Das Mondscheincafé - Mai Mochizuki - E-Book

Das Mondscheincafé E-Book

Mai Mochizuki

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  • Herausgeber: dtv
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Dieses Café weist uns den Weg Ein Muss für Fans von John Strelecky (und Katzen): Das Mondscheincafé hat keinen festen Standort, taucht unvorhersehbar in Vollmondnächten in Kyoto auf – und wird von Katzen betrieben. Eine erfolgreiche Drehbuchautorin in der Krise, ein Fernsehregisseur mit gebrochenem Herzen und zwei Unternehmer mit beruflichen Schwierigkeiten finden sich in der Nacht plötzlich in einem halb träumenden Zustand dort wieder. Im Café erhalten sie neben süßen Köstlichkeiten lebensverändernde Ratschläge zu Liebe, Arbeit und Beziehungen von den charismatischen Katzen, die das astrologische Horoskop ihrer Gäste interpretieren. Basierend auf dem japanischen Mythos, dass Katzen den Menschen, von denen sie gut behandelt wurden, etwas zurückgeben möchten, verzaubert diese Geschichte Leser auf der ganzen Welt. Ein atemberaubender Sternenhimmel, süße Leckereien, sprechende Katzen und inspirierende Lebensweisheiten basierend auf den astrologischen Lebensphasen – das perfekte Buch zum Wegträumen! 

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Seitenzahl: 201

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Über das Buch

Mitten in einer Vollmondnacht kann es auftauchen – egal, ob in einem belebten Viertel oder an einem ruhigen Flussufer: das von sprechenden Katzen geführte Mondscheincafé. Hier können keine Bestellungen aufgegeben werden. Vielmehr erhalten die Gäste von den charismatischen Betreibern köstliche, eigens auf sie abgestimmte Dessertkreationen. Doch nicht nur das: Die Katzen interpretieren auch die individuellen Horoskope ihrer Besucher und zeigen, wie die Sterne den Weg weisen, wenn das Leben scheinbar unüberwindbare Schwierigkeiten bereithält.

Dieses Buch steckt voller inspirierender Lebensweisheiten und verzaubert Lesende auf der ganzen Welt.

Mai Mochizuki

Das Mondscheincafé

Aus dem Japanischen von Sabine Mangold und Yukiko Luginbühl

 

 

 

Als ich mit dem Gedanken spielte, ein Buch über Astrologie zu schreiben, stieß ich auf die Illustration eines geheimnisvollen Coffeeshops mit einem Katzenmeister, dem Mondscheincafé, und war sofort fasziniert davon. Das Mondscheincafé ist so schön und fantastisch, und dort eröffnet sich ein Blick auf die Welt, der sich wie der Nachthimmel ins Unendliche weitet. Ohne diese Illustration und die Begegnung mit ihrer Erschafferin, Chihiro Sakurada, wäre diese Geschichte nicht zustande gekommen. Ich spreche ihr hiermit meinen tief empfundenen Dank aus.

 

Mai Mochizuki

 

 

 

»Das Mondscheincafé hat keinen festen Standort.

Es kann an beliebigen Plätzen erscheinen, vielleicht in einem belebten Einkaufsviertel, an der Endstation einer Bahnlinie oder an einem ruhigen Flussufer.

In unserem Café nehmen wir keine Bestellungen von Gästen entgegen, sondern servieren Ihnen eigens für Sie kreierte Desserts, Speisen und Getränke.

Vielleicht ist es nur ein Traum …«

So sprach die große Schildpattkatze, die vor mir erschienen war, und kniff lächelnd die Augen zusammen.

Prolog

Es war Anfang April.

Eine frische Frühlingsbrise wehte durch das geöffnete Fenster und mit ihr drangen wundervolle Klänge eines Klavierspiels ins Zimmer. Elgars ›Salut d’Amour‹.

Zugleich, wie magisch davon angezogen, tauchte eine Katze auf dem Balkongeländer auf.

Das Halten von Haustieren war bei uns prinzipiell gestattet, vermutlich gehörte sie einem anderen Mieter.

Ich war gerade dabei, in der Küche Lauchzwiebeln zu schneiden, als ich sie entdeckte. Ich hielt inne, um sie näher zu betrachten.

