Achtsam morden durch bewusste Ernährung - Karsten Dusse - E-Book

Achtsam morden durch bewusste Ernährung E-Book

Karsten Dusse

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Beschreibung

Guten Appetot!

Dank Achtsamkeit hat Björn Diemel seine Mitte gefunden. Seine Problemzonen sind nun allerdings die Ränder seines Körpers, die sich immer weiter von dieser Mitte entfernen. Björn erkennt, dass In-sich-Ruhen und Mangel an Bewegung zwei grundverschiedene Dinge sind.

Als Unbekannte versuchen, Björns Tochter zu entführen, gelingt es ihm aufgrund seiner Körperfülle nur mit Mühe, die Täter in die Flucht zu schlagen. Also lässt Björn sich von Joschka Breitner in Bezug auf die Grundsätze bewusster Ernährung coachen. Er taucht ein in die faszinierende Welt des Heilfastens und der Ernährungsbausteine. Noch ahnt Björn nicht, wie wunderbar sich Ernährung, Entspannung und das Auflösen von Gewaltfantasien miteinander kombinieren lassen.

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Seitenzahl: 368

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Das Buch

Dank Achtsamkeit hat Björn Diemel seine Mitte gefunden. Seine Problemzonen sind nun allerdings die Ränder seines Körpers, die sich immer weiter von dieser Mitte entfernen. Björn erkennt, dass In sich ruhen und Mangel an Bewegung zwei grundverschiedene Dinge sind.

Als Unbekannte versuchen, Björns Tochter zu entführen, gelingt es ihm aufgrund seiner Körperfülle nur mit Mühe, die Täter in die Flucht zu schlagen. Also lässt Björn sich von Joschka Breitner in Bezug auf die Grundsätze bewusster Ernährung coachen. Er taucht ein in die faszinierende Welt des Heilfastens und der Ernährungsbausteine. Noch ahnt Björn nicht, wie wunderbar sich Ernährung, Entspannung und das Auflösen von Gewaltfantasien miteinander kombinieren lassen.

Der Autor

KARSTENDUSSE, Jahrgang 1973, Rechtsanwalt, Studium in Bonn, Lausanne und Los Angeles. Nach erfolgreicher Tätigkeit als Drehbuch- und Sachbuchautor wurde sein Debütroman ACHTSAMMORDEN zum meistverkauften Taschenbuch des Jahres 2020.

Seine Romane wurden bislang in 22 Sprachen übersetzt und stehen regelmäßig an der Spitze der Bestsellerlisten. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Deutschen Comedypreis und dem Deutschen Hörbuchpreis. Seine Hörbücher haben Gold- und Platin-Status erreicht.

KARSTEN DUSSE

ACHTSAM MORDEN DURCH BEWUSSTE ERNÄHRUNG

ROMAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe 01/2024

Copyright © 2024 by Karsten Dusse

© by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: © Cornelia Niere, München

Coverabbildung: © Cornelia Niere unter Verwendung von

Shutterstock.com (Arctic ice, Alex Lukin, mrspopman 1985)

Herstellung: Mariam En Nazer

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-28670-5V002

www.heyne.de

Für Lina

»Anfang und Wurzel alles Guten ist die Freude des Magens. Selbst Weisheit und alles, was noch über sie hinausgeht, steht in Beziehung zu ihr.«

Epikur, Philosophie der Freude

INHALTSVERZEICHNIS

AMUSE-GUEULE

PROLOG

»Lebenslügen haben dicke Beine.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

VORSPEISE

1   RILKE

»Es gibt keine dicken Seelen. Es gibt nur zarte Seelen, die sich in einem dicken Körper nicht wohlfühlen.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

2   GIER

»Die Gier nach etwas ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass Sie dieses Etwas gar nicht brauchen.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

3   GÖNNEN

»Gönnen Sie Mitstreitern den Erfolg. Hadern Sie nicht mit Ihrem Misserfolg, sondern freuen Sie sich über den Erfolg des Konkurrenten. Und nutzen Sie diese Energie, um ihm den Erfolg beim nächsten Mal wieder streitig zu machen.«

Joschka Breitner, Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte

4   REFLUX

»Was Ihnen nachts durch den Kopf geht, kann Ihren Schlaf nur dann stören, wenn das, was Ihnen nachts durch die Speiseröhre geht, Ihnen den Schlaf nicht vorher schon geraubt hat.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

5   AYUR UND VEDA

»Füllen Sie nicht das Leben mit Mahlzeiten, sondern die Mahlzeiten mit Leben.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

6   FRESSEN

»Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Nahrung kocht. Die Zeit, die Sie sich zur Zubereitung einer Mahlzeit nehmen, ist der Abstand zwischen kultiviertem Essen und animalischem Fressen.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

7   WIR

»Egoismus ist die Freiheit, für seine eigenen Fehler geradestehen zu können, anstatt sie einer Gruppe in die Schuhe schieben zu müssen.«

Joschka Breitner, Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte

8   AUTHENTIZITÄT

»Eine vergeigte Oper wird nicht schöner, wenn sich der einarmige Geiger vorher Lackschuhe anzieht. Stellen Sie heraus, was der Geiger mit seinem verbleibenden Arm alles kann. Dann vergisst Ihr Gegenüber schnell, was er wegen des fehlenden Armes alles vergeigt hat.«

Joschka Breitner, Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte

9   RAUSCH

»Alkoholische Getränke haben zwei wunderbare Eigenschaften: Sie können sich damit hässliche Menschen schön- und Ihre eigene Dummheit schlautrinken. Beides leider nur für sehr begrenzte Zeit.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

10   DEMOKRATIE

»Sie können demokratisch darüber abstimmen, wer für alle kochen soll. Aber nicht, ob nachher alle satt sein werden.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

HAUPTSPEISE

11   ERZIEHUNG

»Die tollsten Eltern der Welt sind diejenigen, die ihrem tollsten Kind der Welt klarmachen, dass es nicht das einzige Kind auf der Welt ist.«

Joschka Breitner, Das innere Wunschkind

12   SELFIE

»Je krampfhafter Sie die Gegenwart für die Ewigkeit festhalten, desto schwieriger wird es irgendwann, die Vergangenheit in Zukunft loszulassen.«

Joschka Breitner, Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte

13   KINDESENTFÜHRUNG

»Körpergewicht hat eine enorme Anziehungskraft. Vor allem für den Erdmittelpunkt.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

14   PROBLEME

»Ein einzelner negativer Gedanke kann es schaffen, all Ihre Emotionen negativ zu beeinflussen. Nutzen Sie diese Kraft der Gedanken. Auch der positiven. Konzentrieren Sie sich auf drei positive Dinge im Hier und Jetzt. Sie werden erstaunt sein, wie schnell der eine negative Gedanke seine Wirkung verliert.«

Joschka Breitner, Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte

15   KATZE

»Katzen haben von Natur aus drei achtsame Eigenschaften, die wir Menschen oft erst mühsam erlernen müssen: Sie leben im Moment, sind selbstbewusst und neugierig.«

Joschka Breitner, Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte

16   ÜBERGEWICHT

»Übergewicht ist keine Frage der Schuld. Kein einziger dicker Mensch sollte ein schlechtes Gewissen haben, weil er dick ist. Aber er kann ein verdammt gutes Gefühl dabei haben, wenn er daran etwas ändert.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

17   KÖRPER

»Ihr Körper ist das einzige Zuhause, das Ihre Seele Ihr Leben lang nicht verlassen wird.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

