Keltensonne - Heike Beardsley - E-Book
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Heike Beardsley

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Beschreibung

Ein packender historischer Roman zur Zeit des alten Roms: Für alle Leserinnen von Iny Lorentz, Rebecca Gablé und Ken FollettDie junge Keltin Rowan wächst als einfache Bauerntochter in einer kleinen Siedlung auf dem Donnersberg auf. Ihr Herz gehört ihrem Kindheitsfreund Drystan, doch ihre Liebe steht unter keinem guten Stern, da er der Sohn des Häuptlings ist. Währenddessen durchläuft der römische Junge Caius in der Toskana seine Ausbildung, um eines Tages das Weingut seines Vaters übernehmen zu können. Die Lebenswege von Rowan und Caius nehmen unerwartete Wendungen und eines Tages stehen sich Rowan und Caius gegenüber ...

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© 2020 Piper Verlag GmbH, München Redaktion: Sandra LodeCovergestaltung: FAVORITBUERO, MünchenCovermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

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Inhalt

Cover & Impressum

Teil 1

1. Begegnungen

2. Weingut

3. Rote Heimaterde

4. Angebot

5. Schicksalsgrade

6. Aufbruch

7. Blutmahl

8. Unterwegs

9. Flucht

10. Ankunft

11. Freiheit

Teil 2

12. Rheinlande

13. Stolz

14. Mädchenträume

15. Sklavenmarkt

16. Neubeginn

17. Bergkamm

18. Neuland

19. Schutz

20. Traubenlese

21. Schicksalsnacht

22. Die Rückkehr des Häuptlings

Schlussbemerkung

Danksagung

Glossar

Zitat

Und die ganze Welt verändert sich, wenn nur einer fehlt.

(unbekannter Autor)

 

Wir widmen dieses Buch unserem lieben Papa Walter Braunmiller.

Teil 1

1. Begegnungen

Keltisches Oppidum auf dem Donnersberg, 100 v. Chr.

Die kleine, grob gezimmerte Holzbank, auf der Rowan im Schatten der großen Buche am Rande des Dorfplatzes saß, war schon seit jeher einer ihrer Lieblingsplätze gewesen. Von dort aus konnte sie nicht nur das weite Tal betrachten, das sich unterhalb der keltischen Siedlung erstreckte, sondern auch das bunte Treiben an den Marktständen ungestört beobachten.

Der Markt, der sich in der Mitte der Ansiedlung befand und um den sich die bescheidenen Katen der Bewohner drängten, war stetig gewachsen. Vor allem in letzter Zeit schienen immer mehr Händler ihren Weg auf den Donnersberg zu finden. Dies verwunderte Rowan ein wenig, waren doch laut ihrem Vater viele Halunken in der weitläufigen, hügeligen Landschaft rund um das Dorf unterwegs. Nicht nur Krieger aus anderen keltischen Stämmen stellten eine Gefahr für Leib und Leben dar, sondern auch einzelne Römerpatrouillen wurden neuerdings immer häufiger in der Gegend gesehen.

Rowans Blick glitt wieder über das Markttreiben. Alle möglichen Dinge wurden zum Verkauf angeboten. Bauern priesen ihr Gemüse an, wobei es sich in dieser beginnenden Frühlingszeit vornehmlich um Winterzwiebeln und Steckrüben aus dem Vorjahr handelte. Waffenhändler boten nebst den üblichen Langspeeren auch geschmiedete Kurzschwerter an, wie sie vor allem die angesehenen Krieger und Söhne aus höherem Haus an ihrer Seite trugen. Zwei Schmuckhändler priesen filigran gefertigte Arm- und Halsbänder aus Silber und anderen edlen Metallen an, sowie hübsche Fibeln, mit denen die Menschen ihre Umhänge schließen konnten.

Rowan seufzte und betastete die schlichte, aus Rinderhorn gefertigte Fibel, die ihren wollenen Umhang am Hals zusammenhielt. Das ehemals raue Material war vom vielen Gebrauch glatt geworden, und Rowans schlanke Finger fuhren über die abgerundeten Stellen.

Ihr Vater Alan war Bauer, so wuchs sie in einfachen Verhältnissen auf. Daher konnte sie die hübschen Dinge, die auf dem Markt angeboten wurden, nur bewundern. Bauern verdienten sehr wenig, meist reichte das Erwirtschaftete gerade aus, um die eigene Familie zu ernähren. Krieger dagegen brachten oft Beute von ihren Kriegszügen mit nach Hause, sodass sie weitaus bessergestellt waren.

Das Kriegshandwerk wurde in Rowans Dorf als ehrenvoll betrachtet, immerhin schützten die Männer die kleine Siedlung vor Angreifern. Die Familien der Krieger wurden mit Ehrerbietung behandelt, und man sah sie oft auf dem Markt, wo sie sich die schönsten Schmuckstücke leisten konnten. Aber in der ewigen Gefahr zu leben, dass der Vater bei einem Kampf verletzt oder gar getötet werden könnte, mochte sich Rowan nicht vorzustellen. Obwohl sie mit ihren fünfzehn Jahren durchaus Gefallen an Schmuck fand, verzichtete sie lieber auf goldene Armreife und Fibeln und schloss dafür ihren geliebten Vater jeden Abend gesund in die Arme.

Zärtlich berührten ihre Finger abermals die raue Spange. Ihr Vater hatte ihr diese selbst geschnitzt und Rowan trug sie sehr gerne.

Alan war ein fleißiger Mann und arbeitete von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Immerhin konnte er mehrere Felder am Fuße des mächtigen Donnersberges sein Eigen nennen, weshalb seine Familie in strengen Wintern auch keinen Hunger leiden musste, wie so manch andere Bauernfamilie.

Rowan lächelte liebevoll, als sie an ihren Vater dachte. Mit ihm hatte sie sich immer besonders gut verstanden. Sie erinnerte sich noch, wie er sie, als sie klein war, abends nach getaner Arbeit auf seinen Schoß gehoben und geherzt hatte. Wie früher erzählte er ihr auch heute noch gerne lustige und spannende Geschichten aus der schottischen Heimat seiner Vorfahren. Er hatte sie währenddessen oft mit Apfelschnitzen gefüttert. Die hatte er mit seinem Messer von einem Apfel abgeschnitten, den er auf dem Weg zurück vom Feld von einem Baum gepflückt oder aus dem Vorratskeller stibitzt hatte. Sehr zum Missfallen seiner Frau, die ihm seit jeher vorwarf, das Kind zu sehr zu verhätscheln.

Rowan atmete tief ein und vermeinte, den vertrauten, herben Geruch ihres Vaters wahrzunehmen und das leicht kratzige, wollene Tuch seiner Tunika an ihrer Wange zu spüren. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Warum nur konnte ihre Mutter nicht so herzlich wie ihr Vater sein? Ihr Gesichtsausdruck verdüsterte sich bei diesem Gedanken.

