Zwischen Aufstehen und Gehen - Kathrin Stanossek - E-Book

Zwischen Aufstehen und Gehen E-Book

Kathrin Stanossek

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Beschreibung

War das schon alles?, fragt die Autorin mit Lebenserfahrung und Neugier auf das Leben. Sie lässt ihre Heldin Karolin die Antwort suchen. Dreißig Jahre Ehe geben ihr genügenden Zündstoff. Zwei Menschen, die sich verändert haben, Alkoholismus, sexuelle Nötigung in der Ehe. Karolin möchte aussteigen. Darf sie das? Diese Frage trägt sie lange mit sich herum und findet eine Antwort.

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Für alle Frauen, die ihren Weg suchen.

Für alle Männer, die das verstehen.

Inhaltsverzeichnis

KALTE HÄNDE

EIN SOMMERTAG

LEO

DIE BADEWANNE RUFT

ALTES LAND (1)

DER FLASCHENGEIST

BETT OHNE KISSEN

EIN MUTIGER ENTSCHLUSS

DIE PILGERFAHRT

ZURÜCK

ALTES LAND (2)

EIN NEUER TANZ

ZWEI STUNDEN FÜR KAROLIN

EIN RISS IN DER VERANKERUNG

SCHREIB AUF

WEIHNACHTSHARMONIE

DAS NEUE JAHR

ANNI

EIN LANGER TAG

GRÜSSE VON DER MÜRITZ

JOHANN

DAS AUTO

ALTES LAND (3)

ZWISCHEN DEN ZEITEN

EIN VERSTECKTER ORT

KEIN NEUER ANFANG

EVI UND KARSTEN

REGENTROPFEN AUF DEM BAUCH

AUF DEM FAHRRAD UNTERWEGS

SYMBIOSE

WO MAN FISCHE REDEN HÖRT

AB DURCH DIE MITTE

KALTE HÄNDE

Die Tür zu Henrys Zimmer stand einen kleinen Spalt offen. Karolin öffnete sie noch ein Stückchen. Ihr Mann musste es gehört haben. Ein leises Knarren vielleicht in den Scharnieren. Er drehte sich um. Sie dachte, Henry schläft noch. Leise wollte sie die Tür wieder schließen.

„Karo!“, hörte sie ihren Namen rufen.

Mit den Fingerspitzen drückte sie nun die Tür weit auf und sah ihren Mann, wie er sich lüstern streckte. Sein Gesicht lief vor Wonne rot an. Nur mit einer kurzen Hose bekleidet, lag er auf dem Bett. Karo betrachtete das männliche Getue. Seine Erektion war nicht zu übersehen.

„Karo, ich habe Lust! Komm her!“

Das Zimmer war, trotz der Wärme draußen, angenehm kühl. Widerwillig betrat sie den Raum, zog sich aus und legte sich zu ihm. Er drehte sich zu ihr und streichelte ihre Arme. Sein Brusthaar kitzelte ihre Wangen. Er rückte näher an ihren Körper. Seine Finger taten, was er irgendwie glaubte, tun zu müssen. Sie tanzten nicht über ihre Haut. Karo schloss die Augen und versuchte, sich Henry hinzugeben. Sein Mund suchte flüchtig ihren. Viel zu schnell wanderte seine Hand an ihren Hüften entlang, hinunter zu den Schenkeln. Reiß dich zusammen, ermahnte sich Karolin. Ein Kuss von ihm. Kalt fühlte er sich an. Er bewegte nun seine Hüften gleichmäßig langsam und presste sich an sie. Vielleicht ging etwas, wenn sie nur wollte? Schon suchten seine Finger den Venushügel. Henry schaute seiner Hand hinterher.

Als er sich von Karo beobachtet fühlte, konnte er ihrem Blick nicht standhalten. Verlegen sah er auf ihren Bauch. Was er bei Karo fühlte, war ihm Anlass zu glauben, sie wäre bereit für ihn. Seinem lustvollen Atem entnahm sie, dass es wieder schnell zur Sache ging.

Ohne zu wissen, ob sie das Richtige tat, befreite sie sich aus seinen Armen und gab Henry zu verstehen, dass er sich auf den Rücken drehen sollte. Sie setzte sich auf ihn. Seine Arme streckten sich nach ihren Brüsten. Die Bewegung seines Beckens verlangte mehr. Karo wusste, sie könnte noch einmal absteigen, sich neben ihn legen oder sich von hinten anbieten. Er würde sie gierig nehmen, was immer sie jetzt tat. Karo blieb sitzen und richtete sich auf. Sie hob langsam das Becken und glitt ebenso langsam wieder auf ihn hinab. Er stöhnte auf. Leise, als wäre es ihm peinlich, wie ein Hirsch zu röhren. Sie stützte sich auf ihm ab und bewegte das Becken schneller. Heftiges Atmen entfloh ihrem Mund. Henry bäumte sich auf und verdrehte die Augen. Karolin erlebte unaufgeregt sein Beben.

Nun, ohne Bewegung, saß sie noch eine kurze Zeit auf ihm. Henry streckte sich und sah sie von unten herauf abwartend an. Sie lächelte verlegen. Mit seinen Händen wusste er jedoch nicht wohin. Kurz nur legte er sie auf ihre Knie.

„Ich weiß, es ging wieder viel zu schnell. Was soll ich machen?“

Kaum hörbar schnaufte Karo in sich hinein.

„Ist schon gut.“

Sie legte sich wieder neben ihn. Henry jedoch drehte sich von ihr weg, blieb auf der Bettkante sitzen und fingerte nach seiner Hose. Er stand auf und verließ das Zimmer. Karo zog die Bettdecke über ihren vernachlässigten Körper. Sie sah Henry hinterher. Er schaute nicht noch einmal zurück.

Mit ihren Händen ertastete sie ihren Körper. Sie konnte ihm nichts entlocken. Ihre Hand lag still zwischen den Beinen.

Karolin erinnerte sich an das erste Mal. Nicht mit Henry.

Vor vielen, vielen Jahren, es war an einem Schultag, sie wurde wach und schaltete das Radio ein. Unbeabsichtigt streifte sie ihren Körper und spürte dabei etwas befremdlich Schönes. Es war in ihrem Bauch. Es war noch tiefer, dieses schöne Gefühl. Mit den Fingern erkundete sie, wo es herkam, dieses Neue, noch Unbekannte. Karolin, fast noch ein Kind oder beinahe schon eine Frau, suchte und wusste nicht wonach. Ihr Körper bebte ein wenig. Sie hatte schon davon gehört, dass es Momente höchster Lust gab. Dieses Tuscheln war ihr bekannt. Kichernd steckten die Frauen oder Männer so manches Mal ihre Köpfe zusammen. Karo war nicht dumm, aber man verheimlichte ihr etwas. Umso neugieriger suchte sie nun nach dem Versteck. Ein Gefühl wollte aus ihrem jungen Körper und sie konnte nicht sagen, was es war, nicht spüren, wo es war. Wie groß war die Überraschung, als sie dann die Explosion erlebte. Doch sie wusste gleich, sie würde mit niemandem darüber reden.

Nebenan hörte Karolin ein Feuerzeug klicken. Auch heute gab es nichts zu reden. War Henry zufrieden? Sie spürte ein größeres Verlangen. Da tobte etwas in ihrem Körper.

EIN SOMMERTAG

Es war heiß und stickig. Die Stadt atmete schwer. Bäume und Sträucher wirkten matt unter der anhaltenden Trockenheit. Die Wiesen in den Parkanlagen waren lange schon verbrannt, sahen aus wie ein abgemähtes Kornfeld im August. Einzig die Rosen blühten in voller Schönheit. Die zartbunte Farbenpracht täuschte über die langanhaltende Trockenheit hinweg. In diesem Jahr kamen die heißen Tage des Sommers viel zu früh. Es war ihr letzter Arbeitstag in dieser Woche. Karolin packte die Sachen zusammen und verließ das Institut. Der Zug kam pünktlich. Die Klimaanlagen schafften es längst nicht mehr, die Luft in den Abteilen zu kühlen. Der warme Dunst schwitzender Körper breitete sich aus. Karolin betrachtete die Menschen um sich herum: Leute vom Bau, die zügellos ihr Bier tranken, Männer in tadellosen Anzügen, Frauen in schicken Kleidern, Mütter mit ihren Kindern. Am Ende des ersten Waggons saß eine alte Frau, die in heftigen Bewegungen auf und ab wippte. Sie führte Selbstgespräche und hastete mit den Händen durch die Luft. Ihr Rock war voller Flecke, die Bluse schamlos weit geöffnet. Sie jammerte vor sich hin. Mühevoll erhob sie sich vom Sitz und schleppte sich zur Tür. Die Menschen rümpften die Nase und drehten sich von ihr weg. Karolin hätte sich gerne hingesetzt. Es war der einzig leer gewordene Platz. Skeptisch schaute sie nun auf diesen Sitz. Ihr Kleid war zu kurz.

An ihrem Ziel angekommen, stieg sie aus und atmete tief. Es war keine Erfrischung, aber sie hatte das Gefühl, nach dieser Bahnfahrt ihre Lunge säubern zu müssen. Schnell nach Hause. Noch die Treppen hinauf in die Wohnung. Ein freudiges Seufzen. Geschafft. Sie schloss die Tür auf, stellte die Tasche ab und ging unter die Dusche.

