Autistischen Kindern Brücken bauen - Sibylle Janert - E-Book

Autistischen Kindern Brücken bauen E-Book

Sibylle Janert

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Beschreibung

Kinder mit einer Diagnose im Autismus-Spektrum versinken in ihrer eigenen Welt und sind dadurch häufig schwer erreichbar. Wie können Eltern den richtigen Zugang zu ihrem Kind finden? Die Autorin zeigt Eltern und pädagogischen Fachkräften einfühlsam und humorvoll, wie kleine Alltagsmomente zur Veränderung genutzt werden können: Verständnis, geteilte Freude, Spiele und interaktive Situationen sind einfache, aber wirkungsvolle Mittel, um Kinder mit autistisch-ähnlichen Verhaltensweisen zu fördern und ihnen Brücken in eine gemeinsame Welt zu bauen. Das Buch ist eine Schatzkiste mit vielen wertvollen Anregungen für ein gelungenes Miteinander!

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Sibylle Janert, Ruhpolding, Psychologin mit Fortbildung an der Tavistock Clinic, London, und DIRFloortime-Expert Trainerin, tätig in Beratung und Coaching mit Familien mit einem Kind mit autistisch-ähnlichen Verhaltensweisen sowie in der Fortbildung im deutsch- und englischsprachigen Raum.

Teil 2 – 4 aus dem Englischen übersetzt von Anni Pott

Titel der Originalausgabe:

Reaching the Young Autistic Child

© Sibylle Janert 2000

First published by: Free Association Books Ltd

Hinweis: Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Waren-bezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03271-6 (Print)

ISBN 978-3-497-61904-7 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61905-4 (EPUB)

5., Auflage

© 2024 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG einschließlich Einspeisung/Nutzung in KI-Systemen ausdrücklich vor.

Printed in EU

Covermotiv: © iStock.com/mihailomilovanovic

Satz: Rist Satz & Druck GmbH, D-85304 Ilmmünster

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Geleitwort von Maria Kaminski

Geleitwort von Miriam Stoppard

Vorwort

Einleitung

Teil I: Entwicklungsorientierte Perspektiven zu Autismus – Kinder sind verschieden. Verschieden zu sein ist normal

1 Individuelle Unterschiede

2 Der beziehungsorientierte DIRFloortime-Ansatz

Was ist DIRFloortime?

Der Führung des Kindes folgen und es gleichzeitig herausfordern

Die Entwicklungsleiter der FEDLs

Gemeinsames Problemlösen: Jede Interaktion – eine gute Interaktion!

Was soll der Quatsch!?

Wer versteht, fühlt sich weniger hilflos

3 Die Ursprünge kognitiver Entwicklung: Die Waldon-Methode

Kinder, die passiv oder desinteressiert sind und nichts lustig finden

Verstehen verstehen

Lernen durch Selbermachen (Learning by doing)

Geeignete Spielmaterialien für Learning by doing

Ein Strich am Tag

Die Waldonstunde: Learning by doing

4 Kombinierte Waldon- und Floortime-Ideen

Teil II: Verhaltensweisen Erwachsener, die der Entwicklung des Kindes helfen

5 Spiele von Angesicht zu Angesicht und geteilte Aufmerksamkeit: Wo die Sprachentwicklung beginnt

„Lass uns zusammen lachen!“ Die kommunikativen Freuden beim Scherzen und Spielen

Das Gesicht – das beste „Ursache-und-Wirkung“-Spielzeug, das je erfunden wurde: Immer dasselbe und doch immer ein bisschen anders

„Mach es größer!“ Wie Sie die Aufmerksamkeit des Kindes wecken, wiedergewinnen und aufrechterhalten können

Was ist in einem Mund? Instinktive Interessen wieder entfachen

6 Sprechen, Singen und Kommunizieren für zwei

„Wenn das Kind nur sprechen könnte, dann wäre alles in Ordnung“ Worte nachahmen können heißt noch nicht sprechen können

Verfallen Sie nicht auch in Schweigen – Sprechen Sie mit dem Kind: Und sei es nur, damit Sie selbst lebendig bleiben und einen klaren Kopf behalten

Eine Kommunikation, der das Kind nicht widerstehen kann: Machen Sie ein Lied und tanzen Sie dazu

„Es ist Zeit, etwas anderes zu machen“: Weiß das Kind, wie, oder überhaupt, dass es aufhören könnte?

Alles gleich oder anders? Über das präsymbolische Funktionieren des Denkens

7 Gefährliche Löcher und die Wichtigkeit, sich geborgen zu fühlen

„Das Kind will seinen Mantel nicht ausziehen“: Sich geborgen fühlen: Mäntel, Decken und innere Räume

Sein tägliches Fernseh- und Video-„Bad“: Wie viel ist gut für das Kind?

„Tu es in den Müll!“ Die Erleichterung zu wissen, wo man alles „Schlechte“ hintun kann

Weg damit! Über Werfen, Schreien, Dreck-Essen und Weglaufen

Wie ein Netz mit einem Loch darin: Über Knoten, Netze und Metaphern

Teil III: Lasst uns spielen! – Mit Spielen und anderen Aktivitäten Wachstum und Entwicklung fördern

8 Kommunikationsspiele

Der Balanceakt zwischen Angst und Lust: „Ich krieg dich ...!“ und andere Aufmerksamkeit weckende Spiel

„Da und weg“ – Spiele mit der Entfernung und Weglaufen als Einladung zum Spielen

„Auf die Plätze – fertig – los!“ Präverbale Fertigkeiten üben mit geteilter Aufmerksamkeit, Warten und Rollenwechsel

Das „Geh-weg!“-Spiel: Mit Ablehnung, Kontrolle, „So-tun-als-ob“ und „Spielen“ spielen

9 Stimmliche und musikalische Interaktionsspiele

Mund- und Gesichtsspiele: Machen Sie Musik mit Ihrem Gesicht!

Zeigen ist der erste Satz eines Kindes: Von geteilter Aufmerksamkeit zum Sprechen Lernen

Lieder, die gut funktionieren und warum: Bewegungslieder, flotte Rhythmen und Überraschungen

10 Interaktionsspiele mit Spielzeugen, Büchern und anderen Gegenständen

Kuckuckspiele und Versteckspiele: Aufmerksamkeit und Interaktion durch Spannung und Überraschung

Bedeutung und Zauber von Steckkästen: „Das gehört da rein!“, „Da und weg!“ und „Ich kann es!“

„Wenn’s um Bücher geht, ist das Kind komisch“: Über das Überbrücken der Lücken zwischen den Seiten

Teil IV: Versuchen wir, das alles zu verstehen

11 Die suchtartige Qualität autistischer Verhaltensweisen

Wenn Schmusen kein Schmusen ist: Über den Wunsch, ein „Mutterschoß-Baby“ zu sein

Wenn ein Spielzeug weder ein Spielzeug noch ein Tröster ist: Wozu ist ein „autistischer Gegenstand“ gut?

„Warum rüttelt das Kind die ganze Zeit mit irgendetwas?“: Alles kann hypnotische Kraft haben

12 Die Konzentration auf körperliche Empfindungen ohne Bedeutung

Den Geist „auseinander fallen“ lassen: Über Sehen, Empfindungen und Dinge, die keinen Sinn machen

Versunken in Haut- und Körperempfindungen: Empfindung minus Bedeutung

„Das Kind kann so gut Puzzles zusammensetzen“: Muster, Puzzles und Empfindungen

Anhang

Über Kindergärten und Schulen

Über die Kinder

Literatur

Internetadressen

Sach- und Personenverzeichnis

Danksagung

Geleitwort von Maria Kaminski

Erhalten Eltern für ihr Kind die Diagnose Autismus, versuchen sie in ihrer Hilflosigkeit soviel Lesematerial wie möglich zu bekommen, um überhaupt dieses Phänomen kennen zu lernen. Danach beginnt die Suche hinsichtlich geeigneter Therapeuten und Einrichtungen. Instinktiv bemühen sich Eltern außerdem selbst darum, ihrem Kind einen sozialen Zugang in die reale Welt zu vermitteln.

Das Buch von Sybille Janert hält hilfreiche Vorschläge bereit, die recht einfach in die Praxis umgesetzt werden können, beginnend mit Übungen wie Blickkontakt, Sprachanbahnung, Reflexübungen und Klatschspielen.

Während andere Kinder wie von selbst diese Angebote nachahmen, muss ein Kind mit Autismus regelrecht trainiert werden. Je früher Therapien einsetzen, desto mehr Chancen hat der kleine Klient zur Integration in die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen.

Der autismus Deutschlande.V. empfiehlt die Lektüre dieses Buches Eltern, Betreuern, Therapeuten und Lehrern als großartige Hilfe-stellung zur Bewältigung so mancher Schwierigkeiten, die sich beim Umgang mit Kindern mit Autismus ergeben.

Maria Kaminski

Vorsitzende von autismus Deutschland e.V.,

Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus

Geleitwort von Miriam Stoppard

Ein Neugeborenes kommt mit der Fähigkeit auf die Welt, ein menschliches Gesicht zu erkennen, und es sehnt sich inständig danach, mit einem anderen Menschen in Beziehung zu treten. Genauso ist es bei dem Säugling, dem es beschieden ist, autistisch zu sein.