Es war eine typische Schildpattkatze mit wunderschönem weiß-braun-schwarzem Fell.

Anmutig und mit beeindruckender Sicherheit balancierte sie auf dem schmalen Geländer. Ihre Eleganz war faszinierend. Mit dem blauen, wolkenlosen Himmel und den Kirschblüten im Hintergrund wirkte die Szene wie ein Gemälde.

Im Gegensatz dazu war es nicht gerade hohe Kochkunst, die ich hier leistete. Ich schnippelte bloß ein paar Frühlingszwiebeln, um sie über meine Instantnudelsuppe zu streuen. Zwar wollte ich sie mit gedünstetem Spinat, Sojasprossen und Karottenstreifen aufpeppen, aber insgesamt war das keine beeindruckende Mahlzeit, die ein schönes Bild abgegeben hätte.

Plötzlich blieb die Katze mitten auf dem Geländer stehen und schloss die Augen, als lauschte sie fasziniert den Klängen des Klaviers. Ihr langer Schwanz pendelte bedächtig hin und her.

Kapitel 1Das Trifle im Zeichen des Wassermanns

1»Das hat gut geschmeckt.«

Vor der geleerten Schüssel legte ich, Mizuki Serikawa, dankend die Hände vor der Brust zusammen. Ich hatte reichlich klein gehacktes Gemüse in die Instant-Suppe getan. Kein aufwendiges Essen, aber trotzdem sättigend und zufriedenstellend.

»So, jetzt aber wieder an die Arbeit!« Ich trug die Suppenschüssel in die Küche, spülte sie gleich ab und stellte sie in den Geschirrkorb. Mit einem Tuch wischte ich die Tischplatte, an der gerade mal eine Person Platz hatte, ordentlich sauber. In dem beengten Zimmer diente sie mir zugleich als Arbeitsfläche.

Anschließend goss ich mir Filterkaffee in den Becher, den ich neben dem Laptop abstellte, und setzte mich. Den Kaffee schlürfend, ging ich das Material durch.

»Was sollte der noch mal darstellen …?«

Das geöffnete Dokument enthielt eine Reihe Illustrationen, die einen umwerfend gutaussehenden jungen Mann abbildeten. Laut Skript sollte dieser »Sprössling aus einer vornehmen, wohlhabenden Familie« eine Eliteschule besuchen. Seine Haarfarbe war ein bunter Mix aus Gelb, Rot und Blau, was ihn allerdings überhaupt nicht vornehm wirken ließ. Aber es ging ja nur um ein Videospiel. Da spielten solche Kinkerlitzchen keine Rolle.

Ich bin Drehbuchautorin. Derzeit schreibe ich das Skript für ein Social Game. Für dessen Hauptdrehbuch bin ich allerdings nicht verantwortlich. Mein Entwurf ist für den Fall gedacht, dass der Spieler mit einer Nebenfigur vorliebnehmen muss, anstatt den Helden auf dem Weg mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad zu ergattern, gewissermaßen als ›Happy End‹. Meinen Part könnte man auch als ›Abstellgleis‹ bezeichnen, dementsprechend sollte das Szenario mittelmäßig ausfallen.

Eine interessante Story, die den Spieler zufriedenstellen würde, war hier also unerwünscht. Die Episode durfte auch nicht allzu lang sein, ein Text im Umfang von 30 KB würde voll ausreichen. Bestimmt können nur Autoren von Videospielen etwas damit anfangen, dass das Textvolumen nicht in der Anzahl von Seiten oder Wörtern bemessen wird, sondern nach Kilobytes.

Soll mit einem Kuss auf Stirn oder Wange enden, möglichst in Ufernähe.

»Also kein Lippenkuss, sondern Stirn oder Wange. Na schön. Schauplatz an einem Gewässer … Da die Spielfigur ein Stubenhocker ist, wäre ein Pool wohl besser als ein Meer oder Flussufer«, murmelte ich, während ich einen Blick auf das Material und meine Aufzeichnungen im aufgeschlagenen Notizbuch warf. Chaotische Stichpunkte in einer Sauklaue, die nur ich entziffern konnte. Der von mir verfasste Plot, eine Art Handlungsstrang.