Das Wasser streichelte ihren Körper. Ein letzter Gedanke an die Zugfahrt, dann nahm sie das Duschbad zur Hand und spülte die Erlebnisse der vergangenen Stunde durch den Abfluss. Sie wickelte ein großes Badetuch um ihren Körper, holte sich eine Flasche Wasser und setzte sich in den gepolsterten Sonnenstuhl. Nichts tun. Hände stillhalten. Lesen, dösen, Musik hören. So sollte ihr Wochenende aussehen. Ihr Mann arbeitete oft an den Wochenenden. An diesen Tagen erledigte sie größere Hausarbeiten, bereitete Essen für die nächsten Tage vor oder kümmerte sich um anstehende Termine. Vielleicht war es ein Fehler, alle Arbeiten von ihrem Mann fernzuhalten. Karo schloss die Augen. Ihre Gedanken verloren sich in Fragen über das gemeinsame Erledigen von Hausarbeiten. Sätze verwandelten sich in einen Wirrwarr. Wortfetzen bildeten undeutliche Aussagen. Die Sonne schien durch das Blattwerk der hohen Pappeln. Ein sanfter Wind verfing sich darin. Karolin war eingenickt.

Von irgendwoher drängte sich ein immer wiederkehrender Ton in ihren Traum. Er schob sich mehr und mehr in ihr Bewusstsein. Sie schreckte auf und bemerkte nun, dass das Telefon klingelte. Noch ehe sie es begriff, hörte es auf zu läuten. Die Neugierde packte sie. Etwas benommen stand sie auf, ließ das Badetuch auf den Boden fallen und ging in das Zimmer hinein, um das Telefon zu suchen. Auf dem Display stand die Rufnummer ihres Bruders! Es schien ihm wichtig zu sein, denn nur, um mit seiner Schwester zu plaudern, rief er sie nicht an. Sie wählte seine Nummer. Es klingelte nur kurz, dann hörte sie seine Stimme.

„Schwesterherz, ich möchte morgen an die See fahren. Hast du Lust mitzukommen?“.

Er lachte.

„Weißt du noch? Im letzten Jahr, wo dir die Möwe auf die Schuhe gekackt hat? Die hätte auch dein Fischbrötchen treffen können! Wir fahren bei Tagesanbruch los und sind am frühen Abend wieder zurück.“

Freudig stimmte Karo zu. Dabei spürte sie den heißen Sand unter ihren Füßen, das salzige Wasser auf den Lippen und den drohenden Sonnenbrand am Abend, weil sie wieder viel zu arglos in der Sonne liegen werden. Frühstück mit Blick auf das Meer, dachte Karolin freudig. Sie kramte die große Strandtasche aus dem Bettkasten hervor. In kurzer Zeit waren die Sachen eingepackt. Auf jeden Fall musste sie für die lange Autofahrt einkaufen gehen. Sie zog sich einen Bikini an, darüber eine kurze Hose und ein dünnes Hemd. Es war nicht weit bis zu dem kleinen Laden mit dem vielen Obst und den Gemüseauslagen. Frohgelaunt lief sie die Straße hinunter. Schon von Weitem sah sie die leuchtend roten Tomaten, dunkelgrünen Melonen und Weintrauben liegen. Sie trat in den Laden ein, kaufte Kekse, Äpfel und eine grüne Gurke. Zwei Kinder packten Ware aus, ein drittes saß an einem Behelfstisch und machte Schularbeiten. Ein kleines Familienunternehmen, dachte Karolin, in dem jeder seinen Platz hatte. Sie arbeiteten auf engsten Raum, doch sie sahen zufrieden aus.

Hier kaufte Henry Tag für Tag sein Bier. Drei bis vier Flaschen.

Karo bezahlte großzügig und schlenderte nach Hause. Er wird nicht begeistert sein, dass ich mit Leo an die Ostsee fahre, ging es ihr durch den Kopf. Er musste am nächsten Morgen erst zum Spätdienst und hätte sicherlich gewollt, dass sie gemeinsam frühstücken. Karolin zuckte unmerklich mit den Schultern.

Eine Weile später kam Henry nach Hause. Er war mürrisch, schimpfte wieder über die Kollegen und über das zu heiße Wetter. Sie hörte das leise Klirren in seinem Rucksack. Sein Ärger galt nicht ihr, aber ihre gute Laune war dahin. Sie ließ ihn reden, doch eigentlich wollte sie nichts über die Gefechte an anderen Arbeitsplätzen hören, nicht an diesem Abend. Sie deckte den kleinen Tisch auf dem Balkon und schlug ihm vor, ein Bad zu nehmen, doch er winkte ab.

In den kleinen Laternen auf dem Balkon leuchteten Teelichter. Henry schob mit dem Aschenbecher seinen Teller beiseite. Das sommerliche Kleinod verlor an Gemütlichkeit. Die Ellenbogen auf den Knien, zog er an seiner Zigarette. Der Rauch verfing sich in seinem Bart. Es sah aus, als würde er ihn wieder einatmen. Schweigend saßen sie sich gegenüber. Wie eine Schnecke, die ihre Fühler einzog, versenkte er seinen Kopf zwischen den Schultern. Er tauchte ab. Lustlos stocherte Karo in ihrem Salat herum. Sie musste ihm noch erzählen, dass sie am nächsten Tag an die See fuhr.

Die Stille war kaum zu ertragen, also stand sie auf, um den Tisch abzuräumen. Sie lief in die Küche und überlegte, ob es richtig war, ihn allein zu lassen. Vielleicht ist es unverhältnismäßig, für die wenigen Stunden am Strand so eine lange Zeit auf der Autobahn zu verbringen. Die Freude wich der Ernüchterung. Karolin ärgerte sich, dass das Vorhaben ins Wanken geriet. Wäre sie nicht verheiratet, hätte es überhaupt keine Zweifel an ihrer Entscheidung gegeben.

Das Öffnen eines Kronkorkens hallte in den Abend hinein. Eine Bierflasche wurde geöffnet. Sie spürte, wie freudlos er war und dass das feste Mauerwerk ihres gemeinsamen Lebens bröckelte. Es war nicht allein die Trinkerei, die Karolin auffiel. Sie störte sich zunehmend an seiner fehlenden Wahrnehmung für das Leben rings um ihn. Beide lebten nebeneinanderher, aber nicht mehr zusammen.

Sie ging wieder hinaus auf den Balkon, setzte sich auf den weich gepolsterten Stuhl, zog die Beine an sich heran und schlang die Arme um die Knie, als würden sie ihr einen Schutzwall vor verbalen Angriffen bieten. Es kostete sie Überwindung, von der geplanten Fahrt zu erzählen.

„Leo hat heut angerufen.“

Henry schaute auf.

„Er fährt morgen früh an die See und möchte mich mitnehmen. Das Wetter wird schön und ich habe nichts weiter vor.“

Stille. Sie wartete. Er zündete die nächste Zigarette an. Der Rauch zog in ihre Richtung. Sein Schweigen erdrückte sie. Keine Regung. Es schien, als fiele er noch mehr in sich zusammen. Wohin schaute er? Die Zigarettenglut wurde länger. Warum sagte er nichts? Die Glut fiel auf den Boden. Ihre Blicke trafen sich. Am liebsten wäre sie aufgestanden und allein in der warmen Nacht spazieren gegangen.

Immer wieder passierte es ihr, dass sie vor den Launen ihres Mannes zurückschreckte. Enttäuscht, weil der Abend nicht so verlaufen war, wie sie es sich vorstellte, ging sie in ihr Zimmer und ließ Henry wortlos zurück. Sie legte sich auf das große, breite Bett. Ihre Gedanken verloren sich wieder in ewig vielen Fragen. Lebte sie noch das, was sie wollte?

Leiser Wind verfing sich in der Baumkrone der großen Kastanie, die vor ihrem Fenster stand. Eine Straßenlaterne warf die Schatten ihrer tanzenden Blätter an die Zimmerdecke. Traumlos schlief sie ein.

LEO

Der Rückfahrscheinwerfer seines Wagens leuchtete grell zwischen den Bremslichtern. Geschickt hatte Leo das Auto in die enge Parklücke manövriert. Ohne auf die Uhr zu sehen, wusste Karolin, dass ihr Bruder pünktlich erschien. Eine Charakterstärke, die sie an ihm liebte. Sie nahm die große, bunte Tasche, schlüpfte in die Sandalen und schlich leise aus der Wohnung. Sie schreckte auf. Nur nicht den Wohnungsschlüssel vergessen!

Als sie die Tür in das Schloss zog, atmete sie befreit auf, denn sie hatte dieses Mal den Launen ihres Mannes nicht nachgegeben. Henry verstand nicht, warum Paare ihre Freizeit auch mal getrennt verbrachten. Karo erlebte es in ihrem Freundeskreis sehr häufig und auch Leo machte Motorradtouren ohne Frau und Kind. Mit Freude erzählte er von den Abenteuern, die er mit einer Gruppe von Bikern erlebte. Sie fuhren stundenlang geschwungene Straßen entlang, badeten in Stauseen, entdeckten Bergdörfer weit ab von den Straßen und kehrten mit Hunger und großem Durst in kleine Lokale ein.

Karolin rannte zum Parkplatz. Die Geschwister umarmten sich herzlich, stiegen ein und sausten davon. Die Straßen waren leer.

Sie wurden belohnt für das zeitige Aufstehen. Karo erlebte Ähnliches, wenn sie an ihren freien Tagen morgens zum Trainingslauf hinüber in den Wald ging. Wie anders präsentierte sich die Natur am frühen Morgen. Glutrot tauchte die Sonne am Horizont auf, tautropfen glitzernd schwangen Gräser im leichten Wind und Vögel tobten ständig auf Futtersuche umher. Oft hörte sie einen Eichelhäher.

