Zwischen tausend Gefühlen: Schöner als jeder Edelstein - Lindsay McKenna - E-Book

Zwischen tausend Gefühlen: Schöner als jeder Edelstein E-Book

Lindsay McKenna

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Beschreibung

Ingenieurin Cat erholt sich im Haus von Geologe Stanley nach einem Unfall. Mit viel Zartgefühl begleitet er sie zurück ins Leben. Sie kommen sich näher - bis Cat von seinem dunklen Geheimnis erfährt …

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Seitenzahl: 266

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Lindsay McKenna

Schöner als jeder Edelstein

Aus dem Amerikanischen von Günther Kuch

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der englischen Originalausgabe:

Solitaire

Copyright © 1987 by Lindsay McKenna

erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Thinkstock / Corbis

ISBN eBook 978-3-95649-433-8

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

„Gehen Sie nicht hinein. Die Mine ist gefährlich.“ Eine kräftige Hand legte sich auf die Skizze der Smaragdmine, die Cat gerade studierte. In der Annahme, von dem Besitzer der Mine angesprochen worden zu sein, erhob sie sich und drehte sich um.

Normalerweise brauchte Cat kaum den Blick zu heben, um dem eines Mannes zu begegnen, weshalb es sie zunächst etwas aus der Fassung brachte, nur auf einen Brustkorb zu sehen. Erst als sie aufblickte, begegnete sie Augen von der dunkelblauen Farbe der Saphire und ebenso atemberaubend. Die Eindringlichkeit des Blickes wurde von dem eigensinnigen Kinn des Mannes noch unterstrichen. Wenn es nicht die feinen Lachfältchen gegeben hätte, die sich um seinen Mund und seine Augen zogen, hätte sie gewettet, dass er das Wort Lächeln nicht einmal kannte.

„Ich bin in der Mine gewesen. Sie ist nicht sicher.“

Ein spöttisches Lächeln legte sich um Cats Lippen. „Welche Mine ist das schon?“

Der Blick des Mannes verriet Ungeduld. „Jetzt ist nicht die Zeit für Späße, Miss Kincaid. Ich war heute Morgen in der Grube. Der Besitzer muss verrückt sein, wenn er den wertlosen Stollen untersuchen lassen will. Nicht nur, dass die Stützbalken verrottet sind, es sickert auch Wasser durchs Gestein, was den ganzen Stollen zum Einsturz bringen lassen kann.“

„Da Sie offensichtlich nicht Mr Graham sind, könnten Sie sich vielleicht erst einmal vorstellen und mir sagen, woher Sie meinen Namen kennen.“

„Nein, dieses wertlose Exemplar einer Mine gehört mir nicht. Und in unserem Geschäft kennt jeder den Namen Cat Kincaid.“ Mit einem warmen Blick streckte er die Hand aus. „Mein Name ist Stanley Donovan. Ich bin Geologe.“

Cat spürte einen angenehm festen Händedruck. „Hat Mr Graham Sie auch damit beauftragt, die Emerald Lady Mine zu begutachten, Mr Donovan?“ Verstohlen warf Cat einen Blick auf ihre Uhr. Die Zeit drängte.

Stan lächelte verschmitzt. „Nein, nicht ganz, Ms Kincaid. Ach, macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie Cat nenne? Ich mag es lieber weniger formell.“

Ein wachsamer Zug kehrte in Cats Blick zurück. „Stanley Donovan? Wo habe ich den Namen nur schon einmal gehört?“

„Bergbauingenieure und Geologen sind doch international eine fest verbundene Gruppe“, gab er etwas zu schnell zurück. „Ich habe schon in Smaragdminen in Afrika und Südamerika gearbeitet.“

Cat strich sich eine braune Haarsträhne aus der Stirn und musterte Stan aufmerksam. „Ich weiß genau, dass ich von Ihnen gehört habe.“

„Das ist doch jetzt unwichtig.“ Er zeigte durch das schmutzige Fenster der alten Baracke. „Das ist wichtig. Lionel Graham hat in Fachkreisen einen schlechten Ruf.“ Seine tiefe Stimme mit deutlichem texanischen Akzent wurde nachdrücklich. „Die Stützpfeiler der Mine brechen zusammen, wenn man sie nur schief ansieht, Cat.“

„Miss Kincaid bitte. Wenn der Besitzer Sie nicht geholt hat, was machen Sie dann überhaupt hier?“ Cat verschluckte gerade noch eine spitze Bemerkung, wieso er ihr, einer Bergbauingenieurin, den Ratschlag geben wollte, ob sie eine Mine betreten sollte oder nicht. Sie musterte ihn erneut kritisch. Er schien ungefähr in ihrem Alter zu sein, so um die dreiunddreißig Jahre. Irgendwie gelang es ihm, sowohl lebenserfahren als auch jugendlich zu erscheinen, ein Eindruck, der durch die widerspenstigen, braunen Locken, die ihm in die hohe Stirn fielen, noch verstärkt wurde.

Stan warf ihr sein bezauberndstes Lächeln zu, dem er offensichtlich die Fähigkeit zuschrieb, das Herz jeder Frau erweichen zu können. Auf Cat hatte es allerdings genau die entgegengesetzte Wirkung. Und so wartete sie nur, die Hände in die Hüften gestützt, auf seine Erklärung.

