Zellteilung E-Book

Frank Pfeiffer

• Herausgeber: Books on Demand
• Kategorie: Gesellschafts- und Liebesromane
• Sprache: Deutsch
• Veröffentlichungsjahr: 2023

Seitenzahl: 277

Beschreibung

Bei Jack (sie / ihr) und Jane (er / ihm) läuft es seit geraumer Zeit echt nicht sonderlich gut. Als langjährige Mitglieder einer Gruppe des berüchtigten Netzwerks revolutionärer Zellen (NerZ) haben die beiden sich einer politischen Utopie verschrieben, deren Realisierung mit jedem Tag in weitere Ferne zu rücken scheint. Der linksradikale Kampf um Befreiung von globaler, allgegenwärtiger Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung ist offenbar aussichtsloser denn je, die ihren organisatorischen Zusammenhang einst vielfältig unterstützende Bewegung sang- und klanglos implodiert. Zu allem Überfluss büßt Jane bei einem Verkehrsunfall sein Erinnerungsvermögen vollständig ein. Durch Erzählungen Jacks und die Lektüre subersiver Texte erschließt sich ihm nach und nach das dramatische Dilemma eines ebenso hoffnungs- wie alternativlosen Widerstands. Eins, zwei, drei, ist morgen schon vorbei?

Leseprobe

Vorspiel

Ein süßlich-fauliger Geruch kriecht in den Saal und die Bühne herauf. Dies verspricht für keine*n der Beteiligten eine angenehme Erfahrung zu werden. Als einzig sichtbarer Teil der Bühne ist ein schmaler Streifen vom übrigen Areal durch eine tiefschwarze Plastikplane abgetrennt. An einem leicht instabil wirkenden Klapptisch sitzt, missmutig frühstückend, DIE BOTSCHAFT, deren löchriger, fleckenübersäter Bademantel wahrlich schon bessere Tage gesehen hat. Ist das Eidotter am Kragen? Auftritt DIE SCHÖNHEIT, deren gleißende Aureole heftig in den Augen schmerzt. Angewidert betrachtet sie DIE BOTSCHAFT.

DIE SCHÖNHEIT: Schau dich nur an, BOTSCHAFT, derangiert wie nach einem siebenwöchigen Zechgelage! Eine Schande, sich derart gehen zu lassen!

DIE BOTSCHAFT: Wen juckt es, verdammt?! Ist doch eh alles im Arsch!

DIE SCHÖNHEIT: Das ist ganz genau die Haltung, die allenthalben für eine höchst unerquickliche Weltuntergangsstimmung sorgt!

DIE BOTSCHAFT: Klar, SCHÖNHEIT, verpacken wir doch einfach die Wettervorhersage recht hübsch, schon sind die täglichen Orkane, Überschwemmungen und Dürren der reinste Spaß!

DIE SCHÖNHEIT: Meinst du, Sarkasmus sei förderlich im Sinne der Gestaltung einer hoffnungsfrohen Zukunft?!

DIE BOTSCHAFT: Hoffnungsfrohe Zukunft? Bist du soeben aus einer Zeitmaschine gepurzelt? Bewegen wir uns überhaupt auf demselben Planeten?

DIE SCHÖNHEIT: Ich möchte ja gar nicht verhehlen, dass die Menschheit einige Generationen lang in nicht unerheblichem Maße über ihre Verhältnisse gelebt und ihrem Selbstzerstörungshang eine Spur zu ungestüm nachgegeben hat. Aber sie deshalb gleich komplett abschreiben? Ist nicht vielmehr unsere Verantwortung als ästhetische und moralische Instanzen von elementarem Rang umso größer?!

Vom Publikum aus gesehen rechts seitlich der Bühne erschallt gewaltiges Gepolter, gefolgt von mehrstimmigem Rufen.

Stimme Eins aus dem Off: Hallo?! Hey! Huhuuu!

Stimme Zwei aus dem Off: Wo treibt sich die stinkfaule Bande wieder herum?!

Stimme Drei aus dem Off: Das schimpft sich Unterhaltung!

Stimme Vier aus dem Off: Hilfe! Uns ist langweilig!

DIE SCHÖNHEIT plus DIE BOTSCHAFTin synchronem Erschrecken: Oh nein! DAS PUBLIKUM!

Das Aureolenlicht der SCHÖNHEIT flackert und flirrt aufgeregt, bevor es sich rasch wieder beruhigt.

DIE SCHÖNHEITsich anschickend, in die dem Lärmquell abgewandte Richtung zu entschwinden: Ich muss dann auch weiter! Du weißt ja, immer auf dem Sprung im Dienste des Schönen, Guten und Wahren.

Die Frühstücksüberreste vom Klapptisch fegend, springt DIE BOTSCHAFT auf und stellt sich der SCHÖNHEIT in den Weg.

DIE BOTSCHAFT: Moment mal! Wird da hinten nicht dein Typ verlangt?! Du weißt schon, im Dienste des Schönen, Guten und Wahren.

DIE SCHÖNHEIT: Unter uns, DAS PUBLIKUM kann heute ziemlich anstrengend, bisweilen sogar unausstehlich sein. Ich werde mir lieber Resonanzräume suchen, die meines ästhetischen Potenzials würdig sind.

DIE BOTSCHAFT: Und mich gedenkst du mit der stänkernden Meute allein zu lassen?! Nichts da, hiergeblieben!

DIE SCHÖNHEIT: Du hast mir gar nichts zu sagen, alte Kackbratze!