„Na Schwesterherz, was gibt es Neues?“, rief Leo mit seiner fröhlichen Stimme.

„Nichts Neues, immer das Gleiche im Alltag. Erzähl du mir lieber von deinem Sohn! Was macht der Kleine? Schläft er noch immer in eurem Bett?“

Karo hörte ihrem Bruder zu, aber mit ihren Gedanken war sie bei den Zerwürfnissen, die sie ständig in ihrer Beziehung erlebte. Leo war jung verheiratet. Er hatte sich damit Zeit gelassen. Warum nur hatte Karo damals gedacht, sie könnte sich nie mehr verlieben? Henry war ein liebenswerter Mensch. Er hatte alles, worauf man damals so achtete, das Abitur, ein Auto und sogar schon eine kleine Wohnung. Sie mochte ihn. Sprachen sie jemals von Liebe? Sie erinnerte sich nicht. Seine Eltern waren mit der Wahl einverstanden. Sie war eine Frau, die gutes Geld verdiente und auch im Garten ordentlich anpackte.

Jetzt fuhren sie auf die Autobahn. Leo zog gleich rüber auf die Überholspur. Er musste den Pferdestärken mal so richtig die Sporen geben. Graue Wolken hingen am Himmel. Karolin schmunzelte, mittags werden sie am Strand liegen und Leo wird als Erster in die Wellen eintauchen, während sie sich davor sträubt, endlich unterzutauchen und Leo wird sich wieder dagegen wehren, wenn sie ihn mit Sonnenmilch eincremen möchte.

„Nach Usedom oder auf den Darß?“, fragte Leo. Karo lachte.

„Ich dachte, wir fahren nach Binz, aber lass uns ruhig auf den Darß fahren, vielleicht nach Zingst?“

„Gut, da kenne ich eine Konditorei, die bietet Frühstück an. Die haben wunderbaren Kuchen und tolle Eissorten“, schwärmte Leo.

„Dann mach mal ein bisschen hin“, rief ihm Karo zu.

Prompt wurde sie in den Sitz gedrückt. Ein verstohlener Blick auf den Tacho. Über 200 km/h. Sie musste ausblenden, dass etwas Unverhofftes passieren kann. Karo schaute lieber raus über die weiten Felder und grünen Wiesen. Im Norden des Landes hatte es hin und wieder geregnet. Die Landschaft leuchtete farbenfroh. Das Korn wuchs hier besser, der Mais war saftig grün, Vögel kreisten geduldig in riesigen Höhen, um nach ihrer Beute zu jagen. Noch schien die Sonne nicht. Bis zum Horizont sah Karolin in einen grauen, breiigen Himmel.

Leo fuhr direkt zu der Bäckerei. Freie Parkplätze gab es nicht. Er suchte im engen Umkreis.

„Wir können ein Stück laufen“, neckte ihn Karolin. „Komm, wir haben so lange gesessen.“

Sie betrachtete ihn von der Seite. Das schwarze Haar war makellos geschnitten. Seine vierzig Jahre sah man ihm nicht an. Eitel betrachtete er sich immer wieder im Rückspiegel. Er schmückte sich gern mit einer Sonnenbrille. Karolin musste zugeben, dass Leo stets sehr modisch gekleidet war. Als Nesthäkchen war er verwöhnt worden. Zwölf Jahre alt war Karo, als ihr Bruder geboren wurde. Ihre alleinerziehende Mutter hatte noch einmal geheiratet. Als Karo damals das Baby in ihren Armen hielt, verliebte sie sich sofort in ihren Bruder. Mit dem Kinderwagen fuhr sie die Straßen auf und ab, wann immer es ihre Freizeit zuließ. Sie windelte ihn, fütterte ihn und sprang sofort auf, wenn er weinte. Eine tiefe Geschwisterliebe entstand. Nie hatten sie sich gestritten. Ab seinem ersten Geburtstag durfte sie ihn mit dem Fahrrad von der Kindereinrichtung abholen. Solche Verantwortlichkeiten wurden damals noch nicht in Frage gestellt. Der Verkehr auf den Straßen war nicht bedrohlich. Es gab wenige Autos, viele Radfahrer und spielende Kinder. Am Lenker ihres Minifahrrades, man konnte das Rad zusammenklappen, war das Kinderkörbchen befestigt. Trotz ihrer zierlichen Gestalt schaffte es Karo, den kleinen Leo dort hineinzusetzen. Der Kindergarten stand auf einem alten Schuttberg. Der wurde verdichtet und darauf Häuser gebaut. Es war schwer, mit dem Rad diesen langen Anstieg hochzufahren. Eine Gangschaltung hatte sie an ihrem Fahrrad nicht. An diesem Anstieg entwickelte sie ihren sportlichen Ehrgeiz. Ohne abzusteigen, kämpfte sie sich die Straße hinauf. Die Belohnung folgte wenig später. Wo es den Berg hinauf ging, ging es auch den Berg wieder hinunter. Mit Leo im Körbchen sauste sie den langen holprigen Weg zurück. Sie musste auf die Straße aufpassen, die sie überquerten, und war ganz in ihrer Konzentration, als plötzlich der Lenker nach unten wegrutschte. Ihr Körper fiel im Zeitlupentempo unkontrolliert nach vorne. Sie konnte noch bremsen und hangelte nach Leo. Das Fahrrad lag zwischen ihren Beinen auf der Erde. Menschen kamen ihr zu Hilfe geeilt. Sie konnte nicht erklären, was geschehen war. Jemand sah sich das Rad an und stellte fest, dass der Rahmen gebrochen war. Was dann weiter geschah, wusste sie nicht mehr.

„Wo bist du gerade?“, holte sie Leo zurück in die Gegenwart. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie auf einem Parkplatz standen. Karo nahm ihre Tasche, stieg aus und lief neben Leo her. Jedes Haus war makellos herausgeputzt. Strahlend weiße Fassaden, vor denen auf gefliesten Terrassen Pflanzenkübel standen. Viel zu aufgeräumt wirkten die Gärten mit ihren Kieselsteinbeeten. Teure Autos schmückten teure Grundstücke. Dichte Hecken und gemauerte Zäune verhinderten oft den Blick auf ungewöhnlichen Reichtum. Karo vermisste die Landhausidylle, wild durcheinander blühende Blumenbeete, Stockrosen, Sonnenhüte oder Margeriten. Sie schaute sich suchend danach um.

Trotz des sonnenlosen Tages gab es vor der Konditorei nur wenige freie Sitzplätze. Gerade erhob sich ein betagtes Paar von seinen Stühlen. Leo half ihnen in seiner galanten Art beim Aufstehen und reichte die Jacken.

„So ein netter junger Mann“, strahlte die alte Dame. Die Augen leuchteten dunkelblau. Ihr Lachen zeigte strahlend weiße Zähne. Sie wirkten unnatürlich in diesem faltigen, sonnengebräunten Gesicht. Karolin setzte sich und konnte in das Schaufenster hineinsehen. Eine Sammlung vieler Kaffeekannen schmückte die Auslage, große und kleine, schlanke und dickbauchige, geblümte und goldverzierte Sammlerstücke. Leo forderte sie auf, hineinzugehen. Im Gastraum standen hunderte Exemplare dicht an dicht in Vitrinen und auf einem Kachelofen. Karolin schaute sich vergnügt um.

„Eine feine Idee für ein Kaffeehaus!“

Festliche Torten und edles Gebäck weckten ihren Appetit. Der Duft von frischen Brötchen machte es ihr schwer, sich zu entscheiden. Sie ging wieder hinaus.

„Leo, wie kann das sein?“, flüsterte Karo. „Die Leute sind angezogen, als hätte man Regen angesagt. Auf der Wetterkarte gestern waren keine Wolken zu sehen.“

Ihr Bruder beruhigte sie.

„Es wird schon. Was macht eigentlich Henry, wenn du nicht da bist?“

„Heute ist Samstag. Wenn er abends nach Hause kommt, wird er sich mit einem Bier vor den Fernseher setzen. Das bringt er sich täglich aus dem kleinen Laden in unserer Straße mit, vorne an der Haltestelle, weißt du.“

„Wie viele Flaschen sind es denn?“, fragte Leo ehrlich interessiert.

„Meistens vier.“

Karo wurde kleinlaut. Sie mochte nicht gerne darüber reden. „Solange wir gemeinsam die Zeit verbringen, reißt er sich zusammen, aber ich gehe meistens vor ihm ins Bett, dann höre ich, wie er weitere Flaschen öffnet. Wenn ihn etwas ärgert, dann versenkt er die Emotionen in Alkohol. Heute könnte er wieder einen Anlass dazu haben.“

„Wieso?“, fragte Leo.

„Er versteht nicht, was wir hier tun“, antwortete Karo.

Leo schaute sie fragend an.

„Wie meinst du das, Karo?“

„Diese Fahrt an die See, deine Urlaubsreisen allein, ich mit meinen Ausflügen zu Freunden. Er fühlt sich ausgesperrt. Henry erwartet, dass ich zu Hause bin, wenn er vom Dienst kommt. Aber versteh’ mal, ich habe am Samstag und Sonntag frei, er muss an diesen Tagen oft arbeiten. Das ist unser Alltag. Ich finde das gar nicht schlimm, aber er kann das Alleinsein nicht ertragen. Er weiß nichts mit sich anzufangen!“

„Das kann ich mir denken. Er hat kein Hobby“, erklärte Leo. „Mein Kleiner ist heute zum Kindergeburtstag eingeladen, Jule geht in der Zeit zu einem Erste-Hilfe-Kurs. Diese Fortbildung braucht sie für ihren Beruf. Wir schieben heute Abend eine Pizza in den Ofen. Junior hat dann viel zu erzählen und Jule wird mir die neueste Beatmungstechnik zeigen. Darauf freue ich mich schon. Wenn sie mir etwas erklären will, wird sie todernst. Ich muss dabei lachen, dann wird sie wütend und bekommt ein hitziges Gesicht.“

Karo lachte nun auch. Sie konnte sich die beiden gut vorstellen.