18   HEILFASTEN

»Hunger ist der Schrei des Körpers nach Energie. Fasten ist der Genuss des vorherigen Überflusses.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

19   ERNÄHRUNGSTAGEBUCH

»Ihr Körper ist das Archiv dessen, was Sie gegessen haben. Um sinnvoll mit einem Archiv arbeiten zu können, sollten Sie zunächst einmal eine Liste erstellen, was sich darin so alles angesammelt hat.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

20   KINDESENTFÜHRERENTFÜHRUNG

»Fleischersatzprodukte sind wie die Perücke, die Sie Ihrer neuen Freundin aufsetzen, damit sie aussieht wie Ihre Ex.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

21   ERLEICHTERUNG

»Es wird immer Probleme geben. Probleme sind notwendig. Manche Menschen erfinden sogar unlösbare Probleme, um sich gar nicht erst mit den lösbaren beschäftigen zu müssen.«

Joschka Breitner, Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte

22   ESSEN

»Essen ist Lebensbejahung.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

23   DARMREINIGUNG

»In der Psychotherapie ist es wichtig, alles rauszulassen, was Ihre Seele belastet. Die Darmreinigung ist so gesehen eine Psychotherapie für den Verdauungstrakt.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

24   ENTLASTUNGSTAGE

»Es gibt einen entscheidenden Vorteil, wenn Sie nicht aus Hunger, sondern aus Langeweile essen. Vom echten Hunger können Sie sich nicht ablenken. Von der Langeweile schon.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

25   EINLAUF

»Eine warme Dusche ist immer wohltuend. Egal auf welcher Seite des Schließmuskels.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

26   MASSENERHALTUNGSSATZ

»Alles Materielle auf dieser Erde ist messbar und endlich. Nur unsere Gefühle entziehen sich jeder Maßeinheit. Deshalb können Freude und Sorge so unendlich viel größer werden als der Anlass, auf den sie sich beziehen.«

Joschka Breitner, Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte

27   GETREIDE

»Den Kreislauf des Lebens können wir in allem sehen. Das Getreidekorn kann als neue Saat auf den Boden fallen, zu Mehl gemahlen oder an den Ackergaul verfüttert werden. Nach dem Tod aber werden Mensch und Ackergaul doch wieder nur zu dem Boden, in dem das Getreidekorn wächst.«

Joschka Breitner, Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte

28   TOM

»Der materielle Reichtum der Eltern ist der Dünger für die seelische Armut des Kindes.«

Joschka Breitner, Das innere Wunschkind

29   BAUSTEINE

»Nicht die Art der Bausteine bestimmt die Form eines Hauses, sondern die Art, wie der Bauherr sie stapelt.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

30   EIWEISSE

»Alles, was Sie über Eiweiße wissen müssen, erfahren Sie von der Gottesanbeterin. Sie ist nach wenigen Bissen satt, weil sie den Kopf ihres Männchens nicht erst in Panade frittiert, bevor sie ihn abbeißt.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

31   KOHLENHYDRATE

»Es kommt bei der bewussten Ernährung nicht darauf an, was Sie alles nicht essen. Es kommt darauf an, was Sie wann essen.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

32   FETTE

»Gesättigte Fette sind unbeweglich.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

33   FLEISCH

»Wozu man mich nicht zwingen kann, das muss mir auch nicht verboten werden.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

34   SAUNA

»Der beste Weg, die Scham über die eigene Nacktheit zu überwinden, ist der Anblick anderer nackter Menschen.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

35   PARADIES

»Wenn Sie das Paradies an einem konkreten Ort suchen, werden Sie scheitern. Das Paradies ist kein Ort, sondern ein Gedanke. Somit können Sie sich täglich an der Vorstellung vom Paradies erfreuen, ohne jemals dort gewesen sein zu müssen.«

Joschka Breitner, Zu Fuß ins Ich – Pilgern als Selbstfindung

NACHSPEISE

36   JO-JO-EFFEKT

»Der Zustand der Seele ist entscheidend für die Folgen der Nahrungsaufnahme. Wenn Sie nach einer Fastenkur die Seele vernachlässigen, wird niemand Ihren Körper daran hindern können, dem Zustand der Seele zu folgen.«

Joschka Breitner, Godwork Orange – Meine Zeit mit Bhagwan

37   VERTREIBUNG

»Es gibt eine einfache Erkenntnis, die verhindert, dass Sie glauben, Ihnen stünden andere Menschen im Weg: Dort, wo diese Menschen stehen, ist einfach nicht Ihr Weg.«

Joschka Breitner, Zu Fuß ins Ich – Pilgern als Selbstfindung

38   FASTENBRECHEN

»Sie glauben gar nicht, wie einfach es ist, das Richtige zu essen, wenn Sie das Falsche gar nicht erst im Haus haben.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

39   BEWUSSTE ERNÄHRUNG

»Wenn die Freude des Magens der Ursprung der Freude ist, dann ist bewusste Ernährung die Lösung vieler Probleme.«

Joschka Breitner, Schöner Wohnen im eigenen Körper

AMUSE-GUEULE

PROLOG

»Lebenslügen haben dicke Beine.«

JOSCHKABREITNER, SCHÖNERWOHNENIMEIGENENKÖRPER

Gewalt ist wie eine Packung Kinderpflaster: Manchmal braucht man sie zur Ersten Hilfe. Als Jurist war mir klar, dass Gewalt auch bei der Nothilfe grundsätzlich nicht grob unverhältnismäßig angewendet werden sollte. Dass ich dem Zopf tragenden Vollidioten vor dem Zooausgang aus zehn Metern Entfernung zielgenau mein Handy an die Schläfe geworfen hatte, war sicherlich grob unverhältnismäßig. Verhältnismäßig wäre gewesen, ihm aus einem Meter Entfernung mit einer Motorsäge zunächst die Arme und dann ein Bein abzusägen, um dem dann dümmlich herumhüpfenden Rumpf wertungsfrei und liebevoll beim Ausbluten zuzusehen. Das mag nach einer brutalen Gewaltfantasie klingen, aber die schlichte Realität war: Der Zopfmann hatte gerade versucht, meine Tochter zu entführen.

Dass ich ihn trotzdem lediglich mit meinem Handy gestoppt hatte, hatte zwei einfache Gründe: Zum einen waren Motorsägen im Zoo verboten. Jedenfalls für Besucher.

Zum anderen hatte mich mein eigener Körper daran gehindert, mich dem Gangster überhaupt nur auf Motorsägen-Entfernung zu nähern. Für Verfolgungsjagden taugte meine irdische Hülle anscheinend nicht mehr. Ich war nicht dick. Jedenfalls hatte ich mir das bis zu diesem Zeitpunkt noch eingeredet. Ich war lediglich ein wenig überernährt und untertrainiert. Dick begann erst ab einem Gürtelloch weiter und einer Hosenweite größer. Leider waren der seit Monaten zu enge Gürtel und die seit Wochen zu enge Hose ein nicht unwesentlicher Grund für meine Immobilität. Obwohl ich mit Adrenalin vollgepumpt war, überkamen mich auf dem 800-Meter-Sprint vom Zoorestaurant bis zum Zooausgang nach 200 Metern Seitenstechen, nach 400 Metern Kurzatmigkeit und nach 600 Metern Bluthochdruckrauschen in den Ohren. All das komplettiert durch einen refluxbedingten Reizhusten nach den ersten drei Schritten. Dass ich trotz alledem am Zooausgang wenigstens auf Handy-Wurfentfernung zu dem Verbrecher aufschließen konnte, der mein Kind an der Hand hielt, hatte rein hormonelle Gründe: Adrenalin.

