Ruf der Magier - Zorn der Finsternis - Isabel Lieshoff - E-Book

Ruf der Magier - Zorn der Finsternis E-Book

Isabel Lieshoff

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Beschreibung

Ein Soldat, der droht sein Herz zu verlieren. Ein König, dem kein Preis zu hoch ist. Ein Feind, der keine Gnade kennt. Eine junge Kriegerin, die Vergeltung fordert. Nachdem Nyah die Wahrheit über ihre Vergangenheit erfahren hat setzt sie alles daran, die Magier zu vernichten. Als sie in den Krieg gegen die Dunkelheit verwickelt wird, muss sie sich entscheiden: Opfert sie ihr eigenes Leben, um ihre Freunde zu schützen oder sieht sie zu wie die Welt im Zorn der Finsternis versinkt?

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Copyright 2023 by

Dunkelstern Verlag GbR

Lindenhof 1

76698 Ubstadt-Weiher

http://www.dunkelstern-verlag.de

E-Mail: [email protected]

ISBN: 978-3-910615-86-1

Alle Rechte vorbehalten

Für alle, die auf der Suche nach einem Zuhause sind – ich hoffe, ihr findet es.

Inhalt

Playlist

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Epilog

Danksagung

Triggerwarnung

Triggerwarnung

Dieses Buch nutzt Inhalte, die bei einigen Leserinnen und Lesern Unwohlsein hervorrufen oder eventuelle persönliche Trigger darstellen könnten. Eine genaue Auflistung der inbegriffenen Themen bzw. Szenen ist am Ende dieses Buches zu finden, da sie explizite Spoiler zur Geschichte enthält.

Playlist

YouSeeBIGGIRL/T:T – Hiroyuki Sawano (Cover von Elspeth Bawden)

aLIEz – Hiroyuki Sawano [Cover von LeeandLie (AmaLee)]

You are Light – Thomas Bergersen ft. Felicia Farrere

Strength of a Thousand Men – Two Steps from Hell (Cover von Frostudio Chambersonic)

Never give up on your dreams – Two Steps from Hell

Burning Heart - Victoria Carbol

9a14s – Hiroyuki Sawano

Akuma no Ko – Ai Higuchi (Cover von Yuko)

Earthbenders - James Newton Howard

Infiltrate the Citadel – Rohan Stevenson

The Hunt – Simon Franglen

Merlin buries Lancelot – Michal Pavlíček

Promise – Sunna Wehrmeijer

Avatar: The Last Airbender Theme – Jeremy Zuckerman (Cover von Samuel Kim Music)

The Crimson Flight – Ivan Torrent

Teil 1:

Veränderliches

Schicksal

Prolog

Alecor

Mein Großvater erzählte mir als Kind eine Geschichte über die Dunkelheit. Dieselbe Geschichte seines Vaters und dessen Vaters.

Eine Geschichte, der ich jedes Mal aufmerksam lausche, denn sie wird mir als Herrscher noch zugutekommen. Sie ist das Fundament meines Königreichs.

Ich selbst bin mit Geschichten über Helden und Magie aufgewachsen, doch es gab eine Zeit, da war das Reich, mein Reich, vom Krieg gezeichnet.

Ein Krieg jenseits meiner Vorstellungskraft. Leichen und Blut, ein Anblick, der mir im Kindesalter glücklicherweise erspart geblieben ist.

Die Zerstörung fing schleichend an. Sie nistete sich langsam, aber sicher im Herzen Avalans ein. Innerhalb eines Wimpernschlags breitete sie sich aus, so unaufhaltsam wie eine Krankheit.

Der Auslöser dieses Krieges war das Übel, das jeder Mensch auf Erden fürchtete: Magie.

Magie existiert seit Anbeginn der Zeit. Sie wurde einst von den alten Göttern an die Menschen weitergegeben. An das Volk, welches eines Tages vor mir auf die Knie fallen und mir die Treue schwören wird.

Magie lässt sich nicht kontrollieren. Sie hat ihren eigenen Willen. Manche von uns sind auserkoren sie zu beherrschen. Sie werden mit magischem Blut in den Adern geboren.

Je mächtiger die Magie wird, desto schwerer ist es, sie zu kontrollieren. Menschen verlieren sich selbst und lassen zu, dass die Magie sich ihres Verstandes bemächtigt.

Doch dann gibt es solche, die sie bewusst missbrauchen. Solche, die nach Macht streben.

Macht zu tragen ist eine Bürde, doch sie zu missbrauchen ist einfach. Das hat mich mein Vater früh gelehrt.

Es hat etwas Verlockendes, sich dem Bösen hinzugeben und die Dunkelheit in seinem Inneren erwachen zu lassen.

Das Böse findet immer seine Anhänger, pflegte mein Großvater zu sagen. Es existiert in all unseren Herzen und löscht sämtliches Licht, das sich darin befindet. Nicht jeder ist stark genug, um ihm die Stirn zu bieten.

Großvater sprach von Soldaten auf Pferden, die vier abtrünnige Gestalten verfolgten. Sie scheuchten sie durch das Reich wie Vieh und verbannten sie für ihre Verbrechen.

Sie waren gefürchtet, doch sie würden nicht gewinnen. Solange das Gute in Avalan existierte, würde das Böse nicht triumphieren.

Die vier Abtrünnigen flohen weit an den Rand des Reiches, das damals noch ganz war. Sie versteckten sich an Orten, die Angst und Schrecken in den Herzen der Menschen auslösten.

Der Wald, in dem sie verschwanden, war so dicht, dass ihre Verfolger sich darin verirrten. Nur wenige Dörfer waren zu finden, wenn man ihn durchquerte, und die Berge waren bewohnt von abscheulichen Kreaturen. Großvater beschrieb mir Monster, die einen bei lebendigem Leib verbrannten. Er sprach von grausamen Mythen und Legenden, die Unwissende von der Lichtung fernhielten.

Nachdem die Abtrünnigen vertrieben wurden, kehrte der Frieden in Avalan ein. Das Königreich blühte auf, und zum Schutz der Menschheit gründete der damalige Herrscher die Gilde. Dort lernten Menschen, gesegnet mit der Magie der Elemente, sogenannte Elementier, den richtigen Umgang mit ihrer Gabe. Die Gilde wuchs und wurde zu einem Vermächtnis.

Das Königreich, das ich oft von der Schlossmauer aus beobachte, vertraut auf den Schutz der Gilde. Durch sie fühlt sich das Volk sicher und kein Herrscher hat seine Landsleute jemals im Stich gelassen. Er brachte das Opfer, den Schutz seines Landes über sich selbst zu stellen.

Jahrhunderte vergingen. Könige starben und neue wurden gekrönt. Menschen und Elementier lebten in Frieden miteinander.

Die Bedrohung war vergessen. Sie wogen sich in Sicherheit. Die Abtrünnigen wurden seit ihrer Flucht von keiner Menschenseele mehr gesehen. Niemand wusste, ob sie überlebt hatten.

Den Preis für diesen Fehler zahlte mein Großvater. Als Kind hatte ich gesehen, wie sich das Böse wieder erhob. Und ich wusste, ich würde die Abtrünnigen wieder bekämpfen. Es war ein Fluch. Eine Bürde, die auf den Schultern meiner Familie lastete.

Der totgeglaubte Feind war zurückgekehrt, wenn auch geschwächt. Menschen kämpften an seiner Seite. Sie wurden von einer dunklen Macht verführt.

Die Elementier besiegten sie auf dem Schlachtfeld, und meinem Großvater gelang es, die Dunkelheit ein weiteres Mal zurückzudrängen.

Nach all den Jahren waren die Abtrünnigen mächtiger geworden. Sie hatten sich verändert. Einst menschlich umhüllten sie nun Schatten. Die Gesichter blass und von schwarzen Adern durchzogen. Ihre Körper bestanden nur noch aus Haut und Knochen.

Das war der Tribut, den die schwarze Magie forderte. Auch das Land, das sie fortan ihr Zuhause und ihre Zuflucht nannten, war von der Dunkelheit verseucht. Pflanzen starben. Der Boden war unfruchtbar. Der Himmel grau. Kein einziger Sonnenstrahl durchbrach die Wolkendecke.

Im Laufe der Jahre wagten die Abtrünnigen, nun mehr als Magier bekannt, weitere Angriffe. Sie waren Elementier, die sich in der schwarzen Magie verloren hatten.

Großvater hatte gesehen, wie sie mit vier Schwertern kämpften. Klingen, meiner eigenen nicht unähnlich.

Mithilfe dieser Artefakte wuchsen ihre Kräfte mit jedem Tag, der verging. Niemand wusste, wie sie sie erschaffen hatten. Mein Großvater hatte es zu seinen Lebzeiten nicht herausgefunden, ebenso wenig wie mein Vater.

Bisher bin auch ich diesem Geheimnis nicht auf die Spur gekommen.

Damals schon waren die Magier Feiglinge, die sich hinter ihrer Macht versteckten. Truppen, die mein Großvater und mein Vater zu ihnen ins Ödland schickten, kehrten nicht zurück. Stattdessen griffen ihre Sklaven, sogenannte Domestiken, Avalan an. Nach dem Tod meines Vaters kämpfte ich selbst gegen diesen Abschaum. Als junger Herrscher war ich unerfahren, doch ich hatte einen Eid geschworen mein Volk zu beschützen.

Ich wollte mich nicht hinter den Mauern meines Schlosses verstecken, sondern meinen Landsleuten zeigen, dass ich mich nicht vor der Macht der Magier fürchtete.