Dasselbe Neugeborene wird, noch ehe die Nabelschnur durchschnitten ist, still, wachsam und sehr konzentriert seine ganze Aufmerksamkeit auf Ihr Gesicht richten, insbesondere wenn Sie den Kopf (auf und ab) bewegen, nicken und mit einer theatralischen Singsang-Stimme mit ihm sprechen. Bei dem autistischen Neugeborenen ist dies nicht anders.

Bereits in den ersten Monaten nach der Geburt „unterhält“ sich ein Säugling mit ruckartigen Körperbewegungen und mit Mundbewegungen, wenn er diesen wie ein Fisch beim Füttern bewegt und dabei Ihre interessiert strahlenden Augen und Ihren lächelnden Mund sehen kann, der Worte formt. Das Gleiche gilt für das autistische Baby.

Säuglinge sind von Geburt her darauf programmiert, auf die mensch-liche Stimme zu reagieren, und je musikalischer, rhythmischer und höher sie ist, desto besser. Die menschliche Stimme, insbesondere ein laufendes kommentierendes Geplapper, ist Musik für das Ohr eines jeden Babys, auch für das des autistischen Babys.

Und hier hat Sibylle Janert die Brücken entdeckt, die jeder Erwachsene bauen kann, um dem autistischen Kind bei dem Versuch – seiner schwierigsten Aufgabe – zu helfen, aus seiner inneren Welt herauszukommen und sich auf einen anderen Menschen einzulassen.

Ihre These ist unwiderstehlich, weil sie in der so grundlegenden Physiologie Neugeborener verankert ist. Und ihre Logik ist unwiderlegbar: Wenn ein autistisches Kind mit den Instinkten und dem Rüstzeug, mit anderen in Beziehung zu treten, geboren wird, dann muss die Intervention früh beginnen (mindestens im Alter von neun Monaten), damit die Funktionsfähigkeit des Systems aufrechterhalten wird.

Die Schwierigkeit, mit der Eltern autistischer Säuglinge konfrontiert sind, besteht darin, herauszufinden, was sie tun können, um ihren Kindern zu helfen. Eltern eines autistischen Kindes zu sein, kann hart sein und im Alltag zu Frustration und Niedergeschlagenheit führen. Die Hilfe, die von Fachleuten angeboten wird, lässt mitunter zu wünschen übrig. Zwei Drittel der Eltern suchen drei oder noch mehr Experten auf, ehe sie eine sichere Diagnose erhalten; ein Viertel suchen fünf oder noch mehr Experten auf. Die Hälfte der Eltern ist der Meinung, dass Autismus schlecht oder überhaupt nicht erklärt wird, so dass sie schließlich an einen Punkt kommen, wo sie sich unzulänglich und machtlos fühlen.

Liebe Eltern, Sie können Mut fassen. Sibylle Janert hält einfache, hilfreiche Vorschläge für Sie bereit, die Sie bei Ihrem heranwachsenden Kind in die Praxis umsetzen können. Dabei geht es um Dinge, die auf ganz natürliche Weise im Rahmen Ihrer Möglichkeiten liegen und in Ihrer Macht stehen. Jedes Baby reagiert auf Blickkontakt – im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein. Babys lieben Theatralik, die Übertreibung von Betonung und Aktion. Sie können leicht die unterscheidenden Merkmale von Gegenständen begreifen, wenn wir ihnen große Unterschiede durch Gegensätze wie weich – hart, rau – glatt aufzeigen. Babys finden Musik, Kinderlieder und Klatschspiele unwiderstehlich, da sie die Reaktionsfähigkeit zum Reflex werden lassen.

Die Tatsache, dass all diese Dinge ihrem autistischen Baby helfen, ist für Eltern beruhigend. Aber während das durchschnittliche Baby diese Dinge einfach nur genießt, sind sie für das autistische Baby ein Muss. Für das autistische Baby sind sie lebenswichtige Vitamine, ohne die es nicht gedeihen kann und, was das Wichtigste ist, ohne die es die Freude und den Spaß einer aktiven Beziehung mit den Menschen und der Welt um es herum nicht entdecken kann.

Sibylle Janert hat Eltern mit dem Mittel versorgt, ihrem autistischen Kind zu helfen, in die reale Welt einzutreten.

Dr. Miriam Stoppard

Vorwort

Autismuszahlen nehmen in den letzten Jahren rapide zu – und damit die Suche nach erfolgreichen Therapiemethoden und Behandlungsansätzen.

Deswegen möchte ich in dieser vierten Auflage zwei im deutschsprachigen Raum bisher kaum bekannte Entwicklungsansätze beschreiben, und zwar den DIRFloortime-Ansatz und die Waldon-Methode. Beide machen meiner Erfahrung nach die fundamentalen Entwicklungsprozesse auf einzigartige Art und Weise verständlich und geben uns klare Handlungsanweisungen.

Kurz bevor dieses Buch erstmals veröffentlicht wurde, hielt ich bei einer Konferenz „Autism Oxford“ mein erstes Seminar über meinen interaktiven spielerischen Ansatz mit autistischen Kindern. In der Pause sprach mich jemand an und sagte: „Das hört sich an wie Floortime.“ Davon hatte ich bis dahin noch nie gehört oder gelesen, weder in Büchern über Autismus noch anderswo. Zu meiner Begeisterung entdeckte ich, dass es offensichtlich in Amerika eine Gruppe gleichgesinnter KollegInnen gab, die

– Autismus und autismusähnliche Verhaltensweisen auf eine ganzheitliche Art und Weise als eine durchaus entwicklungsfähige komplexe Beziehungsstörung sahen;

– seit Jahren erfolgreich beziehungsorientiert arbeiteten, auch mit autistischen Kindern;

– autismusähnliche Verhaltensweisen als sinnvollen Ausdruck von zugrundeliegenden sensorischen Regulationsproblemen als therapeutisch behandelbar aufzeigten;

– unter der Führung von dem Kinderpsychiater und -therapeuten Stanley Greenspan und der Psychologin Serena Wieder schon Artikel und Bücher geschrieben hatten;

Auch dieses Buch beschreibt einen DIR-Ansatz, d. h. einen beziehungsorientierten, auf das individuelle Kind abgestimmten Entwick-lungsansatz, basierend auf einem ganzheitlichen Menschenbild und der Überzeugung, dass jedes Kind, und jeder Mensch, kreative emo- tionale Kapazitäten hat, seine Persönlichkeit immer weiter entwickeln zu können, und nicht in festen Diagnosen oder starren Verhaltens-mustern gefangen bleiben muss.

So mancher Leser macht sicher auch seit Jahren „Floortime“ oder verfolgt einen beziehungsorientierten individualisierten Entwicklungs-ansatz, ohne von dieser Herangehensweise bisher gehört oder eine Weiterbildung in Floortime gemacht zu haben. Denn unsere Expertise entsteht primär durch unsere Einstellung, emotionale Erfahrung und menschliche Fähigkeit, uns einzufühlen, und wird erst dann durch Kurse, in denen uns Konzepte, Prinzipien und neue Inhalte beigebracht werden, konsolidiert. Aber einer Gruppe von gleichgesinnten „Floor-timern“ anzugehören, die sich finden können, weil es einen Namen dafür gibt, birgt natürlich viele Vorteile zur Orientierung und Ver-netzung.

Was für mich und alle Teilnehmer in meinen Kursen neu war, war die von Greenspan und KollegInnen formulierte Entwicklungs-leiter der Funktionalen Emotionalen Entwicklungsebenen (FEDLs; www.icdl.com/dir/fedcs, 17.04.20), die uns

– eine Orientierung und klare Richtung für die mental-emotionale Entwicklung eines Kindes geben;

– helfen, das Kind positiv und bejahend einzuschätzen, um es genau dort abholen zu können, wo es sich gerade entwicklungsmäßig befindet;

– davon befreien, das Kind nach seinen Defiziten und altersgemäß fehlenden Fähigkeiten zu beurteilen, was sich vor allem für Eltern immer äußerst schmerzhaft anfühlt und oft Entrüstung auslöst.

Seitdem habe ich viele Seminare gehalten und erlebe in meinen Kursen regelmäßig, dass die Teilnehmenden genauso wie ich damals sagen „Ja, so sehe und mache ich das auch“, obwohl sie noch nie von Floortime gehört haben. „Vieles hiervon mache ich schon immer so und ich weiß, dass es funktioniert“, sagte mir eine erfahrene Logopädin. „Aber ich konnte bisher nie erklären, warum. Seit ich DIRFloortime und die FEDLs kennengelernt habe, verstehe ich, warum es funktioniert … und fühle mich sehr froh und bestätigt.“

Viele der Teilnehmer von Einführungskursen zu DIRFloortime finden sich in ihrer eigenen beziehungsorientierten Arbeitsweise erfreut wieder. Vielleicht hatten sie eine gewisse Art von „Quatschmachen“ schon immer als therapeutisch wertvoll genutzt (trotz stirnrunzeln- der KollegInnen der „Ts ts, sowas gehört sich doch nicht!“-Fraktion), weil es Spaß macht und dadurch gemeinsam und spielerisch eine Beziehung aufbaut – und das Kind gerne wiederkommt. Aber jetzt konnten sie ihren KollegInnen auch die Zusammenhänge erklären, warum solch spielerischer Beziehungsaufbau entwicklungsfördernd ist und oft so viel erfolgreicher als vorgeschriebene Lehrprogramme oder ein Fokus auf Beibringen oder Verhaltenstraining.