Am Nachbartisch war eine Mutter mit ihrem Sohn zu hören.

„Möchtest du gleich ein Eis?“

„Ja“, lachte der Kleine.

„Hol dir ein Waffeleis, dann kommst du wieder hierher“, forderte die Mutter ihren Sohn auf.

„Es dauert aber auch lange, bis ein Kellner kommt“, schimpfte sie. Leo und Karo wurden aus ihrem Gespräch herausgerissen. Gerade erschien ein kleiner untersetzter Mann in schwarzen Hosen, weißem Hemd und einer bunten Kopfbedeckung. Aus seinem runden Gesicht leuchteten zwei strahlende Augen. Trotz des vollen Hauses nahm er freundlich die Bestellung entgegen.

„Madame möchte keinen Kuchen?“, fragte er erstaunt. Man konnte meinen, er liebte die Franzosen oder zumindest die französische Küche.

„Doch, später“, täuschte Karo vor, um sein lachendes Gesicht nicht zu grämen. Rührend erklärte er ihnen die Auswahl an Getränken.

Vom Nachbartisch rief die Frau barsch nach einer Bedienung. Erstaunt drehte er sich zu ihr um und antwortete höflich:

„Ich nehme gerade eine Bestellung auf!“

Karo blickte zum Kellner hoch und zwinkerte ihm zu.

„Lassen sie sich nur nicht aus der Ruhe bringen!“

„Nein“, gab er lachend zur Antwort und lief eilig in den Laden hinein. Nun kam der kleine Junge mit seinem Waffeleis an den Tisch zurück.

„Ist denn hier bloß eine einzige Bedienung?“

Die Gäste schauten auf. Der Kellner eilte mit einem großen Tablett heraus und servierte einem jungen Pärchen sein Frühstück. Eine zweite Bedienung war für den rechten Teil der Außenanlage zuständig. Wirklich jeder Tisch war nun besetzt. Das Personal hatte alle Hände voll zu tun. Auf einem Teewagen legte der Kellner das Tablett ab und eilte zu dem Tisch, an dem die Mutter ungeduldig wartete.

„Ei, du musst aber dein Eis außerhalb der Einrichtung essen. Waffeleis gehört zum Außer-Haus-Verkauf. Am Eingang hängt ein großes Schild. Kannst du schon lesen? Bitte stell dich wenigstens dort am Eingang hin und iss dein Eis schnell auf “, bat der Kellner den Jungen. Folgsam stand der Kleine auf und ging, das Eis schleckend, zu der Blumenrabatte hinüber. Die Mutter folgte dem Treiben mit weit aufgerissenen Augen.

„Sie werden doch wohl nicht meinen Jungen des Tisches verweisen!“, rief sie empört.

„Gute Frau! Ich …“

„Ludowik!“, rief die Mutter. Es war plötzlich still in der Gartenanlage.

„Komm sofort wieder hierher!“

„Liebe Frau! Ich darf das nicht“, versuchte der Kellner die Mutter zu beruhigen. Puterrot keifte sie ihn an.

„Sie werden doch nicht bestimmen, was mein Junge darf und was nicht. Ich wollte einen Eisbecher bestellen und musste ewig warten. Wie soll ich denn den Jungen so lange stillhalten?“

„Aber verstehen Sie doch!“

„Wissen Sie was? Hier war ich das letzte Mal! So etwas habe ich ja überhaupt noch nicht erlebt. Bei uns in Bayern wären sie über jeden Umsatz froh gewesen! Da ist der Gast noch König! Ludowik! Komm, wir gehen!“

Die Frau sprang auf. Der Kellner entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten, ließ sie stehen und kümmerte sich um die anderen Gäste. Ungehalten schimpfte die Mutter und wandte sich an die Gäste eines anderen Tisches. Karo lauschte der Unterhaltung. Dass ein kleiner Junge die Einrichtung verlassen musste, fanden auch diese Leute unhöflich. Sie nickten mit den Köpfen und stimmten der Mutter zu. Karo kamen Zweifel. Verwies man wegen dieses Verhaltens ein Kind des Tisches? Hätte vielleicht eine Ermahnung gereicht?

„Was sagst du dazu, Leo?“

„So ein Drama wegen der paar Kugeln Eis“, antwortete er beiläufig.

„Sie wollten aber einen Eisbecher essen. Der hätte eine Menge mehr Geld gekostet. Deshalb gibt es ja diese Regelung und der Kellner folgt auch nur den Anweisungen seines Chefs“, gab Karo zur Antwort.

„Das ist doch kleinlich“, meinte Leo.

Auf einem großen Tablett wurde ihnen nun das Frühstück serviert. Eine Käseplatte, Schinken und Rührei, verschiedene Sorten Marmelade und Honig. Es duftete nach Kaffee und warmem Brot.

„Leo, spürst du das auch?“

Aus dem grauen Himmel lösten sich feinste Wassertropfen. Auch andere Gäste schauten erstaunt zum Himmel hinauf, doch die Leute blieben sitzen. Es sah nicht mehr so aus, als würde es sich noch ändern. In aller Ruhe aßen sie ihr Frühstück. Für einen kurzen Moment dachte Karolin an den Jungen und seine Mutter. Der Tisch aber war längst wieder neu besetzt.

Unten am Wasser packten Badegäste ihre Sachen zusammen. Die Geschwister liefen barfuß am Strand entlang. Es war kalt unter den Fußsohlen. Sie spülten ihre Füße im seichten Wasser ab und zogen sich die Schuhe wieder an, liefen aber noch bis zur Seebrücke. Mittlerweile zierten bunte Regenschirme den Strand. Karo trug einen dünnen Pullover. Die Feuchtigkeit und der stetige Wind ließen sie frösteln. Leo zündete sich eine Zigarette an, dann beschlossen sie umzukehren.

„Ich kenne ein gutes Fischrestaurant. Lass uns dort hinfahren.“

„Sehr gerne“, rief Karolin in den Wind hinein.

Sie fuhren die Uferstraße zurück zum nächsten Ort und staunten, wie voll die Straßen waren. Ein Lieferwagen fuhr, ohne zu blinken, aus einer Parklücke heraus. Leo schimpfte, doch ebenso dreist parkte er sein Auto in eine Parklücke, die sich ein anderer Autofahrer ausgeguckt hatte. Leo war schneller. Hastig verließen sie beide das Auto und eilten in das Restaurant. Der Kellner empfahl ihnen einen kleinen Tisch am Fenster. Leo bestellte eine Fischplatte und Weißwein. Sie unterhielten sich angeregt, lachten und wurden wieder ernst, lachten wieder, prosteten sich zu und bezahlten großzügig die Rechnung.

Zwei Stunden später fuhren sie auf der Autobahn in Richtung Süden nach Hause. Die Wolken lösten sich auf und bald wieder schien die Sonne am Himmel. Ob es auf dem Darß noch regnete?

DIE BADEWANNE RUFT

Eine Farbenpracht waren diese Blumen. Karolin sah immer wieder hin. Wie ausgesucht für diesen Strauß passte die dickbauchige, rote Vase mit ihren weißen Tupfen.

Gestern, es war noch hell, war sie ihn auf der Wiese pflücken gegangen. Jetzt im Spätsommer stromerte Karolin gerne durch die Natur, um Goldraute, Hagebutte oder Gräser zu sammeln, später sind es Kastanien, Bucheckern und Nüsse, die in der Wohnung überall herumliegen.

Dieser Feldstrauß war ihr besonders hübsch gelungen. Er verlor zwar schnell an Farbe, aber nun traten die bizarren Formen einiger Samenkapseln kunstvoll in den Vordergrund. Ab und zu fiel Vertrocknetes auf das Tischtuch. Vor dem Essen musste sie die Decke ausschütteln. Karolin öffnete das Fenster und ließ den Wind in das Tuch gleiten. Unten auf der Straße sah sie ihren Mann kommen. Sie erkannte ihn an seinem gebeugten Gang. Die Bewegungen waren alles andere als geschmeidig. Hastig setzte er einen Fuß vor den anderen.

Nun aber schnell, ermahnte sich Karolin. Das Abendbrot muss auf dem Tisch stehen, wenn er von der Arbeit kommt!

Es gab Fisch, gedünstet in Butter, dazu Kartoffeln und Gemüse. Sie deckte den Tisch und schaltete den Fernseher ein. In wenigen Minuten würden die Fußballergebnisse übertragen. Karolin lauschte in den Flur hinein. Nanu, sie hatte ihn doch gerade gesehen? Sie lief wieder zum Fenster. Unten auf der Straße war er nicht mehr zu sehen.

„Vielleicht hat er im Haus jemanden getroffen“, brummelte Karolin.