Mit dem Schläfenwurf hatte ich einen reinen Glückstreffer gelandet. Ich war nie ein guter Werfer gewesen. Zu meiner grenzenlosen Erleichterung schrie der Kriminelle aber sofort laut auf und ließ meine Tochter Emily instinktiv los, um nach seiner Stirn zu greifen. Zu meiner innigsten Freude zeigte sich dort eine klaffende Wunde, die sich auf der Stelle mit Blut füllte.

»Hau ab, Locke, der Typ ist wahnsinnig!«, rief plötzlich ein Kerl auf der anderen Seite der Zooausgangsdrehtür.

Mit meinem hochroten Kopf, meinem fiepsenden Japsen und den wild um mich schlagenden Armen musste ich ausgesehen haben wie ein Hummer, der von einem verblödeten Koch falsch herum ins kochende Wasser gesteckt worden war.

Der Locke-Rufer stand vor dem Zooeingang neben einem zum Eisstand umfunktionierten Lastenfahrrad. Anstelle des Lastenkorbes war eine große Kiste zwischen die beiden Vorderräder montiert worden, mit einer silbernen Kuppel darauf, einem Sonnenschirm darüber und der Aufschrift Eis daran. An der Vorderseite der Kiste stand eine Klappe sperrangelweit offen. Groß genug, um ein Kind in die Kiste zu stoßen. Offenbar gehörten Zopfmann Locke und der Eismann zusammen. Der Ruf von Letzterem riss Locke aus seiner irritierten Starre, und er löste den Blick von seiner blutverschmierten Hand. Er schaute zum Eismann, zu mir, auf das Handy, das vor ihm auf dem Boden lag. Dann rannte er ohne Emily in Richtung Ausgang weg. Nicht ohne sich vorher noch kurz nach meinem Handy gebückt zu haben, um es einzustecken. Der Eismann ergriff mit seinem Rad ebenfalls die Flucht.

Keuchend überwand ich die letzten zehn Meter zu meiner Tochter. Ich nahm Emily in die Arme. Sie zuckte zusammen. Erst als ich ihr die Kopfhörer abnahm, die ihr der Entführer aufgesetzt hatte, und ihr die von innen mit Panzerband zugeklebte Kindersonnenbrille absetzte, erkannte mich meine Tochter.

»Papa, was ist los? Ist die Überraschung schon zu Ende?«, fragte sie mich überrascht.

Was auch immer ihr Locke erzählt hatte, damit sie mit ihm ging, Emily schien gar nicht bemerkt zu haben, dass sie entführt werden sollte. Aus den Kopfhörern ertönte ein Kinderlied: »Komm, wir nehmen den Zug zum Zoo, und der Elefant macht so: Täterä-Täterätätä, Täterä-Täterätäta, Täterä…tä…Tät…er…«

Die Bluetoothverbindung zur Playlist des flüchtenden Täteräters brach offensichtlich ab.

Meine völlige Erschöpfung wich dem Gefühl endloser Liebe. Dankbar nahm ich meine Tochter in die Arme. Gott sei Dank schien sie nicht im Ansatz zu verstehen, welche Panik gerade von mir abfiel. Dieses völlige Glücksgefühl hätte ich mit keiner Entspannungstechnik der Welt erreichen können.

Doch die wolkenlose Erleichterung, Emily gerettet zu haben, wurde schnell überlagert von den Schatten dreier sich deutlich am Horizont abzeichnenden Problem-Kumulanten.

Zunächst einmal: Ich hatte keine Ahnung, von wem und aus welchem Grund Emily soeben hatte entführt werden sollen. Ganz grob ließ sich sicherlich sagen, dass da wohl irgendwelche Humanismus-Versager ein Kind instrumentalisieren wollten, um die Interessen von Erwachsenen durchzusetzen. Ich würde diese Typen finden und ebenso grob dafür sorgen, dass sie eine Vorstellung davon bekämen, welche Folgen derartige Tabubrüche mit sich brachten. Kein Kind war Spielball von Erwachsenen. Schon gar nicht meine Tochter.

Ganz offensichtlich stellte ich zudem selbst ein sich auftürmendes Problem dar: Form und Zustand meines Körpers hatten mich in meiner Mobilität derart eingeschränkt, dass ich meine Tochter nur mit Mühe – und einer großen Portion Stresshormonen – vor einer elementaren Gefahr bewahren konnte. Ich wusste, dass ich meine Ernährung seit über einem Jahr ziemlich hatte schleifen lassen. Ich konnte aus dem Inhalt einer Chipstüte mehr Befriedigung herauskitzeln als aus dem Anblick meines nackten Spiegelbilds. Aber wenn ich im Badezimmer über das Waschbecken guckte, hatte ich bislang immer wieder Ausreden parat, warum ich an dem Körper im Spiegel ad hoc nichts ändern müsste. Von »Also von vorne betrachtet, eingeatmet und mit nach hinten gelehntem Oberkörper geht’s doch noch« über »Na und? Was soll dieser Körper auf dem freien Markt denn noch leisten müssen? Ich gehe auf die fünfzig zu und habe ja schon ein Kind!« bis hin zu »Mit diesem Körper bin ich aktiver Teil der Body-Positivity-Bewegung. Diese Wampe ist mein Mitgliedsausweis bei den Guten« hatte ich jede Ausrede parat, meinen Körper abgekoppelt vom Bruttoinlandsprodukt wachsen zu lassen. Damit war es jetzt vorbei. Deutlicher als mit der nur um Haaresbreite verhinderten Entführung meiner Tochter hätte mir auch ein Herzinfarkt nicht aufzeigen können, dass die Realität meines Körpers diametral meinen emotionalen Bedürfnissen entgegenstand.

Und zu guter Letzt musste ich schlicht und ergreifend das Handy wiederhaben, das ich dem Schurken gerade an den Kopf gedonnert hatte. Minuten vor der Entführung hatte ich damit noch die im Tigergehege versteckte Marihuanaplantage fotografiert, die mein nicht ganz legales Firmenkonsortium gerade eröffnet hatte. Diese Fotos durften nicht in falsche Hände geraten. Waren es aber anscheinend gerade.

Ich spürte, wie meine körperliche Erschöpfung einer körperlichen Anspannung wich. Einer Anspannung, die ich am nächsten Tag mit meinem Entspannungscoach würde besprechen müssen. Vielleicht könnten wir dabei ja auch ein ganz kleines bisschen an meinen Gewaltfantasien arbeiten. Und irgendwie meine Einstellung zum Thema Ernährung besprechen.

Damals wusste ich noch nicht, wie wunderbar Ernährung, Entspannung und das Auflösen von Gewaltfantasien miteinander kombiniert werden können.

VORSPEISE

1   RILKE

»Es gibt keine dicken Seelen. Es gibt nur zarte Seelen, die sich in einem dicken Körper nicht wohlfühlen.«

JOSCHKABREITNER, SCHÖNERWOHNENIMEIGENENKÖRPER

Noch eine Woche vor der versuchten Entführung meiner Tochter ließen sich alle Probleme in meinem Leben auf einen einzigen Knopf reduzieren: den Knopf an meiner Jeans. Den über dem Reißverschluss. War der Knopf auf, war ich glücklich. War der Knopf zu, war ich es nicht. Dank Achtsamkeit hatte ich meine Mitte gefunden. Der Knopf wies mich immer wieder schmerzhaft darauf hin, dass sich die Ränder meines Körpers offensichtlich immer weiter von dieser Mitte entfernten.