DIE SCHÖNHEIT täuscht kurz an, sich links an der BOTSCHAFT vorbeischlängeln zu wollen, um dann unvermittelt auf der anderen Seite einen Sprint anzusetzen. DIE BOTSCHAFT hat jedoch aufgepasst und schickt DIE SCHÖNHEIT per beherztem Tackling auf die Bühnenbretter. Rabiate Flüche und Verwünschungen ausstoßend, wälzen die beiden sich auf dem Boden. Im Kampfgetümmel herabgerissen, begräbt der Plastikplanenvorhang die Kontrahent*innen unter sich. Eine Weile lang verharrt das sich soeben noch wütend beharkende Duo still und regungslos, bevor es unter seinem Sichtschutz langsam von dannen kriecht. Kaum ist links der letzte Plastikplanenzipfel entschwunden, hebt rechts der Bühne erneut ein brachiales Lärmen an. Grimmiges Hundegebell. Irres Gelächter. Ein Schrei. Schwere Hammerschläge. Eine unverständliche Megafondurchsage. Sirenengeheul. Eine Axt fährt mehrfach tief in Holz. Das Brechen menschlicher Knochen. Ein befremdlicher Singsang. Lodernde Feuer. Grauenvolles Gelächter. Aufheulende Motoren. Quietschende Reifen. Menschen auf der Flucht. Menschen auf der Jagd. Das krakeelende Quartett.

Vierköpfiger Chor aus dem Off: Spektakel! Spektakel! Spektakel! Spektakel!

Just noch lediglich als schauderhaftsensationslüsternes Chörchen akustisch zu vernehmen, entert nun DAS PUBLIKUM leibhaftig in Form eines Speckkäfers mit vier Menschenköpfen die Bühne. Exakt dort, wo unlängst DIE BOTSCHAFT ihre Mahlzeit verzehrte, senkt es seine energisch schnüffelnden Häupter über das Frühstücksrestemassaker.

Speckkäferkopf Eins: Anscheinend hat die feine Künstlerbagage sich wieder einmal mächtig verlustiert!

Speckkäferkopf Zwei: Bacchantisches Treiben auf Kosten der hart arbeitenden Allgemeinheit!

Speckkäferkopf Drei: Wäre es da zu viel verlangt, uns ein wenig erbauliche Ablenkung von den Übeln und Unbilden der durch und durch rücksichtslosen Welt zu verschaffen?

Speckkäferkopf Vier: Stattdessen tanzt uns das parasitäre Pack frech auf den empfindlichen Nasen herum!

Speckkäferköpfe Eins bis Vier: Wir wollen doch wirklich nicht viel – nur anständige Kunst für anständige Leute!

Speckkäferkopf Eins: Aber natürlich kocht der heimatlose Haufen lieber sein eigenes Süppchen!

Speckkäferkopf Zwei: Eine bodenlose Frechheit, womit wir uns jahrein, jahraus immer wieder abspeisen lassen müssen!

Speckkäferkopf Drei: Welch empörender Kultur- und Sittenverfall! Kann es eigentlich noch schlimmer kommen?

Speckkäferkopf Vier: Schon! Stellt euch nur vor, wir müssten da unten sitzen!

Einen Wimpernschlag lang blicken die Speckkäferköpfe einander an, ehe sie ein anschwellendes sardonisches Lachen anzustimmen beginnen. Letzterem gesellt sich ein grollendes Donnern hinzu, das wiederum begleitet wird von mächtigem Windmaschinensturm, sich in Strömen über Bühne und Saal ergießendem Sprinklerregen sowie bedrohlich zuckenden Blitzen. Hurtig bedeckt der Speckkäfer seine empfindsamen Häupter mit dekorativen Hüten aus garantiert wasserundurchlässigem Wehrhaar. Auf dem dramatischen Höhepunkt des Unwetters entwächst dem Bühnenboden das Terrorarium, ein dreistöckiger Kubus aus Stahl und eisgrauem Trübglas. Abrupt verschließt die vergilbte Decke ihre Schleusen, ein finaler Blitz verendet kläglich, Sturm und Donnergrollen weichen Grabesstille. Ein wohltuendes atmosphärisches und intellektuelles Vakuum. Rüde gestört durch Unmutsgeraune auf den billigen Plätzen. Bornierte, undankbare Hinterwäldler*innen! Deutlich weniger reserviert präsentiert sich der Speckkäfer, der mit rhythmischem Stampfen und Klatschen seiner Gliedmaßen der sturmumtosten kubischen Bühnengeburt Beifall zollt.

Speckkäferkopf Eins: Geht doch, weshalb nicht gleich so?!

Speckkäferkopf Zwei: Echt schicke Kulisse!

Speckkäferkopf Drei: Und auch noch mit ordentlich Tamtam aus dem Hut gezaubert!

Speckkäferkopf Vier: Hätte ich den drögen Lahmärschen gar nicht mehr zugetraut!

Mittels einträchtigen Nickens erwartungsfrohe Zustimmung signalisierend, harren die Speckkäferköpfe geduldig des nächsten inszenatorischen Höhepunktes. Nach zirka zwanzig Sekunden nimmt das kollektive Nicken hektisch anmutende Züge an, die Gliedmaßen beginnen unruhig zu zucken.

Speckkäferkopf Eins: Das war es jetzt aber nicht schon mit der ganzen Herrlichkeit, oder?!

Speckkäferkopf Zwei: Wäre ja auch zu schön gewesen, uns einmal ein vergnügliches Unterhaltungsprogramm gehobener Qualität ganz ohne dramaturgischen Leerlauf zu gönnen!

Speckkäferkopf Drei: Passt auf, gleich sollen wir noch in saure Moralinsuppe, verfeinert mit einem satten Schuss Identitätspolitik, getunkt werden!

Speckkäferkopf Vier: Hauptsache, es passiert endlich überhaupt etwas, wenn ihr mich fragt!

Speckkäferköpfe Eins bis Viersynchron lauthals skandierend: Langweilig! Langweilig! Langweilig! Langweilig!

