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In 17 Briefen wendet sich ein Großvater an seinen Enkel, die er als "Zeitkapseln - Botschaft in die Welt von morgen" bezeichnet. Diese betreffen die Naturgeschichte der Erde, Fragen zu einer kosmologischen Theologie, den Klimawandel, die Energiewende und das Gefüge von Wahrheit und Lüge. Weitere Themen sind vermeintliche Schwachstellen der parlamentarischen Demokratie, Parapsychologie, das Phänomen Zeit und die 1000 Facetten der Liebe. Dazu kommen Geschichten von galaktischen Weihnachtsmännern, spukhaften Ereignissen im Museum und der Suche nach Jugendelixieren sowie dem Sinn elementaren Seins. Nach dem Bericht über einen missglückten Ausflug in die Zeit und eine seltsame Erfindung wird noch der Frage nachgegangen, warum die Zahlen keinen König haben. Wer weiß, was da herauskommen mag?
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Seitenzahl: 658
Inhaltsverzeichnis
Impressum 4
Vorbemerkungen 5
Das raumzeitliche Dilemma der Generationen (n) und (n+2) 8
Enkelkinder, Enkelzeit 10
1. Brief vom 26. Juli 2019 11
Anlage
Leben – eine privilegierte Architektur der Natur, Mythos, Zauber, Wege und Wirken der irdischen Evolution 11
2. Brief vom 24. August 2019 39
Anlage
Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie 39
3. Brief vom 12. September 2019 64
Anlage
Kleines Klimaflugblatt 64
4. Brief vom 7. Oktober 2019 95
Anlagen
Nachdenkblatt – Energiewende einmal anders betrachtet – Das raumzeitliche Perpetuum mobile 95
5. Brief vom 12. November 2019 123
Anlagen
Himmelssaga – Der Vagabund – ein himmlisches Märchen für verträumte Sternengucker – Legende von der Zeit 123
6. Brief vom 6. Dezember 2019 145
Anlagen
Die Geschenke des Himmels – eine Geschichte von irdischen und galaktischen Weihnachtsmännern – Galaktische Zaubergaben 145
7. Brief vom 12. Januar 2020 172
Anlage
Kleine Zeitreisen-Fibel – Wissenschaft & Science-Fiction 172
8. Brief vom 2. Februar 2020 195
Anlage
Kleiner Wegweiser durch die schillernde Welt der Parapsychologie 195
9. Brief vom 29. Februar 2020 211
Anlage
Die Zaubermütze – eine schier unglaubliche Geschichte 211
10. Brief vom 21. März 2020 244
Anlage
Ausfahrt nach Historistan, eine verflixte Reise in die Zeit 244
11. Brief vom 10. April 2020 289
Anlage
Wahrheit und Lüge – Versuch einer Annäherung 289
12. Brief vom 19. April 2020 310
Anlage
Demokratie – was sonst? Anmerkungen zu Schwachstellen der parlamentarischen Demokratie 310
13. Brief vom 1. Mai 2020 332
Anlagen
Kinder der Sonne – Auf der Suche nach dem Sinn elementaren Seins, die quantisierten Abenteuer eines unnützen Teilchens – Auf der Suche nach dem Sinn humanoiden Seins – Die Rätsel von Subraumestan 332
14. Brief vom 3. Juni 2020 373
Anlagen
Das Unternehmen Elixier, ein al-chemisch-metaphysisches Traktat – Der (Alb-)Traum vom Jugendelixier 373
15. Brief vom 12. Juli 2020 405
Anlage
Die 1000 Facetten der Liebe – ein Streifzug durch die Welt dieser menschlichen Empfindung 405
16. Brief vom 31. Juli 2020 435
Anlage
Der akustische Trans-Codograph – die kurze Geschichte einer historiografischen Erfindung 435
17. Brief vom 19. August 2020 464
Anlagen
Warum die Zahlen keinen König gaben – die vergessene Legende der Königswahl in einer abstrakten Wunderwelt – Zahlenland-Zauberland 464
Nachbemerkungen 529
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2022 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99131-003-7
ISBN e-book: 978-3-99131-004-4
Lektorat: Mag. Elisabeth Pfurtscheller
Umschlagfoto:Natthawut Punyosaeng, Asileva | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Vorbemerkungen
Mein Enkelsohn heißt Matti. Er wurde am 12. Juli 2016 geboren. Der Junge war ein Frühchen, denn er kam sechs Wochen vor dem bestimmten Zeitpunkt auf die Welt. Durch diesen temporalen Ungehorsam konnte der neue Erdenbürger sein irdisches Dasein um eine Lebensspanne von 42 Tagen verlängern. Freilich dürfte der kleine Kerl von diesem Streich nicht allzu viel gehabt haben. Doch das wird die Zeit nicht interessieren, denn sie scheint es zu hassen, wenn man sie überlistet. Die rätselhafte Dimension steht zwar im Ruf, alle Wunden heilen und schmerzliche Erinnerungen auslöschen zu können. Doch wer weiß, ob sie mit ihren Segnungen für die Menschen barmherzig daherkommen mag und ihnen wirklich Erlösung spenden kann? Jedenfalls scheint die 4. raumzeitliche Dimension immer nur unerbittlich und gnadenlos zu verrinnen und niemals innehalten zu wollen.
Obwohl die Leute ständig von der Zeit umgeben sind und von ihr täglich begleitet werden, haftet ihr seit Menschengedenken etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes und Unergründliches an. Seit ihrer Geburt im Standarduniversum vor knapp 14 Milliarden Jahren scheint die Zeit von Anbeginn ein Mysterium zu hüten. Es ist diese unheimliche temporale Aura, die uns mitunter erschauern lässt. Dazu kommt, dass Lebenszeit durch das Schicksal und von jedermann jederzeit verkürzt werden kann. Eine Verlängerung des Daseins irdischer Geschöpfe scheint dagegen allein in der Macht der Zeit zu stehen. Diese Wundergabe der 4. raumzeitlichen Dimension muss von uns Menschen wohl als eine Art „göttliches“ Privileg verstanden werden!
Als Großvater bin ich besorgt, dass der Enkelsohn durch den temporalen Ungehorsam, den er bei seinem verfrühten Eintritt in unsere Welt gezeigt hat, sich mit der Zeit angelegt haben könnte. Anfänglich habe ich versucht, den kleinen Jungen durch allerhand lustigen „Zauberkram“ wie verwunschene Mützen, Schuhe oder verzauberte Socken oder T-Shirts vor der Hinterlist der Zeit zu beschützen. Bis heute scheint der faule Zauber einigermaßen funktioniert zu haben. Allerdings kann ich nicht ewig für ihn da sein, da meine Lebenszeit verrinnt und das Dasein eines Großvaters in dieser Welt ohnehin begrenzt ist.
Ich habe mich daher entschlossen, dem heranwachsenden Jungen in Zeitkapseln verschlossene Botschaften in seine Zukunft zu schicken. Aus meiner Sicht stellen die Briefe ein Kaleidoskop von Ansichten, Wünschen, Empfehlungen, Erwartungen und Überzeugungen dar, die ein Großvater seinem Enkel gern selbst erzählt, erklärt oder vermittelt hätte. Vielleicht können einige Briefe für ihn sogar eine Hilfestellung sein, um sich auf dem einen oder anderen gesellschaftlichen Areal der komplizierten Wirklichkeit seiner Zeit besser orientieren zu können. Das mag freilich ein ziemlich hoher Anspruch für einen Großvater sein. Aber nach meiner Überzeugung werden die meisten analogen Erkenntnisse und Wahrheiten auch in der digitalen Welt der Zukunft ihren Stellenwert behalten. Es wäre für mich eine wunderbare Erfahrung, wenn ich dazu beitragen könnte, dass mein Enkel zu diesem oder jenem Sachverhalt einen vernünftigen Standpunkt findet. Darüber hinaus möchte ich ihn auch mit ein paar nicht alltäglichen Geschichten unterhalten. Wenn es mir gelingen sollte, dass deren Lektüre ihm in der Welt von morgen ein Lächeln oder Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern vermag, wäre das für mich wie ein nachträgliches Geschenk in meinem dann vermutlich bereits abgelaufenen irdischen Dasein.
Die Dinge, die ich ihm gern vermittelt hätte, betreffen das Verständnis von Naturgeschichte, Evolution, Religion, Politik und Kosmologie. Dazu kommt ein Versuch, ihm die Schönheit abstrakten mathematischen Denkens auf poetische Weise nahezubringen. Aber auch für Literatur, klassische Musik, Geschichte und bildende Kunst würde ich ihn gern begeistert haben. Mir ist bewusst, dass die in den Zeitkapseln verborgenen Botschaften unvollständig bleiben müssen. Sie stellen den Versuch dar, das visionäre Haus von morgen, in dem mein Enkel eines Tages leben wird, wenigstens in meinen Träumen zu besuchen. Irgendwann, vermutlich eines gar nicht mehr so fernen Tages, wird der Enkelsohn sowieso ohne den Großvater mit den Herausforderungen des Lebens klarkommen müssen. Dazu gehört auch, dass er die Tücken der 4. raumzeitlichen Dimension meistert und sich mit ihren scheinbar unabänderlichen Abläufen arrangiert und abfindet.
Möge allzeit eine weise Fee über sein Schicksal wachen und seine künftigen Lebenswege mit einem gütigen Zauber begleiten!
Das raumzeitliche Dilemma der Generationen (n) und (n+2)
Das temporale Spannungsfeld zwischen Großeltern und Enkelkindern resultiert aus der Verschiedenheit der vierten raumzeitlichen Koordinate bei deren jeweiligen Eintritt in das Kontinuum der Zeit. In der Regel trennt die beiden Generationen eine zeitliche Barriere von mindestens einem halben Jahrhundert. Dazu kommt, dass sie – wie alle Menschen – in einem identischen Inertialsystem gefangen sind, in dem man ohne Zeitmaschinen dem gleichförmigen Verrinnen der Zeit nicht entkommen kann. In so einer deterministisch bestimmten Welt lassen sich temporale Differenzen nicht nivellieren, verkürzen oder durch Zeitdehnung beeinflussen – auch nicht vorübergehend.
