Nephilynn - Vanessa Olschansky - E-Book

Nephilynn E-Book

Vanessa Olschansky

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Beschreibung

KLAPPENTEXT: Wie viele Hürden muss ein gefallener Engel nehmen, um die Sünden wieder gutzumachen? Wie viele Wunden müssen heilen, um zu vergessen? Diese Fragen, nimmt Emily mit auf die Erde und in die Hölle. Ohne Flügel und nur mit blindem Vertrauen, folgt sie dem Bösem zurück zu dessen Ursprung. Unter Schmerzen lernt sie auf dem schmalen Grat zwischen Liebe und Leid zu wandeln. Der Kampf ums Überleben ist ein Spiel mit dem Feuer. ACHTUNG TRIGGERWARNUNG: Im Buch gibt es explizit beschriebene Szenen von (sexueller) Gewalt und entsprechend anstößige Sprache. Das kann eventuell verstörend wirken. Lesen auf eigene Verantwortung. LESERSTIMMEN: » Du machst mich fix und alle mit dieser Gefühlsachterbahn, aber ich liebe es. « - booksandbonsai » Oh mein Gott, ich habe gerade angefangen und ich liebs. Ich glaube, das wird eine lange Nacht ☺☻ . « - booksandbonsai » Ich fliege durch die Seiten und kann es nicht mehr aus der Hand legen. [...] Du schreibst fantastisch. « - so_many_books.so_little_time » ...seit Donnerstag Abend bin ich an deinem Buch dran und bin voll drin! « - Jey

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NEPHILYNN – Zwischen den Flammen

DAS BUCH

Entstanden ist die Idee zu Nephilynn – Zwischen den Flammen bereits während der Schulzeit. Schon früh entwickelte die Autorin eine blühende Fantasie und ließ Geschichten in ihrem Kopf entstehen. Der Mut, diese zu Papier zu bringen, und für andere frei zugänglich zum Lesen zu veröffentlichen, fehlte allerdings. Erst viele Jahre später und nach dem ersten Versuch 2016 entstand nun diese Neuauflage des Fantasy-Romans.

VANESSA OLSCHANSKY

Roman

Zwischen den Flammen

©2021 Vanessa Olschansky3. AuflageErstveröffentlichung: November 2016Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Texte: Vanessa OlschanskyKorrektur und Lektorat: Dr. Martina SobelUmschlaggestaltung: Christina Plenerwww.christinaplener.deVerlag: Vanessa Olschanskyc/o autorenglück.deFranz-Mehring-Str. 1501237 Dresden

Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

»Für meine Familie und meine Freunde, meine Wegbegleiter und Kritiker.

Außerdem ist dieses Buch den Tagträumern und Freunden der Fantasie gewidmet.«

KAPITEL 1

EMILY

Hochverrat. Genau das warfen sie mir vor. Es war ein gewöhnlicher Tag, doch gleich würde sich die Welt für mich und die Menschheit für einen Moment lang verändern. Ein noch nie da gewesener Sturm, der mit einem Unwetter einhergeht, würde meinen Fall auf die Erde vor den Menschen tarnen. Die Zeit stünde still und niemand nähme Kenntnis von mir, den Gefallen taten sie mir. Nicht aber jenen, dass meine Schwester Sarah meine Verbannung nicht würde mit ansehen müssen. Ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie noch immer fühlen konnte, was ich fühlte. Der Anblick schmerzte mich mehr als die Angst vor dem Stutzen meiner Flügel selbst. Ich kniete vor ihnen, mit gesenktem Kopf, mit nichts anderem gekleidet außer einem weißen Leibchen, das meine Scham nicht verbergen konnte. Ich spürte, wie jeder einzelne Blick der Anwesenden, die im Kreis um mich herumstanden, verachtend auf mich niederprasselte. In ihren Augen hatte ich sie und alles, wofür wir standen, verraten. Sie hielten mich immer für ihre beste Schülerin und ich hatte die wertvollsten Klienten auf der Erde bekommen. Meine Ausbildung zum Schutzengel war abgeschlossen und ich konnte mir aussuchen, welche Menschen ich beschützen wollte. Normalerweise bekommt niemand dieses Privileg, schon gar nicht als Neuling. Es konnte mir nicht besser gehen und doch strebte ich nach mehr. So kam es, dass ich mich auf das Spiel mit dem Feuer einließ. Jetzt musste ich damit klarkommen, dass sie mir alles nahmen, mich verbannten und meine Schwester mit ansehen musste, wie Castiel mir meine Flügel stutzte.

Castiel, der eigentlich mein Ausbilder war, hatte nun die Aufgabe, meinen Verrat zu bestrafen. Etwas, das in seinen tausenden von Jahren, in denen er unterrichtete, noch nie vorgekommen war. Dieses Mal wurde von ihm verlangt, seine ehemalige Schülerin, also mich, angemessen zu bestrafen. Für Verräter gab es nur die Verbannung und er wurde zum Vollstrecker. Entgegen meiner Emotionen, die in mir überkochten, schien dies meinen einstigen Lehrer völlig kalt zu lassen. Mit dem Flammenschwert Ascalon, welches als einziges dazu in der Lage ist, uns zu verletzen, schnitt er meine Flügel ab. Grob und unachtsam warf er sie neben mir zu Boden.

Meine Schultern brannten wie Feuer und der Aufschrei meiner weinenden Schwester erreichte mich trotz meiner großen Schmerzen. Ich weinte, doch es waren Tränen, die nicht erhört wurden, Tränen der Furcht, weil ich nicht wusste, was mich erwartete und weil ich wusste, dass ich meine Schwester nie wieder sehen würde. Ich wagte es nicht, nach oben zu sehen. Zu gerne hätte ich sie ein letztes Mal umarmt und ihr gesagt, dass alles gut werden würde, auch wenn ich tief im Innersten wusste, dass ich sie damit anlügen würde. Ich spürte, dass es soweit war, der Himmel tat sich auf und Castiel, der mich noch am Arm hielt, ließ mich los und ich fiel in den Abgrund hinein. Ein letztes Mal blickte ich in das Gesicht meiner Schwester, deren herzzerreißender Blick mich bis zum Aufprall nicht wieder losließ. Mein Fall wurde von den wütenden Tränen der Erzengel in Form von Regentropfen begleitet. Sie rauschten an mir vorbei und bildeten kleine Blitze, die das Unwetter auf der Erde verursachten, und die Menschen von den Straßen fernhielten. Die wütenden Worte des allmächtigen Vaters donnerten, doch niemand außer uns Engeln konnte sie verstehen. Für die Menschen war es einfach nur Donner. Ich landete auf dem nassen und kalten Boden, die Federn meiner Flügel segelten elegant zu Boden und ein paar von ihnen blieben an meiner nassen Haut kleben. Sobald ich gelandet war, endete das Unwetter und die Sonne brach durch die Wolken. Nichts erinnerte mehr an meine Verbannung. Unter Schmerzen richtete ich mich auf. Ich war verzweifelt und antriebslos, was sollte ich jetzt nur machen? Ich war ganz alleine in einer Welt, in der Chaos und Habgier regierten. Ich kannte die Menschen zu gut, ich wusste, wie sie dachten und was sie fühlten, dass Erfolg und Reichtum das einzige Ziel der Oberschicht waren. Es gab nur wenige Personen, die den Sinn des Lebens noch fest in ihren Prinzipien verankert hatten. Mein Blick wanderte über die leergefegten Straßen, die sich langsam wieder mit Leben füllten und mir wurde klar, dass ich nicht hier sitzen bleiben konnte. Unter Schmerzen stand ich auf und erkannte, dass die Stadt mir nicht unbekannt war. Ich befand mich direkt vor dem Krankenhausgebäude, in dem einer meiner ehemaligen Schützlinge arbeitete. Wie ironisch, dachte ich mir und blickte nach oben, dass sie mich ausgerechnet hier hatten fallen lassen, wo mein wertvollster und liebster Schützling, arbeitete. Mona ist eine afroamerikanische Einwanderin und sie arbeitet hier als Krankenschwester.