„Also gut, ich bin von Bogotá herübergeflogen, als ich erfuhr, dass Sie hier erwartet werden. Ich habe schon seit Tagen versucht, Sie aufzuspüren. Ich bin gestern Abend angekommen und …“

„Da sind Sie ja, Miss Kincaid.“ Lionel Graham, ein wohlbeleibter Herr in tadellos sitzendem Anzug, betrat das Büro. Die nackte Glühbirne beschien seinen kahlen Kopf, als er sich stirnrunzelnd an den großen Mann neben Cat wandte. „Was machen Sie denn in Hampton, Donovan? Ich denke, Sie sind in Südamerika.“

Mit finsterer Miene nahm Stan ihn ins Visier. „Ich war heute Morgen in Stollen B, Graham, und ich kann nicht behaupten, dass mir gefallen hat, was ich gesehen habe.“

Graham runzelte die Stirn. „Hören Sie, Donovan. Ich weiß nicht, was Sie hier machen, aber niemand hat Zutritt zur Emerald Lady Mine, es sei denn, mit meiner Erlaubnis.“

„Ich verstehe auch, warum“, gab Stan bissig zurück. „Die Stützpfeiler sind verrottet und warten nur darauf, über jemandem zusammenzubrechen, der dumm genug ist, den Stollen zu betreten.“

Vor Wut lief Graham rot an. „Was weiß dem schon ein Geologe von diesen Dingen? Sie sind kein Bergbauingenieur.“

„Ich kenne mich mit Edelsteinminen aus, Graham, und Sie haben kein Recht dazu, jemanden in diese Mine zu schicken.“

Cats Ärger hatte mittlerweile den Siedepunkt erreicht. Die Zeit drängte. Und sie sollte diesen beiden einfach zuhören? „Mr Donovan, Ihre Meinung ist weder erwünscht noch erforderlich. Ich habe mein Leben lang unsichere Minen befestigt. Sie auch?“

Stan bemühte sich, seinen Ärger im Zaum zu halten. Hin und wieder kam es vor, dass skrupellose Minenbesitzer etwas in scheinbar reiche Edelsteinminen investierten, um sie anschließend als katastrophalen Geschäftsverlust anzugeben und stattliche Steuerbeträge dafür einzustreichen. Die Emerald Lady Mine war eine solche Mine, und sowohl Stan als auch Graham wussten das. Nur Cat Kincaid wusste es eben nicht. Und er wollte verhindern, dass sie es unter viel Mühen und Gefahr selbst herausfinden musste.

„Die Emerald Lady Mine ist nichts weiter als ein interessantes Verlustgeschäft, das nur darauf wartet, von Graham vergoldet zu werden.“

Graham lief tiefrot an. „Dieses Mal gehen Sie zu weit, Donovan. Falls Sie nicht zufällig gerade für die Minenkontrollbehörde arbeiten …“

Stan wandte sich Cat zu. „Das ist genau die Stelle, die hierfür zuständig ist. Stollen B kann jeden Moment zusammenbrechen. Doch dann, Graham“, er wandte sich wieder dem Grubenbesitzer zu, „wäre dieses Geschäft geplatzt, denn Sie brauchen unbedingt die fachmännische Bestätigung von Miss Kincaid, dass Ihre Mine nicht nur unergiebig, sondern eine Katastrophe erster Ordnung ist.“

„Donovan, Sie haben kein Recht dazu“, begann aufgebracht Graham.

Doch Stan ignorierte ihn nur und wandte sich wieder Cat zu. „Sie sind seit über zehn Jahren Bergbauingenieurin. Und in unserer Branche gibt es niemanden, der nicht Ihre Fähigkeit, Stollen selbst unter unglaublichen Umständen zu konstruieren, respektiert und bewundert.“ Stan wies zur Mine hinüber. „Aber Ihr Leben und Ihr Wissen – um gar nicht erst Ihren Hals zu erwähnen – sind es nicht wert, für diese Grube aufs Spiel gesetzt zu werden.“

Cat fühlte sich einen Augenblick lang von dem Nachdruck, mit dem Stan seine Einwände vorbrachte, verunsichert. Doch sofort erinnerte sie sich verärgert daran, dass er sie mit seiner einschmeichelnden Stimme nur wie in einem Spinnennetz umgarnt und gefangen hatte.

„Mr Donovan, ich glaube, Mr Graham und ich werden damit schon fertig. Übrigens, die Inspektion einer Mine gehört zu den Aufgaben von Bergbauingenieuren … Nur für den Fall, dass Sie es vergessen haben.“

Graham zog ein weißes, seidenes Taschentuch hervor und wischte sich damit über seine feuchte Stirn. „So ist es. Miss Kincaids Spezialität sind schwierige Minen. Aus dem Grunde habe ich sie auch kommen lassen. Und ich weise Ihren Verdacht entschieden zurück, Donovan. Die Emerald Lady ist die beste Mine, für die nur die besten Leute gut genug sind.“

Graham log wie gedruckt. Warum durchschaute bloß Cat nicht seine Masche? Hatte sie nicht gelernt, die Motive anderer Menschen kritisch zu hinterfragen? Stan versuchte es, eindringlich bittend, ein letztes Mal. „Bitte, gehen Sie nicht hinein. Gestern Nacht hat es hier stark geregnet. Warten Sie wenigstens einen Tag ab. Das Wasser sickert nur so hinein, und die Verschalung des Stollens ist total verrottet. Einen Tag. Bitte.“