Das Szenario muss man als naturgegeben begreifen, denn ohne das Dasein von Eltern und deren Kindern können in der Ereignisabfolge, die von der Richtung des thermodynamischen Zeitpfeils vorgegeben wird, auch keine Kindeskinder das Licht der Welt erblicken. Daher scheinen Großeltern aus der Sicht von Enkelkindern stets als ziemlich alte Leute in deren Leben zu treten und es viel zu früh, oft in einem gebrechlichen Zustand, verlassen zu müssen. Das temporale Dilemma der Generationen (n) und (n+2) mag man beklagen, doch es sollte nicht als ein Fluch verstanden werden. Es speist sich aus dem Wesen des unaufhaltsamen Verrinnens der Zeit und scheint damit in der raumzeitlichen Welt des Standarduniversums unabänderlich zu sein.
Die in den 17 Briefen an den Enkelsohn geäußerten Gedanken und Gefühle möchten dazu beitragen, dass der Generation von übermorgen die Bewahrung eines liebevollen und lebendigen Andenkens an die Großeltern zu einem seelischen Bedürfnis werden mag. Vielleicht könnte durch die Magie der Erinnerung auch die gedankliche und emotionale Welt der Enkel in einer noch ungewissen Zukunft einen zauberhaften Moment lang erhellt werden – und sei es auch nur für die Dauer einer Septilliarde (1045) Plancksekunden lang. Die vielfach bedrohte Welt von morgen würde dadurch keinen Schaden nehmen. Im Gegenteil: Wer vermag schon zu sagen, ob die Enkelkinder der Enkelkinder heutiger Großeltern (sozusagen die Generation (n + 4)) eines fernen Tages eine freudvolle und lichte Zukunft auf unserem Planeten erleben werden?
Enkelkinder, Enkelzeit
Enkelkinder gehören allein dem Leben
und dessen Sehnsucht nach sich selbst.
Du kannst auf Dauer ihnen keine Heimstatt geben,
auch wenn du dich für ihren Mentor hältst.
Du träumst dich in ihre ferne Zukunft-Welt
und möchtest sie verstehen – um ihretwillen!
Doch da die Zeit den Wunsch gefangen hält,
wird sich dein Traum niemals erfüllen.
Wenn deine Jahre nach und nach vergehen
und Enkel wie kleine Wunder wachsen und erblühen,
dann wirst du das Wort Abschied erst verstehen
begrenzt doch Lebenszeit all dein Bemühen
Enkel bringen Erinnerungen und Träume dir zurück,
sie geben dem Lebensabend die Vollkommenheit.
Sie sind wie Liebe, Schönheit, Jugend oder Glück
Geschenke des Lebens! Ja – aber nur auf Zeit.
Lebenszeit kann man nicht kaufen oder borgen
und auch die gnadenlose Zeit hält niemals an.
Die Enkel wohnen in der Welt von morgen,
die man als Oma und Opa nicht besuchen kann.
Ach, Enkelkinder und du wunderbare Enkelzeit,
nicht jedem Menschen sind sie wohl gegeben,
doch ohne sie bedeutet Alter Einsamkeit
und unerfüllte Sehnsucht nach dem Leben.
1. Brief vom 26. Juli 2019
Anlage
Leben – eine privilegierte Architektur der Natur, Mythos, Zauber, Wege und Wirken der irdischen Evolution
Leipzig, 26. Juli 2019,
zu öffnen am 26. Juli 2038
Mein lieber Enkelsohn,
heute, das heißt, wenn du diesen Brief aus meiner zeitlichen Perspektive in der Zukunft öffnest, werden Oma Steffi und deine ältere Cousine Elisa Geburtstag feiern. Deine Großmutter könnte an diesem Tag, falls sie noch auf der Welt weilen sollte, stolze 86 Jahre alt werden. Die Enkeltochter Elisa dürfte dann mit ihren 34 Jahren längst zu einer attraktiven selbstbewussten jungen Frau erblüht sein. Als ihr Großvater bin ich zuversichtlich, dass sie zu diesem Zeitpunkt ihr Leben in den Griff bekommen haben wird. Doch diese familiären Dinge möchte ich nur am Rande erwähnen. Das Anliegen meines Briefes betrifft ein Thema, das ich mit dir gern persönlich besprochen hätte.
Junge, ich weiß nicht, wie du in 19 Jahren mental ticken könntest und ob du dir dann noch ein paar lebendige Erinnerungen an deinen Opa bewahrt haben wirst. Welche Dinge mögen dich im Alter von 22 Jahren bewegen, wofür wird dein Herz brennen oder schlagen und was magst du für ein Mensch geworden sein? Trotz mancher Unwägbarkeiten wage ich es, diese Zeilen an dich zu schreiben, denn ich möchte dir als ein kleines intellektuelles Vermächtnis eine Betrachtung zum Werden und Vergehen unserer Welt zukommen lassen. Freilich könnte es sein, dass du auf solche Gedanken keinen Wert legst. Möglicherweise favorisierst du sportliche, naturorientierte, musikalisch bestimmte oder sonstige ubiquitäre Lebensinhalte? Vielleicht aber lebst du gedanklich auch vorzugsweise in den oft bildungsferneren Welten sozialer Medien?
Mir ist bewusst, dass ich der Spezies eines analogen Bildungsbürgers zuzuordnen bin. Diese menschliche Unterart ist im digitalen Zeitalter massiv vom Aussterben bedroht. Je nachdem, wie man geistig und intellektuell aufgestellt ist, mag man das nun für überfällig halten, lediglich mit den Schultern zucken oder eventuell auch ein bisschen bedauern. Es kann sein, dass die soziokulturelle Evolution für diese bedrohte archaische Unterart des zivilisierten Menschen ein paar gesellschaftliche Nischen findet. Dort könnten diese Geschöpfe dem als unerbittlich geltenden digitalen Zeitgeist vielleicht noch eine Weile die Stirn bieten. Aussterben an sich muss aber nicht als Schande empfunden werden. So ein Pech kann schließlich jede Spezies ereilen. Meistens wirft man den Vertretern ausgestorbener Arten vor, unflexibel und reformunwillig zu sein sowie wenig innovativ auf Veränderungen zu reagieren. Nun ja, das mag stimmen oder auch nicht richtig sein, denn die Beurteilung eines derart komplexen Sachverhaltes resultiert aus der Perspektive oder dem Blickwinkel im Auge des Betrachters.
Bei dem Gedanken an den vom Aussterben bedrohten analogen Bildungsbürger fallen mir die Dinosaurier ein. Diese faszinierende Tiergruppe ist ja am Ende des Mesozoikums bedauerlicherweise ausgestorben. Ob das nun verschuldet oder unverschuldet passiert ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Doch ungeachtet ihres tragischen evolutionären Schicksals leben die Dinosaurier und die untergegangene biologische Wunderwelt des Erdmittelalters in den Köpfen und Herzen der Menschen fort. Ich finde, dass diese Tatsache für ausgestorbene Individuen schon eine bemerkenswerte Leistung darstellt. Warum also sollte dein Großvater mit seinen antiquierten intellektuellen Überzeugungen und als überholt geltenden analogen Ansichten nicht auch so einen Status in deinen Erinnerungen erlangen können? Ich hoffe, dass eines Tages die Zeit dafür kommen wird und dich zu entsprechenden Einsichten und Erkenntnissen bringen könnte.
Mein Junge, dieser Brief hat einen Hintergedanken oder nennen wir die Angelegenheit, besser gesagt, Botschaft. Er soll dich für Ereignisse auf unserem Planeten sensibilisieren, die vor langer Zeit stattgefunden haben, also längst zur Geschichte geworden sind. Wissen um geschichtliche Vorgänge und ein Nachdenken darüber sind erforderlich, um Vorstellungen zu entwickeln, wie die Entwicklung fortschreiten könnte. Ich hoffe, dass du in 19 Jahren zu einem weitläufig gebildeten jungen Mann herangewachsen sein wirst und dich auf dem besten Weg zu einem qualifizierten Verständnis von der Welt und den Menschen befindest. Das mag freilich eine Wunschvorstellung von mir sein. Doch warum sollten manchmal nicht auch Wünsche von analogen menschlichen „Dinosauriern“ in der Zukunft in Erfüllung gehen?
Der Mythos und der Zauber der irdischen Evolution haben mich seit jeher fasziniert und begeistert. Es ist doch aufregend zu erfahren, woher man gekommen ist und wohin man gehen könnte. Ich glaube, oder besser gesagt, ich hoffe, dass du mein Interesse an dem Thema teilen wirst. In dem Traktat „Leben – eine privilegierte Architektur der Natur“ habe ich mir zur Naturgeschichte unserer Welt und deren Zukunft ein paar Gedanken gemacht. Du wirst sie so komprimiert in keiner Rubrik eine Suchmaschine im Internet finden. Man kann zu diesem oder jenem Aspekt sicherlich ein paar andere Ansichten haben. Ich halte es aber für wichtig, dass ein junger Mann wie du überhaupt über das Woher, Wohin und Warum evolutionärer Prozesse nachdenkt. Leuten, die sich darüber überhaupt keine Gedanken machen, dürfte ein Stück geistiger Standortbestimmung im Leben fehlen!
Zum Schluss des Traktates habe ich meine Gedanken ein bisschen poetisch verklärt. Es kann sein, dass du diese Passagen wegen einer gewissen Melodramatik als unzeitgemäß empfinden wirst. Sieh es mir nach oder halte es meiner fehlenden digitalen Nüchternheit oder unangemessenen analogen Euphorie zugute. Es mag sein, dass in mir etwas von einem Dichter gesteckt hat. Das habe ich aber niemandem verraten und davon hat auch niemals ein Mensch Notiz genommen.
Falls du mit meinen Gedanken nichts anfangen kannst, dann musst du sie eben in den Papierkorb befördern. Das täte mir zwar ein bisschen leid für mich, aber auch für dich. In diesem Fall habe ich als Großvater in der Angelegenheit halt Pech gehabt. Das Leben ist nun mal äußerst facettenreich und die Menschen mit ihren Interessen, Neigungen und Vorlieben sind es auch. Daher mag es immer wieder Überraschungen und Enttäuschungen sowie unerwartete Entwicklungen und nicht zuletzt auch bittere Erfahrungen geben. Ein Großvater muss das akzeptieren und auch aushalten können, selbst wenn ihm das nicht gefallen und manchmal sogar schwerfallen sollte!
Herzliche Grüße in die Zukunft!