Nichts war mir zu diesem Zeitpunkt vertrauter als der metallische Geruch von Blut und das Klirren von Waffen auf dem Schlachtfeld. Der Krieg hatte mich gezeichnet und seine Spuren hinterlassen. Was er mich allerdings noch kosten würde, hätte ich niemals erahnen können.

Kapitel 1

Alecor

Avalan 23 Jahre zuvor

Das Schlachtfeld ist ein Anblick des Grauens. Viele meiner Soldaten haben nur leichte Verletzungen davongetragen, dafür sind die Truppen des Feindes gefallen.

»Alecor.« Lecroy stützt sich schwer in die Zügel seines Hengstes. »Es ist endlich vorbei. Wir haben gewonnen. Die meisten von ihnen sind tot. Einige wenige konnten zurück ins Ödland fliehen.«

Keuchend blicke ich mich zwischen den Leichen um. Die brennenden Körper bedeuten Vergeltung. Opfer, die notwendig sind, um die Gilde zu schützen. Das Blut des Feindes, welches an meinen Händen klebt, würde ich jederzeit in Kauf nehmen, wenn es dazu dient mein Volk zu retten.

»Uns ist es gelungen eine Domestikin gefangen zu nehmen.« Lecroy räuspert sich, während ich ihm erhobenen Hauptes über das Schlachtfeld folge. Das Traben der Hufe sowie das regelmäßige Schnauben seines Rosses sind das einzige Geräusch, das ich, abgesehen von der Stille, die der Tod mit sich bringt, vernehme.

Meine Stiefel versinken im blutgetränkten Boden, als ich aus dem Sattel steige.

»Hier, Mylord.« Lecroy bedeutet den Elementiern vorzutreten. Sie halten eine dürre Gestalt in ihrer Mitte, deren Hände mit einem Strick hinter ihrem Rücken zusammengebunden sind. Mit geballten Fäusten betrachte ich die Gefangene.

Das schwarze Haar hängt der Domestikin ins Gesicht. Kratzer und Blessuren verunstalten ihre Haut. Eine Schnittwunde, vermutlich im Kampf verursacht, zieht sich ihren Arm hinauf.

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und ich schlucke hörbar. Erneut muss ich über das Schicksal eines Menschen entscheiden. Wie oft werden meine Hände noch mit Blut befleckt sein?

Ich sollte in meinen Zwanzigern noch keine Schlachten anführen, doch mein Vater hat die Dunkelheit nicht besiegen können. Genauso wenig wie mein Großvater. Nun liegt es an mir diese Pflicht zu erfüllen. Und ich werde nicht den gleichen Fehler wie meine Vorfahren begehen.

Ich werde die Magier nicht unterschätzen. Nicht, nachdem bereits so viele Soldaten der Gilde in den letzten Jahrzehnten durch ihre Hand gestorben sind.

Mit abschätzigem Blick mustere ich die Gefangene genauer. Lecroy drückt ihr seine Stiefelspitze in den Rücken und mit hasserfülltem Blick sieht sie zu mir hoch. Ein Fauchen dringt aus ihrer Kehle, das mich beinahe zurückweichen lässt, doch die Frau ist menschlich genug, dass sie mich verstehen wird.

»Sie ist die letzte Überlebende der Domestiken«, erwidert der Soldat neben Lecroy. Seinem Umhang nach zu urteilen ist er ein Erdmagier. »Was sollen wir mit ihr machen, Mylord?«

Ich runzle die Stirn. Diese Domestikin könnte mir nützlich sein. Vielleicht verfügt sie über Informationen, die der Gilde helfen, diesen Krieg, der schon viel zu lange andauert, zu beenden.

Oder aber sie kennt eine Schwachstelle der Magier. Ich vermute, dass selbst diese abtrünnigen Verbrecher nicht unbesiegbar sind. Schließlich waren sie einst Elementier. Sie müssen einen wunden Punkt besitzen, doch bisher ist es mir nicht gelungen diesen zu finden.

Mit einer Domestikin in meinen Reihen könnte sich das vielleicht ändern.

»Ihr werdet ihr nicht wehtun«, befehle ich, und meine Stimme hallt laut und deutlich über das Schlachtfeld. Ich straffe die Schultern und sehe meinen Soldaten fest in die Augen. »Heute ist bereits zu viel Blut vergossen worden. Das muss ein Ende finden. Wir alle sind müde von Tagen des Kämpfens. Vielleicht gibt es auch einen anderen Weg die Dunkelheit zu vernichten.«

Ich deute auf die Domestikin, die sich im Griff der Soldaten windet.

»Nimm diese Abscheulichkeit mit ins Schloss«, befehle ich meinem Kommandanten. Lecroy ist beinahe doppelt so alt wie ich. Er hat schon meinem Vater gedient und ist meiner Familie gegenüber immer loyal gewesen. Bei den Elementen, es fühlt sich seltsam an ihm Befehle zu erteilen. Doch Lecroy salutiert gehorsam, schlägt sich seine geballte Faust an die Brust und zerrt die Gefangene mithilfe des Erdmagiers auf ein Ross.

»Ihr werdet alle verrotten!« Die Frau erhebt ihre ausdruckslose Stimme. »Meine Meister werden mich retten! Ihr seid dem Tode geweiht!«

»Still, du Abschaum.« Der Erdmagier umschließt mit seiner Hand die Kehle der Domestikin und bringt sie damit augenblicklich zum Schweigen.

Kopfschüttelnd wende ich mich ab und steige auf mein eigenes Ross.

***

Seit zwei Wochen meide ich die Gesellschaft der Frau. Sie will einfach nicht aufhören nach den Magiern zu schreien. Was ist ihr widerfahren? Wie hat sie ein solches Leid ertragen können?

Es hat keinen Zweck sie zu befragen. Sie würde mir keine Informationen verraten, sondern eher versuchen mir mit ihren spitzen, schmutzigen Nägeln die Augen auszukratzen.

Es sei denn …

Resigniert schüttle ich den Kopf. Ich habe noch nie versucht meine Macht bei einem Domestiken anzuwenden. Doch wenn der Wille der Frau stark genug ist, schaffe ich es vielleicht sie von der Dunkelheit zu befreien. Einen Versuch ist es zumindest wert. Was habe ich, nach allem, was geschehen ist, noch zu verlieren?

Entschlossen bedecke ich meine Schultern mit einer roten Robe. Sie ist einst das Gewand meines Vaters gewesen und ist in jeder Hinsicht eines Herrschers würdig. Die Kristallkrone auf meinem Kopf fühlt sich zu schwer an, als ich die Stufen bis zu den Verliesen hinabsteige.

Gildesoldaten sehen mich erstaunt an, während ich zwischen den leeren Zellen entlangschreite, bis ich vor den Eisengittern stehen bleibe, die mich von der Domestikin trennen.

»Vorsicht, Mylord«, warnt mich einer der Wachen. »Sie ist gefährlich. Wir mussten bereits zweimal ihre Fesseln erneuern. Wenn sie die Gelegenheit zur Flucht sieht, wird sie sie ergreifen, daran besteht kein Zweifel.«

»Was ist mit ihren Handgelenken passiert?«, frage ich und betrachte skeptisch die blutbeschmierten Hautfetzen, die an den Armen der Domestikin herabhängen. »Hat niemand einen Heiler zu ihr geschickt? Die Wunden werden sich infizieren.«

Der Soldat reibt sich perplex über den Nacken und tritt unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Nun ja …«, stammelt er. »Sie versucht sich immer wieder aus ihren Fesseln zu befreien und scheint den Schmerz kaum zu spüren. Ich bin mir nicht sicher, ob es sinnvoll ist, sie am Leben zu erhalten.«

»Das ist nicht deine Entscheidung«, knurre ich und schlage meine Fäuste gegen die Eisenstäbe. Der Soldat zuckt erschrocken zusammen und salutiert.

»Verzeiht, Mylord, ich …«

»Du kannst wegtreten. Ich kümmere mich um sie.«

»Natürlich. Wie Ihr wünscht.« Er presst sich die geballte Faust an die Brust und verschwindet den Gang hinunter.

Froh, außer Hörweite der Wachen zu sein, wende ich mich an die Domestikin.

»Wie lautet dein Name?«

Als Antwort erhalte ich bloß ein grimmiges Fauchen. Ihre Fesseln klirren, als sie sich dagegen stemmt. Frisches Blut rinnt ihr Handgelenk hinab.

Mein Herz zieht sich zusammen. Die Domestikin erweckt Mitleid in mir. Sie ist nicht viel mehr als ein Schatten ihrer selbst. Ein gebrochenes Geschöpf, das am Boden meiner Zelle kauert. Was für ein Leben muss diese Frau gehabt haben? Wie ist sie in die Fänge der Magier geraten?

»Ich bin hier, um dir zu helfen«, sage ich und trete einen Schritt auf das Eisengitter zu. Mit klopfendem Herzen schließe ich die Zelle auf. Der Schlüssel klirrt in meiner Hand, als ich ihn wieder an meinem Gürtel befestige.

Zwar faucht und zischt die Domestikin wie eine wild gewordene Bestie, doch an Armen und Beinen gefesselt kann sie mir nichts anhaben. Rasch knie ich mich zu ihr hinab, bis ich auf Augenhöhe mit der jungen Frau bin.

»Ich werde dir nicht wehtun«, verspreche ich. »Ich möchte dich von der Dunkelheit befreien.«

»Monster!«, schreit die Gefangene und erneut platzt die Haut an ihren Handgelenken auf. Die schwarze Magie hat sie vollkommen in ihrem Bann.