Oft genug hatte sie sich die Geschichte ihrer unglückseligen Geburt anhören müssen. Gerda wäre bei Rowans Geburt beinahe verblutet, und nur den geschickten Händen der Kräuterfrau Alenja, die den Frauen des Dorfes bei Geburten beistand, war es zu verdanken gewesen, dass sie die Geburt ihres zweiten Kindes überlebt hatte. Rowan wusste, dass sich ihre Mutter sehnlichst einen Stammhalter gewünscht hatte. Gerda war die ganze Schwangerschaft hindurch davon überzeugt gewesen, dass sie nach ihrer ersten Tochter Berit endlich den ersehnten Sohn erwartete. Immerhin hatte sie deswegen beinahe täglich zwei lange Jahre im Tempel geopfert und fleißig gebetet. Dass die Geburt dann unerwartet schwer gewesen war, hätte sie für einen Sohn in Kauf genommen. Als ihr aber Alenja nach tagelangen Qualen ein blau angelaufenes, rothaariges, blutverschmiertes, kleines Mädchen in die Arme legen wollte, hätte ihr Entsetzen nicht größer sein können. Deshalb weigerte sie sich, das hässliche Ding in die Arme zu nehmen oder ihm die Brust zu geben.

Alan flehte seine Frau verzweifelt an, sich des hilflosen Bündels anzunehmen. Allerdings umsonst. So war ihm nichts anderes übrig geblieben, als eine Amme für das Baby zu suchen. Zum Glück wusste Alenja Rat, da eine Dorfbewohnerin kurz zuvor ebenfalls mit ihrer Hilfe einem Buben das Leben geschenkt und Milch im Überfluss hatte. So war Rowan schließlich zu Venia gebracht worden, die sich gegen ein Entgelt gerne des Mädchens annahm. Fast ein ganzes Jahr lang hatte Rowan in der Hütte ihrer Amme gelebt, die direkt neben ihrem Elternhaus lag. Sie war zusammen mit ihrem Milchbruder Johs gestillt worden und hatte seither eine sehr enge Bindung zu ihm.

 

In Gedanken versunken bewegten sich Rowans Hände wieder in Richtung des Korbes, den sie auf dem Schoß hielt, und sie rollte geschickt einen der langen, weichen Wollfäden zu einer festen Kugel auf. Ihre Mutter hatte ihr einen ganzen Korb voll frisch gesponnener Wollfäden mitgegeben und ihr den Auftrag erteilt, diese sorgfältig aufzurollen.

Gewiss will sie die einem Wollhändler verkaufen, um das magere Familieneinkommen aufzubessern, ging es Rowan durch den Kopf.

Es war viel Arbeit gewesen, die Wolle von den wenigen Schafen, die der Familie gehörten, zu erhalten. Die Tiere mussten vor der eigentlichen Schur das ganze Jahr über gefüttert und bestallt werden. Es war eine von Rowans Aufgaben, jeden Morgen in dem einfachen Verschlag hinter der elterlichen Kate nach ihnen zu sehen und mit der grobzinkigen Heugabel Futter in den tönernen Trog zu wuchten. Danach musste sie ausmisten und die Tiere tränken. Anschließend molk sie die einzige Kuh, die ihr Vater besaß. Wenn sie sich dann selbst am Brunnen gesäubert hatte, ging sie üblicherweise bei Sonnenaufgang zurück in die kleine Wohnstube, in der sie mit ihrer Mutter und ihrem Vater lebte und die die einzige Kammer der Kate darstellte. Ihre Mutter war dann meist bereits mit dem Zubereiten des einfachen Morgenmahls, einem Frühstücksbrei aus Haferkleie, beschäftigt, und Rowan beeilte sich, ihr dabei zu helfen.

Ein kühler Windhauch zerrte an ihrem Haarschleier, und sie ließ kurz von der Arbeit ab, um ihn mit geübten Handbewegungen wieder zu richten. Als sie die vielen Wollfäden in ihrem Korb betrachtete, entfuhr ihr ein leiser Seufzer. Sie wusste, dass sie noch länger mit dieser eintönigen Arbeit beschäftigt sein würde. Im Anschluss musste sie dann ihrer Mutter noch beim Zubereiten des Abendbrotes helfen.

Ein lauter Aufschrei vor einem der Stände ließ Rowan jäh aufblicken. Ein dicker Händler mit feistem, rotem Gesicht hielt einen wild zappelnden Jungen grob am Ohr fest. Sie erkannte Kirran und fragte sich schmunzelnd, was er schon wieder angestellt hatte. Der Bengel schaffte es beinahe täglich, sich in unmögliche Situationen zu bringen.

Sie kannte den jüngeren Bruder ihres Milchbruders Johs gut, schließlich wohnte er mit seinem Vater und den vier Geschwistern immer noch in der benachbarten Kate.

Eine stetig größer werdende Menge von Marktbesuchern drängte sich um den kräftigen Gemüsehändler, der gerade angefangen hatte, wüst auf Kirran einzuschimpfen, und verstellte ihr den Blick. Deutlich hörte sie aber die laute Stimme des Mannes, die über den Marktplatz dröhnte.

»Stibitzen wolltest du, du Lausbub. Das werde ich dir schon austreiben!«

Rowan stieg neugierig auf die Holzbank, um einen besseren Blick auf das Geschehen zu haben. Sie sah, wie Kirran verzweifelt versuchte, sich aus dem eisernen Griff des Mannes zu befreien. Er schien sich damit aber eher noch mehr Schmerzen zuzufügen, wie man aus seinem leidenden Gesichtsausdruck schließen konnte.

Ruckartig wichen die Menschen auseinander und bildeten, wie von unsichtbarer Hand geführt, eine Gasse. Ein Raunen ging durch die Menge. Rowan stand auf Zehenspitzen und schielte nach rechts. Ein riesiger Mann mit einer furchteinflößenden Narbe, die sich quer über die linke Gesichtshälfte zog und auch an der kahl geschorenen Seite des Hinterkopfes deutlich sichtbar hervortrat, bahnte sich einen Weg durch die Menge. Seine muskelbepackten Arme waren unter der grauen, für seinen Stand üblichen derben Alltagstunika, nackt. Die Beine steckten in für die Jahreszeit eigentlich unpassenden, eng anliegenden Hosen, die nur bis kurz übers Knie reichten.

Die Sonnenstrahlen waren schon etwas kräftiger an diesem ersten Frühlingstag, weshalb der Mann wohl auch keinen Umhang trug. Die meisten Menschen ihres Stammes waren bei diesen milden Temperaturen noch in ihre wärmenden Umhänge gehüllt, da der Wind oben auf dem Donnersberg frisch sein konnte.

Mit festen Schritten und zu Fäusten geballten Händen stapfte der Mann auf den dicken Händler zu, dessen Gesichtsausdruck neben Verärgerung auch eine Spur Verunsicherung zeigte. Unruhig blickten seine kleinen Äuglein in die Menge, als erhoffte er sich Beistand.