Mit Verstummen des insektoiden Chores fängt es hinter dem opaken Glas der unteren Kubusebene in grellen Stößen zu blinken an. Schwarz! Weiß! Rot! Schwarz! Weiß! Rot! Schwarz! Weiß! Rot! Schwarz! Weiß! Rot! Schwarz! Weiß! Rot! Schwarz! Weiß! Rot! Schwarz! Weiß! Rot! Wie von imaginärem Wischwerk gereinigt, legt die Unterscheibe ihre undurchdringliche Trübnis ab. Beleuchtet vom weiterhin pulsierenden Schwarz-Weiß-Rot ist hinter dem erklarten Fensterglas ein akkurat geschnittener Rasen zu erkennen, den vier kapitale Maulwurfshügel verunstalten. Erschallen einer phonetischen Naturgewalt, die Saal und Bühne in deren Grundfesten erschüttert.

Donnerstimme aus dem Theaterolymp: PUBLIKUM! Dein witzloser Wankelmut hat schon manch einem künstlerischen Höhenflug ein jähes, unbarmherziges Ende bereitet! Du wurdest ersonnen, gepriesen, hofiert, abonniert, verlacht und beschimpft und stierst wie eh und je mit stumpfem Blick dumm aus der Wäsche und auf den Vorhang deines Verstandes. Dir ist langweilig? Glaub mir, hier oben fallen uns schon bei dem bloßen Gedanken an dich die Augen zu! Höchste Eisenbahn, endlich den wund gesessenen Arsch in Bewegung zu setzen und dich selbst ein wenig stärker in das Spiel des Lebens einzubringen! Aber reden wir nicht lange um den heißen Brei herum, wer dich kennt, weiß, dass du mit einer solchen Aufgabe heillos überfordert wärest. Also Schluss mit dem dämlichen Geglotze und auf zu einer zünftigen Partie Whac-A-Demagogue! Viel Erfolg und nur keine falsche Zurückhaltung, die bösartigen, Gift und Galle spuckenden Ideenmaulwürfe haben sich eine kräftige Tracht Prügel allesamt redlich verdient!

In rasantem Tempo schweben vier stattliche Vorschlaghämmer herab und jeweils direkt in eine der instinktiv zum Schutz erhobenen Extremitäten des Speckkäfers.

Speckkäferkopf Eins: Wow, mit dem vierfach eingeflogenen Mjölnir hätte ich jetzt eher nicht gerechnet!

Speckkäferkopf Zwei: Nur was sollen wir nun mit den Mordsteilen anstellen? Ab in die Kulisse und alles kurz und klein hauen?

Speckkäferkopf Drei: Hört sich voll lahm an! Hieß es nicht, wir dürften auf Lebewesen einschlagen?

Speckkäferkopf Vier: Den Versprechungen dieses Orakels für Arme dürfte wohl kaum zu trauen sein. Wahrscheinlich ein betrunkener Praktikant der Hausmeisterei, der sich unbefugt der Lautsprecheranlage bemächtigt hat.

Unsichtbarer Chor betrunkener Praktikant*innen des Facility Managements: Welch unerwartete Ehre, heraufbeschworen zu werden aus den Reihen derer, die unsere Existenz sonst allenfalls im Angesicht verstopfter Abwasserrohre goutieren! Selbstredend helfen wir nach Kräften, wann immer sich uns die Gelegenheit bietet, auch und gerade dann, wenn es keine zugeschissenen Klosettschüsseln, sondern bis zu den Schädelkalotten verkotete Köpfe zu reinigen gilt.

Speckkäferkopf Eins: Hört, hört! Die Sanitärbrigade wähnt sich offenbar zu Höherem berufen!

Speckkäferkopf Zwei: Vielleicht sollten wir eine Runde goldener Glühbirnen springen lassen!

Speckkäferkopf Drei: Oder wir spendieren ein paar maßgeschneiderte Hausmeisterkittel!

Speckkäferkopf Vier: Nur nicht übertreiben, sonst ermutigen wir die Burschen noch in ihrem Größenwahn! Ist die aufmüpfige Bagage auf den heiligen Pömpel gestoßen oder wie gedenkt sie uns auch nur im Geringsten zu beeindrucken?!

Aus der Decke schießt schräg ein Schwarzwasserstrahl hervor und trifft mit elementarer Wucht mittig auf den Rückenpanzer des Speckkäfers. Letzterer wird in hohem Bogen nach vorne geschleudert und kollidiert mit der daraufhin lautstark zerberstenden Unterscheibe des Terrorariums. Dreikehliges Zetern, Jammern und Wehklagen! Dreikehlig? Allerdings, kullert doch ein einsamer Speckkäferkopf traurig von dannen. Die Erkenntnis ihrer Dezimierung ruft bei den auf dem Speckkäferrumpf verbliebenen Häuptern einen rapiden Stimmungsumschwung hervor.

Speckkäferkopf Eins: Ups, da hat es den Dickkopf doch glatt aus der Kurve getragen!

Speckkäferkopf Drei: Kein Wunder, Zwei wollte schon immer mit dem Kopf durch die Wand!

Speckkäferkopf Vier: Überleben ist halt Kopfsache!

Der Speckkäferrumpf erbebt vor dreifachem keckerndem Gelächter. Die Massivität der maliziösen Vergnügtheit führt zu einem motorischen Kollateralschaden in Form eines Zusammenstoßes zwischen Drei und Vier.

Speckkäferkopf Drei: Au! Kannst du nicht aufpassen, verdammter Schwachkopf!?

Speckkäferkopf Vier: Halt die blöde Fresse, sonst setzt es eine Kopfnuss, die sich gewaschen hat!

Speckkäferkopf Eins: Schnauze, Schrumpfköpfe, oder ihr dürft ratzfatz Kamerad Zwo Gesellschaft leisten!