Opa
Anlage
Leben – eine privilegierte Architektur der Natur, Mythos, Zauber, Wege und Wirken der irdischen Evolution
Leben, eine privilegierte Architektur der Natur, Mythos, Zauber, Wege und Wirken der irdischen Evolution
Vor etwa 4,6 Milliarden Jahren leuchtete am inneren Rand des Orion-Arms der Galaxie, der die Menschen später den Namen Milchstraße gegeben haben, ein ziemlich gewöhnlicher Stern auf der Hauptreihe des Hertzsprung-Russel-Diagramms auf. Die gelbe Sonne vom Spektraltyp G 2/V war auserkoren, um wenig später auf dem dritten Trabanten des solaren Systems einen beispiellosen evolutionären Prozess in Gang zu setzen. Die biologische Evolution hat die Entwicklung des Planeten fortan all die Erdzeitalter hindurch nachhaltig verändert. Dieses Szenario hält bis heute an und selbst in der Zukunft wird die Handschrift der Evolution neben dem Wirken des Menschen das Antlitz der Erde mit ihrer gestalterischen Kraft prägen.
Entstehung des Planeten Erde vor ca. 4,5 Milliarden Jahren
Erdzeitalter:
Hadaikum
Archaikum
Proterozoikum
*
Kambrium/Ordovizium/Silur/Devon/Karbon/Perm
*
Trias/Jura/Kreide
*
Paläozän/Eozän/Oligozän/Miozän/Pliozän/Quartär
*
*
Zukunft
(wie auch immer die sich die gestalten mag)
Die Evolution ist ein eigenwilliger Teil des kosmologischen Prozesses, der sich nicht zwangsläufig in Gang setzt. Nicht zu jeder Zeit und an auch nicht an jedem Ort eines Universums wird ihr dafür eine Bühne bereitet sein. Die biologische Evolution, wo und wann auch immer sie Leben entstehen lässt und dessen Entwicklung vorantreibt, muss als ein kostbares Privileg der Natur verstanden werden. Die Architektin und Baumeisterin des Lebens ist ein hochkomplexer Experimentator, der fleißig, beharrlich, lernfähig und geduldig daherkommt. Manchmal wird sie von einer erstaunlichen Kühnheit getrieben und bringt zuweilen Schöpfungen hervor, die von wundervoller Genialität inspiriert sind. Hin und wieder scheint die Evolution aber auch vergesslich und oberflächlich zu sein und mitunter sogar in einfallslose Plakativität und stupide Replikation zu versinken. Diese evolutionären Blackouts lassen Verwunderung und Befremden aufkommen und nähren Zweifel an der Perfektion der Architektin des Lebens. Doch gerade das Spannungsfeld zwischen gestalterischer Vollkommenheit und evolutionärer Fehlleistung, von dem Unmengen fossiler Hinterlassenschaften zeugen, macht den Prozess der Selbstorganisation der belebten Materie so spannend, dramatisch und interessant.
Die Wege, die die Evolution auf ihrer ständigen Suche nach Vollkommenheit und Perfektionierung beschreitet, sind vielfältig. Sie werden von mannigfaltigen Trümmerfeldern des Lebens gesäumt. Manche Entwürfe scheinen rasch skizziert und schnell wieder verworfen zu werden. Andere Baupläne erweisen sich dagegen als wahrhaft fundamental, sodass sie Hunderte von Millionen Jahren überdauern. Es gibt solide Visionen und wenig geeignete Ansätze, Erfolgsrezepte und fatale Irrtümer, lange Zeiten evolutionärer Untätigkeit und stürmische Epochen biologischer Entwicklung. Die Evolution versucht, Bewährtes zu bewahren, aber sie verwirft auch bedenkenlos ungeeignete Konzepte. Vor allem jedoch variiert und verändert sie biologische Architekturen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und wechselndem Erfolg im Strom der Zeit. Ihre Geschichte gleicht einem epischen Ringen zwischen originärer Schöpfung, ständiger Neuerfindung, permanenter Optimierung und Anpassung sowie biologischer Auslöschung, frühem Artentod und gnadenlosem Untergang von einst verheißungsvoll kreierten biologischen Schöpfungen.
Um ihre Prozesse in Gang setzen zu können, bedarf die Evolution einer bestimmten kosmischen Konstellation. Ein Universum, in dem die Naturkonstanten und Naturgesetze so fein abgestimmt sind, dass Elemente höherer Ordnungszahlen und komplexe chemische Verbindungen entstehen können, ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die Erschaffung von Leben. Das kann die Natur nur gewährleisten, wenn die Stärken der vier fundamentalen Kräfte
starke Kernkraftschwache KernkraftElektromagnetismusGravitationim Verhältnis zueinander Werte haben, die die Existenz stabiler Atomkerne und Elemente sowie großräumige, differenzierte kosmische Strukturen ermöglichen. Dabei kommt der Feinstrukturkonstanten Alpha () eine Schlüsselrolle zu. Alpha ist dimensionslos und bestimmt die Stärke der elektromagnetischen Kraft. Außerdem ist auch die Gravitationskonstante von Bedeutung, über deren mögliche lokale und zeitliche Schwankungen im Standarduniversum die Wissenschaftler bis heute philosophieren!
Doch wie auch immer sich die Stärken der physikalischen Grundkräfte zueinander in einem Universum verhalten mögen, die Evolution benötigt für ihr Wirken noch eine Reihe weiterer astrophysikalischer Voraussetzungen. Es bedarf vor allem einer Galaxie mit einem hinreichend hohen Alter, damit im interstellaren Gas und im Staub der Sterne die erforderlichen Bausteine des Lebens in ausreichender Häufigkeit vorhanden sind. In einer solchen Galaxie muss ein Hauptreihenstern existieren, dessen Spektraltyp und Größe mehrere Milliarden Jahre lang eine mehr oder weniger gleichmäßige Kernfusion ermöglichen. Diese Sonne sollte zumindest in ihrem Strahlungsverhalten möglichst stabil und wenig veränderlich sein. Eine weitere unabdingbare Voraussetzung ist die Anwesenheit eines Planeten, der eine geeignete Masse, Rotation, Atmosphäre und ein nennenswertes Magnetfeld aufweist. Darüber hinaus muss die stabile Umlaufbahn des Trabanten innerhalb der habitablen Zone des Sterns liegen.
Doch es gibt noch mehr astrophysikalische Erfordernisse für die Entstehung und Entfaltung des Lebens. Im nahen Umfeld des Sternensystems von einigen Dutzend Lichtjahren sollten sich mehrere Milliarden Jahre lang keine lebensfeindlichen Prozesse wie Nova- und Supernova-Szenarien oder Gamma-Strahlenausbrüche ereignen. Darüber hinaus darf in dem Sonnensystem das Impakt-Geschehen nicht zu intensiv und langandauernd sein. In galaktischen Zentralgebieten mit hungrigen schwarzen Singularitäten und einer turbulenten chaotischen Himmelsmechanik werden das Leben und seine Evolution keine guten Karten haben. Angesichts der vielfältigen kosmischen Randbedingungen ist es schon erstaunlich, dass Leben im Weltall überhaupt entstehen konnte. Dass es sich auch zu höheren Formen entwickeln würde, mag wie ein Wunder erscheinen.
Vor 4,5 Milliarden Jahren schienen im System einer gelben Sonne vom Spektraltyp G 2/V am inneren Rand des Orionarms der Milchstraße die vielfältigen kosmischen Rahmenbedingungen weitgehend erfüllt gewesen zu sein. Es war der dritte Planet der noch jungen solaren Welt, der sich im Laufe der Zeit zu einem grandiosen Schauplatz für das Wirken des Schöpfertums der Evolution und die Entfaltung ihrer Wunderwerke entwickeln sollte.
Die Ausformung des Systems Erde-Mond in einer Entfernung von reichlich acht Lichtminuten vom Zentralgestirn könnte nach dem Einschlag von Theia, einem etwa Mars großen Protoplanten, im Hadaikum stattgefunden haben. Nach diesem gewaltigen Impakt-Ereignis verdichteten sich die herausgeschleuderten Magma-Massen zu einem Trabanten, der den Planeten Erde fortan begleiten würde. Durch das Ereignis beschleunigte sich die Erdrotation. Der Tag verkürzte sich auf ungefähr zehn Stunden. Der junge entstandene Mond muss damals viel größer als heute am fahlen feuerfarbenen Himmel geleuchtet haben, weil er die Erde auf einer engeren Umlaufbahn umkreiste. Am Ende des ersten Erdzeitalters, dem Hadaikum, hatte sich der Planetvermutlich so weit abgekühlt, dass die sich in der Atmosphäre angereicherten Wassermassen abregnen konnten. Infolgedessen begann sich auf der Oberfläche des Planeten ein gewaltiger Ozean auszubreiten.
Zu Beginn des Archaikums vor etwa 3,8 Milliarden Jahren fand in einer stickstoffreichen schwefeligen Atmosphäre ohne Sauerstoff zunächst eine chemische Evolution statt. Heftige Gewitter und eine intensive Gamma-Strahlung schufen unter einem fortwährenden kosmischen Bombardement von Asteroiden, Kleinplaneten und Kometen die erforderlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Lebens. Kurze Zeit später scheint sich das Leben auf der Erde dann tatsächlich etabliert zu haben. 3,5 bis 3,7 Milliarden Jahre alte fossile Spuren lassen das zumindest vermuten.
Am Anfang der evolutionären Geschichte auf der Erde standen Einzeller wie Bakterien und Archaeen sowie die mysteriösen Viren. Bei den Viren sind sich die Biologen aufgrund des fehlenden Stoffwechsels bis heute allerdings nicht einig, ob diese überhaupt dem (normalen) Leben zuzurechnen sind.
Nach diesem Schöpfungsakt verharrte die Evolution im Urozean jedoch 1,5 Milliarden Jahre lang in einer unbegreiflichen Starre und Untätigkeit. Es ist bis heute rätselhaft, warum sie so lange gebraucht hat, um nach den ersten erfolgreichen Schritten das Alphabet der Biochemie mit DNS, RNS, Proteinen und Nukleotiden zu buchstabieren und die Dynamik genetischer Veränderungen zu begreifen. Warum nur hat die Evolution so viele Millionen Jahre innegehalten, ohne wirksam und nennenswert zu experimentieren, zu probieren und zu perfektionieren? Nun, der Grund für diesen langen evolutionären Dornröschenschlaf wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben!