»Ich werde dich von deinem Leid erlösen.«

Hasserfüllt begegnet die Domestikin meinem Blick, während ich tief durchatme und ein sanftes Licht in meiner Handfläche beschwöre. Meine Familie hat schon immer eine starke Affinität zur Heilung gehabt, doch ich und mein Vater haben es geschafft das Feuer in etwas viel Größeres, Mächtigeres zu verwandeln. Etwas, dass die Dunkelheit von innen heraus verbrennen könnte. Ist die Domestikin stark genug, wird sie den Prozess überleben und als Mensch aufwachen.

Vorsichtig hebe ich meine Hand, presse sie an ihre Stirn und das einst sanfte Licht verwandelt sich in einen gleißend hellen Strahl. Die Domestikin schreit verzweifelt auf. Ihre bleiche Haut glüht unter meiner Handfläche. Die Schwärze aus ihren Augen weicht dem Licht und sie sackt reglos in sich zusammen.

***

Ein Jahr später

»Alecor.« Iniq lächelt mich an. Ihre Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen, das eine wohlige Wärme in meinem Brustkorb auslöst.

»Du bist ja doch noch gekommen.«

Im letzten Jahr habe ich sie in der Kampfkunst ausgebildet und ihr alles beigebracht, was ich weiß. Sie hat nicht nur die Gebräuche und Traditionen der Gilde gelernt, sondern auch den Schwertkampf.

Nun ist Iniq eine Kriegerin. Ihre Veränderung erfüllt mich mit Stolz. Nachdem meine Magie sie von der Dunkelheit befreit hat, ist sie beinahe so tollpatschig wie ein Kind gewesen. Sie hat sich bloß an ihren Namen erinnert.

Vor einem Jahr jedoch hat sie mich gebeten, ihr die vier Tugenden der Kampfkunst beizubringen. Ich habe zuerst gedacht sie würde scherzen, doch selten ist mir eine Kämpferin mit einem so starken Willen, wie Iniq ihn besitzt, begegnet. Innerhalb kürzester Zeit ist sie zu einer meiner besten Kriegerinnen herangewachsen. Und das ganz ohne Elementmagie.

Der Nahkampf ist ihre Stärke. Nicht nur mit dem Schwert hat sie mich mehrfach in Verlegenheit gebracht, auch im Faustkampf darf ich sie nicht unterschätzen. Iniq ist schnell und wendig, und ihre Bewegungen erinnern mich manchmal an die einer Schlange. Gleichzeitig sind sie sanft, als würde sie tanzen.

Ich habe sie all die Monate persönlich ausgebildet und mich dabei in sie verliebt. Bis heute scheue ich mich jedoch davor ihr meine Gefühle zu gestehen.

Vor einigen Wochen hat Iniq mich gefragt, ob sie der Gilde würdig sei. In Wahrheit glaube ich, sie ist die würdigste Kriegerin, die das Schloss jemals betreten hat. Die Domestikin, die ich einst in meinem Verlies gefangen gehalten habe, ist wahrlich etwas Besonderes.

Sie bringt ein Licht in mir zum Vorschein, von dem ich geglaubt habe, es schon lange verloren zu haben, und mit jedem Tag, der vergeht, fühle ich mich mehr zu ihr hingezogen.

Trotzdem verbringt sie die meiste Zeit in ihren Gemächern oder in der Bibliothek. Iniq liebt es zu lesen. Ich sehe sie so gut wie nie ohne ein Buch in der Hand. Stundenlang vergräbt sie ihre Nase in alten Geschichten, Mythen und Legenden. Abends erzählt sie mir voller Begeisterung von den Abenteuern, die zwischen den Zeilen auf sie warten.

Iniq ist eine temperamentvolle Frau und ihr Temperament ist ansteckend. Es ist eines der Gründe, weshalb ich mich in sie verliebt habe.

Auch am Abend des Elementierballs ist sie vollkommen in eine, vermutlich magische, Geschichte vertieft. Sie hat die Knie angewinkelt und balanciert die Lektüre auf ihrem Schoß. Im dumpfen Kerzenschein fällt mir ihre Veränderung besonders auf. Der Schwertkampf hat ihr geholfen Muskeln aufzubauen und ihr Körper hat an Stärke gewonnen. Im letzten Jahr ist aus dem zierlichen, abgemagerten Mädchen eine junge Frau geworden.

Das schwarze Haar fällt ihr in Wellen über die Schultern. Sie trägt ein graues Hemd, das sich eng an ihre Taille schmiegt und ihre Brüste betont, die nicht mehr so flach sind, wie noch vor einem Jahr.

Sie ist wunderschön.

Obwohl ich Iniq jeden Abend besuche, um mit ihr zu speisen und ihr neue Bücher zu bringen, ist die heutige Nacht etwas Besonderes für mich. Das Schloss ist erwacht, voller Lichter und Leben. Liebliche Klänge von Musik dringen durch die Gänge. Anlässlich des Balls trage ich eine festliche Robe, die mit goldenen Stickereien verziert ist.

Ein glänzender, bronzefarbener Gürtel windet sich um meine Taille, der im Licht von Iniqs Gemächern aussieht, als würde er Flammen schlagen.

»Ich habe uns Wein mitgebracht«, sage ich und Iniq schaut erschrocken von ihrem Buch auf. Mir entgeht nicht, wie sich ihre Augen weiten, als sie meine festliche Robe betrachtet.

»Du siehst so förmlich aus«, entgegnet sie. »Gibt es dafür einen Grund?«

»Den Elementierball«, erwidere ich und mache einen Schritt auf sie zu.

»Ach, die Tanzveranstaltung von der du mir erzählt hast?« Iniqs Wangen röten sich leicht.

Ich nicke und schenke uns Wein ein. Lächelnd reiche ich ihr einen Kelch. Der süßliche Geschmack breitet sich auf meiner Zunge aus, als ich ihn an meine Lippen führe. Iniq tut es mir gleich.

»Ich habe die Musik gehört und mich schon gewundert, woher sie stammt.«

Sie stellt ihren Kelch auf dem Tisch ab und legt das Buch daneben.

»Möchtest du tanzen?«, frage ich und strecke ihr mit klopfendem Herzen meine Hand entgegen.

»Aber ich trage doch gar kein Ballkleid«, erwidert Iniq und weicht meinem Blick aus.

»Das macht nichts. Du bist auch so wunderschön.« Ich ziehe sie an mich.

»O, Alecor. Ich kann überhaupt nicht tanzen.« Verunsichert schmiegt sich Iniq in meine Arme. Lächelnd sehe ich zu ihr hinab. Sie ist einen Kopf kleiner als ich.

»Ich kann es dir beibringen«, sage ich und umfasse sogleich ihre Hand. »Du wirst sehen, Tanzschritte und der Schwertkampf unterscheiden sich nicht so sehr voneinander, wie du glaubst. Beides ist eine Kunst, die nur durch Übung perfektioniert werden kann.«

Ich versuche sie nicht zu bedrängen und beschwere mich nicht einmal, als Iniq mir zum dritten Mal an diesem Abend auf die Füße tritt. Sie stellt sich wirklich ungeschickt an, doch genauso ungeschickt ist sie zu Anfang auch beim Kämpfen gewesen.

Ihr eiserner Wille jedoch bezwingt jede Herausforderung, vor die ich sie stelle.

Bald schon bewegen wir uns im langsamen Takt der Musik, die aus dem Ballsaal zu uns herüberdringt. Meine Hände liegen auf Iniqs Hüften. Ich ziehe sie noch ein Stück näher an mich und atme den Duft ihrer schwarzen Haare ein. Es glänzt im Kerzenschein und riecht nach Lotusblüten.

»Du bist wirklich ein begabter Tänzer«, lobt mich Iniq und ich verliere mich in ihrem Blick.

»Mein Vater hat es mir beigebracht«, erwidere ich. »Als Herrscher der Gilde ist es unerlässlich, dass ich ein paar klassische Tänze kenne.«

Ich wirbele sie in meinen Armen herum. Unsere Nasenspitzen berühren sich, als wir einander ansehen. Iniq lächelt und lehnt ihren Kopf an meine Schulter.

Ich streiche mit dem Daumen über ihre erhitzten Wangen. Meine müssen inzwischen ebenfalls glühen.

Als Mondschein in Iniqs Gemächer fällt, führe ich sie zum Fenster und schlinge meine Arme von hinten um ihren Körper.

»In Harloth gibt es einen Fluss, in den die Bewohner bei Vollmond Münzen hineinwerfen. Dann wünschen sie sich etwas und wenn sie fest genug daran glauben, geht der Wunsch vielleicht in Erfüllung«, flüstere ich dicht an ihrem Ohr. »Wenn du einen Wunsch frei hättest, welcher wäre es?«

»Ich wünsche mir Frieden«, erwidert Iniq ebenso leise. Sie greift nach meiner Hand und verschränkt ihre Finger mit meinen. Ihre Haut fühlt sich warm auf meiner an und verursacht ein wohliges Kribbeln in meinem Magen.

»Du warst schon immer eine selbstlose Seele.« Zärtlich streiche ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Du denkst immer nur an das Wohl der anderen, doch was ist mit deinem eigenen?«

Iniq dreht sich zu mir um.

»Das Wohl anderer über mein eigenes zu stellen, habe ich von dir gelernt«, sagt sie und sieht zu mir auf. »Es ist das Opfer, was ein Herrscher bringen muss.«

Sie lächelt und drückt meine Hand.