Geharnischte Repliken wollen von Drei und Vier ausgespien werden, zerfallen aber auf deren pelzigen Zungen, als plötzlich Leben in die immer noch stoßweise schwarz-weiß-rot illuminierte, nun unbefensterte Gartenszenerie vor ihnen kommt. So schießen abwechselnd skelettierte Maulwurfsköpfe mit lilafarbenen Galeri aus den vier Hügeln empor, sondern stakkatoartig Wortschwalle ab und entschwinden flugs wieder in der Unterwelt.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: Es ist eine unumstößliche Wahrheit, dass alles, was Leben und Bestand haben soll, eine bestimmte Abneigung, einen Gegensatz, einen Hass haben muss; dass jedes Volk ebenso eine feste Liebe und einen festen Hass haben muss, wenn es nicht in gleichgültiger Nichtigkeit und Erbärmlichkeit vergehen und zuletzt mit Unterjochung endigen will. Ich könnte traurig hinweisen, wodurch die letzten Jahre über Deutschland gekommen sind. Wir liebten und erkannten das Eigene nicht mehr, sondern buhlten mit dem Fremden. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: Die Judenfrage ist schon lange eine brennende Frage; seit einigen Monaten steht sie bei uns in hellen Flammen. Sie zehrt nicht vom religiösen Fanatismus, auch nicht von politischer Leidenschaft. Orthodoxe und Freigeister, Konservative und Liberale reden und schreiben über dieselbe mit gleicher Heftigkeit; sie alle behandeln das Judentum nicht als einen Zankapfel konfessioneller Unduldsamkeit, sondern als einen Gegenstand sozialer Besorgnis. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: Der Glaube an den Parlamentarismus, an ein >>government by discussion<<, gehört in die Gedankenwelt des Liberalismus. Er gehört nicht zur Demokratie. Beides, Liberalismus und Demokratie, muss voneinander getrennt werden, damit das heterogen zusammengesetzte Gebilde erkannt wird, das die moderne Massendemokratie ausmacht. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: Denn ein Chaos wird nie von Mutlosen gebändigt, und noch nie ist von Feiglingen eine Welt gebaut worden. Wer vorwärts will, muss deshalb auch Brücken hinter sich verbrennen. Wer sich auf eine große Wanderung begibt, muss alten Hausrat liegen lassen. Wer ein Höchstes erstrebt, muss Minderes beugen. Und auf alle Zweifel und Fragen kennt der neue Mensch des kommenden Ersten Deutschen Reichs nur eine Antwort: Allein: >>Ich will!<< Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

Zu Anfang der maulwürfigen Ausführungen starren die verbliebenen Speckkäferköpfe in mehrfachem Wechsel sich sowie das sonderbare Schauspiel vor ihnen an, bevor das anthropoide Insekt, langsam das Tempo steigernd, jeweils zwei Vorschlaghämmer gegeneinanderzuschlagen beginnt.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: Juden und Judengenossen, getaufte und ungetaufte, arbeiten unermüdlich und auf allen äußersten radikalen Linken mitsitzend, an der Zersetzung und Auflösung dessen, worin uns Deutschen bisher unser Menschliches und Heiliges eingefasst schien, an der Auflösung jeder Vaterlandsliebe und Gottesfurcht… Horcht und schaut, wohin diese giftige Judenhumanität mit uns fahren würde, wenn wir nicht Eigentümliches, Deutsches dagegenzusetzen hätten! Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: Völker können wiedergeboren werden wie einzelne Menschen; auch Deutschland, auch Berlin wird wieder genesen und von dem fremden Geiste sich losmachen. Aber Krankheitssymptome sind da; soziale Übelstände liegen unserem Volkskörper in allen Gliedern und Sozialfeindschaft ist nie ohne Grund. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

Ein durch den Raum stolzierendes Dromedar mit blauem Höcker versperrt oder erschwert Teilen des Publikums den Blick auf die Bühne.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: Die spezifische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Politisches Denken und politischer Instinkt bewähren sich theoretisch und praktisch an der Fähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden. Die Höhepunkte der großen Politik sind zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erkannt wird. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: Wenn der Sackkrebs sich durch den After des Taschenkrebses einbohrt, nach und nach in ihn hineinwächst, ihm die letzte Lebenskraft aussaugt, so ist das der gleiche Vorgang, als wenn der Jude durch offene Volkswunden in die Gesellschaft eindringt, von ihrer Rassen- und Schöpferkraft zehrt – bis zu ihrem Untergang. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

