Zum Niedermähen schön - Dietmar Bittrich - E-Book

Zum Niedermähen schön E-Book

Dietmar Bittrich

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gut gedüngt ist halb gewonnen! Dietmar hat ein Problem: Wie wird er den attraktiven Aushilfsgärtner wieder los, den seine Frau für die groben Gartenarbeiten am Wochenendhäuschen eingestellt hat? Der ist jung, sportlich, verrichtet die schweißtreibenden Arbeiten gerne mit freiem Oberkörper und sitzt – für Dietmars Geschmack – etwas zu lässig auf dem neuen Aufsitzrasenmäher. Schon bald widmet er sich in der Tat mehr der leidenschaftlichen Hobby-Gärtnerin als der bunten Blumenpracht im Garten. Der gehörnte Ehemann sieht sich das Spiel den Sommer über an – um im Herbst zu drastischen Gegenmaßnahmen zu greifen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 138

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Über das Buch

Bei Dietmar und seiner Frau ist es wie in vielen Ehen: Sie gärtnert gern. Und er soll helfen. Wenigstens Regenrinnen säubern, Moos entfernen, Rasen mähen. Doch Dietmar ist eher der Indoor-Typ. Als Schriftsteller betrachtet er die Sträucher, die er kürzen soll, lieber nur vom Schreibtisch aus. So entgeht ihm völlig, dass sich seine Frau da draußen nicht nur den bunten Blumen hingibt. Als ihm klar wird, was sie unter Gartenlust versteht, greift er zu drastischen Gegenmaßnahmen.

1.

Landkreis des Lächelns

Später fragt man sich immer, wann es angefangen hat. Meist früher als gedacht, lange vor den ersten auffälligen Indizien. Vielleicht war es an dem Tag im April, als meine Frau mir mitteilte, dass der Biber-Job sicher war. Als Managerin meiner Einkünfte hatte sie sich leidenschaftlich dafür eingesetzt. Doch das erste Erlebnis, das mich nachdenklich stimmte oder das ich im Nachhinein als Hinweis deute, stand im Zusammenhang mit der abendlichen Müllentsorgung.

Als ich den schwächelnden Hinterreifen des Fahrrades aufpumpte, kletterte gerade der Mond in die Bäume am Kanal. Dunkel war es noch nicht, nicht dunkel genug für mein illegales Vorhaben, aber es war Zeit loszufahren. Ich stopfte die mit rotem Zugband verschlossene Mülltüte in den Rucksack. Nun sah es so aus, als wollte ich einkaufen fahren. In unserem Dorf gab es keinen Laden mehr, aber in Berkenthin, vier Kilometer und drei Abfallkörbe entfernt, hatte der Discounter abends bis neun geöffnet.

Vom Heebarg bog ich in den Umlöper und überquerte die Dörpstraat, wo immer noch das Verkaufsschild für das schönste und gleichzeitig schrecklichste Haus des Ortes hing. Es lag ein wenig zurück und war nur funzelig beleuchtet; ein reetgedecktes Fachwerkhaus, über hundert Jahre alt, mit Liebe zum Detail restauriert und innen einschüchternd elegant. Bei der Besichtigung waren Claudia und ich in den erlesenen Interieurs verstummt. Mittlerweile war der Preis dreimal gesenkt worden. Die Besitzer, die es nicht mehr aufsuchten, hatten jahrelang nur im Sommer darin gewohnt, die Wintermonate aber auf La Palma verbracht. Das war jemandem zu Ohren gekommen, der in der Silvesternacht einen anderswo erprobten Weg ins Haus wählte: per Leiter an der Rückseite hoch zur Traufe und weiter auf den für Schornsteinfeger montierten Tritten. Dass die Seilsicherung riss, als der Mann sich durch den Kaminzug hinabließ, und dass auf halbem Weg eine Verengung ihn stoppte, gehörte nicht zum Plan. Kanarisch gebräunt kehrten die Besitzer zum Frühjahrsbeginn zurück und argwöhnten an der Eingangstür, ein Marder sei im Dachboden verendet. Sie setzten den Kamin in Gang; die Wärme stieg auf, der Rauch zog nicht ab. Aus dem Zug kam ein unerklärliches Scharren. Und dann plumpste wie ein Sack ein zusammengeschnurrter Nikolaus auf die glimmenden Holzscheite, schwarz von Ruß und Verwesung, und kippte mit einem unirdischen Fauchlaut auf die Fliesen.