Erhobenen Hauptes trat Cat näher. „Mein Terminkalender erlaubt mir nicht den Luxus eines zusätzlichen Tages. Ich beabsichtige, die Mine unverzüglich zu untersuchen, Mr Donovan. Und ich habe nicht die Zeit dafür, darüber zu diskutieren. Heute Nachmittag“, sie sah auf ihre goldene Armbanduhr, „um vierzehn Uhr genau, fliege ich nach New York zurück. Und morgen Abend bin ich schon wieder in Australien.“

Draußen begann es zu regnen, und über die Wälder, die die Edelsteinmine umgaben, legte sich ein grauer Dunstschleier. Stan erschien es wie ein warnendes Zeichen.

Doch Cat ergriff ihren weißen Grubenhelm, auf dem sich schon einige Kratzer und Beulen von Gesteinsbrocken eingegraben hatten, die alle ausgereicht hätten, um sie ernsthaft verletzen zu können. Sie prüfte die Lampe vom am Helm, bevor sie ihn aufsetzte. Dabei bemühte sie sich standhaft, Donovan zu ignorieren, was jedoch schwierig war, da seine betonte Beherrschtheit die Atmosphäre in knisternde Spannung zu versetzen schien.

„Donovan“, begann Graham gereizt. „Sie können sich einbilden, was Sie wollen, aber Sie befinden sich unbefugt auf Privatbesitz. Wenn Sie nicht verschwinden, verständige ich den Sheriff und lasse Sie unverzüglich …“

„Sparen Sie sich Ihre Drohungen, Graham. Ich bleibe, bis Miss Kincaid wieder unversehrt die Mine verlassen hat.“ Seine blauen Augen blickten Graham drohend an. „Und dagegen können Sie gar nichts machen, es sei denn, Sie halten sich für stark genug, mich hinauszuwerfen.“

Kopfschüttelnd ergriff Cat ihre Grubenlampe und prüfte deren gelbes Licht.

„Begleiten Sie sie, Graham?“, stichelte Stan bissig.

„Natürlich nicht, sie ist doch die Expertin.“

Ein verächtlicher Zug legte sich um Stans Mundwinkel. „Um nichts in der Welt würden Sie hineingehen, denn Sie wissen genau, wie unsicher die Mine ist.“

Cat öffnete die Tür. „Streiten Sie sich ruhig weiter über die Mine, ich werde sie mir währenddessen ansehen.“ Sie blickte Stan fest an. „Und folgen Sie mir nicht. Verstanden?“

Er verzog das Gesicht und nickte widerstrebend. „Wie immer Sie es wünschen, Lady. Aber ich würde Sie gern in einem Stück wiederkommen sehen.“

Erneut versuchte sich Cat daran zu erinnern, was ihr über einen Mann namens Stanley Donovan zu Ohren gekommen war. Wenn sie die Mine überprüft hatte, wollte sie eingehender in ihrer Erinnerung kramen. Den Namen kannte sie irgendwie. Aber woher? Wahrscheinlich, wenn sie von Stans polterigem Verhalten ausging, das dem eines Elefanten im Porzellanladen glich, konnte er mit nichts Gutem in Verbindung stehen.

„Ich brauche ungefähr eine Stunde, Mr Graham, vielleicht etwas länger.“

„Gut, gut, lassen Sie sich Zeit. Ich warte.“

Stan trat einen Schritt auf Cat zu. „Machen Sie so schnell wie möglich. Jeder Fachmann erkennt nach spätestens zwanzig Minuten, dass der Stollen einstürzen kann.“

Cat betrachtete ihn kühl und zog dann ihren Helm etwas tiefer. „Ungefähr eine Stunde, Mr Graham.“

Hilflos beobachtete Stan, wie Cat in den Regen hinaustrat. Das verwaschene Blau ihrer Jeansjacke wurde sofort von der Nässe an einzelnen Stellen dunkel. Dann drängte er sich mit einer Verwünschung auf den Lippen an Graham vorbei und eilte hinter Cat her.

„Miss Kincaid – Cat – hier, nehmen Sie.“ Er drückte ihr ein Funkgerät in die Hand. Der Regen lief nur so über sein Gesicht, und seine Haare klebten schon an seinem Kopf. „Nur für den Fall, okay? Und sehen Sie mich nicht so an. Das ist eine reine Sicherheitsmaßnahme, falls doch etwas schiefläuft.“

Sie hatten den Eingang der Mine erreicht. Stan sah Cat noch einmal bittend an, obwohl er wusste, dass sie sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen lassen würde. Er hatte schon gehört, dass sie eigenwillig war, und er musste sich jetzt damit abfinden.