Es duftete warm nach Fisch und Rosmarin. Sie bekam Hunger. Ungeduldig lief sie zur Wohnungstür und öffnete diese. Draußen war alles ruhig. Im Fernseher hörte sie den Beginn der Sportschau. Das Studiopublikum applaudierte dem Moderator und eine Hamburger Mannschaft spielte sich wieder um Kopf und Kragen. Die großen Zeiten des Dinos schienen vorüber. Karolin ahnte nun, wo ihr Mann geblieben war. Sie horchte noch einmal, aber im Flur blieb es still. Karolin verfolgte die Sportsendung und begriff wieder nicht, wie es dazu kam, dass dieser Sport so unverhältnismäßig hoch bewertet wurde. Dabei entkleidete sie genüsslich ihre Forelle und zerdrückte die Kartoffeln mit der zerlassenen Butter. Henrys Fisch dämmerte noch im Herd. Sie streckte ihre Beine und verfolgte die Sendung. Als der Teller leer gegessen war, hörte sie an der Tür die ihr vertrauten Geräusche. Henry kam nach Hause. Karolin sprang auf, hielt jedoch inne.

„Die haben schon wieder verloren, die Deppen“, sprach er mit schwerer Zunge.

Er wankte auf sie zu, doch Karolin wich ihm aus. An seinen Sachen hing der Dunst eines Kneipenbesuches. Seine Augen flackerten unruhig. Henry ging in die Küche, holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich vor den Fernseher.

Er musste hungrig sein, überlegte Karolin. Ob er darauf wartet, dass ich ihm das Essen bringe? Sie tat geschäftig und lauschte seinen Kommentaren. Ein Elfmeter wurde zu Unrecht gegeben. Er hatte immer noch nicht seine Straßenschuhe ausgezogen. In ihr tobten Worte, doch der Anstand verwehrte es ihr, sie in den Raum hineinzuwerfen. Henry stieß auf und lachte über sich selbst. Gleich noch einmal.

War das alles, was er mir heute zu sagen hat? dachte sie bitter. Wie sie Henry einschätzte, wollte er heute nichts mehr essen. Sie räumte den Tisch ab. Wieder lagen vertrocknete Blütenblätter auf der Decke. Sie nahm die zweite Forelle aus dem Herd und filetierte das Fleisch. Die Gräte warf sie in den Mülleimer. An ihren nackten Beinen spürte sie, dass Henry die Balkontür öffnete. Sie wusch sich die Hände und blickte zu ihm hinüber. Er saß auf seinem Gartenstuhl, beide Ellenbogen auf die Beine gestützt. Die Glut leuchtete rot, wenn er an der Zigarette zog. Karos Blicke verloren sich in seine Richtung. Sie suchte, was sie vor langer Zeit an ihm geliebt hatte.

Henry drückte die Zigarette aus, brachte den Aschenbecher in die Küche und hielt inne, als er ihn im Mülleimer entleeren wollte. Vielleicht sah er in die leeren Augen der Forelle.

„Ich lass mir Badewasser ein“, rief er Karo zu.

Er ging in das Schlafzimmer, zog sich dort aus und lief splitternackt durch die Wohnung hin zum Bad. Sie wunderte sich über diese Laufstegaktion. Karo fremdelte bei dem Gedanken, selbst noch nackt vor Henry herumzulaufen.

Sie schaltete den Fernseher aus und nahm sich ein Buch. Henry ließ Wasser in die Wanne laufen. Ein süßlicher Duft breitete sich aus. Friedliche Stille. Eine Wohltat für ihre Seele. Sie hörte das leise Ticken der Uhr, die auf dem Bücherregal zwischen kleinen Glasfiguren stand. Karo legte sich auf die Couch und kuschelte sich in ihre Decke. Sie versuchte in die Geschichte einzudringen. Nur wenige Seiten las sie, dann fielen ihr die Augen zu.

Plötzlich hörte sie Henry aus dem Badezimmer rufen. Karolin rührte sich nicht. Henry rief ihren Namen noch ein zweites Mal. Es klang nicht nach einem Hilferuf. Sie lauschte. Das dritte Mal rief er sie mit ihrem Kosenamen. Wie viele Jahre hatte er sie nicht mehr so genannt? Karo wälzte sich nun doch aus ihrer gemütlichen Ecke und schlich ahnungsvoll an die Badezimmertür. Die Tür war nur angelehnt. Henry war mit sich beschäftigt. Seine Hand bewegte sich gleichmäßig zwischen den Beinen. Er schien zu spüren, dass ihn Karolin beobachtete und ließ sofort von sich ab.

„Kannst du mir den Rücken waschen? Du hast es schon so lange nicht mehr getan.“

Sie schaute ihn an. Sein Blick war glasig. Nein. Sie hatte keine Lust auf ihn. Schnell im Bad, das hätte ihm gereicht. Die Stube war geputzt, die Wäsche gewaschen und nun sollte sie nur noch ihr Röckchen heben. Wortlos lehnte sie die Tür wieder an. Ich hätte sagen müssen, dass ich das so nicht will, ermahnte sich Karolin. Sein kaltes Spiel verletzte sie zutiefst. Sie versuchte ihre Fassungslosigkeit zu verharmlosen, doch ihr Bauchgefühl sagte ihr etwas anderes.

„Warum fühle ich so?“, wisperte sie.

Karolin öffnete eine Flasche Wein, nahm sich ein Glas aus dem Schrank und goss es unanständig voll.

„Gute Nacht, Karo.“

Sie erschrak, als er aus dem Nichts hinter ihr stand. Er küsste sie, ließ sie stehen und ging ins Schlafzimmer. Sein Bart roch immer noch muffig. Sie wischte seinen Kuss mit ihrem Handrücken weg. Wieder nahm er sich, was er wollte.

ALTES LAND (1)

Unruhig warf sich Karo von der einen Seite auf die andere. Neben ihr schnarchte es in ungesunder Lautstärke. Kurzes Röcheln, dann Stille. Angespannt wartete Karo darauf, dass sich sein Brustkorb wieder anhob. Dann knallte ein lauter Ton aus seiner Kehle. Sie zog sich die Bettdecke über ihren Kopf und drehte sich zum Fenster. Entnervt sah Karo, dass es hell wurde. Hatte sie geschlafen?

Sonnenlicht drängte durch spätsommerliche Baumkronen, da tönte es schon aus sehnsuchtsvoller Kehle. In der Ferne krähte ein Hahn. Der heisere Schrei erinnerte sie an das Dorfleben in ihrer Kindheit. Vogelgezwitscher, Wind, der sich in Bäumen verfing, entferntes Klappern aus der Küche. In ihrem Kinderzimmer erwachte sie oft mit diesen morgendlichen Klängen.

Wenig später hörte sie derbe Flügelschläge in den Ästen des Baumes, der dicht an der Giebelwand stand. Eine Taube gurrte. Sie war dem offenen Fenster so nahe, dass Karo meinte, sie streckte ihren Hals in das Zimmer. Es war noch nicht einmal sieben Uhr, aber es duftete nach gebackenem Brot.

Die beiden Alten waren schon auf und werkelten in der Küche. Sicherlich waren die beiden schon im Garten Äpfel aufsammeln und Beeren pflücken. Karolin wurde unruhig. Viel zu früh war es für einen arbeitsfreien Tag.

Henry seufzte tief und drehte sich auf die andere Seite. Jetzt atmete er ruhig. Karolin stand auf und schlich sich aus dem Zimmer. Sie ging über knarrende Dielen in das Gästebad. In dem großen Haus hallte das Spülen der Toilette.

Karolin drehte den Wasserhahn auf und sammelte das kühle Nass in ihren Händen. Dann tauchte sie ihr Gesicht in die Erfrischung. Ein paar Mal wiederholte sie den Vorgang, bis sie sich munter fühlte. Die Dusche blieb unberührt. Henrys Vater hörte unten in der Küche, wie lange das Wasser rauschte. Karo hatte auf die Diskussionen, die dann folgten, keine Lust mehr, denn sie ließ gerne das Wasser wohltuend lange über ihren Körper laufen. Sie zog sich an und lief die Treppe hinunter. Es duftete nach Kaffee und gebratenem Speck.

„Guten Morgen“, rief sie und berührte die Schultern der gebeugten Frau. Näher kamen sie sich selten.

Brotkrümel auf den Tellern ließen Karolin wissen, dass sie wieder zu lange geschlafen hatte. Fehlte noch, dass die Alten unruhig mit den Fingern auf den Tisch trommelten.

Die Bemerkungen zu einer heißen Nacht mit dem Ehemann kommentierte Karolin nicht. Was wussten schon diese zwei Menschen von ihrem Sohn?! Sie glaubten, was sie sahen. Zu sehr lebten sie Traditionen. Der Mann ernährte die Familie und die Frau sorgte für das Wohl des arbeitenden Mannes. Die Alte sprang auf und goss Kaffee ein. Sie schob den üppigen Wurstteller zu Karolin hinüber und stellte die Pfanne mit dem Rührei auf den Tisch. In der Backröhre lagen goldgelbe Brötchen. Auch der Brotkorb war gefüllt. Der strenge Geruch des Romadurs stieg in ihre Nase. Neben einer orangegelben Marmelade stand noch ein weiteres Töpfchen mit Pflaumenmus. Das üppige Speisenangebot sperrte ihre Lust auf Essen, zudem war es noch viel zu früh für Karolins Magen.

Sie horchte, ob Henry kam.

„Was machen die Kinder?“, fragte Henrys Vater.

„Ehrlich gesagt, kann ich es dir gar nicht sagen“, antwortete Karolin. „Sie melden sich kaum. Die Große studiert, die Kleine hat sich wohl ernsthaft verliebt.“

„Sie könnten sich mal sehen lassen. Wir sind früher jedes Wochenende zur Oma gefahren. Das gehörte sich so“, warf der Alte dazwischen.