Liebevoll kümmert sie sich um ihre Patienten und arbeitet ehrenamtlich bei der Tafel, um Obdachlosen Nahrung und Kleidung auszuhändigen. Einigen der Straßenkinder bringt sie Lesen und Schreiben bei und hilft ihnen, einen Sinn im Leben zu finden. Warum braucht nun jemand wie Mona einen Schutzengel, wo sie doch so ein gutes Herz hat? Jeder gute Mensch hat auch einen Schatten, der einen verfolgt. In Monas Fall war das ihr Exmann. Ein Trinker der schlimmsten Sorte, dem im Rausch des Öfteren schon die Hand ausgerutscht ist. Seine unkontrollierte Wut kannte keine Grenzen und erst recht kein Erbarmen. Jedes Mal, wenn Mona Überstunden leistete oder sich um die Straßenkinder kümmerte, witterte er eine Affäre und schlug zu. Ein Vorfall war so heftig, dass sie unfruchtbar wurde. Völlig von Sinnen und außer sich vor Wut, weil er seine Gedanken nicht mehr von der Realität unterscheiden konnte, trommelten seine Fäuste auf ihren zierlichen Körper nieder. Als sie sich mit letzter Kraft an der Anrichte hochzog, schlug er ihr so fest in den Magen, dass ihr schwarz vor Augen wurde und sie zusammensackte. Wenigstens hatte er den Krankenwagen gerufen, bevor er einfach abgehauen war.

Das hatte sie nicht verdient und deshalb beschützte ich sie, es kostete mich viel Kraft und Arbeit, Gideon aus ihrem Lebensweg zu entfernen, aber es war die Mühe wert. Ohne ihren Mut und ihren Willen hätte ich es aber nicht geschafft. In diesem Moment fragte ich mich, was Mona wohl macht? Vielleicht konnte ich sie aufsuchen und sie bitten mir zu helfen mich zurecht zu finden. Fest entschlossen, nach Mona zu suchen, machte ich mich bereit, meine ersten Schritte in Richtung Krankenhaus zu gehen, doch meine Füße wollten mich nicht tragen und ich sackte direkt wieder auf die Knie. Inzwischen konnte ich bereits die Stimmen der Menschen hören, die zurück auf die Straßen kehrten und sich über den schnellen Wetterumschwung wunderten. Einige philosophierten darüber, dass dies der Vorbote der bevorstehen-den Apokalypse sei und die Erde nicht mehr lange existieren würde, wiederum andere schoben es einfach auf den Klimawandel. Nicht einer von ihnen kam auf den wirklichen Grund, mich. Aber woher sollten sie es auch wissen? Sie wissen nicht, was es bedeutet, wenn ein Engel zum Nephilim wird. Wo andere vielleicht das Ende sehen würden, kann es auch eine neue Chance sein. Ich sah es als Chance und gab mir selbst ein Versprechen. Ich nahm mir vor, meine neue Rolle anzunehmen und Buße für mein Verbrechen zu tun. Mein Ziel war es, begnadigt zu werden, sodass ich zurück in den Himmel und zu meiner Schwester konnte. Noch einmal würde ich Gott nicht so enttäuschen. Ich nahm all meine Kraft zusammen und versuchte es ein weiteres Mal, es musste doch möglich sein, dass diese Dinger an den Enden meiner Beine, auch Füße genannt, in der Lage sind mich zu tragen. Ich hatte sie seit ich ein Engel war nicht viel genutzt und Sarah hatte mich oft gebeten, die Füße zu benutzen. Man konnte nie wissen wozu man seine Füße brauchte, aber so überheblich wie ich war, dachte ich, was sollte schon passieren? Wieso denn gehen, wenn man schweben kann? Ein weiteres Mal ärgerte ich mich, diesmal über mich selbst und meine Einfältigkeit aber ich gab nicht auf, auch wenn mich die Blicke der vorbei huschenden Menschen sichtlich irritierten. Ich war es nicht gewohnt, gesehen zu werden, noch dazu hatte ich nichts weiter an als diesen labbrigen Fetzen. Zusätzlich hinderten mich die Schmerzen meiner Schultern daran, mich auf meine Füße zu konzentrieren. Doch allmählich verstanden sie, wozu sie gemacht waren, und trugen mich, zunächst etwas schleppend doch dann immer besser, durch die Straßen. Während ich einen Fuß vor den anderen setzte und mich dem Gebäude näherte, fragte ich mich, was ich wohl zu Mona sagen würde, wenn ich sie gefunden hatte:

»Hi, ich bins Emily, normalerweise bin ich dein Schutzengel und passe auf dich auf, du kannst mich nicht sehen aber jetzt bin ich ein Mensch, also lass uns Freunde sein?« Ich musste lachen, so dämlich war das und was noch viel schlimmer war, ich konnte diese Blicke nicht ertragen, das erste Mal seit ich tot war konnte man mich sehen. Die Menschen starrten mich an und dachten vermutlich ich sei aus irgendeiner Irrenanstalt geflohen, so wie ich aussah. Mein braunes Haar fiel ungekämmt und zerzaust über meine Schultern. Ich hatte keine Schuhe an und meine sonst so braunen Augen waren rot vor lauter Weinen. Mein Gesicht aufgequollen und müde dreinblickend, schlurfte ich schweren Schrittes durch die Straßen. Ich erkannte die Blicke, die auf mir ruhten, es war Mitleid und Bedauern, doch keiner von ihnen bot mir seine Hilfe an oder fragte, was geschehen war. Es war genauso, wie ich es erwartet hatte. In dieser Welt war kein Platz für Feingefühl seinen Mitmenschen gegenüber, jeder scherte sich nur um sich selbst und hier sollte ich jetzt also leben? Hervorragend. Mittlerweile war es schon fast Abend und ich schlappte durch die automatisch öffnenden Türen des Krankenhauses und stand in einer riesigen Lobby. Hektisch rannten Ärzte an mir vorbei und Krankenschwestern kümmerten sich um Angehörige oder rannten von einer Station in die Nächste.

Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass niemandem auffiel, dass ich blutete. Glücklicherweise konnte mich die Dame am Empfang auch nur von vorne sehen, sodass meine Wunden an der Schulter verborgen blieben. Die stämmige Frau, vermutlich in den Dreißigern, hatte ihr rotblondes Haar zu einem Dutt auf ihrem Hinterkopf zusammengebunden und ohne aufzublicken fragte sie mich, wen ich denn besuchen wolle.

Dann plötzlich fiel mir ein, dass ich Monas Nachnamen nicht kannte, sie war einfach Mona gewesen, schon immer. Während ich überlegte, traf mich ihr gelangweilter Blick, ohne ihren Kopf zu heben, schielte sie mich über ihre breite Hornbrille hinweg an und wartete genervt auf meine Antwort. Stammelnd versuchte ich mich aus der Situation zu retten.

»Ehm..., ich suche Mona. Eine Krankenschwester, die hier arbeitet, leider ist mir ihr Nachname entfallen.« Gut, das war ja gar nicht so schlecht wie erwartet, nun musste ich darauf hoffen, dass Miss Gelangweilt vor mir wusste, wen ich meinte und dass es nur eine Mona gab, die hier als Krankenschwester arbeitete. Ihr Kopf nickte von ihr aus nach rechts und sie antwortete knapp, wie nicht anders zu erwarten:

»Station 4F im zweiten Stock.« Offensichtlich kam es nicht selten vor, dass jemand nach ihr suchte. Es war sicher nicht nur mit bekannt, dass sie ein Herz aus Gold besaß und immer hilfsbereit war. Ich musste furchtbar aussehen, dennoch bedankte ich mich höflich und wollte so schnell wie möglich zu Mona, auch wenn ich immer noch keinen Schimmer hatte, was ich ihr wohl sagen würde, sobald ich ihr gegenüberstand.

Ich lief den Korridor entlang und entschied mich für die Treppe, meine Füße hatten sich lange genug ausgeruht und ich war froh, nicht in einen dieser silbernen Kästen, die die Menschen Fahrstühle nannten, steigen zu müssen, sie hatten für mich etwas Unheimliches und ich fühlte mich nicht wohl in ihnen. Während mich die Stufen Mona näherbrachten, wollte ein anderer Teil von mir am liebsten umdrehen. Mit einem Mal schnürte sich mein Magen zusammen und mir wurde schlecht. Welch Ironie, dass ich direkt im Krankenhaus war, so würde mir wenigstens geholfen sollte ich rücklings die Treppe runterfallen. Ich stoppte kurz und atmete durch, während ich mir in Gedanken selbst Mut machte, es musste weiter gehen und Mona war meine einzige Chance hier. Sobald ich angekommen war, teilte sich der Flur in zwei Richtungen und ich folgte der Markierung an der Wand, die mir den Hinweis gab, nach rechts zu gehen. Jeder einzelne Schritt ließ mich nervöser werden, ich hatte immer noch keine Ahnung was ich sagen sollte, sobald ich Mona gefunden hatte, aber ich war zu weit gekommen, um jetzt aufzugeben und so setzte ich mich auf einen der Stühle im Wartezimmer und hoffte, dass sie früher oder später an mir vorbei hasten würde, genau dann würde ich aufspringen und... ja, was würde ich wohl sagen?