»Was würdest du dir wünschen, Alecor?«

Ich erwidere ihren sanften Blick und frage mich, ob dieselbe Wärme ihren Brustkorb durchflutet wie meinen. In Iniqs Gegenwart fühle ich mich zum ersten Mal wie ich selbst. Hier in ihren Gemächern muss ich meine Gefühle nicht verstecken. Hier bin ich nicht nur ein Herrscher, sondern ein junger Mann, der sich zu einer wunderschönen, jungen Frau hingezogen fühlt.

»Alles, was ich mir wünsche, befindet sich bereits hier«, flüstere ich in ihr Haar und ziehe ihren Kopf an meine Brust.

Iniq senkt die Lider und ihre Wimpern streifen ihre Wangen. Mein Herz stolpert. Sie wirkt so unschuldig wie eine Blüte, die vom Wind fortgetragen wird, aber dennoch ist sie mutig, sanft und ich liebe es, wie sie mich herausfordert.

Ehe mich mein eigener Mut verlässt, presse ich meine Lippen auf ihren Handrücken.

»Ich werde dich jetzt schlafen lassen«, sage ich, wissend, dass ich ihre Zeit schon viel zu lange in Anspruch genommen habe. Ich muss in meine Gemächer zurückkehren und die Vorbereitungen für den morgigen Tag treffen. Das ein oder andere Pergament wartet noch darauf von mir unterschrieben zu werden.

Seufzend lasse ich von Iniq ab, streiche meine Robe glatt, die vom Tanzen zerknittert ist, und bewege mich in Richtung der Flügeltüren.

»Alecor«, flüstert Iniq so leise, dass ich Mühe habe sie zu verstehen. »Darf ich mir noch etwas wünschen?«

Ich halte mitten in der Bewegung inne und drehe mich zu ihr um.

»Ausnahmsweise. Weil du es bist«, erwidere ich mit einem Lächeln, woraufhin Iniq einen Schritt auf mich zumacht. Sie wirkt verlegen und ihre Hände zittern kaum merklich.

»Wenn ich dich darum bitte mich zu küssen, würdest du es tun?«

Meine Knie werden weich. Darum bittet sie mich? Ich habe alles von ihr erwartet, nur nicht das. Für einen Moment verschlägt es mir die Sprache, und Iniq tritt noch näher an mich heran.

»Ich … habe diese Erfahrung noch nie gemacht«, gesteht sie. »Ich möchte wissen, wie es sich anfühlt und warum mein Herz jedes Mal, wenn ich dich sehe, droht mir aus der Brust zu springen.«

Ergeht es ihr wie mir? Fühlt sie sich genauso sehr zu mir hingezogen, wie ich mich zu ihr? Ich wage gar nicht darüber nachzudenken, habe mir dieses Glück nie erträumen lassen.

»Alecor?«, fragt Iniq unsicher und endlich erwache ich aus meiner Starre.

»Erfüllst du mir meinen Wunsch?«, haucht sie an meinen Lippen und ihre runden, dunklen Augen blicken mich an, blicken direkt in meine Seele.

»Wie könnte ich ihn dir abschlagen?«, wispere ich mit rauer Stimme und presse meine Lippen sanft auf ihre. Die Berührung ist hauchzart, sodass sich Iniq mir jederzeit entziehen kann.

Doch das tut sie nicht.

Stattdessen schlingt sie ihre Arme um meinen Nacken und vertieft unseren Kuss. Er wird inniger. Leidenschaftlich.

Bald schon ringe ich nach Atem, überwältigt von der Magie, die wir gemeinsam erschaffen.

Eine Magie, die stärker ist als die der Elemente. Magie, die die Schatten um uns herum verdrängt und in diesem Krieg triumphieren wird.

***

Einige Wochen später

»Ich kenne die Quelle ihrer Macht.« Iniq legt das Buch auf meinen Schreibtisch und deutet auf eine Zeichnung. »Vier Schwerter«, erklärt sie. »Auch genannt Artefakte. Damit praktizieren sie die schwarze Magie.«

Diese Waffen … sie stammen aus den Erzählungen meines Großvaters. Damals hat er die Magier und ihre Artefakte in einer Schlacht besiegt. Doch wie gelangt Iniq an solch gefährliche Informationen?

»Woher hast du dieses Buch?«

Mit gerunzelter Stirn betrachte ich die Lektüre. Das Buch hat einen braunen, staubigen Ledereinband. Auf dem Deckel ist das Muster einer Drachenklaue eingeprägt. Es sieht so alt aus, dass ich befürchte, es könnte jeden Moment in meiner Hand zerfallen.

»Ich bin zufällig darauf gestoßen.« Iniq lehnt sich gegen meinen Schreibtisch. »Es gibt in der Bibliothek eine geheime Kammer mit alten Büchern. Sie alle handeln von schwarzer Magie. Vielleicht helfen sie uns, die Magier zu besiegen.«

»Nein. Die dunkle Macht ist … gefährlich. Sie verdirbt einen. Ich habe gesehen, was sie anrichten kann. Du erinnerst dich nicht daran, aber … ich will nicht, dass sie dich zerstört.« Es schmerzt mich die Enttäuschung in Iniqs Gesicht zu sehen, wo sie eben noch so euphorisch war. Doch ich werde nicht zulassen, dass sie sich in Gefahr bringt.

»Aber du hast dir die Bücher ja nicht einmal angeschaut …« Iniq legt eine Hand auf meinen Arm. »Diese Magie ist das Faszinierendste, was ich jemals entdeckt habe.«

Ich beiße mir auf die Lippe, während ich das unheilvolle Buch auf meinem Tisch betrachte. Solche Schriften hätten längst vernichtet werden müssen. Bestimmt stammen sie von meinen Vorfahren aus vergangener Zeit. Ich werde dafür sorgen, dass sie keinen Schaden anrichten, dass niemand sie missbrauchen kann. Zum Wohle Avalans.

»Ich werde die Kammer versiegeln«, sage ich. »Was auch immer du gefunden hast, wird verbrannt.«

»Alecor, nein«, fleht Iniq und krallt ihre Finger in meine Robe. »Ich bitte dich. Tu das nicht. Zerstöre nicht unsere einzige Möglichkeit auf einen Sieg. Auf eine Zukunft.«

Sie umklammert meine Hand und führt meine Finger an ihre Lippen.

»Iniq …« Wieder einmal bin ich gebannt von ihrer Schönheit. Von ihrem schwarzen Haar, das ihr Gesicht umrahmt, und den dunklen, runden Augen. Ihre leicht geöffneten Lippen wirken geradezu einladend, würden sie in diesem Moment nicht beginnen zu beben.

»Ich habe sie alle gelesen«, flüstert Iniq mit erstickter Stimme und Tränen schimmern in ihren Augen. »Jeden einzelnen Spruch. Jede Zeile. Jedes Wort. Ich versuche seit Tagen die schwarze Magie zu beschwören und es ist mir tatsächlich gelungen.«

Sie beißt sich auf die Lippe. »Und ich glaube, ich weiß jetzt, wie die Magier ihre Macht aus den Schwertern beziehen. Die Artefakte sind wie ein schlagendes Herz für sie. Sie haben einen Teil ihrer Seele mit den Klingen verbunden. Wir könnten ihre Macht schwächen, wenn es mir gelingt, eine der Waffen zu stehlen.«

»Das kommt überhaupt nicht infrage. Weißt du eigentlich, wovon du da redest, Iniq?« Ich packe sie an den Schultern, so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortreten. »Die Bücher werden verbrannt, und das ist mein letztes Wort.«

Eine Träne rinnt Iniqs Wange hinab. »Nein, du verstehst das nicht. Die Artefakte … ihre Magie ist wie ein Kreislauf. Wir können ihn durchbrechen, indem wir nur eines der vier Schwerter daraus trennen. Ich könnte in die Dunkellande aufbrechen, versuchen meine Seele damit zu verbin- «

»Es reicht!« Mein scharfer Tonfall lässt Iniq zusammenzucken, und sie verstummt augenblicklich.

»Ich habe genug gehört. Du wirst nirgendwo hingehen. Und wenn ich dich in Ketten legen muss. Ich lasse nicht zu, dass du dich in solche Gefahr begibst.«

»Also willst du mich im Schloss einsperren?« Iniqs Augen weiten sich, und sie weicht erschrocken vor mir zurück.

»Ich dachte wirklich, du würdest es verstehen.«

Weitere Tränen perlen über ihre Wangen und tropfen auf meinen Schreibtisch.

»Ich will dich doch nur beschützen!« Frustriert fahre ich mir über das Gesicht. »Iniq, ich liebe dich, und ich will dich nicht verlieren.«

»Hierbei geht es aber nicht nur um uns!« Trotzig verschränkt sie die Arme vor der Brust. »Es geht um Avalan. Um die Zukunft dieses Reiches.«

Ihre Worte sind wie ein Messerstich in meiner Brust. Ich weiß, dass sie recht hat. Und dennoch will ich es nicht wahrhaben.

Rasch überbrücke ich die Distanz zwischen uns und ziehe sie in meine Arme. »Manchmal wünschte ich wirklich ich könnte selbstsüchtiger sein«, flüstere ich und presse einen Kuss auf ihren Scheitel. »Doch als Herrscher ist mir das leider nicht vergönnt.«

Iniq nickt und schmiegt ihre Wange an meine Robe. Sie sieht zu mir auf.

»Bitte, Alecor. Vertrau mir. Ich weiß, was ich tue.«

Mit dem Daumen fahre ich über ihre Wangen und wische die Tränen fort.