Der Junge hörte umgehend mit dem Zappeln auf, als er den hünenhaften Mann erblickte, der sich vor dem ungleichen Paar aufbaute.

Rowans Arme überzogen sich mit einer feinen Gänsehaut. Sie hatte Kirrans Vater Morcant, ihren Nachbarn, sofort erkannt.

Morcants Frau Venia, Rowans geliebte Ziehmutter, war vor etwa einem Jahr im Kindbett verstorben und hatte das Mädchen, das sie in sich trug und sich sehnlichst gewünscht hatte, mit in den Tod genommen.

Von diesem Tag an war Morcant noch wortkarger und mürrischer geworden. Einst war er als gefürchteter Krieger mit dem Stammeshäuptling gegen aufständische Stämme gezogen und hatte so manche Narbe bei den blutigen Kämpfen davongetragen. Man erzählte sich in der Siedlung, dass Morcant eigenhändig ein halbes Dorf brutal erschlagen und dabei auch vor Frauen und Kleinkindern nicht Halt gemacht hatte. Vor allem die Kinder liebten solche Schauergeschichten und erzählten sie gerne weiter. Manch ein Junge wünschte sich insgeheim wohl, auch einmal ein so großer, stattlicher Krieger zu werden, wie es Morcant einst gewesen war. Trotz seiner zweiunddreißig Lenze waren dessen Arme immer noch genauso muskelbepackt wie eh und je.

Der Tod seiner Frau hatte Morcant dazu gezwungen, den Speer gegen einen Pflug zu tauschen und sich als Bauer um das Haus und die fünf Kinder zu kümmern. Nur noch selten konnte er an Beutezügen teilnehmen. Dies schmeckte dem Krieger natürlich nicht, deshalb ließ er seine Launen oft an den hilflosen Kindern aus, wie die Schreie aus dem Nachbarhaus, die Rowan häufig vernahm, bezeugten. Ihr bester Freund und Milchbruder Johs war Morcants ältester Sohn und obwohl er nie klagte, wusste sie, dass er es zu Hause nicht leicht hatte.

Als Rowan noch in Morcants Hütte gelebt hatte, war er die meiste Zeit auf Kriegszügen gewesen. Sie konnte sich nicht an ihn erinnern, da sie noch zu jung gewesen war, als ihr Vater sie dann schließlich aus dessen Kate in ihr Elternhaus zurückgeholt hatte.

Während sie älter wurde, spürte Rowan jedoch, dass Venia schreckliche Angst vor ihrem Ehemann empfand. Deshalb hatte sie auch einmal versucht, mit ihr über Morcant zu sprechen, um ihr etwas von der Last abzunehmen. Venia hatte ihre Ziehtochter umarmt, ihr die widerspenstigen, roten Locken aus dem Gesicht gestrichen und geseufzt: »Mach dir keine Sorgen, meine Kleine. Es geschieht alles so, wie die Götter es vorbestimmt haben. Sie haben mir schließlich auch dich gebracht.« Dann hatte sie Rowan ein Stückchen von sich weggeschoben und ihr ernst in die Augen gesehen. »Am Weg der Götter darfst du niemals zweifeln. Vergiss das nicht!«

Erst als sie Rowans zögerliches Nicken bemerkt hatte, ließ sie sie los und drückte ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn.

Die Erinnerung an dieses Gespräch half Rowan durch die harte Zeit der Trauer nach Venias Tod. Haderte sie anfangs noch mit den Schicksalsgöttern, erinnerten sie die Worte ihrer Ziehmutter daran, dass man auf die Götter vertrauen musste. Rowan wünschte sich sehr, dass sich ihre Amme mit ihrem heiß ersehnten Töchterlein nun an einem besseren Ort befand. Insgeheim dachte sie sich, dass wohl jeder Ort besser war, als an der Seite des brutalen Morcant.

Auf dem Marktplatz wurde es schlagartig totenstill, und Rowans Aufmerksamkeit wandte sich wieder den Geschehnissen dort zu.

Morcant blieb kurz vor dem Händler stehen, den er um mindestens zwei Haupteslängen überragte. Er blickte ernst auf seinen Sohn hinab und wandte dann seinen düsteren, durchdringenden Blick langsam dem Händler zu, dessen tief liegende, schwarze Augen unruhig hin und her zuckten und dessen eigentlich rote Gesichtsfarbe stetig blasser wurde.

»Lass ihn sofort los!«, bellte Morcant mit tiefer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.

»Aber, aber …«, stammelte der Mann, doch der düstere Blick, mit dem ihn sein Gegenüber anstarrte, brachte ihn zum Schweigen.

Er lockerte den Griff um Kirrans Ohr, und dieser nutzte die Gelegenheit, um flink hinter seinen Vater zu schlüpfen. Morcant legte den Kopf leicht schief und betrachtete schweigend den schwitzenden Händler, während dieser angespannt von einem Bein aufs andere hüpfte. Rowan grinste, es sah doch zu komisch aus, wie der kleine Händler nervös vor Morcant herumzappelte. Da wandte sich der Hüne endlich um und stampfte zurück durch die Menschenmenge, die sich langsam auflöste. Kurz streifte sein kalter Blick Rowan, die immer noch auf der Bank stand, und das Lächeln gefror ihr auf dem Gesicht. Kirran schlurfte mit hängendem Kopf hinter seinem Vater her.

Oh weh, armer Kirran!, dachte Rowan und ließ sich langsam wieder auf die Bank sinken. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, was dem Jungen blühte, und nahm sich ernsthaft vor, in nächster Zeit besonders nett zu ihm sein. Seufzend widmete sie sich wieder ihrer Tätigkeit. Mit der rechten Hand strich sie eine ihrer widerspenstigen, roten Locken aus dem Gesicht und zog sich ihr langes, schleierartiges Kopftuch tiefer in die Stirn. Es war üblich, dass ältere Mädchen und Frauen Kopftücher trugen und bei der Arbeit sogar hilfreich, um die Haare zu bändigen. Sie versuchte, sich auf ihre Betätigung zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zurück zu Kirran und seiner Familie.

»Rigani, schütze Kirran vor seinem brutalen Vater!«, flüsterte sie leise.

Sie rief Rigani, die Himmels- und Muttergöttin gerne an, war sie doch neben Belenos, dem Gott der Heilung, ihre Lieblingsgöttin. Wie alle anderen Menschen im Ort verehrte sie die Götter sehr und besuchte häufig das Heiligtum am Ostende der Siedlung. Dort war sie auch in der ersten Zeit nach Venias Tod häufig anzutreffen gewesen. Denn im Tempel fühlte sie sich ihrer Ziehmutter besonders nah und hielt heimlich Zwiesprache mit ihr.