Mir blieb überhaupt gar keine Zeit nachzudenken, denn es verging nicht mal eine Minute, da sah ich sie schon, sie war so anmutig und engelsgleich und wenn ich das schon dachte, dann musste da was dran sein. Diese schlanke, dunkelhäutige Frau in den Vierzigern stand im Flur und ging die Akte eines Patienten durch. Es war meine Chance und ich ergriff sie, mit zittrigen Beinen und schweißnassen Händen ging ich auf sie zu und tippte ihr zaghaft auf die Schulter.

»Entschuldigen Sie bitte«, murmelte ich leise und als sie sich zu mir umdrehte, erkannte ich ihr schönes Gesicht. Ich lächelte und war erleichtert, jedoch schien Mona nicht zu wissen, dass ich es war, die vor ihr stand. Wie auch, sie hatte mich ja nie gesehen.

»Ja?«, fragte sie mich mit einem freundlichen Lächeln. Ich bemühte mich, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und sah sie an. Noch bevor ich weitersprechen konnte, griff sie zaghaft nach meinem Arm.

»Komm mit!«, sagte sie und genau wie die Dame am Empfang, schien sie mich für eine Obdachlose zu halten, die nun ihre Hilfe brauchte. Wir liefen ein paar Schritte, noch immer hatte sie ihre Hand auf meinem Arm. Dann stoppte sie abrupt und schnappte nach Luft. Ich blieb stehen und bemerkte ihren erstaunten Blick. Sie starrte mich an und ich begriff nicht, was hier vor sich ging. »Wer bist du?«, fragte sie mich und ich schluckte.

»E… Emily«, antwortete ich mit zitternder Stimme. Was ging hier vor sich?

»Das ist nicht möglich«, entgegnete sie und schüttelte den Kopf. Sie ließ mich los und wir setzten unseren Weg fort. Sie ließ mir den Vortritt ehe sie abermals nach Luft schnappte. Ich hatte nicht an meinen Rücken gedacht, sie rief entsetzt: »Du blutest!« Ich hielt die Luft an, weil ich hoffte, dass das niemand gehört hatte.

»Das ist nicht so schlimm, wie es aussieht«, log ich sie an, doch sie durchschaute mich direkt und griff erneut nach meinem Arm. Sie schob mich in ein freies Zimmer.

»Setz dich«, forderte sie mich auf und deutete auf das freie Patientenbett. »Ich weiß nicht, was hier vor sich geht, aber ich glaube, ich weiß, wer du bist, Emily,« sagte sie ruhig und ging einen Schritt auf mich zu. »Du musst das ausziehen, damit ich deine Wunden versorgen kann.« Sie deutete auf mein weißes Leibchen und ich tat, worum sie mich gebeten hatte.

»Du weißt, wer ich bin?«, fragte ich leise, während sie sich so sanft und zaghaft wie möglich an die Versorgung meiner Wunden machte.

»Ich habe es gespürt. Ich konnte früher deine Anwesenheit spüren und als ich dich eben angefasst habe, spürte ich dieselbe Energie.«, antwortete sie und ich presste meine Lippen aufeinander und schloss die Augen. Ein Zischen, um den Schmerz zu unterdrücken, entwich mir und ich ballte meine Hände zu Fäusten. »Wie kommt es, dass ich dich jetzt sehen kann?« Ich seufzte. »Es hat was hiermit zu tun, nicht wahr?« wollte sie wissen und ich nickte nur.

»Ich bin jetzt ein Mensch.« erklärte ich das Offensichtliche. Liebevoll verband sie meine Wunden.

»Fertig.«, sagte sie nach einer Weile. Als sie wieder in meinem Blickfeld war, lächelte sie. Sie fragte nicht, was ich getan hatte, so viel Anstand hatte sie und dafür war es auch noch zu früh. Eines Tages würde ich es ihr erzählen.

»Hast du eine Bleibe?«, fragte sie mich, während ich mich von dem Bett schob und ich schüttelte den Kopf. Als ich mich wieder anziehen wollte, legte sie ihre Hand auf meine und sagte: »Warte hier. So kannst du nicht raus gehen.« Als sie den Raum verlassen hatte, atmete ich durch. Ich war erleichtert, wie sich die Dinge gefügt hatten. Völlig umsonst hatte ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich ihr gegenübertreten sollte.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkt hatte, dass Mona wieder da war. Sie reichte mir eine grüne Hose und ein Oberteil in derselben Farbe. Passend dazu die formschöne Unterwäsche, die man in Krankenhäusern eben bekommt, wenn man operiert wird.

»Zieh das an«, sagte sie und ich war froh, dass ich nicht mehr mit dem Fetzen Stoff auf die Straße musste. Dazu reichte sie mir ihren Schlüssel und ich sah sie fragend an. »Direkt unten am Eingang fährt der Bus Nummer 9. Du fährst bis zur Endstation. Das dritte Haus auf der linken Seite ist meins. Fühl dich wie zu Hause. Ich komme so schnell wie möglich nach.« Sie schloss meine Hand, die ich noch immer geöffnet hatte und zwinkerte mir zu. Ich starrte sie mit offenem Mund an und schüttelte den Kopf.

»Nein, Mona das geht nicht.« Aber sie unterbrach mich und drückte mir noch einen Geldschein in die Hand.

»Und ob das geht. Keine Widerrede.« Drohend hob sie ihren Finger in meine Richtung und sah mich mit strengem Blick an.

Augenrollend und mit einem Seufzen nahm ich das Geld entgegen und musste schmunzeln. So kannte ich Mona. Ich folgte ihren Anweisungen und wartete vor der Tür auf den Bus, der mich nur fünfzehn Minuten später zu meinem Ziel brachte. Während ich aus dem Fenster blickte und die Außenwelt an mir vorbeizog, versank ich in Gedanken. Ich überlegte, wie alles hatte soweit kommen können. Ich hatte mich verliebt. In den Sohn des Teufels und dann mit den Konsequenzen leben müssen. Meine Gedanken kreisten, um das, was die letzten Stunden passiert war. Das erste Mal, seit ich als Mensch auf der Erde war, kam ich dazu, durchzuatmen Meine Knochen schmerzten und ich war müde. Ich fürchtete, vor Erschöpfung einzuschlafen und meine Haltestelle zu verpassen. Ich zwang mich, keinen weiteren Gedanken an Damian zu verschwenden und stieg wenige Minuten später, an meinem Ziel angekommen, aus.

KAPITEL 2

Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn langsam um, ich weiß nicht, warum ich so zögerte, aber irgendetwas in mir verriet mir, vorsichtig zu sein und ich sollte Recht behalten. Kaum hatte ich die Tür einen Spalt geöffnet, zog mich eine starke Hand ins Innere des Hauses und drückte mich gegen die Flurwand.

Ich hatte nicht einmal die Zeit gehabt, das Licht einzuschalten, um zu sehen, wer es war, doch ich wusste es eigentlich schon und so war es nicht verwunderlich, dass mir mein Herz bis zum Hals schlug und mein Puls vor Aufregung raste. Ich hatte ihn gefühlte fünfhundert Jahre nicht mehr gesehen und jetzt war er hier, mit mir, alleine. Dieser teuflisch schöne Mistkerl. Anmutig stand er da, mit seinem diabolischen Grinsen, welches durch sein markantes und vernarbtes Gesicht nur gekünstelt aussah. Aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich wirklich freute mich zu sehen.