Das Ziel war es, die Spieler dazu zu bringen, sich nicht mit dem Ausgang der Nebenstory zufriedenzugeben, sondern für ein Happy End mit dem Haupthelden weiterzuspielen. Deshalb mussten Dates entweder schiefgehen oder Liebesszenen dezent ausfallen.

Das war gar nicht so leicht zu bewerkstelligen.

Nachdem ich meine Notizen durchgesehen hatte, machte ich mich ans Schreiben. Das Klappern der Tastatur vermischte sich mit der dudelnden Hintergrundmusik aus meinem Laptop.

Die meisten Szenarien meiner Drehbücher sind ziemlich konventionell. Diese Art zu schreiben macht mir Spaß und ich beherrsche sie gut, lieber noch würde ich allerdings Liebesszenen mit komplexen Helden anstelle von Nebenfiguren entwerfen. Aber in meiner jetzigen Situation sollte ich mir derartige Flausen besser aus dem Kopf schlagen.

Meine Lippen verzogen sich zu einem selbstironischen Lächeln.

Früher hatte ich anspruchsvollere Projekte zu bewältigen. Ich schüttelte den Kopf und schrieb weiter.

30 KB variieren je nach Anzahl der Zeichen pro Seite, aber sie entsprechen ungefähr der Textmenge einer Kurzgeschichte. Nachdem ich etwa ein Drittel fertig hatte, bog ich meinen Rücken durch und streckte mich ausgiebig. Die Zeiger meiner Wanduhr standen auf drei Uhr nachmittags. Ich hatte also bloß zwei Stunden gearbeitet?

Erneut lächelte ich gequält bei dem Gedanken, dass meine Konzentrationsfähigkeit offenbar nach so kurzer Zeit dahin war. Vor zehn Jahren hatte ich mehr Durchhaltevermögen …

In diesem Moment vibrierte mein Smartphone auf dem Tisch und zeigte auf dem Display eine eingegangene E-Mail an. Ich nahm es in die Hand.

Lange nichts voneinander gehört, Serikawa-sensei. Ich habe überraschend in der Kansai-Region zu tun. Aktuell bin ich in Kyoto. Wollen wir uns sehen? Gruß Akari Nakayama

Akaris Name ließ mein Herz gleich höherschlagen. Sie war eine frühere Kollegin aus der TV-Produktionsfirma, für die ich tätig war. Inzwischen arbeitete sie als Regisseurin.

Letzten Monat hatte ich ihr wagemutig ein Exposé von mir geschickt. Sie war vermutlich beruflich hier, aber die Tatsache, dass sie sich extra bei mir meldete, hing vielleicht damit zusammen.

Au ja, sehr gern, schrieb ich erfreut zurück.

Prima. Dann treffen wir uns in der Lobby im Hotel, wo wir uns früher immer verabredet haben. Kannst du in einer Stunde da sein?, lautete ihre weitere Nachricht.

Das schaffe ich. Bis dann.

Ich klappte sofort meinen Laptop zu und schob die Tür zur kleinen Kammer auf, die ich als Kleiderschrank benutzte.

Ich war zunächst unschlüssig, was ich anziehen sollte, entschied mich dann aber für einen formellen Hosenanzug. Dann ging ich zum Waschbecken ins Bad, wo ich mein Make-up aufbewahrte, da ich keinen extra Schminktisch besaß. Ich öffnete die Puderdose und trug die Foundation mit einem Schwämmchen auf.

»Mann, das sieht ja völlig verschmiert aus!«

In letzter Zeit war ich außer zum Supermarkt so gut wie nie rausgegangen. Deshalb lief ich aus Bequemlichkeit immer nur ungeschminkt unter der Mund-Nasen-Maske herum. Meine Haut rebellierte nun offenbar gegen das ungewohnte Make-up, das im Nu rissig aussah.

Mein früheres Ich, das so viel Sorgfalt auf sein Aussehen verwendet hatte, würde sich totlachen, wenn es mich so sehen würde. Aber da half kein Jammern. Ich setzte die Prozedur fort, indem ich meine Augenbrauen nachzeichnete und Lippenstift auftrug. Dann zog ich mir eine leichte Strickjacke über, schnappte meine Handtasche, verließ das Apartment und steuerte den Bahnhof an.