Rowan machte sich gedankenverloren wieder an die von der Mutter aufgetragene Arbeit. Sie fragte sich, was das Schicksal wohl für sie bereithielt. Nicht mehr lange und ihr Vater würde einen Mann für sie bestimmen. Mit ihren fünfzehn Lenzen war sie mehr als alt genug, um in die Ehe gegeben zu werden. Ob wohl bereits Stammeskrieger um ihre Hand bei ihrem Vater angehalten hatten?

Alan würde schon dafür sorgen, dass sie gut versorgt würde, davon war Rowan fest überzeugt. Er hatte sie damals auch gegen den Willen ihrer Mutter wieder in die eigene Hütte zurückgeholt und seiner Frau befohlen, sich um das fast einjährige Kind zu kümmern, wie sie aus Erzählungen wusste. Gerda hatte ihrem Mann zähneknirschend gehorcht, hatte ihr Alan doch offen damit gedroht, sie zu verstoßen, sollte sie sich nicht fügen. Er hoffte wohl die ganze Zeit über, dass sich bei Gerda noch Muttergefühle einstellen würden. Immerhin hatte sie sich auch liebevoll um Berit gekümmert. Als Alenja Gerda jedoch nach Rowans schwerer Geburt eröffnet hatte, dass sie keine Kinder mehr haben würde, war diese sehr verbittert gewesen. Eine Verbannung durch ihren Mann und die Schande, die eine solche über sie bringen würde, wollte sie dennoch nicht riskieren. Somit kümmerte sie sich notgedrungen um Rowan, gab ihr Nahrung und Kleidung, aber keine mütterliche Zuneigung. Rowans drei Jahre ältere Schwester Berit jedoch, die Erstgeborene, die ihrer Mutter mit ihren dunklen Haaren und den haselnussbraunen Augen unheimlich ähnlich sah, wurde von dieser weiterhin liebevoll umhegt und gepflegt. Da sie das missgünstige Naturell ihrer Mutter ebenso wie ihr Aussehen geerbt hatte, genoss sie die Vorzugsbehandlung immer sehr und rieb dies ihrer Schwester so oft es ging unter die Nase.

Rowan seufzte leise, legte die letzte fertige Wollkugel zurück in den Korb zu den anderen und erhob sich von der Bank. Ihre Stimmung hatte sich merklich verdüstert, und sie machte sich mit auf den Boden gerichtetem Blick auf in Richtung der Hütte ihrer Familie.

»Aua, so pass doch auf!«, schimpfte plötzlich eine tiefe Stimme mit ihr.

Rowan erschrak und stolperte. Gedankenverloren hatte sie wohl jemanden unabsichtlich mit ihrer Schulter gestreift. Zwei kräftige Hände packten Rowan an den Oberarmen und verhinderten, dass sie stürzte. Es war alles sehr schnell gegangen, und die starken Hände, die sie eben noch aufgefangen hatten, ließen sie bereits wieder los.

Erst jetzt konnte sie einen Blick auf den jungen Mann werfen, der ihr gegenüberstand und sie leicht schmunzelnd betrachtete. Sie wollte ihren Augen nicht trauen, als sie Drystan erkannte, ihren ehemaligen Spielgefährten, Freund und einzigen Sohn des Stammeshäuptlings Cadan. Rowan wurde schwindlig. Ihr Herz begann, wie wild zu pochen, und sie hatte Sorge, dass er das laute Klopfen hören könnte.

»Es ist lange her, Rowan.«

Seine Stimme war viel tiefer als beim letzten Mal, als sie ihm begegnet war. Ihren Namen aus seinem Mund zu vernehmen, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Seine Stimme war aber nicht das Einzige, was sich verändert hatte. Drystan war mit seinen siebzehn Jahren nicht mehr der drahtige Junge, mit dem sie so viele Kindheitserinnerungen verband. Aus ihm war ein Mann geworden. Er war um einiges größer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Die Tunika spannte sich eng um muskulöse Schultern und fiel lose über die athletische Gestalt. Ein breiter Ledergurt hielt ein kurzes Breitschwert an seiner schmalen Hüfte. Die langen Beine steckten in den volksüblichen Bracas, einer weiten Hose, die man in kälteren Zeiten trug. Sein langer Umhang war mit einer reich verzierten, goldenen Schnalle gesichert, die seinen Stand als Häuptlingssohn betonte. Unsicher blickte Rowan in Drystans Gesicht und bemerkte, dass sein Kinn kantiger geworden war und Bartstoppeln darauf sprossen. Sie fühlte sich wie im Traum. Es war kein Tag vergangen, an dem sie nicht an ihn gedacht hatte. Ob es ihm wohl genauso gegangen war? Ihr Blick folgte seiner langen, geraden Nase und blieb an den tiefblauen Augen hängen, die sie amüsiert betrachteten. Seine langen, blonden Haare waren neben den Augen das Einzige, was sie an den alten Drystan erinnerte, denn sie hingen noch wie früher ungebändigt auf seine Schultern hinab.

Mindestens drei Jahre waren ins Land gegangen, seit sie den Häuptlingssohn zum letzten Mal gesehen hatte. Sie konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als er auf dem Pferd seines Onkels mit hängenden Schultern aus der Siedlung geritten war. Sein Onkel war ein staatlicher Krieger und Häuptling eines anderen Stammes. Auf Bitten seines Bruders hatte er dessen Sohn in Obhut genommen. Die kleine Siedlung auf dem Donnersberg erlebte damals unsichere Zeiten, weshalb sich Drystans Vater Cadan ständig auf Kriegszug befand. Somit blieb keine Zeit für die Ausbildung des eigenen Sohnes. Cadans Bruder hatte den Knaben mit zu seinem Stamm genommen, der etwa drei Tagesritte von der Siedlung am Donnersberg entfernt lebte. Es war eher ungewöhnlich, dass Stämme untereinander engere Kontakte pflegten. Die enge Verwandtschaft und der immer größer werdende Markt auf dem Donnersberg hatten jedoch zu dieser bestehenden Verbindung beigetragen.

Cadan benötigte auch jetzt noch oft die Hilfe befreundeter Stämme, denn es gab viele andere keltische Krieger, die marodierend und brandschatzend durch die Lande zogen. Ganz abgesehen von den germanischen Banden oder gar den Römern, die die Gegend immer wieder unsicher machten. Mithilfe der befreundeten Krieger war es Cadan bis jetzt aber immer gelungen, die kleine Siedlung zu schützen. Dies gelang ihm sogar so gut, dass die Bevölkerung auf dem Berg sich stetig vergrößerte, da sie dort Sicherheit und einen guten Handel erwarten konnte.