Er sah fertig aus, sein sonst so gestyltes braunes Haar hing schlaff und müde auf seinem Kopf, es war viel zu lang, normalerweise trug er es kurz, jetzt hing es ihm schon über die Ohren. Lange hatte er sich nicht rasiert und seine meerblauen Augen, die mich direkt in seinen Bann gezogen hatten, blickten traurig und sehnsüchtig zugleich in die Meinen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren trafen sich unsere Lippen und wir versanken in einen leidenschaftlichen Kuss, meine Gedanken kreisten, wollte ich mich doch eigentlich von ihm fernhalten und meine Chance nutzen, so trieb mich mein Herz weiter in seine Arme. Meine Finger vergruben sich in seinem Nackenhaar und meine Zunge tastete sich durch seine Lippen hindurch, um mit der Seinen zu tanzen. Wild und stürmisch zelebrierten wir unser Wiedersehen und ich wusste, dass wir weiter gehen würden, aber ich wollte Monas Gastfreundschaft nicht so schamlos ausnutzen und drängte Damian dazu aufzuhören und löste mich widerwillig von seinen Lippen. Die Enttäuschung meiner Ablehnung war ihm unverkennbar im Gesicht abzulesen.

»Wir haben noch ganze zwei Stunden Zeit, Em.«, forderte er mich auf, unserem fleischlichen Verlangen nachzugeben. Aber ich musste ablehnen, so schwer es mir fiel, ließ ich von ihm ab und schaltete endlich das Licht ein, um mich ein wenig umzusehen, auch wenn ich mit Mona zusammen schon tausend Mal hier gewesen war und ich mich blind zurechtfand.

»Wie hast du mich gefunden?«, wollte ich wissen, denn jetzt, wo ich kein Engel mehr war, sollte es auch ihm schwerer fallen mich aufzuspüren.

»Ich weiß immer, wo du bist«, entgegnete er gewohnt lässig und fläzte sich, ohne überhaupt auf die Idee zu kommen unerwünscht zu sein, auf die nebenan im Wohnzimmer stehende Couch.

»Damian, du musst gehen«, forderte ich leise, denn ich wusste, dass es gefährlich war einen Dämon zu reizen, besonders wenn es dieser Dämon war. Früher wusste ich nicht viel über Engel und Dämonen, bis ich selbst ein Teil von ihnen geworden war. Aber mir hätte klar sein müssen, dass diese Verbindung kein gutes Ende nehmen würde, meistens tat es das nie. Es gab dutzende Bücher über Verbindungen, die einfach nicht sein sollten und die zum Schluss im Drama endeten. Selbst in der berühmtesten Liebesgeschichte der Welt durften die Kinder zweier verfeindeter Familien nicht zusammen sein und als sie es versuchten, endete es mit dem Tod für die Protagonisten Romeo und Julia. Ganz egal wie oft ich dieses Buch noch lesen würde, es nahm kein glückliches Ende. Genau wie bei Damian und mir, unsere Liebe hatte keinen Bestand und keine Zukunft, sie durfte nicht existieren.

Kaum hatte ich meine Worte ausgesprochen, stand er auch schon vor mir, ich hatte gerade einmal geblinzelt und spürte seinen gierigen Atem auf meiner Haut.

»Komm mit mir!«, forderte er und legte meinen Kopf zur Seite, um mir genüsslich mit seiner Zungenspitze über meinen Hals zu lecken. Direkt durchzog mich ein Schauer und mein Unterleib zuckte. Er wusste ganz genau, welche Wirkung er auf mich hatte, dieser abscheuliche Mistkerl.

»Ich kann nicht«, keuchte ich und spürte, wie er inne hielt, er drehte mich um und begutachtete meinen flügellosen Rücken und drehte mich erneut.

»Du kannst«, erwiderte er und ich wusste, worauf er anspielte. Ich war kein Engel mehr und nichts und niemand hinderte mich nunmehr daran, ihm in die Unterwelt zu folgen.

»Meine Schwester«, murmelte ich kaum hörbar. Damian wusste, dass ich nicht ohne sie gehen würde. »Ich will meine Chance nicht vermasseln, aber ich will dich auch nicht verlieren.«

Er blickte mir lüstern in die Augen, ich wusste, dass er mein Blut roch und am liebsten seinem animalischen Zwang nachgegeben hätte, mich auszusaugen. Er konnte sich nehmen, was er wollte, ich war seine freiwillige Sklavin. Er bog meinen Kopf zur Seite, sodass er seine Fangzähne nur noch in meinen Hals versenken musste, um von meinem erhitzten Blut zu trinken. Doch er hielt inne.

»Du hast recht, ich sollte gehen«, knurrte er und ich wusste, dass es das Letzte war, was er wollte, aber wenn er jetzt von mir trank, dann würde das hier nicht gut enden. Er musste sich daran gewöhnen, dass ich nun menschlich war und dass mein Blut ihm nichts mehr nützte, sondern mein Leben mit jedem Schluck verkürzte. Gerade als ich etwas erwidern wollte, war er auch schon weg. Es war wohl das Beste für uns beide und ich beschloss, eine Dusche zu nehmen und mir frische Kleidung anzuziehen, um mich ein wenig menschlicher zu fühlen. Ich bereitete für Mona und mich ein Abendessen vor und überlegte mir, wie ich ihr so wenig wie möglich zur Last fallen würde.

Ich wollte nicht, dass sie mich lange bei sich aufnehmen musste. Ich beschloss, mich nur ein paar Tage bei ihr aufzuhalten und nahm mir vor, direkt morgen sämtliche Amtsbesuche zu erledigen, um einen Pass und Versicherungen zu erhalten. Und da war das Problem, ich hatte keinen Job und keinen festen Wohnsitz.

Es dauerte nicht lange und es klingelte an der Tür. Ich schreckte hoch, doch dann musste ich über mich selbst schmunzeln, denn es konnte ja bloß Mona sein, ich hatte ihren Schlüssel und ohne mich kam sie nicht ins Haus, also öffnete ich mit einem breiten Lächeln die Tür.

»Ich habe uns Essen gemacht«, begrüßte ich sie, doch sie erwiderte nichts, schob mich zur Seite und sah mich dann besorgt an.

»Geht es dir gut?«, fragte sie und ließ ihren Blick durchs Haus schweifen, als ob sie jemanden oder etwas suchen würde. Verwundert über ihre Frage nickte ich.

»Ja sicher, ich meine bis auf...« Sie fiel mir ins Wort, »Schh...« und ging zwei Schritte durch die Küche, von der aus sie direkt ins Wohnzimmer sehen konnte.

»Er war hier«, stellte sie fest.

»Wer war hier?« Denn sie konnte unmöglich Damian meinen, er war als Mensch getarnt und absolut perfekt in dem Gebiet sich einer anderen Spezies anzupassen.

»Der Teufel.«, zischte sie und fuhr herum.

Ungläubig starrte ich sie an und versuchte sie zu beruhigen, während ich mir nicht erklären konnte, woher sie das wusste. Sie hatte mich erkannt, obwohl sie mich nie zuvor gesehen hatte und sie hatte bemerkt, dass Damian hier gewesen war. Ich konnte die Angst in ihren Augen sehen und beschloss ihr nicht zu erzählen, dass Damian und ich in gewisser Weise liiert waren.

»Mona, das war sicher ein anstrengender Tag für dich und du bist durcheinander, immerhin begegnet man nicht jeden Tag seinem Schutzengel.« Mit diesen Worten schob ich sie zum Esstisch und hoffte, dass sie es damit gut sein ließ und wir das Thema wechseln konnten. Es wirkte tatsächlich, auch wenn sie zunächst noch etwas nachdenklich schien, hatte ich sie überzeugt und sie setzte sich.

»Du hast sicher Recht, entschuldige bitte meinen Auftritt, Liebes.« Ich stellte Teller und Besteck zurecht, schenkte ihr ein Glas Wasser ein und schüttelte den Kopf.

»Es gibt absolut gar nichts, für das du dich entschuldigen müsstest.« Ich servierte ihr mein gebratenes Schnitzel, garniert mit Erbsen, Karotten und frischen Kartoffeln, Kochen konnte ich im Gegensatz zum Laufen wohl noch recht gut und Mona hatte eine gut gefüllte Speisekammer. Beigebracht hatte mir das Kochen in gewisser Weise Mona. Ich hatte ihr immer dabei zugesehen.

»Ich hoffe, es schmeckt?«, fragte ich etwas verunsichert, denn probiert hatte ich es selbst vorher nicht.

Nachdem ich mir selbst auch etwas genommen hatte, setzte ich mich zu ihr und besprach mit ihr meine Pläne bezüglich der Jobsuche und darüber, dass ich ihr nicht lange zur Last fallen wolle. Sie ließ mich gar nicht ausreden, sondern beschloss ihrerseits, dass ich so lange bleiben könnte, wie es eben nötig wäre.