Ich wohnte zwar direkt in der Stadt, aber mein Viertel entsprach nicht so ganz dem Image des traditionellen Kyoto, sondern war ein ganz gewöhnlicher Block mit Mietshäusern.

Als ich endlich in der Bahn saß, atmete ich erleichtert auf.

Bald darauf traf eine SMS von Akari ein.

Lobby ist voll, schrieb sie. Bin im Café unten im EG. Keine Eile, ich arbeite derweil.

Ich malte mir aus, wie sie vor dem aufgeklappten Laptop im Hotel-Café saß. Die Leute aus der Fernsehbranche konnten praktisch überall arbeiten. Früher hatte ich das auch getan: unterwegs an allen möglichen Plätzen Skripte verfasst. Aber neuerdings verkroch ich mich lieber in meiner Wohnung. Warum mein Geld für einen Kaffee unterwegs verplempern?

Ich ernährte mich überwiegend von Instant-Mahlzeiten, manchmal mit Gemüse verfeinert, um halbwegs gesund zu essen. Vielleicht war mein Hautzustand deshalb so erbärmlich.

Meine Miene verzog sich, als ich einen Blick auf mein Smartphone warf, um die Einschaltquoten und Rezensionen des aktuell ausgestrahlten Dramas zu checken.

Das niederschmetternde Ergebnis versetzte mir einen Stich. Besser nicht lesen. Ich schaute auf.

Es befanden sich einige Schulkinder im Abteil, offenbar auf dem Heimweg. Vom Alter her mochten es Zweit- oder Drittklässler sein. Statt der üblichen Ranzen trugen sie schicke Rucksäcke aus Leder. Demnach besuchten sie wahrscheinlich eine Privatschule. Sie fuhren ganz ohne Begleitung mit der Bahn. Ziemlich tough, dachte ich bewundernd. In dem Moment wurde ich angesprochen.

»Verzeihung, sind Sie nicht Frau Serikawa?«, flüsterte mir meine Sitznachbarin zu.

Ich schrak zusammen. Überrascht drehte ich mich zu ihr um. Auf den ersten Blick sah sie aus wie Mitte zwanzig. Sie wirkte zwar jung, aber ihre ruhige Ausstrahlung ließ sie reifer erscheinen. Ihr modebewusstes Outfit, die auf kurze Länge manikürten Fingernägel sowie das dezent aufgehellte Haar ließen vermuten, dass sie in der Beautybranche tätig war. Vielleicht eine Friseurin? Kannte sie mich etwa als ihre frühere Kundin?

»Oh, tut mir leid, dass ich Sie so überfalle. Ich war bei Ihnen in der Grundschule.«

Ach so. Sofort spürte ich, wie meine angespannten Schultern nachgaben. Eine frühere Schülerin, das war alles.

»Sie waren meine Lieblingslehrerin.«

Wirklich? Leicht irritiert zuckte ich mit den Achseln.

Damals wurde ich als Vertretung eingesetzt. Ich hatte also nur Kontakt zu den Schülern, wenn der Klassenlehrer fehlte. Es war schmeichelhaft zu hören, dass sie mich als Lehrerin mochte, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, so eng in Kontakt mit einer Klasse gewesen zu sein, dass ich dieses Lob verdiente.

»Sie waren auch meine Betreuerin nach Schulschluss«, fügte sie erklärend hinzu.

Es stimmte, ich hatte die Schüler oftmals auf ihrem Heimweg begleiten müssen. Es war eine Art Aushilfsjob, da die Klassenlehrerin wichtigere Aufgaben zu tun hatte. Für mich war es jedoch eine ziemlich lästige Angelegenheit. Die Kinder waren unberechenbar, sodass ich sie stets wachsam im Auge behalten musste. Sie dazu zu bringen, sich manierlich in Reih und Glied zu bewegen, war eine ziemliche Herausforderung gewesen. Ich musste schmunzeln, als ich mich daran erinnerte, wie ich die Kids mit Wortspielen und Schwatz versucht hatte, bei Laune zu halten.

Im weiteren Gesprächsverlauf stellte sich heraus, dass meine Vermutung gestimmt hatte: Sie war tatsächlich Friseurin. An der nächsten Station verabschiedete sie sich.

»Ich wollte Sie wirklich nicht belästigen«, entschuldigte sie sich erneut und stieg aus.

Ich erwiderte ihren Gruß mit einer Verbeugung. Eigentlich hätte ich mich wenigstens nach ihrem Namen erkundigen können, bedauerte ich.

Als ich mich gemütlich zurücklehnte, durchlief mich ein freudiger Schauer. Den Beruf der Grundschullehrerin fand ich eigentlich nach wie vor bewunderns- und erstrebenswert. Er verlangte einem zwar einiges ab, aber letztlich war es eine sehr erfüllende Tätigkeit. Wie gut, dass ich auf eine derartige Erfahrung zurückblicken konnte.

Wieso hatte ich mich stattdessen für das Schreiben von Drehbüchern entschieden? Bei diesem Gedanken fühlte ich mich gleich wieder niedergeschlagen. Anfangs hatte ich noch beide Tätigkeiten nebeneinander ausgeübt. Vertretungslehrer durften einen zweiten Job annehmen. Deshalb hatte ich damit begonnen, Skripte für TV-Sender zu schreiben. Als ich dann vor der Wahl stand, eine Vollzeitstelle im Schuldienst anzunehmen, entschied ich mich fürs Fernsehen.

Wie viele Jahre waren seitdem vergangen?

Meine kleinen Schüler von damals waren inzwischen selbst berufstätige Erwachsene und ich hatte bereits die vierzig überschritten. Jetzt lebte ich in ständiger Unruhe und Angst, was meine Zukunft betraf. Wäre ich dem Schuldienst treu geblieben und hätte weiterhin als Lehrerin gearbeitet, wäre bei allen Hürden, die der Beruf mit sich brachte, meine Existenz abgesichert gewesen.

Dann hätte ich mir all die schlaflosen Nächte, in denen ich mich sorgenvoll hin und her wälzte, ersparen können. Den Blick gesenkt, biss ich mir auf die Lippen.

 

 

 

2 Vom Bahnhof aus lief ich über die Sanjō-Brücke zum Hotel, wo ich mit Akari verabredet war. Es war eine geraume Weile her, dass ich mich im Zentrum von Kyoto aufgehalten hatte. Obwohl ich doch selbst vor nicht allzu langer Zeit in dieser Gegend eine Wohnung hatte, dachte ich zerknirscht.

Vor zwei Jahren lebte ich hier in einem Apartment, von dem aus ich weit über die Flussebene des Kamogawa blicken konnte. Eine geräumige Zweizimmerwohnung mit einem großen Balkon, auf dem ich morgens meinen Tee trank, bevor ich am Ufer spazieren ging.

Damals besuchte ich gern ein kleines Café in der Kiyamachi-dōri. Mir gefiel die Lage an dem kleinen Fluss namens Takasegawa, der dort parallel zu dem großen verläuft. Ich fragte mich, ob es den Laden noch gab.

Gedankenverloren trottete ich über die Sanjō-dōri nordwärts und dann die Oike-dōri Richtung Westen. Direkt neben dem Rathaus befand sich das Hotel, wo ich mich schon öfters zu Besprechungen mit Auftraggebern getroffen hatte.

Ich spürte, wie sich mein Puls beschleunigte, als ich durch die Lobby ging, um zum Café zu gelangen. Alle Tische waren besetzt. Unter den Gästen befanden sich auch viele ausländische Touristen. An einem der Fensterplätze entdeckte ich Akari Nakayama.

Die Kollegen aus der Produktionsabteilung kleideten sich in der Regel immer ziemlich leger. Akari hingegen bevorzugte stets ein strenges Business-Outfit, das offenbar ihre seriöse Haltung zum Ausdruck bringen sollte. Auch diesmal trug sie einen schwarzen Hosenanzug.

Ich hatte erwartet, dass sie vor ihrem Laptop saß, aber stattdessen hielt sie ein Tablet in den Händen.

»Hallo Akari. Tut mir leid, dass du warten musstest.«

Sie blickte sofort auf und erhob sich von ihrem Platz, um mich zu begrüßen.

»Aber nein, ich muss mich entschuldigen wegen des plötzlichen Überfalls. Danke, dass du so schnell kommen konntest.«

»Das ist doch nicht der Rede wert.«

»Du wohnst doch in der Nähe, oder?«

Ich lächelte verhalten und schüttelte den Kopf.

»Ich bin inzwischen weggezogen.«

»Ach herrje, das tut mir echt leid. Ich hatte extra diesen Ort vorgeschlagen, weil ich dachte, du hast es nicht weit.«

Abermals versicherte ich ihr, dass es mir keine Umstände gemacht hatte. Der bestellte Kaffee kam sofort und wir begannen, uns auszutauschen.

»Bist du heute erst hier angereist?«

»Ja, heute Abend treffe ich jemanden vom Fernsehteam.«

»Da fällt mir ein, was macht eigentlich unsere damalige Regisseurin?«

»Sie ist jetzt Produzentin.«

»Oh, was für ein Karrieresprung. Dann nimmst du nun ihren Posten ein, Akari?«

»Das mag dir jetzt seltsam vorkommen, oder? Schließlich hast du mich als absolute Anfängerin in der Branche kennengelernt.«

Ich wischte ihre Bemerkung mit einem Kopfschütteln beiseite. Seitdem sie in die Firma gekommen war, hatte sie ihre Arbeit immer gewissenhaft und ehrgeizig erledigt. Sie war der kompromisslose Typ, streng mit sich selbst und anderen. Mir war von Anfang an klar, dass sie Karriere machen würde. Es war schließlich auch ihre geradlinige Art, die mich dazu bewogen hatte, ihr letzten Monat eine E-Mail zu schreiben. Bei anderen wäre mir das nicht in den Sinn gekommen.

Ich schluckte schwer. Während unserer belanglosen Plauderei traute ich mich nicht, mit der Frage herauszurücken, die mir auf der Seele brannte. In meiner letzten E-Mail hatte ich ihr im Anhang einen Entwurf geschickt.

Was hältst du von meinem Skript?

Die Frage lag mir auf der Zunge, aber ich schob sie erst mal auf. Es gab nämlich noch etwas Wichtigeres, was ich loswerden musste.

»Akari, ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich dir damals solche Unannehmlichkeiten bereitet habe.«

Ich senkte verschämt den Blick, worauf sie nachsichtig lächelnd den Kopf schüttelte.

»Ich kann sehr gut nachvollziehen, was du damals durchgemacht haben musst, Mizuki. Du warst immer viel scharfsinniger und bewusster als die meisten Menschen, was sich dann auch in deiner Arbeit widergespiegelt hat. Als man dich dafür kritisiert hat, war es sicher nicht leicht für dich, von deinem Talent weiterhin Gebrauch zu machen.«

Sie trank einen Schluck Kaffee. Ich verneigte mich abermals, ohne etwas darauf zu erwidern.

»Du hast wirklich großartige Arbeit geleistet.«

Sie blinzelte, als würde sie etwas blenden.

Das waren doch alles alte Geschichten.

Noch am Anfang des Studiums hatte ich mein Debüt als Drehbuchautorin im Alter von zwanzig Jahren gegeben und damit sogar den Preis für das beste Drama in einem Wettbewerb gewonnen, der von einem großen Fernsehsender organisiert worden war. Danach versuchte ich regelmäßig, Drehbücher zu schreiben, aber es brachte nie genug Geld ein, um über die Runden zu kommen. Nach dem Uni-Abschluss wurde ich schließlich Grundschullehrerin, der Beruf, von dem ich immer geträumt hatte. Die Arbeit als Drehbuchautorin fühlte sich wie ein Nebenjob an, ein Überbleibsel aus meiner Studienzeit.

Aber dann landete eines meiner früheren Skripte überraschend einen Riesenhit.

Das Drama lief zu einer Sendezeit am späten Abend mit weitgehend unbekannten Schauspielern, sodass ich gar nicht begriff, wie mir geschah, als ich dafür über den grünen Klee gelobt wurde.

Aber es führte dazu, dass ich zunehmend mit größeren Projekten betraut wurde. Noch in meinen Zwanzigern wurde ich als Hit-Autorin gehypt und bekam den Auftrag, das Drehbuch für ein Prime-Time-Drama zu liefern. Bei all dem Erfolg beschloss ich bald, meine Lehrerlaufbahn aufzugeben und mich ganz dem Schreiben zu widmen.

Doch dann mit Mitte dreißig erlebte ich einen Karriereknick. Plötzlich schienen meine bewährten Ideen keinen Anklang mehr zu finden. Die Einschaltquoten sanken in den Keller.

Der entscheidende Wendepunkt ereignete sich, als ich das Drehbuch für ein Drama mit einer hochkarätigen Besetzung übernahm, von dem jeder annahm, dass es ein Riesending werden würde.

Es wurde zwar zur besten Sendezeit ausgestrahlt, aber die Einschaltquote kam nicht über eine einstellige Zahl hinaus. Ich musste als Sündenbock für die Pleite herhalten.

Zunächst war man bereit, mir eine weitere Chance einzuräumen. Da mein Name immer noch als Zugpferd galt, erhielt ich weitere Aufträge.

Aber auch das nächste und das übernächste Projekt wurden ein Flop. Man prügelte immer heftiger auf mich ein. Schließlich ersetzte mich nicht etwa ein routinierter Regisseur, sondern eine absolute Anfängerin in der Branche: Akari Nakayama.

Kurz darauf schmiss ich alles hin. Die ständige Kritik und der Druck der Öffentlichkeit setzten mir so heftig zu, dass ich den Job als Drehbuchautorin an den Nagel hängte. Obwohl sich noch viele, um mich besorgte Leute bemühten, zu mir Kontakt aufzunehmen, zog ich mich zurück und blieb von der Bildfläche verschwunden.

Inzwischen musste Akari Nakayama für mich einspringen, womit ich ihr viel Arbeit aufgehalst hatte. Und dennoch war sie am Ende die Einzige, die den Kontakt zu mir aufrechterhielt.

Doch irgendwann blieben auch ihre Anrufe aus und ehe ich mich’s versah, war ich arbeitslos. Meine Ersparnisse aus Zeiten der Erfolgssträhne waren schnell aufgebraucht und ich konnte meinen damaligen Lebensstil kaum mehr aufrechterhalten. Ich musste aus meiner schicken Wohnung ausziehen und mir stattdessen eine preiswertere Bleibe suchen. So kam ich zu meinem jetzigen Einzimmerapartment. Außerdem war ich gezwungen, meine teuren Möbel zu verkaufen.

Inzwischen hatte ich angefangen, unter dem Pseudonym »SERIKA« Drehbücher zu verfassen. Ich bewarb mich auf die Anzeige eines Online-Game-Anbieters und bekam den Job. Damit konnte ich mich einigermaßen über Wasser halten. Meine Arbeit blieb anonym, und so hatte ich nichts vorzuweisen, was zu interessanteren Aufträgen geführt hätte. Andererseits fand ich es abschreckend, unter meinem richtigen Namen Derartiges zu produzieren.

»Deine Arbeiten gefallen mir sehr. Wie ›Der Weg zum Gipfel‹ oder ›Klassenzimmer des Lichts‹, wo die Helden sich in der Hierarchie von ganz unten nach oben kämpfen – das berührt mich zutiefst. Es gibt mir das Gefühl, dass man etwas erreichen kann, wenn man sich nur richtig anstrengt.«

Ihr aufrichtiges Lob beschämte mich. Verlegen schlug ich die Augen nieder.

Trotz unterschiedlicher Handlungen und Schauplätze haben meine Drehbücher eines gemeinsam. Im Mittelpunkt steht stets eine Figur, die sich anfangs in einer schwierigen, unfairen Situation befindet, sich dann aber gegen alle Widrigkeiten durchkämpft und am Ende die verdiente Belohnung erhält. Mit anderen Worten, eine Erfolgsgeschichte.

»Deshalb habe ich dein Manuskript mit Spannung gelesen«, sagte Akari.

Mein Puls fing an zu rasen. Ich spürte, wie meine Hände vor Aufregung und Bangen zitterten. Ängstlich hob ich den Blick.

»Aber – es tut mir leid. Ich habe es beim Meeting als Projekt vorgeschlagen, doch es wurde abgelehnt.«

Sichtlich bekümmert senkte sie den Kopf.

»Aber nein, das ist doch nicht so schlimm. Es freut mich, dass du es überhaupt vorgelegt hast.«

Energisch schüttelte ich den Kopf und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.