Cat steckt das Gerät, zum Schutz vor dem Regen, unter ihre Jacke. Aus der Mine roch es feucht und muffig, und sie spürte ein leichtes Frösteln. „Okay, ich nehme es. Aber bleiben Sie hier. Ich habe genug von Ihren Einmischungen, Mr Donovan. Sie können froh sein, dass Mr Graham nicht den Sheriff gerufen hat, denn sonst steckten Sie jetzt bis zum Hals im Ärger. Auch wenn er nicht den besten Ruf hat, so hat Mr Graham doch großen Einfluss.“

„In der Tat, Lady“, bestätigte Stan spöttisch. „Graham hat mehr wertlose Minen besessen, als ich Erze geprüft habe.“

„Kann ich jetzt endlich an meine Arbeit, Donovan?“

„Sicher, machen Sie nur. Aber was halten Sie davon, wenn wir hinterher zusammen essen?“

Cat konnte es nicht leugnen, Stanley Donovan hatte irgendwie etwas Fesselndes, das sie nicht klar benennen konnte. Und so drängte sie ihr sechster Sinn – oder war es weibliche Neugier? – auf seinen Vorschlag einzugehen. „Essen? Aber nur ein Kurzes.“

„Ich weiß, Sie müssen Ihr Flugzeug erreichen.“ Stan lächelte, und seine angespannten Züge verloren etwas von ihrer Strenge.

Cat tippte an ihren Helm und hob die Grubenlampe. „Wir sehen uns später, Donovan.“

Vorsichtig machte Cat sich auf den Weg und folgte dem sanften Gefälle des Stollens. Die Dunkelheit schloss sie ein, die nur von dem gedämpften, gelben Licht ihrer Grubenlampe durchbrochen wurde. Sie atmete tief den modrigen Geruch ein. Wie bei den meisten Edelsteinminen war auch dieser Stollen nicht tief. Er folgte den Gesteinsschichten und -adern, in denen Edelsteine vermutet wurden. Überall auf dem Boden lagen Bruchstücke von Kalkstein herum. Es war offensichtlich, dass die Mine schon lange außer Betrieb war.

Cat hielt immer wieder an und betrachtete sorgfältig und mit geübtem Blick die Stützkonstruktion. Von oben, durch den grünlichen Kalkstein hindurch, tropfte es unaufhörlich. Feuchtigkeit in einer Mine war nichts Ungewöhnliches. Doch Stanley hatte recht gehabt: Rinnsale von Wasser folgten den Ritzen in den Gesteinsschichten und hatten sich ihren Weg bis in den abgesicherten Teil der Mine gegraben. Die Wände brauchten unbedingt eine zusätzliche Absicherung, andernfalls drohte die Feuchtigkeit, sie zu zerstören. Und als Cat die Stützbalken befühlte, erkannte sie sofort, dass deren Erneuerung die erste und vordringlichste Aufgabe sein musste.

Der Hauptstollen gabelte sich, und es begann der Stollen B, in dem es noch feuchter und modriger roch. Erneut musste sich Cat eingestehen, dass Stan recht hatte: Graham hatte noch nicht einmal damit begonnen, sich um das Notwendigste zu kümmern, um hier sichere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wenn er, wie Donovan behauptete, die Sachkenntnisse besaß, dann gab es keine Entschuldigung dafür, dass er an den notwendigen Belüftungsmaßnahmen und Geräten zum Wasserabpumpen gespart hatte. Die Nässe zerstörte die mächtigen Eichenstützbalken und Deckenverstrebungen, sodass irgendein unglücklicher Bergarbeiter leicht unter ihnen begraben werden konnte.

Cat folgte dem Stollen und prüfte sorgfältig jeden weiteren Stützbalken. An den Stellen, wo das Wasser von oben herunterfloss, hatte das Gestein eine rostrote Färbung bekommen, ein eindeutiges Zeichen, dass innerhalb des Felsens metallhaltige Adern steckten. Grimmig verzog Cat den Mund: Stan hatte die Beschaffenheit der Mine exakt bestimmt. Hier konnten keine Smaragde gefunden werden. Die verbargen sich nie in metallhaltigem Gestein. Auch wenn sie keine Geologin war, hatte sie sich im Laufe ihrer Arbeit doch ausreichende Kenntnisse darüber erworben.

Je tiefer Cat in den Stollen eindrang, desto drückender wurde die Luft. Als das Gefälle plötzlich steil abfiel, blieb sie stehen. Sie hob die Grubenlampe, um den Grund des jähen Abstiegs des Stollens zu erkennen. Normalerweise nahmen in solchen Fällen die Gesteinsadern eine unerwartete Richtung. Doch es war nichts Derartiges erkennbar. Cat fuhr mit dem Finger über die Stützpfeiler. Sie waren mit glitschigen Algen bedeckt und nass von dem ununterbrochen herabsickernden Wasser. Der Hauptbalken der Deckenabsicherung über ihr war zerbrochen und hing herunter. Und wieder erinnerte sie sich an Stans Warnung.

Cat presste die Lippen zusammen und lauschte. Von überallher hörte sie das Platsch, Platsch, Platsch des Wassers. Im Schein der Lampe glänzten die Stollenwände feucht. Sollte sie weitergehen? Aller Wahrscheinlichkeit nach würden die anderen Deckenbalken auch bald durchbrechen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann der Kalkstein von dem stetig durchsickernden Wasser so brüchig sein würde, dass er herunterbrach. Was bezweckte Graham eigentlich damit, sie Untersuchungen über die Wertlosigkeit seiner Mine anstellen zu lassen? Es war ein totales Verlustgeschäft. Allein in die Absicherung dieses Stollens musste so viel Geld gesteckt werden, dass es fraglich war, ob der angenommene Ertrag der Mine überhaupt im Verhältnis zu solchen Ausgaben stand. Sie bezweifelte das. Doch das ging sie schließlich nichts an. Es war Grahams Entscheidung.