Unter trioinfernalischem Gebrüll, die Vorschlaghämmer hoch erhoben, stürmt der Speckkäfer in Richtung der Hügelreihe. Nicht frei von Tolpatschigkeit bemüht er sich vergeblich darum, den jeweils gerade sicht- und hörbaren der immer schneller auf- und abtauchenden Maulwurfstotenköpfe mit einem wuchtigen Schlag zu treffen.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: Gerade weil wir in der Mitte Europas liegen,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: Es ist ja doch jedem Einsichtigen klar genug,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: Dadurch, dass ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: Der Nationalsozialismus war eine europäische Antwort… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …strömen alle verschiedenen Völker Europens… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …dass die Herrschaft des semitischen Geistes… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …sich in der Sphäre des Politischen zu halten,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …auf die Frage eines Jahrhunderts. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …immer auf uns ein… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …über und nicht bloß unsere geistige,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …verschwindet das Politische… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: Er war die edelste Idee,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …und suchen uns wegzudrängen. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …sondern auch unsere wirtschaftliche Verarmung… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …nicht aus der Welt. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …für die ein Deutscher die ihm… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: Wir haben also mehr als alle anderen… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …bedeutet. Der Deutsche ist ein starker… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: Es verschwindet nur… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …gegebenen Kräfte einzusetzen vermochte. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …Völker Ursache, dass das Eigentümliche… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …Idealist; eine Zeit lang erträgt er… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …ein schwaches Volk. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: Er schenkte einst der deutschen Nation… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …und Besondere, was uns als Deutsche auszeichnet,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …es schon, dass man seinen Hang zu den Ideen… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: Erklärt ein Teil eines Volkes,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …ihre Einheit, dem Deutschen Reiche einen neuen… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …durch die Völkerflut und Geistesflut nicht… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …benutzt, um dahinter ein Geschäft zu machen. Aber… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …keinen Feind mehr zu kennen,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …Gehalt. Er war eine echte soziale Weltanschauung und… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …nicht weggespült und weggewaschen werde. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …zuletzt wird doch die Figur Nathans des Weisen, die Lessing… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …so stellt es sich nach Lage der Sache… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …ein Ideal blutbedingter kultureller Sauberkeit. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: Man sollte die Einfuhr der Juden aus der Fremde in… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …in christlicher Menschenliebe erfunden hat,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …auf die Seite der Feinde und… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: Der Sozialismus wurde missbraucht und… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …Deutschland schlechterdings verbieten und hindern. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …hinter der Shylocks verschwinden und das… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …hilft ihnen, aber die Unterscheidung… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …entartete am Ende unter Menschen,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: Die Juden als Juden passen nicht… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …warnende Urteil über das Judentum, das unsere… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …von Freund und Feind… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …denen sein Schöpfer in verhängnisvoller Weise… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …in diese Welt und in diese Staaten hinein… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …besten Männer: Kant, Fichte, Herder,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …ist damit nicht aufgehoben. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …sein Vertrauen geschenkt hatte. Mit ihm… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …und darum will ich nicht, dass sie auf eine ungebührliche Weise… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …gehabt haben, seine Kraft beweisen. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: Jede wirkliche Demokratie beruht darauf,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …ist der Zusammenbruch des Reiches historisch… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …in Deutschland vermehrt werden. Ich will es aber auch… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: Die Juden sind und bleiben ein Volk im Volke,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …dass nicht nur Gleiches gleich, sondern, mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nichtgleiche nicht… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …verbunden, aber die Idee selbst ist Tat… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …deswegen nicht, weil sie ein durchaus fremdes Volk sind und weil ich den… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …ein Staat im Staate,… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …gleich behandelt wird. Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …und Leben gewesen, das kann und… Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Eins: …germanischen Stamm so sehr als möglich von fremdartigen Bestandteilen rein zu erhalten wünsche. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Eins.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Zwei: …ein Stamm für sich unter einer fremden Rasse. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Zwei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Drei: …und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Drei.

AuftauchenMaulwurfstotenkopf Vier: …wird nie vergessen werden. Abtauchen Maulwurfstotenkopf Vier.

Je länger er erfolglos mit einem der vier Vorschlaghämmer einen Wirkungstreffer zu landen versuchte, desto desorientierter und schließlich ermatteter sprungwankte der Speckkäfer von Hügel zu Hügel. Dann Totenruhe. Weder Knochenhaut noch -laut. Schlaff herabbaumelnde Vorschlaghämmer zu müden Blicken auf nun erneut kopflose Hügel wecken gewisse Zweifel an der Kampfmoral des allegorischen Insekts. Verdächtiges Zucken, als sich mit einem Mal das Quartett der bleichen Maulwurfshäupter zeitgleich an die Oberfläche wagt, um nach einer gravitätischen Gruppenverbeugung schleunigst wieder zu entschwinden. Rund dreißig Sekunden harrenden Wartens, doch die Hügel bleiben verwaist. Zentimeterweise beugt der Speckkäfer sich herab, die Köpfe auf immer länger werdenden, elastischen Hälsen, die vorsichtig in drei der Hügel eindringen. Anfangs gestaltet sich der Käfer-Strauß-Vorstoß dem äußeren Anschein nach ereignislos, bis mehrere Schockwellen die Bohrhälse durchjagen und den insektoiden Körper in seiner ungeheueren Gesamtheit zum Erbeben bringen. Zunehmend verzweifelt wirkende Bemühungen des Speckkäfers, sich mittels vollen Körpereinsatzes aus der unterirdischen Dreifachklemme zu befreien. Endlich doch noch losgerissen, aber die Restenergie sorgt für einen hilflosen Flug und heftigen Aufprall. Ein fast mitleiderregend ungelenker Versuch des Wiederaufrichtens scheitert ebenso kläglich wie drei weitere, erst der fünfte Anlauf gelingt, wenngleich das Wort >>gelingen<< den staksigen Bewegungen Hohn spricht, schon droht der nächste Sturz, ohne jede Orientierung taumelt der Speckkäfer umher, kein Wunder, bei genauerer Betrachtung erweist sich, dass den elastischen Hälsen Maulwurfstotenschädel statt der angestammten Häupter aufgepflanzt sind. Kurzfristige motorische Fortschritte sind dem tryptiden Wesen aber keineswegs abzusprechen. Zunächst scheint es sich der einzuschlagenden Richtung nicht gewiss zu sein, dann jedoch nehmen die Maulwurfstotenköpfe mit atemlosen, zischenden Zügen Witterung auf. Zielstrebig wankend geht es nun zum Bühnenrand, nach und nach werden mit erstaunlicher Energie die Vorschlaghämmer in den Saal geworfen, ui, das war knapp! Erstarren des Speckkäfers wenige Zentimeter vor Durchbrechen der vierten Wand. In schrillem Falsett stimmen die Maulwurfstotenköpfe einträchtig ein geselliges Liedchen an.

Maulwurfstotenkopfstimmengesang:

Hereinspaziert! Hinausspediert!

Der Nation bereiten wir ein feines Fest.

Allem andern sei gewünscht die Pest!

Mannhaft zu feiern, bist du eingeladen,

tapfer voranzuschreiten auf deines Volkes Pfaden.

Bist du aber hässlich, undeutsch oder krank,

vielleicht sogar ein linksrotgrünversiffter Punk,

solltest tunlichst du unser Hause meiden,

sonst dich erwarten Gram und ein gepfeffert Leiden!