Unter den Kindern mit Autismus und autismusähnlichen Verhal-tensweisen gibt es noch eine andere Gruppe von Kindern und Heraus-forderungen für uns Erwachsene: Das sind Kinder, die nur passiv sind, nichts machen wollen und nichts lustig oder interessant finden – schon gar nicht interaktives Spiel. Hier greife ich auf eine andere, im deutschsprachigen Raum kaum bekannte Methode zurück: die Waldon-Methode. Bei dieser geht es um die basalsten Grundlagen für jegliche kognitive Entwicklung, die notwendig sind, um „Lernen zu lernen“. Diese Methode hilft uns, die allerersten Grundlagen der kognitiven Entwicklung eines Kindes zu verstehen und angemessen zu behandeln.

Um diese hilfreichen Einsichten und praxisnahen Inhalte einer breiteren Leserschaft an die Hand zu geben, habe ich in dieser Auflage ein neues Kapitelzu DIRFloortime und der Waldon-Methode an den An-fangdes Buches gestellt.

Einleitung

Als ich angefangen habe, mit autistischen Kindern zu arbeiten, habe ich vergeblich nach einem Buch gesucht, das sich auf die ersten Lebensjahre konzentriert hätte, das praktisch, kindzentriert und leicht zu lesen gewesen wäre, das dem Leser oder der Leserin geholfen hätte, zu verstehen, was im Kopf eines autistischen Kindes vor sich geht und was manche der rätselhaften Verhaltensweisen zu bedeuten haben. Dieses Buch versucht genau das Buch zu sein, das ich nicht finden konnte.

Eltern haben den inständigen Wunsch, ihrem Kind zu helfen, wenn sie nur wüssten, wie. Das Gefühl der Hilflosigkeit, das sie befällt, wenn sie mit der Reaktionslosigkeit ihres Kindes konfrontiert sind, verlangt einen praktischen Ansatz. Dieses Buch soll Eltern etwas Mut machen, indem es versucht, ein wenig Licht in einige dieser schwierigen Gefühle zu bringen. Damit verbunden ist auch die Hoffnung, all denen, die sich um autistische Kinder kümmern, zu helfen, sich ab und an etwas von dem Trauma und der Verzweiflung zu erholen, die mit der erschütternden Diagnose Autismus oder „autistische Merkmale“ verbunden sind.

Autismus ist ein komplexer Zustand einer umfassenden Entwicklungsverzögerung. Für gewöhnlich ist den Eltern schon lange vor dem ersten Geburtstag des Kindes klar gewesen, dass mit ihm irgendetwas „nicht so ganz stimmt“. Nicht, dass man irgendetwas sehen könnte: Das Kind sieht völlig gesund aus, wächst und nimmt zu. Es kann sehr viele Dinge tun. Aber es tut sie nicht, und das ist das Problem. Es ist einfach nicht motiviert zu kooperieren. Während die körperliche Entwicklung des Kindes seinem Alter entspricht, sind seine intellektuelle/kognitive Entwicklung und seine ganze soziale, kommunikative und emotionale Entwicklung stark verzögert.

Was fehlt, ist etwas, das unserer Meinung nach bei einem anderen Menschen einfach nicht fehlen kann, wie jung er auch sein mag: Nämlich dass ein Mensch, egal, ob es sich dabei um einen Erwachsenen, ein Kind oder einen Säugling handelt, an anderen Menschen interessiert ist und mit anderen zusammen sein möchte. Es ist dieser Wunsch, der beim autistischen Kind so auf so unglaubliche Weise fehlt: der Wunsch, kommunizieren zu wollen, wissen zu wollen, kooperieren zu wollen. Es scheint nichts von alledem zu wollen! Es schaut anderen Menschen nicht ins Gesicht, um mit ihnen das, was sie anschauen, zu teilen. Es zeigt nicht auf Dinge, die es sieht, um seine Erfahrung zu teilen, wie es für ein Kleinkind ab neun Monaten typisch wäre. Es ist zurückgezogen und außergewöhnlich lange Zeit mit sich allein zufrieden, oder es ist aktiv und ständig in Bewegung. Vielleicht klammert es sich dauernd an, klettert bei jedem auf den Schoß oder möchte unbedingt von jedem auf den Arm genommen werden, egal von wem.

Das autistische Kind spielt nicht wie andere gleichaltrige Kinder, die im Rahmen von So-tun-als-ob-Spielen kreativ Dinge zusammenbauen oder zusammenstellen, Dinge imitieren oder sich phantasievoll Situationen ausdenken. Dies scheint durch ein oft starkes Interesse an Objekten ersetzt zu werden, das repetitiv, zwanghaft oder stereotyp ist. Sein „Spiel“ ist mehr ein Herumspielen mit Gegenständen: Sie werden in den Mund genommen, geschüttelt, schnell im Kreis gedreht, hintereinander aufgestellt; es wird auf sie eingeschlagen oder mit ihnen herumgeschlagen, oder es werden Schalter und elektrische Knöpfe endlos an- und ausgeknipst. Das Kind möchte Dinge haben, halten, beißen, essen. Wird ihm ein Strich durch die Rechnung gemacht, verfällt es im Zweifel schlagartig in einen zornigen Schreikrampf oder bekommt einen Wutanfall, nur um dann seine Beschäftigung mit geradezu tyrannischer Entschlossenheit wieder aufzunehmen.

Am bedeutsamsten ist sein gänzlich mangelndes Interesse an der Bedeutung und der sinnbildlichen Darstellung von Dingen, zum Beispiel im So-tun-als-ob-Spiel in der Spielecke, mit dem Bauernhof oder beim Füttern des Teddys, wie andere Einjährige es tun. Stattdessen konzentriert sich seine ganze Aufmerksamkeit auf sinnliche, rhythmische Körpererfahrungen, auf Hautempfindungen, wie Berühren, Streicheln, Anfassen, sowie darauf, dass Spielzeuge und Gegenstände in die Hand oder eigene Körperteile in den Mund genommen werden. Auch die Wahrnehmung kann dazu benutzt werden, um bar jeder Bedeutung eine sinnliche Form des Sehens oder Hörens zu befriedigen. Während das Kind taub zu sein scheint, wenn man es anspricht, konzentriert es sich in Wirklichkeit vielleicht auf das Summen des Kühlschranks. Jede Bewusstheit von seiner Umgebung scheint einfach verschwunden zu sein. Es nimmt nichts mehr wahr und scheint völlig in sich versunken zu sein, als hätte es sich ganz und gar der Empfindung hingegeben, die es auf seiner Haut fühlt, zum Beispiel auf seinen Händen, seinem Mund, seinen Rücken auf dem Boden. Für die Welt um es herum scheint das Kind völlig in sich versunken zu sein.

Aufgrund seiner Unfähigkeit, eine Bedeutung in den Dingen zu sehen, die in seiner Umwelt geschehen, und ihnen eine Bedeutung beizumessen, klammert sich das autistische Kind an routinemäßige Abläufe und besteht darauf, dass alles immer gleich sein muss. Es kann merkwürdige oder stereotype Gewohnheiten entwickeln, wie mit den Händen flattern, schaukeln oder rhythmisch einen Gegenstand rütteln, wobei es sich hartnäckig jedem Versuch widersetzt, es aus solchen völlig in sich selbst vertieften Zuständen herauszuholen. Wird diese Ordnung der Dinge durch irgendetwas gestört, gerät das Kind oftmals völlig außer sich: Das äußert sich in langen Schreianfällen oder unglaublichen Wutausbrüchen, manchmal scheinbar auch ohne jeden für den Beobachter ersichtlichen Grund.

Das Kind hat nicht den Wunsch, dem anderen mitzuteilen, wie es sich fühlt oder was es von einer Erfahrung hält. Worte und Sprache interessieren es in der Regel nicht allzu sehr, wenn überhaupt, um sie in einem kreativen kommunikativen Sinne zu nutzen. Vielleicht ist es stumm und lernt nie sprechen. Und wenn es doch zu einer Sprachentwicklung kommt, kann es sein, dass diese erst im Alter von fünf Jahren beginnt und dass ihr eine gewisse menschliche Lebendigkeit und Reaktionsfähigkeit fehlt: Seine Sprache ist wahrscheinlich repetitiv oder „echolalisch“, so dass das Kind einfach wie ein Echo Ihre Frage wiederholt, statt eine angemessene Antwort zu geben. Worte benutzt es vielleicht nur, wenn es etwas möchte, so dass das Aussprechen eines Wortes fast wie ein Knopfdruck ist, mit dem der Fernseher angestellt oder ein „Schokoladenkeks“ (das heißt, eine Person) herbeigezaubert werden kann.

Der Ansatz dieses Buch besteht nicht darin, eine umfassende Methode zu beschreiben, sondern vielmehr eine Sammlung hilfreicher Ideen, Aktivitäten, Strategien und Spiele aufzuzeigen, die durch praktische Erfahrungen im Alltag auf der Grundlage von alledem entwickelt wurden, „was funktionierte“. Dazu gehörten auch viele der ausgezeichneten, gegenwärtig verfügbaren kognitiven/verhaltenstherapeutischen Methoden und Erkenntnisse aus der Säuglingsforschung sowie moderne psychodynamische Denkansätze. Als wesentlich wird ein Interaktionsmodell vorausgesetzt, in der Annahme, dass das eigentliche Problem darin liegt, was zwischen einem autistischen Kind und einer anderen Person abläuft – oder eben nicht abläuft.