»Ich war so lange alleine, Emily. Ich bin froh, jemanden wie dich, mit reinem Herzen, hier zu haben.«

Es war mir fast unangenehm, welch große Meinung sie von mir hat, wenn sie die Wahrheit nur wüsste, dann wäre sie nicht mehr so überzeugt von mir und ich wusste, dass ich sie ihr eines Tages erzählen würde, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war.

Mir schien, sie hatte schon genug ertragen für einen Tag, aber eine Sache musste ich noch wissen.

»Wie hast du mich erkannt?« Sie schmunzelte. Damit hatte ich nicht gerechnet, lachte sie mich etwa aus? Ich war nicht gut darin, Emotionen zu deuten. Jetzt, wo ich keine Gedanken mehr lesen konnte, musste ich mich darauf verlassen, was mir die Menschen freiwillig von sich preisgaben und darauf vertrauen, dass es die Wahrheit war.

»Du bist mein Schutzengel Emily, natürlich erkenne ich dich«, sagte sie, so warmherzig, wie nur sie es konnte und ich schluckte.

»Ich war, trifft es wohl eher«, gab ich kleinlaut zurück und wieder beschwichtigte sie mich mit einem sanften Lächeln.

»Völlig egal, du hast mir immer wieder die Kraft gegeben weiter zu machen, den Mut nicht aufzugeben und es ist ein Segen für mich, dir endlich etwas zurück geben zu können.« Sie pausierte kurz, um etwas zu trinken und setzte erneut an. »Und es ist mir völlig egal, wer oder was du nun bist und wie es dazu gekommen ist. Du bist jetzt in meiner Obhut und ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht.« Während sie diese Worte sprach, tätschelte sie meine Hand und ich war den Tränen nah. Wie konnte sie nur so entsetzlich nett zu mir sein, wo ich es doch nicht verdient hatte? Diese Frau hatte keine Ahnung, welches Monster ich bin und doch hatte sie mir ihre Tür geöffnet und mir ein Dach über dem Kopf geboten.

»Steht dir übrigens ausgezeichnet.« sagte sie zwinkernd und deutete mit einem Nicken auf die Klamotten, die ich mir aus ihrem Schrank ausgesucht und übergeworfen hatte.

»Danke«, seufzte ich und hatte sichtlich Mühe dabei nicht direkt los zu heulen.

»Fang jetzt bloß nicht an zu weinen.«, ermahnte sie mit erhobenem Finger und breitem Grinsen. »Sonst muss ich auch heulen.« Gemeinsam räumten wir den Tisch ab und sie begleitete mich zu dem Zimmer, welches für die nächste Zeit meins sein würde.

»Es ist nicht das Beste, aber fürs Erste wird es wohl gehen. Richte es dir ein, wie du magst und bleib so lange du willst«, gab sie mir nochmals zu verstehen und umarmte mich liebevoll. »Ich werde zu Bett gehen, es war ein anstrengender Tag.« Mit diesen Worten ließ sie mich alleine.

Mein Blick schweifte durch das liebevoll eingerichtete Zimmer. An der Wand hingen selbst gemalte Bilder von Mona. Ich wusste, dass sie talentiert war und sie sollte wirklich mehr aus ihrer Gabe machen. Die Wände waren in einem zarten eierschalengelb gestrichen und auf dem Boden lag ein flauschig brauner Teppich. Das Bett wurde von einem massiven Buchenholz umrandet und der Bezug roch nach frischen Rosenblättern. Ich glaube, Mona hatte dieses Zimmer erst vor kurzem umgestaltet, früher war es ein Kinderzimmer gewesen, aber mit Gideon an ihrer Seite verschwand die Chance Kinder zu bekommen. Seufzend legte ich mich auf das Bett, wohl darauf bedacht, so vorsichtig wie möglich zu sein, um meine Wunden zu schonen und starrte an die Decke. Ich ließ den Tag nochmal Revue passieren. So viel war passiert und ich hatte bisher keine Zeit gefunden meine Gedanken zu ordnen. So wie es im Moment in mir aussah, hielt ich es für gänzlich unmöglich überhaupt nur zehn Minuten schlafen zu können, so aufgebracht war ich. Ich dachte darüber nach, welche Wirkung Damian auf mich gehabt hatte und wie er mich überhaupt gefunden hatte. Wusste er von Anfang an, was geschehen war? Er hatte mein Blut gerochen und ich wusste, dass er gierig war es zu trinken. Wir mussten aufpassen, von nun an konnten wir nicht mehr ungeachtet der Menschen um uns herum leben, jetzt war ich sichtbar und vor allem musste er sich von hier fernhalten. Mona schien es zu merken, wenn er hier war. Sie hatte ihn gespürt, genau wie sie meine Aura immer gespürt hatte. Scheinbar muss ich immer noch ein Stück dieser Aura behalten haben, wie sonst konnte sie mich erkennen? Ich rätselte unendlich lange, woher Mona diese Fähigkeit wohl hatte unsere Art zu erkennen? Ich fragte mich, ob sie mich schon immer sehen konnte oder ob es lediglich meine Anwesenheit war, die sie bemerkt hatte?

Meine Gedanken verwandelten sich in Erinnerungen, denn ich konnte plötzlich Sarah und mich sehen, wie wir klein waren und gemeinsam auf der Wiese vor dem Haus unserer Eltern umher rannten. Sarah und ich waren schon immer von Grund auf verschieden. Während ihre blonden Engelslocken sanft im Wind tanzten, fiel mein brünettes Haar glatt über meine Schultern. Ihr Lachen steckte an und jeder, der sich in ihrer unmittelbaren Nähe befand, stimmte in ihr Lachen mit ein. Ihre leuchtend grünen Augen hatte sie von unserer Mutter, Anna.

Meine Augen waren einfach nur braun, genau wie mein Haar und überhaupt war Sarah die Hübschere von uns beiden. Dafür hatte ich Jovan, unseren Vater, immer auf meiner Seite, ich war seine Prinzessin. Jovan war Banker und uns ging es wirklich nicht schlecht, wir lebten in einem großen Haus, weit außerhalb der Stadt. Genau dort befanden wir uns gerade in meinen Erinnerungen. Sarah und ich tobten herum, wir hatten bunte Kleider an und waren vielleicht fünf, denn auch wenn wir uns äußerlich nicht ähnelten waren wir Zwillinge. Zweieiige Zwillinge. Unsere Eltern saßen auf der Terrasse und hüteten uns wie ihren Augapfel, sie beobachteten jede unserer Bewegungen und dann plötzlich wurde es schwarz. Alles, was ich sah ist, dass ich weggerissen wurde. Eine höhere Macht, die ich nicht sehen konnte, riss mich von ihnen, ich streckte meine Arme nach meiner Familie aus und rief ihre Namen, aber sie konnten mich nicht hören. Ich spürte die Verzweiflung und schlug und trat um mich, aber es half nichts, dieses schwarze Loch zog mich näher zu sich und ich fiel tiefer in seinen Sog. Meine Familie wurde immer kleiner und ich konnte sie kaum noch sehen. Dann war alles dunkel und plötzlich schreckte ich hoch. Mein Herz raste.

Die Wunden auf meinem Rücken pochten unaufhörlich und ich war schweißgebadet. Inzwischen war es hell draußen und ich schaute auf die große Uhr über der Tür. Ich hatte den halben Tag verschlafen, wir hatten weit nach Mittag und Mona war bestimmt schon zur Arbeit aufgebrochen. Langsam richtete ich mich auf und versuchte aufzustehen, doch wieder einmal gaben meine Füße unter meinem Gewicht nach und ich knallte höchst unelegant mit dem Gesicht voran auf dem Boden auf. Ich wusste, warum mir der Teppich so gut gefiel, denn er federte zugleich meinen Abgang ab und hielt mich Tollpatsch davon ab, mich ernsthaft zu verletzen. Missmutig stand ich auf, meine Füße mussten sich an ihre neue Aufgabe gewöhnen, ob sie wollten oder nicht, jetzt ging es nicht mehr anders. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit und linste durch ihn hindurch, aber es war niemand zu sehen. Lediglich der Geruch von frischem Kaffee stieg mir in die Nase und ich freute mich auf ein ausgiebiges Frühstück. Langsam schlurfend nahm ich am Tisch Platz und entdeckte einen Stapel Kleidung auf ihm, obendrauf ein Zettel von Mona:

›Guten Morgen Langschläferin,

Brötchen findest du im Backofen und den fertigen Kaffee dürftest du bereits riechen – fühle dich bitte wie zu Hause. Ich hoffe, du hast gut geschlafen?