Ich hatte seit längerer Zeit dieses Rilke-Gefühl. Alles bei mir drehte sich um meine Mitte. Und zwar in so kleinen Kreisen, dass ich gar nicht bemerkte, wie Gitterstäbe aus Ereignislosigkeit, Genügsamkeit und Homeoffice an mir vorüberzogen. Den Willen, der ab und an zwischen diesen Gitterstäben hindurch in die erfrischenden Gefahren der Freiheit entweichen wollte, betäubte ich mit Nahrung. So lange, bis mein Körper nicht mehr durch die selbst gesetzten Stäbe passte.

Dank meines Achtsamkeitscoaches Joschka Breitner hatte ich gelernt, Stresssituationen wertungsfrei und liebevoll zu begegnen. Ich wusste, welchen Einfluss mein inneres Kind auf mein Verhalten hatte. Ich war auf dem Jakobsweg dem Sinn des Lebens näher gekommen. Dank Osho wusste ich es zu schätzen, im Hier und Jetzt zu leben.

Mangels akuter Probleme hatten wir den Coachingrhythmus inzwischen auf eine Sitzung alle zwei bis drei Monate heruntergefahren. Nächsten Donnerstag war wieder einer dieser Termine, auf die ich mich regelmäßig freute.

Aber seit ich in mir selbst ruhte, fehlte mir vor allem eines: Bewegung. Geistig wie körperlich.

Immer wenn der Knopf zu war, wurde mir das schmerzhaft bewusst.

Es gab Tage, an denen beschränkte sich mein Bewegungsradius auf das Treppenhaus des Altbaus, in dem ich wohnte. Das Treppenhaus verband alle meine Lebensbereiche miteinander. Ganz oben, in der dritten Etage, unter dem Dach, wohnte ich. In der Etage darunter befand sich meine Rechtsanwaltskanzlei. In der ersten Etage wohnte Sascha, ein Freund und Arbeitskollege. Im Erdgeschoss befanden sich die Räumlichkeiten des von ihm geleiteten Kindergartens, den ich regelmäßig zum Mittagessen aufsuchte. Ich konnte ganze Tage innerhalb meines Wohnhauses verbringen und zwischen Familienleben, Arbeit, Freundschaft und Freizeit wechseln, ohne auch nur ein einziges Mal die Hose schließen zu müssen.

Der einzige Mensch, der mühelos zwischen den Stäben durchkroch und meinen künstlichen Käfig mit Realität flutete, war meine Tochter Emily. Wenn sie, wie heute, bei mir übernachtete, kreiste ich nicht um mich, sondern um sie. In einer gemeinsamen Umlaufbahn mit meiner Ex-Frau. Dass es dabei zu keinerlei Kollisionen kam, lag nicht nur an unserem guten Verhältnis zueinander, sondern auch an unserer guten elterlichen Kommunikation. Wenn sich zwei unterschiedliche Kinderzimmer ein perfektes Kind teilen, dann geht das manchmal nicht ohne logistische Absprache. So wie heute. Während ich mit offener Hose am Schreibtisch meiner Kanzlei saß und zum x-ten Mal die Homepage meiner bevorzugten Tageszeitung aktualisierte, ohne dass sich die Nachrichtenlage der Welt dadurch auch nur einen Hauch änderte, klingelte mein Handy. Es war Katharina, meine Ex-Frau.

»Ist morgen nicht Spieletag in der Schule?«, fragte sie mich ohne langwierige Begrüßungsfloskeln.

Seit Emilys Einschulung vor über einem Jahr hatten wir als Eltern gelernt, uns das Denken in Mon-, Diens-, Donners- oder Freitagen abzugewöhnen. Die Schulwoche teilte sich im Wesentlichen auf in Spiele-, Kuscheltier- und Maltage, an denen, statt Unterricht, Lieblingsspiele oder Lieblingskuscheltiere mitgebracht werden konnten und Lieblingsbilder gemalt wurden. Aufgelockert wurde diese liebevolle Distanz zum Unterricht durch Ausflugs- und Projekttage. Alles, was mich nach eineinhalb Jahren Grundschulalltag tatsächlich noch gewundert hätte, wäre gewesen, wenn es mal eine einzige Woche voller ganz normaler Schultage mit Unterricht gegeben hätte.

»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Diese Woche ist irgendein Projekttag mit Theaterstück und ein Spieletag. Aber wann was ist … Stand das nicht in dem Elternbrief?«

»Ist der bei dir?«

»Hast du den nicht?«

Ich war nie ein Freund von digitaler Kommunikation gewesen. Aber auf den Rechnern von zwei getrennt lebenden Eltern wären zwei PDF-Dateien mit Schulterminen der gemeinsamen Tochter wahrscheinlich weniger schnell verloren gegangen als ein einzelner, auf Ökopapier ausgedruckter Elternbrief im Ranzen einer Achtjährigen beim Pendeln zwischen zwei Kinderzimmern. Katharina löste sowohl das Problem der Verantwortlichkeit für das Verlieren des Elternbriefes als auch der daraus folgenden Konsequenzen pragmatisch.

»Da wir nicht am Telefon klären können, wo du den Elternbrief hingelegt hast, tun wir einfach so, als sei jeder nächste Tag Spieletag. Emily will Kroko-Doc mit in die Schule bringen. Ich schmeiß dir den Karton gleich kurz rein, damit sie ihn morgen mitnehmen kann, okay?«

»Kroko-Doc … Das ist dieses Russisch Roulette für Kinder, richtig?«, erinnerte ich mich. Alle Spieler mussten im Wechsel einem Plastik-Krokodil einen Zahn im Mund eindrücken – so lange, bis durch einen Zufallsmechanismus das Maul zuschnappte und der betroffene Spieler rausflog. Toll für einen Spieleabend. Nichts, wofür der Staat Grundschulen errichten musste.

»Richtig«, bestätigte Katharina. »Ich bin in zehn Minuten vor der Tür. Kommst du runter?«

Ich schaute auf die Uhr. In zehn Minuten wäre ohnehin Cateringzeit im Kindergarten. Eine Uhrzeit, die mir mein Magen mit einem Grummeln bestätigte. Wie üblich, wenn ich alleine schlief, hatte ich heute noch nichts gefrühstückt.

»Alles klar, bis gleich«, verabschiedete ich mich von der Mutter meiner Tochter.

Ich würde von Katharina an der Haustür das Spiel entgegennehmen und dann im Anschluss gleich im Kindergarten im Erdgeschoss etwas essen gehen. Ich würde durch einen einzigen Gang die Treppe hinunter zwei Dinge erledigen können. Das war der Unterschied zwischen Effizienz und Bewegung.

Noch vor vier Jahren hätte ich mir nichts sehnlicher als die heutige Bewegungsarmut gewünscht. Damals war ich als angestellter Anwalt in einer Großkanzlei tätig gewesen. Dort ganz befreit mit offener Hose rumzulaufen, wäre undenkbar gewesen. Ich betreute damals 24/7 einen einzigen Mandanten, Dragan, einen Großkriminellen. Damals sah ich aufgrund meiner Arbeitszeiten meine Tochter nicht, dafür aber meine Ehe in die Brüche gehen. Ein zu enger Hosenknopf als größtes meiner Probleme wäre mein Paradies gewesen. Dank meines achtsamen Lebenswandels hatte sich all dies fulminant geändert. Ich hatte meinen Mandanten getötet, in der Kanzlei gekündigt, mich in Freundschaft von meiner Frau getrennt, arbeitete als Einzelanwalt und hatte viel Zeit für meine sich prächtig entwickelnde Tochter.