Die evolutionäre Schöpfungspause endete zu Beginn des Proterozoikums. Vor etwa 2,5 Milliarden Jahren entstanden mit den Eukaryoten die ersten komplexen Vielzeller und Ahnen jeglichen höheren Lebens auf der Erde. Gleichzeitig ereignete sich Dramatisches! Durch die Fotosynthese der Cyano-Bakterien und später von Algen gelangte nach und nach mehr Sauerstoff in die Atmosphäre. Er vergiftete zunehmend die Lebensgrundlage der marinen Einzeller und raffte die Pioniere des Lebens dahin. Der trotz weltweiter Oxidationsprozesse ansteigende Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre und die sich bildende Ozonschicht eröffneten der Evolution neue Perspektiven. Sie entwickelte vor 1,2 Milliarden Jahren die Mehrzelligkeit der Pflanzen und reichlich 400 Millionen Jahre später jene der Tiere. Daneben erschuf sie das geheimnisvolle Reich der Pilze. Schließlich sorgte sie dafür, dass mit der sexuellen Fortpflanzung und der Zellspezialisierung der Tod des Individuums in die biologische Welt Einzug hielt. Aber auch tief unter der Erdoberfläche fanden Prozesse statt, die für das Leben bedeutsam waren.
Die Entstehung des Minerals Perowskit verstärkte vor reichlich drei Milliarden Jahren die Umwälzungsvorgänge im Erdmantel. Der daraufhin einsetzende Vulkanismus begünstigte das Anwachsen der kontinentalen Landmassen. Vor etwa einer Milliarde Jahren war der Erdkern schließlich so weit abgekühlt, dass er im Zentrum erstarrte. Dadurch wurden die Konvektionsmuster in der flüssigen äußeren Schale des Erdkerns regelmäßiger und begannen ein Magnetfeld zu erzeugen. Dieses Feld schirmte die kosmische Strahlung und den Partikel-Strom des Sonnenwindes ab und ermöglichte dem Leben künftig die Eroberung des Festlandes. Die stille und nachhaltige Veränderung des Lebens im Ozean vollzog sich unter schwierigen globalen Bedingungen. Am Anfang des Proterozoikums schlugen vermutlich die letzten großen Asteroiden auf der Erde ein. Danach herrschte lange Zeit ein kühles Klima. Die irdische Plattentektonik formte den Superkontinent Rodinia, der zeitweilig von mächtigen Gletschern bedeckt war. Der Ozean Monrovia, der den Kontinent umspülte, scheint vor 700 bis 800 Millionen Jahren selbst am Äquator bis zu zwei Kilometern tief gefroren gewesen zu sein. Doch trotz dieser unwirtlichen globalen Bedingungen reiften im letzten Abschnitt des Präkambriums, der Ediacara-Epoche, gewaltige evolutionäre Veränderungen heran, die sich im darauffolgenden Erdzeitalter beeindruckend entfalten sollten.
Im Kambrium (vor 541 bis 488 Millionen Jahren) überraschte die Architektin und Baumeisterin des Lebens die biologische Welt mit unerwarteten Innovationen und Inspirationen. Mit einem Schlag tauchten innerhalb kurzer Zeit nahezu alle heute bekannten Tierstämme auf. Die evolutionären Ideenblitze der kambrischen Radiation lösten eine explosive Entwicklung des irdischen Lebens aus. Zwar hatten nicht alle evolutionären Innovationen des Kambriums Bestand, aber die Erfindung des Außenskeletts, die zu den Gliedertieren führte, und die eines inneren Skeletts, die die Wirbeltiere hervorbringen sollte, bedeuteten faunistische Weichenstellungen. Im Kambrium entstand auch ein völlig neues biologisches Existenzschema. Fortan waren in der irdischen Fauna Räuber und Beute zu unterscheiden. Diese biologischen Antipoden sollten in den folgenden 500 Millionen Jahren in einen nicht enden wollenden evolutionären Aufrüstungswettstreit eintreten und vielfältige Angriffs- und Verteidigungswaffen entwickeln und perfektionieren.
Auch in den darauffolgenden Epochen des Paläozoikums (Erdaltertum), vom Ordovizium bis zum Perm, entwarf die Evolution intelligente Baupläne und schuf emsig, einfallsreich und unermüdlich großartige Stammbäume. Dabei hauchte sie so mancher bemerkenswerten Art Leben ein und gab ihrem Dasein eine Perspektive in einer biologischen Zukunft.
Im Ordovizium gedieh das Leben noch nahezu ausschließlich im Ozean. Es entstanden gewaltige Kopffüßer wie die Trilobiten und die ersten Fische. Im Silur begannen komplexer gebaute Gefäßpflanzen, Gliederfüßer und Weichtiere das Land für das Leben zu erobern. Der Landgang der Organismen in die noch sauerstoffarme Zone des Festlandes setzte sich im Devon fort. Gleichzeitig entfaltete sich in den Meeren, Flüssen und Seen eine ungeheure Vielfalt von Fischen. Im Karbon, dem großen Zeitalter der Amphibien, konnte sich das Leben schließlich fest an Land etablieren. Dank der Erfindung des hartschaligen Eies wurden die Reptilien von der Bürde einer an das Wasser gebundenen Fortpflanzung befreit. Erstmals bedeckten ausgedehnte Wälder aus Bärlapp-Gewächsen, Schachtelhalmen und Farnen die Kontinente. Aufgrund des hohen Sauerstoffgehaltes der Atmosphäre von über 30 % gelang es den Insekten, erstaunliche Riesenformen zu entwickeln. Im darauffolgenden Perm-Zeitalter vereinigten sich die Landmassen erneut zu einem Superkontinent. Die Bildung von Pangaea hatte globale Folgen für das Klima. An den Rändern des Kontinents war das Klima feucht und warm, sodass dort subtropische und tropische Bedingungen herrschten. Im Innern der Landmasse aber erstreckten sich lebensfeindliche Wüsten aus Felsen, Sand, Schnee und Eis.
Die Evolution verlief bereits im Erdaltertum keineswegs geradlinig, unbehelligt und ungestört. Es gab katastrophale Ereignisse mit weltweiten Auswirkungen, die zu Massensterben, Artenvernichtung und der Auslöschung ganzer Gattungen führten. Solche Vernichtungs-szenarien sind für das Ende des Ordoviziums, im unteren Devon und am Ende des Perms nachgewiesen.
Die Katastrophe am Ende des Perm-Zeitalters war die größte Apokalypse, die das irdische Leben in seiner Geschichte von etwa 3,5 Milliarden Jahren heimgesucht hat. Vor ungefähr 250 Millionen Jahren ist das höhere Leben auf dem Planeten beinahe ganz vernichtet worden. Etwa 95 % der maritimen Arten und ungefähr 75 % der landlebenden Spezies wurden in wohl nur 100.000 Jahren ausgelöscht. Als Ursachen für das Katastrophenszenario am Ende des Perms werden von der Wissenschaft verheerender Vulkanismus oder der Einschlag eines sehr großen Asteroiden diskutiert. Doch was auch immer die Vernichtungsorgie ausgelöst haben mag, das Leben und die Evolution auf der Erde erlitten durch das Perm-Ereignis einen existenziellen Niederschlag. Das Massensterben am Ende des Perms stellte die Zukunft des höher organisierten Lebens auf dem Planeten infrage. Ob sich die Evolution jemals von dieser Katastrophe würde erholen können, schien ungewiss zu sein! Nun, der weitere Fortgang der evolutionären Prozesse ist bekannt. Das Schöpfertum der Evolution wurde am Ende des Perms nicht abrupt beendet. Die Evolution ließ sich von der Zeit nicht auszählen und zur Geschichte machen! Sie zeigte hervorragende „Nehmerqualitäten“, stand auf, besann sich auf ihr Schöpfertum und rettete das höhere Leben auf der Erde vor der Vernichtung. Im Mesozoikum (Erdmittelalter) sollten ihre Inspirationen, Innovationen und kreativen Ideen eine wunderbare Blüte und Renaissance erleben.
Was nach dieser tiefen evolutionären Zäsur auf einer warmen, überwiegend eisfreien Erde entstand, waren beeindruckende Floren und Faunen, die mit Begriffen wie erstaunlich, fantastisch, dynamisch, kolossal, gigantisch nur unvollständig beschrieben werden können. Das Erdmittelalter war zu Lande, zu Wasser und in der Luft die große Zeit der Reptilien und die Wiege der Vögel. Es ist auch das Zeitalter der weltweiten Ausbreitung der Nadelbäume und des evolutionären Siegeszuges der Blütenpflanzen. Die Welt der mesozoischen Troika Trias/Jura/Kreide wurde von einer bewunderungswürdigen Schöpfungskraft, einem großartigen Erfindungsgeist und dem komplexen Gestaltungswillen der Evolution geprägt. Auch das vierte Massensterben am Ende der Trias konnte die evolutionären Prozesse nicht nachhaltig zum Stillstand bringen. In einer ausufernden Experimentierfreude und beinahe liebevoller Ausgestaltung erschuf die Evolution in der Ordnung der Reptilien Art um Art; von nur wenigen Zentimetern großen Geschöpfen bis hin zu wahren Kathedralen aus Fleisch und Blut. Die Dinosaurier gerieten dabei zu ihrem Meisterstück. Wer weiß, wie sich diese Gattung noch entwickelt hätte, wenn sie evolutionär weiterperfektioniert worden wäre?
Doch dann beendete der Einschlag eines 15 bis 20 km großen Asteroiden vor 65,8 Millionen Jahren die erdmittelalterliche Schöpfungsphase der Evolution und löste ein fünftes Massensterben aus. Das Impakt-Ereignis am Ende der Kreidezeit war für das höhere Leben auf der Erde zwar einschneidend, bedrohte es aber nicht grundsätzlich in seiner Existenz. Gleichwohl erfolgten dadurch eine evolutionäre Zäsur und Neuorientierung, die sich für die Entwicklung des Lebens als richtungsweisend erwiesen.
Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Evolution – wenn sie sich denn personifizieren ließe – über die Vernichtung ihres großen Arsenals an Sauropoden- und Theropoden-Bauplänen am Ende der Kreidezeit schon ein wenig betrübt gewesen sein mag! Doch was blieb der Evolution anderes übrig, als die von einem kosmischen Zufallsereignis geschaffenen Fakten zu akzeptieren und sich einem Neubeginn unter veränderten Bedingungen zu stellen! Sie hatte das nach dem vorangegangenen globalen Massensterben schließlich schon mehrfach tun müssen. Die Evolution besann sich auf ihr Schöpfertum, entwarf neue innovative Baupläne und besetzte frei gewordene Nischen des Lebens mit originellen Kreationen. Allerdings sollten die mesozoischen Dimensionen auf dem Land und in der Luft nicht mehr erreicht werden.
Die Katastrophe am Ende der Kreidezeit öffnete das evolutionäre Tor zur großen Zeit der Säugetiere, die im folgenden Paläogen und Neogen eine unerwartete Blüte erlebten. Der Aufstieg der lebend gebärenden Fellträger resultierte vermutlich aus der Tatsache, dass sie warmblütig und nachtaktiv waren sowie ein verfeinertes Hör- und Sehvermögen besaßen und einen verbesserten Geruchssinn entwickelten. Die Evolution hatte die Ordnung der Säugetiere etwa 100 Millionen Jahre lang vergleichsweise stiefmütterlich behandelt. Vom Paläozän bis zum Pliozän schien es über 60 Millionen Jahre lang, dass die Geschichte des Lebens von der Evolution mit einer großartigen Blüte der Säugetiere einfach fortgeschrieben werden sollte. Doch dann begannen sich am Ende des Pliozäns vor über drei Millionen Jahren unerhörte Dinge zu ereignen. Nach und nach stiegen bestimmte Primaten von den schützenden Bäumen und begannen Verstand, Werkzeuge und eine Kommunikation mithilfe einer Sprache zu entwickeln.
Der Aufstieg der vernunftbegabten Primaten gestaltete sich am Anfang durchaus mühselig und beschwerlich. Die ersten Homininen waren zweifellos mehr Beute denn Jäger und hatten alle Hände voll zu tun, das Überleben ihrer Arten in einer gefährlichen und rauen Umwelt zu sichern. Zunehmende globale Vereisungen gestalteten die Lebensbedingungen in den nördlichen Breiten unwirtlich und lebensfeindlich. Sie beeinflussten auch das Klima in der afrikanischen Wiege der Menschheit nachhaltig. Den Fossilien-Funden zufolge scheint Ostafrika das bevorzugte Experimentierfeld der Evolution in Richtung Menschwerdung gewesen zu sein. Immerhin brauchte die Evolution mindestens fünf Millionen Jahre und zahlreiche Ansätze, um aus den Vorfahren der Menschenaffen über Affenmenschen, Vormenschen und Nebenmenschen vor etwa 2 Millionen Jahren schließlich Frühmenschen zu erschaffen. „Homa ergaster“ soll die erste Menschenform gewesen sein, die den afrikanischen Kontinent verließ und als aufrecht gehender Hominine Europa und Asien für mehrere 100.000 Jahre besiedelte. Die Evolution gab sich damit aber nicht zufrieden. Sie perfektionierte ihre Schöpfungen weiter und es erfolgten weitere Auswanderungswellen. Vor 200.000 Jahren entstanden in Asien und Europa als evolutionäre Antwort auf die dortigen eiszeitlichen Bedingungen die Neandertaler und Denisovianer. Etwa zur gleichen Zeit erschuf die Evolution in Afrika den modernen Menschen homo sapiens sapiens. Die evolutionär gelungenste Form einer vernunftbegabten Spezies besiedelte in weniger als 60.000 Jahren Europa, Asien, Australien und beide amerikanischen Kontinente. Dabei verdrängte die Art allmählich offenbar auch die anderen Homininen. Nach dem Ende der letzten Eiszeit stieg der moderne Mensch schließlich in weniger als 12.000 Jahren zum Herrn des Planeten Erde auf.
Vielleicht hätte das evolutionäre Experiment „Vernunft“ auch in anderen Bauplänen des Lebens verwirklicht werden können. Am Ende des Mesozoikums wären dafür möglicherweise Raptoren infrage gekommen, wenn der Evolution mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte. Darüber hinaus gibt es auch einige vielversprechende evolutionäre Ansätze bei rezenten Arten wie beispielsweise Delfinen oder den Menschenaffen. Doch der Mensch mit seinen vielfältigen globalen und oft zerstörerischen Aktivitäten dürfte der biologischen Evolution für weitere Experimente in Sachen „Vernunft“ und „Verstand“ weder Zeit noch Raum lassen.
Im Gegenteil, dem homo sapiens wird vorgeworfen, durch seinen Aufstieg an die Spitze der irdischen Fauna ein schleichendes sechstes Massensterben ausgelöst zu haben. Diese Sichtweise mag im Kern berechtigt sein, doch kann die Situation mit den Szenarien bei früheren Katastrophen nicht gleichgesetzt werden. Die fortschreitende Zerstörung der irdischen Biosphäre und der unwiederbringliche Verlust von Biodiversität sind der vernunftbegabten Spezies bewusst. Zunehmendes ökologisches Denken führt dazu, dass die Menschheit durchaus bemüht ist, nachteilige Folgen menschlicher Aktivitäten bei der Eroberung und Ausgestaltung von Lebensräumen zu begrenzen. Ob diese Anstrengungen und Initiativen ausreichen oder wirksam genug sein werden, um das beschworene sechste Massensterben zu verhindern, ist jedoch mehr als fraglich. In Anbetracht des ungebremsten Bevölkerungswachstums scheint den Menschen nämlich die Zeit für einen effizienten Schutz der Biosphäre des Planeten und der Erhaltung ihrer Diversität mehr und mehr davonzulaufen. Die fatalen Folgen und bitteren Konsequenzen dieser bedenklichen Entwicklung werden allerdings erst künftige Generationen im vollen Umfang zu spüren bekommen. Für die Menschen der Gegenwart bleibt nur zu hoffen, dass die Nachgeborenen unsere Überheblichkeit, Fehler, Ignoranz und Untätigkeit nicht verfluchen werden!
Das gelungene evolutionäre Experiment der Erschaffung einer Spezies, die über einen Verstand verfügt und zur Vernunft befähigt ist, wirft viele Fragen auf. Erstmals in der langen evolutionären Geschichte des Lebens auf der Erde könnte ein Kind der Evolution auf den Gedanken kommen, seiner Schöpferin ins „Handwerk“ zu pfuschen und die weitere evolutionäre Entwicklung mitbestimmen zu wollen. Sollte man diesen Gedanken als eine schöpferische Posse abtun, eine evolutionäre Panne betrachten oder als einen Geniestreich in einem mehr oder minder zwangsläufigen Prozess verstehen? Wie auch immer man diese Frage beantworten mag, die Entstehung einer zur Selbsterkenntnis und zum höheren Denken befähigten Art eröffnete ein neues evolutionäres Szenario. Die Evolution hat damit Abläufe in Gang gesetzt, die nicht mehr allein ihren Regeln und Gesetzen unterliegen.
Seit etwa 100.000 Jahren wird die biologische Evolution der Homininen durch eine Entwicklung überlagert, die zunehmend an Dynamik gewinnt. Es handelt sich um die soziokulturelle Evolution der menschlichen Gesellschaft. Anfänglich war diese Dynamik gesellschaftlicher Entwicklung noch unbedeutend, doch in den letzten 10.000 Jahren hat sie sich zu der bestimmenden Komponente in der Entwicklung der Menschheit entwickelt. Die biologische Evolution der Gattung homo sapiens ist jedoch keineswegs beendet, denn sie setzt sich nach wie vor fort. Allerdings wirken ihre Mechanismen in einer Zeitskala von einigen Zehntausend bis Hunderttausend Jahren. Die soziokulturelle Evolution vollzieht sich dagegen in Jahrzehnten oder Jahrhunderten und scheint sich weiter zu beschleunigen. Damit läuft dieser evolutionäre Prozess etwa drei Größenordnungen schneller ab als biologische Anpassungen. Insofern tritt die biologische Optimierung der Art in einem überschaubaren Zeitmaßstab hinter die weitere Ausgestaltung gesellschaftlicher und zivilisatorischer Prozesse zurück. Für die evolutionäre Entwicklung der Menschheit ist es nicht wichtig, was der Art in einer Million Jahren widerfahren könnte. Für die Weiterentwicklung und das Fortbestehen der Kultur der Art homo sapiens sapiens sollten vielmehr die nächsten 5.000 bis 10.000 Jahre entscheidend sein. Wohin aber könnte die soziokulturelle Evolution die Menschheit führen? Freilich lassen sich dazu nur Spekulationen anstellen. Seriöse Prognosen sind bekanntermaßen, insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen, schwierig. Diese frappierende Erkenntnis eines Witzboldes wird Mark Twain oder Karl Valentin zugeschrieben. Sie sollte einen Visionär eigentlich davon abhalten, sich darin zu versuchen. Doch ohne sich in Details verlieren zu wollen, scheinen aus heutiger Sicht wohl drei grundsätzliche Szenarien denkbar zu sein. Dabei tut es nichts zur Sache, dass diese gedanklichen Ansätze einem Science-Fiction-Roman entsprungen sein könnten.
Szenario 1 (eine Endzeit-Version)
Auf der Erde findet eine weitgehend irreversible Zerstörung der Biosphäre mit katastrophalen Folgen für die globale Umwelt und die Lebensqualität der Menschen statt. Darüber hinaus haben sich die wichtigsten irdischen Ressourcen durch Raubbau total erschöpft und sind zu zivilisatorischen Streitobjekten geworden. Diese Prozesse lösen gesellschaftliche Konflikte aus, in deren Folge es zu einer verheerenden globalen Auslöschung von Leben, der Vernichtung zivilisatorischer Errungenschaften sowie einer Zerstörung der Umwelt, einschließlich der Atmosphäre, kommt.
Für eine weltweite Vernichtungsorgie von höherem Leben kommen auch kosmische Ursachen wie ein kolossales Impakt-Ereignis mit einem großen Asteroiden, eine nahe Supernova oder ein Treffer durch einen verheerenden Gamma-Blitz infrage. Schließlich ist auch eine apokalyptische Pandemie als Auslöser für einen drastischen Niedergang der menschlichen Zivilisation denkbar.