Die Klamotten habe ich für dich rausgesucht. Sie sind nicht sehr modisch, sollten aber fürs Erste reichen und vor allem dürfte es deine Größe sein. Bin gegen sechs Uhr daheim. Lass es dir gut gehen.

Küsschen, Mona.‹

Lächelnd nahm ich die Kleidung vom Tisch und musterte jedes einzelne Stück. Es war sogar ein Blazer dabei, der mich perfekt kleidete, sollte ich die nächsten Tage das Glück haben, für eine Arbeit vorzusprechen. Ich frühstückte in Ruhe, las mir den Lokalteil der Zeitung durch und markierte mir offene Stellenangebote, die meiner Meinung nach zu mir passten. Dann erledigte ich den Haushalt, um mich für die Gastfreundschaft zu bedanken und machte mich für den bevorstehenden Tag fertig. Allmählich freundete ich mich mit dem Gedanken an, ein Mensch zu sein und fand es gar nicht so schlecht, wenn alle Menschen so wie Mona waren, hatte ich doch nichts zu befürchten. Ich beschloss, mich mit der Gegend vertraut zu machen, daher ging ich zu Fuß. Mein Weg führte mich durch den Park, in dem ich Damian zum ersten Mal begegnet war, und ich setzte mich auf dieselbe Bank, auf der Mona jedes Mal Platz nahm, wenn sie hier war. Ich schloss für einen Moment die Augen und genoss die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Meine Gedanken schweiften ab, ich fragte mich, wo er wohl steckte?

Wegen meiner Liebe zu Luzifers Sohn war ich schließlich hier. Ich hatte eine Lektion zu lernen und sollte ihn schnell vergessen, was aber unmöglich war. Wie soll man denn aufhören zu atmen ohne zu sterben?

Ich wurde erst aus den Gedanken gerissen, als das helle Licht, welches durch meine geschlossenen Lider brach, verschwand. Neugierig öffnete ich die Augen, es konnten ja nur die Wolken sein, sagte mein Verstand, doch was meine Augen sahen, ließ mein Herz vorfreudig hüpfen. Nicht die Wolken hatten die Sonne vertrieben, er war es. Damian war wortlos vor mich getreten und wartete, bis ich meine Augen öffnete.

»Hi«, flüsterte ich. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, war ich unfähig normal zu denken, mein Herz klopfte wie wild und ich fühlte mich machtlos. Er nahm meine Hand und zog mich mit einer Leichtigkeit auf die Füße, wie nur er es konnte. Da standen wir nun, unsere Münder wenige Millimeter voneinander entfernt, unsere Sehnsucht lag wie ein Knistern in der Luft und mein Atem stockte in dem Moment, als unsere Blicke sich trafen.

»Komm mit mir!«, raunte er fordernd gegen meine Lippen, ehe er sie mit seinen versiegelte. Ich verlor den Boden unter mir und meine Knie zitterten. Ich war mir sicher, dass ich sofort umfallen würde, wenn er mich nicht festhielt. Meine Hände umfassten sein Gesicht und ich versank abermals in der Leidenschaft unseres Kusses. Es dauerte einige Zeit, bis sich meine Gedanken gesammelt hatten und ich wieder bei vollem Verstand war und auch wenn mein Herz mir befahl weiter zu machen und nicht an die Konsequenzen zu denken, hörte ich auf meinen Verstand, der mich an Sarah erinnerte und daran, dass ich sie um jeden Preis wieder sehen musste. Meine Liebe zu Damian hatte alles zerstört, sie und ich wurden getrennt, weil ich mich nicht bekehren ließ und alle Warnungen missachtet hatte. Ich löste mich von ihm und streichelte über sein markantes und vernarbtes Gesicht.

»Ich kann nicht.«, flüsterte ich abermals und senkte den Kopf. Er wusste doch, dass ich ohne Sarah nirgendwo hingehen würde. Ich spürte die Enttäuschung oder das, was ich dafür hielt, denn ich wusste, dass Dämonen nichts dergleichen fühlten. Ich war mir lange Zeit nicht einmal sicher gewesen, ob sie fähig waren zu lieben, aber Damian liebte mich. Dessen war ich mir sicher, denn auch er hatte zu viel aufs Spiel gesetzt und sich des Öfteren gegen seinen Vater gestellt, um bei mir sein zu können. Er schob seinen Zeigefinger unter mein Kinn und hob es an, sodass ich in die wundervollsten blauen Augen sah, die ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte.

»Ich verspreche dir, ich hole Sarah.« Er küsste meine Stirn. Erneut schüttelte ich den Kopf.

»Du weißt, dass das nicht geht, Damian. Wie soll ein Engel die Unterwelt betreten? Ich werde nicht zulassen, dass sie verbannt wird, hörst du?« Niemals würde ich zulassen, dass ihr dasselbe geschieht und sie meinetwegen noch mehr Leid ertragen muss. Unsere Eltern waren durch meine Schuld gestorben und jetzt hatte ich sie auch noch alleine gelassen.

»Em. Vertraust du mir?« Ich nickte.

»Dann komm mit mir. Du weißt, dass dir niemand etwas anhaben wird und Sarah holen wir so schnell es geht.« Erstaunlicherweise glaubte ich ihm, aber es war jetzt an der Zeit das Richtige zu tun.

Einmal in meinem Leben wollte ich alles richtig machen und so trat ich einen Schritt zurück und wusste bereits, dass die Worte, die ich gleich aussprechen würde, mir ebenso das Herz brechen würden wie das Seine. Ich hatte keine andere Wahl, ich musste mich entscheiden, zwischen meiner Schwester und dem Mann, den ich liebe. Nie ist mir etwas so schwergefallen, aber ich hatte nur diese eine Chance alles richtig zu machen und meine Fehler wieder gut zu machen. Ich musste es tun und so sah ich ihm in die Augen, nur ganz kurz, ich ertrug deren Anblick nicht. Unweigerlich stiegen Tränen in mir hoch und ließen mich tieftraurig werden. Meine Stimme zitterte und mein Herz schmerzte bei den Worten.

»Damian, wir können uns nicht mehr sehen. Ich habe alles verloren, was ich hatte, weil ich mit dir zusammen sein wollte. Noch nie hat sich etwas so Schönes so falsch angefühlt.« Ich schlucke und meine Tränen ließ sich nicht länger zurückhalten. Obwohl ich wusste, dass ich das Richtige tat, spürte ich, wie ich innerlich zerbrach, weil ein Teil von mir sich unwiderruflich zerstörte. Meine Kehle schnürte sich zu und ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Während mein Herz schrie, dass ich aufhören sollte, ermutigte mich mein Verstand weiter zu machen und an meine Familie zu denken. Ich konnte die Wut in seinen Augen sehen, sie verfärbten sich tiefschwarz. Das hatte ich bisher nur ein einziges Mal gesehen und ich wusste, dass es nun Zeit war für mich zu gehen, aber meine Beine waren schwer wie Blei. Nichts tat sich, ich sendete meinen Füßen den Impuls loszurennen, aber sie rührten sich nicht von der Stelle. Damian würde hier niemals die Kontrolle verlieren, nicht hier, wo ihn jeder sehen konnte. Aber ich wusste, dass ich jetzt besser nichts Falsches sagte. Ich atmete durch.

»Bitte versteh doch. Ich habe nur diese eine Chance.« Tränen nahmen mir die Sicht und ich traute mich nicht sie wegzuwischen, jede noch so kleine Bewegung konnte ihn reizen und so blieb ich einfach stehen. Er hasst es, wenn ich weine, er sagt immer, dass er mit Tränen nicht umgehen könne und sie die Schwäche eines jeden Wesens zeigen. Egal, wie gut man seine Gefühle verbirgt, sobald man weint, weiß jeder Bescheid wie schwach man ist. Es hat mich nie gestört, Damian kannte mich in und auswendig, meine Gedanken und meinen Körper.

»Schön«, schnaubte er und packte mich. Vor Schreck hörte ich augenblicklich auf zu heulen und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Du weißt, dass du ohne mich nicht leben kannst. Du wirst es noch bereuen.« Mit diesen Worten ließ er mich stehen.