Der Tag, an dem Drystan weggegangen war, markierte auch das jähe Ende von Rowans eigener ungezwungenen Kindheit. Sie konnte sich noch gut an die tiefe Verzweiflung erinnern, die sie beim Verlust ihres Kindheitsfreundes verspürt hatte. Schließlich hatte sie täglich gemeinsam mit dem zwei Jahre älteren Drystan und ihrem Milchbruder Johs am Dorfbach gespielt oder war mit ihnen um die Wette auf Bäume geklettert. Oft lagen sie auch einfach nur im hohen Gras und malten sich aus, was eines Tages aus ihnen werden würde. Drystan wollte natürlich in die Fußstapfen seines Vaters treten und Stammeshäuptling werden. Johs erhoffte sich, Krieger zu werden und kein Bauer, und die beiden Jungen übertrafen sich gegenseitig mit abenteuerlichen Geschichten, in denen Johs unter Drystans Führung auf Kriegszüge ging. Von ihren Gesprächen angespornt, kämpften die beiden oft spielerisch gegeneinander mit ihren kurzen Holzschwertern, die sie selbst geschnitzt hatten. Einmal mimte Johs den tapferen Keltenkrieger, der einem brutalen Römer gegenüberstand, dann tauschten sie wieder die Rollen. Rowan, die sich als Mädchen natürlich nicht an den Raufereien der beiden beteiligte, spielte das Publikum und spornte die beiden eifrig an.

Als Johs einmal seinem Vater beim Ausbessern des Daches ihres Hauses helfen musste, hatten sich Rowan und Drystan alleine beim Dorfbach getroffen. Rowan erinnerte sich noch so gut an diesen Tag, als wäre er gestern gewesen. Es war glühend heiß, und die Luft flimmerte vor Hitze. Man konnte die Grillen zirpen hören und das leise Gluckern des Baches, der sich wie ein blaues Seidenband zwischen den grünen, saftigen Wiesen hindurchschlängelte. Hin und wieder ragten große, rote Felsen auf, die sich wie von Riesenhand hingeworfen über den ganzen Donnersberg verteilten. Die Kinder liebten es, auf diese Felsen zu klettern, die teilweise über mannshoch waren, oder sich auf ihnen zu sonnen. Die Felsen waren zwar hart und unbequem, aber sie strahlten bereits im Frühsommer angenehme Wärme ab, da sie die Sonnenstrahlen gut speicherten. Im Hochsommer dienten die Felsen ihnen als Schattenspender. Dann machten es sich die drei Freunde auf der Wiese im Schatten eines Felsens gemütlich. Die Felsen hatten dieselbe Farbe wie die Erde ihrer Heimat. Gerne machten die Jungen darüber Scherze, wie gut Rowans Rotschopf dazu passte.

Rowan bekam aufgrund der großen Hitze großen Durst. Bevor sie sich aber zum Wasser hinunterbeugen konnte, hatte sich Drystan bereits gebückt und Wasser mit seinen hohlen Händen geschöpft. Dann bot er es Rowan an, die dankbar einen großen Schluck trank. Den Moment, als ihre Lippen Drystans Hände berührten, würde sie nie vergessen. Jedes Mal, wenn sie daran dachte, spürte sie wieder dasselbe wunderbar warme Gefühl in ihrem Inneren. Auch Drystan schien die Berührung nicht kalt gelassen zu haben. Rowan bemerkte, wie sein Atem schneller ging und er ihr lange forschend in die Augen blickte. Seine leuchtend blauen Augen, von der gleichen Farbe wie der Sommerhimmel, hatten sie verzaubert. Das war der Moment gewesen, in dem sich alles zwischen ihnen verändert hatte.

Rowan dachte oft nach Drystans Abreise aus dem Dorf an diese unbekümmerten Momente zurück, und wenn sie ihre Augen schloss, war ihr, als könne sie die warmen Strahlen der Sommersonne wieder auf ihrer Haut spüren, die sich in Drystans Augen spiegelten.

Obwohl ihr Milchbruder Johs Rowan unheimlich viel bedeutete, war sie ihm von da an oft gezielt aus dem Weg gegangen, um so viel Zeit wie möglich alleine mit Drystan zu verbringen, was ihr aber nicht immer gelungen war. Sie lagen zwar weiterhin stundenlang zu dritt im Gras und sprachen über ihre Zukunft, doch wenn Rowan und Drystan alleine waren, malten sie sich eine gemeinsame Zukunft aus. Lag Johs neben ihnen, sprachen sie meistens über die großen Heldentaten, die die beiden Jungen sich erträumten. Dann hörte Rowan nur zu, während Drystan heimlich ihre Hand hielt und sie sich vorstellte, wie ihr großer, gut aussehender Mann nach einem erfolgreichen Kriegszug nach Hause zurückkehrte und sie lachend in seine Arme nahm.

Als Johs wieder einmal einen lästigen Botengang für seinen Vater erledigen musste, trafen sich Rowan und Drystan wie immer am üblichen Ort bei dem kleinen Bach, der direkt außerhalb des Westtores floss. Noch bevor sie sich auf der Wiese niederlassen konnten, fing es plötzlich und unerwartet zu regnen an. Lachend raffte Rowan ihr Gewand und rannte so schnell sie konnte, von Drystan dicht gefolgt, zu den nahe gelegenen Bäumen des Waldrandes, um Zuflucht zu suchen. Sie fröstelte, da ihre Kleidung in der kurzen Zeit völlig durchnässt worden war. Als Drystan bemerkte, wie sehr sie fror, zog er sofort seinen Umhang aus und legte ihn der zitternden Rowan fürsorglich um die schmalen Schultern. Sie vermutete, dass er genauso sehr fror wie sie, nahm aber seine Hilfe trotzdem gerne an. Sie wusste genau, dass er es niemals zulassen würde, dass sie ihm den Umhang zurückgab. Also hüllte sie sich dankbar hinein und sog seinen Geruch nach Sonne und Pferden genießerisch ein. Dann schmiegte sie sich enger an Drystan und schloss die Augen. Bei ihm fühlte sie sich so gut und sicher. Sie spürte seinen kräftigen Herzschlag und fühlte seinen Blick auf sich gerichtet. Als sie ihn ansah, waren seine Augen auf einmal nicht mehr strahlend blau, sondern wirkten dunkler. Es schien fast so, als hätte sich seine Augenfarbe dem grauen Regenhimmel angepasst.

Drystan hielt Rowan mit beiden Armen umfangen und fest an sich gepresst. Langsam senkte er seinen Kopf zu ihr herab, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, presste er seine Lippen kurz auf die ihren. Rowan stockte vor Überraschung der Atem, und sie spürte, wie es in ihrem Bauch kribbelte. Forschend blickte Drystan seiner Freundin in die Augen, die daraufhin kurz entschlossen ihre Arme fest um seinen Hals schlang und den Kuss erwiderte. In diesem Moment hörte sie nicht einmal mehr den heftigen Regen, der auf das Blätterdach tropfte.