»Es tut mir leid«, erwidere ich und löse mich von ihr. »So sehr es mich schmerzt, ich kann deiner Bitte nicht nachkommen. Ich befehle meinen Soldaten noch heute Nacht alle Bücher zu verbrennen.«

Zitternd straffe ich die Schultern und streiche meine Robe glatt.

»Alecor, nein! Tu das nicht! Ich flehe dich an! Tu das bitte nicht!«

Iniqs Schrei wird von der zufallenden Tür abgeschnitten, als ich sie hinter mir zuschlage und mit geballten Fäusten auf den Gang hinausstürme.

***

Ich habe mich selbst ins Verderben gestürzt. Ich habe Iniq nicht aufhalten können. Ohne mein Wissen ist sie vor drei Nächten in die Dunkellande aufgebrochen, um eines der vier Schwerter – ein Artefakt – zu stehlen. Die Kammer in der Bibliothek ist seit Wochen versiegelt. Die Bücher darin sind nicht mehr als ein Haufen Asche. Iniq hat mir meine Entscheidung, sie zu verbrennen, nicht verziehen, aber die Gefahr, die von den Zeilen ausgeht, ist zu groß. In den falschen Händen hätten diese Bücher gewaltigen Schaden anrichten oder die Gilde sogar vernichten können. Zwischen zitternden Fingern drehe ich die Kette in meiner Hand, die ich extra für Iniq habe anfertigen lassen. Eine Silberkette mit einem Medaillon, in dessen Inneren ich die Inschrift Wir müssen aus den Schatten heraustreten eingravieren lassen habe. Wenn sie zurückkehrt, werde ich ihr das Schmuckstück überreichen. Hoffentlich nimmt sie meine Entschuldigung an und kann mir vergeben.

Zwei Tage später ist es endlich so weit. Mitten in der Nacht wecken mich die donnernden Hufe eines Rosses. Zwei Soldaten informieren mich über Iniqs Rückkehr, und nur in meinem Nachtgewand bekleidet stürme ich die Treppen des Schlosshofes hinunter.

Es regnet in Strömen und eisiger Wind peitscht mir ins Gesicht.

Iniq sieht aus, als hätte sie eine harte Reise hinter sich. Ihr Haar ist zerzaust und einige dunkle Strähnen hängen ihr wirr ins Gesicht. Ihre Tunika ist vollkommen durchnässt und klebt an ihr wie eine zweite Haut. Im Mondschein erkenne ich, wie das Wasser ihr über die Wangen läuft. Hatte sie keine Zeit Rast zu machen? Vermutlich nicht.

Iniq ist auf der Flucht und ich weiß, dass sie fort muss, um sich in Sicherheit zu bringen. Mit ihrer Entscheidung die Magier aufzusuchen hat sie unsere Zukunft besiegelt.

Schmerzlich wird mir bewusst, dass sie sich für Avalan und nicht für mich entschieden hat.

»Alecor.« Tränen schimmern in Iniqs Augen. Ihre Schultern sacken nach unten, und ich fange sie auf, bevor sie fällt.

»Was hast du getan?«, frage ich schockiert und erkenne die schwarzen Adern unter ihrer blassen Haut. Wie Ranken schlängeln sie sich ihre Wangen hoch.

»Schwarze Magie.« Iniq schenkt mir ein schwaches Lächeln und drückt das eingewickelte Schwert an meine Brust.

»Versteck es, Liebster«, fleht sie mich an. »Sie dürfen es niemals in die Finger bekommen, hörst du? Niemals wieder soll jemand die Macht dieser Waffe missbrauchen.«

»D-du hast … es getan, nicht wahr?« Meine Stimme zittert.

»Ich … habe es versucht, doch die Dunkelheit ist zu stark für meinen Körper. Nur ein Teil meiner Seele ist mit dem Schwert verbunden. Der vollständigen Macht des Artefakts bin ich nicht gewachsen.«

Iniq hustet und zieht eine zweite Waffe aus der Scheide an ihrer Hüfte. Zitternd stemmt sie sich auf die Füße und reicht sie mir. Die hölzerne Klinge ist vom Regen durchweicht.

»Nimm auch die. Ich habe sie verzaubert. Das Schwert erweckt den Anschein, als wäre es das echte Artefakt, aber es ist nur eine Illusion. Wenn jemand, der schwarze Magie beherrscht, die Klinge berührt, wird der Zauber gebrochen und ein einfaches Holzschwert kommt zum Vorschein.«

»Iniq … wieso?«, frage ich und starre perplex auf die beiden Waffen in meinem Arm. »Wieso hast du unsere Zukunft hierfür geopfert?«

Iniq holt tief Luft.

»Es war die einzige Möglichkeit, um ihrer Macht Einhalt zu gebieten«, erwidert sie und sieht mich eindringlich an. »Alecor, das Artefakt ist selbst in der Gilde nicht sicher. Glaub mir, dieser Krieg ist noch lange nicht vorüber. Wir müssen uns wappnen. Vorerst sind die Magier geschwächt, aber das wird nicht für immer so bleiben.«

Ich will lieber nicht darüber nachdenken, was das für mein Königreich und für die Menschen, die ich liebe, bedeutet.

»Du hast mein Wort«, verspreche ich. »Ich werde das Artefakt mit meinem Leben beschützen.«

Iniq schenkt mir ein sanftes Lächeln, dann legt sie eine Hand an meine Wange.

»Ich muss jetzt gehen«, flüstert sie in die Dunkelheit hinein. »Sie werden nach mir suchen und ich möchte weder dich noch die Elementier in Gefahr bringen.«

Mein Herz verkrampft sich bei ihren Worten.

»Wir finden einen Weg. Hier im Schloss kann ich dich beschützen«, sage ich bestimmt.

Doch Iniq schüttelt den Kopf. »Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn dir meinetwegen etwas zustößt, Liebster. Es ist besser, wenn ich gehe.« Sie streicht sich eine dunkle, feuchte Haarsträhne hinters Ohr, die ihr an der Wange klebt.

»Fehador ist ein sicherer Ort«, erwidere ich mit erstickter Stimme. »Das ist ein einfaches Bauerndorf. Dort lebt ein Wassermagier namens Eoin. Bei ihm wirst du Schutz finden. Er schuldet mir noch einen Gefallen.«

»Dann also nach Fehador.« Iniq schnieft. Sie tritt einen Schritt zurück. »Verzeih mir, Alecor. Ich musste eines der Artefakte stehlen. Die Vorstellung, dass die Magier damit Avalan, meine Heimat, vernichten …« Iniq verstummt und presst sich eine Hand auf den Mund. Ihre Schultern beben und werden von heftigen Schluchzern geschüttelt.

Mit der Kette in der Hand mache ich einen Schritt auf sie zu. »Ich habe dir längst verziehen«, flüstere ich, wische die Tränen von ihren Wangen und lege ihr das Schmuckstück um den Hals. Meine Lippen streifen Iniqs Stirn. »Wichtig ist für mich nur, dass du unversehrt zurückgekehrt bist.«

Iniq umfasst das Medaillon. Sie schluckt hörbar und fährt mit dem Daumen die eingravierte Lotusblüte auf dem Anhänger nach.

»Was für eine wunderschöne Kette«, haucht sie und schmiegt ihren Kopf an meine Brust.

»Sie soll dich an mich erinnern.« Ich streiche über ihr feuchtes Haar und schlucke die aufkommenden Tränen hinunter.

Iniq hat all das getan, wozu ich zu feige gewesen bin. Es ist ungerecht, dass sie jetzt den Preis für meine Fehler und jene meiner Vorfahren, zahlen muss.

Ich halte sie so fest wie einen Anker, der mir jeden Moment entgleiten könnte. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.« Iniqs Stimme klingt rau. Sie küsst mich, sanft und fordernd zugleich, und ich schmecke ihre salzigen Tränen auf meinen Lippen.

Für den Bruchteil einer Sekunde verharren wir im strömenden Regen. Ich schließe die Augen und lehne meine Stirn gegen ihre.

Iniqs Atem streift meine Wange, und sie umfasst mein Gesicht. »Die Elementier sind jetzt mein Volk, Alecor. Dieses Land mein Zuhause. Avalan wird eine Zukunft haben, das verspreche ich dir. Auch wenn unsere Liebe das nicht hat.« Etwas Dunkles, Fremdes blitzt in ihren Augen auf. Schwarze Adern zeichnen sich an ihren Handgelenken ab, die ich selbst im schummrigen Licht des Schlosshofes erkenne.

Ich habe es zugelassen. Ich hätte sie retten müssen.

Es hat Momente gegeben, da hat sie mich den Krieg vergessen lassen. Momente, in denen ich sie in meinen Armen gehalten und ihre nackte Haut warm und weich an meiner eigenen gespürt habe. Momente, die sich wie ein Traum angefühlt haben, aus dem ich nun schmerzhaft gerissen werde.

Die Realität ist erbarmungslos. Sie bricht wie ein Sturm über mich herein und zerschmettert mein Herz in tausend Stücke.

***

Zwei Jahre später

Über die Jahre haben Iniq und ich uns Briefe geschrieben. Sie sammeln sich in einer hölzernen Schatulle, die ich sorgsam verschlossen habe. Seit ihrer Flucht nach Fehador sind sie mein wertvollster Besitz.

Heute habe ich ihren letzten Brief erhalten. Einen Hilferuf.

Das Papier ist zerknittert und die Tinte verwischt, so als hätte Iniq den Brief in aller Eile verfasst.

Rasch überfliege ich die Zeilen. Meine Augen weiten sich. Das Blut rauscht in meinen Ohren.