Immer wilderes Rotieren der Maulwurfstotenköpfe nach abgesondertem Singsang. Der Speckkäfer tut einen Schritt nach vorn, scheint kurz über dem Abgrund zu schweben, ergibt sich dann doch der Schwerkraft und zerfällt nach dem Aufprall zu Staub, der sich wie Mehltau über die nicht bereits glücklich Geflohenen legt. Das flackrige Leuchtfeuer der unteren Ebene des Terrorariums erlischt.

Zwischenspiel

Hinter der Mittelscheibe grellt Neonlicht weiß auf. Durch geräuschundurchlässigen Beton voneinander getrennt, schleichen ausgemergelte, gesichtslose Wesen, die nackten Körper in Fliegengitter gewickelt, Untoten gleich immer wieder von Rückwand zu Glas und zurück. Der linken Gestalt hängt ein Kälberstrick um den Hals, an der mittleren züngeln Flammen, der rechten tropft permanent Blut vom Kopf herab.

Linke*r Gefangene*r: Dass weiße Stille derart gleißend laut sein kann!

Mittlere*r Gefangene*r: Regungslosigkeit so rasend!

Rechte*r Gefangene*r: Hunger so entsetzlich stopft!

Linke*r Gefangene*r: Nun ist eine Verhaftung immer ein Hammer, angenagelt in der Zelle. Aber ich kannte mich selbst nicht mehr. Ich brachte mich selbst nicht mehr mit mir zusammen. Es war schon ganz schön finster. Der Symptomatik nach war das, was lief, am nächsten dem, wie Elektroschockbehandlung beschrieben wird – von einem bestimmten Zeitpunkt an das, was Überdosisbehandlung bewirkt –, was man wiederum mit Folgen von Gehirnerschütterung vergleicht. Ab Mitte Dezember war´s mir endlich klar, dass ich selbst kein Recht habe, diese maßlose Schweinerei länger mit mir machen zu lassen – dass es meine Pflicht ist, dass ich mich da rauskämpfe. Was man im Knast dann so macht: Wände bemalen – es zu ´ner Prügelei mit ´nem Bullen kommen lassen – Inventar zerstören, Hungerstreik. Ich wollte sie zwingen, mir wenigstens Arrest zu geben, weil man da was hört – da hat man kein Radio, diese Peter-Alexander-Plärrdose, zu lesen nur die Bibel, eventuell keine Matratze, kein Fenster etc. – aber das ist ´ne andere Art von Quälerei als nichts hören. Wäre für mich ganz klar ´ne Erleichterung gewesen.

Mittlere*r Gefangene*r: Festschnallen, zwei Handschellen um die Fußgelenke, ein dreißig Zentimeter breiter Riemen um die Hüfte, linker Arm mit vier Riemen vom Handgelenk bis zum Ellenbogen… von rechts der Arzt auf´n Hocker mit ´nem kleinen >>Brecheisen<<. Damit geht es zwischen die Lippen, die gleichzeitig mit den Fingern auseinandergezogen werden und dann zwischen die Zähne und hebelt die auseinander. Sowie die Kiefer weit genug auseinander sind, klemmt, schiebt, drückt der Sani von links die Maulsperre zwischen die Zähne… Verwendet wird ein roter Magenschlauch, mittelfingerdick…

Rechte*r Gefangene*r: Du machst nicht mehr weiter mit, bringst dich in Sicherheit, gibst den Schweinen damit einen Sieg, heißt: lieferst uns aus, bist du das Schwein, das spaltet und einkreist, um selbst zu überleben. Ziemlich traurig, dir so was noch mal schreiben zu müssen. Weiß natürlich auch nicht, wie das ist, wenn man stirbt oder wenn sie einen killen. Woher auch? In einem Augenblick der Wahrheit da morgens ist mir als erstes durch den Kopf geschossen: Ach soo ist das (wusste ich ja auch noch nicht) und dann (vor dem Lauf, genau zwischen die Augen gezielt): Na egal, das war´s. Jedenfalls auf der richtigen Seite. Du müsstest da eigentlich auch was wissen. Na ja. Es stirbt allerdings ein jeder. Frage ist nur, wie und wie Du gelebt hast, und die Sache ist ja ganz klar: Kämpfend gegen die Schweine als Mensch für die Befreiung des Menschen: Revolutionär, im Kampf – bei aller Liebe zum Leben: den Tod verachtend. Das ist für mich: dem Volke dienen.

Von den Zellenböden steigt quälend langsam pechschwarzer Nebel empor, nach und nach alles Licht und Leben verschluckend. Lautlosigkeit. Finsternis. Ordnung.

Hauptspiel

Auf Unter-, Mittel- und Oberscheibe wird eine primitive Videografik im Stile des 1976er-Arcade-Rennspiels Death Race projiziert. Ein roter Wagen bewegt sich im Zickzack nach oben und versucht ihm auf dem Weg begegnende Dinosaurier unterschiedlicher Farben und Größen zu überfahren. Bei jeder Kollision erschallt ein triumphaler Trompetenstoß und der getroffene Dinosaurier verwandelt sich in einen fünfzackigen Stern. Jäh gestoppt wird die erfolgreiche Amokfahrt durch den Zusammenprall mit einem golden leuchtenden Urviech, das zu den schrillen Klängen einer furchtbaren Kakophonie explodiert. Die wilde Videospieljagd verblasst, stattdessen wird hinter der Oberscheibe eine Krankenhausszenerie, Klinikaufenthalte in Käfighaltung, sichtbar. Mehrere Behandlungskammern, jeweils bestehend aus Bett, Miniaturnachttisch und Stuhl, durch Paravents getrennt, reihen sich aneinander, nur eine beleuchtet, die anderen lediglich als Schattenrisse. Innerhalb der beleuchteten Behandlungsbox liegt eine Person im Bett, eine weitere sitzt auf dem Stuhl. Eine fast unmerkliche Bewegung im Bett. Die sitzende Person springt auf und beugt sich über die liegende.