Der Boden des Stollens war schlüpfrig durch Schlick und Schlamm. Cat setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, da sie keine unnötigen Erschütterungen verursachen wollte, die die Sicherheit der Tragebalken noch weiter herabsetzen könnte. Unwillkürlich presste sie die Hand auf die Stelle ihrer Jacke, wo sie das Funkgerät spürte. Und sie musste sich eingestehen, dass Stan doch ein fähiger Mensch war. Seine Einschätzung hatte sich als richtig erwiesen, und das Funkgerät konnte ihr wirklich von Nutzen sein.

Doch sofort schob Cat die Gedanken an Stan wieder beiseite und konzentrierte sich auf die Deckenverschalung. Alle paar Meter blieb sie stehen und untersuchte sie nachdenklich. Ungefähr hundert Meter, nachdem der Stollen so jäh abgefallen war, bückte sie sich plötzlich, um die linke Stollenwand genauer betrachten zu können. Im Kalkstein war ein tiefer Riss, durch den das Wasser ins Innere der Mine sprudelte. Das sah gar nicht gut aus. Vorsichtig erhob sie sich und wandte ihre Aufmerksamkeit der anderen Stollenwand zu.

Nach ungefähr weiteren hundert Metern – nach der Karte musste es kurz vor dem Ende von Stollen B sein – hallte plötzlich ein bedrohlich lautes Bersten durch die Minenanlage. Cat wirbelte herum und rannte zurück. Schon ertönte ein lautes Rumpeln und Poltern, ein Geräusch, wie heftiger Donner, das anschwellend durch den Stollen rollte. Irgendwo war die Grubenwand zusammengebrochen, und das Wasser stürzte Cat entgegen. Durchnässt arbeitete sie sich vor und erreichte das Ende des abfallenden Stollenteils. Dort rutschte sie im Schlamm aus und fiel auf die Knie. Die Grubenlampe flackerte und erlosch dann.

Außer Atem richtete sich Cat wieder auf. Sie hatte jetzt nur noch das Licht vorne an ihrem Helm. Stetig stieg das Wasser. Es reichte schon bis zu ihren Knöcheln. Irgendwo vor ihr war ein Loch in der Grubenwand, wodurch es eindringen konnte. Oder war sogar die ganze Wand zusammengestürzt und schnitt ihr jeden Fluchtweg ab?

Hinter ihr knirschte es in der Kalksteindecke. Automatisch duckte sich Cat und rannte los, auf die Gabelung des Hauptstollens zu. Es konnten keine hundert Meter mehr sein. Da krachte es direkt neben ihr, und Gesteinsbrocken fielen von oben herunter. Nach Luft ringend blieb sie stehen. Sollte sie zurück? Da regnete es um sie herum auch schon faustgroße Kalksteinbrocken. Schützend legte sie die Hände vors Gesicht und taumelte und stolperte vorwärts.

Der Staub füllte Cats Mund, Nase und ihre Lungen, dass sie zu ersticken glaubte, und er ließ sie nichts mehr sehen. Sie stolperte und fiel nach hinten. In dem Augenblick brach die Decke genau vor ihr ein, wo sie noch Sekunden zuvor gestanden hatte. Ein Gesteinsbrocken von der Größe eines Baseballs krachte auf ihren Helm und riss ihn vom Kopf. Der Helm rollte über den Boden, und seine Lampe warf einen schwankenden Lichtstrahl durch das undurchdringliche Grau. Cat legte ihre Hände schützend über ihren Kopf und wich zurück. Dabei prallte sie gegen kantige Gesteinsbrocken. Sie war gefangen. Um sie herum lagen tonnenweise Felsbrocken vermischt mit Erdreich. Sie schrie auf, als der Rest der anderen Stollenwand auch noch zusammenbrach und sie fast unter sich begrub. Heftiger Schmerz bohrte in ihrer rechten Seite, und sie verlor das Bewusstsein.

Stan stieß eine wilde Verwünschung aus und stürzte in den Eingangsschacht der Mine. Er hörte das bedrohliche Bersten der Stützpfeiler, die – einer nach dem anderen – wie Streichhölzer zusammenbrachen. Laut rief er Cats Namen, doch seine Stimme wurde von einem tiefen Donnern übertönt, das ihm eiskalte Schauer über den Rücken jagte. Eine dichte Staubwolke hüllte ihn ein, und keuchend und hustend musste er sich zurückziehen.

Lionel Graham kam mit vor Schreck aufgerissenen Augen aus der Baracke. Stan rannte auf ihn zu und packte ihn am Kragen seines eleganten englischen Regenmantels.

„Verdammt, Graham, es ist passiert. Setzen Sie sich in Bewegung und rufen über Ihr Autotelefon Hilfe. Und zwar sofort!“

„Ja, sicher, natürlich“, stotterte der und eilte zu seinem Wagen.

Stan war schon wieder auf dem Weg zurück zum Mineneingang. Unterwegs zog er das Sprechgerät aus dem Lederetui, das an seinem Gürtel befestigt war. Das rote Lämpchen blinkte auf, ein Zeichen dafür, dass die Batterie geladen war.