Krieg.

Iniq spricht von Krieg. Sie schreibt, dass die Magier sie gefunden haben. Sie werden kommen und sie töten. Ihre Worte klingen verzweifelt.

Zitternd fällt mir der Brief aus der Hand.

Innerhalb einer Nacht mobilisiere ich alle verfügbaren Truppen. Eine ganze Legion, über fünfhundert Männer und Frauen, die mich nach Fehador begleiten. Die Gilde ist seit der Schlacht meines Großvaters vor vielen Jahrzehnten deutlich gewachsen. Jetzt bin ich am Zuge und muss meiner Rolle als Herrscher gerecht werden.

Wir teilen uns im Wald auf. Bei Sonnenaufgang reite ich mit ein paar Männern ins Dorf hinein.

Hoffentlich ist Iniq noch dort.

Doch meine Hoffnung wird zerschlagen, als ich die brennenden Strohdächer in der Ferne erkenne.

»Iniq!«

Das Knistern und Knacken des Feuers verschluckt meine Stimme. Mit klopfendem Herzen springe ich aus dem Sattel.

Der Rauch brennt in meinen Augen und ich blinzele gegen die Tränen an.

»Alecor, die Bewohner sind lange fort.« Lecroy legt eine Hand auf meine Schulter. »Es tut mir leid.«

Meine Brust zieht sich zusammen, als ich auf die Knie sinke. Die Felder sind unter der Asche kaum wiederzuerkennen, das Getreide im Feuer verglüht.

Iniq ist fort. Ich bin zu spät.

Zwei Jahre lang habe ich sie schmerzlich vermisst. Meine Liebe zu ihr ist nie erloschen. Noch immer würde ich alles tun, um sie zu beschützen, doch ich fürchte ihre Gefühle haben sich geändert. Iniqs Herz gehört jetzt einem anderen. Dem Wassermagier, zu dem ich sie geschickt habe. Eoin. Verfluchte Elemente, sie hat ein Kind geboren. Sein Kind. Und es ist nicht hier. In ihrem Brief hat sie mich gebeten es zu retten und zu verstecken.

Zitternd hole ich Luft, erhebe mich und wische die Tränen von meinen Wangen. »Such nach Überlebenden, Lecroy«, befehle ich meinem Kommandanten.

Das Knistern der Flammen begleitet mich, als ich zwischen den eingestürzten, verkohlten Hütten entlangschreite.

Das vertrocknete Gras knirscht unter meinen Stiefeln und ich zucke zusammen, als ich auf die knochigen Überreste eines Bewohners trete. Aschepartikel dringen in meine Lunge und lassen mich husten. Ich halte mir die Hand vor den Mund und komme zu dem Haus, welches laut meiner Erinnerung Eoin gehört hat.

Die hölzerne Fassade ist vollkommen in sich zusammengestürzt und Rauchwolken steigen zum Himmel empor.

Hier hat niemand überlebt.

Ich betrachte die zerbrochenen Holzbalken genauer, streiche über den Ruß und zerreibe ihn zwischen meinen Fingern.

Kaum merklich entdecke ich Fußspuren in der Asche, die vom Haus wegführen.

»Alecor!« Von weitem höre ich Lecroys Stimme, doch ich ignoriere meinen Kommandanten. Ein unsichtbarer Sog lässt mich den Spuren folgen, in der Hoffnung, dass sie mich zu Iniq bringen.

Im Wald ist es totenstill. Zu still, so als wären selbst die Kreaturen in den Schatten der Bäume vor der Zerstörung geflohen. Ich presse mir eine Hand auf den Mund und unterdrücke einen Schrei, als meine Stiefelspitze gegen eine blutige, blasse Hand stößt.

»Eoin …« Meine Stimme bricht.

Ich habe den Wassermagier viele Jahre nicht gesehen. Er hat die Gilde lange vor Iniqs Ankunft verlassen. Ich hatte nie das beste Verhältnis zu ihm, doch ich konnte auf Eoin zählen, wenn es darauf ankam, deshalb habe ich ihm Iniq anvertraut. Und somit auch einen Teil meines Herzens.

Jetzt sind seine braunen, schulterlangen Haare verkrustet von Blut. Seine Haut ist aschfahl und mit Ruß bedeckt, die eisblauen Augen starren glasig in den Himmel. Blut befleckt fast jede Stelle seiner Tunika. Feindliche Soldaten müssen ihn mehrmals durchstochen haben. Es ist weder ein schneller noch ein schöner Tod gewesen. Im Gegenteil. Er muss qualvoll gewesen sein. Eoins reglose Finger berühren das schmutzige Gras.

»Es tut mir leid«, hauche ich und ein Kloß bildet sich in meinem Hals.

Ich ignoriere die Enge in meiner Brust, der Schmerz zieht mein Herz wie eine Schlinge zusammen. Wenn Eoin tot ist, ist es Iniq vermutlich auch.

Mein Blick schweift über die Baumkronen. Wenige Armlängen entfernt hat sich ein weißes Leinentuch in den verkohlten Ästen verfangen. Ich erkenne die Blutflecken darauf, als ich näher an den zerrissenen Stoff herantrete. Mein Herz setzt einen Schlag lang aus, als ich das verhedderte Tuch aus dem Baum befreie und an meine Brust drücke.

Das ist es, was Eoin versucht hat zu beschützen und wofür er sein Leben gelassen hat.

Das Kind.

Doch von einem Neugeborenen fehlt jede Spur.

Ich kralle meine Finger in den blutigen Stoff und nehme einen tiefen Atemzug. Die Bürde des Versagens drückt meine Schultern tief nach unten. Ich habe Iniq im Stich gelassen. Ihr Geliebter ist tot und ihr Kind … spurlos verschwunden. Vermutlich haben die Domestiken es ebenfalls ermordet. Tränen brennen in meinen Augen, und ich beiße mir auf die bebende Lippe.

Ein Rascheln zwischen den Bäumen lässt mich zusammenzucken.

»Alecor!« Mit erhobener Waffe stürmt Lecroy auf mich zu. »Die feindlichen Streitkräfte greifen an! Sie sind ganz nah, es sind viele!«

Panisch deutet mein Kommandant auf die Lichtung, auf die Fackeln, die am Horizont eine nach der anderen sichtbar werden.

»Domestiken«, knurre ich. Lodernder Zorn erwacht in meinem Herzen und vertreibt die Trauer. Was haben sie Iniq angetan? Achtlos lasse ich das schmutzige Leinentuch fallen und ziehe mein Schwert. Die Klinge glüht, sobald das Pochen meiner Magie wie ein Fluss durch den Stahl strömt.

Licht erhellt den dunklen Wald um uns herum. Ich drehe mich zu Lecroy und nicke ihm zu. Mein Kommandant presst die Kiefer aufeinander.

Ein Schlachtruf entweicht meiner Kehle und eine zufriedenstellende Genugtuung befeuert meinen Hass, als ich dem ersten Feind die Kehle aufschlitze.

***

Blut tropft von meiner Schwertklinge und benetzt ebenso mein Gesicht. Es rinnt meine Wange hinab und hinterlässt einen metallischen Geschmack auf meinen Lippen. Ich weiß nicht, wie lange wir dem Feind noch standhalten können. Meine Magie ist erschöpft. Ich bin am Ende meiner Kräfte.

Wenn nicht bald ein Wunder geschieht ...

Schwer atmend starre ich auf das Schlachtfeld.

Um mich herum liegen Leichen verteilt. Domestiken und Elementier zugleich. Missmutig wende ich den Blick von der Legion ab, die ich in den Tod geschickt habe. Ich habe diesen Soldaten befohlen zu kämpfen. Sie sollten mir helfen Iniq zu finden und sind für nichts und wieder nichts gestorben.

Die Schuld zwingt mich beinahe in die Knie, doch ich darf mich jetzt nicht von meinen Emotionen überwältigen lassen. Ich dränge sie tief in mein Inneres zurück und verbanne sie in den hintersten Winkel meiner Gedanken.

Die Magier sind dort draußen. Eine Einheit aus vier Schatten. Ich weiß nicht, wie ich sie besiegen soll. Ich bin erschöpft und verwundet. Meine zerkratzte Rüstung kann mich nicht länger vor dem Zorn der Finsternis beschützen. Ich brauche Iniqs Hilfe.

Mein Atem geht stoßweise, und keuchend stütze ich mich auf den Griff meines Schwerts.

Wenn ich sterbe, will ich mich der Dunkelheit erhobenen Hauptes stellen. Ich werde bis zum letzten Atemzug kämpfen. Die Opfer meiner Landsleute sollen nicht umsonst gewesen sein.

Plötzlich blendet mich ein grelles Licht, das wie aus dem Nichts auftaucht. Es erhellt das Schlachtfeld und drängt sich einem Schleier gleich zwischen mich und die Magier.

Erschrocken blinzele ich dagegen an.

»Iniq?«, hauche ich mit heiserer Stimme.

Ihr Anblick ist eine verschwommene Silhouette, die so hell strahlt, dass ich meine Augen abschirmen muss.

Ihren Körper umgibt ein leuchtender Schimmer, der sie fast wie eine Göttin aussehen lässt.

Die Frau, die ich nach all den Jahren immer noch liebe, ist zurückgekehrt und kämpft für mich und mein Volk.

Schatten bedecken Iniqs Arme und ihre Augen glühen weiß. Sie spricht eine Sprache, die ich nicht verstehe. Der Zauber ist so mächtig, dass die Erde unter mir erzittert. Blut tropft von ihren Fingerspitzen. In den Büchern, die sie studiert hat, hat gestanden, dass schwarze Magie durch Blut beschworen wird. Sie fordert immer auch ein Teil der eigenen Seele.

Iniq hat sich für die Dunkelheit geopfert und schreitet so graziös wie eine Königin über das Schlachtfeld.

»Iniq!«, schreie ich und stürme vorwärts. Jeder meiner Muskeln schmerzt, doch ich muss sie beschützen. Ich darf sie nicht verlieren. Die Magier werden sie in Stücke reißen.

»Iniq!«

Ich stolpere und falle auf die Knie. Das Schwert gleitet mir aus der Hand und schlittert über den mit Blut getränkten Boden.

Hört sie mich überhaupt?

Iniq wirkt, als hätte sie die schwarze Magie vollkommen in ihrem Bann. Sie ist gefangen in einem Zauber, der viel zu mächtig für ihre zierliche Gestalt zu sein scheint.

Panisch beobachte ich wie sie die Arme hebt. Ihre Stimme wird immer lauter und schwillt zu einem melodischen Gesang an. Sie hallt über das Schlachtfeld, während Blitze über den Himmel zucken. Ich erschaudere und krieche vorwärts, im verzweifelten Versuch sie aufzuhalten.

Was tut sie da nur?

Licht umgibt ihren Körper wie einen Kokon. Es schießt aus ihren Fingerspitzen und bedeckt das gesamte Schlachtfeld. Erschrocken kneife ich die Augen zusammen. Die Strahlen sind so hell, dass sie mich fast erblinden lassen, so als würde Iniq die Sonne selbst beschwören. Schlieren bilden sich um mich herum und verursachen Risse in der Erde unter mir. Panisch springe ich auf. Der Boden bricht entzwei. Ich weiche zurück. Meine Hände zittern von der Erschütterung. Iniq steht noch immer mit ausgestreckten Armen zwischen mir und den Magiern.

Das Licht an ihren Fingerspitzen wallt auf und fließt wie ein Spinnennetz zusammen, das sich als hohe Mauer vor uns erhebt.

Iniq erschafft eine Barriere. Sie sperrt die vier Schatten in ein unsichtbares Gefängnis. Ich traue meinen Augen nicht. Woher hat sie diese Macht und welchen Preis hat sie dafür zahlen müssen?

Sie verändert die Welt und rettet Avalan, so wie sie es mir vor vielen Jahren versprochen hat.

Das Licht erlischt. Vor mir befindet sich ein durchsichtiger Schleier. Er schlägt Wellen und flimmert im Angesicht der Dunkelheit. Ich kann die Magie fühlen, wenn ich die Hand danach ausstrecke. Sie ist mächtiger als alles, was ich je zuvor gesehen habe und kribbelt auf meiner Haut.

Mit Schrecken stelle ich fest, dass Iniq von mir getrennt ist. Ihre zierliche Gestalt befindet sich auf der anderen Seite des Schleiers.

»Nein!«, schreie ich und presse meine blutigen Handflächen an die Barriere. Verschwommen erkenne ich, dass ihr Körper aus nicht viel mehr als Haut und Knochen besteht. Die dunkle Macht, der Zauber, den sie benutzt hat, um die Magier von meinem Königreich abzuschotten, muss sie alles gekostet haben.

»Iniq!« Schluchzer entringen sich meiner Kehle und mit geballten Fäusten schlage ich gegen die Barriere. Sie wabert und erzittert unter meine Berührung.

Egal was ich versuche, ich schaffe es nicht zu ihr durchzudringen.

Verfluchte Elemente, ich muss sie irgendwie retten können!

In diesem Moment dreht Iniq ihren Kopf in meine Richtung.

Tränen rinnen ihre Wangen hinab. Sie sind für mich wie ein Messerstich ins Herz. Sie muss mich noch lieben, genau wie ich sie. Schließlich hat sie sich für mich und Avalan geopfert.

»Verzeih mir«, haucht sie und das Blut gefriert in meinen Adern, als sich vier dunkle Gestalten hinter ihr erheben. Selbst durch den flackernden Schleier erkenne ich die drei dunklen Klingen der Magier, die aufglühen, als sie einen Schritt auf Iniq zumachen.

Ich erstarre mitten in der Bewegung.

Iniqs Blick bohrt sich tief in meinen. Sie drückt ihre blassen Handflächen gegen die Barriere.

Ich presse meine Hände auf ihre, obwohl der Schleier uns voneinander trennt. Tränen strömen über meine Wangen und schmecken salzig auf meinen Lippen.

Ich bilde mir ein die Wärme ihrer Finger an meinen zu spüren und wende den Blick nicht ab, als die Magier ihre Schwerter heben.

Sie trennen Iniqs Kopf sauber von ihren Schultern.

Auf einmal herrscht Totenstille auf dem Schlachtfeld. Ich vernehme nur das Pochen meines eigenen Herzschlags und das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.

Kraftlos sinke ich auf die Knie, sehe ihr Blut, das die Barriere hinabrinnt und im Boden versickert. Stumm fließt es im Einklang mit meinen Tränen. Dann zerreißt ein Laut die Stille, der tief aus meinem Inneren stammt. Ein fast schon animalischer Schrei, der das Feuer in meinem Herzen in Wallung bringt.

Ich balle die Fäuste und vergrabe meine Finger in der Asche.

Ich lasse zu, dass die Flammen jede Faser meines Körpers vereinnahmen und als Inferno aus meinen Fingerspitzen hervorbrechen. Sie sind ein Versprechen, dass die Magier für das bezahlen werden, was sie getan haben. Dafür, dass sie mir die Frau genommen haben, die ich liebe.

Kapitel 2

Nyah

Heute

Nyah wurde mit einem Ruck aus Alecors Erinnerungen gerissen. Sie konnte nicht glauben was sie gesehen, welch schreckliche Dinge ihr der Senator offenbart hatte. Sie wollte es nicht wahrhaben.

Meine Mutter … Mein Vater …

»Nyah.«

Nyah zuckte zusammen, als Alecor sie an der Schulter berührte.

»Nyah«, wiederholte er ihren Namen eindringlich, doch sie schüttelte den Kopf.

Mit weit aufgerissenen Augen sah sie den Senator an, wich Schritt für Schritt zurück. Bis sie gegen die Wand stieß.

Zitternd presste sie sich an die feuchten Steinwände des Kerkers und hielt die Arme fest um ihren Körper geschlungen.

Ihr war eiskalt.

»Bitte. Ich kann dir helfen.« Alecor machte einen Schritt auf sie zu. Wärme strahlte von seinen Händen aus, doch sie schenkte Nyah keinen Trost.

»Ich kann den Schmerz von dir nehmen«, beharrte der Senator. »Dafür sorgen, dass es aufhört.«

»Lasst … lasst mich einfach allein.« Ihre Stimme klang kratzig und gebrochen. Sie erkannte sie selbst kaum wieder.

»Nyah.« Alecor seufzte. »Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss …«

»Schwer?«, stieß Nyah mit erstickter Stimme hervor. »Ihr habt ja nicht die geringste Ahnung, wie ich mich gerade fühle!«

Sie stand unter Schock. Sie war verloren. Sie war nicht sie selbst.

»Nyah, du musst nicht …« Alecor strich über ihren Arm, doch Nyah schüttelte seine Hand ab und flüchtete aus dem Kerker.

***

Sie sind für den Tod meiner Familie verantwortlich.

Nyah presste den zerknitterten Brief ihrer Mutter an ihre Brust. Die Tinte war von ihren Tränen verwischt.

Und ich war so töricht ihnen zu vertrauen.

Sie fühlte sich nackt. Verloren.

Verraten.

Ihre Hände wollten einfach nicht aufhören zu zittern.

Ihre Bestimmung. Ihr Schicksal. Wieso erschienen all diese Dinge auf einmal bedeutungslos?

Die Magier waren ihre Familie. Nyah war bei ihnen im Turm aufgewachsen. Und dennoch.

Sie hatten sie gefoltert. Eingesperrt. Ihr keine Zuneigung geschenkt. Ihr Schmerzen zugefügt, wann immer sie in ihren Aufgaben versagte. Ihr beigebracht, die Elementier zu hassen, obwohl Nyah selbst eine von ihnen war.

Hätten die Magier sie nach dem Tod ihrer Eltern nicht gefunden, wäre Nyah ebenfalls gestorben. Sie schuldete ihnen viel.

Doch jetzt wusste sie, dass das alles nur eine Lüge war.

Die Magier hatten sie nicht gerettet, sie hatten sie ihrer Familie entrissen.

Sie hatten Nyah in eine Waffe verwandelt, sie benutzt, um an die Gilde heranzukommen.

Sie hatten sich nie um sie geschert. Sie nie geliebt.

Nyah war nichts weiter als ein Mittel zum Zweck für ihre Meister.

Und in ihrer Gier nach Macht hatten sie ihre Eltern getötet. Ihre Mutter, die mutig auf dem Schlachtfeld gekämpft und ihren Vater, der nur versucht hatte sie zu beschützen. Nyah würde ihnen niemals vergeben. Und sie würde niemals vergessen.

Ihre Knie gaben unter ihr nach.

Die Magier hatten sie gebrochen und sie wusste nicht, wie sie es jemals schaffen sollte wieder aufzustehen.

Sie hatte die jahrelange Pein völlig umsonst ertragen. Ihr Körper war gezeichnet von der Dunkelheit.

Die Narben auf ihrem Rücken nur ein Teil des Verrats.