Die Kinder waren junge Erwachsene. Sie studierten und blickten über die eigenen Ländergrenzen hinaus in die weite Welt. Sie suchten und entdeckten und waren mit sich selbst so beschäftigt, dass auch Karolin hinterhertelefonierte, um sich nach ihnen zu erkundigen. Mir geht‘s gut, mach dir keine Sorgen, waren ihre Antworten.

Sie lenkte das Thema auf die Arbeitswelt und erzählte von drohenden Pleiten, frauenfeindlichen Attitüden, steigenden Mieten und von kinderunfreundlicher Politik. Nun holte der Alte wieder die Geschichten um die schweren Nachkriegsjahre aus der Schublade heraus. Hunger, Tod und Kälte waren die Themen. Karolin hörte ihm respektvoll zu. Er ließ keine Gelegenheit aus, um von dieser leidigen Zeit zu erzählen. Ihre Oma, die lange verstorben war, hatte von ähnlichen Erlebnissen erzählt. Auch sie musste hungern, doch irgendwann ließ sie das Erlebte hinter sich und sie sah nach vorne. Henrys Vater ließ nie los und beklagte sich noch immer über die Hungerjahre, ja, er neidete sogar seinen Enkeln deren unbeschwerte Zeit. Er lebte mit der Furcht, die nächsten Generationen fühlten nicht, was es bedeutete, Hunger zu haben und Kohlen stehlen zu müssen. Karolin wehrte sich immer wieder gegen seine Behauptungen. Sie konnte nichts für den Krieg. Die Zeit war lange her und die Alten hatten damals ihr Leben noch vor sich. Sie waren selbst noch Kinder, als der Krieg vorbei war, doch die Zeiten drohenden Hungers hatten sich in die alten Gehirne eingebrannt. Damals mussten noch die Teller leer gegessen werden, Schimmel wurde vom Brot abgeschnitten und nach allem Essbaren wurde der Rücken gekrümmt. Sogar die Vögel im Garten wurden aus den Beerensträuchern geschossen.

Die Treppe knarrte. Henry. Endlich. Seine Mutter begrüßte ihn mit einem Kuss. Sie streichelte über seinen Kopf.

„Hast du gut geschlafen, mein Junge?“

Karo atmete tief ein. Dass sie die Augen verdrehte, sah niemand. Er setzte sich neben seine Mutter, die ihm den Kaffee eingoss und das Rührei servierte. Sie schnitt ihm das Brötchen auf und wischte hastig die abgesplitterten Krümel weg. Karo betrachtete den Mann, der ihr gegenübersaß, gekrümmt, die Arme ineinander verschränkt, als duckte er sich vor dem Leben.

Da die beiden Alten schon eine ganze Weile am Tisch saßen, wurden sie unruhig. Draußen wartete die Arbeit. Henrys Vater legte fest, was zu tun war. Karo sollte Unkraut jäten, den Hof fegen und vertrocknete Blumen zurückschneiden. Henry musste den Rasen mähen und Beete umgraben. Es blieb nun keine Zeit mehr für Gespräche. Karolin quälte sich noch ein Brötchen hinunter und trank ihren Kaffee aus. Den Tag werde ich überstehen, dachte sie.

Noch nie hatte sie auf diesem Anwesen unter einem Baum gesessen, um ein Buch zu lesen. Es war undenkbar, die Beine langzumachen oder sich in die Sonne zu legen.

Der Garten war riesig. Auf diesem Hektar gab es eine kleine Apfelplantage, Beerensträucher, ein Kartoffelfeld und viele Gemüsebeete. Sie war hier in einem ständigen Konflikt mit ihren Gefühlen. Sie mochte Gartenarbeit, jedoch, es blieb keine Zeit, die Blumen zu bewundern oder den sich jagenden Eichhörnchen hinterherzusehen.

Die Arme auf den Rücken verschränkt, schritt der Alte die Wege zwischen den Beeten entlang. Er naschte von den Weintrauben und fegte erstes Laub zusammen. Kurz war seine Emsigkeit, dann setzte er sich in die Herbstsonne. Karolin sah zu ihm auf.

„Bist du schon fertig?“, fragte sie.

„Ich arbeite jeden Tag im Garten, da kann ich mir heute eine Pause gönnen!“, lachte er gönnerhaft. Es war eine unangenehme Stille in diesem Garten.

„Hol etwas zu trinken und sitz da nicht so herum“, rief Henrys Mutter.

Der Alte erhob sich und kam bald mit einem Korb verschiedener Säfte aus dem Keller zurück.

„Und die Gläser?“, rief die Alte.

„Das geht doch aus der Flasche“, sagte er.

Karolin ging in das Haus und holte die Gläser. Als sie wieder zurückkam, war die erste Flasche ausgetrunken. Henrys Vater lachte sie an.

„Kannst dir den Abwasch sparen.“

Henry kam hinzu und öffnete ein Bier aus dem Vorrat im Keller. Karo füllte zwei Gläser mit dem köstlichen Apfelsaft. Es waren die Früchte des Gartens. Biologisch tadellos.

„Wann gibt es Mittag?“, fragte der Alte in die Runde.

„Das weißt du doch. Um zwölf. Wie jeden Tag. Hast du schon wieder Hunger?“, schimpfte seine Frau.

„Du kannst den Herd einschalten. Das Essen muss nur noch warm gemacht werden. Deck den Tisch! Wir kommen gleich.“

Karolin streckte ihren verspannten Körper und sah dem wohlgenährten Mann hinterher. Er lief mit schwerem Schritt. Sein Gewicht trugen die Beine nur noch mit Schmerzen.

Auf dem Herd köchelte eine Suppe. Der Duft von frischem Bohnenkraut füllte die Küche. Voller Erwartung saß der Alte am Tisch. Seine Frau füllte zuerst seinen Teller, dann all die anderen. Wie ausgehungert schlang er gierig die Suppe hinunter.

Nach dem Mittagsmahl legte er sich zur Ruhe. Henrys Mutter atmete auf. Wer schläft, sündigt nicht, sagte sie. Nach dem Essen fegte Karolin den Hof und harkte Blätter zusammen. Sie sammelte Nüsse auf und legte sie zum Trocknen in die Sonne. Dann füllte sie, um die Kübelpflanzen zu gießen, alle Gießkannen mit Wasser.

Mit Henry zusammen verbrachte sie draußen keine einzige Minute. Er reparierte einen Rasenmäher und füllte Sprit nach. Karolin sah auf die Uhr. Es war Sonntagnachmittag. Hier gab es so viel zu tun, dass sie sich keine freien Minuten gönnten. Nur die Mahlzeiten unterbrachen die stetige Arbeit.

Zur Überraschung kam Henrys Vater mit einem Tablett Geschirr in den Garten. Er deckte den kleinen Tisch unter der Weide. Karolin wusch sich die Hände in der Regentonne. Sie rief nach Henry, der sich schon auf den Pflaumenkuchen freute. Bald darauf dampfte aus allen Tassen wohltuend heißer Kaffee. Karolin musste sich nach dem dritten Stück Kuchen bremsen.

„Wir müssen nach Hause, Henry.“

„Ihr wollt schon fahren?“

„Ich habe am Wochenende nichts in meiner Wohnung gemacht“, spöttelte Karolin.

„Dein bisschen Haushalt. Den machst du doch nach der Arbeit“, antwortete er Karolin.

Weder Henry noch die Alte schauten auf. War das ernst gemeint?

Henry reparierte noch einen Gartenschlauch und fuhr die letzte Schubkarre mit Unrat zum Komposthaufen. Auf seinem braunen Oberteil waren Schweißflecken getrocknet. Salzkristalle bildeten weiße Streifen. Seine Mutter bat ihn, zum Abendbrot zu bleiben. Der Kühlschrank sei voll. Sie habe so viel Wurst gekauft. Karolins Blicke schienen zu reichen. Er lehnte ab. Henry und Karolin mussten sich resolut von ihren Arbeiten trennen. Immer wieder fanden die Alten etwas, was nur noch schnell erledigt werden musste. Henry räumte die Gartengeräte in das Stallgebäude und schloss die Tür ab. Für Morgen gäbe es wieder Arbeit und für den Tag danach auch.

„Ich gehe noch duschen, bin in fünf Minuten fertig!“, rief Henry.

Karolin lief die Treppe hinauf, machte die Betten und räumte das Zimmer auf. Sie stopfte alle Sachen in die große Tasche und sah an sich hinunter. Ihre Hände waren schmutzig, die Füße ebenso. Sie fuhr durch ihre verzottelten Haare. Einem Wochenende Gartenarbeit folgte der sehnlichste Wunsch, in warmes Schaumbad einzutauchen. Los jetzt, ab nach Hause, dachte sie. Henrys schmutzige Klamotten lagen im Flur vor dem Badezimmer. Karolin zischte ihn an.

„Räum die Sachen hier weg!“

„Lass nur liegen, mein Junge! Ich mach das gleich.“

Die Alte hatte gute Ohren.

Henry ließ die Sachen liegen.

„Siehst du!“, triumphierte er.

Die Sonne blendete Karolin ins Gesicht, als sie vor die Haustür trat. Sie dachte an den weiten Weg nach Hause und an die Wochenendpendler. Ihre Ungeduld wuchs. Plötzlich kam die Mutter mit einem Korb voll eingestaubter Einweckgläser.

„Henry, mein Junge. Wir haben so viel davon“, erklärte sie.

„Karolin, du kannst das Obst…“,

„Ja, ja. Ich mach das schon“, unterbrach sie die Alte.