Johs’ Stimme, die ihre Namen rief, riss sie abrupt aus ihrer Zweisamkeit. Er war früher als beabsichtigt von seinem Botengang zurückgekommen und wollte sich seinen Freunden anschließen. Drystan und Rowan fuhren wie ertappt auseinander und blickten sich verlegen an. Der junge Häuptlingssohn machte schließlich einen entschlossenen Schritt zur Seite, fuhr sich mit den Fingern durch die langen, nassen Haare, um sie zu ordnen, atmete einmal tief durch und antwortete scheinbar gelassen auf Johs’ Rufe. Schon rannte dieser schnaufend und ebenfalls triefnass, aber fröhlich winkend auf sie zu. Drystan, dem nicht entgangen war, dass Rowan immer noch wie gebannt dastand, verwickelte Johs geschickt in ein Gespräch. Rowan strich sich vorsichtig mit einem Finger über ihre Lippen, als müsste sie sich davon überzeugen, dass der Traum Wirklichkeit war. Dann riss sie sich zusammen und wandte sich ebenfalls Johs zu und lauschte seinen Erzählungen.

Am Tag nach dem Kuss hatte sich alles verändert. Drystan war plötzlich und unerwartet abgereist. Sie hatte sich nicht einmal mehr von ihm verabschieden können. Als ihr Vater ihr nebenbei von der Abreise des Häuptlingssohnes erzählt hatte, war sie aus ihrer Kate gestürzt und hatte gerade noch sehen können, wie er mit hängenden Schultern, umgeben von Kriegern seines Vaters, aus der Siedlung geritten war. Er hatte sich noch suchend umgesehen, und Rowan war sich sicher, dass er nach ihr Ausschau hielt. Doch sie versteckte sich schnell hinter einer Kate, damit er ihr tränenüberströmtes Gesicht nicht sehen konnte. Wenn er schon wegmusste, sollte er sie wenigstens nicht verquollen und verheult in Erinnerung behalten.

Rowan war untröstlich gewesen. Es war, als wäre mit Drystans Weggang plötzlich alle Freude aus ihrem Leben gewichen.

Die schöne Zeit ihrer Kindheit war damit unwiderruflich vorbei gewesen. Ihre Mutter hatte sie danach nicht mehr zum Spielen aus der Kate gelassen. Spielen war für Gerda sowieso Zeitverschwendung. Ihre Mutter hatte ihr stattdessen allerlei Haus- und Hofarbeit aufgetragen. Tagelang wusch sie die lehmverkrusteten Bracas ihres Vaters und die Wäsche der Familie in dem eiskalten Wasser des Bächleins. Der Wasserlauf, der sich hinter dem Westtor befand, wurde von den Frauen zum Säubern der Kleidung aufgesucht. Ihre Hände wurden rissig und wund, und es dauerte Wochen, bis sich ihre zarte Haut an die harte Arbeit gewöhnt hatte. Ihren besten Freund Johs sah sie ebenfalls kaum noch. Er hatte ihr zwar manchmal verstohlen zugelächelt, doch auch er hatte Pflichten übernehmen müssen, die ihm sein Vater Morcant nur zu gerne mit dem Gürtel einbläute.

 

Plötzlich stahl sich die Sonne hinter einer Wolke hervor, und Rowan blinzelte, um ihr Gegenüber genauer in Augenschein nehmen zu können. Ihr Blick blieb wieder an Drystans strahlend blauen Augen hängen, die im Moment von kleinen Lachfältchen umgeben waren. Sie spürte, wie ihre Hände zitterten, und versteckte sie schnell in den Falten ihres Gewandes.

»Drystan«, stieß sie verlegen hervor, denn ihr wurde plötzlich siedend heiß bewusst, dass es sich für ein Mädchen ihres Alters nicht gehörte, einen Mann so lange anzustarren. Ihre Wangen überzogen sich mit einer tiefen Röte, und sie wandte den Blick schnell in Richtung ihrer Schuhspitzen. »Du, äh – Ihr – seid wieder da!«, stotterte sie.

Drystans Augen blitzten amüsiert und seine ungewohnt tiefe, aber wohlklingende Stimme antwortete: »Wie du siehst, Rowan, bin ich wieder zu Hause. Mein Vater hat nach mir geschickt, um hier meinen Pflichten nachzukommen. Mein Onkel hat mich viel gelehrt, aber jetzt war es an der Zeit, wieder zurückzukehren.«

Leise fügte er hinzu: »Ich war lange genug fort.«

Rowan blickte langsam nach oben. Hatte Drystan ihr gerade zu verstehen gegeben, dass er sie genauso vermisst hatte, wie sie ihn?

Sie bemerkte seinen neugierigen Blick auf sich, der sie nun ebenfalls musterte, und sah rasch wieder zu Boden.

 

Drystan lächelte, als er Rowans Unsicherheit bemerkte. Auch für ihn war der jähe Abschied unheimlich schmerzhaft gewesen, und er hatte sich viele Monate lang nach seiner Freundin gesehnt. Wie hatte sich das quirlige Mädchen mit den widerspenstigen roten Locken doch verändert! Als er sie hatte verlassen müssen, war Rowan schon ein hübsches Mädchen gewesen, doch nun stand eine hochgewachsene, schöne junge Frau vor ihm.

Wie gut ihr Name doch zu ihr passt – Rowan, der Rotschopf –, dachte Drystan und betrachtete neugierig ihre rote Locken, die sich unter dem groben Wolltuch, das sie um den Kopf trug, hervorgestohlen hatten und in der Abendsonne kupfern leuchteten.

Sie hielt sich sehr gerade, und ihr langes Kleid, das von einem schmalen, gezwirbelten Lederband zusammengehalten wurde, betonte ihre schmalen Hüften. Ihre feingliedrigen Finger umschlossen den Henkel eines Weidenkorbes, in dem sich aufgerollte Wollfäden befanden. Er blickte ihr unverwandt ins Gesicht. Eine leichte Röte, die ihr seiner Meinung nach ausgezeichnet stand, überzog ihre Wangen, die wie früher mit einigen frechen Sommersprossen geschmückt waren. Ihre graublauen Augen waren kaum zu erkennen, da sie von einem Kranz dichter roter Wimpern umgeben waren und sie zudem angestrengt auf die Spitzen ihrer weichen Lederschuhe zu starren schien.

»Rowan.« Drystan wunderte sich über den heiseren Klang seiner Stimme. Seine Hand berührte sie sanft am Kinn, und sie blickte schüchtern auf. »Es ist schön, dich wiederzusehen.«

Bevor sie antworten konnte, öffnete sich die Tür zum Haus des Stammeshäuptlings, und Cadan trat heraus. Suchend blickte er über den großen Platz. Als er seinen Sohn im Gespräch mit Rowan erspähte, runzelte er die Stirn und rief ihn mit einem bellenden Unterton zu sich.

Drystan seufzte, und sein Blick drückte Bedauern aus. Noch einen Moment lang hielt er den Blickkontakt aufrecht, bevor er sich schließlich mit einem kurzen Zwinkern umdrehte und grinsend in Richtung seines Zuhauses schlenderte, das sich am Rande des Marktplatzes im Zentrum der Siedlung befand.

