos mit normalem Tempo. Ich rollte gemütlich vor mich hin und träumte mich müde mit meinen Blicken an den wunderschönen grün-grauen Baumreihen des Waldes entlang.

Endlich über den Berg gekommen, sah ich auf die Uhr im Auto. Es war immer noch acht.

Wie komisch, dachte ich.

Auch heute, eine Woche später, ist dieses Phänomen wieder aufgetaucht. Meine Armbanduhr und die Uhr im Auto zeigen dieselbe Zeit. Es ist sieben Uhr 30. Ich fahre langsam. Ich möchte heute die Zeit sehr genau beobachten. Es gelingt mir kaum, weil ich abgelenkt bin.

Da liegt etwas Zeug auf der Straße, feuchtes Laub und kleine Zweige, rücksichtslos vom Sturm hier liegen gelassen. Sturm haben wir bei uns hier oft. Zeitweilig kann das richtig gefährlich sein, da umgewehte, vom Sturm ausgerissene Baumteile auf den Straßen liegen können.

Die Wege, die seitlich von der Bergstraße weg in den Wald führen, sind mir immer noch fremd. Von Herbst bis Frühling liegen sie im dichten Nebel. Nach zwei Jahren, in denen ich hier wohne, habe ich es immer noch nicht geschafft, diese zu bewandern.

Wahrscheinlich bin ich auch einfach nur zu faul. Ich bin ja wahrlich nicht der besonders sportliche Typ.

Freue ich mich heute auf die Arbeit? Ich denke kurz nach. Also nein.

Die letzte Kurve muss man sehr bedachtsam fahren, sonst überschlägt sich das Auto. Ich komme unten auf der anderen Seite des Berges an. Es ist sieben Uhr 30. Immer noch. Kann das wirklich möglich sein?

Ich überlege, ob es hier am Berg ein Zeitloch gibt oder so etwas in der Art. Ich persönlich würde mich ja darüber freuen, denn das wäre sehr interessant und lustig wär’s auch.

Der Handyempfang ist an dieser Stelle auch oft kurz weg.

Zu Hause ist mir schon Ähnliches aufgefallen.

Irgendetwas stimmt hier mit der Zeit nicht.

Mal ist sie zu kurz, mal ist sie zu lang.

Dieser Sache werde ich irgendwann einmal auf den Grund gehen müssen, denke ich dann lächelnd.

Wenn ich Zeit habe.

Der Motorradunfall

Heute Morgen regnet es sehr stark. Viele rote Rücklichter blenden mich. Ich sehe kaum etwas und muss langsam fahren.

Das Wetter wird nach der nächsten Kurve besser. Die Autobahn habe ich hinter mir. Jetzt scheint die Sonne.

Die Stadt baut sich in gleichmäßigen Grautönen eng und laut vor mir auf, die Menschen auf den Gehsteigen hetzen alle irgendwohin. Langsam bildet sich vor mir ein Stau und ich fühle mich sofort genervt. Ich muss nur noch ein kleines Stück durch die Stadt fahren, dann bin ich schon im Büro.

Es ist fast jeden Tag das Gleiche, am Schlimmsten aber ist es am Montag. Mein langsames Fahren verwandelt sich in ein Schneckentempo, es ist bereits acht Uhr. Vor mir stehen jetzt alle.

Ich zünde mir eine Zigarette an, obwohl ich doch im Auto nicht mehr rauchen wollte. Ich staube die Asche aus dem Fenster auf die Straße und starre gelangweilt auf den Wagen vor mir. Auf der entgegenkommenden Straßenseite sehe ich einen Unfall. Ein Polizeiwagen, zwei querstehende Autos. Ein Motorrad liegt am Boden, es ist eine schmutzige Geländemaschine. Es dürfte aber nichts wirklich Schlimmes passiert sein.

Ein Rettungswagen und eine Trage am Straßenrand sind trotzdem da.

Ich sehe eine kleine Beule an einem der beiden Autos. Wahrscheinlich sind sie wieder alle knapp aufgefahren und konnten nicht rechtzeitig bremsen.

Der Himmel ist jetzt strahlend blau. Es ist schon warm geworden. Ein Mann kauert auf dem Boden neben dem Motorrad. Seinen Sturzhelm hat er schon abgenommen, er reibt sein Bein und sein Knie. Mein Blick bleibt an ihm haften. Seine dunklen, glänzenden Haare fallen über sein Gesicht, ich finde, er sieht wild und verwegen aus.

Ein sportlicher, schlanker Körper lässt sich auf jeden Fall unter der Motorradkleidung vermuten. Ein Polizist steht neben ihm, beugt sich zu ihm hinunter und legt regelrecht liebevoll und freundlich die Hand auf seine Schulter. Die Szene gefällt mir sehr. Ein netter Polizist, denke ich mir noch. Der verunfallte Mann schaut plötzlich zu mir her und blickt direkt in meine Augen.