Das Ziel ist, dem Kind zu helfen, sich auf die zwischenmenschliche Kommunikation einzulassen, und zwar durch „Verhaltensweisen der Erwachsenen“, die es im wahrsten Sinne des Wortes dazu „bewegen“ können, all seine Sinne zusammenzuholen, um seine Aufmerksamkeit auf die Interaktion mit einer anderen Person zu konzentrieren. Dabei sollte es so viel Spaß daran haben, dass es motiviert ist, noch mehr von solch zwischenmenschlicher Interaktion zu wollen. Die ersten drei bis vier Lebensjahre sind die absolut entscheidenden Jahre, um bei einem Kind mit autistischen Verhaltensweisen einzugreifen, und diese Intervention muss so früh wie möglich und mit einer von tiefem Verständnis geprägten Überzeugung erfolgen. Die Aufgabe, die den Erwachsenen dabei zukommt, besteht in der enormen Anstrengung, das, was an gesundem entwicklungsspezifischen Potenzial da ist oder da sein könnte, zu entwickeln und „hervorzuholen“ (Alvarez 1992, dt. 2001). Gleichzeitig muss man versuchen, das Kind von entwicklungshemmenden Verhaltensweisen und von autistischen „Anti-Geisteshaltungen“ abzubringen, die dem Kind möglicherweise schon zur Gewohnheit oder sogar zur Sucht geworden sind.

Dieses Buch verbindet Denkansätze mit praktischen Vorschlägen und ermutigt im Gegensatz zu automatischen mechanischen Ansätzen zu einem gefühlvollen Umgang. Ziel ist es, verhaltenstherapeutische Ansätze zu fördern, zu beleben und durch sie das Verständnis der zugrunde liegenden innerpsychischen Vorgänge menschlicher zu gestalten.

Insbesondere wenn Hilfe früh genug kommt – im Idealfall bereits im Alter von neun bis 18 Monaten oder auf jeden Fall bevor das Kind fünf ist –, können in der Regel wenigstens einige der ersten Grundlagen der kommunikativen Sprachentwicklung gelegt werden. Damit kann einer gravierenden Entwicklungsverzögerung oder gar einem Entwicklungsstillstand entgegengewirkt und denen, die sich um das Kind kümmern, ein gewisses Verständnis vermittelt und vor allem Hoffnung gemacht werden. Ob es große oder nur kleine Fortschritte macht, ob es sprechen lernt oder nicht, ob es spielen, lesen und schreiben lernt oder nicht, vermag niemand zu sagen. Das Beste, was wir tun können, ist, zu versuchen, unser Bestes zu geben und abzuwarten.

Dieses Buch wurde für all diejenigen geschrieben, die direkt mit der Betreuung eines kleinen Kindes zu tun haben, bei dem „autistische Merkmale“ oder eine „autistische Störung“ diagnostiziert wurde, und die nicht mehr Zeit als eine Kaffeepause haben. Ein Teil dieses Buch ist auch relevant und hilfreich bei Kindern, die an Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität (ADHD) leiden, und bei älteren Kindern und Erwachsenen. In kurzen Abschnitten werden praktische Beispiele mit entsprechenden Beschreibungen aufgezeigt. Auch wenn diese Beispiele auf spezifische Probleme einzugehen versuchen, so ist damit weder der Anspruch noch die Absicht verbunden, endgültige Antworten zu geben. Vielmehr ist die Intention, Leserinnen und Leser darin zu unterstützen, auf ihr eigenes Verständnis zu vertrauen und dieses zu nutzen, um sich ihre eigenen Antworten für jedes individuelle Kind zuzuschneiden.

Im ersten Teil des Buches werden innovative praktische Vorschläge für allgemeinere Ansätze im Umgang und für Verhaltensweisen von Erwachsenen dargelegt, die der Entwicklung des Kindes helfen. Im zweiten Teil werden Varianten einfacher interaktiver Spiele und Aktivitäten beschrieben, die in jahrelangen praktischen Erfahrungen sozusagen auf „allen vieren“ erprobt wurden. Im dritten Teil wird der Versuch unternommen, zu verstehen, was möglicherweise im Kopf des autistischen Kindes vor sich geht, wenn es in seinen „autistischen“ (Nicht-)Aktivitäten versunken ist.

Alle in diesem Buch beschriebenen Kinder sind zwischen drei und fünf Jahre alt, sofern nichts anderes angegeben ist. Um ihre Anonymität zu gewährleisten, wurde ihre Identität geändert. Sie unterscheiden sich sehr voneinander, dennoch ist ihnen allen gemein, dass sie von renommierten und anerkannten britischen Diagnosezentren alle als „autistisch“, „auf dem autistischen Kontinuum/Spektrum“, „mit autistischen Merkmalen“ oder „mit ASD“ (Autistische Spektrumsstörung)diagnostiziert wurden.

Wenn die große Mehrzahl der praktischen Beispiele in diesem Buch sich auf Jungen bezieht, so trägt dies der Realität Rechnung, dass Autismus bei Jungen etwa 7 mal häufiger als bei Mädchen vorkommt. Und wenn häufiger von der Mutter, der Erzieherin oder der Betreuerin die Rede ist, dann wurde die weibliche Form auch deswegen gewählt, weil sich (bedauerlicherweise) immer noch mehr Frauen als Männer um kleine Kinder kümmern.

Teil I

Entwicklungsorientierte Perspektiven zu Autismus – Kinder sind verschieden. Verschieden zu sein ist normal

1 Individuelle Unterschiede

Eine Mutter ruft mich an und beginnt mir ausführlich zu berichten, dass ihr Kind „Autismus hat“, wer die Autismusdiagnose gestellt hat und was in verschiedenen Berichten steht. Aus Erfahrung weiß ich, dass diese Berichte mir nur selten eine Vorstellung vom Kind und von den Schwierigkeiten geben, deretwegen die Mutter Hilfe sucht. Denn das Wort „Autismus“ sagt uns nur wenig über dieses besondere Kind und seine individuelle Situation. Deshalb unterbreche ich sie und erkundige mich nach ihren Fragen und Sorgen – meistens, dass das Kind noch nicht spricht, nicht gehorcht und nicht spielt wie andere seines Alters. Sie interessiert sich für Floortime und möchte wissen, wie sie ihr Kind selber und zu Hause besser fördern kann und wie sie mit Verhal-tensweisen umgehen soll, die sie schwierig findet und nicht versteht.

Schon habe ich eine bessere Idee von dem Kind und der Familien-situation. Aber erst, als ich frage „Und was spielt oder macht er gerne? Oder wenn er machen kann, was er will?“, wird das Kind, und die wirkliche Fragestellung der Mutter, lebendig. „Er läuft eigentlich immer nur hin und her oder hüpft auf dem Sofa“, sagt die Mutter. „Oder er liegt auf dem Boden. Wirklich spielen, das hat er nie gemacht. Und zur Zeit hat er eigentlich immer einen Kleiderbügel in der Hand, mit dem er herumwedelt. Ich habe schon alle Schränke abgeschlossen, aber irgendwie findet er doch immer einen. Oder einen Stock. Wenn ich ihm das wegnehme, dann wehrt er sich und schreit und tobt. Manchmal stundenlang. Das Einzige, was ihn beruhigt, ist das iPad.“

Wir bekommen eine ganz andere Vorstellung von einem Kind mit einer Autismusdiagnose, wenn eine andere Mutter stolz berichtet: „Bruno kann schon das ganze ABC sagen und bis 20 zählen. Auch rückwärts! Er liebt Autos und kann sich stundenlang damit beschäftigen, sie aneinanderzureihen. Er sagt auch ein paar Wörter wie ‚nochmal‘, damit ich immer wieder ‚Ich krieg dich!‘ mit ihm spiele. Aber wenn er etwas will, zieht er mich an der Hand, statt es zu sagen.“ Und schon haben wir ein viel klareres Bild von dem jeweiligen Kind und den Schwierigkeiten, die sich den Eltern stellen, sowie auch Ideen, wie man die erfolgreiche Entwicklung des jeweiligen Kindes fördern kann.

Das erste Kind, nennen wir ihn Ali, ist wahrscheinlich noch nicht sauber, das zweite, Bruno, 5 Jahre alt, vielleicht. Den Schilderungen ihrer limitierten Beziehungen nach vermute ich, dass beide Kinder mäkelig mit dem Essen und schwierig zu füttern sind, was beide Mütter bestätigen. Denn beim Essen handelt es sich vorrangig darum, mit offenem Interesse Beziehung aufzunehmen mit dem, was uns die Umwelt und die Mutter an Gutem und Essbarem anbieten. Aber mit dem Interesse für die Welt und für Beziehungen hapert es ja offensichtlich bei beiden Kindern. Bruno kann sich offensichtlich genügend selbst regulieren, um seine Aufmerksamkeit mit Interesse auf seine Welt der Autos, Buchstaben und Zahlen zu richten. Deswegen braucht er auch keine Windeln mehr. Zwar ist sein Interesse sehr begrenzt. Aber es ist ein Interesse an der Welt und somit ausbaufähig. Er benutzt seine Hände, um Autos oder Buchstaben herumzuschieben oder die Mutter dorthin zu ziehen, wo er etwas haben möchte. Seine Wahrnehmung ist offensichtlich vor allem visuell, während Ali hauptsächlich Bewegung und sensorische Körper-erfahrungen sucht. Beide haben erhebliche Probleme, sich selbst zu regulieren, um an der Umwelt mit wacher Offenheit und Interesse teilzunehmen. Sie interessieren sich nicht für Fragen wie „Was ist das? Was kann man/ich damit machen? Was macht Mama/Papa damit? Kann ich das auch?“ Aber ihre Regulationsschwierigkeiten sind unterschiedlich gelagert und erfordern unterschiedliche Vorgehensweisen.