In meinem neuen Leben hatte ich nun alles unter einem Dach.

Und fühlte mich trotzdem wie Rilkes Panther.

In moppelig.

Mein neues Leben hatte seinen Preis. Dessen größeren Teil hatte dankenswerterweise mein krimineller Ex-Mandant bezahlt. Mit seinem Leben. Aber damit mein neues Leben unbehelligt funktionierte, musste ich seitdem vor aller Welt so tun, als würde Dragan noch leben, indem ich seine Geschäfte in dessen Namen als sein Anwalt weiterführte. Diesen Preis musste ich zahlen. Täglich. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deswegen nicht. Meine private Haltung zum Verbrechen war rein pragmatischer Natur: Es war nun einmal vorhanden. Auch Staatsanwälte und Polizisten konnten ohne Gewissensbisse einen seriösen Beruf darauf aufbauen. Warum also nicht ich? Früher hatte ich Dragans Verbrechen lediglich als Anwalt vertuscht. Heute musste ich sie zusätzlich auch noch planen. Meine persönliche Schuld an den illegalen Handlungen, die ich koordinierte, betrachtete ich rein betriebswirtschaftlich: Ich schaute nicht auf die negative Differenz zwischen meinem Handeln und legalem Handeln. Ich schaute nur auf den positiven Saldo im Vergleich zwischen Dragans Brutalität und meiner. Ich als Einzelperson konnte das Verbrechen an sich von außen ohnehin nicht stoppen. Aber von innen konnte ich es zumindest menschlicher gestalten. Nur aussteigen war keine Option. Ich war die zentrale Karte, die mein legal aussehendes Kartenhaus zusammenbrechen lassen würde, wenn ich sie herauszöge. Die Karte, die, gestärkt durch eine achtsame Lebensweise, auch unter der Last weiterer achtsam begangener Morde nicht zusammenbrach.

Dazu bestand auch nicht wirklich Anlass zur Sorge. Ich hatte mir mein neues Leben eingerichtet. Ich hatte den Mut gefunden, Dinge zu ändern, die ich ändern konnte. Notfalls durch Mord. Ich hatte die Gelassenheit gefunden, die Dinge zu akzeptieren, die nicht zu ändern waren. Zum Beispiel die Tatsache, dass ich gemordet hatte. Und während ich nach der Weisheit suchte, diese änderbaren Dinge von den unveränderlichen Dingen zu unterscheiden, stopfte ich Junkfood in mich hinein.

Wie sich herausstellte, war vor allem Dragans autoritärer Führungsstil bei der Vertuschung seines Todes eine große Hilfe. Er hatte von seinen Mitarbeitern stets mit grober Gewaltandrohung absoluten Gehorsam gefordert. Ich machte das anders. Da ich die Begriffe Gewalt und Gehorsam nicht mochte, basierte mein Führungsstil auf dem wunderbaren Begriff der Solidarität. Das lief zwar auf das Gleiche raus – wer aus der Reihe tanzte, wurde ausgegrenzt –, klang aber viel schöner. Meine solidarischen Mitarbeiter waren bei illegalen Aktionen viel begeisterter bei der Stange zu halten als Dragans unterdrückte. Und weil sie bei ihm unter Androhung von Gewalt gelernt hatten, auch die absurdesten Anweisungen eines Psychopathen nicht zu hinterfragen, hinterfragten sie bei mir aus Solidarität auch die Gründe für dessen Abwesenheit nicht.

Ich hatte Dragans Verbrecherorganisation sehr effizient in verschiedene, nach außen legal erscheinende Geschäftssparten eines mittelständischen Unternehmens gegliedert und sie mit kompetenten Geschäftsführern ausgestattet. Seine Rotlichtbetriebe traten nun nach außen als exklusive Begleit- oder Modelagenturen auf. Der Waffenhandel steckte im seriösen Mantel eines Security-Unternehmens. Der Drogenhandel wurde von einer Event-Agentur abgewickelt. Aus einem Sex-, Drugs- und Gewalt-Clan war ein Verbrechensunternehmen geworden, das ebenso bequem wie langweilig mit offenem Hosenknopf im Homeoffice vom Schreibtisch aus geführt werden konnte.

Ein gut organisiertes Mafiaunternehmen unterscheidet sich organisatorisch nicht sonderlich von einem innovativen Start-up. Vor allem, wenn die problematische Frage vermieden werden sollte, was man eigentlich konkret beruflich mache. Diesbezüglich ist Homeoffice eine tolle Sache: Sofern keine Probleme auftauchen, kann man diese bequem per Telefon lösen. Leider kann man kein gemeinsames Feuer entzünden, wenn sich alle Holzscheite im Homeoffice befinden. Und dieses gemeinsame Brennen für eine reale Sache fehlte mir zwischenzeitlich ein wenig.

Früher hatten wir reale Probleme noch mit Eierhandgranaten an Autobahnparkplätzen geregelt. Das war mitunter stressig. Aber man kam zumindest regelmäßig mal vor die Tür. Heute wurden virtuelle Probleme per Zoom-Konferenz besprochen. Gewalt wurde den Teilnehmern nur noch optisch, durch die unkreative Auswahl der virtuellen Hintergründe, angetan. Wenigstens trafen wir uns zweimal im Jahr zu einem Jour-fixe-Abendessen, um uns nicht komplett digital zu entfremden. Das nächste Jour-fixe-Treffen stand sogar morgen an. Aber eines war mir zwischenzeitlich bewusst geworden: Etwas Entscheidendes war auf diesem Weg in die Arbeitsisolation leider verloren gegangen: das befriedigende Gefühl, gemeinsam an realen Lösungen zu wachsen. Die realen Probleme waren irgendwann einfach in irgendwelchen Excel-Tabellen verschwunden. Ganz ehrlich: Sie fehlten mir allmählich ein wenig. Egal ob Knopf auf oder zu.

Selbstverständlich bot meine Nähe zum Verbrechen auch persönliche Vorteile. Als meine Tochter einen Kindergartenplatz brauchte, übernahm ich mit Mafiamethoden eine Elterninitiative. Als Sascha, Dragans ehemaliger Fahrer, Zweifel an Dragans Verbleib bekam, machte ich ihn zum Kindergartenleiter. Wie sich herausstellte, war beides ein Glücksgriff. Wir konnten durch die liebevolle Vergabe von Kindergartenplätzen wesentlich mehr Eltern gefügig machen, als Dragan das durch Drohungen und Gewalt jemals geschafft hätte.

Der Geschäftsbereich Kindergarten war eine Oase der Lebensbejahung. Er unterschied sich von allen anderen Geschäftsbereichen vor allem dadurch, dass ich in allen anderen Bereichen jeglichen Bezug zu Minderjährigen ausschloss. Zum Wohle der Kinder.

Wer ein Kind in die Welt setzt, gibt dem Schicksal eine Geisel. Als Vater wusste ich genau, welche Verantwortung damit einherging.

Geburt und Tod sind das Ein- und Ausatmen der Menschheit. Jede neue Generation stellt einen neuen Atemzug dar. Von all den Dingen, die ich in meinem Leben geschaffen hatte, war das Einzige, was für den Fortbestand der Menschheit wirklich zählte, meine Tochter, Emily.