Ich lasse die Zigarette aus dem Fenster fallen. Er sieht andauernd zu mir her und ich zu ihm. Er schaut nicht weg. Ich auch nicht. Mein Wagen rollt viel langsamer als Schritttempo weiter.

Ich fühle mich von seinem intensiven, fast mystischen Blick sehr angezogen.

Plötzlich sehe ich ihn gar nicht mehr so deutlich und muss mehrmals blinzeln. Für einen kurzen Augenblick erinnert mich das alles an etwas, aber ich weiß nicht an was.

Endlich kann ich zügig weiterfahren. Ich komme dem Vordermann etwas zu nahe und muss stark bremsen. Man soll sich eben immer auf den Verkehr konzentrieren. Ich blicke nochmals kurz zur Seite, bin aber schon vorbei. Dass es immer noch acht Uhr ist, fällt mir gar nicht auf. Meinen Arbeitstag bringe ich heute sehr unkonzentriert hinter mich, ich muss immer wieder an den Motorradfahrer denken.

Sein Anblick geht mir nicht aus dem Kopf.

*** Paul starrt auf die Autoschlange der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein kleiner, ordentlich gemähter Grünstreifen liegt dazwischen.

Das darf doch nicht wahr sein, denkt er.

Er kann es nicht fassen. Sein Bein schmerzt, alles ging ihm jetzt viel zu schnell. Er weiß gar nicht mehr genau, warum ihm die Maschine so heftig weggerutscht ist. Zwei Autos sind auch zusammengefahren. Alles war irgendwie zu knapp. Gott sei Dank ist nicht mehr passiert und das Motorrad scheint auch nicht beschädigt zu sein.

Schmerz.

Er hat sich das Knie heftig angeschlagen. Ich muss sofort Thomas anrufen, denkt er. Sein Blick bleibt am Kleinwagen haften, der auf dem anderen Fahrstreifen langsam vorbeirollt. Er sieht die Frau hinter dem Steuer, sie raucht und richtet ihre schulterlangen lockigen Haare im Rückspiegel. Die passt nicht auf, gleich knallt es noch mal, denkt er.

Sie schaut ihn an, staunend in seine Augen. Paul kann nicht wegsehen. Sein Blick bleibt an ihr kleben. Die Frau kommt ihm sehr bekannt vor. Das Auto auch, aber er kann das jetzt nicht zuordnen.

Oje, bitte wo bin ich hier?

Der Polizist pocht vorsichtig auf seine Schulter.

»Hallo? Junger Mann?«

Paul sieht irritiert zu dem Polizisten hoch. ***

Im Supermarkt

Wo ist Kai jetzt schon wieder?, denke ich, jetzt reicht es aber wirklich bald. Kaum schaue ich auch nur einen Moment weg, ist er auch schon verschwunden.

Ich sehe mich kurz um und werfe leicht verärgert Käse in den Einkaufswagen. Leise rufe ich ihn, es sind ja schließlich auch noch andere Leute da. Garantiert ist er wieder in die Fleischabteilung marschiert. Ich mache mich auf den Weg dorthin. Kai will sicher sein Lamm haben.

Ständig macht er sich für mich unsichtbar, schleicht auf leisen Sohlen davon und ich muss ihn dann suchen. Ich müsste mich schon an seiner Jacke festhalten, um ihn nicht zu verlieren.

Kai neigt nicht zum Schlendern, er rast förmlich durch den Supermarkt. Er weiß genau, was er will, und möchte solche Läden blitzartig wieder verlassen. Wenn ich nicht dabei bin, ist er dreimal so schnell zu Hause als mit mir gemeinsam. Eine Frau mit einem nervigen kleinen Kind rempelt mich an. »Ich will das haben!«, schreit das Kind. Die Mutter zerrt es am Arm weiter. Einkaufen ist halt so eine Sache. Ich schiebe den Einkaufswagen um die Ecke und da steht doch tatsächlich der Mann vom Motorradunfall, den ich neulich beobachtet habe. Er und ein anderer Mann kaufen zusammen ein.

Ich freue mich, ihn zu sehen, musste ich doch oft an ihn denken, obwohl ich den gar nicht kenne.

Ich halte kurz inne. »Hallo!« Es platzt peinlicherweise einfach so aus mir heraus.

Er schaut mich flüchtig an, senkt den Blick, presst seine Lippen zusammen und überlegt offensichtlich, woher er mich kennt. Ich rede mir aber ein, ein kleines Lächeln gesehen zu haben.

