Kreuzweg - Eckhard Lange - E-Book

Kreuzweg E-Book

Eckhard Lange

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Beschreibung

Ein geheimnisvoller Händler in Jerusalem verkauft eine geheimnisvolle Schriftrolle für einen einzigen Schekel an einen Fremden. Ein geheimnisvoller Berichterstatter erzählt von den letzten vierundzwanzig Stunden im Leben des Rabbi Jesus aus Nazareth.Ist es wirklich ein Augenzeugenbericht?Die Frage bleibt offen. Und sie wird zunehmend unwichtiger. Denn die Gedanken, die der Bericht auslöst, die Erkenntnisse, die er vermittelt, sie stellen ganz andere Fragen. Auch an uns heute.

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Seitenzahl: 104

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Eckhard Lange

Kreuzweg

eine Erzählung

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Schriftrolle

Erste Station: Gewalt und Gewaltlosigkeit

Zweite Station: Macht und Ohnmacht

Dritte Station: Last und Hingabe

Vierte Station: Ruf und Nachfolge

Fünfte Station: Schmerz und Schicksal

Sechste Station: Schuld und Vergebung

Siebente Station: Geben und Nehmen

Achte Station: Angst und Vertrauen

Neunte Station: Abschied und Trauer

Epilog

Impressum neobooks

Die Schriftrolle

Zufällig nur und ohne, daß ich danach gesucht hätte, sind mir seine Aufzeichnungen in die Hände geraten. Es war anlässlich eines nachmittäglichen Bummels durch den Basar von Jerusalem, denn dort ist es um diese Tageszeit immer noch am erträglichsten, wenn die Sommerhitze über der Stadt brütet und die Einheimischen sich hinter die weißgekalkten Mauern ihrer Häuser zurückziehen. Auch im Basar ist dann das laute Rufen der Händler verstummt, die Kupferschmiede hocken still vor ihren Läden und hämmern auf dem Blech der Schalen und Becher herum, die Gewürzkrämer rücken die geflochtenen Körbe ein wenig zurecht und die Tuchhändler ordnen die Schals und Röcke auf den Ständern, die von neugierigen Kunden wenig sorgfältig zurückgehängt worden sind, nach viel Probieren und erfolglosem Feilschen. Allein die Andenkenhändler haben jetzt noch ausreichend Kundschaft, denn die Touristen pflegen auch in dieser Zeit durch die schmalen Straßen des Basars zu flanieren und nach allerlei hässlichem Plastikkram Ausschau zu halten, den man ihnen für original judäisches Kunstgewerbe anpreist.

Ich fand mich, ziellos herumwandernd, plötzlich in einer dunklen und so engen Gasse wieder, daß nicht einmal ein Eselskarren hindurchgepaßt hätte. Noch nie zuvor war mir dieser schmale Gang aufgefallen, der mehrfach über einige Stufen hinweg zum Tempelberg hinaufzuführen schien, wenn er nicht einfach irgendwo an einer Hauswand endete. Die meisten Häuser hier brachten mir bloße Abweisung entgegen, keine Öffnung in eine Werkstatt oder einen Verkaufsraum hinein, nur kleine, von hölzernen Läden verschlossene Luken und ebenso verschlossene Türen. Doch nach einigen Schritten stieß ich dann auf jenen Händler, der, den Kopf gegen die Hauswand gelehnt, scheinbar schlafend neben einer geöffneten Tür auf dem Boden hockte. Dennoch hatte er mein Nahen sehr wohl registriert, und als ich herangekommen war, blinzelte er mich mit einem fast verschwörerisch zu bezeichnenden Gesichtsausdruck an und sagte halblaut: „Ihr sucht das Ungewöhnliche, nicht wahr? Und ich versichere Euch, hier werdet Ihr es finden.“ Dabei bewegte er sich um keinen Deut, als wolle er inständig gebeten werden, das Ungewöhnliche dem Fremden auch zu offenbaren.