Aufgesprungene Person: Verdammte Scheiße, du bist zurück!

Liegende Person: Wo…?

Aufgesprungene Person: In Sicherheit – glaube ich. Im Flüsterton. Kann trotzdem nicht schaden, weiterhin sehr vorsichtig zu sein.

Liegende Person: Warum?

Aufgesprungene Person: Du verarschst mich, oder?!

Liegende Person: Wünschte, es wäre so!

Aufgesprungene Person: Du hast keine Ahnung, wie du hier gelandet bist?

Liegende Person: Ich weiß nicht einmal meinen Namen.

Aufgesprungene Person: Hast du Erinnerungen an mich?

Liegende Person: Ein vertrautes Gefühl, mehr nicht.

Aufgesprungene Person: Na, da hatten wir schon schlechtere Phasen.

Liegende Person: Wir sind – ein Paar?

Aufgesprungene Person: Irgendetwas in der Art, jedenfalls im Guten wie im Schlechten zusammengeschweißt.

Die aufgesprungene Person begibt sich zum Fußende des Bettes, klaubt einen Zettel aus der Klemmschale hervor, geht wieder zurück und drückt das Papier der liegenden Person in die rechte Hand.

Aufgesprungene Person: Vielleicht hilft ja die Übersicht deiner persönlichen Daten deinem Gedächtnis auf die Sprünge. Mehr hauchend denn flüsternd. Ich könnte mir vorstellen, dass unsere Decknamen es noch eher bei dir klingeln lassen: Wir nennen uns Jane und Jack.

Liegende PersonKrächzer ausstoßend im Bemühen, ebenfalls die Stimme maximal zu senken: Weshalb brauchen wir Decknamen?

Aufgesprungene Person: Weil wir im Widerstand sind!

Liegende Person: Im Widerstand? Wogegen?

Aufgesprungene Person: Wir setzen uns zur Wehr gegen ein globales Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem, das jeden wirklichen Lebensausdruck abgrundtief verachtet.

Liegende Person: Mit Gewalt?

Aufgesprungene Person: Gewalt ist die Existenzbedingung der kapitalistischen Gesellschaft schlechthin! Ihr entschlossen zu trotzen, auf allen Ebenen, in allen Bereichen, mit allen Mitteln, die wir haben, ist die einzige Möglichkeit für uns, Menschen zu bleiben, Menschen zu werden.

Liegende Person: So denke und fühle ich? Liege ich deshalb hier? Im Kampf verwundet?

Die aufgesprungene Person lacht kurz bitterlaut auf, bevor sie sich wieder sofort in den phonetischen Konspirationsmodus begibt.

Aufgesprungene Person: Ich will dir keine Angst einjagen, aber wenn du im Rahmen einer Aktion verletzt beziehungsweise geschnappt worden wärst, hätten dich die Schweine eingesargt und ließen dich nur hören und sehen, was aus ihrer Sicht dazu diente, dich zu brechen oder gleich komplett auszulöschen. Dein momentaner Zustand hängt allenfalls indirekt mit unserem revolutionären Kampf zusammen. Wir waren mit dem Wagen unterwegs, du am Steuer, im Schlepptau zwei auffällig unauffällige Karren. Egal, ob nun wirklich Staatsschutz oder galoppierende Paranoia, in unserer Situation können wir gar nicht wachsam genug sein, also fest auf die Tube gedrückt, leider erwiesen sich Witterung und Fahrbahn als reaktionär gestimmt und es trug uns aus der Kurve direkt gegen einen fetten Baum. Während ich mit harmlosen Blessuren davonkam, erwischte es dich ziemlich krass. Hast du übrigens keine Schmerzen?

Liegende Person: Jetzt, wo du es sagst! Eigentlich überall, besonders aber im Schädel!

Aufgesprungene Person: Gehirnprellung! Bleibende Schäden eher unwahrscheinlich, aber keineswegs ausgeschlossen. Hoffen wir, dass uns dein Gedächtnis nicht dauerhaft im Stich lässt! An den Unfall hast du auch keinerlei Erinnerung?

Liegende Person: Mein Gehirn fühlt und denkt sich an wie frisch eingeschraubt.

Aufgesprungene Person: Gut, es gibt wahrlich wichtigere Dinge, an die du dich schleunigst erinnern solltest. Die Stimmlautstärke normalisierend. Ich gehe mal draußen auf die Suche nach einer Person, die dich mit Schmerzmitteln versorgen kann.

Liegende Person: Danke, Jane!

Die bereits auf dem Weg in Richtung Flur befindliche Person dreht sich abrupt um, tritt nah an das Krankenbett heran und verfällt wieder in den verschwörerischen Flüsterton.

Aufgesprungene Person: Das mag dich jetzt leicht irritieren, aber um die Pigs zu verwirren, haben wir die Decknamenwahl quasi im Genderwahn vorgenommen: Ich Jack, du Jane!

Jane: Ich Jane? Bin aber schon ein Typ, oder?

Jack: Cis-männlich bis ins Mark! Ich versichere dir, du warst nicht sonderlich begeistert vom Gedanken deiner nominellen Feminisierung, beugtest dich aber letztlich der klandestinen und geschlechterpolitischen Kraft meiner Argumentation.

Jane: Mir wird schwindelig!

Zwischenspiel

Verfinsterung der Oberscheibe. Projektion eines Scherenschnittfilms auf die Mittelscheibe, eine übergeschlechtliche Erzählstimme erläutert das Silhouettentreiben. Von links und rechts treten zwei kindlich anmutende Figuren, Kleidung und Haar scheinen auf ein Mädchen und einen Jungen hinzudeuten, in das Sichtfeld der Betrachtenden. Mit jedem Schritt durch dörfliches Ambiente in Richtung der Bildmitte reifen die beiden körperlich heran, bis sie sich als Erwachsene vor dem pulsierenden Panorama einer von unheilvollen Schwaden durchströmten Stadt begegnen und umarmen.