»Hallo«, murmelt er zurück. Der andere Mann beachtet mich überhaupt nicht. Er stapelt zwei Packungen Müsli in den Einkaufswagen.

»Ich habe dich in der Stadt gesehen, du hattest einen Motorradunfall«, sage ich. Er denkt kurz nach. »Stimmt, hatte ich, ist aber schon eine Weile her.«

Ich weiß nicht so recht, was ich jetzt noch sagen soll. Der andere Mann geht ein paar Schritte weiter, dreht sich zu uns um und wartet. »Ich bin Paul«, sagt der Motorradmann höflich und streckt mir die Hand entgegen. »Ich bin Emma«, sage ich und ergreife die Hand. Wir lassen einander sofort wieder los. So, jetzt hat der Motorradmann einen Namen.

Ich freue mich darüber, aber ich glaube, er kann sich gar nicht wirklich an mich erinnern. »Das ist mein Freund Thomas«, nickt er in die Richtung des anderen Mannes. »Hallo«, lächle ich hinüber zu ihm. Ich finde den anderen niedlich, aber er ist nicht so gut aussehend wie Paul. Thomas ist groß, schlank, trägt ausgefranste Jeans und seine dichten rotblonden Haare stehen dort, wo es ihnen gerade einfällt, irgendwie vom Kopf ab.

Sein Gesicht ist sehr ernst. Er nickt kurz in meine Richtung und dreht sich dann wieder weg. »Ich bin mit meinem Mann da«, sage ich und sofort kommt mir mein Satz komisch vor. Das Gespräch fühlt sich sehr schal und befangen an. Wie ein unnötiger Smalltalk eben, mit einem Fremden, den man nur einmal kurz auf der Straße gesehen hat. Und der mit Sicherheit nicht einmal mehr weiß, wer man eigentlich ist. Glücklicherweise ist es auf dem Land aber total normal, dass Fremde schnell einmal miteinander reden. Paul steht vor mir und blickt mich jetzt sehr freundlich an. Er lächelt. Ich lächle zurück. »Du bist die mit dem Mini«, sagt er. »Ja, genau!« Ich bin erstaunt und erfreut, er erinnert sich also doch an mich.

Sein Freund Thomas drängt zum Weitergehen. »Na ja, vielleicht sehen wir uns ja wieder einmal. Wohnt ihr hier in der Gegend?«, muss ich einfach fragen. »Ja, gleich am Fuße des Berges. Wir wohnen in dem blauen Haus. Das einzige blaue Haus dort in der Gegend. Das erste am Anfang der langen Hauptstraße oder am Ende, je nachdem aus welchem Blickwinkel man es betrachtet. Das Haus gleich am Waldrand. Das Motorrad ist übrigens heil geblieben, so wie ich«, lacht er.

Ob der immer so hochtrabend spricht?, denke ich noch. Ich höre Schritte und drehe mich kurz um. Ist das Kai? Nein.

Ich möchte mich gerne mit Paul noch weiter unterhalten, aber er ist nicht mehr da. Ach schade, wo sind die jetzt so schnell hin? Ich suche noch rasch unauffällig in den Gängen, blicke um die eine oder andere Ecke und hinter mich, aber sie sind weg.

Etwas unhöflich, finde ich. Verabschiedet sich gar nicht von mir. Na ja, da kann man nichts machen. Jetzt will ich aber auch noch gerne so ein Müslizeug, fällt mir ein. Ich strecke schon den Arm danach aus, aber es steht gar nicht da, wo ich glaubte. Wo war das denn jetzt?, frage ich mich. Ich suche kurz die Regale mit meinen Augen ab, finde das Müsli aber nicht. Ich bilde mir auch ein, dass diese Regale anders stehen als vorhin und ganz andere Lebensmittel eingeordnet sind. Ich bin überfordert. Als wäre ich von einer Sekunde auf die andere in einem mir völlig unbekannten Supermarkt gelandet.

»Wir sind fertig!«, ruft Kai. Ich drehe mich zu ihm um. Fröhlich kommt er auf mich zu, mit seinem Tiefkühllamm in der Hand. Frisches Lamm gab es leider heute nicht.

Während der Heimfahrt starre ich die ganze Zeit aufmerksam aus dem Fenster, um dieses besagte blaue Haus ja nicht zu verpassen. Wir fahren nicht sonderlich schnell, ich mustere es im Vorbeifahren. Dazu muss ich mich umdrehen und zum hinteren Seitenfenster strecken. Das Haus steht nicht direkt an der Hauptstraße, sondern in einer kleinen Sackgasse. An der linken Seite, daran vorbei, gibt es einen schmalen Weg, der dann in den Wald führt. Das Haus ist etwas zurückversetzt, es fällt wegen der vielen hohen Bäume im Garten gar nicht auf. Ich habe es zwar früher schon einmal gesehen, aber ich dachte, es sei unbewohnt. Der Garten wirkt etwas verwildert. Vielleicht sind sie ja erst kürzlich hier eingezogen. Noch weniger als fünf Minuten bis nach Hause. Die ganze Hauptstraße hinunter. Wir sind da und schleppen unsere Einkäufe in das Haus.