Wer dabei erwischt wurde, dass er Waffen oder Drogen an Kinder verkaufte oder Minderjährige auch nur in den Dunstkreis des Escort-Gewerbes brachte, hatte inoffiziell mit wesentlich härteren Sanktionen zu rechnen, als sie das offizielle Strafrecht zu bieten gehabt hätte.

Ich schaute auf die Uhr: Die zehn Minuten waren um. Ich ging durch das Treppenhaus hinunter zur Eingangstür. Die Holzstufen des Altbaus knarzten unter meinen Schritten. Das zumindest lag nicht an meinem Gewicht. Wahrscheinlich hätten die Stufen auch bei einer Katze geknarzt. Allerdings hatte ich keine Katze, um diese These zu bestätigen. Ich hätte gerne mit einem Haustier meinen und Emilys Alltag bereichert. Aber Katharina wollte keine Haustiere. Wir mussten unserer Tochter vor zwei Jahren den gewaltsamen Tod zweier geliebter Hauskaninchen, Lümmel und Puschel, mithilfe einer Lügengeschichte verschweigen. Emily hatte diese Episode längst vergessen. Katharina nicht. Nie wieder wollte sie den Verlust eines weiteren Haustieres erleben müssen. Deshalb wollte sie erst gar kein neues für unsere Tochter haben. Egal ob in ihrem oder in meinem Haushalt.

Als ich die Haustür öffnete, stand Katharina bereits davor. Meine Ex-Frau war eine attraktive Frau, die sich figürliches Selbstbewusstsein leisten konnte. Sie musste nicht redundant von anderen verlangen, den Gürtel enger zu schnallen. Sie konnte es, ohne Schnappatmung zu bekommen, bei sich selber tun.

»Da bist du ja schon«, begrüßte ich sie herzlich. »Warum klingelst du nicht?«

»Weil ich seit zwei Minuten höre, wie du die Treppe runterpolterst«, war ihre schwerwiegende Erklärung.

»Ja, nun … Danke, dass du das Spiel für Emily vorbeibringst. Ich hätte es ansonsten natürlich auch abgeholt.«

Was für Politessen Knöllchen waren, waren für Katharina Seitenhiebe. Sie konnte an keiner noch so kleinen Belanglosigkeit vorbeigehen, ohne welche zu verteilen.

»Ach Quatsch, als alleinerziehende Mutter mit Bürojob hab ich doch jede Menge Zeit. Da musst du dich doch nicht wegen eines Kinderspiels von deinen wichtigen Anwaltshomeofficedingen losreißen.«

Katharina arbeitete als Juristin in einer Versicherung. Manchmal hatte ich das Gefühl, als stünden nur zwei Aspekte ihres Jobs ihrer Lebensfreude entgegen: Versicherung und Juristin.

»Wie kommst du darauf, dass ich wichtige Dinge zu tun hätte?« Ich war weniger über ihren ironischen Ton überrascht als darüber, wie sie ihn nun begründete.

»Sonst hättest du bestimmt Zeit gefunden, deine Hose zu schließen«, erklärte Katharina lächelnd und zeigte auf meinen Knopf. Ich machte ihn zu und sog dazu die Luft ein.

»Sorry«, sagte ich mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht. Katharina war bei aller Freude an kleinen Spitzen ein sensibler Mensch. Ein Mensch, der mich gut kannte.

»Geht’s dir gut, Björn?«, fragte sie mich tatsächlich besorgt.

»Wieso fragst du?«, fragte ich überrascht.

»Du siehst in letzter Zeit immer … wie soll ich sagen … immer aufgedunsener aus.«

Katharina hatte gut reden.

»Mein Körper ist von der Natur vielleicht einfach nicht ganz so gesegnet worden wie deiner.« Dieser Satz war eigentlich sowohl Mitleid heischend als auch als Kompliment gemeint. Die Kombination kam aber offensichtlich nicht ganz so gut an.

»Richtig, Björn«, erwiderte Katharina ungewohnt sarkastisch. »Meine Figur basiert ausschließlich auf gutem Bindegewebe und fünf Litern Wasser pro Tag.«

»Echt jetzt?«

»Natürlich nicht. Fett fällt weder vom Körper noch vom Himmel. Man muss für beides etwas tun. Aber wenn du dir eingestehen müsstest, dass ausschließlich mein Verhalten als Frau für den gesegneten Zustand meines Körpers verantwortlich ist, müsstest du dir auch eingestehen, dass ausschließlich dein Verhalten als Mann für den desolaten Zustand deines Körpers verantwortlich ist. Ich wollte dir diese Lebenslüge nicht zerstören.«

Ich hielt mich als Mann für ziemlich emanzipiert, musste aber aus intellektueller Neugier kurz bei meiner Ex-Frau nachfragen:

»Was am Zustand unserer Körper ist jetzt eine Frau-Mann-Nummer?«

»Es ist eine Ich-als-Frau-du-als-Mann-Nummer. Ich als Frau litt mit dickem Bauch unter Wehen. Du als Mann bist mit dickem Bauch wehleidig. Unsere unterschiedliche Auffassung in Bezug auf Disziplin zeigt sich doch schon daran, dass ich bereits acht Wochen nach der Geburt unserer Tochter wieder einen fitteren Körper hatte als du heute, acht Jahre danach. Beides könnte etwas mit Disziplin und Ernährung zu tun haben. Also heul hier nicht rum mit deiner Wampe. Akzeptier sie oder tu was dagegen.«

Auch schlanke Menschen konnten also schlechte Laune haben. Ich versuchte die warum auch immer entstandenen Wogen wieder zu glätten.

»Ja, ich hab vielleicht ein paar Kilo zu viel. Homeoffice und so …«

»Noch so eine Lebenslüge. Wenn es dir drinnen schlecht geht, such dir draußen ein Hobby!«

»Ich hätte ja gerne eine Katze …«

»Ein Hobby! Kein Streicheltier. Irgendwas mit Natur. Etwas, bei dem du mal rauskommst. Täte dir mal ganz gut. Und der Hose auch.«

Ich zuckte akzeptierend mit den Schultern und hoffte auf ein stimmungsaufhellendes Mittagessen.

»Mal sehen …«

»Wie wäre es, wenn Emily auch morgen nach der Schule bei dir vorbeikommt und ihr macht mal einen gemeinsamen Fahrradausflug? Dann könntest du deine väterlichen Pfunde gleich in väterliche Quality-Time umsetzen.«

»So sehr sorgst du dich um meinen Körper?«

»Nein. Aber ich wollte elegant das Thema wechseln und dachte, so klingt es schöner als: Kannst du Emily morgen übernehmen? Ich habe noch ein Meeting in der Versicherung …«

»Ich werde immer für Emily und dich da sein. Auch ohne dass du meinen Körper veralberst«, sagte ich in liebevollem Tonfall.

»Mein lieber Ex-Mann, der einzige Mensch, der deinen Körper veralbern kann, bist du selber. In der Art und Weise, wie du ihn pflegst. Ich danke dir trotzdem wegen morgen.« Katharina gab mir ein Küsschen auf die Wange. Ich versprach ihr, Emily morgen nach der Fahrradtour bei ihr vorbeizubringen.

Mit Kroko-Doc in der Hand schlenderte ich zurück in den Hausflur und klingelte an der Kindergartentür. Vielleicht sollte ich tatsächlich einfach mal wieder Sport treiben. Und gesündere Sachen essen. Die Tür ging auf. Sascha grinste mich an.