Jeder Landkreis hat seine gewöhnlichen und seine bizarren Todesfälle. In unserem gab es ein paar mehr von der ungewöhnlichen Sorte. Zu den Schauplätzen gehörten ein Hohlweg am Kalkwerk, ein versiegeltes Gartenhaus und ein mit Wasserlinsen überwachsener Teich. Beim Abbruch der alten Eisenbahnbrücke war aus einem der Pfeiler ein 1897 verschollener Arbeiter ans Licht gekommen, in mumifizierten Zustand (jetzt zu sehen im Depot des Kreismuseums). Eingemauert worden war er nach dem bewährten Bauprinzip der Grafen Schauenburg: »Soll die Brücke halten, so muss was Lebiges hinein!«

Auch eine Viehkoppel zählte zu den unheimlichen Orten. Als ich an diesem Aprilabend auf den grasüberwachsenen Fußpfad einbog, leuchtete am Ortsausgang der blinkende Engel im Fenster von Inga Quistorp. Als Tochter eines wohlhabenden Landwirtes hatte sie gegen den Rat der Eltern einen verwöhnten Städter geheiratet. Erst viele Jahre danach – er war dick geworden und arrogant geblieben – errang sie wieder ihre Freiheit, indem sie den Mann auf einem Spaziergang an einer Weide ihres Vaters vorbeiführte. Eine Herde schwarzbunter Kühe rupfte dort Gras. Inga soll einen Windstoß genutzt haben, um ihr monogrammiertes Taschentuch über den Zaun flattern zu lassen. Sie bat den Dicken, es zurückzuholen.

Seufzend kletterte er über den Zaun. Die Kühe unterbrachen ihre Mahlzeit und glotzten wiederkäuend herüber. In urbaner Ahnungslosigkeit hatte der Mann nicht bemerkt, dass sich ein Bulle bei der Herde befand. Er achtete nur darauf, beim Hinüberklettern nicht den Draht zu berühren, der durch gelbe Isolatoren am Holz entlanglief. Als er sich mühsam nach dem Taschentuch bückte, bebte der Boden. Er wollte sich noch aufrichten, da hatte ihn bereits eine Kuh ins Gras gestoßen. Eine andere hob ihn mit den Hörnern an. Dann kam der Bulle.

Der Vorfall bot den Lokalsendern Anlass, unkundige Wanderer vor den unterschätzten Gefahren des Landlebens zu warnen. Inga Quistorp hingegen wandte sich, scheinbar tief erschüttert, geistigen Interessen zu. Sie färbte ihre Haare nicht mehr und ließ sie lang wachsen. Den erlernten Beruf der Fußpflegerin erweiterte sie um die Kunst der Fernheilung und des Aufspürens von Störfeldern mittels Wünschelruten. Ihr Mobiliar stellte sie nach Gesichtspunkten des Feng Shui um. Sie hängte tibetische Fähnchen in die Diele und stellte Engelfiguren aufs Fensterbrett. Sie begann mit Aromalampen, Heilsteinen, Klangschalen zu hantieren. Und seit neuestem bot sie Waldseminare und Wanderungen zu Kraftpunkten an, unter dem ihr vom Kosmos eingeflüsterten Namen Astamaya. Dass sie ihre Spiritualität noch viel weiter trieb, weit jenseits der Grenzen harmloser Esoterik, war mir nicht klar, noch nicht.