Wenn die Gattung homo sapiens diese evolutionäre Zäsur biologisch überstehen sollte, könnten sich archaisch anmutende, nachzivilisatorische Kulturen entwickeln. Sie werden über keine Hochtechnologien verfügen, keine nennenswerte wissenschaftliche Forschung betreiben und geistig-kulturell wohl überwiegend im Dunkel fatalistischer Religiosität versinken. In diesem „Endzeit-Szenario“ wird die soziokulturelle Evolution der Menschen auf einem sehr niedrigen Niveau verharren, wobei praktisch keine oder nur sehr ungewisse Perspektiven für einen erneuten soziokulturellen Aufschwung des homo sapiens bestehen. Das Risiko des Aussterbens der Art infolge von Krankheiten, Seuchen, Nahrungsmangel und abnehmender Fertilität dürfte in diesem Endzeit-Szenario beträchtlich sein. Angesichts der ausweglos erscheinenden zivilisatorischen Situation könnte die biologische Evolution über kurz oder lang wieder das Geschehen in einer sich vielleicht langsam erholenden Biosphäre des Planeten bestimmen. Wahrscheinlich wird sie dann, wie sie es auch früher schon nach anderen Massensterben auf der Erde getan hat, einen evolutionären Neustart des biologischen Lebens beginnen.
Szenario 2 (Variante „lichte Zukunft“)
Die Menschen können die soziokulturelle Evolution so steuern, dass die globalen Disproportionen in Bezug auf die Verteilung der Ressourcen (vor allem Wasser, Rohstoffe, fruchtbare Böden, Nahrungsquellen) verantwortungsbewusst und ökologisch vertretbar auf ein Maß allgemeiner Akzeptanz eingeschränkt werden. Darüber hinaus gelingt es durch einen fairen Handel sowie durch Transfer- und Ausgleichsmaßnahmen, weltweit annähernd gleiche Lebensverhältnisse herzustellen. Voraussetzung für das Gelingen einer solchen globalen Interessenübereinkunft ist jedoch die wirksame Begrenzung des ungehemmten Bevölkerungswachstums. Die demografische Fehlentwicklung ist nämlich die Hauptursache für die meisten zivilisatorisch bedingten und verursachten Übel (z. B. Raubbau, Massentierhaltung, Überfischung, Umweltverschmutzung, fehlende klimaneutrale Energieversorgung usw.). Neben der Abwendung der demografischen Katastrophe kann auch die soziale Frage (Gegensatz zwischen arm und reich) vom Grundsatz her gelöst werden.
Die technologische und wissenschaftliche Entwicklung schreitet weiter voran. Es wird zunehmend qualifizierte Raumfahrt betrieben, die auch den Abbau von Rohstoffen auf dem Mond oder nahen Asteroiden ermöglicht. Vielleicht lässt sich die ökologische Situation auf der Erde weiter wirksam entspannen, wenn durch eine Art Terraforming die Kolonisierung des Planeten Mars ermöglicht werden kann. In diesem Zukunftsszenario sollte die soziokulturelle Evolution trotz einer gewissen Bandbreite von verbleibenden gesellschaftlichen Konflikten vielleicht zu einer gesicherten Perspektive der menschlichen Zivilisation führen.
Szenario 3 (eine vermutlich realistische Version)
Es findet zwar keine dramatische, jedoch eine schleichende Zerstörung der Biosphäre des Planeten statt. Darüber hinaus gelingt es auch nicht, die soziokulturelle Evolution so zu steuern, dass die weltweiten gesellschaftlichen und zivilisatorischen Gradienten und Spannungen auf ein akzeptables Niveau abgebaut und grundlegende ökologische Probleme gelöst werden. Die Welt zerfällt in arme, reiche und aufstrebende Regionen, die sich mehr oder minder konfrontativ gegenüberstehen. Streitobjekte sind vor allem die noch verfügbaren Ressourcen (vor allem Energie, Wasser, Bodenschätze, Nahrungsquellen). Dabei kommt es vermutlich zu einer gesellschaftlichen Abschottung zwischen den unterschiedlichen Regionen, die durch historische, religiöse, kulturelle und anderweitige zivilisatorische Gründe begünstigt und beeinflusst wird. Die spannungsgeladene globale gesellschaftliche Situation könnte durch weltweiten Terrorismus, global organisierte Kriminalität und permanente unkalkulierbare Migrationsströme weiter destabilisiert werden.
Hochtechnologien, Wissenschaft und Raumfahrt dienen vor allem der Privilegierung bestimmter Schichten und Kulturkreise in den reichen Regionen und nicht der Lösung der weltweiten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme. Die soziokulturelle Evolution dürfte dabei eine weite Auffächerung oder Aufspaltung zeigen. Bei dieser Entwicklung wird es zwangsläufig Gewinner und Verlierer geben. Die gegenwärtige globale Situation der menschlichen Gesellschaft scheint in manchen Aspekten den Anfängen eines solchen Szenarios zu entsprechen. Die skizzierte soziokulturelle Entwicklung wird letztlich global zu einem instabilen gesellschaftspolitischen Zustand führen. Der fragile zivilisatorische Status quo mit seinen vielfältigen gesellschaftlichen Spannungen und Disproportionen dürfte irgendwann in einer dramatischen Situation enden und zu einer radikalen Umgestaltung führen.
In deren Ergebnis könnten große Bereiche der herkömmlichen Zivilisationsstrukturen verändert oder ausgelöscht werden und schließlich verschwinden. Eine verbleibende, vermutlich elitäre Minderheit wäre dann unter veränderten Randbedingungen vielleicht in der Lage, die soziokulturelle Evolution neu zu definieren und sie konzeptionell verändert fortführen. Die nachfolgende zivilisatorische Entwicklung wird dann von der Vernunft der gestaltenden gesellschaftlichen Kräfte, den noch nutzbaren Ressourcen, dem Regenerationsvermögen der Biosphäre sowie unkalkulierbaren Randbedingungen abhängig sein. In diesem Fall muss von einem wie auch immer gearteten Neustart der soziokulturellen Evolution der menschlichen Art auf einem niederen Niveau ausgegangen werden.
Bei all den spekulativen Betrachtungen zu den Perspektiven der soziokulturellen Evolution müssen sich die Menschen aber auch bewusst sein, dass ihre evolutionäre Zukunft in vielerlei Hinsicht ungewiss ist und nicht allein durch menschliches Handeln bestimmt wird.
Wir reisen auf der Erde mit der Sonne in etwa 230 Millionen Jahren um das Zentrum der Galaxis. Dabei oszilliert das Sonnensystem alle 30 bis 40 Millionen Jahre Dutzende von Lichtjahren durch die galaktische Ebene. Unser Stern hat in seiner Existenz von 4,6 Milliarden Jahren wohl gerade einmal 20 galaktische Umrundungen zustande gebracht. Da diese Bahn keine Kepler-Ellipse ist, durchquert das Sonnensystem auch immer wieder unbekannte interstellare Regionen. Wir können nicht ahnen, was in den langen galaktischen Jahren irgendwo und irgendwann da draußen an Gefahren für das Leben auf der Erde lauert.
Die Sonne könnte in den Einflussbereich einer schwarzen Singularität geraten oder eine galaktische Zone mit einer nahen Supernova durchqueren. Astronomen haben herausgefunden, dass die Lokale Blase, in die das Sonnensystem eingebettet ist, mit der Nachbarblase Loop I kollidiert ist. Dabei soll es vor ca. 2,5 und 7,5 Millionen Jahren zu zwei Supernova-Ereignissen gekommen sein. Berechnungen zufolge sind damals zwei Sterne von etwa neun Sonnenmassen in einem Abstand von weniger als 300 Lichtjahren zur Erde als Supernova aufgeleuchtet. Wäre diese Distanz eine Größenordnung geringer gewesen, hätte die irdische Biosphäre diese kosmischen Ereignisse wohl nicht unbeschadet überstanden!
Aber auch die astronomische Zukunft des Sonnensystems scheint keineswegs sicher zu sein. So soll uns in 10.000 Jahren die Sonne Proxima Centauri mit drei Lichtjahren ziemlich nahekommen und der heute noch zehn Lichtjahre entfernte Zwergstern Ross 248 wird in 33.000 Jahren ebenfalls nurmehr drei Lichtjahre vom heimischen Sonnensystem entfernt sein. Die Annäherung dieser Sterne könnte die Bahnen der äußeren Planeten durcheinanderbringen.
Nach der Prognose der Wissenschaftler werden wir uns ohnehin in der nahen Zukunft eines Kometensturms aus der Oortschen Wolke zu erwehren haben. Na und mit der Stabilität der Merkur-Bahn ist es ja auch so eine Sache!
Freilich kann es auch irgendwo und irgendwann in den galaktischen Weiten zu einem vernichtenden Angriff einer überlegenen feindlichen Spezies kommen. So ein Gedanke darf nicht von vornherein als eine bloße Science-Fiction-Idee abgetan werden. Zumindest ist ein derartiges Szenario nicht völlig auszuschließen, schließlich wissen wir nichts über die Moralauffassung, die ethischen Vorstellungen und die Mentalität einer hoch entwickelten außerirdischen Intelligenz.
Aber tödliche Gefahren lauern auch unter der Oberfläche unseres Planeten Erde. So könnte der Ausbruch eines Supervulkans, wie beispielsweise desjenigen, der unter dem Yellowstone-Areal lokalisiert ist, kontinentale Verwüstungen verursachen, die das globale Klima auch langfristig umgestalten. Solche geophysikalischen Vorgänge würden gesellschaftspolitische Veränderungen nach sich ziehen und die zivilisatorischen Karten auf dem Planeten neu mischen.
Doch unabhängig von allen denkbaren Katastrophen und den Risiken der weiteren zivilisatorischen Entwicklung der Menschen wird die biologische Evolution ihr Wirken auf dem Planeten fortsetzen. Sie wird tun, was sie immer schon getan hat: Baupläne des Lebens entwerfen und biologische Architekturen verändern, anpassen und optimieren, Nischen besetzen und frei gewordene Lebensräume mit neuen Innovationen erobern. Vielleicht hat sie dabei noch ein paar wirklich geniale Einfälle!