Ich verstehe nicht, warum ich am Abend schon wieder ständig an diesen Paul denken muss. Die Gedanken sind einfach da. Ich kann sie nicht aufhalten.

*** Paul und Thomas warten geduldig an der Kasse im Supermarkt. Thomas legt seinen Arm um Paul und küsst ihn flüchtig. »Wer war das vorhin?« »Das war Emma.«

»Welche Emma? Wer ist sie? Warum kenne ich sie nicht?«

»Ich kenne sie auch nicht wirklich, das war jetzt ein lustiger Zufall. Ich habe sie bei meinem Motorradunfall in der Stadt gesehen. Ich glaube, sie ist sehr nett. Sie hat mich angesprochen wegen des Unfalls. Sie war nicht daran beteiligt, sie kam an dem Tag nur zufällig mit dem Auto vorbei.« »Aha. Du hast sie also nur kurz in der Stadt gesehen? Du kennst sie gar nicht richtig?« Paul rempelt Thomas sanft an. »Haha, was ist denn mit dir los? Bist du eifersüchtig?

Auf eine Frau? Das brauchst du doch nicht sein! Ich finde es nur witzig, dass ich sie hier bei uns im Supermarkt treffe.«

»Ich bin nicht eifersüchtig! Aber ich fasse es nicht, dass du dir eine Frau gemerkt hast, die du nur ganz kurz gesehen hast«, sagt Thomas, während er die Lebensmittel sorgfältig in einen Papiersack schichtet und die Bierkiste mit dem Fuß weiterschiebt.

»Sie hat ja mich angesprochen. Ich hätte sie gar nicht wiedererkannt, aber dann habe ich mich doch an sie erinnert. Anscheinend wohnt sie hier irgendwo in der Nähe von uns. Vielleicht sogar auch bei uns im Dorf.«

Paul versucht die Sache ein wenig herunterzuspielen. Er möchte vor Thomas nicht so gerne zugeben, dass er Emma sehr wohl sofort erkannt hat. Auch er musste die Tage seit dem Unfall oft an sie denken, obwohl er sie erst einmal kurz gesehen hat. »Warum glaubst du, dass sie da wohnt?«, fragt Thomas. »In diesen Supermarkt fahren doch wirklich nur die Einheimischen«, erwidert Paul. Sie bezahlen und verlassen das Geschäft. Für Thomas ist die Sache erst einmal erledigt. Paul fühlt sich noch etwas aufgewühlt und lässt den Unfall in seinen Gedanken einmal schnell Revue passieren.

Sie schlendern verliebt zum Auto. Der eine von ihnen trägt den großen Papiersack und der andere die Bierkiste.

Sie fahren nach Hause.

Am blauen Haus biegen sie in die Einfahrt ein und rollen langsam in den Garten. Der gehört wirklich wieder einmal gemäht. ***

Im Stiegenhaus

Heute ist mein letzter Arbeitstag. Es ist Donnerstag. Schon ab morgen und die ganze nächste Woche habe ich Urlaub. Ich könnte vor Freude im Kreis tanzen. Durch das ganze Haus. Jetzt muss ich aber noch einmal los.

Ich habe den Schlüssel in der Hand und will gerade die Haustüre aufsperren, als ich es höre.

Ein eigenartiges Geräusch – ein dumpfes, aber deutliches Plumpsen. Ich gehe nachsehen. Ich werde also wieder nicht pünktlich im Büro sein. Seufzend entledige ich mich meiner Schuhe, lasse sie umgekippt liegen und tapse leise zurück Richtung Stiegenhaus.

Unsinnig, wie ich finde, denn es kann niemand im Haus sein, außer unseren Haustieren. Wir haben zwei Katzen, Lori und Sewa. Lori ist die Ältere. Sie werden jeden Morgen von Kai gefüttert.

Kai verlässt jeden Morgen um sechs Uhr das Haus. Er möchte um sieben Uhr in der Stadt sein. Kai betreibt eine Fahrradreparaturwerkstatt. Noch zwei andere Männer arbeiten dort. Der kleine, etwas untersetzte Peter, nett, aber ständig unzufrieden mit seinem Leben, und Kurt, ein verrückter Kerl, der jede freie Minute mit seinem Boot zwischen den kroatischen Inseln herumkurvt.