Diese individuellen Unterschiede geben uns wichtige Hinweise und Informationen, die uns helfen, das Kind besser zu verstehen und einen erfolgversprechenden Therapieplan zu erstellen. Jedes Kind hat individuelle Fähigkeiten, sensorische Reize aus der Umgebung von anderen oder aus seinem eigenen Körper aufzunehmen, zu integrieren, zu handhaben und auf sie zu reagieren. Kein Kind ist in seinem Autistisch-Sein oder anderen Beziehungs- und Kommunikationsschwierigkeiten genau wie ein anderes: Wenn man ein autistisches Kind kennt, dann kennt man ein autistisches Kind. Das chronologische Alter hilft uns nur festzustellen, dass beide Kinder in ihrer Entwicklung sehr verzögert sind. Sie sprechen, spielen, hören und folgen nicht. Und alle die ausgiebigen Anstrengungen der Eltern, ihren Kindern beizubringen, was andere Kinder desselben Alters können oder tun, sind bisher nicht erfolgreich gewesen. Wie lässt sich das erklären?

2 Der beziehungsorientierte DIRFloortime-Ansatz

Hier kann uns der beziehungsorientierte DIRFloortime-Ansatz weiterhelfen, insbesondere seine Funktionalen Emotionalen Entwicklungs-ebenen (FEDLs: Functional Emotional Developmental Levels), die von dem Kinderpsychiater Stanley Greenspan und KollegInnen in Amerika in den 1980er Jahren beschrieben wurden (Greenspan/Wieder 2001).Diese geben uns eine Orientierung des mental-emotionalen Entwick-lungszustands des Kindes, d. h. wo wir es abholen müssen, sowie eine klare Richtung für unsere nächsten pädagogischen oder therapeutischenSchritte.

Was ist DIRFloortime?

Bei DIRFloortime handelt es sich um eine beziehungsorientierte Therapiemethode, die sich am Entwicklungsstand des Kindes orientiert, um Kinder mit Entwicklungsstörungen, Autismus oder autistischen Verhaltensweisen zu fördern. Der Schwerpunkt liegt darauf, die sozial-emotionale Persönlichkeitsentwicklung des Kindes ganzheitlich zu unterstützen – nicht nur intellektuelles oder kognitives Wissen. Wir wollen dem Kind helfen, die eigenen Stärken zur Bewältigung seiner Herausforderungen zu nutzen, d. h. wir arbeiten von innen nach außen („Inside Out“) und ressourcenorientiert. Äußerliche angepasste Verhaltensweisen stehen nicht im Vordergrund, sondern die innere emotionale Entwicklung des Kindes als ganzer Mensch. Ein beziehungsorientiertes Menschenbild

– versteht das Kind als ganze Person und im Gesamtbild seiner Familie, d. h. nicht nur seine Defizite/Probleme.

– hat interne sowie unbewusste Veränderungsprozesse als Hauptziel, äußere Verhaltensweisen, Anpassung und das Beibringen isolierter Fertigkeiten sind sekundär. Denn wenn das Kind motiviert ist, kann es diese meist ohne große Probleme lernen.

– sieht Gefühle und Emotionen als zentral für jeden Menschen und jedes Kind.

– legt den Fokus auf intrinsische Belohnung und Motivation als zentral für die zwischenmenschliche Entwicklung, beginnend mit Freude an Beziehungen.

Denn: Ein Mensch ist viel mehr als nur die Summe einzelner Teile/Fertigkeiten. Die Grundbausteine für alle Lernprozesse, einschließlich der Sprachentwicklung, bestehen aus der inneren Motivation des Kindes und den emotionalen Beziehungen mit anderen Menschen. Das Wesen des Menschen liegt in unseren Gefühlen, und emotionsgeladene Beziehungen sind unerlässlich für die menschliche Entwicklung. Deswegen ist Emotionalität ein zentrales Konzept von DIRFloortime, und freudige Emotionen, abgestimmt auf die individuellen Besonder-heiten des Kindes, stehen immer im Vordergrund.

Ziele von Floortime

– Der Glanz im Auge des Kindes: Emotionalität und Affekt mobilisieren.

– „Selber selber!“: Eigeninitiative fördern.

– Gemeinsam: Einen fortlaufenden Kommunikationsfluss in Gang halten.

– Dem Kind nicht nur beibringen, „Mama“ zu sagen, sondern ihm helfen zu verstehen, was „Mama“ wirklich bedeutet.

– Die Entwicklung vom sensorisch-motorischen zum symbolischen Denken fördern.

Der Führung des Kindes folgen und es gleichzeitig herausfordern

Indem wir den natürlichen emotionalen Interessen des Kindes folgen (ihm also die Führung überlassen), während wir es gleichzeitig unter Einsatz von Emotionalität und spielerischer Interaktion herausfordern, leiten wir das Kind an, in Beziehung zu treten und zunehmend Ge-brauch von seinen sozialen, emotionalen und intellektuellen Fähig-keiten zu machen. Der DIRFloortime-Ansatz zielt darauf ab, mittels positiver Emotionalität und interaktiven Spieleinheiten Beziehungen aufzubauen. Er gibt uns eine klare Richtschnur an die Hand, wann man die Orientierung verloren hat, weil sich das Kind rätselhaft verhält oder sich nicht wie erwartet weiterentwickelt.

„Floortime“ bezeichnet gemeinsame 1:1 Spieleinheiten mit dem Kind (oft, aber nicht unbedingt, auf dem Fußboden=floor) mit Beziehungs-aufbau als Ziel, indem der Erwachsene in seiner Interaktion einfühlsam auf das Kind eingeht. Hieraus ergeben sich täglich unzählige Möglich-keiten zu spielerischen Interaktionen miteinander, die dazu führen, dass „Floortime jederzeit und überall“ (Greenspan/Wieder 2009, 186) als eine zwischenmenschliche und pädagogische Lebenshaltung stattfinden kann.

Die Entwicklungsleiter der FEDLs

FEDL 1: Fokussierte und geteilte Aufmerksamkeit, Selbstregulierung, um mit Interesse an der Umwelt teilzunehmen.

FEDL 2: Sozial zugewandt und menschlich daran interessiert, sich liebevoll auf Beziehungen einzulassen.

FEDL 3: Initiiert gezielte gemeinsame emotionale Interaktionen mit Hilfe von Gebärden und nonverbaler Kommunikation. Nachahmen und So-tun-als-ob.

FEDL 4: Komplexes gemeinsames Problemlösen mit Hilfe von zusammenhängenden Interaktionsmustern. Erste Worte.

FEDL 5: Geteilte Bedeutungen und symbolisches Spiel anhand von Phantasie, So-tun-als-ob und Sprache über Hier und Jetzt.

FEDL 6: Brücken bauen zwischen Gedanken, Geschichten erzählen anhand von logisch-emotionalem Denken, auch über Ver-gangenes und Zukünftiges.

Die ersten drei Entwicklungsebenen sind präverbal und das Funda-ment für die Entwicklung von sinnvollem Sprechen, das als Resultat von gemeinsamem, komplexem Problemlösen auf FEDL 4 beginnt. Bis dahin besteht die Kommunikation des Kindes aus gestischen nichtverbalen körpersprachlichen Zeichen anhand von „Kommunikations-kreisen“, wie z. B. Blickrichtung, Stimme, Tonfall, Atmungsmuster, die Hand nach etwas ausstrecken und „äh äh!“ sagen, Art der Bewe-gung, hin- oder weglaufen, geistig an- oder abwesend sein, lächeln, sowie minutiösen Ab- oder Zugewandtseinsbewegungen.

Wenn wir darauf bestehen, einem Kind Worte beizubringen, bevor es auf FEDLs 1–3 solide genug ist für gemeinsames Problemlösen und die dafür notwendige Frustrationstoleranz hat, dann erzielen wir Echo-lalie und Scripting, d. h. ein mechanistisches roboterhaftes Nachsprechen, ohne dass das Kind wirklich versteht, worum es geht. Echolalie ist meist ein Zeichen dafür, dass das Kind sich überfordert und dysreguliert fühlt und nicht wirklich versteht, was es sagt oder was los ist.

„Dann ist Bruno so FEDL 2 – 3, aber noch nicht ganz, oder?“, meint seine Mutter. Ich höre das Erstaunen in ihrer Stimme und bin selber erstaunt über ihre schnelle Auffassungsgabe. Natürlich will sie jetzt wissen, wie sie die bestehenden „Entwicklungslöcher“ auffüllen kann. „Wohl nicht, indem ich mehr Buchstaben oder Lesen mit ihm übe, wahrscheinlich irgendwie mehr über Interaktion, oder?“, fährt sie nachdenklich fort.