Er drückte auf den Knopf. „Cat? Cat, können Sie mich hören? Hier ist Stan.“

Nichts. War sie tot? Oder lebendig begraben? Oder hatte sie Glück im Unglück gehabt und war eingeschlossen? Falls es so war, wie viel Luft hatte sie noch? Und er wusste von eigenen schlimmen Erfahrungen, dass Staub einen Menschen ersticken lassen kann.

Stan rannte in den Eingangsstollen, bis ihn der Kalksteinstaub am Weitergehen hinderte. Wieder rief er Cat durchs Funkgerät, und wieder keine Antwort. Verdammt. Liebend gern hätte er jetzt die Hände um Grahams dicken Hals gelegt und den Bastard erwürgt. Denn der hatte gewusst, welcher Gefahr er Cat ausgesetzt hatte.

Stan drückte erneut auf den Knopf des Sprechgeräts und betete im Stillen, dass Cat ihn dieses Mal hörte.

„Cat? Cat Kincaid, hören Sie mich? Hier spricht Stanley Donovan. Wenn Sie mich hören, dann geben Sie mir ein Lebenszeichen.“

Der Druck des Funkgerätes auf ihrem Brustkorb brachte Cat langsam wieder zu Bewusstsein. Blut tropfte aus ihrer Nase auf ihre Lippen. Sie wollte es ablecken, doch ihre Zunge traf nur auf eine dicke Staubschicht. Ein stechender Schmerz brachte sie ganz zu sich. Es fühlte sich an, als wütete ein Feuer in ihrer rechten Seite. Benommen schätzte Cat ihre Situation ab. Sie lag bis zu den Hüften unter Geröll. Links von ihr erkannte sie das schwache Licht ihres Helms, das durch den dichten Staubschleier kaum wahrnehmbar war.

Das Funkgerät drückte immer noch. Vorsichtig hob Cat die Hand. Jeder Atemzug, jede Bewegung schmerzte. Eine Schwächewelle erfasste sie. Sie wusste, sie war verletzt. Sie wusste nur nicht, wie sehr. Und sie wusste nicht, wie groß der unverschüttete Raum war, in dem sie lag. War er klein, würde sie früher oder später an Sauerstoffmangel ersticken. Wenn sie Glück hatte, konnte etwas Sauerstoff durch Ritzen in die sie umgebenden Gesteinswälle dringen.

Ihre Finger umschlossen das Funkgerät, und sie bewegte sich etwas, um es unter ihrer Jacke hervorziehen zu können. Sofort musste sie nach Luft schnappen, als die Bewegung erneut eine Schmerzwelle hervorrief, die ihr fast wieder das Bewusstsein nahm. Sie atmete vorsichtig und mit flachen Zügen die staubige Luft ein. Denn tiefe Atemzüge verursachten einen messerscharfen Schmerz in ihrer rechten Seite. Gebrochene Rippen, dachte sie und zog vorsichtig das Sprechgerät hervor.

Das Licht von ihrem Grubenhelm war schwächer geworden, doch Cats Aufmerksamkeit galt jetzt nur dem Funkgerät. Ob es ging? Ob Donovan noch draußen war? Mit heftig zitternden Händen schaltete sie das Gerät ein. Das rote Lämpchen blinkte auf, und ein kratzendes Geräusch begrüßte sie. Sie drehte am Einstellknopf, bis sie die Frequenz klarer hatte.

Ihre blutig abgeschürften Finger drückten den Knopf, der sie hoffentlich mit der Außenwelt verbinden würde. Sie versuchte zu sprechen, doch aus ihrer Kehle drang nur ein leises Krächzen. Wenn sie doch nur etwas Wasser hätte.

„Donovan.“ Sie schaffte gerade ein heiseres Flüstern. Der Staub klebte in ihrer Kehle und verursachte einen Hustenreiz, den sie jedoch aus Angst um ihre gebrochenen Rippen unterdrückte. In diesem Augenblick knackte es im Gerät, und eine unglaubliche Woge der Erleichterung erfasste Cat, als sie Donovans texanischen Bariton vernahm.

„Cat. Ich kann Sie kaum verstehen. In welcher Verfassung sind Sie?“

„Ich bin von beiden Seiten eingeschlossen. Meine Beine sind unter Geröll begraben. Keine Ahnung, wie groß das Loch ist, in dem ich stecke. Zu viel Staub.“

„Verletzungen?“

„Rechte Lunge schmerzt – kann nicht gut atmen. Die Beine sind taub, aber wenn es mir gelingt, sie von den Steinen zu befreien, geht es wahrscheinlich.“

„Kopfverletzungen?“ Tiefe Besorgnis klang bei dieser Frage durch.

Cat musste sich erst selbst vergewissern. Langsam hob sie die Hand und tastete den Kopf ab. Sie fühlte ihr mit dichtem Staub bedecktes Haar und spürte eine warme Klebrigkeit. Ihr Schädel pochte, als wollte er, so wie der Kalkstein um sie herum, in tausend Stücke zerspringen.