 

Rowan schluckte. Sie brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen. Gedankenverloren blickte sie Drystan nach, wurde sich aber sogleich der Tatsache bewusst, wie das auf die Leute wirken musste, wenn sie mitten auf dem Marktplatz einem Mann hinterherstarrte. Rasch fing sie sich wieder und schüttelte energisch den Kopf. Ihre Finger schlossen sich fest um den Weidenkorb, und sie hastete zurück zu ihrem Elternhaus. Der Weg war nicht weit, da es in dritter Reihe hinter dem Brunnen des Marktplatzes lag. Dahinter konnte sie die Stallungen und den anschließenden Erdwall ausmachen, der die Siedlung umgab.

»Da bist du ja endlich, Mädchen!« Ihre Mutter blickte kurz auf. Ihre mehlbedeckten Hände kneteten kräftig einen großen Teigklumpen. Schweißtropfen auf ihrer Stirn deuteten auf die Anstrengung hin, mit der sie den Teig bearbeitete.

»Du musst Wasser holen und die Rüben klein schneiden.«

Rowan seufzte, stellte den Korb in sicherer Entfernung vom offenen Feuer ab und hob die zwei leeren Wassereimer hoch, um sie am Brunnen aufzufüllen.

»Aber trödel nicht wieder so lange!«, gab ihr die Mutter noch mit auf den Weg, während sie geschickt den dicken Teigklumpen in zwei lange Stränge flocht.

 

Am Dorfbrunnen musste Rowan ausnahmsweise einmal nicht warten. Üblicherweise trafen sich die Frauen dort kurz nach Sonnenauf- und vor Sonnenuntergang, um Wasser für das Zubereiten der Mahlzeiten zu holen. Es schien später zu sein, als sie dachte. Sie sah blinzelnd in die Sonne, die bereits tief am Himmel stand.

Rowan fröstelte. Mit klammen Fingern zog sie ihren Umhang enger um sich. Es wurde rasch deutlich kälter am Abend dieses Frühlingstages, und sie beeilte sich, die beiden Eimer mit dem kalten Wasser zu füllen. Es war anstrengend, die vollen Eimer aus dem Brunnenschacht nach oben zu ziehen. Dennoch machte sie, so schnell sie konnte, denn sie wusste, dass ihr Vater bald hungrig vom Feld kommen würde, und wollte nicht, dass er auf seinen Eintopf warten musste.

Bevor sie den Brunnen verließ, blieb ihr Blick kurz am Haus des Häuptlings hängen. Es war ein schönes Fachwerkhaus, das einen großen Gegensatz zu den viel kleineren, aus Lehm erbauten Katen der Bauern darstellte, die in den hinteren Reihen der Siedlung zu finden waren. Nur die Häuser der Krieger, die neben dem Häuptlingshaus in erster Reihe um den Marktplatz standen, zeugten ebenfalls von einem gewissen Wohlstand. Sie waren deutlich größer als die einfachen Bauernhäuser.

Was Drystan jetzt wohl gerade macht?, schoss es Rowan durch den Kopf.

Kopfschüttelnd darüber, dass er sich schon wieder in ihre Gedanken gestohlen hatte, marschierte sie zurück zu ihrer Kate, wo ihre Mutter sie mit einem missbilligenden Blick empfing. Vorsichtig füllte sie Wasser in den großen Topf, der über der Feuerstelle an einem groben Haken hing. Dann setzte sie sich auf ein Schemelchen daneben und begann mit einem kleinen scharfen Messer die Rüben, die aufgetürmt neben dem Herd lagen, zu schälen und in Stücke zu schneiden. Rowan musste das Messerchen immer wieder ansetzen, denn die Klinge rutschte ständig von den dicken Rüben ab.

»Du musst deinen Vater bitten, dir das Schneidemesser zu schärfen, wenn er heimkommt«, merkte ihre Mutter an, die ihre Schneideversuche aus den Augenwinkeln beobachtete. »Und schneide mehr Rüben hinein, denn Berit kommt heute mit dem kleinen Arto zu Besuch.«

»Ja, Mutter.« Rowan seufzte.

Ihre ältere Schwester Berit kam häufig zum Abendmahl und brachte immer ihren sechs Monate alten Sohn Arto mit, den ihre Mutter abgöttisch liebte.

Warum kommt sie wohl so oft?, fragte sich Rowan. Wahrscheinlich hält sie es bei ihrem langweiligen Gatten nicht aus, dachte sie dann gehässig.

Sie erschrak über ihre bösen Gedanken, schüttelte dann energisch ihre roten Locken und machte sich wieder konzentriert an die Arbeit. Ein kurzer Blick auf den Kessel verriet ihr, dass das Wasser noch nicht kochte. Schnell schob sie ein weiteres Holzscheit unter den dampfenden Kessel, um das Feuer anzuheizen.

Ein lautes Pochen an der Holztür ließ Rowan aufblicken.

Ihre Schwester Berit betrat die kleine Kate, unter ihrem warmen Umhang das schlafende Kind haltend, und blickte freudestrahlend zu ihrer Mutter. »Sieh mal, was er für einen süßen Schmollmund macht, wenn er schläft«, sagte sie stolz und streckte ihr den schlafenden Jungen entgegen.

Die Mutter wischte sich die mehligen Hände an der karierten Schürze ab und nahm ihrer Ältesten zärtlich den Jungen aus dem Arm.

»Ja, er ist ein süßer Fratz«, murmelte sie und herzte den kleinen Buben so lange, bis sich seine blauen Äuglein öffneten. »Die Nana ist da, mein Kleiner«, liebkoste sie ihn und setzte sich mit dem schläfrigen Kind auf einen gemütlichen Stuhl neben dem Feuer.

Berit zog ihren Umhang und Schleier aus und legte sie auf die Kleidertruhe neben der Tür. Sie trug ein schönes, mit einer Borte verziertes Wollkleid, das für den Anlass dieses einfachen Abendessens eigentlich zu fein war. Ihre langen braunen Haare wurden von einer Hornspange zusammengehalten. Berits Gesicht war ebenmäßig, wenn man es auch nicht gerade als schön bezeichnen konnte. Ihre Nase war etwas zu spitz und den Rand ihres Mundes zierte ein großes Muttermal. Berit war wirklich das Ebenbild ihrer Mutter.

Rowan richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Rüben und beeilte sich, da sie wusste, dass ihr Vater jeden Moment hungrig heimkommen würde. Ungeduldig wischte sie mit einer Hand eine ihrer widerspenstigen roten Locken zurück, die ihr immer wieder ins Gesicht fielen, und arbeitete zügig weiter. Ein leises Blubbern verriet ihr, dass das Wasser zu kochen angefangen hatte, und sie fügte ihm neben den Rübenschnitzen noch getrocknete Kräuter aus dem Hausgarten zu. Sofort zog ein schmackhafter, würziger Duft durch den Raum. Die Brotlaibe, die ihre Mutter geknetet hatte, bettete sie vorsichtig in die bereitgestellten Tonformen und stellte diese an den Rand des Herdes.