»Es gibt Chicken-Nuggets mit Erbsen und Kartoffelpüree. Möchtest du was?«, begrüßte er mich. Chicken-Nuggets – heute würde ich nichts an meiner Ernährung ändern. Dafür war Hühnerpressfleisch viel zu lecker.

»Ich will den Kindern nichts wegessen. Jedenfalls kein Gemüse. Ein paar Nuggets reichen.«

»Geh schon mal ins Büro und mach uns zwei Espressi. Ich besorg dir was zu essen«, zeigte Sascha in Richtung seines Arbeitszimmers und verschwand in der Kindergartenküche.

Ich betrat Saschas Büro, das von den Vorbetreibern des Kindergartens sehr stylish eingerichtet worden war: mit Designermöbeln und einer extrem teuren Siebträger-Kaffeemaschine. Neben der Kaffeemühle stand eine ebenso stylishe 2-Liter-Apothekerflasche. Auf dem durchsichtigen Glas war ein Papieraufkleber in Form eines Tigerkopfes befestigt. In indisch anmutender Schrift stand dort Tiger-Shit drauf geschrieben. Die Flasche war gefüllt mit grünlichen Knospen. Optisch war der Befund des Inhaltes eigentlich bereits eindeutig. Ich öffnete trotzdem den Deckel, um am Inhalt zu riechen. Ein wohlvertrauter, süßlich-harziger Duft strömte mir entgegen. In einer Intensität, wie ich sie bislang noch an keinen anderen Marihuanaknospen gerochen hatte.

2   GIER

»Die Gier nach etwas ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass Sie dieses Etwas gar nicht brauchen.«

JOSCHKABREITNER, SCHÖNERWOHNENIMEIGENENKÖRPER

Hätte ich zu diesem Zeitpunkt des Tages bereits irgendetwas gegessen, hätte ich emotional vielleicht anders reagiert. Aber auf leeren Magen ein volles Glasgefäß mit Cannabisknospen in meinem verbrechensfreien Kindergarten zu sehen, löste eine gewisse Gereiztheit in mir aus. Drogen und Kinder waren voneinander zu trennen wie Badewanne und Föhn.

»Ist das etwa Gras?«, fragte ich Sascha ein wenig forsch, als er zurückkehrte, und hob dabei die Apothekerflasche in meiner Hand hoch.

»Feinstes Marihuana«, bejahte Sascha, von meiner Stimmung völlig unbeeindruckt, und stellte mir einen Kindergartenteller voller Chicken-Nuggets auf den Besprechungstisch. Ich zählte nach: zwölf Stück. Auf einem Teller, auf dem intelligenter gestapelt locker fünfzehn Stück hätten Platz haben können. Einzig der Ausblick auf sofortigen Genuss von Frittierfett, Panade und Pressfleisch verhinderten eine weitere Stimmungsverschlechterung.

»Hat die Nemo-Gruppe nach der Projektwoche Käfer jetzt Projektwoche Kiffen? Dann sollten wir uns vielleicht noch einmal grundsätzlich über den pädagogischen Ansatz dieses Kindergartens unterhalten …«, merkte ich an und biss noch im Stehen hastig in das erste Chicken-Nugget. Was für eine Wohltat im Mund.

»Die Flasche ist eher eine Bewerbung für einen Kindergartenplatz. Ein Freund von mir, Gerd, würde gerne mit uns ins Geschäft kommen und im Gegenzug seine Tochter bei uns anmelden.«

»Für ein Glas voll Gras?«

Ich verschlang ein zweites Chicken-Nugget und setzte mich kauend an den Besprechungstisch. Meine Stimmung stieg mit jedem Bissen. Wir hatten schon Kindergartenplätze gegen die Einstellung von Ermittlungen oder für die Erteilung von Baugenehmigungen vergeben. Nicht jedoch gegen eine Handvoll Joints.

»Ist das nicht ein ziemlich läppisches Angebot?«

»Du musst das schon in einem etwas größeren Zusammenhang sehen«, relativierte Sascha.

»Du hast sehr klein angefangen …«

»Ich kann noch kleiner starten: Wie du weißt, rauche ich ganz gerne mal einen Joint. Das Gras beziehe ich von Gerd.«

Die Wärme des dritten Nuggets strömte durch meinen Mund. Ich schaute Sascha dennoch irritiert an. Dass er kiffte, irritierte mich nicht. Ich sah keinen Unterschied darin, ob ich mir nach dem Zubettgehen meiner eigenen Tochter ein Glas Rioja zur Entspannung gönnte oder ob sich Sascha nach der Abholung von vierzig nicht-eigenen Kindern bei einem Feierabendjoint entspannte. Außerhalb des Kindergartens. Irritierend war für mich nicht nur die randvolle Flasche im Kindergarten, sondern vor allem die Tatsache, dass Sascha für seine eigenen Drogen offensichtlich nicht auf die von mir im Homeoffice organisierte Infrastruktur zurückgriff.

»Für wen importiert Stanislav eigentlich jeden Monat dreihundert Kilo marokkanisches Gras, wenn selbst du nicht bei ihm kaufst?«

Beim Verschlingen des vierten Nuggets war ich emotional wieder dazu in der Lage, das Gras rein geschäftlich zu sehen, ohne den drohenden Untergang des Kindergartens zu befürchten.

»Warum geht ein McDonald’s-Mitarbeiter nach Feierabend nicht bei McDonald’s essen?«, fragte Sascha zurück. Zum Glück rein rhetorisch, sodass er die Antwort gleich mitlieferte. Mir selbst fiel beim besten Willen keine ein – ich aß jeden zweiten Abend freiwillig bei McDonald’s.

»Um Arbeit und Freizeit voneinander zu trennen«, löste Sascha auf. »Das marokkanische Gras von Stanislav ist unter beruflichen Gesichtspunkten völlig okay. Aber Gerd baut selber feinstes Biomarihuana an. Hier, vor Ort. Stanislav besorgt gute Royal TS’ für den Alltag. Gerd produziert Kobe-Rind-Burger für die Freizeit. So selten, wie ich kiffe, leiste ich mir dann lieber das Beste, was es auf dem Markt gibt.«

»Ein Edel-Öke-Möken-Nischenprodukt? Was soll daran für uns interessant sein?« Ich stapelte die nächsten beiden Chicken-Nuggets übereinander, um sie gleichzeitig essen zu können.

»Bislang war der Marihuana-Anbau nur eine Liebhaberei von Gerd. Jetzt brennt er dafür, gemeinsam mit einem kleinen Team durch ein Naturprodukt etwas Großes zu erschaffen. Sein Ansatz ist … unkonventionell.«

Gemeinsam für etwas brennen, Großes erschaffen, unkonventionell. Die Worte triggerten eine Sehnsucht in mir. Das Unkonventionellste in meinem Leben war derzeit die unnatürliche Art und Weise, wie ich Chicken-Nuggets aß. Wobei mich das Spielen mit Fast Food deutlich entspannte.

»Okay – lass hören!«, forderte ich Sascha mit vollem Mund auf.

»Gerd ist Tigerpfleger im städtischen Zoo. Er baut sein Gras im Keller des Tigergeheges an. Bislang nur in einem kleinen Raum – aber der ganze Keller steht leer, und er würde gerne expandieren.«

Ich verschluckte mich beinahe am Geflügel-Pressfleisch.