„Vielleicht eine leichte Gehirnerschütterung.“

„Sauerstoff?“

„Ich muss mir selbst erst ein Bild machen. Ich versuche jetzt, meinen Helm zu erreichen.“

„Gut, bleiben Sie ruhig. Wir holen Sie da raus. Graham hat einen Hilfstrupp angefordert, der innerhalb der nächsten Stunde eintreffen wird. Versuchen Sie herauszufinden, wie groß der Raum ist, in dem Sie stecken, und geben mir dann Bescheid.“

Durch den beruhigenden Ton von Stans Stimme schaffte es Cat, die Panik, die sie zu überschwemmen drohte, in den Griff zu bekommen. Irgendwie war es ihm gelungen, sein Versprechen, sie zu befreien, glaubwürdig zu machen. Vorsichtig setzte Cat das Funkgerät ab. Was würde sie jetzt für einen Schluck Wasser geben! Immer wieder wurde sie von einer Schwächewelle erfasst, und Übelkeit stieg in ihr auf – alles Symptome einer Gehirnerschütterung.

Cat streckte langsam die linke Hand aus und bekam glücklicherweise ihren Helm zu fassen und zog ihn zu sich herüber.

Als sich der Staub allmählich legte, konnte sie sich endlich auch ein Bild über ihr Gefängnis machen. Gesteinsbrocken von unterschiedlicher Größe – zum Teil waren sie bestimmt eine gute halbe Tonne schwer – häuften sich um sie herum. Aber sie hatte Glück gehabt. Wäre sie nicht an dieser Stelle hingefallen, hätte sie einer dieser dicken Brocken tödlich treffen können. Die Vorstellung verursachte erneut ein Schwächegefühl, und entkräftet schloss sie die Augen.

Wie ein gefangener Tiger lief Stan draußen erregt auf und ab. Immer noch regnete es ununterbrochen, und das Grau des Himmels war noch trostloser geworden. Verärgert schüttelte er die ihn bedrängenden Gedanken und Gefühle ab. Cat lebte, nur das zählte. Wie gern hätte er jetzt seine Wut an Graham ausgelassen, der blass in seinem silbernen Mercedes saß.

Der verängstigte Minenbesitzer hatte keine Mühe gescheut und Grubenarbeiter aus der Umgebung angefordert, die früher in dieser Mine gearbeitet hatten, und außerdem noch Bergungsgeräte aus der nächsten Stadt. Und die örtliche Feuerwehr würde in Kürze mit Sauerstoffmasken und Rettungsausrüstung hier eintreffen. Stan wollte dann sofort mit einer Sauerstoffmaske in den Stollen einsteigen, um die Stelle ausfindig zu machen, an der Cat verschüttet war. Er hielt inne. Sie hätte sich doch längst wieder melden müssen.

Fünfmal rief Stan sie vergeblich über Funk. War Cat bewusstlos? War sie an Sauerstoffmangel gestorben? Hin- und hergerissen starrte er ins dunkle Eingangsloch der Mine. Er verdrängte die Erinnerung an den schleppenden Klang von Cats Stimme vorhin und den Schmerz, den sie offensichtlich bei jedem Atemzug gehabt hatte.

Wieder rief er sie, und dieses Mal bekam er endlich eine Antwort.

„Cat, wie geht’s Ihnen?“

„Schwindelig. Tut mir leid, ich hatte nicht die Absicht, bewusstlos zu werden.“

Stans Gesicht drückte Besorgnis aus, doch seiner Stimme war davon nichts anzumerken. „Sie verhalten sich großartig. Haben Sie sich Ihr Gefängnis schon genauer ansehen können?“

„Sechs Meter lang und drei Meter breit. Die Decke wird von einem Pfeiler abgestützt.“

„Wunderbar.“ Die Nachricht erleichterte Stan. „Und wie steht’s mit der Luftzufuhr?“

„Der Staub ist noch zu dicht. Ich konnte noch nichts feststellen. Brauche aber dringend Wasser.“

„Ich weiß. Versuchen Sie, sich auszuruhen.“

„Geht nicht – muss erst versuchen, die Beine freizubekommen.“

„Die Feuerwehr ist mit Sauerstoffmasken unterwegs. Sobald sie eintrifft, komme ich zu Ihnen, Cat.“

Cats Mund und Kehle waren wie ausgetrocknet, und die Feuchtigkeit kroch ihr in die Glieder, sodass sie am ganzen Körper zitterte. Vorsichtig nahm sie mit der unverletzten linken Hand einen Stein nach dem anderen von ihren Hüften. Bewegungen mit dem rechten Arm verursachten solchen Schmerz, dass sie darüber das Bewusstsein verlor.

Cat war zwar an Dunkelheit gewöhnt, da sie immer nur mit Grubenlampe und dem Licht an ihrem Helm arbeiten musste. Aber ganz ohne Licht war sie bisher kaum gewesen. Die undurchdringliche Dunkelheit lastete jetzt auf ihr, und Cat spürte, wie Panik sie zu überwältigen drohte.

Die Minuten krochen dahin, und jede von ihnen schien eine Ewigkeit zu sein. Cat klammerte sich an den Gedanken, dass sich Stan wieder melden würde, dass eine menschliche Stimme ihr das Entsetzen der Dunkelheit zu ertragen helfen würde. Ihre Atemzüge kamen stoßweise, und jeder war wie ein Messer, das durch ihre Lunge gestoßen wurde. Schweiß vermischte sich mit der Staubkruste auf ihrem Gesicht und brannte in ihren Augen.