Hinter den letzten spärlich beleuchteten Einfamilienhäusern holperte ich nun auf dem buckligen Weg zum Kanal hinunter. Der Elbe-Lübeck-Kanal führte von Lauenburg ziemlich gerade nach Norden und mündete in die Trave und mit ihr in die Ostsee. Sportboote und kleine Binnenschiffe waren im Sommer darauf unterwegs. Die gesamte Wasserstraße begleitete ein aus Sand gewalzter, von Eschen überschatteter Radweg. An warmen Wochenenden radelten darauf Familien und sportliche Rentner. An Wochentagen herrschte Stille.

Alle paar Kilometer war ein kleiner Rastplatz eingerichtet, eine Bank, flankiert von einem Fahrradständer und einem Papierkorb. Jeden dieser Papierkörbe kannte ich; in Richtung Süden die acht Körbe bis Mölln, in Richtung Norden die fünf bis Krummesse. In jeden hatte ich bereits eine pralle schwarze Mülltüte entsorgt. Mehr durfte ich nicht wagen, sonst würden die Mülldetektive der Abfallwirtschaft Schleswig-Holstein auf die Strecke geschickt. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich übrigens selbst als Müllfahnder gearbeitet; das ist eine andere erfreuliche Geschichte.

Als ich an diesem vorfrühlingshaften Abend die kleine Holzbrücke über den Entwässerungsgraben zum Rumpeln brachte, fiel mir ein Fahrrad auf, das am Pfosten der Wandertafel lehnte. Die quadratmetergroße Karte diente der Orientierung navigationsloser Radler. Die gesamte Stecknitzregion war darauf abgebildet, mit allen Dörfern und Höfen, allen Forellenteichen und ehemaligen Bahndämmen, Hügelgräbern und Meilensteinen, mit mürben Wehranlangen und sehenswerten Einzelbäumen. Sogar unser bescheidenes Landhaus aus Lärchenholz war erkennbar als winziger roter Klecks.

Es war Finns Fahrrad, zu erkennen am wetterfesten Wimpel des TSV Berkenthin. Angeschlossen war es nicht. Die Dörfler ließen tagsüber auch die Haustüren offen. Sie erfreuten sich des ungetrübten Vertrauens, das wir Zugewanderten mit der erlernten städtischen Alarmbereitschaft nicht mehr aufbringen konnten. Dann sah ich Finn selbst. Storchenhaft mit seinen langen Beinen stakste er über die Findewiese. Um diese Zeit? Ich pfiff. Er blickte auf. Er bückte sich und hielt etwas in die Höhe. Er winkte. Ich sollte kommen. Also hatte er wieder eines gefunden. Als Einheimischer verfügte er über Verbindungen, die uns verborgen blieben.

»Bitte sehr«, sagte er, als ich durchs taufeuchte Gras gestapft war. »Birkholm hat dich angerufen«, stellte ich fest. Birkholm gehörte zu den Betreibern des Flughafens Blankensee, von dessen Rollbahn nicht nur Segelflieger und Ballonfahrer aufstiegen, sondern gemütlich brummende Flugzeuge, ab Frühlingsbeginn einige davon mit Tandem-Skydivern. In dreitausend Metern Höhe sprangen sie ab, ungefähr über Lankau. An windstillen Tagen sah man sie als größer werdende Meteoriten über den Himmel segeln. Sie gingen nicht weit von unserem Dorf auf einem brachliegenden Feld sanft zu Boden. Einige Teilnehmer hatten dann bei der Landung nicht mehr alles bei sich, besonders falls sie sich beim Absprung geschüttelt oder laut gejubelt hatten. Dann hatten sie etwas verloren, zum Beispiel das, was Finn jetzt auf der Handfläche zeigte.