»Willst du mich verarschen?«

»Nein – hör zu: Der gesamte Innenbereich des Tigergeheges ist unterkellert. Über vierhundert Quadratmeter. Darin waren neben dem Kühlraum früher mal eine Tiefgarage mit Anlieferrampe, ein Schlachtraum und das Frischfutterlager untergebracht. Bei einer Renovierung letztes Jahr hat der Zoo das Tigergehege völlig umgebaut und außerdem für alle Fleischfresser ein gemeinsames zentrales Futterhaus errichtet. Der Keller unter dem Tigergehege steht jetzt leer. Niemand guckt da rein – jedenfalls niemand, der keine Lust hat, von einem Tiger angegriffen zu werden.«

»Die Tiger bewachen den Keller?«, fragte ich ungläubig und nahm die nächsten beiden Chicken-Nuggets in die Hand.

»Das Tigergehege ist während der Renovierung komplett umgestaltet und erweitert worden. Der einzige Zugang zum Keller liegt jetzt, nach dem Umbau, innerhalb des neuen Innengeheges. Was niemanden stört, da den Keller offiziell niemand mehr benutzt. Der Keller kann also nur von den Tigerpflegern betreten werden. Und auch das nur, wenn die Tiger im Außengehege eingeschlossen sind. Gerd kann seinem Hobby also völlig ungestört nachgehen.«

Das war es, was mich die ganze Zeit unbewusst fasziniert hatte: Marihuana-Anbau war also ein Hobby. In diesem Fall sogar eines mit Bezug zu Katzen. Hatte Katharina mir nicht noch vor fünf Minuten gesagt, ich sollte mir gegen meine Wehleidigkeit in Bezug auf meine Figur ein naturnahes Hobby suchen? Unsinnigerweise ohne Katzen? Etwas Naturnäheres als die realistische Gefahr, bei der Ausübung eines Hobbys von einem Tiger gefressen zu werden, war kaum vorstellbar.

Aber bei aller gedanklichen Freude über diese spannende Perspektive, durch Gerds Angebot sehr zeitnah in ein sehr außergewöhnliches Hobby außerhalb meines eigenen Käfigs einzusteigen, behielt ich nach außen meine professionelle Skepsis.

»Eine vierhundert Quadratmeter große Plantage im Keller … ist das nicht energetisch völliger Unfug? Marihuana braucht eine Raumtemperatur von siebenundzwanzig Grad und zwölf Stunden Beleuchtung am Tag. Beim ersten Blick auf die Stromrechnung macht der Zoodirektor den Keller doch gleich wieder dicht.«

»Nein … und genau das ist der wirtschaftlich interessanteste Punkt an Gerds Konzept. Der Strom für das Licht kann unbemerkt abgezweigt werden. Da es nach dem Umbau noch gar keine Vergleichswerte für den Stromverbrauch im Tigerhaus gibt, fällt das keinem auf. Und die Warmluft kann Gerd aus dem Tigerinnengehege in den Keller leiten«, erklärte mir Sascha.

»Tiger*innengehege? Hast du gerade eine Raubkatze gegendert?«, fragte ich verdutzt.

»Das Innengehege der Tiger.« Sascha verdrehte leicht genervt die Augen. »Tiger-innen-gehege. Die Tiere haben einen unbeheizten, großen Außenbereich und ein zu jeder Jahreszeit auf dreißig Grad erwärmtes Innengehege. Mit ein paar Lüftungsrohren und Ventilatoren aus dem Baumarkt lässt sich die vom Zoo ohnehin zur Verfügung gestellte Warmluft unbemerkt aus dem Innenraum des Tigergeheges in den Keller leiten.«

Ich suchte nach dem Fachbegriff dafür, eigene Energie einzusparen, indem man einfach die Energie der Nachbarn verbrauchte. Klimaneutralität – das war’s.

Ich nahm die Flasche mit dem Marihuana in die Hand und betrachtete das Etikett.

»Klimaneutrales Gras aus dem Tigergehege. Tiger-Shit. Passender Name.«

»Der Name ist durchaus wörtlich gemeint«, ergänzte Sascha. »Gerd düngt den Nährboden seiner Pflanzen mit den Ausscheidungen seiner Wildkatzen …«

»Das Gras wächst auf Tigerkot?« Bei dem Gedanken musste das nächste Nugget kurz vor meinem Mund innehalten. »Das bringt was?«

»Geschmacklich ist das völlig irrelevant. Aber Marketingtechnisch ist es genial. Es gibt Menschen, die zahlen Unmengen für eine streng limitierte Menge an Kaffeebohnen aus den Ausscheidungen von vietnamesischen Schleichkatzen. Die Cannabisknospen von Gerd haben halt die kraftvolle Gelassenheit eines Tigers aufgesogen.«

»Und was genau will Gerd von uns?«

Vor mir lagen nur noch drei weitere Pressfleisch-Plätzchen. Gleich wäre der Spaß vorbei. Als eine letzte Form der Genusssteigerung stapelte ich alle drei übereinander und biss ab.

»In erster Linie wünscht sich Gerd Zugang zu unserem Vertrieb. Außerdem braucht er finanzielle Unterstützung für die Anschaffung des Equipments und Manpower, um gemeinsam den Keller auszubauen«, erklärte Sascha.

Während ich mein Nugget-Triple zerkaute, hatte ich Zeit, diese Informationen auf mich wirken zu lassen. Allein um ein wenig Schwung in mein eingefahrenes Leben zu bringen, fand ich den Gedanken reizvoll, Gerds unorthodoxe Geschäftsidee zu unterstützen. Es mussten ja nicht direkt wieder Eierhandgranaten auf Autobahnrastplätzen sein, die mich mit dem realen Leben in Berührung brachten. Aber ein bisschen unorthodoxe Kriminalität, um aus der Lethargie des Homeoffices rauszukommen, klang verlockend. Gerd wollte aus einem Hobby einen Beruf machen. Ich könnte aus einem Teil meines Berufes ein Hobby machen.

»Und du meinst, wir sollten sein Produkt parallel zu unserem verkaufen?«

»Ich meine, wir sollten unsere Produkte vermischen. Dann können wir alles zusammen als klimaneutrales Ökomarihuana verkaufen.«

Ich sah auf den Teller. Er war leer. Den Mengen an Chicken-Nuggets nach, die ich binnen kürzester Zeit in mich reingestopft hatte, hätte ich längst satt sein müssen. Aber ich hatte noch Appetit. Meine Stimmung sank. Da das mit dem Fressen ja nun wohl erledigt war, hatte ich jetzt Zeit für die Moral.

»Aber das Gras aus Marokko wird doch weiterhin mit Pestiziden besprüht und mit Schiffsdiesel übers Mittelmeer geschmuggelt. Daran ist nichts öko«, nörgelte ich mit ungestillter Gier.

»Exakt. Diese Vermischung stört beim Ökostrom aber auch keinen. Hauptsache, die Kunden können sich einreden, in ihrer Tüte wäre ausschließlich der ökologische Anteil«, erklärte mir Sascha.

Mangels Nuggets auf dem Teller fing ich nun aus schlechter Laune heraus an, nach moralischer Befriedigung zu suchen.

»Warum machen wir nicht eine komplette Drogenwende und steigen komplett aus den dreckigen Plantagen in Marokko aus? Wir sollten unsere Drogensparte nur noch mit sauberem klimaneutralem Gras betreiben.«

Ich sah eine erste Irritation in Saschas Augen.

»Geht leider nicht«, dämpfte er meine Begeisterung. »Selbst bei Vollbetrieb würde Gerds Plantage nicht grundrauschfähig sein.«

»Grundrauschfähig?«, wollte ich wissen.