Märchenerzählstimme: Es lebten dereinst in kahlen Katen und tristen Idyllen zwei einsame Menschenkinder mit Namen Blues und Bleich, die sich verzweifelt nach freier und gerechter Gemeinschaft sehnten. Undenkbar dies an den trostlosen Orten ihrer bürgerlich kleinen Herkunft, langsam versinkend in einem Bitterbrei würgend machender Schreckensfreuden. So entschieden die beiden, ihr Glück bei den Metropolenmenschen zu suchen, von denen es allenthalben hieß, dass viele unter ihnen sich zur Wehr setzten gegen das Bollwerk des Bösen schlechthin, die Zentrale der Menschenfresser*innen.

Inmitten des urbanen Scherenschnitthintergrundes schießt ein grauenerregender, stacheldrahtbewehrter Turm in die Höhe.

Märchenerzählstimme: In der großen Stadt trafen und erkannten Blues und Bleich einander. An Universitäten und in Bibliotheken verschlungenes Wissen trachteten sie im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung nutzbar zu machen. Sämtliche Sorgen um das eigene Wohl und Wehe hintanstellend, verschrieben sich Blues und Bleich gemeinsam mit Scharen Gleichgesinnter vollends der Befreiung vom wahres Leben und Menschsein brutal erstickenden Joch.

Um das Scherenschnittduo gruppieren sich zahlreiche weitere Personen, alle halten ein Buch in der Linken, die rechten Fäuste sind kämpferisch in die Höhe gereckt. Vereinzelt fliegen Steine und Brandflaschen in Richtung des Turmungetüms.

Märchenerzählstimme: Nach kurzer Überraschungsstarre befahl die Zentrale der Menschenfresser*innen ihr vielgestaltiges Gefolge in Bewegung, auf dass die Aufbegehrenden Stärke und Herrlichkeit der Macht zu spüren bekämen und entweder zurückkehrten in den Schoß der Ordnung oder aber ewiger Verdammnis anheimfielen. Ehe Blues und Bleich zu begreifen vermochten, wie ihnen geschah, standen sie schon mit wenigen Mitstreiter*innen verloren auf weiter Flur.

Die Gruppe der widerständigen Schattenrissfiguren ist auf ein klägliches Häuflein zusammengeschmolzen. Von der Turmfestung regnet es Leichen und Geldscheine herab.

Märchenerzählstimme: Blues und Bleich und ihre Gefährt*innen waren unendlich müde des Märchens von der Alternativlosigkeit der kapitalistischen Herrschaft, aber wie die verkrusteten Verhältnisse zum Tanzen bringen, wenn es dem schauderhaften System gelang, jede freie Musik mit ohrenbetäubendem Motoren- und Maschinenlärm, zackigen Einheitsmärschen sowie falschen Beteuerungen zu übertönen?! Voll des ohnmächtigen Zorns harrten sie einer offenkundig nur ersponnenen Revolution, als ihnen die Nacht unverhofft ein Zeichen sandte. So erschien am Firmament ein wundersamer Stern, ihnen den Weg zu weisen.

Am oberen Bildrand glimmt ein Fünfzack rötlich auf. Quälend langsam wandert der blutig schimmernde Himmelskörper nach links, der traurige Trupp verhinderter Aufständischer tut es ihm gleich, im Saal wird ein*e eingenickte*r Zuschauer*in diskret exekutiert.

Märchenerzählstimme: Das verheißungsvolle Gestirn führte sein unerschrockenes Gefolge auf beschwerlich-gefährlichen Pfaden des Metropolenirrsinns, bis es schließlich über einem aufgelassenen Friedhof verharrte und seine gebündelten Lichtstrahlen auf eine längst eingesackte Grabstelle warf. In einem verfallenen Schuppen entdeckte Zauberschaufeln ließen Erde durch die Lüfte wirbeln. Die fieberhaft Grabenden trauten kaum ihren Augen und Armen, wie schnell sie in den steinharten, von allerlei Wurzelwerk durchzogenen Untergrund hinabstießen. Plötzlich ein elektrisierender Klang, die Zauberschaufeln wurden achtlos beiseitegeworfen, bloße Hände bargen in zittriger Erwartung ein altertümliches Gefäß: die Büchse der Guerilla!

Der Märchenfilm bricht abrupt ab, die Mittelscheibe wird in Dunkelheit getaucht. Stattdessen scheinen sich vor dem Terrorarium wie aus dem Nichts die soeben fündig gewordenen Grabräuber*innen in Realgröße zu materialisieren. Andächtig betrachten sie die vor ihnen liegende Büchse der Guerilla. Die mit Händen zu greifende Anspannung überträgt sich auf den Boden des Saals, der mit ansteigender Vehemenz zu vibrieren beginnt. Ein kollektiver Ruck geht durch die auf der Bühne versammelten Körper, synchrones Niederknien und Berühren des geheimnisvollen Artefakts.

Bandenbeschwörungsgesang: Dass wir Menschen werden! Menschen werden! Menschen werden! Menschen werden!

In einem gemeinsamen Kraftakt öffnen die Grabräuber*innen die Büchse der Guerilla. Augenblicklich hält auf der Bühne wie im Saal totale Finsternis Einzug, in Todesangst ausgestoßene Schreie ertönen, über das Publikum ergießt sich ein Blutbad. Just als die sich auf den staatlich subventionierten Sitzen ausbreitende Unruhe in Panik umzuschlagen droht, sorgen zackige Kommandorufe für Seufzer der Erleichterung.

Unsichtbare Autorität: