Im Schatten des Schwertes - Julie Kagawa - E-Book

Im Schatten des Schwertes E-Book

Julie Kagawa

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Beschreibung

Das Fuchsmädchen Yumeko hat eine gefährliche Mission: Sie muss eine hochgeheime Pergamentrolle in Sicherheit bringen. Gerät das Schriftstück in die falschen Hände, könnte ein einziger böser Wunsch das ganze Reich für immer in die Finsternis stürzen. In dem wortkargen Samurai Tatsumi hat sie einen starken Begleiter gefunden, der ihr Freund und Vertrauter wurde – und sogar ein wenig mehr. Doch Yumeko hat auch einen unberechenbaren Feind: den Dämon Hakaimono, der Jahrhunderte lang in das Samuraischwert Tatsumis gebannt war. Jetzt ist Hakaimono frei und hat sich Tatsumis Körpers und Geistes bemächtigt. Der Dämon setzt alles daran, Yumeko die Rolle zu entreißen. Wenn sie ihr Ziel erreichen will, darf sie vor nichts zurückschrecken. Selbst dann, wenn Tatsumi dabei umkommen sollte …

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Seitenzahl: 690

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JULIE KAGAWA

IM SCHATTEN DES SCHWERTES

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Beate Brammertz

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel Soul of the Sword

bei Harlequin Teen, Ontario

Copyright © 2019 by Julie Kagawa

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung eines Motivs von © Shutterstock.com

(CARACOLLA, Dimec, Ori Artiste, umiberry, Viktorija Reuta);

Design © HQ 2019

Karte © Andreas Hancock

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN: 978-3-641-23647-2V001

Das Buch

Die Welt brannte lichterloh. Egal, wohin ich sah, züngelten Flammen, die das Land zerstörten und sich in alle Richtungen fraßen. Ich roch Asche und Rauch. »Das ist der Zustand des Kaiserreichs«, sagte der weiße Fuchs hinter mir, bewegungslos auf einem schneebedeckten Felsen thronend, »wenn du Hakaimono nicht aufhalten kannst.«

Das Fuchsmädchen Yumeko hat einen neuen Feind: den Dämon Hakai­mono, den bislang ein mächtiger Zauber in Tatsumis Schwert bannte. Doch nun ist er frei. Sollte es ihm gelingen, die Pergamentrolle mit der geheimen Prophezeiung in seinen Besitz zu bringen, ist der Untergang des Reiches Iwagoto besiegelt. Yumeko muss ihn daran hindern. Aber der Dämon tritt ihr in der Gestalt Tatsumis entgegen. Der Samurai bedeutet Yumeko mehr, als sie je zugeben würde. Kann sie ihre Waffe gegen ihn richten?

Die Autorin

Schon in ihrer Kindheit gehörte Julie Kagawas große Leidenschaft dem Schreiben. Nach Stationen als Buchhändlerin und Hundetrainerin machte sie ihr Interesse zum Beruf. Mit ihren Fantasy-Serien »Plötzlich Fee« und »Plötzlich Prinz« wurde sie rasch zur internationalen Bestsellerautorin. Mit ihrer neuesten Serie erfüllt sich Julie Kagawa nun ihren Traum: die Mythen Japans in einer großen Fantasy-Saga lebendig werden zu lassen. Julie ­Kagawa lebt mit ihrem Mann in Louisville, Kentucky.

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Für Sensei Misa, für all ihre Hilfe.

Und für Tashya, für alles andere.

Teil 1

1

GEBURTEINES GOTTESTÖTERS

Vor eintausend Jahren

Seine Kehle war rau von all den Gebeten, die er in den Wind schrie.

Der Sturm wütete um ihn, hämmerte auf die Klippen ein und peitschte die Gischt gegen die Felswände. Die Nacht war pechschwarz, seine durchnässte Kleidung eiskalt und über dem Heulen des Windes und Tosen der See konnte er sich selbst kaum hören. Dennoch psalmodierte er weiter, die Schriftrolle fest in seinen zitternden Händen umklammert und mit einer Laterne zu seinen Füßen, die wild flackerte. Seine Sicht verschwamm vor salzigem Sprühnebel und Tränen, doch seine Stimme blieb fest, während er jede Strophe des zerknitterten Pergaments in die Dunkelheit brüllte, als wollte er die Götter selbst herausfordern.

Nachdem er das letzte Gebet gerufen, der Wind es ihm von den Lippen gerissen und hinaus über das Meer geschleudert hatte, sank er erschöpft auf dem Stein in die Knie. Keuchend neigte er den Kopf, die Arme fielen ihm matt an den Seiten herab, die geöffnete Schriftrolle flatterte wild in seinem Griff.

Einige verzweifelte, hämmernde Herzschläge lang kniete er da, allein. Der Sturm heulte um ihn, stach und krallte sich mit schäumenden Krallen an ihm fest. Seine Wunden, zugezogen im Kampf gegen die Horde an Dämonen, um diesen Ort zu erreichen, pochten. Blut sickerte seine Brust und die Arme hinab, tropfte auf die Schriftrolle, färbte das Pergament rosa.

Weiter draußen im Meer rührte sich der Ozean. Wellen wogten und türmten sich bauschend auf, und die Wasseroberfläche begann sich zu erheben, als bewegte sich etwas Riesiges knapp darunter.

Mit einer Explosion aus weißer Gischt und dem Heulen eines Gottes tauchte eine gewaltige dunkle Gestalt aus den Tiefen auf und entrollte ihren Körper in die Nacht. Blitze zuckten, erhellten die großen Hörner, Fangzähne und schimmernden Schuppen von der Farbe der Gezeiten. Eine sich kräuselnde Mähne bedeckte seinen Rücken und zwei Schnurrhaare, lang wie ein Schiff, krümmten und flatterten im Wind, als der Große Drache sich in den Himmel streckte, hinein in die Wolken und wieder hinaus. Ein Augenpaar wie glühende Monde spähte auf die winzige Gestalt tief unten hinab, und eine perfekte, schimmernde Perle leuchtete wie ein Stern in der Mitte seiner Stirn. Mit dem Grollen eines nahenden Tsunami sprach der kami.

»Wer ruft mich herbei?«

Die Kiefer fest aufeinandergepresst reckte der Mann den Kopf. Sein Herz bebte in dem Wissen, dass er eine Gottheit, den Herold des Wandels, nicht so dreist anstarren durfte, aber die Verzweiflung und der allesverzehrende Hass tief in seiner Seele überdeckten jedes andere Gefühl. Er schluckte den Schmerz hinunter, seine Kehle rau vom vielen Schreien, und erhob die Stimme.

»Ich bin Kage Hirotaka, Sohn von Kage Shigetomo, und ich bin der Sterbliche, der die Macht des Drachengebets heraufbeschwört.« Seine dünne, krächzende Stimme verklang im Wind, doch das rie­sige Geschöpf neigte den Kopf und lauschte. Der unmenschliche Blick des Drachen, in dem die Weisheit der Ewigkeit lag, traf den des Kage und mit einem Mal überkam ihn das Gefühl, als fiele er in einen tiefen Abgrund.

Der Krieger stützte die Hände auf dem Boden vor ihm ab, verneigte sich und berührte mit der Stirn den rauen Stein, während er die Augen des Drachen auf seinem Rücken spürte. »Großer Kami«, flüsterte er, »als Träger der Schriftrolle bitte ich Euch in dieser Nacht, im tausendsten Jahr, nachdem Kage Hanako das Drachengebet ge­­sprochen hat, in aller Demut, mir meinen größten Herzenswunsch zu erfüllen.«

»Abermals ruft mich ein Kage herbei.« Die tiefe, donnernde Stimme klang weder amüsiert noch überrascht. »Abermals spielt der Schattenclan mit der Dunkelheit und hält das Schicksal des gesamten Königreichs in seinen Händen. So sei es.« Blitze zuckten, und laut tosende Donnerschläge brachten die Wolken zum Erzittern, doch die Stimme des Großen Drachen erhob sich über allem. »Kage Hirotaka, Sohn von Kage Shigetomo, Träger der Drachenrolle, was ist dein Begehr? Welche Bitte soll dir gewährt werden?«

»Rache.«

Das Wort war kaum zu hören, aber der Wind schien sich jäh zu legen, als es ausgesprochen war. »Meine Familie wurde von einem Dämon umgebracht«, fuhr er fort und setzte sich langsam auf. »Er hat jeden abgeschlachtet. Meine Männer und Dienstboten lagen niedergemetzelt im ganzen Haus. Meine Frau … meine Kinder … er ließ nicht einmal etwas zurück, das ich hätte beerdigen können.« Er schloss die Augen, zitterte vor Kummer und Zorn. »Ich konnte sie nicht retten«, flüsterte er. »Ich war zu einem Massaker nach Hause gekommen.«

Der gleichgültige Beobachter, der in den Wolken wartete, erwiderte nichts. Die Hand des Kriegers glitt zum Schwert an seinem Gürtel, und seine Finger krallten sich um die Scheide. »Ich will nicht, dass er stirbt«, keuchte er, seine Stimme erstickt vor Hass. »Nicht durch einen einfachen Wunsch. Ich will das Monster eigenhändig umbringen, mein Schwert in sein schwarzes Herz rammen, um meinen Clan, meine Familie, meine Frau zu rächen.« Seine Stimme bebte, und die Fingerknöchel seiner Hände, die sein Schwert umklam­merten, verfärbten sich weiß. »Doch nach seinem Tod soll er nicht ins Jigoku zurückkehren. Ich will, dass er hier gefangen ist, in diesem Reich. Damit er Schmerz und Wut und Hilflosigkeit erfährt. Damit er versteht, dass es kein Erbarmen und keinen Weg zurück zu dem Dämon gibt, der er einmal gewesen ist.« Der Krieger fletschte die Zähne. »Ich will, dass er leidet. Bis in alle Ewigkeit. Das ist mein Begehr.«

Über ihm spähte der Große Kami durch den Sturm hinab, Blitze spiegelten sich in seinen blau-schwarzen Schuppen. »Einmal ausgesprochen«, knurrte er, seine Stimme ausdruckslos wie zuvor, »kann er nicht rückgängig gemacht werden.« Der Drache neigte den Kopf, und seine endlos langen Schnurrhaare kräuselten sich im Wind. »Bist du sicher, dass dies dein Herzenswunsch ist, Sterblicher?«

»Ja.«

Donner grollte, der Wind flaute auf und peitschte kreischend gegen den Krieger und den Felsen. Der Drache schien im Sturm zu verblassen, bis nur noch seine Augen und der funkelnde Edelstein in der Dunkelheit leuchteten. Dann verschwanden auch sie in der Finsternis, während die Wolken immer schneller und schneller wirbelten, bis sie einem riesigen Strudel am Himmel glichen.

Ein blendender Streifen Weiß sauste von oben herab und schlug genau in der Mitte des Felsens ein, wenige Meter von der Stelle entfernt, wo der Krieger kniete. Der Samurai zuckte zusammen und bedeckte schützend das Gesicht, als Steinsplitter in alle Richtungen stoben und ihm ins Fleisch schnitten. Nachdem das grelle Licht verloschen war, spähte er hoch und blinzelte schmerzhaft, während Blut und Wasser ihm in die Augen rannen. Einen Moment lang konnte er nichts als einen dünnen, hellen Schimmer vor der Dunkelheit ausmachen. Dann weiteten sich seine Augen, und er starrte ehrfurchtsvoll zu dem Gegenstand, den der Blitz zurückgelassen hatte.

Ein Schwert ragte aus einem rauchenden Krater, die Spitze war in den Stein gerammt, seine Klinge ein Glühen in der Dunkelheit. Eine fast hungrige Macht pulsierte in dem Schwert, als wäre es am Leben.

Die schmerzenden Wunden vergessen, erhob sich der Kage-Samu­rai und ging auf wackeligen Beinen zu der Waffe, die sanft in der schwarzen Nacht glühte, gespeist von ihrem eigenen inneren Licht.

»Es ist vollbracht.« In der dröhnenden Aussage lag die Endgültigkeit des Todes, des Schwertes, das einem Menschen das Leben aus dem Körper reißen würde. Obwohl der mächtige schlangenförmige Drache abermals fast zur Legende verblasst war, peitschte seine Stimme durch den Sturm. »Höret, der Wunsch dieser Ära ist geäußert worden und der Wind des Wandels hat seine Richtung gedreht. Kein weiterer Sterblicher möge für tausend Jahre die Macht der Schrift­rolle anrufen. Falls dieses Königreich denn überlebt, was nun kommen wird.«

»Wartet! Großer Kami, wie soll ich es nennen?« Der Krieger streckte sich und berührte das Schwertheft, wobei ihm ein Zittern den Arm hinauflief. »Hat es einen Namen?«

Der Samurai spürte, dass der Drache wie ein Aal, der durch ein Netz schlüpft, aus dieser Welt glitt und in sein Königreich tief unter den Wellen zurückkehrte. Ein letztes Donnergrollen hallte draußen auf dem Meer, und im Echo des Windes hörte er die letzten Worte des kami.

»Kamigoroshi.«

Kage Hirotaka stand allein auf der trostlosen, steinernen Plattform, während Böen und Gischt um ihn peitschten. Ein wildes Lächeln grub sich in sein Gesicht. Kamigoroshi.

Gottestöter.

2

DER DÄMONDER KAGE

Yumeko

Stille senkte sich, nachdem Meister Jiro seine Erzählung beendet hatte.

»Dieser Dämon«, sagte ich, als der Priester nach einer Holzpfeife griff, die neben der Feuerstelle lag. »Der Hirotakas Familie getötet hat. War das …«

Meister Jiro nickte und steckte sich das Ende der Pfeife in den Mund. »Hakaimono.«

Ich schauderte, und um das Lagerfeuer herum blickte der Rest unserer Gruppe ernst drein. Wir hatten unser Lager neben einem glucksenden Bach aufgeschlagen, umgeben von struppigen Kiefern und hoch aufragenden Mammutbäumen und in der Luft hing der Geruch nach Baumsäften und einem Hauch Frost. Wir befanden uns immer noch ganz in der Nähe des Gebirges, der Grenze zum Gebiet des Himmelsclans. Der Sommer neigte sich seinem Ende zu, und die Tage wurden kühl, während der Herbst allmählich die Oberhand gewann.

Okame saß mit dem Rücken gegen einen moosbewachsenen Mammutbaum gelehnt da und starrte in die Schatten, einen Fuß auf einer Wurzel. Der Schein des Feuers glitt über ihn, betonte seine magere, schlaksige Gestalt, das rötlich braune, zu einem Pferdeschwanz zurückgebundene Haar und das schmale Gesicht, mit un­gewöhnlich grimmigem Ausdruck. Der ansonsten fröhliche, unverblümte Ronin war still, als er mit dunklen Augen über das Flussbett spähte.

»Kamigoroshi ist demnach durch den Drachenwunsch zum Leben erweckt worden«, sagte Taiyo Daisuke nachdenklich. Der Adlige des Sonnenclans saß im Schneidersitz vor einem umgefallenen Baumstamm, sein Gesicht eine Maske stoischer Gelassenheit. Auf der anderen Seite des Feuers warf Reika ihm einen entnervten Blick zu. Die Arme des Adligen waren bandagiert, und blutige Stoffstreifen blitzten unter seinem Gewand hervor, eine Erinnerung an unseren letzten schrecklichen Kampf. Er sollte überhaupt nicht auf den Beinen sein, hatte Reika ihn früher am Abend gescholten. Er müsste liegen, sich ausruhen, bevor die Wunden aufgingen, die sie nachts zuvor sorgfältig zugenäht hatte. Doch Daisuke hatte darauf bestanden, dass es ihm gut ging. Selbst mit seinem einst wunderschönen Kimono, der nun zerrissen und schmutzig war, seiner blassen Haut und den langen, silbrig weißen Haaren, die ihm strähnig den Rücken herabhingen, strahlte er Selbstvertrauen und Eleganz aus.

»Ja«, bestätigte Meister Jiro. »Weil Hirotaka sich an dem Oni rächen wollte, der seine Familie und die Frau, die er liebte, getötet hatte. Und nach einer Möglichkeit trachtete, den Dämon nicht nur zu vernichten, sondern ihn leiden zu lassen, damit er am eigenen Leib Schmerz und Zorn und Hilflosigkeit erlebte. Sein Wunsch wurde ihm gewährt. Nicht lang, nachdem Kage Hirotaka den Drachen herbeigerufen hatte, stand er Hakaimono auf dem Schlachtfeld gegenüber, und nach einem schrecklichen Kampf, der fast ein ganzes Dorf ausgelöscht hat, gelang es ihm, den Dämon zu erschlagen. Doch anstatt den Oni zurück ins Jigoku zu schicken, bannte Kamigoroshi die Seele des Dämons in der Klinge, wo sie bis in alle Ewigkeit gefangen sein sollte.

Unglücklicherweise«, fuhr Meister Jiro fort, »war das der Anfang des Untergangs der Kage. Der Dämon trieb Hirotaka in den Wahnsinn. Er ergriff nicht Besitz von ihm … vielleicht war sein Einfluss noch zu schwach oder er wusste nicht, wie ihm ein solcher Kunstgriff gelingen sollte. Aber im Lauf der Zeit brach er Hirotakas Entschlossenheit und nutzte seine schwelende Wut und seinen Kummer aus, um ihn zu überwältigen. Und dann, eines Nachts, verlor Hirotaka schließlich die Kontrolle über sich und veränderte das Schicksal der Kage für immer.«

Daisuke verlagerte das Gewicht und blickte nachdenklich drein, als sich seine Miene erhellte. »Das Massaker auf Burg Hakumei«, sagte er mit einem Blick auf den Priester. »Der gebrochene Vertrag zwischen den Hino und den Kage.«

»Ein Gelehrter der Geschichte.« Meister Jiro nickte anerkennend. »Ja, Taiyo-san, Ihr habt recht. Im darauffolgenden Frühling fand ein Treffen der Anführer des Feuerclans und Schattenclans statt, um eine Heirat zwischen den beiden Familien zu besprechen. Die Rivalität zwischen den Hino und den Kage war ins Unermessliche erwachsen und ein Krieg drohte, sollte keine Einigung erzielt werden. Der Vertrag kam nie zustande. In einem Raum voller unbewaffneter Diplomaten und Höflinge, während draußen ein Taifun heulte, tauchte Kage Hirotaka auf und schlachtete jedes Mitglied des Feuerclans ab. Kein einziger Hino überlebte jene Nacht.«

»Das war der Beginn des zweiten Großen Krieges«, sagte Daisuke. »Nach dem Massaker in Hakumei gelobten die Hino, die Kage vollständig auszulöschen, und sie konnten den Erdclan und den Windclan für ihre Sache gewinnen. Die Kage wandten sich hilfesuchend an den Wasser-, Himmel- und Mondclan, und der daraus resultierende Krieg währte fast zweihundert Jahre.«

»Und hätte in seinem Zuge fast die Kage vernichtet.« Meister Jiro nickte wieder. »Weil ein einziger Mann sich mit Hass im Herzen etwas von der Drachenrolle gewünscht und ahnungslos einen Dämon in seine Seele eingelassen hatte.

Das ist die Geschichte von Kamigoroshi und dem Drachengebet.« Meister Jiro blies einen langen Rauchkringel aus, der sich über meinem Kopf in der Brise verflüchtigte. »Jetzt kennt ihr alle die Entstehungsgeschichte des Schwerts und wie der Drachenwunsch, so gut gemeint er anfangs auch gewesen sein mag, dem gesamten Königreich Elend und Kummer brachte.«

»Das ist der Grund, weshalb die Drachenrolle in einzelne Stücke zerlegt wurde«, fügte Reika hinzu. Die Schreinmaid saß ebenfalls auf dem Boden, im Schneidersitz, die bauschigen weißen Ärmel ihrer Haori an die Brust gedrückt. Chu und Ko, zwei kleine Hunde, bei denen es sich in Wirklichkeit um Komainu, Hüter des Schreins, handelte, lagen zusammengerollt in ihrem Schoß und schlummerten auf ihrer roten Hakama-Hose. »Niemand kennt die genauen Einzelheiten, aber angeblich kam damals, während der Krieg noch in vollem Gange war, ein Rat aus kami, Yokai und einer Abordnung aus Mönchen zusammen, um gemeinsam zu beratschlagen, was mit dem Drachengebet geschehen sollte. Sie beschlossen, die Schriftrolle in Stücke zu schneiden und diese in ganz Iwagoto zu verstecken, damit so etwas wie der letzte Wunsch nie wieder geschehen konnte.« Reikas Lippen wurden schmal. »Es war die richtige Entscheidung. Die Schriftrolle besitzt viel zu viel Macht, um sie einer einzigen Person anzuvertrauen. Seht euch nur das Chaos und die Verwüstung an, die sie bereits in dieser Ära angerichtet hat, und der Drache ist noch nicht einmal gerufen worden.«

Auf der anderen Seite des Feuers schnaubte Okame. »Wenn die Drachenrolle so gefährlich ist, warum zerstören wir sie dann nicht?«, fragte er mit einem Achselzucken. »Hört sich für mich nach der einfachsten Lösung an. Werft das Ding jetzt sofort ins Feuer und Schluss ist.«

»So einfach ist das leider nicht«, sagte Reika. »Und es ist schon versucht worden. Aber das Drachengebet ist ein heiliges Artefakt, eine Gabe – oder ein Fluch, wenn man will – vom Herold des Wandels höchstpersönlich. Genau wie Kamigoroshi wird es irgendwo auf der Welt wieder auftauchen. Immer an einem Ort, wo es nicht nur entdeckt wird, sondern bei einer Person, die den Drachen herbeirufen und einen Wunsch aussprechen wird.« Die Augen der Miko verengten sich. »Die Schriftrolle will gefunden werden, Okame-san. Das ist der Grund, weshalb sie so gefährlich ist. Würden wir sie jetzt zerstören, könnte sie in den Händen genau der Menschen landen, vor der wir sie verstecken wollen.«

Okame grunzte. »Und deshalb traue ich Magie nicht über den Weg«, murmelte er und lehnte sich zurück gegen den Baum. »Leb­lose Gegenstände wie Schwerter und Schriftrollen sollten nicht den Wunsch haben, gefunden zu werden. Sie sollten überhaupt nichts wollen. Wie ärgerlich wäre es, wenn meine Sandalen auf einmal die Entscheidung träfen, dass sie mich nicht länger tragen wollen und in den Wald davonlaufen?« Er richtete seine scharfsinnigen schwarzen Augen auf mich. »Komm ja nicht auf dumme Gedanken, Yu­­meko-­chan.«

Bei der Vorstellung musste ich kichern, wurde aber schlagartig wieder ernst. »Was ist mit Hirotaka geschehen?«, fragte ich und sah Meister Jiro an. »Hat er jemals die Kontrolle über Hakaimono wiedererlangt?«

Der Priester schüttelte den Kopf. »Kage Hirotaka wurde fest­genommen und von seinem eigenen Clan hingerichtet, lange vor Kriegsende«, erwiderte er. »Bis dahin war er schon viel zu weit gegangen, und seine Verbrechen wogen zu schwer, als dass Hoffnung auf Wiedergutmachung bestanden hätte. Kamigoroshi oder die Verfluchte Klinge der Kage, wie ihr späterer Name lautete, wurde sicher weggeschlossen und verschwand sechs Jahrhunderte lang aus der Geschichte. Doch solche Artefakte des Bösen können nicht ewiglich verborgen bleiben. Vor vierhundert Jahren tauchte es zeitgleich zum Erstarken von Genno auf, dem Meister der Dämonen, als Hakai­mono aus dem Schwert entkam und Besitz von seinem Träger ergriff. Es ist unklar, ob Genno hinter der Befreiung des Dämons steckte oder ob Hakaimono das Chaos einfach ausnutzte, das der Aufstand mit sich brachte, aber Kamigoroshi schlug erneut einen blutigen Pfad durch die Geschichte, bis der Blutmagier und seine Rebellion niedergeworfen wurden.

Nach Gennos Tod«, fuhr Meister Jiro fort, »zerstreute seine Armee aus Dämonen und Yokai sich in alle Winde, das Land stürzte in schreckliche Anarchie. Kamigoroshi verschwand erneut für eine ge­­wisse Zeit, doch dann erschien der erste Dämonenjäger der Kage auf der Bildfläche, der imstande war, die Verfluchte Klinge zu schwingen, ohne Hakaimono sofort zum Opfer zu fallen.« Er schüttelte den Kopf, stieß eine weiße Rauchwolke aus. »Wie der Schattenclan seine Dämonenjäger trainiert, um ihre Seelen gegen den Einfluss des Dämons zu schützen, ist nicht bekannt, aber die Kage bewegten sich schon immer am äußersten Rand der Dunkelheit. Und jetzt sind sie dem Schwert abermals zum Opfer gefallen. Hakaimono wurde freigelassen und das Land wird erst wieder sicher sein, wenn Kage ­Tatsumi tot und der Dämon in die Klinge zurückgekehrt ist.«

Ich richtete mich jäh auf, mir krampfte sich der Magen zusammen, während ich den Priester über das Feuer hinweg anstarrte. »Tot?«, wiederholte ich, und er begegnete meinem Blick. »Aber … was ist mit Tatsumi-san? Ich weiß, dass er gegen den Dämon an­­kämpft. Gibt es keinen Weg, ihn zu retten, ihn zurückzuholen?«

Mir war übel, als würde ein Mühlstein auf meine Gedärme drücken. Ich war dem eiskalten, emotionslosen Dämonenjäger begegnet, als eine Horde Dämonen, angeführt vom schrecklichen Oni Yaburama, mein Zuhause, den Tempel der Stillen Winde, angegriffen hatte und ich zur Flucht gezwungen gewesen war, während sie dort jeden niedermetzelten. Ich hatte Tatsumi überredet, mich in die Hauptstadt zu begleiten, um Meister Jiro zu finden, den einzigen Menschen, der wusste, wo der verborgene Tempel der Stählernen Feder lag, denn dort war ein Teil des Pergaments versteckt, nach dem alle suchten.

Die Drachenrolle. Das Artefakt, mit dem der Große Kami in die Welt gerufen werden konnte, um dem Träger seinen Herzenswunsch zu erfüllen. Der Gegenstand, den so viele verzweifelt in ihren Besitz bringen wollten, für den sie über Leichen gingen. Einschließlich Tatsumi. Seine Daimyo hatte ihn geschickt, damit er die Schriftrolle stahl, und er hätte vor nichts haltgemacht, um sie an sich zu reißen.

Als wir uns zufällig trafen, hatte ich dem Dämonenjäger eine klitze­­kleine Notlüge aufgetischt: Ich erklärte ihm, ich hätte die Schriftrolle nicht, könnte ihn jedoch zu dem Ort bringen, zu dem ein Teil der Schriftrolle geschickt worden war – dem Tempel der Stählernen Feder. Was Tatsumi nicht wusste, war, dass ich dieses Stück des Drachengebets selbst besaß, versteckt in dem Furoshiki, das um meine Schultern geschlungen war. Und vielleicht war das schrecklich hinterlistig von mir, aber hätte Tatsumi gewusst, dass ich im Besitz eines Fragments der Schriftrolle war, hätte er mich getötet und es zu seiner Daimyo gebracht. Doch ich hatte Meister Isao versprochen, das Drachengebet um jeden Preis zu beschützen. Es war mein größtes Geheimnis, nun ja … abgesehen davon, dass ich eine Halb-Kitsune war.

Aber Kage Tatsumi hatte seine eigenen Geheimnisse. Das größte war Hakaimono, der Oni-Geist, der in seinem Schwert hauste und immerzu gegen ihn ankämpfte, um die Kontrolle über ihn zu ge­­winnen. Während des Kampfes mit Yaburama hatte der Oni in der Klinge den Dämonenjäger schließlich überwältigt, und Kage ­Tatsumi war nicht mehr der ruhige, grüblerische Krieger, den ich im Lauf unserer Reise kennengelernt hatte. Verschwunden war der Junge, der furchtlos und pragmatisch war, dem jegliches Selbstempfinden fehlte, weil sein Leben allein darauf abzielte, dem Clan zu dienen. Der gefühlskalt und unfreundlich und reserviert war, bis man hinter seine Fassade blickte und erkannte, dass es seine Pflicht als Träger von Kamigoroshi war, sich unter allen Umständen von Menschen fernzuhalten. Dieses Wissen, dass er niemals die Beherrschung verlieren durfte, denn andernfalls würde ein Dämon Besitz von ihm ergreifen.

Und nun war es passiert. Kage Tatsumi war von dem schrecklichen und abgrundtief bösen Hakaimono besessen, und ich hatte keinen Schimmer, wie wir ihn retten könnten.

»Es muss einen anderen Weg geben«, beharrte ich. »Ein Ritual, ein Exorzismus. Ihr seid doch Priester! Könnt Ihr Hakaimono nicht austreiben und dafür sorgen, dass er Tatsumi-san in Ruhe lässt?«

Meister Jiro schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Yumeko-chan«, sagte er. »Wäre er ein gewöhnlicher Dämon, ein Yurei oder selbst der Geist eines Tanuki, dann wäre es möglich. Aber Hakaimono ist kein normaler Dämon. Er ist einer der vier großen Generäle des Jigoku, einer der mächtigsten Oni, die jemals auf Erden wandelten. Könnte es bewerkstelligt werden, den Schwertträger zu befreien, hätten die Kage längst einen Weg gefunden, es zu tun, und ich bin nur ein einzelner Priester.« Mit der runzligen Hand vollführte er eine kleine, hoffnungslose Geste. »In der Vergangenheit bedurfte es Heerscharen von Männern, um Hakaimono zu besiegen, und er hat dennoch eine Spur aus Tod und blinder Zerstörung hinterlassen, bevor seinem Amoklauf ein Ende gesetzt werden konnte.«

»Der Dämonenjäger ist nicht unsere Sache«, sagte Reika mit fester Stimme. »Wir müssen deinen Teil der Schriftrolle zum Tempel der Stählernen Feder bringen. Soll der Clan von Kage-san sich doch damit herumschlagen, was aus ihm geworden ist.« Bei meinem entsetzten Gesichtsausdruck wurden ihre Augen weich, auch wenn ihre Stimme hart blieb. »Es tut mir leid, Yumeko-chan. Ich weiß, du und Kage-san habt euch auf eurer gemeinsamen Reise angefreundet, aber wir können keine Zeit vergeuden, einen Oni-Lord zu jagen. Das Beschützen des Drachengebets ist weitaus wichtiger.« Mit einem Finger pikste sie in mein Furoshiki. »Alles, womit wir es jetzt zu tun haben – Hakaimono, Kamigoroshi, die Dämonen, die Bluthexe, der besessene Dämonenjäger –, haben wir allein diesem verfluchten Stück Papier zu verdanken. Weil die Menschheit zur Genüge bewiesen hat, dass man ihr ein Artefakt mit solch einer endgültigen, weltverändernden Macht nicht anvertrauen darf. Wir müssen die Schriftrolle im Tempel der Stählernen Feder abliefern und sicherstellen, dass der Drache in diesem Zeitalter nicht mehr herbeigerufen werden kann. Das ist das Einzige, was zählt.«

»Moment mal!« Okame setzte sich mit einem Stirnrunzeln auf. »Ich gebe zu, der Dämonenjäger kann gelegentlich ganz schön Furcht einflößend sein und er hat bei der einen oder anderen Gelegenheit gedroht, mich zu töten, und er besitzt die Persönlichkeit eines herablassenden, steinharten …« Reika starrte ihn an, und er übersprang seine Aufzählung. »Aber das bedeutet nicht, dass wir einfach jemanden im Stich lassen, der an unserer Seite gegen eine Bluthexe und eine Dämonenarmee gekämpft hat. Woher wissen wir, dass er nicht gerettet werden kann?«

»Wie lautet dein Vorschlag, Ronin?«, fauchte Reika. »Hakaimono durchs ganze Kaiserreich zu verfolgen? Wir wissen nicht einmal, wohin er gegangen ist, und dort draußen lauern immer noch Leute, die nach der Drachenrolle suchen. Selbst wenn wir ihn finden, was dann? Sollen wir einen Exorzismus versuchen? Kein Sterblicher ist jemals stark genug gewesen, um Hakaimono zu vertreiben, sobald er einmal die Kontrolle übernommen hat.«

»Oh, ich verstehe«, erwiderte Okame patzig. »Deine Lösung ist also, den unglaublich mächtigen Oni-Lord zu ignorieren und zu hoffen, dass sich ein anderer um ihn kümmert.«

»Nein, Okame-san. Reika … Reika hat recht.« Meine Stimme klang erstickt, meine Augen verschwammen vor Tränen. Es kam mir vor, als wäre ein Spiegel in mir zerborsten und die Scheiben schlitzten mich innerlich auf. Ich schluckte schwer und fuhr fort, obwohl ich jedes Wort hasste. »Die Schriftrolle zum Tempel zu bringen … ist wichtiger«, flüsterte ich. »Das Drachengebet wurde mir anvertraut, und jeder im Tempel hat sein Leben gelassen, um es zu beschützen. Ich muss beenden, was ich begonnen, was ich Meister Isao versprochen habe.

Aber«, erklärte ich in die düstere Stille, die sich über uns senkte, »es bedeutet nicht, dass ich Tatsumi im Stich lasse. Wenn unsere Mission erfüllt ist, sobald wir den Tempel der Stählernen Feder erreicht und den Priestern die Schriftrolle ausgehändigt haben, werde ich mich auf die Suche nach Hakaimono begeben und ihn zurück ins Schwert zwingen.«

»Nani?« Die Schreinmaid klang ungläubig. »Allein? Du bist Hakaimono in keinerlei Hinsicht gewachsen, Yumeko-chan.«

»Das weiß ich«, sagte ich und zitterte, während ich mich an Hakaimonos entsetzliche Gestalt erinnerte, die sich bedrohlich über mir aufgebaut hatte. Ich hatte in seine purpurnen Augen geblickt und keine Spur von Tatsumi in ihnen gesehen. »Aber Tatsumi ist stark«, fügte ich rasch hinzu, als die Schreinmaid mich stirnrunzelnd ansah. »Er kämpft schon fast sein ganzes Leben gegen den Dämon an. Ich werde ihn nicht Hakaimono überlassen. Ich muss versuchen, ihn zu retten.«

»Vergib mir, Yumeko-san«, erklang Taiyo Daisukes Stimme. »Da gibt es einen Punkt, den ich noch nicht ganz verstehe.« Er verlagerte das Gewicht, und sein scharfsinniger, intelligenter Blick bohrte sich in meinen. »Du bist eine Kitsune«, sagte er und obwohl ich in seiner Stimme keinen bösartigen Unterton heraushörte, rammte es mir einen kalten Speer in den Magen. »Warum bedeutet dir der Dämonenjäger so viel?«

Ich schluckte. Während des Kampfes gegen Satomis Dämonen war meine wahre Natur zum Vorschein gekommen und hatte jedem mein Halb-Yokaiblut offenbart. Reika hatte es längst gewusst, doch für Okame und Daisuke war es ein Schock gewesen, als ich plötzlich mit Fuchsohren und Schwanz aufgetaucht war. In Anbetracht des Umstands, dass meine vollblütigen Verwandten notorische Lügner und Störenfriede waren, und Yokai von den meisten Menschen mit Argwohn betrachtet wurden, hatten die beiden die Enthüllung überraschend gut aufgenommen. Dennoch war ich eine Kitsune; während sie womöglich akzeptierten, dass ich keine Bedrohung dar­stellte, war ich dennoch eine Yokai, ein Geschöpf, das sie nicht verstanden. Ich machte dem Adligen keinen Vorwurf, dass er meine Beweggründe anzweifelte. Wahrscheinlich müsste ich mich doppelt anstrengen, um ihnen zu beweisen, dass ich immer noch die Yumeko war, die sie bisher gekannt hatten, trotz des Fuchsschwanzes.

»Tatsumi hat mir das Leben gerettet«, sagte ich zu Daisuke. »Wir haben uns beide ein Versprechen gegeben. Du verstehst das nicht, du hast Hakaimono nicht gehört …« Meine Stimme brach bei der Erinnerung an die höhnischen Sticheleien des Dämons, sein sadistisches Vergnügen, als er mir erklärte, dass Tatsumi alles sehen und hören konnte, was gerade geschah. »Er leidet«, flüsterte ich. »Ich kann nicht zulassen, dass Hakaimono gewinnt. Nachdem ich die Schriftrolle in den Tempel gebracht habe, spüre ich Tatsumi und den Ersten Oni auf. Keiner von euch muss mitkommen«, fügte ich rasch hinzu, den Blick in die Flammen gerichtet. »Ich weiß, dass Tatsumi zu retten nie Teil des Plans war. Sobald wir den Tempel erreicht haben und das Drachengebet in Sicherheit ist, können wir getrennte Wege gehen, wenn das euer Wunsch ist.«

Auf der anderen Seite des Lagerfeuers stieß Okame einen langen Seufzer aus und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Hm, das wird nicht funktionieren«, erklärte er. »Wenn du dich fröhlich auf die Jagd nach dem Dämonenjäger machst, Yumeko-san, sollst du jetzt schon wissen, dass ich dich begleite. Ich mag den Kerl nicht sonderlich, aber er ist geschickt darin, Wesen den Garaus zu machen, die uns den Kopf abreißen und auffressen wollen.« Er zuckte mit den Schultern und warf mir ein ironisches Grinsen zu. »Außerdem, wenn er nicht hier ist, wen soll ich dann ärgern? Taiyo-san hat einfach nicht denselben Ich-werde-dich-töten-Blick drauf.«

Ich lächelte, und ein warmes Gefühl der Erleichterung erfüllte mich. »Arigatou, Okame-san.«

Daisukes runzelte die Stirn, während er das Schwert in seinem Schoß anstarrte. »Es war mir nicht möglich, Kage-san zu beschützen, als er gegen Yaburama gekämpft hat«, sagte er und berührte die lackierte Schwertscheide mit den Fingern. »Ich habe geschworen, ihn am Leben zu halten, um mich mit dem Träger von Kamigoroshi zu duellieren, sobald Yumeko-sans Mission erfüllt ist. Ich bin gescheitert und falls Kage Tatsumi stirbt, wird auch unser Zweikampf nie stattfinden.« Seine Augen verengten sich, dann spähte er zu mir hoch. »Meine Klinge gehört dir, Yumeko-san. Ich werde mein früheres Versagen wettmachen, und sobald der Dämon zurück ins Schwert getrieben wurde, ist Kage-san frei und kann das versprochene Duell gegen mich beenden.«

»Baka.« Reika schnaubte verächtlich und die beiden Hunde in ihrem Schoß reckten die Köpfe. »Jeder Einzelne von euch. Ihr redet davon, den Dämonenjäger zu retten, als wäre es ein Kinderspiel, einem Oni-Lord entgegenzutreten. Erinnert ihr euch an Yaburama? Oder habt ihr schon vergessen, wie er uns alle fast getötet hat? Hakaimono ist viel schlimmer. Aber noch wichtiger als das …« Sie ­funkelte mich an, ihre dunklen Augen leuchteten. »Selbst wenn es euch gelingen sollte, Hakaimono zu finden, ohne in dem Moment, in dem er euch bemerkt, in Stücke gerissen zu werden, wie um alles in der Welt willst du deinen Dämonenjäger dann retten, Kitsune? Bist du eine Priesterin? Kannst du einen Exorzismus ausführen? Ist deine spirituelle Magie stark genug, um Hakaimono nicht nur auszutreiben, sondern ihn auch noch lang genug zu bannen, um den Exorzismus gänzlich zu vollziehen? Denn wenn nicht, wenn du ihn nicht kon­trollieren kannst, wird er dich abschlachten, noch bevor du ihm nah genug kommst, um irgendetwas zu tun. Hast du dir über irgendeinen dieser Punkte Gedanken gemacht?« Ihre Augen verengten sich, und sie warf mir einen düsteren Blick zu. »Weißt du überhaupt, was es erfordert, einen Dämon auszutreiben? Oder glaubst du etwa, deine Kitsune-Tricks und billigen Illusionen funktionieren bei einem Oni, so alt wie Hakaimono?«

Bei der verbalen Attacke und der Wut, die von der Miko aus­gingen, legte ich die Ohren flach an. »Warum schreist du mich an, Reika-san?«, fragte ich. »Ich werde mich erst auf die Suche nach Tatsumi begeben, nachdem ich die Schriftrolle im Tempel der Stählernen Feder abgeliefert habe. Das ist doch, was du willst, oder?«

»Natürlich ist es das! Es ist nur …« Reika atmete scharf aus. »Du kannst nicht einfach Jagd auf Hakaimono machen und auf das Beste hoffen, Kitsune«, sagte sie. »Insbesondere, wenn du keine Ahnung hast, wie du ihn bezwingen kannst. Du tust nichts weiter, als dein Leben wegzuwerfen, was all jene von uns, die mit aller Gewalt versucht haben, es zu beschützen, nicht sonderlich zu schätzen wissen!«

»Reika-san.« Meister Jiros Stimme war weich, ein sanfter Tadel, und die Schreinmaid sank zurück, auch wenn in ihren Augen immer noch ein dunkles Feuer loderte, während sie mich finster anfunkelte. Mit einem Seufzen legte der alte Priester seine Pfeife weg und ­wandte den Blick in meine Richtung.

»Yumeko-chan«, fuhr er mit derselben ruhigen Stimme fort. »Du musst wissen, dass das, was du vorschlägst, nicht nur sehr gefährlich ist, sondern bisher auch noch nie getan wurde. Einen Oni auszutreiben, insbesondere einen mächtigen wie Hakaimono, ist nicht dasselbe, als würde man einen boshaften Tanuki- oder Kitsune-Geist exorzieren. Es ist auch nicht dasselbe, als würde man einen Menschen von Kit­sune-tsuki befreien. Ich nehme an, du weißt, wovon ich rede.«

Ich nickte. Kitsune-tsuki war Fuchs-Besessenheit, etwas, woran sich die niederträchtigsten meiner vollblütigen Verwandten, die Nogitsune, ergötzten. Ihre Seelen konnten in Menschen gleiten, ihre Körper übernehmen und sie von innen heraus kontrollieren. Wozu sie ihren Wirt zwangen, kam ganz auf den Nogitsune an, aber es waren für gewöhnlich verkommene, verdorbene Handlungen, die allein dem Vergnügen und der Belustigung des Fuchses dienten. Während meiner Ausbildung im Tempel der Stillen Winde hatte ich einen Abend damit zugebracht, von Denga über Kitsune-tsuki belehrt zu werden, und mir war die restliche Nacht abwechselnd übel und Angst und Bange gewesen.

Was, wie ich nun vermutete, sein erklärtes Ziel gewesen war.

Meister Jiro klopfte das Ende seiner Pfeife gegen einen Stein und verteilte die Asche auf der Oberfläche. »Hakaimono ist keine Kitsune-Seele, Yumeko-chan«, erklärte er. »Er ist kein Geist oder ein Tanuki oder etwas, das mit Worten oder Schmerz oder durch Willenskraft ausgetrieben werden kann. Er ist ein Oni, möglicherweise der mächtigste, den das Jigoku je hervorgebracht hat. Was auch immer aus der Seele des Dämonenjägers geworden ist, sie ist tief in Hakaimono weggesperrt und keinem Priester oder Blutmagier in der gesamten Geschichte von Iwagoto ist es jemals gelungen, den Willen des Ersten Oni mit seinem eigenen zu bezwingen. Solltest du entscheiden, Hakaimono die Stirn zu bieten, ist es sehr wahrscheinlich, dass du und jeder in deiner Nähe sterben wird.«

Ich schluckte schwer, als sich ein steinernes Gewicht in meine Magengegend grub. »Ich verstehe, Meister Jiro«, sagte ich zum Priester. »Und das ist in Ordnung. Ihr und Reika müsst nicht mitkommen.«

»Das wollte ich damit nicht sagen, Yumeko-chan.« Meister Jiro seufzte und steckte sich die Pfeife in den Obi. »Einen Geist aus einem besessenen Körper zu vertreiben ist ein mühsames und gefährliches Unterfangen«, sagte er, »nicht nur für diejenigen, die den Exorzismus ausführen, sondern auch für das Opfer selbst. Um überhaupt die geringste Chance gegen einen Oni dieser Stärke zu haben, müssen wir auf ganzer Linie einer Meinung sein. Ich bin gewillt, das Risiko einzugehen …«

»Meister Jiro …«, setzte Reika mit entsetzter Stimme an, doch der Priester hielt eine Hand hoch und brachte sie zum Schweigen.

»Ich bin gewillt«, fuhr der Priester fort, »doch wenn wir einen Exorzismus wagen, müssen wir zuerst den Dämon bannen, damit er uns nicht entschlüpfen und all jene niedermetzeln kann, die das Ritual vollziehen. Es darf keinen Zweifel, keine Zwietracht zwischen uns herrschen.« Er ließ den Blick um das Feuer schweifen, sah erst mich, dann Reika, Daisuke und Okame mit ernster Miene an. »Der Erste Oni darf niemals unterschätzt werden. Sollten wir scheitern, muss euch allen bewusst sein, dass Hakaimono uns töten wird. Deshalb müssen wir an einem Strang ziehen. Ist dies wirklich der Pfad, den wir einschlagen wollen?«

Sämtliche Augen waren nun auf mich gerichtet, als würde meine Antwort die Entscheidung aller beeinflussen. Und einen Moment lang zögerte ich, denn das gewaltige Ausmaß der Situation lastete schwer auf mir. Tat ich das Richtige? All meine Gefährten waren bereit, mir zu helfen, aber zu welchem Preis? Laut Meister Jiro wäre es vielleicht überhaupt nicht möglich, den Dämon auszutreiben. Wenn wir uns auf die Suche nach Tatsumi begaben, würde ich das Leben von jedem von ihnen in Gefahr bringen. Wir könnten alle sterben, sobald wir Hakaimono die Stirn boten.

Doch dann erinnerte ich mich an den Abend, an dem ich vor dem Kaiser von Iwagoto aufgetreten war, wie in Tatsumis Augen ein Ausdruck von Besorgnis und Verzweiflung aufgeflammt war aus Angst, ich könnte als Scharlatanin entlarvt und hingerichtet werden. Ich erinnerte mich, dass er mich fast berührt hätte, seine Hand einen Hauch von meinem Gesicht entfernt verharrt war, wo er zuvor jeden körperlichen Kontakt gemieden hatte, als erwartete er, verletzt zu werden. Und ich wusste, ich konnte ihn nicht in dem Monster gefangen zurücklassen, insbesondere da Hakaimono sich höhnisch gebrüstet hatte, dass Tatsumi alles sehen und hören konnte, was um ihn herum geschah, machtlos, etwas dagegen zu unternehmen.

»Ich bin bereit«, sagte ich entschlossen und ignorierte das frustrierte Seufzen der Schreinmaid. »Selbst wenn es unmöglich ist, selbst wenn Hakaimono mich tötet … ich muss es versuchen. Es tut mir leid, Reika-san, ich weiß, es ist gefährlich, aber ich kann ihn nicht leiden lassen. Sollte es auch nur die geringste Chance geben, Tatsumi retten zu können, muss ich sie ergreifen. Aber ich schwöre, zuerst werde ich die Schriftrolle zum Tempel bringen. Sei unbesorgt.«

Sie rieb sich resigniert die Stirn. »Als wäre es eine leichte Aufgabe, die Drachenrolle dorthin zu schaffen«, seufzte sie.

»Nun, damit wäre die Sache geritzt.« Okame erhob sich und streckte die langen, sehnigen Arme, als wäre er der Debatte überdrüssig und müsste sich bewegen. »Morgen früh bringen wir die Schriftrolle zum Tempel der Stählernen Feder und bewahren das Königreich vor einer Plage des Bösen und der Dunkelheit. Und anschließend spüren wir Hakaimono auf und retten den Dämonenjäger vor einer Plage des Bösen und der Dunkelheit.« Er schnaubte und schüttelte den Kopf. »Wir haben es mit einer ganzen Menge Bösem und Dunkelheit zu tun. Ich wette, das Leben wird uns anschließend ziemlich langweilig vorkommen.«

»Höchst unwahrscheinlich«, murmelte Reika. »Wir sind dann alle vermutlich tot.«

Okame überging ihren Kommentar. »Ich übernehme die erste Wache«, verkündete er und sprang elegant auf einen der ausladenden Äste. »Schlaft ruhig und leichten Herzens – wenn ich Banditen sehe, sind sie tot, bevor sie auch nur Piep sagen können.«

»Sei nicht zu gierig, Okame-san«, erwiderte Daisuke, was den Ronin mit einer Hand auf dem nächsten Ast innehalten ließ. »Wenn du unehrenhaftes Lumpengesindel bemerkst, das sich an uns heranschleichen will, dann gib mir rechtzeitig ein Zeichen, damit ich sie aufrecht stehend begrüßen kann. Und solltest du Hakaimono höchstpersönlich sehen, vergiss nicht, dass mir das Verspechen eines Duells gegen Kage-san gegeben wurde. Ich bitte dich höflichst, mir diesen großartigen Kampf nicht zu verwehren.«

»Oh, keine Sorge, Taiyo-san. Falls ich einen Oni-Lord erspähe, der sich still und heimlich an uns heranpirscht, dann wird der gesamte Wald mein Gebrüll hören.«

Er warf uns ein letztes Grinsen zu und verschwand zwischen den Ästen. Als der Adlige sich gegen den umgefallenen Baumstamm lehnte und Reika die Hände in den bauschigen Ärmel ihrer Haori-­Jacke steckte, suchte ich nach einem guten Schlafplatz. Ich besaß weder eine Decke noch ein Kissen, und obwohl es Spätsommer war, war die Nacht so nah am Himmelsclan-Gebirge kühl. Doch meine rot-weiße Onmyoji-Robe war schwer, und der Stoff wärmte mich. Auf einem Haufen trockener Blätter rollte ich mich zusammen, lauschte dem Heulen einer Eule und dem Rascheln vieler kleiner Geschöpfe um mich herum, und versuchte, nicht zu viel über Hakaimono nachzudenken. Wie stark er war. Dass ich keinen Schimmer hatte, wie uns fünf es gelingen sollte, einen uralten Oni-Lord zu besiegen, geschweige denn, ihn aus Tatsumi auszutreiben. Und dass ein Teil von mir riesige, grauenvolle Angst hatte, ihn wiederzusehen.

»Hallo, kleine Träumerin.«

Die unbekannte Stimme war tief und melodiös, liebkoste meine Ohren wie ein wohlklingendes Lied. Blinzelnd hob ich den Kopf und stellte fest, dass ich mich in einem Bambushain befand, in dem grün-gelbe Glühwürmchen wie schwebende Sterne durch die Halme schwebten. Die Erde unter meinen Pfoten war kühl und weich, und ein winziger Teich schimmerte neben mir im Mondlicht. Als ich ins Wasser spähte, starrten goldene Augen in einem pelzigen Gesicht zurück, und Ohren mit schwarzen Spitzen zeichneten sich vor dem Nachthimmel ab.

Ein leises Kichern brachte die Halme um mich herum zum Zittern. »Ich bin nicht im Teich, meine Kleine.«

Ich drehte mich um, und ein Schauder lief mir bebend vom Schwanz bis hinauf zu meiner Wirbelsäule, was das Fell an meinem Rücken zu Berge stehen ließ.

Ein herrlicher Fuchs saß, wo ein Fleck Mondlicht sich zwischen dem Bambus gesammelt hatte, und beobachtete mich aus flackernden Augen. Sein Fell war leuchtend weiß, dick und wallend und schien in der Dunkelheit zu glühen, sodass ein schimmernder Lichtkreis um ihn lag. Sein buschiger Schwanz war ein silbrig weißer Fe­derschmuck, der sich wogend hin und her bewegte, als besäße er seinen eigenen Willen.

»Es ist unhöflich, die Stammesältesten anzustarren, kleiner Welpe.«

Ich schüttelte mich, und mit einem Mal schien der Hain sich zu kräuseln und seine Gestalt fast unmerklich zu verändern. Oder war es nur eine optische Täuschung durch den Mondschein? »Wer seid Ihr?«, fragte ich. »Was ist das für ein Ort?«

»Wer ich bin, spielt keine Rolle.« Der weiße Fuchs erhob sich, sein eleganter Schwanz pendelte in der Brise. »Ich bin aus deiner Sippe, allerdings bedeutend älter als du. Was den Ort betrifft … kannst du das nicht erraten? Du bist eine Kitsune, es dürfte nicht zu schwierig sein.«

Ich blickte mich um und erkannte, dass der Bambushain sich verändert hatte. Wir waren nun in einem Wald voller blühender Kirschbäume, deren rosarote Blütenblätter wie Schneeflocken zu Boden schwebten. »Ich … träume«, riet ich und drehte mich zum weißen Fuchs zurück. »Das hier ist ein Traum.«

»Wenn du willst, kannst du es so nennen.« Der weiße Fuchs nickte. »Es kommt der Wahrheit gewiss näher als alles andere.«

Stirnrunzelnd versuchte ich, eine lang verschüttete Erinnerung an die Oberfläche meines Bewusstseins zu zerren. Von einem Tag im Wald, an dem ich mich vor den Mönchen versteckt hatte, und dem jähen Gefühl, beobachtet zu werden. Von einem glühend goldenen Augenpaar, einem buschigen weißen Schwanz und einer tiefen Sehnsucht, als unsere Blicke sich trafen. »Ich … Ich habe Euch schon einmal gesehen«, flüsterte ich. »Nicht wahr? Vor langer Zeit.« Der Fuchs gab keine Antwort, und ich legte den Kopf schräg. »Warum taucht Ihr jetzt in meinem Traum auf?«

»Dein Plan, Hakaimono durch einen Exorzismus auszutreiben, wird scheitern.«

Der Boden unter meinen Pfoten schien zu bröckeln, ließ mich in der Leere schweben. »Was?«

»Hakaimono ist zu stark«, fuhr der weiße Fuchs mit ruhiger Stimme fort. »In der Vergangenheit haben die Kage das, was du planst, längst versucht, nämlich den Oni-Geist zurück in Kamigoroshi zu zwingen. Es führte zu Tod und Zerstörung. Hakaimono ist kein normaler Dämon, und die Beziehung zwischen dem Dämonenjäger und der Verfluchten Klinge ist einzigartig. Selbst wenn es euch gelingen sollte, den Ersten Oni zu fangen und zu bannen, wird dem Priester und der Schreinmaid ihr Exorzismus missglücken, und Hakaimono wird euch alle töten.«

Ich zitterte, zwang mich jedoch, ihm in die stechenden gelben Augen zu sehen. Woher wisst Ihr das?, hätte ich am liebsten gerufen, doch die Worte gefroren mir in der Kehle, als ich dem Blick be­­gegnete, der den Aufstieg von Kaiserreichen und den Zerfall von Gebirgen gesehen hatte. Diese Augen waren uralt, allwissend und in sie zu starren war dasselbe, als würde man direkt ins Gesicht des Mondes sehen. Ich spähte auf meine Pfoten hinab.

»Ich kann nicht aufgeben«, flüsterte ich. »Ich muss es versuchen. Ich habe Tatsumi versprochen, ihn nicht in Hakaimono zurückzu­lassen.«

»Wenn du den Dämonenjäger retten willst«, sagte der weiße Fuchs, »darfst du nicht auf die Menschen setzen. Willst du Kage Tatsumi tatsächlich befreien, musst du es selbst tun. Aus dem Innern heraus.«

Aus dem Innern heraus? Verwirrt blickte ich zu ihm hoch. »Das verstehe ich nicht.«

»Doch, tust du«, war die kühle Antwort. »Genau genommen hast du heute Abend selbst davon gesprochen. Oni sind nicht die einzigen Geschöpfe, die Besitz von einer menschlichen Seele ergreifen können.«

Allmählich dämmerte es mir, und vor Entsetzen legte ich die Ohren flach an. »Ihr meint … Kitsune-tsuki?«

»Heilige Rituale und Exorzismus werden bei Hakaimono nicht funktionieren«, fuhr der weiße Fuchs fort, als hätte er meine Bestürzung nicht bemerkt. »Es sind nur Worte. Worte der Macht, ja, aber Hakaimonos Wille ist stärker als der eines jeden Menschen, und er wird nicht klein beigeben. Um überhaupt eine Chance zu haben, dem Dämonenjäger zu helfen, muss eine weitere Seele im Innern von Kage Tatsumis Körper dem Oni-Lord die Stirn bieten und ihn mit Gewalt vertreiben.«

»Aber … das würde bedeuten, dass ich selbst von Tatsumi-san Besitz ergreifen muss.«

»Ja.«

Die Ohren noch flacher an den Kopf angelegt, wich ich einen Schritt zurück. »Das kann ich nicht«, wisperte ich, während sich die Augen des anderen Kitsune zu goldenen Schlitzen verengten. »In einen menschlichen Körper fahren. Das ist … böse!«

»Wer hat dir das gesagt?«, fragte der weiße Fuchs. »Die Mönche im Tempel? Diejenigen, die bei jeder Gelegenheit versucht haben, deine Kitsune-Magie zu beschneiden, die darauf bestanden, dass du menschlich bleibst?« Seine schmale Schnauze krauste sich. »Kitsune-­tsuki ist nur ein Werkzeug, kleiner Welpe. Genau wie deine Illusionen und das Fuchsfeuer kann Magie an sich nicht böse sein. Deine Absicht wird allein dadurch bestimmt, wie du deine Macht einsetzt.«

Seinen Worten haftete auf unheimliche Art etwas Wahres an, doch sie kamen mir dennoch … sonderbar vor. Wenn Kitsune-tsuki nicht gefährlich war, warum war es von den Mönchen im Tempel der Stillen Winde dann so streng verboten gewesen, dass mir nicht einmal erlaubt gewesen war, darüber zu reden, aus Furcht, meine Neugierde könnte geweckt werden? »Ich habe Kitsune-tsuki noch nie angewandt«, gab ich zu Bedenken. »Im Grunde bin ich nicht einmal sicher, ob ich es überhaupt könnte. Immerhin bin ich nur eine Halb-Füchsin.«

»Das spielt keine Rolle.« Der weiße Fuchs schüttelte den Kopf. »Kitsune-tsuki ist uns allen angeboren. Wenn ich mich recht ent­sinne, meinte dein Meister Isao einmal, es läge uns im Blut. Wenn die Zeit kommt, wird deine Yokai-Hälfte wissen, was zu tun ist.«

»Aber … es fühlt sich einfach … falsch an.«

Sein beeindruckender buschiger Schwanz zuckte verärgert. »Ich verstehe. Dann sollten wir das Problem vielleicht aus einer anderen Perspektive betrachten.«

Der Wald um uns verschwand. Blütenblätter wirbelten durch die Luft, als wären sie in einem Taifun gefangen, blendeten und erstickten mich. Als ich nieste und wieder aufblickte, hatten sich die weichen Blütenblätter in Schneeflocken verwandelt. Ich stand inmitten von Wolken auf dem Gipfel eines Berges und starrte auf das menschliche Kaiserreich tief unter mir herab.

Die Welt brannte lichterloh. Egal, wohin ich sah, züngelten Flammen, die das Land zerstörten und sich in alle Richtungen fraßen. Ich roch Asche und Rauch. Der widerliche Gestank nach verbranntem Fleisch schnürte mir die Kehle zu und ließ mich husten. Es kam mir vor, als würde ich direkt in die Tiefen des Jigoku selbst starren.

»Das ist der Zustand des Kaiserreichs«, sagte der weiße Fuchs hinter mir, bewegungslos auf einem schneebedeckten Felsen thronend, »wenn du Hakaimono nicht aufhalten kannst.«

Meine Beine zitterten. Der heulende, eisige Wind krallte sich in mein Fell und glitt kratzend an meinem Rücken hinab. Ich starrte in die verheerende Zerstörung, während die Zungen der rot-orangen Flammen sich vereinten und mein gesamtes Blickfeld einnahmen, bis ich nichts weiter als Feuer sah.

»Denk gut darüber nach, kleine Träumerin.« Die Stimme des weißen Fuchses schien nun aus weiter Ferne zu kommen. »Bevor die Flammen des Krieges die Welt verzehren, bedenke, wie sich Entscheidungen auf euch alle auswirken werden. Du bist die Einzige, die den Ersten Oni besiegen und die Seele des Dämonenjägers retten kann. Ich kann dir zeigen, wie du es schaffen kannst, und dir die beste Chance auf den Sieg bieten, wenn du dem stärksten Oni des Jigoku entgegentrittst. Aber nur, wenn du willens bist.

Leider«, fuhr er fort, während ich dort stand und um Luft rang, »ist unser gemeinsamer Moment hier fast vorüber. Du wirst drüben in der wachen Welt gebraucht, kleine Träumerin. Vergiss bloß mein Angebot nicht und ich werde dich wiederfinden, wenn die Zeit reif ist. Einstweilen nähern sich die Schatten, und du musst …«

Aufwachen.

Ich schlug die Augen auf und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Der Wald war zu still. Das Rascheln kleiner Tiere war verschwunden, die Insekten waren verstummt. Vorsichtig setzte ich mich auf und sah Daisuke und Meister Jiro, die mit dem Kinn auf der Brust schlummerten, und Reika, die gemeinsam mit den zwei Hunden zusammengerollt neben dem Feuer lag.

Ein Mann stand am Rand des Feuerscheins, sein langer Schatten ergoss sich über den Boden.

Bei meinem gellenden Schrei öffnete Daisuke schlagartig die Augen, und Reika fuhr erschrocken auf, sodass die Hunde aus ihrem Schoß kullerten. Als die Tiere den Fremden erblickten, setzte eine Explosion aus misstönendem, schrillem Fauchen und Bellen ein, ihr Fell sträubte sich und sie bleckten ihre winzigen Zähne, während der Eindringling sie mit eiskalter Belustigung musterte.

»Schsch, sofort!« Seine Stimme war hoch und heiser, und er hob eine spindeldürre Hand, bevor der Rest von uns auch nur ein Wort herausbekam. »Ich bin nicht hier, um zu kämpfen. Tut nichts … Unüberlegtes.«

Bewegungen kräuselten sich um uns herum, Schatten schälten sich aus der Dunkelheit und formten sich zu einem Dutzend Gestalten, allesamt in Schwarz gekleidet, nur ihre Augen blitzten in den Schlitzen ihrer Masken und Kapuzen auf. Ihre Schwerter schimmerten silbern im Mondschein, ein Dutzend Klingen des Todes umzingelten uns in einem rasiermesserscharfen Ring. Ihre Uniformen waren nicht gekennzeichnet, nur der Fremde in der sich blähenden schwarzen Robe trug das vertraute Wappen, das mein Herz zum Schlagen brachte: ein Mond, der sich verfinsterte. Das Emblem der Kage.

Der Schattenclan war gekommen.

3

DIE SCHATTENNAHEN

Yumeko

Der Mann in der Robe trat näher zum Feuerschein, und das orangefarbene Licht umfing ihn. Er war spindeldürr, sein Gesicht abgehärmt und schmal, und unter der pergamentenen Haut seiner Hände zeichneten sich seine Knochen ab, als hätte eine gewaltige Macht seine Lebenskraft aus ihm gesaugt. Sein Gesicht war weiß geschminkt, seine Lippen und Augen mit Schwarz umrandet, während er sich wie ein schrecklicher Schemen des Todes bedrohlich über uns abzeich­nete. Einen Moment lang fragte ich mich … würde er plötzlich versterben, sein Geist jedoch weiter auf dieser Welt verweilen, würde es überhaupt jemand merken?

»Bitte entschuldigt unser unangekündigtes Auftauchen«, krächzte der Mann. Sein starrer schwarzer Blick, eiskalt und teilnahmslos, glitt zu mir, und ich erschauderte. »Ich hoffe, wir stören bei nichts Wichtigem.«

»Wo ist Okame-san?«, fragte ich, und der Mann zog eine tintenschwarze dünne Augenbraue hoch. »Er hätte uns gewarnt, dass Ihr kommt, wäre es ihm möglich gewesen. Was habt Ihr mit ihm ge­macht?«

Der hochgewachsene Mann zeigte in Richtung des Baums. Ich blickte hoch und sah Okame in den Ästen, Hände und Füße an den Baumstamm gefesselt, mit einem Knebel im Mund. Ein Shinobi hockte auf einem Nachbarast, den Bogen des Ronin auf den Knien.

»Ich fürchte, wir konnten nicht zulassen, dass Euer Freund Euch beunruhigt«, sagte der Mann, während Okame gegen die Stricke ankämpfte und ihn finster anfunkelte. »Wir wollten nicht, dass Ihr auf falsche Gedanken kommt – dass wir einfache Räuber in der Nacht sind. Keine Sorge, es war eine vorübergehende Maßnahme.«

Er hob eine Hand und der Shinobi, der auf dem Ast hockte, ­drehte sich sogleich um und schnitt die Seile durch, die den Ronin an den Baum fesselten. Als Okame sich befreite und, bevor er sich den Knebel aus dem Mund reißen konnte, undeutlich Verwünschungen knurrte, verschmolz der Schattenkrieger wieder mit der Dunkelheit und ließ nichts zurück als den Bogen des Ronin, der von einem nahen Ast herabbaumelte.

Mein Magen krampfte sich nicht mehr zusammen, ich ent­spannte mich, wenn auch nur ein wenig. Wir waren immer noch von einem Dutzend Shinobi umzingelt, plus dem Fremden in der Robe am Rand des Feuerscheins. Der Geruch von Magie umhüllte ihn, abgestanden, aber mächtig, wie ein hochgiftiger Pilz.

»Was hat das zu bedeuten, Kage?«, fragte Daisuke mit eisiger Stimme. Der Adlige hatte sich von seinem Platz am Baumstamm nicht wegbewegt, doch beide Hände verharrten fest auf seinem Schwert. »Das ist Himmelsclan-Territorium, und wir sind nur we­­nige Stunden von der Taiyo-Grenze entfernt. Ihr habt hier keinerlei Befugnisse und kein Recht, uns aufzulauern, als wären wir gemeine Diebe. Wenn Ihr keine adäquaten Papiere vorzeigen könnt, muss ich Euch untertänig bitten zu verschwinden.«

Der hochgewachsene Mann schenkte ihm ein gruseliges Lächeln. »Ich fürchte, das kann ich nicht, Taiyo-san«, sagte er und klang gleichzeitig amüsiert und beleidigt. »Erlaubt mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Kage Naganori, und ich bin auf Geheiß der Daimyo des Schattenclans hier, Lady Hanshou höchstpersönlich.«

Reika richtete sich auf. »Naganori?«, wiederholte sie.

»Allerdings.« Der raubtierhafte Blick des Mannes glitt zu ihr, was Chu und Ko, die nun neben ihr saßen, zu erneutem Knurren und Zähnefletschen veranlasste. »Das kleine Mädchen ist womöglich die Klügste von Euch allen«, sinnierte er. »Vielleicht hat der Rest von Euch auch schon von mir gehört?«

»Ich nicht«, entgegnete Okame. Der Ronin pirschte in den Kreis, die Nackenhaare wie ein wütender Hund gesträubt, bereit, nach allem zu schnappen, was ihm zu nah kam. »Ich warte immer noch auf einen Grund, warum ich beeindruckt sein sollte.«

»Okame-san.« Reika bedachte den Ronin mit einem warnenden Blick. »Kage Naganori ist der Erzmagier des Schattenclans, der Oberste Majutsushi der Kage-Familie.«

»Ja«, stimmte Naganori ihr zu und funkelte mit seinen unbarmherzigen schwarzen Augen jetzt Okame an. »Aber falls Ihr eine Talentprobe wünscht, Ronin, kann ich sie Euch gern geben. Vielleicht wärt Ihr beeindruckt, wenn ich Euren Schatten ohne Euch tanzen lasse? Oder wenn ich den Nachtkami befehlige, Euch für den Rest Eures Lebens zu blenden?« Er streckte die geöffnete Hand aus. Ein winziger Ball lebendiger Schwärze schwebte über seiner Handfläche, wirbelte wie Tinte in der Luft. »Oder lieber ein Fluch der Dunkelheit, bei dem egal, wo Ihr seid, sämtliches Licht auf ewig gelöscht ist, wäre das genug, um Euch zu beeindrucken?«

»Es schickt sich für jemanden Eures Standes nicht, anderen zu drohen, Naganori-san«, kam Meister Jiros leise, beruhigende Stimme von der anderen Seite des Lagerfeuers. »Ebenso wenig habt Ihr uns aufgespürt, um den Ronin mit Flüchen zu belegen. Warum seid Ihr gekommen?«

Naganori schnaubte, ließ jedoch den Arm sinken, wobei die Schattenkugel zu Boden fiel. »Wie gesagt«, fuhr er fort, »haben wir eine Mission für Lady Hanshou zu erfüllen. Ich entschuldige mich für die Störung, aber es war zwingend notwendig, Euch zu erreichen, bevor Ihr die Taiyo-Grenze überschreitet.« Der Majutsushi wandte sich zur Seite und durchbohrte mich mit seinem stechenden Blick. »Wir sind wegen der Onmyoji hier. Lady Hanshou bittet um ihre Anwesenheit.«

»Meine?« Das Blut gerann mir in den Adern. Ich trug immer noch die bauschende rot-weiße Onmyoji-Robe von dem Abend, an dem ich vor dem Kaiser aufgetreten war. Sie war Teil der List gewesen, um uns alle in den kaiserlichen Palast zu schmuggeln, wo wir uns auf die Suche nach Meister Jiro gemacht hatten, da Bauernmädchen, Ronin und Schreinmaiden nicht einfach unangekündigt durch die herrschaft­lichen Tore spazieren konnten. Ich war gewiss keine Onmyoji, keine mystische Wahrsagerin der Zukunft, doch in jener Nacht hatte ich mich vor dem kaiserlichen Hofstaat und dem mächtigsten Mann des Landes wiedergefunden, und wäre es mir nicht gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass ich eine war, wären wir alle hingerichtet worden.

Es hatte ein wenig Kitsune-Magie und mehr als ein bisschen Glück bedurft, doch der Kaiser hatte mir meine Darbietung nicht nur abgenommen, sondern mir auch noch die Stelle als seine Hof-Onmyoji angeboten. Mit allem nötigen Respekt hatte ich dankend abgelehnt, aber scheinbar hatte die Geschichte von der jungen Onmyoji und dem Schicksal des Kaisers größere Wellen geschlagen, als mir lieb war. Unvermittelt konnte ich die Schriftrolle, die fest an meine Rippen gepresst war, unter meinem Gewand spüren, und ich verschränkte die Finger in meinem Schoß, damit ich sie keinesfalls zu ihr hinbewegte. »Warum?«, fragte ich Naganori. »Was will Lady Hanshou von mir?«

»Es steht mir nicht zu, dies zu wissen. Ihr könnt sie fragen, sobald Ihr dort seid.«

Mein Herz hämmerte aus einem ganz anderen Grund. Lady Hanshou war die Frau, die Tatsumi zum Tempel der Stillen Winde ge­schickt hatte, wo er die Drachenrolle stehlen sollte. Hatte sie etwa herausgefunden, dass sie in meinem Besitz war? Nein. Würde sie wirklich glauben, dass ich sie hatte, wäre der Majutsushi nicht geschickt worden, um mit mir zu reden, dann wäre mir im Schlaf die Kehle aufgeschlitzt worden.

Doch mich ins Land der Kage zu wagen, solange ihre Daimyo immer noch mit allen Mitteln nach der Schriftrolle suchte, erschien mir wie eine sehr schlechte Idee. »Wenn es sich nur um eine Bitte handelt, würde ich sie lieber ausschlagen.«

»Ich fürchte, ich muss auf Euer Kommen bestehen.« Der Majutsushi bewegte die Hand nach oben, und die Schattenkrieger, die in der Dunkelheit lauerten, traten einen bedrohlichen Schritt vor. Daisuke versteifte und Okame hob halb den Bogen, während das Knurren der zwei Hunde scharf in der Luft widerhallte. »Nichts liegt mir ferner, als dass dies hier in Gewalt ausartet«, sagte Naganori und faltete die Hände. »Aber wir werden das Mädchen zu Lady Hanshou bringen. All jene, die sich uns widersetzen, werden wir aus dem Weg räumen, da sie sich in die offiziellen Angelegenheiten des Schattenclans einmischen.«

»Ich an Eurer Stelle wäre vorsichtiger mit Euren Drohungen, Kage-san«, erklärte Daisuke, was ihm ein Stirnrunzeln des Majutsu­shi einbrachte. »Lady Yumeko steht unter meinem Schutz und einen Taiyo anzugreifen, ist ein Verbrechen gegen die kaiserliche Familie. Ich bin sicher, Lady Hanshou möchte keinen Krieg gegen den Sonnenclan beginnen.«

»Daisuke-san …« Überrascht blickte ich den Adligen an.

»Sie steht außerdem unter dem Schutz des Hayate-Schreins«, fiel Reika mir ins Wort und hob den Arm, einen Ofuda-Papierstreifen zwischen zwei Fingern. Chu und Ko, deren Augen golden und grün in der Dunkelheit leuchteten, traten vor und bildeten eine winzige Barriere vor der Schreinmaid. »Ich fürchte, wir können nicht zulassen, dass Ihr sie mitnehmt, selbst wenn wir der Daimyo der Kage höchstpersönlich die Stirn bieten müssen.«

»Jawohl«, fügte Okame hinzu und grinste diabolisch, während er einen Pfeil in die Bogensehne spannte. »Im Grunde sieht es so aus: Wenn Ihr Yumeko wollt, müsst Ihr es mit uns allen aufnehmen.«

»Unverschämtheit!«, empörte sich Naganori, und um uns zückten die Shinobi ihre Schwerter. »Das lasse ich mir nicht bieten, nicht von Ronin und Bauerngesindel.« Der Schattenmagier hob die Hände, und die Luft um ihn wurde dunkler, selbst der Schein des Feuers wich zurück. »Unsere Herrin hat uns geschickt, damit wir das Mädchen holen, und falls Ihr Widerstand leisten solltet, bleibt uns keine andere Wahl, als Euch niederzustrecken.«

»Wartet!« Hastig sprang ich auf und trat dem Majutsushi entgegen, woraufhin der Kreis an Klingen nun in meine Richtung zeigte. »Ich komme mit Euch«, sagte ich. Bei meinen Worten drehte sich mir der Magen, doch wenn die andere Option ein Massaker der Shinobi und eines Schattenmagiers war, würde ich mich für die weniger blutige Alternative entscheiden. Auch wenn ein Treffen mit Lady Hanshou höchstwahrscheinlich nicht gut für mich enden würde, wollte ich den Rest meiner Freunde nicht in eine tödliche Auseinandersetzung mit Tatsumis Clan hineinziehen. Wir waren von zu vielen Shinobi umzingelt, allesamt erfahrene Kämpfer, und das waren nur diejenigen, die wir sehen konnten. Und der Majutsushi war ein noch größeres Fragezeichen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Naga­noris Schattenzauber harmlose Blumen und Schmetterlinge hervorbrachte, außer es waren schwarze Falter, die Seelen auffraßen.

Und vielleicht, wenn ich mich mit Lady Hanshou traf, der Anführerin des Schattenclans, würde ich mehr über Tatsumi erfahren und wie ich seine Seele vor dem Monster retten konnte, das Besitz von ihm ergriffen hatte.

Mit erhobenem Kinn trat ich vor Naganori. »Ich komme mit«, wiederholte ich. »Wenn Lady Hanshou nach mir ruft, werde ich ihrer Bitte nachkommen und mit ihr reden.«

Tatsumi, es tut mir leid. Ich hoffe, du hältst durch, bis ich einen Weg aus diesem Schlamassel gefunden habe.

»Yumeko-san.« Reika kam auf mich zu, und ihre Hunde huschten zur Seite. »Es ist nicht ratsam, jetzt mit ihnen zu gehen«, sagte sie und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. Zweifellos spielte sie auf das kostbare Geheimnis an, das unter meiner Onmyoji-Robe versteckt war. »Solltest du es dennoch tun, muss ich darauf bestehen, dich zu begleiten.«