Ihr fiel es schwer, sich für das eingekochte Obst zu bedanken. Henry umarmte seine Mutter und spielte wieder den verständnisvollen Jungen. Er verstaute den Korb im Auto und Karolin wünschte sich sehnlichst, dass er den Motor anwirft und den Blinker setzt.

DER FLASCHENGEIST

In der Morgenstille des Sonntags hörte Karo Gänse am Himmel ziehen. Obwohl die Tage noch warm und die Nächte recht mild waren, färbten sich die Blätter an den Bäumen vom sommerlangen Grün in ein leuchtendes Gelb. Die stacheligen Früchte der großen Kastanie waren schon heruntergefallen.

Karolin stand auf und schlich über den Flur ins Bad. Aus dem zweiten Schlafzimmer drang lautes Schnarchen.

Die Lampe im Badezimmer leuchtete den Schminkspiegel nur unzureichend aus. Schatten fielen auf ihr Gesicht. Karolin erinnerte sich daran, wie sie früher mit ihrem Bruder Grimassen geschnitten hatten. Sie spielten mit dem Licht einer Taschenlampe, strahlten sich unterhalb des Kinns in das Gesicht und zogen mit ihren Fingern die Münder breit. Dabei wedelten sie mit der Zunge, wie Schlangen. Ihre Augen wurden finster und sie lachten albern über ihre Fratzen.

Karo drehte sich um und sah in den großen Wandspiegel. Sie fuhr sich durch das blonde, strubbelige Haar, bürstete es, zupfte es nach allen Seiten und brachte es zusätzlich mit einem Gel in Form. Dieses Licht zeigte mehr als das Tageslicht Fältchen an den Augen. Krähenfüße, dachte Karolin. Sie trat von dem Spiegel weg und betrachtete sich. Ein seidiges Nachthemd umspielte ihre Figur. Sie tastete mit den Händen über ihre Oberarme, ihre Brüste, ihre Taille, den Körper hinunter. Karo dachte an die Männer, die diesen Körper schon berührten. Sie alle schworen ihr die große Liebe. Der Erste verdrehte ihr heftig den Kopf. Dem nächsten traute sie nicht. Er war gutaussehend, wohlhabend und erwähnte zu oft die Namen anderer Frauen. Dem letzten gab Karolin das Ja-Wort. Henry war eine ehrliche Haut, ein Mann ohne Überraschungen, aber sie fühlte sich mit ihm wohl und von ihm beschützt.

Karo schob verspielt den dünnen Träger von ihrer Schulter. Langsam strich sie auch den anderen Träger herab. Das Nachthemd fiel zu Boden und bedeckte ihre Füße. Zwei dunkle Punkte hoben sich ab von ihrer hellen, sonnengebräunten Haut. Das Bild im Spiegel schmeichelte Karolin. Ihr Körper war sportlich trainiert, das Becken und die Beine zeigten gewöhnliche, weibliche Rundungen. Sie spannte den Bauch an und beobachtete das Muskelspiel.

„Das kann doch nicht schon alles gewesen sein!“, flüsterte Karo ihrem Spiegelbild zu. Als sie den morgendlichen Hustenanfall aus dem Schlafzimmer hörte, zuckte sie zusammen, huschte aus dem Bad und schlüpfte in ihre Sportsachen, zog leise die Tür hinter sich zu und ging leichtfüßig die Treppen hinunter. Gierig atmete sie die kühle, würzige Morgenluft. Erstes Laub bedeckte die grauen Betonwege. Ihre Schritte wurden schneller und schneller, bis sich Karolin gleichmäßig im Wechsel vom Boden abstieß. So oft war sie schon durch die alten Baumalleen gelaufen. Die monotonen Laufbewegungen ließen ihr Raum zum Nachdenken. Dabei schüttete das Gehirn tiefliegende Erinnerungen aus. Ihr Kopf räumte sich wie von selbst auf. Gedankenmüll blieb im Wald zurück.

In großen Zeitabschnitten veränderte sich die Natur. Noch waren die Laubbäume grün, doch der Herbst kündigte sich mit einem Paukenschlag an. Tautropfen hingen an den Gräsern, die Wiese glänzte feucht. Karolin erinnerte sich an den letzten, sehr kalten Winter. In Raureif gepackt war die Landschaft und das gefrorene Laub brach unter ihren Füßen. Noch war es nicht so weit, aber der Sommer räumte seinen Platz.

Eine halbe Stunde lief Karolin nur. Es gab einen kleinen Schweinehund, der sie drängte aufzuhören. Sie folgte seinem Rat und lief nach Hause. Jetzt rann der Schweiß ihren Rücken hinunter. Sie eilte im schnellen Schritt die Treppe hinauf. Das Herz pochte spürbar. Jetzt war sie zufrieden mit sich. Karo schloss die Wohnungstür auf und ein warmer Duft nach Kaffee strömte ihr entgegen. Oh, der Tisch war schon gedeckt. Karo sah sofort, die Messer lagen auf der falschen Seite und die Teelöffel wie hingeworfen. Abgepackter Käse lag auf einer Zeitung und die Wurstbüchse lugte unter einer Tageswerbung hervor. Hastig verteilt und lieblos platziert waren all die Dinge, die Henry heute schon berührt hatte. Karo atmete tief.

„Guten Morgen“, rief Henry und gab ihr flüchtig einen Kuss auf ihre kühle Wange.

„Ist es kalt draußen?“, fragte er.

Sie erzählte von dem klaren, frischen Morgen und von den hohen Gräsern, an denen silbern glänzende Tautropfen hingen. Henry nahm eine Zeitung und sortierte die Themenseiten. Er verlor sich in den Sportnachrichten und schien Karolins Worte nicht mehr zu hören. Sie begann zu frösteln.

„Ich ziehe mich schnell um.“

Karo wusste genau, jetzt noch duschen gehen, das passte nicht mehr. Sie wollte keine Überraschungen erleben.

Ein kurzes Gespräch war unter der Zimmerdecke verdampft. Karolin biss von ihrem Brötchen ab, stand auf und schaltete das Radio ein. Henry war in seine Zeitung vertieft. Irgendwann legte er sie beiseite, klopfte das Ei auf und suchte den Salzstreuer. Ein anderes Zeitungsblatt lag darüber.

Es schien, als säße er allein an diesem großen Tisch. Resignierend nahm auch sie nun das Tagesblatt, um zu lesen. Die politischen Ausdünstungen wollte sie nicht sehen. Sie blätterte weiter und blieb an einer Überschrift hängen. Es war ein Beitrag, der sie amüsierte und gleichzeitig empörte. Ein Mann beschwerte sich darüber, dass er seine Frau nicht mehr ins Bett bekam. Litt sie unter ihren Wechseljahren oder war sie krank? fragte er. Karo las den längeren Artikel. Die einfache Antwort des Paartherapeuten war, zu reden, ihr zuzuhören und nicht nur hören zu wollen, was er hören möchte. Karo las den Beitrag noch einmal. Es gab Berührungspunkte, die ihr aus ihrem Zusammenleben mit Henry bekannt vorkamen. Sie sah zu ihm hinüber. Wie konnte sie ihm diesen Text unterschieben? Die Zeitung schob sie, wie zufällig, zu ihm hinüber, aber Henry schaute nicht auf.

Geräuschvoll räumte sie den Tisch ab, die Wurstbüchse klappte etwas lauter zu, Essensreste kratzte sie mit dem Messer zusammen, doch Henry war in seine Zeitung so vertieft, dass er ihre Bewegungen gar nicht zu bemerken schien.

Aus der offenen Küche rief sie Henry zu, dass er heute noch in die Werkstatt fahren muss, um sich einen Termin für das Aufziehen der Winterreifen zu holen. Die Öffnungszeit hatten sie beinahe verpasst.

„Ich kann doch anrufen“, wehrte Henry ab.

„Du wolltest mit ihm über den Auspuff reden.“

Henry erinnerte sich. Nun musste er los.

Nachdenklich schritt Karo durch die Wohnung. Ihre Kinder waren in diesen Räumen groß geworden. Wie viele Weihnachtsbäume hatten sie hier geschmückt und wie viele Berge Wäsche zusammengelegt?

Karolin öffnete die Balkontür. An den Blumen suchte eine Hummel nach Nektar. Sie flog brummend von einer Blüte zur nächsten. Dieses kleine Wesen erinnerte sie an die Bilderbücher ihrer Kinder, aus denen sie ihnen oft vorgelesen hatte. Karolin stöberte auch gerne in Gedichtbändern herum. Das war in ihrem Freundeskreis nicht üblich. Sie schämte sich sogar ein bisschen dafür und versteckte die Poesie. Tiefsinnige und kluge Reime schrieb sie in ein eigenes Buch. Bald experimentierte sie selbst mit der Sprache und fand Gefallen daran, sich mit eigenen Worten auszudrücken. So entstanden ihr Tagebuch, kleine Gedichte und kurze Texte. Das Schreiben wurde zu einem Ventil für all ihre Emotionen. Ein Heilmittel war es, als sie den frühen Tod ihrer Mutter verschmerzen musste. Karo glaubte damals, alle Tränen geweint zu haben. Schreiben half ihr, der Fassungslosigkeit Raum zu geben.