Ich merke, dass sie ihr Kind inzwischen ganz anders wahrnimmt. Sie kann sehen, dass Bruno durchaus Kapazitäten hat, seine Aufmerk-samkeit zu fokussieren, z. B. um Buchstaben wiederzuerkennen, aber große Schwierigkeiten, sich zu regulieren (FEDL1). Damit hängt auch sein sehr eingeschränktes Interesse an Beziehungen und am Erfor-schen seiner Umwelt zusammen. Aber er hat solchen Spaß am interaktiven „Ich krieg dich“-Spiel (FEDL 2), dass es ihn motiviert, mit Hilfe von gestischer non-verbaler Kommunikation und sogar einem Wort („nochmal!“) mehr davon zu verlangen (FEDL 3). Wie mein geschätzter The-PLAY-Project-Kollege Rick Solomon (2016) so schön sagt: „Wie erkennt man, ob ein Kind FEDL 3 ist?“– „Wenn es einen nicht mehr in Ruhe lässt!“

Wenn wir Bruno helfen können, die „Entwicklungslöcher“ auf den ersten drei funktionalen emotionalen Entwicklungsebenen zu „stopfen“ und tragfähiger zu machen, dann sehen seine Chancen, gute Fort-schritte zu machen, gut aus. Vielleicht kann er sogar seine Entwicklungs-rückstände aufholen und sich in seinem allgemeinen Verhalten normalisieren, denn alle weiteren Entwicklungen bauen auf diesen ersten fundamentalen Stufen auf. Aber wie?

Gemeinsames Problemlösen: Jede Interaktion – eine gute Interaktion!

Könnten wir vielleicht Brunos geliebte Buchstaben in interaktive Spiele einbauen? Ich frage die Mutter: „Was würde passieren, wenn er Magnet-buchstaben hätte, aber nicht dran käme, weil sie in einem fest zugedrehten Schraubverschlussglas sind?“ – „Er würde meine Hand nehmen, damit ich den Deckel aufmache“, sagt die Mutter. Ja, wunderbar! Denn jetzt haben wir ein Problem, das sich nur interaktiv lösen lässt, vorausgesetzt, Interaktion und Kommunikation sind unser Fokus. Denn ob Bruno die Buchstaben sofort oder erst in einigen Minuten bekommt, ist doch egal, oder!?

Wenn wir einem Kind die Entwicklungsleiter hochhelfen wollen, dann sind Probleme unsere besten Freunde und Helfer! Ich würde jetzt mit großer übertriebener Anstrengung aber erfolglos versuchen, das Glas aufzumachen. „Oh nein! Die Buchstaben sind alle in diesem Glas! Und ich krieg den Deckel nicht auf!“ Wir können uns vorstellen, dass Bruno seine Mutter fassungslos ansieht (bisher hat sie ja immer alles sofort für ihn gemacht!), wenn sie ihm das Glas reicht – und dann seinerseits versuchen wird, es aufzumachen. Aber er schafft es nicht. „Oh je! Du kriegst es auch nicht auf? Was machen wir denn jetzt?“ Wenn wir jetzt nichts machen und erwartungsvoll warten, wird Bruno das Glas nehmen und es vielleicht schütteln. „Ja, das ist eine gute Idee! Darf ich auch mal schütteln? Vielleicht kriegen wir ja dadurch die Buchstaben raus!?“, würde seine Mutter vielleicht sagen. Und „Oh nein. Geht immer noch nicht! Puh! Wie blöd ist das denn!? … Oh, jetzt haust du mal drauf. Ja, es ist wirklich frustrierend. Darf ich auch mal draufhauen? (und somit verhindern, dass es kaputtgeht).“ „Vielleicht hilft ja draufhauen?!“ Wahrscheinlich aber nicht. Wenn wir dramatisch und spielerisch genug sind, dann hat ein Kind wie Bruno vielleicht inzwischen schon Spaß am gemeinsamen Quatschmachen gefunden. Und daran, seine Umwelt gemeinsam mit seiner Mutter und mit Hilfe seiner Hände zu erkunden, auf ihm bisher unvertraute Weise. Man könnte das Glas vielleicht noch auf den Kopf stellen („Oh, das klappert ja ganz schön! Aber der Deckel geht immer noch nicht auf.“) oder hin und her rollen („Achtung! Jetzt kommt das Glas zu dir gerollt! Bumm. Und jetzt zu mir! Auf die Plätze – fertig – los!“), die Buchstaben sprechen lassen: „Hey Bruno, ich bin das B! Ich will hier raus! Mach doch endlich mal auf!“ Oder was einem sonst noch im Sinne von „Thema und Variationen“ einfällt, um das letztendliche Aufmachen hinauszuzögern. Vorausgesetzt natürlich, es ist lustig und macht beiden Spielpartnern Spaß! Kurz bevor das Kind seine Frustrationsgrenze erreicht hat und ausrastet, schaffen wir es natürlich doch, das Glas aufzumachen und voller Erleichterung seine Buchstaben zu befreien! Denn es geht uns ja gerade nicht darum, dem Kind beizubringen, wie man ein Glas aufmacht! Je länger das Glas zubleibt, desto länger haben wir ein gemeinsames Problem und helfen so dem Kind, sozial zugewandt zu bleiben und seine Beziehungsfähigkeiten zu stärken.

Anhaltspunkte, um die Interaktion im Fluss zu halten

– Aufmerksamkeit und Emotionalität koregulieren, d. h. dem Interesse des Kindes folgen;

– emotionale Beteiligung aufrechterhalten, d. h. das Kind initiieren lassen;

– auf wechselseitige Interaktion achten, d. h. zusehen, dass das Kind so viel macht wie möglich, und der Erwachsene so wenig wie möglich und nur so viel wie unbedingt nötig macht.

Was soll der Quatsch!?

So fragt vielleicht der Leser. Oder die Mutter. Aber nicht Brunos Mutter. Die lacht und meint „Hm. Ist das, wie Floortime geht? Ja, solchen Quatsch macht Bruno schon auch. Aber ich hab ihn immer dafür geschimpft, weil ich dachte, ich muss ihm vor allem Sprechen beibringen und dass er sich anständig benehmen soll. Ob er wohl deswegen lieber alleine mit den Buchstaben spielt?“

Das Quatschmachen hat in der Tat eine wichtige Funktion, wenn es uns darum geht, ein zurückgezogenes oder nicht sozial zugewandtes Kind in freudige gemeinsame Interaktion zu locken. Wenn es dem Kind Spaß macht, dann brauchen wir nur anzuhalten … und erwartungsvoll zu warten, bis es uns ein Zeichen gibt, dass wir weitermachensollen. Indem wir auf spielerisch hinderliche Weise ein sichtbares Problem geschaffen haben (wir erinnern uns, dass Bruno sehr visuell orientiert ist), so dass ihm seine Buchstaben nicht direkt zugänglich sind, konnten wir eine perfekte Situation schaffen, um mit dem Kind auf FEDLs 1 – 4 zu arbeiten und gemeinsame Aufmerksamkeit, Inte-resse an der Umwelt, soziale Zugewandtheit und spontanes Initiieren von Seiten des Kindes sowie sogar seine Problemlösefähigkeiten zu fördern und zu konsolidieren. Was wir hier auf spielerische Weise mit dem Kind üben, ohne dass das Kind es als „Üben“ empfindet, ist ein länger andauerndes Hin und Her von Kommunikationskreisen, einschließlich Blickkontakt und gestischer non-verbaler Interaktion und zunehmender Frustrationstoleranz. Hierzu ist gemeinsames Quatsch-machen hervorragend geeignet!

„Wenn Sie und Ihr Kind Spaß miteinander haben, dann machen Sie etwas richtig! Spaß ist die Zauberformel für Erfolg mit dieser Methode. Wenn Kinder immer wieder positive Interaktionen mit ihren Eltern oder Betreuern erleben, dann werden sie mehr davon wollen! Und schon wird das Kind lieber mit Ihnen spielen als alleine mit seinem Lieblingsspielzeug.“ (Solomon 2016)

„Ja, ich verstehe. Es geht nicht darum, Bruno beizubringen ein Glas aufzumachen, sondern ihn aus seiner abgeschotteten Isolation heraus und in ein freudiges Miteinander zu locken“, sagt Brunos Mutter. „Ich kann dann dasselbe ja auch beim Anziehen machen oder mit anderen Dingen.“ Ja, z. B. die Hose auf den Kopf setzen oder die Strümpfe auf die Hände! Und versuchen, solche alltäglichen Interaktionen so lang wie möglich in die Länge zu ziehen, so dass das Kind so lange wie möglich sozial zugewandt und in einem freudigen emotionalen Kontakt bleibt. Natürlich braucht man dafür genügend Zeit und Muße. Also, nicht morgens vor dem Kindergarten, wenn alle im Stress sind. Es sei denn, man steht eine halbe Stunde früher auf und packt noch eine halbe Stunde hochwertiges Interaktionsspiel in die Morgenroutine mit ein. Denn je mehr, desto besser! Immerhin versuchen wir so etwas wie einen schwachen „Interaktionsmuskel“ zu stärken! So etwas passiert nicht automatisch und ohne sich anzustrengen und darum zu bemühen.

Wenn wir also auf kreative Weise Brunos Buchstabeninteresse mit unserem Interesse an gemeinsamer Interaktion verbinden, dann kann uns ein ziemlich langes Hin und Her von Kommunikationskreisen miteinander gelingen, in der das Kind reguliert und mit Interesse an der Welt versucht, in Beziehung mit einem anderen Menschen, also sozial zugewandt, sein Buchstabenproblem zu lösen. Das gemeinsame Problem ist unser Vehikel und hält uns zusammen, was es dem Kind ermöglicht, aus eigener Initiative immer länger im emotionalen Kon-takt mit einem anderen Menschen zu bleiben. Denn Probleme sind unsere Freunde! Sobald er die Buchstaben hat, ist Bruno wahrscheinlich wieder allein in seiner Welt. Und die Mutter auch.