»Pass auf, dass sie nicht direkt im Feuer liegen«, wies ihre Mutter sie an, während sie das Kind in ihren Armen liebevoll in den Schlaf schaukelte.

Rowan seufzte leise und begann, grobe Holzschüsseln und -löffel auf dem Tisch zu verteilen. In den langen Wintermonaten half sie oft ihrem Vater beim Schnitzen des einfachen Geschirrs und Bestecks.

Berit betrachtete ihre Mutter und das Kind mit verzücktem Gesichtsausdruck. Dann wandte sie sich Rowan zu und runzelte die Stirn. »Bist du nicht ein wenig spät dran mit dem Abendbrot? Wenn der Vater kommt …«, sagte sie ein wenig gehässig.

Seit Berit vor zweieinhalb Jahren mit Biorach, einem jungen Krieger, verheiratet worden war, blickte sie hochnäsig auf ihre jüngere Schwester herab. Dabei war Biorach kein tapferer Mann, sondern vielmehr ein Hasenfuß, wie Rowan fand. Bei diesem Gedanken musste sie ein wenig lächeln.

»Was ist denn wohl so lustig?«, drang Berits spöttische Stimme an ihr Ohr.

»Ach nichts, liebe Schwester. Ich musste nur daran denken, wo Biorach heute wohl sein mag? Ist er mit den anderen Kriegern ausgezogen, um unsere Ortschaft im Osten vor dem gallischen Kriegsstamm zu beschützen, von dem sich die Leute auf dem Markt erzählen?«

Berit gefror das Lächeln auf dem Gesicht. Sie fing sich jedoch gleich wieder und säuselte: »Liebstes Schwesterherz, selbstverständlich hat Biorach eine tragende Rolle im Niederschlagen dieses Gallieraufstandes. Er wurde höchstpersönlich von Häuptling Cadan damit beauftragt, sich um die Nachschublieferungen vom Dorf aus zu kümmern. Und das, wo auch noch das Römerpack in der Nähe des Donnersbergs gesehen wurde.«

Rowan unterdrückte ein Grinsen. Seit Biorach bei seinem ersten richtigen Feldzug vor einem Jahr einen schweren Fehler begangen und statt eines Feindes einen Krieger aus dem Dorf schwer verletzt hatte, wurde er vom Stammeshäuptling nur noch mit niederen Aufgaben betraut. Berit schmeckte das natürlich überhaupt nicht, aber da sie sich nicht gegen Cadan wehren konnte, schmückte sie Biorachs einfache Tätigkeiten zu wahrhaftigen Heldentaten aus.

Ein kalter Windstoß fuhr plötzlich in die kleine Kate und ließ das Feuer höher flackern, als die einfache Holztür der Hütte mit einem Stoß aufflog und der Vater ins Haus stapfte.

»Ist das Abendbrot fertig, Weib?«, dröhnte er und blickte zu seiner Frau, die ihm mit einer Handbewegung zu verstehen gab, dass er leise sein sollte.

»Schhh, Alan, der Kleine schläft. Wir wollen ihn doch nicht aufwecken.«

Alan grummelte etwas in seinen langen roten Bart, zog dann aber schnell die Tür hinter sich zu und schlüpfte aus seinen lehmverkrusteten Lederstiefeln, in die er seine Bracas gestopft hatte, um sie vor dem Lehm auf dem Feld zu schützen. Lehmbrocken lösten sich von den Sohlen und fielen auf den Boden, was Alan einen missbilligenden Blick seiner Frau einbrachte.

»Das Feld ist zu einem Viertel bestellt«, sagte er. »Wenn ich Hilfe hätte, ginge das viel schneller.« Bei diesen Worten blickte er zu Berit.

Diese errötete leicht und entgegnete hastig: »Aber Vater, du weißt doch, wie beschäftigt Biorach mit seiner wichtigen Arbeit für Häuptling Cadan ist. Da bleibt ihm einfach keine Zeit, dir auf dem Feld zu helfen.«

Alan sah Berit unter seinen dichten, roten Augenbrauen hervor an und schüttelte leicht den Kopf. Dann blieb sein Blick an Rowan hängen, die mit einem großen hölzernen Kochlöffel den Rübeneintopf im großen Messingtopf umrührte.

»Guten Abend, Vater«, sagte sie und deutete einen kurzen Knicks an. Eine Geste der Ehrerbietung, wie sie in ihrem Dorf Älteren gegenüber üblich war. Der Blick ihres Vaters wurde weich.

»Rowan, meine Kleine, warst du heute fleißig?«.

Sie blickte kurz zu dem Korb mit der Wolle hin und zuckte mit den Schultern. »Wenn du möchtest, kann ich dir morgen gerne auf dem Feld helfen, Vater.«

Obwohl die Arbeit auf dem Feld körperlich viel anstrengender als das langweilige Wolledrehen war, würde sie diese Tätigkeit viel lieber verrichten. Wie gerne würde sie vom Donnersberg hinab ins Tal steigen, wo die Felder bestellt wurden. Die Siedlung war zwar ansehnlich und vor allem sicher, doch Rowans Erkundungsdrang war stärker. Sie liebte es, die rote, satte Erde ihrer Heimat unter ihren nackten Füßen zu spüren und die hügelige, grüne Landschaft unterhalb des Donnersbergs zu betrachten. Ihre Eltern erlaubten ihr aber nicht, alleine vom Berg hinabzusteigen. Trotz Cadans Bemühungen, die Siedlung zu sichern, war es für eine Frau viel zu gefährlich, die Gegend alleine zu erkunden. Und die Männer nahmen sie nie mit, da sie ihnen, wie sie gern verlauten ließen, nur im Weg wäre. Nur zweimal hatte sie einen Tross Frauen begleiten dürfen, der von zwei Kriegern geschützt wurde, und hatte bei der Ernte helfen dürfen. Das war in dem Jahr gewesen, als besonders viele Überfälle auf das Dorf stattgefunden hatten und Cadan deshalb auch die Bauern an die Waffe gerufen hatte. Deshalb hatten die Frauen auf den Feldern aushelfen müssen.

Müde lächelte der Vater Rowan an. Dann ließ er sich kopfschüttelnd – eine Geste, die Rowan eindeutig von ihm geerbt hatte – mit einem wohligen Seufzer auf den Schemel am Kopfende des grob gezimmerten Holztisches nieder, der den größten Teil des einfachen Küchenecks einnahm.

»Du weißt, dass das keine Arbeit für ein Mädchen ist, Rowan«, grummelte er. »Ich danke dir dennoch für dein Angebot.« Seine Stimme wurde weich.