Cat musste jetzt mit ihrer rechten Hand die Steine von ihrem rechten Bein räumen. Doch schon beim ersten Versuch löste sich unwillkürlich ein gequälter Schrei von ihren Lippen. Ihr wurde schwarz vor Augen, und schluchzend sank ihr Kopf zur Seite.

2. KAPITEL

„Hier!“ Stan winkte die Wagen der Feuerwehr zur Minenöffnung. Auch Graham stieg jetzt zögernd aus seinem Wagen. Endlich, dachte Stan und eilte dem Einsatzleiter entgegen.

Kurz darauf wurde Stan eine Maske und ein Sauerstoffbehälter ausgehändigt. Er setzte den Grubenhelm auf, ergriff eine Grubenlampe und betrat die Mine. Sein Puls raste. Wie tief in Stollen B hatte sich das Unglück ereignet? Falls er auf eine riesige Wand aus Gesteinsbrocken stieß, konnte es Tage dauern, bis sie sich zu Cat vorgearbeitet hätten. Er betete, dass das Gegenteil der Fall sein würde …, dass nur eine dünne Trümmerwand zwischen ihr und der Freiheit liegen würde.

Die Geröllwand befand sich in der Nähe des zweiten Stützpfeilers in Stollen B. Sorgfältig untersuchte Stan die restlichen Balken. Sie machten einen relativ stabilen Eindruck. Man konnte also schweres Bergungsgerät in die Mine schaffen, ohne ein weiteres Zusammenstürzen befürchten zu müssen. Es lag immer noch dichter Staub in der Luft. Schweißtropfen rannen über Stans Schläfen. Das Felsgestein war in kleineren Stücken heruntergebrochen und konnte mit Hacken, Schaufeln und Schubkarren weggeschafft werden.

An einer Stelle drang aus der Geröllwand Wasser. Wenn das Wasser seinen Weg durch das Hindernis fand, dann konnte auch der lebensnotwendige Sauerstoff in die steinerne Kammer gelangen, in der Cat gefangen war.

Stan zog das Funkgerät heraus und rief Cat. Geduldig wartete er und wiederholte seinen Ruf dreimal, bevor er ihre heisere und erschöpfte Stimme hörte. Sie hatte offensichtlich entsetzliche Schmerzen.

„Wie geht’s meinem tapferen Mädchen?“

Ein unterdrückter Laut kam aus dem Funkgerät. „Wunderbar.“

„Bergbauingenieure haben doch immer mehr Glück als Verstand“, gab Stan trocken zurück. „Ich bin jetzt direkt vor der Mauer, die Sie einschließt. Geben Sie mir einen Zustandsbericht.“

„Der Sauerstoffgehalt scheint gleichbleibend zu sein. Links von mir fließt Wasser ein.“

„Hervorragend. Und was ist mit Ihnen?“

„Würde es etwas verbessern, wenn ich es erzähle?“

„Lassen Sie die Späße. Ich will wissen, wie schwer Ihre Verletzungen sind und wann sich Ihr Zustand verschlechtert.“

„Die Masche wenden Sie doch bestimmt bei jeder Frau an, Donovan.“

Ein flüchtiges Lächeln zog über sein besorgtes Gesicht. „Bei Ihnen würde ich doch keine Masche anwenden. Aber ernsthaft, wie geht es Ihnen?“

„Ich habe meine Beine von den Steinen befreien und mich umdrehen können. Die rechte Stollenwand sieht brüchig aus, und die Verschalung über mir ächzt und kracht.“

Stan schluckte. Eile war geboten. Cat konnte jederzeit von herunterstürzenden Steinbrocken begraben werden. „Und was ist mit der Gehirnerschütterung, die Sie so beiläufig erwähnt haben?“

„Nicht gut. Ich döse immer ein. Auch eben hat mich erst das Knacken des Funkgerätes geweckt.“

Verdammt. Cat musste doch eine schwerere Kopfverletzung haben, als er angenommen hatte. „Okay.“ Stan bemühte sich um einen beruhigenden Tonfall. „Und was machen die Rippen?“

„Wenn ich nicht atme, fühle ich mich wunderbar.“

Sie lässt sich nicht kleinkriegen, dachte er anerkennend. „Und wenn Sie atmen?“

„Ein Gefühl, als würde mir jemand ein Messer zwischen die rechten Rippen bohren.“

„Meinen Sie, es sind komplizierte Brüche?“ Wenn ja, könnte sich bei Bewegungen eine Rippe in die Lunge bohren.

„Ich weiß nicht. Ich kann die Stelle nicht abtasten, der Schmerz ist zu groß.“

„Bewegen Sie sich möglichst nicht.“ Entweder hatte Cat gebrochene Rippen oder einen verletzten Lungenflügel oder beides. „Gibt es irgendwo Wasser?“ Mit genügend Wasser und Sauerstoff könnte sie es dort noch lange überstehen. Doch falls sie tatsächlich innere Verletzungen hätte, würde es ein Wettlauf mit der Zeit werden, da sie sofort ärztlich versorgt werden müsste.

„Ja, das kleine Rinnsal in der linken Wand. Alle nur denkbaren Annehmlichkeiten, Donovan.“