Die folgenden Spieltechniken und interaktiven Strategien für alltägliche Spielsituationen, wie sie im obigen Beispiel vorkommen und sich in weiteren Kapiteln in diesem Buch finden lassen, sind besonders nützlich:

10 fundamentale Floortime-Techniken und -Strategien

1 Sich dem Kind zugesellen und es locken, dabeisein, neugierig sein und Sie ansehen zu wollen.

2 Der Intention, Führung, Aufmerksamkeit, den Interessen des Kindes folgen.

3 Spiegeln (Achtung: Spiegel stellen keine Fragen! Auch sprechende Spiegel spiegeln nur! Oder sie machen Feststellungen wie „Oh, du willst, dass ich das Glas aufmache.“ oder „Das nervt dich jetzt aber!“

4 Mehr Quatsch machen und sensorisch-motorischem Spiel den Vorrang geben (vor kognitivem, symbolischem oder verbalem Spiel).

– Rhythmus und Wiederholung,

– langsam machen, damit das Kind voraussagen kann, was als Nächstes kommt;

– aus nichts etwas machen, d. h. auf kreative Weise interaktiv sein;

– auf die non-verbalen Gesten und Intentionen des Kindes reagieren.

5 Ein Hin und Her von Kommunikationskreisen anstreben: „den Ball so lange wie möglich in der Luft halten“ wie bei Pingpong oder Tennis.

6Angeln nach interaktivem Spaß miteinander:

– darauf achten und dort anknüpfen, worauf das Kind achtet;

– Spannung und Überraschung;

– sich dumm stellen, spielerisch hinderlich sein.

7 Erwartungsvolles Warten, um Spannung aufzubauen und das Kind anfangen zu lassen, d. h. (viel) weniger selber machen!

8 Thema und Variationen: Was kann man sonst noch hiermit machen?

9 Auf gestische Sprache, Verständigung achten und zu den Ges-ten und non-verbalen Kommunikationen des Kindes sprechen.

10 Die gemeinsame Interaktion einfach halten, so dass es spielerisch bleibt und beiden Spaß macht (nicht nur dem Papa. Wenn es nur dem Papa, aber nicht dem Kind wirklich Spaß macht und gut tut, dann nennt man das „jemanden piesacken oder ärgern“. Und das ist nicht Floortime!)

Wer versteht, fühlt sich weniger hilflos

Wenn Eltern und Betreuer diese Zusammenhänge verstehen, dann werden sie sich weniger hilflos fühlen und das Kind sinnvoll in seiner Entwicklung unterstützen können. DIRFloortime-Ansätze, wie auch The-PLAY-Project von Rick Solomon, sehen Eltern bzw. die primären Bezugspersonen als die wichtigsten Partner in der Therapie eines Kindes. Denn Eltern kennen ihr Kind am besten und verbringen mehr Zeit mit ihrem Kind, als alle Therapeuten oder Erzieher zusammengenommen. Wenn Eltern auf eine solche spielerische Weise mit ihrem Kind umgehen, dann kann das Kind jeden Tag zu Hause unzählige therapeutische Interventionen bekommen, die auf die jeweiligen Entwicklungskapazitäten des Kindes zugeschnitten sind, um beste Fortschritte zu machen, insgesamt ca. zwei Stunden pro Tag in 6 – 8 kürzeren Einheiten von jeweils 15 – 20 Minuten. Diese Art von beziehungsorientierter spielerischer Intervention hilft dem Kind, die Hauptdefizite von Autismus, die in mangelnder sozialer Zugewandtheit bestehen, durchzuarbeiten.

Als ich Bruno ein paar Monate später kennenlernte, wollte er schon in der Tür wissen, was in meiner Tasche ist, meine Brille anprobieren (oder sie wenigstens haben), brachte mir das Schraubverschlussglas mit seinen Legomännchen drin und blieb 25 Minuten lang dabei, während wir gemeinsam allen möglichen Quatsch damit machten. Ohne es je aufzumachen. Der Inhalt war ihm nicht so wichtig wie das gemeinsame Spiel. Dann zog er mich in sein Zimmer, wo ich mich hinsetzen und mit ihm sein Lieblingsbuch ansehen sollte. Er ging der Welt ganz offensichtlich offener entgegen und war inzwischen meist sozial zugewandt. Seine Mutter hatte kürzlich einen Floortime-Einführungskurs gemacht. Allerdings ging er den Eltern zur Zeit mit seinem permanenten Gezerre auf die Nerven, so dass die Mutter kaum noch zu etwas kam, wenn er daheim war. Sie musste aber doch lachen, als ich ihr sagte, das sei ein Zeichen für großartige Fortschritte! Sie hatte ihn zweifellos bis auf FEDL 4 gebracht. Unser nächster Schritt war nun, ihm beim Übergang ins symbolische Spiel zu helfen, damit er endlich wieder alleine (!) oder nun auch mit anderen Kindern spielen könnte.

Wenn Eltern diese Zusammenhänge nicht verstehen, dann besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei den limitierten Interessen des Kindes, wie Buchstaben oder Zahlen nachsagen, steckenbleiben (oder bei ihren eigenen Ideen, wie Worte beibringen, obwohl das Kind erst auf FEDL 1 – 2 ist). Möglicherweise kaschieren sie seine beträchtlichen Regulationsprobleme, indem sie seinen lautstarken Forderungen nach dem iPad oder anderen elektronischen Bildschirmgeräten nachgeben, anstatt ihm zu helfen, tauglichere Wege zu finden, sich selber zu regulieren und sich als ein fähiger Kommunikationspartner zu erleben. Eine große Gefahr liegt heutzutage darin, dass der passive elektronische Bildschirmkonsum schon früh ein Suchtverhalten verstärkt, das in die diametral entgegengesetzte Richtung zum gesunden, zwischenmenschlichen, sozial zugewandten Interesse an Beziehungen mit ande- ren Menschen führt und die mental-emotionale Entwicklung der inneren Vorstellungswelt des Kindes unwiederbringlich schädigt.

3 Die Ursprünge kognitiver Entwicklung: Die Waldon-Methode

Und wie geht es mit Ali weiter? Ali (3,5 Jahre alt), der entweder auf dem Sofa hüpft, hin und herläuft, immer einen Kleiderbügel in der Hand, oder auf dem Boden liegt, hat offensichtlich große Schwierigkeiten, sich zu regulieren und seinen Körper aufrecht und ruhig zu halten, um mit Interesse an seiner Umwelt teilzunehmen. Seine Aufmerksamkeit ist hauptsächlich auf die sensorischen Körperempfindungen gerichtet, die er durch Hüpfen, Rennen und das Halten und Bewegen eines langen Gegenstandes erzeugt und die für ihn mit einem Gefühl von Sicherheit und emotionaler Stabilität verbunden sind.

Ein Kind kann lernen, wenn es seine Aufmerksamkeit fokussieren, mit Interesse an der Umwelt teilnehmen und sich auf etwas oder jemand anderen einlassen kann. Das kann Ali (bisher) nicht. Er kann seine Aufmerksamkeit nicht fokussieren und ist anderen Menschen gegenüber nicht sozial zugewandt. Ich stimme der Mutter zu, als sie sagt: „Ich glaube, er ist hauptsächlich auf FEDL1.“ Sie hat sich schon über Floortime informiert und einiges ausprobiert. „Vielleicht mache ich ja was falsch“, sagt sie. „Aber er reagiert meistens überhaupt nicht, oder dreht sich einfach weg.“ Wir sprechen über ihre Trauer über Alis mangelnde Zugewandtheit und ihre Verletztheit, weil sie sich dauernd von ihrem Kind abgewiesen fühlt. Ich schlage einige nützliche allgemeine Floortimestrategien vor, die sie im täglichen Leben mit Ali umsetzen kann: nicht immer sofort alle seine Bedürfnisse oder Forderun-gen befriedigen, bevor er sich dessen selber bewusst werden konnte, d. h. mehr erwartungsvolles Warten, Spiegeln, Rhythmus und Wieder-holung, spielerisch hinderlich sein, Thema und Variationen – und viel weniger reden und erklären.

Kinder, die passiv oder desinteressiert sind und nichts lustig finden

Wie hilft man Kindern, die vollkommen desinteressiert scheinen? Denen nichts Spaß macht, die nie zu irgendetwas Lust haben, die nichts witzig oder interessant finden? Die nur auf dem Boden oder Sofa herumliegen, mit den Händen wedeln oder hüpfen und hin- und herrennen wollen? Kindern wie Ali. Diese Kinder haben oft große Lücken auf den unteren FEDLs und mit motorischer Planung und sensorischer Integration. Sie haben wenig oder keine Ideen. Sie sind oft passiv und machen selten Probleme im Kindergarten oder zu Hause. Oft schon als Babys. Oder sie sind immer rastlos auf den Beinen und motorisch unterwegs.

Diese Kinder sind die größte Herausforderung für uns alle und für sich selber. Denn wenn wir uns nicht früh genug um ihren Mangel an Interesse und ihre eingeschränkten Bewegungserfahrungen kümmern oder ihre Bedürfnisse immer zu schnell befriedigen, lernen sie nichts Neues, bleiben passiv und entwickeln aus diesem Vakuum heraus oft problematische Verhaltensweisen und Gewohnheiten, die sich nur schwer ändern lassen. Mit solchen Kindern, und ihren Eltern, „mache ich Waldon“.