»Im Mondlicht schimmern die wie von innen beleuchtet«, murmelte er beglückt. »Wie vollgesogen mit Solarenergie!« Er hatte recht. Die Prothese, ein nahezu vollständiger Unterkiefer, schien uns anzulächeln. »Hat einige Gebrauchsspuren«, räumte er ein. »Aber ist fast komplett!«, staunte ich. In der Regel fielen allenfalls Klammern ab, häufiger noch Schmuck, Brillen, Haarteile und immer wieder Stofftiere, die Talismane der Laienspringer. »Dein Flohmarkttisch wird beim Stecknitzfest der Hit!«, musste ich gratulieren. Finn war nicht der einzige Sammler in der Gegend, doch der erfolgreichste. Das hing damit zusammen, dass er verlässlich informiert wurde, wenn jemand im freien Fall den Mund zu weit aufgerissen, den Kopf zu sehr geschüttelt oder seinen Teddy an die Lüfte verloren hatte, durch die er jauchzend schlitterte.

Nicht alle Prothesen, Puppen, Armbänder, Schuhe, Hörgeräte und Plüschkoalas fielen auf diese Feuchtwiese, aber doch so viele, dass die Dörfler sie nach dem allerersten Fund benannt hatten und einer sogar den Namen auf die Wandertafel geschrieben hatte: Gebisswiese. Das Sammeln war zum Wettbewerb geworden, nachdem sich vor Jahren auf eine Annonce mit dem Foto der ersten Zahnspange niemand gemeldet hatte. »Wenn wir genug schöne Stücke haben, machen wir eine Ausstellung«, hatte der Bürgermeister damals beschlossen. »Dann nennen wir uns ›Landkreis des Lächelns‹!«

Ab Mitte April bekamen die einheimischen Sucher Konkurrenz durch Störche, die ihre Nester auf Dachfirste und hohe Plattformen bauten und auf der Wiese eigentlich nur Frösche suchen sollten und Kröten und Eidechsen, manchmal aber eine Teilprothese davontrugen oder ein Pferdchen mit rosafarbener Mähne zum Kämmen. Monate später wurde so ein Fund dann vom ehrenamtlichen Vogelberinger im Nest entdeckt, nebst Socken, Ketten und Büstenhaltern. Ja, auch der Büstenhalter von Liv ist mal dabei gewesen, von der jungen Bürgermeistersfrau. Er war nicht von der Wäscheleine geweht, sondern am Waldrand auf einem Hochsitz verloren gegangen; das ist eine andere Geschichte. Und dass ich selbst mal einem Ornithologen geholfen habe, als Vertreiber von Vögeln am Flughafen, und dabei auch einen Fund gemacht habe, das ist wieder etwas anderes; ähnlich wie meine kurze Karriere als Verfolger von Heißluftballons, die hier ab April über die Landschaft schwebten. Jetzt sollte ich mich ja erst mal als Biber versuchen.

»Du fährst noch einkaufen?«, fragte Finn mit Blick auf meinen Rucksack. »Muss ich«, behauptete ich. »Claudia braucht noch Backzutaten. Und ich selbst will mal wieder das Weinangebot checken. Darf ich dir eine Tube Kukident mitbringen?«

Er lachte mit seinen nahezu perfekten eigenen Zähnen. Kein Wunder, dass die Landfrauen ihn anhimmelten. Er leitete ihren wöchentlichen Fitnesskurs. Als Triathlet hatte er es vor Jahren beinahe in die Olympiaauswahl geschafft. Er hatte eine Ausbildung im Landschaftsbau absolviert, war also Gärtner, erledigte aber auch Handwerksarbeiten aller Art, betrieb mit seiner Schwester eine Antikscheune, organisierte das Tauchen nach Liebesschlössern und war Chef der Freiwilligen Feuerwehr. Finn vertrug mehr Stecknitzköm als alle anderen und blieb doch schlank, muskulös und auf jede Weise einsatzbereit.