Die geotektonischen Prozesse werden fortschreiten und vermutlich in 200 Millionen Jahren Erdteile und Inseln wieder zu einem Superkontinent vereinen. Dabei können Meere oder und Ozeane verschwinden, Bergketten versinken und neue Gebirge in den Himmel wachsen. Das globale Klima wird weitgehend von diesen Prozessen, vielleicht auch durch menschliche Aktivitäten, aber maßgeblich von der Sonne bestimmt werden. Insofern dürften transozeanische Strömungen und Vulkanismus, Wüsten und Wälder, Dürren und Dauerregen sowie Eiszeiten und Warmzeiten auch in Zukunft entstehen und vergehen und das Antlitz des Planeten formen und verändern. Eines Tages dürfte allerdings die Zeit kommen, in der die Sonne der Evolution auf der Erde endgültig das Handwerk legen wird. Dieser Prozess könnte bereits in 900 Millionen Jahren seinen Anfang nehmen, wenn die mittlere Temperatur auf dem Planeten über den für höheres Leben kritischen Wert von 30 °C ansteigt. Eine weitere Milliarde Jahre später prognostizieren die Experten einen Temperaturanstieg auf 100 °C. Dann werden die Ozeane bereits weitgehend verdampft sein und niedere Lebensformen nur noch in Nischen existieren. Schließlich wird das Aufleuchten der Sonne zu einem roten Riesenstern das Leben auf dem Planeten Erde endgültig auslöschen.
Die von der Evolution auf der Erde geschriebene Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte des Lebens könnte ihrer Schönheit und Einmaligkeit wegen aber zuvor zu einer himmlischen Legende geworden sein. Möglicherweise haben Sonnenwinde oder Sternenstürme die märchenhafte Geschichte vom Werden und Vergehen des irdischen Lebens dann längst in die galaktischen Weiten der Milchstraße verweht. Wer weiß, aber dort mögen vielleicht fremde Geschöpfe aus anderen Zeiten dem Raunen, Wispern und Flüstern des Alls lauschen:
„… es war einmal ein Archipel in Raum und Zeit, dem die Menschen den Namen Milchstraße gegeben hatten. Die große Balkenspirale mit über 150 Milliarden Sternen, einem Durchmesser von reichlich 120.000 Lichtjahren und einem Halo mit fast 200 uralten Kugelsternhaufen leuchtete eindrucksvoll am Himmel. Die majestätische Galaxie wurde von einem Dutzend Zwerggalaxien wie dem Dreiecks-Nebel, den Magellanschen Wolken und der diffusen Antlia-Formation begleitet.
In der Milchstraßen-Galaxie glühte einst zwischen den Spiralen Sagittarius und Perseus am inneren Rand des Orionarmes ein Stern vom Spektraltyp G 2/V. Die gelbe Sonne konnte dem Leben auf dem dritten Planeten ihres solaren Systems fast fünf Milliarden Jahre eine Heimstatt geben. In diesem langen Zeitraum erschuf die Evolution eine faszinierende Welt organischen Lebens. Trotz mehrerer Massensterben aufgrund von Katastrophen mit globalen Auswirkungen hat die Evolution das Leben auf dem Planeten Erde beschützt, umsorgt, bewahrt und nicht untergehen lassen. Der Architektin und Baumeisterin des Lebens ist sogar die Schöpfung einer mit Vernunft begabten Art gelungen. Diese Spezies hat eine beachtliche zivilisatorische Entwicklung genommen und scheint schließlich auch in die interstellaren Weiten aufgebrochen zu sein. Doch wer weiß, diese einzigartige Welt voller Leben wird in der Nova ihrer roten Sonne bestimmt längst untergegangen sein …?“
Astronomischen Prognosen zufolge soll sich die Milchstraße in etwa 1,5 Milliarden Jahren die große Magellansche Wolke einverleiben. Dann könnte die schwarze Singularität im Zentrum der Galaxie zu einem aktiven Quasar mit vielleicht Milliarden Sonnenmassen anwachsen. 2,5 Milliarden Jahre später wird der Beginn der Vereinigung zwischen der Milchstraßen- und Andromeda-Galaxie prognostiziert. Bei diesem Prozess dürfte eine riesige elliptische Sterneninsel entstehen. Diesem gewaltigen Archipel in Raum und Zeit haben die Menschen sogar schon den Namen Milkomeda gegeben. Ob sich angesichts dieser künftigen dramatischen Ereignisse am Himmel der lokalen Gruppe dann noch irgendjemand an die Legende vom Wunder des Lebens auf der Erde erinnern wird?
Die Zeit steht im Ruf, unerbittlich und gnadenlos zu sein, weil sie stets nur unaufhaltsam verrinnt und lediglich im Ereignishorizont eines Schwarzen Loches eine Weile angehalten werden kann. Die Zeit mag auf ihre Art aber auch gerecht sein, denn ein Menschenleben, die Lebensspanne einer Art, die Dauer eines Zeitalters, die Tage einer Sonne, ja sogar die Stabilität einer schwarzen Singularität und selbst die Existenz eines ganzen Universums mögen begrenzt sein und irgendwann ein Ende finden. Schlichtweg scheint ein jegliches seine Zeit zu haben. Aber kann die zeitliche Endlichkeit des Seins schlechthin den Menschen wirklich Trost spenden?
Wer weiß? Doch die Legende von der untergegangenen Schönheit des irdischen Lebens scheint auch irgendwann und irgendwo einen evolutionären Neubeginn zu verheißen. Vielleicht ist es ein Trost und Wunder zugleich, davon träumen zu dürfen!
Legende vom irdischen Leben
Einst leuchtete ein Archipel in Raum und Zeit,
den Legenden Milchstraße genannt hatten.
Die Galaxie war eine der schönsten weit und breit.
Ihr Glanz überstrahlte am Himmel die Schatten.
Die Spirale formte einen Balken von hoher Symmetrie,
im Halo tummelten sich Kugel-Haufen uralter Sterne,
die Magellanschen Wolken umkreisten die Galaxie,
der Andromeda-Nebel schimmerte matt in der Ferne.
Es glühte im Orion-Arm der Milchstraßenwelt
eine Sonne, von acht großen Planeten umgeben,
der dritte war für ein Wunder auserwählt,
denn dort entstand eines Tages das Leben.
Die Begegnung von Erde und Theia schuf den Mond,
die Elemente waren wie entfesselt auf Erden.
Die Erde wurde mit der Entstehung des Lebens belohnt,
die Evolution hegte und pflegte dessen Werden.
Die Architektin des Lebens ging einen mühsamen Weg,
Erfolge und Irrtümer säumten ihn in allen Zeiten.
Fossilien sind für die Suche nach Perfektion ein Beleg,
nur Veränderung vermag dem Leben eine Zukunft bereiten.
Gewaltige Katastrophen suchten die Erde heim.
Sie drohten das Wunder des Lebens zu vernichten,
doch die Evolution sollte nicht zu besiegen sein
und noch vollkommener ihre Werke verrichten
Die Evolution erschuf eine Wunderwelt voller Leben
und schließlich sogar eine Art mit Vernunft und Verstand.
Die Erde konnte dem Leben lange eine Heimstatt geben,
bis es in der Nova der roten Sonne verschwand.
Doch vielleicht wurden zuvor von Sonnenwinden
Spuren des irdischen Lebens in die Galaxie verweht.
Dort mögen sie vom Wunder des Lebens künden,
das irgendwann im Strom der Zeit vergeht.
2. Brief vom 24. August 2019
Anlage
Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
Leipzig, 24. August 2019,
zu öffnen am 1. Mai 2036
Hallo, mein Enkeljunge,
heute drängt es mich, dir ein paar Gedanken mitzuteilen, für die mir das Leben in gemeinsamen Gesprächen vielleicht nicht mehr ausreichend Zeit einräumen könnte. Freilich vermag ich nicht zu sagen, ob du in knapp 17 Jahren meine Beweggründe verstehen kannst oder meine Gedanken als Spinnereien eines wunderlichen alten Mannes abtun wirst. Na ja, ich wage es trotzdem, selbst wenn du aus der Zukunft auf mich und meine Vorstellungen mitleidig herablächeln solltest.
Das Traktat, das ich dir heute ans Herz legen möchte, beschäftigt sich mit dem Gott-Glauben und der Religion sowie einigen Aspekten zu deren geschichtlicher Deutung. Darüber hinaus habe ich mir erlaubt, einige (nicht ganz ernst gemeinte) Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie anzustellen. Versteh’ mich bitte nicht falsch, ich möchte meine Überlegungen ausdrücklich nicht als glaubensfeindlich verstanden wissen. Das würde meinem Verständnis von Toleranz zuwiderlaufen. Als glaubenskritisch würde ich sie dagegen schon bezeichnen. Immerhin stelle ich mit meinen Betrachtungen zu Gott und zur Religion einen wie auch immer gearteten Glauben an ein übernatürliches Wesen zur Diskussion und letztendlich auch infrage. Und das völlig zu Recht, wie ich meine!
Das Argumentations-Papier „Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen“ ist im Grunde genommen als eine Satire zu betrachten. Es versucht, naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit religiösen Positionen in Übereinstimmung zu bringen. Das kann natürlich nicht wirklich gelingen, denn Vernunft und Glaube sind wie Feuer und Wasser, zwischen denen es keine Kongruenz geben kann. Dennoch habe ich die Mühe auf mich genommen, bestimmte religiöse Positionen und Vorstellungen mit astrophysikalischen Erkenntnissen und kosmologischen Fragestellungen abzugleichen. Dabei habe ich die Suche nach vermeintlichen Übereinstimmungen mit theologischen Deutungen sogar interessant und vergnüglich gefunden. Um den Witz und den spirituellen Schalk der Angelegenheit nachvollziehen zu können, bedarf es aber eines bestimmten naturwissenschaftlichen Wissens. Wem nicht bekannt ist, dass sich das Standarduniversum aufgrund der (nicht verstandenen) wachsenden Stärke der dunklen Energie ausdehnt und dieser Prozess vielleicht nur durch den gravitativen Einfluss von dunkler Materie aufgehalten werden kann, wird die Ironie in Kapitel 4 nicht verstehen können. Matti, ich hoffe, dass du mit zwanzig Jahren in der Lage sein wirst, diese und andere Pointen meines hier und da durchaus provokanten, aber auch schelmischen Traktates nachzuempfinden.