Verwirrt und völlig atemlos stand ich da, steif und unfähig zu denken oder mich zu bewegen. Er hatte mich einfach stehen gelassen, nicht einmal protestiert, ich hatte ihn so komplett anders eingeschätzt. Wir hatten es nie einfach gehabt, aber er hatte mich immer ermutigt weiter zu machen, mit ihm an meiner Seite konnte mir schließlich nichts passieren und er hatte Recht. Umso unglaublicher war es, dass er jetzt einfach verschwunden war. Ich fragte mich, ob es das jetzt war, würde ich ihn nie wieder sehen? Allein diese Gedanken brachten mich um, ich wollte diese Trennung gar nicht und er hatte Recht, ich konnte nicht ohne ihn leben, aber ich musste es. Es war meine einzige Möglichkeit Sarah wieder zu sehen und vielleicht durfte ich eines Tages sogar zurück in den Himmel. Aber ich wusste, dass ich dieses Recht nie erlangen würde, solange ich mich weiterhin mit Damian traf.

Langsam bekam ich meine Körperfunktionen zurück und beschloss wieder nach Hause zu gehen. Den eigentlichen Sinn meines Aufbruchs hatte ich ohnehin vergessen. Den restlichen Tag erlebte ich wie in Trance, Farben schwammen an mir vorüber, Stimmen klangen wie verzerrte Musik und der Weg unter meinen Füßen schien beschwerlicher denn je. Ich stolperte in einer Tour aber es war mir egal. Ich hatte das Wesen, das mir nach meiner Schwester am meisten bedeutete von mir gestoßen, da hätte ich mir auch gleich ein Messer ins Herz rammen können.

Endlich war ich vor Monas Haus, meinem Zuhause auf Zeit. Zuhause. Ein befremdliches Wort für mich, doch wenn ich einen Ort beschreiben müsste, der mich an Zuhause erinnerte, dann würde es wohl am ehesten dieses alte Fachwerkhaus beschreiben, mit dem kleinen Garten dahinter und der Bank vor dem Haus. Ich griff unter die Fußmatte, dort lag der Ersatzschlüssel und ich sperrte die Tür auf. Mona war noch nicht wieder zurück und in diesem Moment war ich echt froh darüber, sie sollte mich nicht so sehen. Ich wollte jetzt alleine sein und verschwand direkt in meinem Zimmer. Ich verriegelte die Tür hinter mir.

Als ich mich wieder umdrehte, stellte ich fest, dass ich nicht alleine war, er war längst hier, vermutlich hatte er schon auf mich gewartet. Finster sah er mich an, seine Augen waren schwarz verfärbt vor Wut und er packte mich an der Kehle und hob mich mit einer Leichtigkeit nach oben, sodass meine Füße mehrere Zentimeter über dem Boden baumelten. Ich röchelte, er raubte mir die Luft zum Atmen und ich schnappte nach Luft. Meine Hände umklammerten sein Handgelenk und ich gab mich der klitzekleinen naiven Annahme hin, dass ich die Kraft hätte ihn zum Loslassen zu bewegen.

»Damian!«, krächzte ich und sah auf ihn herab. Er war so viel bulliger als sonst, seine Narben im Gesicht schienen erneut zu bluten und seine Fangzähne kamen zum Vorschein. Jetzt jagte er mir wirklich Angst ein, so hatte ich ihn noch nie gesehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich strampelte mit meinen Beinen, weil ich hoffte, ihn irgendwie zu treffen, doch was bildete ich mir eigentlich ein? Selbst wenn? Für ihn wäre es, als ob ihn eine Feder kitzelte. Er sah mit schrägem Blick zu mir und lachte kehlig auf.

»Ich sagte doch, du wirst es bereuen.« Er schlug mich ins Gesicht. Es fühlte sich an, als risse er mir meine Haut von den Wangen. Durch die Wucht seines Schlages fiel ich zu Boden. Keine Sekunde später stand er wieder vor mir, griff mir ins Haar und zog mich zurück auf die Beine. Er stemmte sich gegen mich und leckte mir mit seiner spitzen Zunge über meine Lippen.

»Wenn du nur nicht so gut schmecken würdest!«, lachte er und hob mich in die Luft. Er schmiss mich auf mein Bett und meine Angst vor ihm wuchs. Ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen, war mir aber sicher, er könnte noch viel mehr tun, wenn er wollte. Allerdings war ich jetzt ein Mensch und viel leichter verwundbar. Erneut packte er mich und hob mich auf Augenhöhe hoch, drehte meinen Kopf und flüsterte mir ins Ohr:

»Du solltest dankbar sein, dass du noch lebst, Miststück!«, sprach der Kerl, den ich glaubte zu kennen und den ich so unendlich liebte. Ich schloss meine Augen und hoffte diese Tortour zu überleben, als ich plötzlich einen Schlüssel im Schloss hörte. Ich wusste, dass es Mona war, die von der Arbeit nach Hause kam und verspürte das Bedürfnis loszuschreien, dass sie rennen sollte, aber er hielt mir den Mund zu.

»Einen Mucks und sie stirbt!« Ich gehorchte, auch wenn mir bewusst war, dass er nicht gegen den Pakt verstoßen würde, so war mir auch bewusst, dass er die Strafe, die ihn dafür erwartete, in Kauf nehmen würde. Ich hoffte so sehr, dass er ihr nichts tun würde und nickte bereitwillig.

»So ist das also? Interessant.«, sagte er amüsiert und strich sich über sein Kinn, dann war er weg.

Wieder hatte er mich überrascht, er verschwand nie unvollendeter Taten, es sei denn, er änderte seinen Plan und er hatte ihn geändert. Mit einem Mal dämmerte mir auch warum, ich hatte an Mona gedacht und er konnte meine Gedanken lesen, verdammt. Ich musste mir was einfallen lassen. In seinem jetzigen Zustand würde er alles tun und ich musste Mona beschützen, es durfte ihr nichts passieren. Ich war mir sicher, dass er ihr etwas antun würde, aber nicht, wie ich es verhindern konnte. In diesem Moment klopfte es an meiner Tür.

KAPITEL 3

»Emily, Liebes, ist alles in Ordnung?« Ich war auf meinem Bett zusammengesackt, lag mit schmerzverzerrtem Gesicht dort und versuchte keinen Ton von mir zu geben, der verriet wie schlecht es mir ging, und atmete tief durch.

»Es geht mir gut.«, log ich durch die verschlossene Tür. Sie schien mir nicht zu glauben.

»Ich weiß, dass er hier war und er ist sehr wütend gewesen«, fügte sie hinzu und bat mich, die Tür zu öffnen. Ich seufzte und zögerte einen Moment, ehe ich beschloss aufzustehen und sie herein zu lassen. Als ich aufstand, spürte ich einen stechenden Schmerz, der mir durch Mark und Bein ging. Ein dumpfer Schrei drang ungewollt aus meinem Mund und ich öffnete die Tür, wobei ich natürlich versuchte, so lässig wie möglich auszusehen. Anhand ihres Blickes wusste ich aber, dass mir das absolut nicht gelungen war. Sie schob mich ins Zimmer zurück und zwang mich, mich hinzusetzen. Sie setzte sich zu mir auf die Bettkante und ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Es ähnelte eher einem Schlachtfeld.

»Es tut mir leid, das Zimmer..., ich wollte nicht…« Sie fiel mir ins Wort.

»Du solltest dich von ihm fernhalten.« Sie inspizierte jede meiner Wunden und Prellungen ganz genau. Sie drückte auf mir herum und duldete mein Ächzen und Jammern, wenn sie besonders demolierte Stellen berührte.

»Um das Zimmer solltest du dir am wenigsten Gedanken machen, eher um deine Gesundheit.« Sie lächelte, aber ich kannte sie gut genug um zu wissen, wie besorgt sie war. Damians plötzliches Verschwinden hatte sicher damit zu tun, dass sie nach Hause gekommen war. Ich wusste, dass das nicht ewig so funktionieren würde, irgendwann wäre es ihm egal, ob sie uns sieht. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Monas Gastfreundschaft sollte nicht so schamlos ausgenutzt werden, und ich wollte sie nicht verängstigen. Sie verarztete mich hingebungsvoll und ich entschloss mich, meine Neugierde zu stillen, indem ich sie fragte, was mir auf der Seele brannte:

»Woher weißt du, wer er ist und dass er hier war?«

Sie beendete ihre Arbeit ohne auf meine Fragen einzugehen und setzte sich dann neben mich. Mona nahm meine Hand in ihre und drückte sie.