Belustigt blieb ich stehen und betrachtete den Mann näher. Sein runzliges Gesicht ließ keine Schätzung des Alters zu, er konnte hundert oder auch erst Vierzig sein; auf dem Kopf trug er eine Art Turban, um den Eindruck eines orientalischen Händlers zu erwecken, während der abgewetzte braune Sakko und eine mehrfach geflickte Jeans dem entschieden widersprachen. Auffällig an ihm waren nur die sehr schlanken und gepflegten Hände, an denen zwei schön gearbeitete Ringe ins Auge fielen – ganz offensichtlich aus echtem Gold und mit je einem Amethyst geschmückt. Das machte mich neugierig, denn er schien tatsächlich einen Sinn für ungewöhnliche Dinge zu besitzen, und so fragte ich ihn dann gerade heraus, was er mir anzubieten habe. Er lächelte – im Mund saßen nur noch wenige, reichlich gelb gefärbte Zahnstummel – und stand langsam, aber durchaus mühelos auf, um mich danach in den kleinen dunklen Raum hineinzuwinken. Dort entdeckte ich allerlei Schnitzarbeiten aus Olivenholz, wie sie besonders von den Bethlehemitern angefertigt werden, ordentliche, aber keineswegs außergewöhnliche Arbeiten, dazu schön getriebene Kupferkannen und weiter hinten einige Holztäfelchen mit Ikonenmalerei, die mir sogar mittelalterlich vorkamen.

Doch mein Händler zeigte mir nichts von alledem, er trat an ein Schränkchen und öffnete es mit einem Schlüssel, den er an einem Band um den Hals trug. In dem Fach lag nur ein einziger Gegenstand: eine Pergamentrolle in einem Lederetui, beides schien auf den ersten Blick ein altes Fundstück zu sein. Allerdings kannte ich die zahlreichen Tricks geschickter Fälscher, historische, Jahrhunderte alte Schriftstücke täuschend echt nachzuahmen. Der Ladenbesitzer blickte mich prüfend an, dann lächelte er erneut: „Ich sehe Euch an, daß Ihr genügend Kenntnis besitzt, um echtes von unechtem zu unterscheiden. Was ich hier in der Hand halte, ist echt. Allerdings nicht in jenem eingeschränkten Sinne von Echtheit, daß es tatsächlich aus jener Zeit stammt, von der es berichtet. Dieses Pergament stammt aus einem inzwischen verlassenen Kloster im Gebirge Juda, und es ist eine Abschrift, die allerdings aus dem achtzehnten Jahrhundert stammt. Aber der Mönch, der sie damals gefertigt hat, versichert in einem Vorwort, daß er den Text wortgetreu von einem weit älteren Dokument übernommen hat, und Ihr werdet mit Staunen bemerken, daß er das Schriftstück, das ihm vorlag, bis in die Form der einzelnen Buchstaben hinein mit großer Sorgfalt kopiert hat. Hätte er nicht diese Vorbemerkung verfasst, ich bin sicher, auch Ihr würdet meinen, ein Pergament aus dem zweiten Jahrhundert oder noch früheren Datums in der Hand zu halten, jedenfalls, solange Ihr es nicht mit den heutigen Methoden der Altersbestimmung untersucht hättet.“

Er machte eine Pause, strich mit der Rechten liebevoll über die Lederhülle und reichte mir dann beides, ohne zu fragen, ob ich überhaupt Interesse an solchen Dokumenten haben könnte. Ich nahm sie also, entrollte die ersten beiden Spalten, überflog nur kurz die Vorbemerkung des Kopisten, um dann allerdings mit Spannung weiterzulesen: „Dies sind die Aufzeichnungen des...“ Hier war der Name allerdings unleserlich geworden, und auch der Abschreiber hatte diese Reste sorgfältig nachgemalt, ohne sie zu ergänzen. Aber dann folgte eine Inhaltsangabe, die mich wirklich aufmerken ließ:

„Dies ist, was ich mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört habe, als der Rabbi Jeschua aus Nazareth hinausgeführt wurde vom Prätorium des Präfekten zum Hügel der Kreuze, um dort zu Tode gebracht zu werden nach dem Urteil des Römers. Nichts habe ich hinzugefügt und nichts habe ich weggelassen, damit alle, die nach uns kommen, sicheres Urteil haben über das, was an jenem fünfzehnten Tag des Monats Nisan, dem ersten des Pesachfestes, in der Stadt Davids geschehen ist.“

Ich hielt inne. Wenn dieser namenlose Mönch tatsächlich die Aufzeichnungen eines ebenso namenlosen Mannes kopiert hat, der sich als Augenzeuge des Karfreitags ausgibt, und wenn dieser Augenzeuge tatsächlich existiert hat, dann hielte ich ein Dokument von unschätzbarem Wert in meiner Hand. Das aber mußte auch mein Händler wissen. Warum also bot er es nicht dem Israel-Museum oder dem Rockefeller-Museum an oder irgendeinem der kirchlichen Würdenträger hier in der Stadt? Nur sie hätten die Möglichkeit, die Echtheit zu überprüfen, und nur sie hätten die nötigen Mittel, ein solches Dokument zu erwerben. Was könnte ich diesem Manne schon geben – ein zufälliger Passant, der schließlich nicht in der Lage ist, den Wert dieser Schriftrolle überhaupt zu taxieren. Und doch, irgendwie war ich fasziniert von dem, was ich da gelesen hatte, und so blickte ich den Händler wohl so eindeutig fragend an, daß er noch einmal lächelte, ehe er sagte:

„Ich weiß, Ihr fürchtet, dieses Rolle sei für Euch unbezahlbar, und ich denke, Ihr habt recht. Dennoch werde ich sie Euch verkaufen für – nun, sagen wir: einen Schekel. Den werdet Ihr aufbringen können, nicht wahr? Ihr fragt nun sicherlich, warum ich das tue. Ich kann es Euch nicht erklären. Es ist einfach Intuition – das Gefühl, sie ist bei Euch in der richtigen Hand. Ich sage Euch: die Historiker werden diese Schrift solange prüfen und deuten, bis nichts mehr übrig ist von ihrem Zauber. Die Kirchenleute werden sich nur wieder streiten, welcher Ort hier in der Stadt nun dadurch geheiligt ist und welcher ihnen keinen Gewinn mehr einbringt. Und die Bibelwissenschaftler werden jeden Vers ihrer heiligen Schrift erneut auf die Goldwaage legen müssen und ihn doch nicht ändern können. Unser namenloser Verfasser braucht einen Leser, der ihm auf seinem Weg folgt, der ihm vertraut und seine Botschaft mit offenem Herzen aufnimmt. Und ich bin gewiß, Ihr seid ein solcher Mann. Laßt mich meine Ölbaumfiguren verkaufen und meine Heiligenbilder, das reicht für mein Auskommen, selbst in dieser abgelegenen Gasse. Ihr aber nehmt das Pergament; prüft nicht weiter seine Echtheit, denn Ihr werdet sowieso nicht herausbekommen, wer dieser Schreiber war und ob er alles so niedergeschrieben hat, wie es damals geschehen ist. Geht einfach mit ihm jenen Weg nach, den er einmal gegangen ist – und den ein anderer ihm vorausgegangen ist, mit einem Kreuzesbalken auf der Schulter und einem Dornenkranz im schweißnassen Haar.“

Damit nahm er die Rolle, die er wieder sorgfältig in die Lederhülle zurückgeschoben hatte, strich noch einmal fast liebevoll darüber und reichte sie mir dann, ohne meine Antwort abzuwarten. Und ich entnahm meiner Jackentasche einen Schekel, den ich dort stets zu stecken hatte, falls ein allzu aufdringlicher Bettler mich zu arg belästigte, legte sie in seine schmale, feinfingrige Hand; er dankte höflich und geleitete mich zur Tür, um mich mit guten Wünschen zu verabschieden. Ich ging. Als ich mich noch einmal umdrehte, war der Händler verschwunden, der Wellblechladen vor seinem Geschäft war heruntergezogen. Es schien, als hätte er nur auf mich gewartet, aber da mochte ich mich auch täuschen. Schließlich war es ein heißer Tag, und niemand war in dieser Gasse unterwegs. Ich habe sie übrigens auch nicht wiedergefunden, als ich Tage später noch einmal diesen Teil des Basars durchwanderte. Doch vielleicht war es auch besser so, blieb damit doch das Geheimnisvolle erhalten, das meinen neuen Besitz umgab. Umso mehr vertiefte ich mich in das, was jener unbekannte Augenzeuge einst niedergeschrieben hatte. Ja, ich folgte seinem Weg, und damit dem Weg dessen, der sein Kreuz hinauf nach Golgatha getragen hatte.