Irgendwo musste sie das alte Tagebuch zu stehen haben. Sie schloss die Balkontür und lief in Henrys Schlafzimmer. Karo hatte es in einer der Bücherreihen oben im Regal versteckt. Sie musste sich einen Stuhl holen, um dort heranzukommen. Voller Spannung schob sie die Krimis und Romane der vorderen Reihe beiseite und entdeckte neben Herrn Simmel den dunkelbraunen Lederumschlag. Neugierig zog sie diesen kleinen Schatz heraus und ließ sich auf den Boden nieder. Sonnenstrahlen fielen auf das Buch. Karo pustete in die Seiten. Eine feine Staubwolke löste sich und schenkte dem Augenblick ein wenig Magie. Sie blätterte die ersten Seiten auf. Ihre Handschrift war damals noch eine andere. Ein Vers von Christian Morgenstern verzückte sie gleich wieder.

„Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir gestern gelebt haben. Macht euch nur von dieser Anschauung los, und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein.“

Sie las weitere Gedichte von Gisela Steineckert und Eva Strittmatter. Damals brannte sich die Gewalt der Verse in ihr wachsendes Bewusstsein ein. Sie waren aufbegehrend und revolutionär. Mit dem gleichen Staunen las sie nun wieder. Die Probleme, die in den Gedichten behandelt wurden, waren uralt. Sie blätterte weiter bis zu ihren eigenen Texten. Was sie hier las, überraschte sie. Sie schrieb vor dreißig Jahren schon über Henrys Eltern und deren Lebensweise, die ihr bis heute fremd geblieben war. Sie fragte sich schon damals, warum beider Seelen so spröde waren und die Herzen so voll Unmut. Freunde hatten vor einer Heirat mit Henry gewarnt. Auch das stand hier geschrieben. Karolin glaubte damals nicht, dass sie mit der Einwilligung in die Ehe den Anspruch der Eltern auf sie mitunterschrieb. Sie war sich sicher, dass ihre Ehe mit Henry den Einfluss der Eltern schmälern würde.

Ihre Wangen glühten. Sie spürte deutlich ihren Puls. Ungläubig blätterte sie die Seiten durch.

Karolin schlug das Tagebuch zu. Dabei rutschte ein kleiner Zeitungsabschnitt heraus. Es war eine Annonce, Henrys Anzeige, mehr als dreißig Jahre alt. Das vergilbte Stück Papier wirkte verletzlich zart zwischen Daumen und Zeigefinger. Karo las. Angenehmes Äußeres, handwerklich begabt. Suche Mädel mit dem ich Pferde stehlen kann. Sie schaute auf. Pferde stehlen wollte er also, aber saß er nicht fest im Sattel und ich hielt das Halfter? In meinem Windschatten läuft er mir hinterher und wenn es Medaillen zu verschenken gibt, schmückt er sich mit mir, dachte Karolin.

Sie antwortete damals auf diese Annonce und wurde zwei Jahre später seine Frau.

Ein metallenes Geräusch riss Karo zurück in die Gegenwart. Die Wohnungstür ging auf. Hastig räumte sie das Tagebuch zurück. Sie musste sich endlich um das Mittagessen kümmern. Jetzt ertappte sie sich bei dem Gedanken, dass solche altbackenen Gewohnheiten ihren Alltag bestimmten.

An seiner Jacke hielt sich noch der Rauch einer letzten Zigarette, die er wohl auf dem Weg vom geparkten Auto bis zum Wohnblock eingesogen hatte. Er legte einen Zettel auf den Tisch, dorthin, wo er immer alles ablegte, wenn er nach Hause kam, die Brieftasche, Schlüssel, Brille und Zigaretten.

„Stell dir vor, Karo, wir sollten uns neue Reifen kaufen. Die alten sind abgefahren, aber dieses Jahr müssen sie noch herhalten, habe ich denen gesagt. Mag sein, dass das Profil runter ist, aber weißt du, wie teuer neue Reifen sind?“

„Du wusstest es, Henry. Du solltest dich darum kümmern. Es wäre schon besser, du würdest nicht an der Sicherheit sparen. Das Auto muss für den Winter vorbereitet sein. Wir sind viel mit dem Wagen unterwegs. Was, wenn uns ein plötzlicher Wintereinbruch überrascht?“

„Bei Glatteis nützen auch die neuesten Winterreifen nichts!“, warf ihr Henry gereizt entgegen.

Karo verstand diese Rechtfertigung nicht.

„Du solltest noch einmal mit der Werkstatt reden. Mach das gleich am Montag!“

Henry drehte sich abrupt von ihr weg. Er mochte es nicht, dass sie ihm widersprach. Mit unruhigen Bewegungen fingerte er eine Zigarette aus der Schachtel. Heute Morgen war diese noch voll. Nun stocherte er schon in der hohlen Schachtel herum. Henry wich der Diskussion aus. Er flüchtete hinaus auf den Balkon in seine kleine Welt. Die Tür dorthin machte er zu. Er wollte nicht mehr reden. Karolin wusste, sie konnte ihn jetzt in seiner Laune hängen lassen oder ihm eine Arbeit unterjubeln, die er gerne verrichtete. Sie hatte ihn schon oft mit weiblichen Reizen aus seiner Grummelecke gelockt. Er war steuerbar wie ein Schiff auf dem Ozean, doch Karolin ließ heute von solchen Gedanken ab und kümmerte sich um das Essen.

Eine Suppe köchelte duftend auf dem Herd. Karo schaute hungrig zu, wie Fleisch und Gemüse in der gelben Hühnerbrühe untertauchten und in von Fett umrandeten Blasen wieder hochgehoben wurden. Die deftig würzige Brühe schöpfte sie ab. Dann angelte sie mit einem Schaumlöffel das zerfallene Huhn heraus. Die Brühe goss sie durch ein Sieb, so dass sie alle noch so winzigen Knochen entfernen konnte. Das Fleisch zerlegte sie mit den Händen und warf es zurück in den Topf. Die Hühnerpelle aß Karolin, so fettig sie auch war. Das Naschen am Kochtopf war ihr größtes Essvergnügen.

Zum Schluss würzte sie mit Pfeffer und Salz und schüttete dann noch eine große Tasse voll Reiskörner in die Suppe. Sie sah auf die Uhr und begann, die Küche aufzuräumen. Als die Kirchturmuhr läutete, rief Karo nach Henry. Er saß noch immer auf dem Balkon und blickte reglos in die Ferne.

„Du könntest den Tisch decken!“

Noch ehe er sich erhob, hatte Karolin Geschirr aus dem Schrank geholt. Behäbig stand er auf und machte eine Zigarette aus. Er stellte die Teller auf den Tisch und warf dezent für jeden einen Löffel hin. Karo stellte den Suppentopf auf ein dickes Holzbrett. Bevor Henry aß, streute er Salz in die Suppe. Die Zeitung lag noch immer auf dem Tisch. Karo las, was auf dem Zettel stand, als würde sie sich ehrlich dafür interessieren. Nun hatte Henry den Artikel von heute Morgen direkt vor sich zu liegen. Sie sah hoffnungsvoll zu ihm hinüber. Wieder langes Schweigen am Tisch. Sie aß langsam und beobachtete Henrys Bewegungen. Seine Augen überflogen abwertend die Seite. Er aß und las, blätterte die Zeitung um und suchte neue Schlagzeilen. Karolin rebellierte innerlich. Sie räumte ihren Teller zur Seite und blieb dabei an ihrem Wasserglas hängen. Sie schnappte nach dem Glas, doch das Wasser platschte auf die Zeitung. Henry riss sie an sich und warf hastig den Inhalt einer Packung Taschentücher auf das entstehende Rinnsal. Karoline rannte nach einem Geschirrtuch. Es fühlt sich nicht mehr schön an, dachte sie. Wir stoßen uns aneinander. Jeder drückt den anderen ein wenig von sich weg. Henry läuft seiner eigenen, schon durch das Leben gezogenen Spur nach. Er sieht gar nicht, wieviel Zeit ich hier mit dem Aufräumen und Putzen der Wohnung verbringe.

Henry breitete sorgfältig die Zeitung zum Trocknen aus.

Sie erinnerte sich an den Staub, den sie am Vormittag von ihren Büchern gepustet hatte. Den ganzen, heißen Sommer standen Fenster und Türen auf. Vor dem Winter musste sie die Wohnung noch einmal gründlich putzen. Als Karolin neulich das Fenster in ihrem Zimmer weit öffnete, glitzerte in der Morgensonne ein mit kleinsten Tau tropfen besetztes Spinnennetz. Karo folgte den Fäden, die am Mauerwerk befestigt waren. Zart pustete sie an das Netz, um ein gefangenes Tier zu simulieren, aber die Spinne ließ sich nicht täuschen und verließ ihr Versteck nicht.

Um diesen Tag ein wenig Lebendigkeit einzuhauchen, drehte Karo lin die Musik lauter, holte sich ein Tuch und machte sich an den Bücherregalen im Wohnzimmer zu schaffen. Ohne die Bücher aus ihrer sortierten Ordnung zu bringen, stapelte sie diese auf den Esstisch.

Während Henry die Beine lang ausstreckte, fragte sich Karo, warum Männer so ungeniert Frauen beim Putzen zusehen können. Sie staubte die Bücher ab und stellte sie zurück in das Regal. Dabei fiel ihr Blick auf die Weinflaschen, die sie mit Bedacht sortiert lagerte. Schwarz lackiert war das eiserne Gestell mit den geschwungenen Füßen, in dem auf zwei Etagen jeweils fünf Flaschen nebeneinander ihren Platz fanden. Karolin schwärmte für diese rustikale Schönheit in dieser Ecke des Zimmers.

Henry verließ das unruhige Treiben.

„Weckst du mich bitte in zwei Stunden? Ich lege mich hin!“