»Er ist nicht der Richtige, Kindchen. Er treibt ein böses Spiel mit dir.« Dabei sah sie mir in die Augen und ich hatte das Gefühl, dass ihr besorgter Blick nur noch intensiver wurde. »Ich hatte schon mit Dämonen zu tun, bevor du das erste Mal auf mich trafst.« Sie seufzte leise.

»Meine Mutter war eine Seherin, sie hat mir alles beigebracht, was sie wusste bevor...« Ein tiefes Schlucken folgte und ihre Stimme wurde zittrig. Ich wusste, dass sie mir etwas anvertraute, was ihr nicht leichtfiel und über das sie vermutlich mit noch niemandem gesprochen hatte.

»Bevor sie von Dämonen getötet wurde.« Ich nahm meine Hand aus ihrer und umarmte sie. Diese arme Frau hatte so viel Leid ertragen müssen. Dann lächelte sie mit einem Mal und klopfte mir beschwichtigend auf mein Bein. »Komm, ich will dir was zeigen.« Wir standen auf. Ich folgte ihr langsam in einen Raum, den ich selbst noch nicht gesehen hatte und sah mich erstaunt um. Er war voller alter Gegenstände. Ich hatte noch nie so einen Raum gesehen. Auf dem Tisch befanden sich Tarotkarten und eine Glaskugel. Ich sah sie verwundert an, ich hatte viel über Hexen und Seherinnen gehört, war aber nie einer begegnet. Ich hielt sie für einen Mythos, genau wie Meerjungfrauen und Einhörner. Allerdings gab es ja auch Engel, obwohl die Menschen nicht an sie glauben, warum dann nicht auch Hexen und Seherinnen? Mona schien zu merken, was ich denke und fing an zu lachen.

»Oh, keine Sorge, ich bin keine Hexe, nur vorsichtig.« Dann ging sie zur Kommode in der Ecke und holte einen rosafarbenen Edelstein heraus. Ich wusste nicht, was das ist und sah sie fragend an. »Du solltest ihn bei dir tragen, solange du dich mit Dämonen umgibst, er wird dir eines Tages dein Leben retten«, sagte sie zwinkernd und legte ihn mir in die Hand. Ich vertraute nicht auf Hexenkunst oder wie ich das nennen sollte, aber ihr zuliebe steckte ich den Stein in meine Tasche. »Ich trage auch einen, deshalb wusste ich, dass er hier ist, und er weiß, dass ich ihn bemerke.« schlussfolgerte sie, und obwohl ich eine komplett andere Befürchtung hatte, weswegen er verschwunden war, nickte ich.

»Also dient dieser Stein als eine Art Dämonenradar?« Wir beide fingen bei diesem Wort herzhaft an zu lachen.

»In gewisser Weise, ja«, sagte sie und führte mich wieder heraus. »Ich denke, du musst nicht genäht werden, aber wenn du nicht völlig lebensmüde bist, hältst du dich besser von ihm fern.«, riet sie mir.

Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein. Das erste Mal, seit ich gestorben war, hatte ich annähernd eine Ahnung, was es bedeutete, zu Hause zu sein. Natürlich wohnte ich hier nur auf Zeit, aber ich fühlte mich rundum wohl. Meine Angst, Damian könnte zurückkommen, schien unbegründet zu sein. Vielleicht hatte Mona ja Recht und dieser doofe Stein beschützte uns irgendwie. Es vergingen Wochen, ohne dass etwas Außergewöhnliches passierte. Wir wohnten zusammen und jeder ergänzte den anderen. Ich versuchte Mona so gut es ging zu unterstützen und sie lehrte mich das irdische Leben. Wir harmonierten perfekt in unserer kleinen Wohngemeinschaft und an einen Auszug war gar nicht mehr zu denken. Zu sehr erweckte ich den Beschützerinstinkt in ihr und ich muss zugeben, dass sie mir auch sehr ans Herz gewachsen war. Mona und ich hatten sogar ein wöchentliches Ritual: Jeden Donnerstag liehen wir uns einen Film aus und sahen ihn gemeinsam an. Heute war Stadt der Engel mit Nicolas Cage dran. Sie fand es besonders witzig, ausgerechnet diesen Film mit mir anzusehen. Ich hatte mich inzwischen an ihre Scherze gewöhnt. Wir redeten noch eine ganze Weile und Mona öffnete einen Rotwein. Tollpatschig wie ich bin und etwas angetrunken, verschüttete ich den Wein über den Teppich. Ich fühlte mich schrecklich und auch wenn Mona mir versicherte, dass es nicht schlimm sei und sie sich eh einen neuen Teppich besorgen wollte, und ich ihr jetzt nur einen Grund gegeben hätte, es früher zu tun, brachte ich das gute Stück direkt am nächsten Morgen in die Reinigung.

Zufällig fiel mir auf dem Weg dorthin ein Schild im Schaufenster eines Eck-Cafés auf, in dem ich schon mit Mona gesessen hatte. Darauf stand, dass eine Kellnerin gesucht wurde, und da ich das Café bereits kannte, hatte ich keine Scheu nachzufragen, ob die Stelle noch zu besetzen sei. Ich traf auch direkt auf den Besitzer, ein freundlicher alter Herr, Mr. Robinson. Er musste schon gefühlte hundert Jahre alt sein, aber er führte das Café, seit er es vor langer Zeit erworben hatte, selbst. Dennoch war er froh über jede Hilfe, die er kriegen konnte. Seine Enkelin, Rachel, half ihm, wo es nur ging. Ich schätze, sie war ungefähr dreiundzwanzig, also genauso alt wie ich. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl und ergatterte auf Rachels gutes Zureden hin den Job. Ich durfte bereits am nächsten Tag anfangen.

Auf dem Heimweg holte ich noch Monas Teppich aus der Reinigung, sie hatten den Fleck tatsächlich rausbekommen und ich konnte es kaum erwarten, Mona von den Neuigkeiten zu erzählen.

Überglücklich kehrte ich nach Hause und bemerkte, dass Mona schon am Kochen war. Ich hatte endlich einen Job und mein menschliches Leben schien nicht so wertlos zu sein, wie ich es anfangs befürchtet hatte. Die Wochen verstrichen und ich war unheimlich froh, endlich etwas zur Haushaltskasse beisteuern zu können. Mona wollte nach wie vor nicht, dass ich auszog, daher half ich bei der Renovierung meines Zimmers, so gut es ging. Wir verkauften sogar ein paar ihrer Bilder und alles in allem konnte ich wirklich behaupten, dass ich endlich wieder glücklich war. Ich freundete mich mit Rachel an und sie wurde, wie Mona, ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Meine Schwester fehlte mir nach wie vor, aber es tat gut hier auf der Erde Menschen um mich zu haben, die mich brauchten und deren Gesellschaft mich erfüllte. Rachel war einer dieser Menschen, die sofort den Raum erhellten, wenn sie ihn betraten. Sie hatte, wie ich, braunes Haar aber zu einem perfekten Bob geschnitten und sie war immer top stylisch gekleidet. Manchmal glaubte ich, sie trug die Trends schon an ihrem Körper, bevor sie überhaupt Mode wurden. Ich liebte ihre Art mit Menschen umzugehen und wenn sie lachte, musste man automatisch mit einstimmen. Sonntags kochten wir alle zusammen bei ihr und ihrem Großvater, ein bisschen Gesellschaft schadete dem lebensfrohen Mr. Robinson nicht. Wir nannten ihn alle nur Opa, obwohl sein Name Jerry war. Rachel und ich verbrachten nahezu jede freie Minute zusammen und sie wurde meine beste Freundin. Sie und Mona waren meine engsten Vertrauten hier geworden. Es verging kein Tag, an dem mich Rachel nicht wegen meinem nicht vorhandenen Kleidungsstil tadelte. Es war ja nicht so, dass ich ungepflegt herumlief oder zerrissene Kleidung trug, aber sie war der Meinung, ich müsste meine Figur und meine Weiblichkeit mehr betonen. Nach einiger Zeit, ließ ich mich tatsächlich von ihr überreden, mit ihr shoppen zu gehen und sämtliche Boutiquen in der Innenstadt abzulaufen. Rachel hielt nichts von Modehäusern und -ketten, sie legte viel Wert auf Individualität und kreierte lieber ihren eigenen Style, indem sie nur ein paar der angesagten Accessoires verwendete, um ihr Outfit aufzupeppen. Sie schleifte mich in ihr Lieblingsgeschäft Monkees