»Na, ich suche hier noch ein bisschen«, lächelte er. »Es hat jetzt mehrere verlustreiche Sprünge gegeben, und das Mondlicht hebt die besten Teile magisch hervor, so bleich glühend, wie auf der Geisterbahn.«

Er wandte sich der Wiese zu, die er noch bis zum schwarzen Waldrand abschreiten würde, ein urzeitlicher Jäger und Sammler, ein beneidenswert attraktiver Kerl. Sexiest Guy of the Landkreis, hatte seine Schwester ihn mal getauft. Er war ein Bild von einem Mann. Und wer dieses Bild vor Augen hat, mag sich fragen, warum dieser Held mir nicht half, die Leiche zu bergen, später. Ich rede von dem aufsehenerregenden Todesfall, über den sogar die New York Times berichtete. Ich will versuchen, mit diesen Aufzeichnungen eine Antwort zu geben.

DER GRÜNE TIPPKräuter und Köm

Noch nützlicher als Stofftiere, Perücken und Gebissteile sind die Wildpflanzen auf Wiesen. Da lassen sich Küchenkräuter sammeln – wie Salbei, Thymian und die regionale Oregano-Variante namens Dost. Rohkosttauglich sind die Blätter, Knospen und Blüten von Gänseblümchen, Klee, Löwenzahn und Wegerich. Zum biodynamischen Beseitigen missliebiger Personen eignen sich das gelb blühende Jakobs-Greiskraut, der ebenfalls gelbe Hahnenfuß und die lilafarbene Herbstzeitlose. Eine erprobte Rezeptur stellt der Autor diskret bereit.

Als Gegengift oder als Verdauungshilfe empfiehlt sich der Köm, hochdeutsch Kümmel: Fünfzig Gramm Kümmelsamen in einem Liter Wodka sieben Tage ziehen lassen. Abgießen und in eine unverdächtige Flasche füllen. Vor dem Essen, nach dem Essen, zur Inspiration.

2.

Fliehendes Wild

Das Knirschen des Sandes unter den Reifen war der einzige Laut, als ich in der Dämmerung am Kanalufer entlangradelte. Die Fahrt ging durch ineinanderfließende Schichten von Wärme und Kühle, durch den Duft von Wasser und Gras, vorbei an der Behlendorfer Schleuse, die bereits zur Nacht geschlossen war und schlaflos unter schwefligem Flutlicht lag. Und wieder ins Halbdunkel, vorüber am vom Winter niedergedrückten Schilfsaum und an den Plätzen der Böschung, an denen im Mai die Angler ihre Campingstühle ausklappen würden, um auf das Beißen der Zander zu warten. Der Mond blinkte zwischen den Pfahlreihen. Sein Schein und der Lichtkegel des Fahrrades reichten aus, um Wühlmauslöchern und aufmüpfigen Grasnarben auszuweichen.

In der landseitigen Wallhecke, in diesem Landstrich Knick genannt, hatten erste Büsche tausende kleine Blüten aufgesteckt, schaumig dicht und weiß, wie an die Zweige gesprühter Rasierschaum. Schlehen oder Weißdorn; meine Frau hätte es gewusst. Aber die buddelte jetzt immer noch selbstvergessen in ihrem Lieblingsbeet, das sich sichelförmig an den Plattenweg schmiegte; mit ihren grünblauen Augen als einzigem Restlichtverstärker. Das tat sie, bis sie Hacke und Blumenkelle nur noch durch Betasten unterscheiden konnte.

Ein Paar großer Vögel überquerte den Kanal in unerreichbarer Höhe, langer Hals, weite Flügelspanne. Schwäne? Reiher? Störche? Claudia hätte es gewusst; ich taugte nicht fürs Landleben. Glimmende Fenster am gegenüberliegenden Ufer gehörten zu Hollenbek, einer malerischen Häuserschar um zwei Höfe mit Biosiegel; die Bewohner waren Pensionäre oder fuhren zur Arbeit nach Lübeck.