Nyah keuchte.

Jeder Atemzug schmerzte. Sie hatte das Gefühl zu ersticken.

Alles, woran ich geglaubt habe, ist falsch.

Ein Schicksal lastete auf ihren Schultern, dem sie nicht gewachsen war.

Waren die Dunkellande jemals ihr Zuhause gewesen? Sie gehörte weder dorthin noch nach Avalan.

Hatte Nyah überhaupt ein Zuhause?

Ein erstickter Laut entwich ihrer Kehle.

Ihre Tränen waren nicht genug. Sie wurden dem Schmerz nicht ansatzweise gerecht. Einem Anker gleich klammerte sie sich an das Stück Papier in ihrer Hand.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte.

Alles, was ihr blieb, waren diese schrecklichen Zeilen und ihre Kette.

Wütend riss sie das Schmuckstück von ihrem Hals und schleuderte es in die hinterste Ecke ihrer Gemächer.

Wie lange konnte sie dem Schmerz entkommen, bevor er sie endgültig zerbrach?

Mein Leben ist eine einzige Lüge.

Nyah sah sich in ihren Gemächern um. Dieser Ort erschien ihr plötzlich fremd. Ein weiteres Schluchzen entrang sich ihrer Kehle.

Selbst ihr Element spendete ihr keinen Trost, erinnerte sie nur an den grausamen Tod ihres Vaters.

Sie war am Boden zerstört. Nein, sie war nicht so stark wie ihre Mutter und würde es niemals sein.

Ein Klopfen an der Tür erschreckte sie beinahe zu Tode.

»Nyah, ich wollte nur …«

Sasha verstummte augenblicklich.

Nyah hatte ihr den Rücken zugedreht und presste sich eine Hand auf den Mund, damit die Dienerin ihre Schluchzer nicht hörte.

Sie durfte die Wahrheit niemals erfahren.

»Geht es dir gut?«, fragte Sasha und musterte sie von der Seite.

Nyah nickte. Sie schluckte die Tränen hinunter.

»Ich bin nur erschöpft«, sagte sie und ihre Stimme klang erstaunlich gefasst, wenn auch heiser.

»Brauchst du irgendetwas?« Sasha machte einen Schritt in den Raum hinein, doch Nyah wich vor ihr zurück.

Sie schüttelte den Kopf. Je länger Sasha sie anstarrte, desto schwerer fiel es ihr die Fassade aufrecht zu erhalten.

»Nein. Du kannst gehen.«

»Bist du sicher, dass …«

»Ich sagte, du kannst gehen! Ich wünsche nicht gestört zu werden«, fauchte Nyah und war froh, als sie hörte, wie die Tür hinter ihrer Zofe ins Schloss fiel.

***

Es vergingen zwei Wochen, in denen Nyah nicht mehr als ein paar Bissen ihrer Speisen hinunterbekam. Sie schlief schlecht, wälzte sich oft stundenlang in den Laken hin und her. Alecors Erinnerungen verfolgten sie, wann immer sie die Augen schloss. Oft lag sie zusammengekrümmt in ihrem Bett, fühlte sich zu kraftlos, um aufzustehen. Ihre Lektionen hatte sie die letzten Tage geschwänzt. Gestern jedoch war sie, in Begleitung des Senators, zum ersten Mal auf dem Kampfplatz gewesen. Ihre Knie hatten geschlottert. Nyah konnte kein Schwert in der Hand halten. Stattdessen war sie schluchzend gegen Alecors Brust gesunken. Er hatte ihr sanft über den Rücken gestrichen und sie weinen lassen. Seine Fähigkeiten linderten Nyahs Schmerz ein wenig, doch die Trauer war so tief in ihr verankert, dass sie sie nicht vergessen konnte.

»Nyah?« Dumpf nahm sie die Stimme des Senators wahr. Sie hatte ihn nicht kommen gehört, verfluchte das Licht, das durch einen Spalt in der Tür in ihre Gemächer drang.

»Geht weg.«

Kopfschüttelnd drehte sie sich auf die Seite.

»Ràn hat nach dir gefragt. Er macht sich Sorgen um dich.«

»Ràn?« Allein der Gedanken an ihn versetzte Nyah einen schmerzhaften Stich. Seit sie gemeinsam durch die Griffin Highlands geflogen waren, hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Nyah vermisste ihren Mentor schmerzlich, doch die Wahrheit über ihre Vergangenheit sorgte dafür, dass sie sich auch vor ihm zurückzog. Der Einzige, der halbwegs zu ihr durchdrang, war Alecor. Er wusste, was sie durchmachte, verstand den Schmerz des Verrats, der ein klaffendes Loch in ihrem Herzen hinterlassen hatte.

»Ich habe ihm gesagt, dass du krank bist.« Alecor ließ sich auf Nyahs Bett nieder. »Ihr nehmt eure Lektionen wieder auf, sobald es dir besser geht.«

»Er weiß nichts von … von meiner Herkunft?« Panik schnürte ihr die Kehle zu. Sie spürte Alecors Hand auf ihrer Schulter, was sie augenblicklich beruhigte.

»Nein. Der Junge hat schon genug Bürden, die auf seinen Schultern lasten. Wenigstens diese eine möchte ich ihm ersparen.«

Nyah atmete erleichtert auf. Solange Ràn nicht wusste, wer sie wirklich war, konnte sie die Illusion der unschuldigen Elementierin aufrechterhalten. Er durfte niemals von ihrer Vergangenheit oder ihrem Leben in den Dunkellanden erfahren.

Alecor seufzte. »Ràn verbringt viel Zeit mit seiner Mutter, und wenn ich mich nicht irre, hat er sie heute Morgen sogar nach Harloth begleitet.« Der Senator lächelte. »Es ist lange her, dass er das getan hat. Du hast es geschafft ihn aus der Reserve zu locken, Nyah.«

Sein Lächeln munterte sie nicht auf. Es machte ihr nur umso deutlicher, dass Ràn noch eine Familie hatte, Nyah hingegen jedoch völlig allein war.

Alecor räusperte sich. Während sie über Ràn sprachen, hatte seine Miene einen sanften Ausdruck angenommen, doch jetzt wurde er wieder ernst.

»Ich habe die Briefe deiner Mutter in eine Schatulle gelegt. Sie steht auf dem Tisch.« Er deutete mit einem Nicken auf eine braune, mit Schnörkeln verzierte Holzkiste. Sie wirkte in ihren Gemächern fehl am Platz.

»Du solltest sie noch einmal lesen, ihre Worte verinnerlichen.«

»Sie hat die Worte benutzt, die in meiner Kette stehen«, flüsterte Nyah und war in Gedanken wieder bei den Zeilen, die ihre Mutter an den Senator gerichtet hatte. Wir müssen aus den Schatten heraustreten.

»Ja.« Alecors Blick war von Trauer verschleiert, so als schwelgte er selbst in Erinnerungen.

»Ich weiß, du brauchst Zeit, um das alles zu verarbeiten, doch am Horizont braut sich ein Krieg zusammen. Ehe du dich versiehst, befindet er sich vor unseren Toren.«

Alecor erhob sich von ihrem Bett.

»Du musst lernen das vierte Artefakt zu beherrschen, oder das avalanische Volk ist verloren.«

Nyah schluckte. Sie wollte gar nicht daran denken, was ihr bevorstand. Obwohl ihr die schwarze Magie vertrauter als alles andere war, fürchtete sie sich vor dem vierten Artefakt. Sie wusste, wie groß seine Macht war, was sie sich selbst und anderen damit antun konnte.

»Du fürchtest dich«, entgegnete der Senator, als hätte er ihre Gedanken gelesen, und Nyah starrte resigniert auf ihre Fingerknöchel.

Alecor machte einen Schritt auf sie zu, hob ihr Kinn an und zwang sie ihn anzusehen.

»Trotzdem darfst du die Hoffnung nicht aufgeben, nicht den Glauben an dich selbst verlieren. Die Magier wollen dieses Land tiefer ins Chaos stürzen und nun ist es meine – unsere – Aufgabe das Gleichgewicht wieder herzustellen.«

Nyah strich sich eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr. Erneut brannten Tränen in ihren Augen, und ihr Blick schweifte von Alecor zu der hölzernen Schatulle auf ihrem Tisch.

»Ich habe Avalan so viel Schaden zugefügt. W-wie kann ich das jemals wiedergutmachen?«

»Die Magier haben etwas aus dir gemacht, was du nicht bist. Doch es ist nie zu spät, um sich zu ändern. Du kannst jeden Tag versuchen eine bessere Version deiner selbst zu sein.«

Zuneigung sprach aus Alecors Blick. Er drückte ihre Hand.

»Auch Iniq war damals von ihrem Weg abgekommen. Ich habe ihr geholfen ihn wiederzufinden. Genau wie ihr biete ich dir meine Hilfe an.«

Seine Worte berührten etwas tief in Nyahs Innerem. Hatte der Senator Ràn dasselbe gesagt, nachdem er seinen Bruder verloren hatte?

Alecor sah zu der Schatulle hinüber, bevor sein Blick zurück zu ihr zuckte. »Du besitzt Iniqs Kampfgeist. Ich sehe sehr viel von ihr in dir. Und wenn sie es geschafft hat die Dunkelheit zu bezwingen, dann schaffst du das auch. Da bin ich mir sicher.«

Er ging in Richtung Tür, öffnete sie und trat auf den Korridor hinaus.

»Eines solltest du nicht vergessen, Nyah. Du bist jetzt nicht länger allein. Und das musst du nie wieder sein.«