Sie war so eingespannt bei ihrer Arbeit, dass ich allenfalls gehofft hatte, sie würde sich mein Manuskript mal durchlesen. Aber dass sie es sogar beim Meeting präsentiert hatte, überstieg meine Erwartungen bei Weitem. Ich war regelrecht baff darüber, es machte mich glücklich, aber zugleich empfand ich es als Blamage, dass ich in dieser Branche auf keinen grünen Zweig kam.

»Na schön, das war’s dann wohl. Trotzdem danke ich dir sehr.«

Lächelnd überspielte ich meine Betroffenheit und verneigte mich vor ihr.

Sie lächelte zurück und antwortete bedauernd mit einer knappen Verbeugung: »Es tut mir echt leid, dass ich nicht mehr für dich tun konnte.«

Aber nicht doch, wehrte ich kopfschüttelnd ab.

»So, jetzt muss ich langsam aufbrechen, zu meiner nächsten Verabredung.«

»Oh, ja, natürlich. Entschuldigung, dass ich dich aufgehalten habe.«

»Dann mach’s gut, auf Wiedersehen«, verabschiedete sie sich und verließ das Café.

Nachdem Akari gegangen war, blieb ich unentschlossen sitzen und starrte gedankenverloren aus dem Fenster.

Schmollend stellte ich mir die Frage, weshalb sie mich überhaupt hierher bestellt hatte – nur um mir diese harte Absage mitzuteilen.

Andererseits war sie davon ausgegangen, dass ich noch in der Gegend wohnte. Sie hatte also extra einen Umweg gemacht, um mir die unangenehme Nachricht persönlich mitzuteilen, was sie viel bequemer auch per E-Mail hätte tun können. Ein Gefühl der Dankbarkeit wallte stattdessen in mir hoch.

Ich sollte besser endgültig die Finger vom Drehbuch-schreiben lassen. Vielleicht war es eine göttliche Fügung, ein Zeichen des Himmels …

Die Zeit war längst reif, nicht länger an meinen einstigen Erfolgen festzuhalten und der Fernsehbranche endgültig den Rücken zu kehren. Das schien die Botschaft zu sein. Ich hob die Tasse mit dem inzwischen kalt gewordenen Kaffee an und seufzte.

»Hey, ich habe die Unterhaltung eben zwangsläufig mitbekommen, es war nicht zu überhören. Bist du nicht die Drehbuchautorin Mizuki Serikawa?«

Jemand am Nachbartisch sprach mich an. Es war eine männliche Stimme. Erschreckt schaute ich auf.

Lässiger Tonfall, dachte ich, nur sein äußeres Erscheinungsbild war ziemlich ungewöhnlich. Ein schlaksiger Typ, er mochte so um die zwanzig sein. Seine Aufmachung war nicht übermäßig stylish, aber auffällig schrill. Das Haar war an den Spitzen blondiert und am Ansatz blaugefärbt. Offenbar trug er farbige Kontaktlinsen, denn seine Augen leuchteten in einem wunderschönen Smaragdgrün. Vermutlich sollte die Brille mit der roten Fassung diesen Effekt noch unterstreichen.

Das Smartphone in der Hand, grinste er mich an und entblößte dabei seine beeindruckend schiefen Eckzähne.

»Oh … hm … ja.«

Ich nickte unbeholfen, völlig verdattert, dass jemand in seinem Alter meinen Namen kannte.

»Deine Geschichten sind cool.«

Seine Augen blitzten verschmitzt hinter den Brillengläsern. Trotz seiner frechen Art machten seine Worte Eindruck auf mich.

»Aber ich muss zugeben, in letzter Zeit haben sie etwas an Reiz verloren.«

Ich zuckte zusammen. Damit hatte ich nun nicht gerechnet.

»Wie bitte?«

Ich war so perplex, dass mir spontan keine angemessenere Entgegnung einfiel.

»Die Zeiten ändern sich nun mal. Da muss man stets up to date bleiben, sonst ist man sofort weg vom Fenster. Das gilt besonders für die TV-Branche. Die Sendungen werden schließlich für ein Massenpublikum produziert. Wer fürs Fernsehen arbeitet, sollte also immer trendy und auf dem neusten Stand sein, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.«

Er hob belehrend den Zeigefinger, während er mich vollquasselte.