Erste Station: Gewalt und Gewaltlosigkeit

Viele Leute in unserem Volk, vor allem die Galiläer, sind der Meinung, der Rabbi Jeshua sei der erwartete Messias. Er hat die Nähe der kommenden Herrschaft des Erhabenen verkündet, das ist wahr; und er hat mancherlei wunderbare Zeichen getan. Aber das alles war uns noch kein Beweis. Er hat auch keinen Kontakt zu uns gesucht, obwohl wir doch für eben diese Gottesherrschaft gegen die verhaßten Fremden kämpften. Im Gegenteil: Er hat auch Zöllner, die doch mit den Römern gemeinsame Sache machten auf Kosten unserer Landsleute, in den engsten Kreis seiner Freunde und Schüler aufgenommen. Das konnten wir nicht verstehen und schon gar nicht billigen. Dennoch liefen ihm die Leute zu. Deshalb hat unser Anführer mich ausgeschickt, ihn zu beobachten und über ihn zu berichten. Ja, ich bin ein Zelot, wie uns die meisten in Judäa nennen, ein Eiferer für die Sache des Erhabenen und für die Freiheit seines auserwählten Volkes.

Vielleicht sollte ich berichten, warum ich in den Widerstand gegangen bin, warum ich meine Familie und mein Heimatdorf verlassen habe, um zu den Zeloten in die Berge zu fliehen. Es war die Ungerechtigkeit, die mich dazu getrieben hat. Eine Ungerechtigkeit, die ich am eigenen Leibe erfahren mußte. Ich lebte in einem Dorf im Gebiet des Stammes Benjamin, dicht an der Grenze zu Samaria. Ich arbeitete mit auf dem Hof meines Vaters, und ich hätte ihn eines Tages geerbt, wenn, ja wenn mich gerechter Zorn nicht zu einer Bluttat verführt hätte. Nein, ich bereue nicht, was geschehen ist.

Jahrhundertelang hatten alle Sippen in unserem Dorf ihr Auskommen mit dem, was Felder und Weinberge erbrachten, und gerne haben wir dem Tempel die geschuldeten Abgaben entrichtet. Aber mit den Römern kamen auch die Steuereintreiber, und sie forderten ständig mehr. Immer wieder gab es Streit über die Höhe dessen, was wir zu zahlen hatten, und immer öfter wurde einem Bauern dann auch mit Gewalt ein Teil seiner Wintervorräte genommen, so daß seine Familie Hunger litt und auf die Barmherzigkeit der Nachbarn angewiesen war.

Eines Tages aber hatten die Römer die Steuern unseres Dorfes an einen neuen Pächter vergeben, und der wollte rasch reich werden. Es war ein Großgrundbesitzer, der ausgedehnte Ländereien besaß, einer aus unserem Volke, aber seine Habgier war grenzenlos, was zählte da, daß auch er ein Sohn unserer Väter Abraham und Isaak war. Auf einen Schlag hob er die Abgaben um ein Fünftel des bisherigen an, für die Unkosten, die er persönlich damit habe, wie er ganz offen sagte. Denn, wie wir alle wussten, hatte er einen hohen Betrag geboten, um das Steuerprivileg zu kaufen. Mein Vater weigerte sich zu zahlen, doch er kam, begleitet von zwei römischen Legionären, und nahm uns allen den Beutel ab, ließ uns völlig mittellos zurück.