Zur Religion möchte ich vorab anmerken, dass sie eine sehr einfache Sicht auf die komplexen Lebensverhältnisse der Menschen darstellt. Sie nutzt vor allem die Sehnsüchte der Leute nach einem sie weise lenkenden übernatürlichen Wesen aus. Diese göttliche Entität soll ihnen sagen, was zu tun oder zu lassen ist. Wenn man sich mit Gott-Glaube und Religion beschäftigt, sollte man sich bewusst sein, dass diese Vorstellungen aus den Kindertagen der menschlichen Zivilisationen stammen. Damals hatten die Menschen die Wirklichkeit von Raum und Zeit und die Struktur des Standarduniversums mit seinen Myriaden von Sternenwelten, Milliarden Galaxien und zahlreichen schwarzen Singularitäten noch nicht erkannt. Sie glaubten tatsächlich, dass Naturgewalten wie Erdbeben, Stürme und Gewitter mit Blitz und Donner Ausdrücke eines göttlichen Zorns waren. Den Himmel ihres Herrn haben sie sich dabei ganz gegenständlich direkt über ihnen in den Wolken oder darüber vorgestellt.
Das Traktat von der kosmologischen Theologie soll dir deutlich machen, dass religiöse Gedankengebäude einer umfassenden naturwissenschaftlichen Betrachtung und Beurteilung nicht standhalten können. Die wissenschaftlichen Befunde, Erkenntnisse und Einsichten, die religiöse Überzeugungen infrage stellen, sind erdrückend. Daher kann ein göttliches Wesen in den Weiten des Standarduniversums keinen Platz haben. Der berühmte französische Mathematiker und Physiker Pierre Simon de Laplace hat diesen Sachverhalt erstaunlicherweise schon vor über 200 Jahren erkannt. Auf eine entsprechende Anfrage Napoleons soll er nämlich geantwortet haben, dass die Annahme eines Gottes eine ganz und gar überflüssige Hypothese sei.
Freilich halten viele Menschen auch zu Beginn des dritten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung nach wie vor am Glauben an einen wie auch immer gearteten Gott fest. Davon solltest du dich aber nicht irritieren oder beeindrucken lassen. Religion scheint im gesellschaftlichen Leben der Menschheit im Großen und Ganzen dennoch eine Angelegenheit von gestern zu sein. Dass es heute (immer noch) ein lebendiges kirchliches Leben gibt, ist das Resultat von jahrhundertelangen gesellschaftlichen Entwicklungen, historischen Traditionen und soziokulturellen Gepflogenheiten. Sie wirken in Verbindung mit Defiziten im naturwissenschaftlichen Denken vieler Menschen mehr oder weniger nachhaltig fort. Der Zenit der soziokulturellen Wirksamkeit dieser Vorstellungen und Überzeugungen ist jedoch seit Langem überschritten. Religion und Theologie befinden sich zunehmend in einer intellektuellen und gesellschaftlichen Defensive. Kirchliche Dogmen und religiöse Glaubensvorsätze haben jahrhundertelang von der Unwissenheit ihrer Anhänger profitiert. In einem zunehmend von der Wissenschaft und rationalem Denken geprägten Zeitalter werden sie eines (zwar wohl noch fernen) Tages nur noch ein gesellschaftliches Nischendasein fristen können!
Diese Prognose mag heute vielen Menschen noch unvorstellbar erscheinen, doch der Prozess der Säkularisierung wird in der fortschreitenden soziokulturellen Evolution nicht aufzuhalten sein. Der Wandel in der Bewertung von Glaubensfragen könnte in klerikal beherrschten Gesellschaften allerdings noch lange dauern, weil religiöse Überzeugungen in den Köpfen überwiegend bildungsferner Menschen nicht von heute auf morgen verschwinden werden. Dennoch wird sich auch dort irgendwann die Erkenntnis durchsetzen, dass der Glaube an einen Gott der Vision eines auf Treibsand gebauten gedanklichen Zauberschlosses gleicht, die im Angesicht der Wirklichkeit ins Nichts zerfließen muss.
Mein Junge, du wirst dich im Leben irgendwann entscheiden müssen, ob du geistig und emotional in einer Welt zu Hause sein möchtest, die von Vernunft und Verstand ohne religiöse Ideologien bestimmt wird, oder ob du der irrationalen Gemeinschaft gottgläubiger Menschen angehören willst. Diese Entscheidung musst du selbst treffen, sie kann dir niemand abnehmen.
Falls du dich für eine wissenschaftliche Weltanschauung entscheidest, solltest du dich dennoch bemühen, religiöse Grundsätze zu verstehen, dich mit den Überzeugungen gläubiger Leute vertraut zu machen und ihre Ansichten zu respektieren. So eine tolerante Einstellung wird auch der Überprüfung deines eigenen Standpunktes und der Verifizierung deiner intellektuellen Position zugutekommen.
Falls dich im Leben irgendwann einmal Leute für eine religiöse Überzeugung zu missionieren versuchen oder dir in Glaubensfragen in Bezug auf das Seelenheil das „Blaue vom Himmel“ verheißen, musst du vorsichtig sein und die Dinge besonders kritisch hinterfragen. Was ich damit meine, soll ein Beispiel aus einem ganz anderen geistigen Bereich deutlich machen:
„Stell’ dir einen Ingenieur vor, der ja durchaus einem anerkannten und geschätzten Berufsstand angehört. Wenn er für eine Berechnung eine komplizierte technische Formel anwenden muss, wird er die Parameter unter Berücksichtigung ihrer Schwankungsbreiten und von Sicherheitszuschlägen verantwortungsbewusst auswählen. In den allermeisten Fällen dürfte er mit seinem akribischen Vorgehen in der Praxis brauchbare und vernünftige Ergebnisse erzielen. So weit, so gut! Jetzt konfrontiere in Gedanken einen Naturwissenschaftler mit derselben Formel. Er wird die Struktur der 100.000-fach bewährten Formel wohl in aller Regel erst einmal kritisch hinterfragen. Um herauszufinden, ob es sich nur um eine Zahlenwertgleichung oder zugeschnittene Größengleichung handelt, dürfte er die Maßeinheiten der einzelnen Parameter betrachten oder die eine oder andere Variable gegen 0 oder ∞ gehen lassen. Vielleicht setzt er hier und da auch negative Werte ein und macht sich Gedanken über die Genauigkeit der verwendeten dynamischen Größen oder Konstanten. Falls bei diesen Betrachtungen nichts Vernünftiges herauskommen sollte, wird der Naturwissenschaftler die bewährte Formel vermutlich verwerfen, über Änderungen nachdenken oder sie als eine praktikable Näherung klassifizieren und ablegen.
Mein Junge, mit diesem Beispiel möchte ich dir den Unterschied zwischen einem formalen (hier technischen oder handwerklichen) Herangehen und einer substanziellen (hier wissenschaftlichen) Vorgehensweise verdeutlichen. Aber was hat die Botschaft des Vergleiches mit Glaubensfragen zu tun, wirst du dich vielleicht fragen?
Ich möchte dir damit auf eine ungewöhnliche Art und Weise bewusst machen, dass du, wenn es darauf ankommt, den Dingen immer auf den Grund gehen musst. Aus meiner Sicht betrifft das weniger die heutzutage und hierzulande geäußerten Verschwörungstheorien und andere abstruse Lebensphilosophien. Diese Ansichten scheinen so irrwitzig und gedanklich verbogen zu sein, dass ich glaube, mir diesbezüglich keine Sorgen um deinen Verstand machen zu müssen. Im Fokus meiner Besorgnisse steht vielmehr der Missbrauch des Glaubens an einen Gott. Das Gedankengut sektiererischer Vereinigungen kommt nämlich oft geschickt verklausuliert und raffiniert getarnt daher. Arglose oder naive Zielpersonen werden häufig durch die scheinbare Plausibilität und vermeintliche Vernunft der Argumente getäuscht. In so einem Fall muss religiöse Propaganda nicht nur formal, sondern auch substanziell hinterfragt werden. Daher kann eine kritische Einstellung zu scheinbar überzeugenden Offerten religiöser Ideologen oder ein gesundes Misstrauen gegenüber sektiererischen Missionsaktivitäten für einen jungen Menschen mitunter sogar lebensbedeutsam sein!
Herzliche Grüße aus der Vergangenheit!
Opa
Anlage
Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen – Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
Himmel und Erde sowie die Verbindung dazwischen Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
1. Der Himmel und die Erde – Definitionen, Lokalisierungen – Verbindung
Der theologische Kosmos der allermeisten Religionen kennt als Hauptweltbegriffe den Himmel und die Erde. Sie bezeichnen das Spannungsverhältnis zwischen der irdischen Welt und einer angenommenen göttlichen Sphäre. Darüber hinaus wird die Möglichkeit der Herstellung einer wie auch immer gearteten Verbindung zwischen Himmel und Erde von den nahezu allen Religionen positiv beantwortet.
1.1 Die Erde
Der Planet Erde ist die Heimat der einzigen rezenten Art der Gattung homo sapiens, also der Menschen der Gegenwart. Nach religiöser Überzeugung ist die Erde mit den Menschen und den anderen Lebewesen im Ergebnis eines göttlichen Schöpfungsaktes entstanden. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge hat jedoch die Evolution die irdische Biosphäre samt der vernunftbegabten Spezies in einem langen Prozess biologischer Optimierung entstehen lassen. Mit ihrer Hilfe und unter ihren Fittichen konnte die Art in weniger als einer Million Jahren zum Beherrscher des Planeten aufsteigen.
Die Erde ist ein definierter materieller Ort. Er befindet sich in einem Universum, das nach astrophysikalischen Erkenntnissen vor 13,8 Milliarden Jahren aus der Auflösung einer noch nicht verstandenen Singularität entstanden ist. Seitdem dehnt sich die universale Konfiguration aus. Die Heimat der Menschen kann im Standarduniversum über folgende räumliche Strukturen relativ eindeutig lokalisiert werden:
Laniakea SuperhaufenVirgohaufenlokale Gruppe
Milchstraßen-Galaxieinnerer Rand des Orionarms
lokale Blaselokale FlockeHauptreihenstern vom
Spektraltyp G 2/V3. Planet des solaren Systems mit
dem Namen Erde
Der Zustand, die Eigenschaften sowie die Naturgeschichte und die Entwicklung der irdischen Welt lassen sich mit naturwissenschaftlichen Gesetzen hinreichend gut beschreiben. Was die Entwicklung der vernunftbegabten menschlichen Art anbelangt, gehören dazu auch die Forschungsergebnisse der evolutionären Biologie und die Erkenntnisse der soziokulturellen Geschichte.
1.2 Der Himmel