Nun ging es in weitem Bogen auf Berkenthin zu. Die hölzerne Brücke über den Mühlenbach gab meine Fahrt polternd der stillen Umgebung bekannt. Die Silhouette des mittelalterlichen Glockenturms kam in Sicht. Die bäuerliche Kirche aus Feldsteinmauern war jüngst zur Station am Jakobsweg ausgerufen worden, an der selten begangenen Strecke von Schleswig über Lübeck nach Lüneburg. (Übrigens hat mein zwölfjähriger Neffe Franz im vergangenen Sommer die entscheidende Etappe von Sarria nach Santiago geschafft; am Ziel hat einer der kinderlieben Patres ihn ins Botafumeiro der Kathedrale gehoben, ins mannshohe Weihrauchfass, das nach Toresschluss noch lauwarm war, und hat ihn durchs Kirchenschiff schwingen lassen; über die fällige Spende soll ich nichts sagen.)

Berkenthin lag in Dunkel und Schweigen; man sah jetzt fern. Über den Parkplatz des Discounters schlurften müde Käufer von Pringles und Flens. Ich schloss das Fahrrad an, warf einen sichernden Blick in die Runde und entsorgte im perfekten Moment unsere pralle Mülltüte in den Abfallkorb an der Automatiktür. Allein zu diesem Zweck hatte ich vier Kilometer zurückgelegt, eine eigene Pilgerfahrt mit stolzem Abschluss, wenn auch ohne Stempel im Pass (»Fachgerechte Entsorgung«).

In unserer dörflichen Sackgasse mit den paar Blockhäusern wurden die grauen Tonnen nur alle acht Wochen geleert, und auch das nicht zuverlässig; so waren wir zu konspirativen Entsorgern geworden. In den Nachbarorten Sierksrade und Klinkrade hatte ich geräumige Körbe am Dorfanger ausgemacht, die ich demnächst bei Dämmerung nutzen wollte. Und bald, am Tag des Bibers, würde ich eine große Tüte bei Obi entsorgen können.

Jetzt belohnte ich mich mit Naherholung im Licht des Supermarktes. Am Eingang, neben gebündeltem Anmachholz und Säcken mit Blumenerde, türmten sich blühende Topfpflanzen, vorbereitet zum Ausbringen in die Frühjahrsbeete. Ich war verpflichtet, so etwas meiner Frau zu melden. Gewöhnlich nahm ich Pflanzen nicht wahr, es sei denn, sie waren stachelig oder verfügen über Cannabinoide. Claudia hatte mich zu erweiterter Aufmerksamkeit ermutigt. Auf den Paletten konnte ich Hyazinthen, Oleander und Glockenblumen unterscheiden, Stiefmütterchen und Hornveilchen nicht ohne Hilfe der Etiketten, beide blühten gleich gelb. Und die als Tausendschön und Kissenprimeln beschilderten Pflanzen ähnelten einander so sehr, dass ich im Quiz beim Stecknitzfest versagt hätte.

Ich rief meine Frau an, um von dem Angebot »Jetzt das Traumbeet planen!« zu berichten. Draußen war es mittlerweile so dunkel, dass sie die kleineren Gartengeräte kaum mehr im Beet finden konnte. Auch ihr Handy war nicht gleich zur Hand. Die Mailbox meldete sich. Deren Schweigen vertraute ich Bezeichnungen und Preise an. Mit ein bisschen Glück käme ihr Rückruf nicht rechtzeitig. Dann bliebe mir die Aufgabe erspart, einen schiefen Pappkarton voller Töpfe und bröselnder Erdklumpen auf dem Gepäckträger festzuklemmen und sturzfrei nach Hause zu transportieren.

Claudia bezog meditative Kraft aus dem zärtlichen Umgang mit Pflanzen und Erde. Bei der Gartenarbeit löste sie sich aus dem Zeitvergehen, der Druck der Welt zerrann. So sagte sie. Ich regenerierte mich in Kunstwelten, zwischen Regalreihen voller Leckerbissen, beim Wandeln gegen den Uhrzeigersinn auf der von Marketingstrategen ersonnenen Strecke. Wenn wir gemeinsam einkauften, wollte sie unsere Liste möglichst rasch abarbeiten; ich sollte nicht bummeln oder zu stöbern beginnen. Wenn ich allein ging, war alles erlaubt.