Denn nicht nur um das Kind zu fördern, sondern auch für die Eltern, und vor allem die Mutter, brauchen wir zusätzlich zu einer beziehungsorientierten Umgehensweise dringend weitere Techniken und Aktivitäten, um diese riesige tägliche Herausforderung mit einem solchen Kind zu bewältigen. Denn dem Kind jeden Tag erfolglos Worte oder bestimmte Spielaktivitäten beibringen zu wollen, ohne auch nur eine Reaktion, einen Blick oder ein Lächeln zu erhalten, ist auf Dauer unerträglich. Nicht nur das Kind, auch die Eltern und Betreuer brauchen etwas, das sie jeden Tag sinnvoll mit dem Kind tun können, das es in seiner Entwicklung gut abholt und woran sie sich festhalten können.

Entwicklungsverzögerte Kinder, die nicht spontan lernen und denen man nur schwer etwas Neues beibringen kann, werden im deutschsprachigen Raum oft in die Kategorie „geistige Behinderung“ eingeordnet. Gründe, Ursachen und Auswirkungen sind vielfältig und bei jedem Kind verschieden. Das hat übrigens nicht unbedingt etwas mit Intelligenz zu tun (was immer das genau ist), und die emotionale Intelligenz eines solchen Kindes kann häufig unbeeinträchtigt sein.

Verstehen verstehen

Einer, der sich aufmachte zu verstehen, woraus diese Lernunfähigkeit oder „geistige Behinderung“ eigentlich besteht, war ein englischer Kinderneurologe namens Geoffrey Waldon, und, ähnlich wie Green-span, auch in den 1980ern. Geoffrey Waldon kam zu der Erkenntnis: Was diesen Kindern fehlt, sind nicht Sprache, Worte, Buchstaben, Fakten oder Lerninhalte. Es geht nicht darum, ihnen etwas beizu- bringen. Oder zu erklären. Was diesen Kindern fehlt, ist Verstehen. Sie verstehen Verstehen nicht.

Für uns ist das kaum vorstellbar, denn wir halten Verstehen für selbstverständlich! Aber das ist ein Irrtum! Verstehen ist nicht automatisch oder angeboren. Und es kann nicht beigebracht werden! Jeder Mensch muss es selbst und anhand der eigenen Erfahrungen entwickeln. Wenn wir diesem Fehlglauben unterliegen und Kinder wie Ali und Bruno so behandeln, als hätten sie automatisch dieselben Fähig-keiten zu verstehen wie wir, dann brauchen wir uns über hierdurch hervorgerufene Verhaltensprobleme nicht zu wundern. Denn das Kind fühlt sich dann unverstanden. Siehe Bruno! Alis Betreuer beklagten sich z. B. bei der Mutter, dass Ali schrie und nicht kooperierte, wenn er sich zum Essen zu den anderen Kindern dazusetzen sollte, obwohl sie ihm vorher Bildkarten davon gezeigt hatten. Warum konnte er nicht einsehen, was sie ihm zeigten? Sie wussten nicht, dass Ali nicht auf diese Weise versteht! Erst als die Mutter ihn eine Woche lang jeden Tag einfach beim Abholen durch den Speiseraum führte, bevor sie nach Hause gingen, begann er zu verstehen und sich weniger vor dem Lärm zu fürchten und setzte sich am nächsten Montag von selber dazu.

Waldons Beobachtungen ergaben, dass es zwei verschiedene Arten von Verstehen gibt, die sich nacheinander entwickeln und aufeinander aufbauen: das primäre oder allgemeine Verstehen und das sekundäre oder kulturelle Verstehen.

Das primäre oder allgemeine Verstehen ist das allgemeingültige Verstehen davon, wie die Welt und unser Körper funktionieren, z. B. dass man einen Holzring auf einen Stab „fädeln“ kann, aber einen Holzklotz nicht. Es ist für alle Menschen und in allen Ländern und Kulturen gleich. Das allgemeine Verstehen kann nicht beigebracht werden, sondern wird vom Kleinkind in den ersten ein bis zwei Jahren durch das spielerische aktive Erkunden seiner Umwelt erworben, bevor es Regeln und „richtig und falsch“ gibt. Es bildet die Grundlage für alle weiteren Entwicklungen wie Sprache, innere Vorstellungen und phantasievolles Spiel. Genau hier sind die Kernprobleme von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung zu lokalisieren.

Das sekundäre oder kulturelle Verstehen baut auf den Erfahrungen des allgemeinen Verstehens auf. Es ist geformt von den spezifischen äußeren Bedingungen der Familie und ihrer Kultur und so verschieden wie all die verschiedenen Sprachen und Kulturen der Welt. Es bereitet das Kind darauf vor, in seine jeweilige Gesellschaft, in der es aufwächst, hineinzupassen. Es wird dem Kind von den Menschen in seiner Umgebung beigebracht, die es anleiten und ihm zeigen, „wie man etwas macht“ und wie man „es richtig macht“. Um seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, muss ein Kind die besonderen kulturellen Normen und Konventionen seiner Gesellschaft lernen, einschließlich Regeln, Sprache und Werte. Aber diese können sich nur auf einer soliden Grundlage im allgemeinen Verstehen entwickeln. Fehlt diese, dann hilft auch kein Beibringen und Erklären.

Die Entwicklung des allgemeinen Verstehens eines Kindes nimmt immer den gleichen Lauf, dessen Elemente miteinander verflochten sind und aufeinander aufbauen. Fehlen fundamentale Elemente in der aktiven Erfahrung eines Kindes in diesem Entwicklungsprozess, dann stagniert die gesamte weitere kognitive Entwicklung. Wie bei Kindern wie Ali. Wie also entsteht allgemeines Verstehen?

Verstehen entsteht durch bewusste Bewegung. Der menschliche Säugling wird vollkommen hilflos und ohne jegliche Fähigkeiten geboren außer dem inneren Trieb, sich zu bewegen und mit der Umwelt Kontakt aufzunehmen. Aus diesen frühen Bewegungserfahrungen bilden sich in den ersten zwei Jahren die Grundlagen für die mentale Ausrüstung, die er braucht, um weitere Erfahrungen zu sammeln, d. h. die zum Lernen notwendigen Fähigkeiten.

Die Fähigkeit sich zu bewegen ist unverzichtbar für alles Lernen. Denn um sich selbst und die Welt zu kennen und verstehen zu lernen, muss ein Kind

– sich viel bewegen, damit Körper und Glieder sich aufeinander abstimmen und integriert zusammenarbeiten können;

– ein offenes Interesse an der Welt haben,

– sich aktiv dem Erforschen seiner Umwelt zuwenden,

– unter vielfältiger Benutzung seiner Hände,

– mit allen seinen Sinnen (spüren, fühlen, sehen, hören, schmecken, riechen …).

Lernen durch Selbermachen (Learning by doing)

Der Prozess des „Lernen lernens“ eines jeden Kindes besteht aus drei aufeinander aufbauenden Phasen: einer Vorstufe und einer Konsolidie-rungsphase, gefolgt von den eigentlichen „Lernen-lernen“-Kapazi-täten. Der einzigartige Beitrag von Geoffrey Waldon (Hawkins 2019) besteht in seiner differenzierten Beschreibung der grundlegenden und obligatorischen Aspekte dieser Entwicklung, was uns dabei hilft, genauer sehen zu können, welche Elemente bei einem Kind wie Ali unge- nügend entwickelt sind, damit wir sie entsprechend fördern können:

Vorstufe von „Lernen lernen“: Bewegungen beherrschen und vielfältiger Gebrauch der Hände. Die grundlegenden Bewegungsfähigkeiten entwickeln sich im ersten Lebensjahr. Ohne diese Fähigkeiten kann ein Kind nicht Lernen lernen oder sich und die Welt verstehen lernen. Wir können sie ihm auch nicht beibringen, sondern sie müssen von dem Kind selber durch seine eigene sensorisch-motorische Erfahrung aktiv und unter zielgerichteter Anstrengung erworben werden. Wenn wir es dem Kind zu einfach machen, ihm zu viel helfen oder zu viel für es machen, behindern oder blockieren wir seine Entwicklung. Diese fundamentalen Bewegungsfähigkeiten sind das obligatorische Fundament für jedes Kind, um Lernen zu lernen, das sich aus den folgenden miteinander zusammenhängenden Elementen der frühesten Bewegungser-fahrungen eines Kindes zusammensetzt:

– Angestrengte zielgerichtete Bewegung (effortful movement): Wenn ein Baby oder kleines Kind wach ist, ist sein Körper von Geburt an immer aktiv und in Bewegung. Allen Lebewesen ist die Lust, sich zu bewegen, angeboren, und seine Bewegungen werden zunehmend absichtsvoll und gezielt. Je mehr sich das Kind anstrengt, desto mehr entdeckt es und lernt es. (Vor und nach der Geburt.)

– Körperliche Integration und die Bedeutung der eigenen Hände: Dadurch entwickelt das Kind ein wachsendes Bewusstsein von seinen Gliedmaßen als Teil seines Körpers. Es beginnt sie unabhängig voneinander zu bewegen, weiß, wo sie sich im Raum befinden und kann ihre Richtung und den Fokus der Bewegungen bestimmen. Es ist besonders interessiert an seinen Händen und seine Fähigkeit und sein Verlangen, Gegenstände zu greifen, zu halten und zu manipulieren, nimmt rapide zu. (3 – 4 Monate)